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Steuerrecht
04.10.2018
Steuerrecht
FG München: Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit?

FG München, Beschluss vom 13.8.2018 – 14 V 736/18

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-2990-2

unter www.betriebs-berater.de

Leitsätze der Redaktion

1. Macht der Haftungsschuldner keine oder nur unvollständige Angaben, kann er sich auf Schätzungsfehler des FA nur in einem eingeschränkten Umfang berufen. Will er eine für ihn günstigere Haftungsquote erreichen, bleibt es ihm vorbehalten, einen entsprechenden Liquiditätsstatus der GmbH vorzulegen.

2. Die Anwendung des § 240 AO begegnet jedoch dann schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln, wenn die Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen teilweise zu erlassen sind; denn dann sind sie sowohl ihrem verbleibenden Zweck nach als auch der Höhe nach mit einer Verzinsung vergleichbar. In diesem Fall liegt ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge nahe.

3. Kann der Steuerpflichtige die Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nicht mehr rechtzeitig zahlen, verliert der vorrangig mit den Säumniszuschlägen verfolgte Zweck, Druck auf den Steuerpflichtigen auszuüben, seinen Sinn; in diesen Fällen ist die Erhebung der Säumniszuschläge sachlich unbillig.

4. Grundsätzlich kommt aber aufgrund des weiteren Zwecks der Säumniszuschläge, als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands zu dienen, regelmäßig nur ein Teilerlass in Betracht. Sie sind dann nur zur Hälfte zu erlassen, weil ein Säumiger grundsätzlich nicht besser stehen soll als ein Steuerpflichtiger, dem AdV oder Stundung gewährt wurde.

5. Insgesamt sind die verbleibenden Säumniszuschläge bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung mit der Verzinsung bei der AdV vergleichbar. Gegen deren Höhe bestehen die gleichen verfassungsrechtlichen Zweifel wie bei der Verzinsung nach § 233a AO.

Sachverhalt

I.

Die Antragstellerin war seit dem 29. Dezember 2011 Geschäftsführerin einer GmbH, welche zur Abgabe von monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet war. Für die Monate Juni bis Oktober 2015 kam die GmbH ihrer Verpflichtung zur Abgabe der Voranmeldungen fristgerecht nach; die angemeldeten Vorauszahlungen wurden pünktlich entrichtet. Am 10. Mai 2016 übermittelte die Antragstellerin für die Monate Juni 2014, August 2014 bis März 2015, Mai bis Juli 2015, September 2015 und Oktober 2015 berichtigte Voranmeldungen für die GmbH mit jeweils erheblich höheren Umsatzsteuerbeträgen. Diese Voranmeldungen führten zu bestandskräftigen Festsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Am 31. Juli 2017 wurde beim Amtsgericht (AG) der Antrag auf Insolvenz über das Vermögen der GmbH gestellt. Das AG ordnete am 2. August 2017 die vorläufige Insolvenzverwaltung an und eröffnete am 2. März 2018 das Insolvenzverfahren.

Nach vorhergehender Anhörung erließ der Antragsgegner (das Finanzamt – FA –) am 21. November 2017 gegenüber der Antragstellerin einen Haftungsbescheid gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 69 AO in Höhe von insgesamt 117.230,76 €. Er umfasste die noch rückständigen Beträge der berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen. Außerdem machte das FA darin Säumniszuschläge, die nach dem 10. Mai 2016 und vor dem Antrag auf Insolvenz entstanden sind, in voller Höhe von 21.820,50 € und Säumniszuschläge, die nach dem Antrag auf Insolvenz entstanden sind, zur Hälfte in Höhe von 1.816,25 € geltend.

Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist, und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Im Rahmen des Einspruchsverfahrens reichte sie einen Berechnungsbogen zu Ermittlung der Haftsumme für den Haftungszeitraum vom 10. Mai 2016 bis 31. Juli 2017 ein, in dem sie u. a. jeweils zu Beginn und zum Ende dieses Zeitraums die Verbindlichkeiten, die rückständige Steuer, die Summe der bezahlten Verbindlichkeiten und bezahlten Steuern angab sowie die durchschnittliche Tilgungsquote errechnete.

Das FA teilte der Antragstellerin mit, dass neben der Vorschrift des § 69 AO auch die Haftung gemäß § 71 AO in Betracht komme. Sie bat die Antragstellerin darum, für jeden nachgemeldeten Betrag darzulegen, dass bzw. in welcher Höhe der Steuerausfall auch ohne ein strafbares Verhalten eingetreten wäre.

Den Antrag auf AdV lehnte das FA mit Bescheid vom 29. November 2017 ab.

Mit Schreiben vom 12. Februar 2018 legte die Antragstellerin eine Aufstellung über Zahlungseingänge sowie laufende Zahlungen für die Zeitabschnitte der nachgemeldeten Voranmeldungen vor. Der monatliche Zahlungseingang sei regelmäßig geringer als die monatlichen Zahlungen gewesen. Die monatliche Unterdeckung habe nur mithilfe eines Dispositionskredits der Bank, vor allem jedoch durch Privatdarlehen der Antragstellerin und deren Mutter an die GmbH getragen werden können. Nach den Grundsätzen der quotalen Haftung sei die Finanzverwaltung gegenüber anderen Gläubigern sogar bevorzugt behandelt worden. Selbst wenn das FA über Vollstreckungsmaßnahmen Gelder bzw. Vermögenswerte beigetrieben hätte, so hätten diese Zahlungseingänge durch den Insolvenzverwalter angefochten werden können.

Mit dem Briefkopf der Bevollmächtigten der Antragstellerin wurde mit Schriftsatz vom 15. März 2018 AdV beim Finanzgericht (FG) beantragt; dieses Schreiben ist nicht unterschrieben. Die ergänzenden Schreiben der Bevollmächtigten vom 11. Juli 2018 und 25. Juli 2018 in diesem Verfahren tragen eine Unterschrift. Die Antragstellerin führt zur Begründung u.a. aus, aufgrund des Grundsatzes der quotalen Haftung komme ein Haftungsbescheid nicht in Betracht. Die Voraussetzungen des § 71 AO lägen nicht vor. Darüber hinaus sei die Höhe der Säumniszuschläge genauso wie die Höhe der Nachzahlungszinsen verfassungsrechtlich nicht haltbar (Hinweis auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 25. April 2018 IX B 21/18, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2018, 1020).

Die Antragstellerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 21. November 2017 von der Vollziehung auszusetzen.

Das FA beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Es führt aus, ein wegen eines bestimmten tatsächlichen Geschehensablaufs auf § 69 AO gestützter Haftungsbescheid könne noch in der Einspruchsentscheidung auf § 71 AO gestützt werden. Die Aufstellungen im Schreiben vom 12. Februar 2018 genügten nicht. Zum Zeitpunkt der Fälligkeiten der einzelnen Voranmeldungen der Jahre 2014 und 2015 habe das FA von einer eventuellen Zahlungsunfähigkeit der GmbH keine Kenntnis haben können, so dass der Insolvenzverwalter Zahlungen nicht hätte anfechten können. Ferner sei der BFH-Beschluss in DStR 2018, 1020 zu den Nachzahlungszinsen nicht auf Säumniszuschläge übertragbar. Säumniszuschläge und die Verzinsung nach § 233a AO verfolgten unterschiedliche Zwecke. Dies gelte auch dann, wenn aufgrund der Zahlungsunfähigkeit, das Ziel von Säumniszuschlägen, Druck auf den Steuerpflichtigen auszuüben, nicht erreicht werden könne. Dann verbleibe aber in jedem Fall der Zweck, den durch die Säumnis erhöhten Verwaltungsaufwand abzugelten und die Nachteile des Steuergläubigers aufgrund der verspäteten Zahlung auszugleichen.

Aus den Gründen

II.

Der zulässige Antrag ist teilweise begründet.

1. Die Schriftform ist gewahrt. Nach § 64 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten zu erheben. Notwendig für die Wahrung der Schriftform ist grundsätzlich eine Unterschrift (BFH-Urteil vom 22. Juni 2010 VIII R 38/08, BStBl II 2010, 1017). Diese Grundsätze gelten auch für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei Gericht; § 64 Abs. 1 FGO gilt entsprechend (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2002 X S 7/02, nicht veröffentlicht). Hier hat die Bevollmächtigte der Antragstellerin ihren Schriftsatz vom 15. März 2018, mit dem die AdV beantragt wurde, nicht unterschrieben; aus ihren ergänzenden und unterschriebenen Schreiben vom 11. Juli 2018 und vom 25. Juli 2018, in denen sie Ausführungen zu dem Verfahren macht, ergibt sich jedoch, dass sie auch einen Antrag auf AdV stellen wollte. Im nicht fristgebundenen AdV-Verfahren konnte die Schriftform jederzeit nachgeholt werden. Sie ist mithin eingehalten.

2. Der Haftungsbescheid ist hinsichtlich der ab dem Antrag auf Insolvenz entstandenen Säumniszuschläge von der Vollziehung auszusetzen.

Gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das FG die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts u. a. aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen.

Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Dabei kann es sich auch um verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm handeln. Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so hat es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Das dem BVerfG vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zur Folge, dass das Fachgericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes im Hauptsacheverfahren erst nach deren Feststellung durch das BVerfG ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird (BFH-Beschluss in DStR 2018, 1020, Rz 13).

Nach § 191 Abs. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.

Die in den § 34 AO und § 35 AO bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden (§ 69 Satz 1 AO). Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO).

a) Bei summarischer Prüfung hat die Antragstellerin eine Pflichtverletzung begangen, weil sie für die in Haftung genommenen Zeiträume jeweils eine zu niedrige Steuer erklärte und abführte. Diese Pflichtverletzung indiziert den Schuldvorwurf (vgl. BFH-Urteil vom 27. September 2017 XI R 9/16, BFH/NV 2018, 75, Rz 24). Hiergegen und gegen die Höhe der Steuerschulden hat die Antragstellerin auch keine Einwendungen erhoben. Auf eine eventuelle weitere Haftung nach § 71 AO kommt es nicht an.

b) Die vom FA angenommene Haftungsquote von 100% ist nicht zu beanstanden.

aa) Die Haftung nach § 69 AO ist dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist. Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat. Rückständige Umsatzsteuer ist danach vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern. Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (= Haftungssumme). Hierzu hat das FA unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder – soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann – im Schätzungswege die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO). Zur Feststellung der Haftungssumme kann das FA vom Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen der nicht entrichteten Umsatzsteuer in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen. Bei den Gesamtverbindlichkeiten und den Zahlungen sind die vorrangig zu tilgenden Lohnsteuerbeträge nicht zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 27. Februar 2007 VII R 60/05, BStBl II 2008, 508, m.w.N.). Auf die Liquiditätsverhältnisse zu den jeweiligen Zahlungs- und Steuerfälligkeitszeitpunkten kommt es nicht an (BFH-Urteil vom 11. Juli 1989 VII R 81/87, BStBl II 1990, 357, unter II.3.b; BFH-Beschluss vom 4. Mai 2004 VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363, unter II.1.b). Beginn des Haftungszeitraums ist die Fälligkeit der Steuerschulden (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 1990, 357, unter II.3.).

Verletzt der Haftungsschuldner als Geschäftsführer der GmbH die ihm obliegende Mitwirkungspflicht, die Gesamtverbindlichkeiten und die geleisteten Zahlungen im Haftungszeitraum mitzuteilen, so ist dies bei der Schätzung zu berücksichtigen. Macht der Haftungsschuldner keine oder nur unvollständige Angaben, kann er sich auf Schätzungsfehler des FA nur in einem eingeschränkten Umfang berufen. Will er eine für ihn günstigere Haftungsquote erreichen, bleibt es ihm vorbehalten, einen entsprechenden Liquiditätsstatus der GmbH vorzulegen (BFH-Urteil vom 26. Oktober 2011 VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777, Rz 13).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist im summarischen Verfahren nicht zu beanstanden, dass das FA eine Haftungsquote von 100% angenommen hat. Die Antragstellerin hat lediglich für den Zeitraum vom 10. Mai 2016 bis 31. Juli 2017 eine Berechnung der Haftungsquote vorgelegt, nicht jedoch für den hier maßgeblichen Zeitraum ab Abgabepflicht für die Umsatzsteuervoranmeldung des Juni 2014 und die Fälligkeit der darauf zu entrichtenden Steuern, also ab 10. Juli 2014 (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes). Die mit Schreiben vom 12. Februar 2018 eingereichte Aufstellung der Zahlungseingänge sowie der laufenden Zahlungen reicht nicht aus. Hieraus lassen sich – auch zusammen mit der bereits vorgelegten Berechnung der Haftungsquote – die erforderlichen Angaben für deren Berechnung im Zeitraum vom 10. Juli 2014 bis 30. Juli 2017 nicht entnehmen. So fehlen Informationen für den Zeitraum vom November 2015 bis 9. Mai 2016 sowie für Juli 2014, April 2015 und August 2015. Unklar bleibt bis zu Letzt z. B., in welcher Höhe im gesamten Haftungszeitraum Steuern (inklusive der zu wenig angemeldeten Beträge) und sonstige Verbindlichkeiten entstanden und bezahlt worden sind.

c) Es ist nicht ersichtlich oder substantiiert vorgetragen, dass der Insolvenzverwalter Zahlungen an das FA hätte nach §§ 129 ff. der Insolvenzordnung anfechten können.

d) Ernsthaft zweifelhaft ist aber, ob das FA sein Ermessen hinsichtlich der Haftung für die ab dem Antrag auf Insolvenz entstandenen Säumniszuschläge zutreffend ausgeübt hat, weil gegen die Höhe der für diesen Zeitraum bislang vom FA berücksichtigten Säumniszuschläge die gleichen schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken wie gegen die Höhe der Verzinsung nach § 233a AO bestehen. Insoweit liegt deren vollständiger Erlass nahe. Daher ist der Haftungsbescheid in Höhe von 1.816,25 € auszusetzen.

Im Rahmen des § 191 Abs. 1 AO hat das FA eine Ermessensentscheidung zu treffen, die vom FG nur darauf zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 Satz 1 FGO). Nach dem Zweck der Ermächtigung zur Inanspruchnahme des Haftenden nach § 191 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde bei der Ausübung des Entschließungsermessens auch zu berücksichtigen, ob die Steuer, für die gehaftet wird, in Zukunft erlassen werden kann oder muss (BFH-Urteil vom 17. Oktober 2001 II R 67/98, BFH/NV 2002, 610, unter II.2.b.bb.(1); BFH-Beschluss vom 12. September 2014 VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161, Rz 25).

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre (§ 227 AO). Der Zweck der §§ 163, 227 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen. Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme. Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten besonders ins Gewicht. Daher kommt ein Erlass in Betracht, wenn der Steuerpflichtige von einer solchen Norm unverhältnismäßig nachteilig betroffen ist (vgl. BFH-Urteile vom 20. September 2012 IV R 29/10, BStBl II 2013, 505, Rz 19, 21, 26; vom 4. Juni 2014 I R 21/13, BStBl II 2015, 293, Rz 10, 18; vom 23. Februar 2017 III R 35/14, BStBl II 2017, 757, Rz 16, 18f.).

Die ab dem Antrag auf Insolvenz entstandenen Säumniszuschläge, welche das FA zu ½ berücksichtigt hat, erscheinen auch hinsichtlich der verbleibenden Hälfte als übermäßig.

aa) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1% des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO).

Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen (BFH-Urteil vom 30. März 2006 V R 2/04, BStBl II 2006, 612, Rz 17, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 2. März 2017 II B 33/16, BStBl II 2017, 646, Rz 32).

bb) Diese Vorschrift ist grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG– vom 30. Januar 1986 2 BvR 1336/85, Deutsche Steuerzeitung Eildienst, 1986, 101; vgl. BFH-Urteil vom 20. Mai 2010 V R 42/08, BStBl II 2010, 955, Rz 21).

Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass inzwischen gegen die Höhe des Zinssatzes bei den sog. Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO jedenfalls ab dem Verzinsungszeitraum 2015 schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel bestehen (zu Letzterem: BFH-Beschluss in DStR 2018, 1020; a. A. BFH-Urteil vom 9. November 2017 III R 10/16, BStBl II 2018, 255 für das Jahr 2013; Beschluss des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 16. Januar 2018 2 V 3389/16, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2018, 997 für AdV-Zinsen).

Aufgrund des vorrangigen Zwecks der Säumniszuschläge als Druckmittel stellen – anders als die Antragstellerin meint – verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der im Gesetz angeordneten Zinshöhe nicht zugleich die grundsätzliche Vereinbarkeit der in § 240 AO angeordneten Höhe der Säumniszuschläge von 1% je Monat in Frage (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juni 2018, § 240 Rz 19).

cc) Die Anwendung des § 240 AO begegnet jedoch dann schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln, wenn die Säumniszuschläge wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen teilweise zu erlassen sind (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juni 2018, § 240 Rz 19). Denn dann sind sie sowohl ihrem verbleibenden Zweck nach als auch der Höhe nach mit einer Verzinsung vergleichbar. In diesem Fall liegt ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge nahe.

Kann der Steuerpflichtige die Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nicht mehr rechtzeitig zahlen, verliert der vorrangig mit den Säumniszuschlägen verfolgte Zweck, Druck auf den Steuerpflichtigen auszuüben, seinen Sinn. In diesen Fällen ist die Erhebung der Säumniszuschläge sachlich unbillig. Grundsätzlich kommt aber aufgrund des weiteren Zwecks der Säumniszuschläge, als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands zu dienen, regelmäßig nur ein Teilerlass in Betracht. Sie sind dann nur zur Hälfte zu erlassen, weil ein Säumiger grundsätzlich nicht besser stehen soll als ein Steuerpflichtiger, dem AdV oder Stundung gewährt wurde (BFH-Urteil in BStBl II 2006, 612, Rz 19 m.w.N.; für einen vollständigen Erlass in diesen Fällen: Loose, Tipke/Kruse, AO, Stand: Februar 2018, § 240 AO, Rz 5). Der Höhe nach entsprechen die Säumniszuschläge dann der Verzinsung nach § 238 AO (z. B. bei einer AdV oder bei Nachzahlungszinsen).

Die Säumniszuschläge dienen in diesen Fällen im Wesentlichen dem gleichen Zweck wie die Verzinsung: Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens z.T. abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht „an sich“ dem Steuergläubiger zusteht (BFH-Urteil vom 1. Juli 2014 IX R 31/13, BStBl II 2014, 925, Rz 10 zu § 237 AO; BFH-Beschluss in DStR 2018, 1020, Rz 23). Soweit nach der Rechtsprechung des BFH die Säumniszuschläge als Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung angesehen werden, ist damit nach Auffassung des Senats das gleiche Ziel wie bei der Verzinsung lediglich anders umschrieben (vgl. BFH-Urteile vom 29. August 1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906, unter B.II.2.a; vom 16. Juli 1997 XI R 32/96, BStBl II 1998, 7, unter 2. am Ende; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juni 2018, § 240 Rz 11). Daher werden Zinsen nach § 233 ff. AO als das laufzeitabhängige Entgelt für den Gebrauch eines auf Zeit überlassenen oder vorenthaltenen Geldkapitals angesehen (BFH-Urteil vom 18. April 1996 V R 55/95, BStBl II 1996, 561, unter II.3.a; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: Juni 2018, § 233 Rz 4).

Säumniszuschläge sollen zwar ferner auch den zusätzlichen Verwaltungsaufwand abgelten. Diesem Aspekt kommt aber lediglich eine untergeordnete Bedeutung zu. Denn im Rahmen einer pauschalierenden Betrachtung ist für den Teilerlass der Säumniszuschläge bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung die Höhe der Zinsen für eine AdV maßgeblich (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2006, 612, Rz 19, 26); der zusätzliche Verwaltungsaufwand ist bei der Höhe des Erlasses nicht eigenständig zu berücksichtigen.

Insgesamt sind die verbleibenden Säumniszuschläge bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung mit der Verzinsung bei der AdV vergleichbar (vgl. BFH-Urteil vom 29. August 1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906, unter B.II.2.a). Gegen deren Höhe bestehen die gleichen verfassungsrechtlichen Zweifel wie bei der Verzinsung nach § 233a AO. Der Senat schließt sich den Ausführungen des BFH in DStR 2018, 1020, Rz 15 bis 34 an.

e) Zudem hat der Antragsteller auch ein Interesse an der AdV. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die ernstlichen Zweifel hier nicht aus Bedenken gegen die Gültigkeit eines formellen Gesetzes, nämlich die Vorschrift des § 240 AO, ergeben, welche im Rahmen der Interessenabwägung eine Berücksichtigung des Verwerfungsmonopols des BVerfG in der Hauptsache erforderten. Vielmehr geht es hier um die von den Fachgerichten zu beurteilende Frage, ob die Säumniszuschläge im Einzelfall übermäßig und daher zu erlassen sind. Darüber hinaus nimmt der Senat auf die Begründung in dem BFH-Beschluss in DStR 2018, 1020, Rz 35 bis 39 Bezug.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

4. Die Beschwerde wird gem. §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

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