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Steuerrecht
18.06.2015
Steuerrecht
FG Münster: Rückkauf von GmbH-Anteilen ist kein rückwirkendes Ereignis

FG Münster, Urteil vom 15.4.2015 – 13 K 2939/12 E

Leitsatz

Wird im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs ein Teil des Kaufpreises gegen Rückübertragung der GmbH-Anteile zurückgezahlt, stellt dies kein rückwirkendes Ereignis dar, das eine Änderung der auf die ursprüngliche Anteilsveräußerung entfallenden Einkommensteuer rechtfertigt

g§§

Sachverhalt

Streitig ist, ob die Einkommensteuer-Festsetzung 2003 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) geändert werden kann.

Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der von ihm 1989 gegründeten … ... GmbH (G-GmbH), die das Betreiben von verschiedenen Grillverkaufswagen zum Gegenstand hatte. Er veräußerte mit notariell beurkundetem Vertrag vom 19.08.2003 die Anteile an der G-GmbH an Frau … … (S) und Herrn … … (M), die je 50 % der Anteile erwarben, zu einem Kaufpreis von 250.000,- EUR. Im Rahmen des Einkommensteuer-Bescheids für 2003 vom 25.09.2006 wurde insoweit erklärungsgemäß ein Veräußerungsgewinn gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 110.659 EUR erfasst:

Verkaufserlös

250.000,00 €

Stammkapital

-26.000,00 €

Veräußerungskosten

  -2.680,69 €

Veräußerungsgewinn

221.319,31 €

Halbeinkünfteverfahren

    ½

stpfl. Veräußerungsgewinn

110.659,16 €

Mit Urteil des Landgerichts C. (LG) vom 01.04.2009 …/06, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde der Kläger gesamtschuldnerisch mit seinem damaligen Steuerberater verurteilt, S und M unter anderem den Kaufpreis in Höhe von insgesamt 250.000,- EUR zurück zu zahlen Zug um Zug gegen Rückabtretung der Anteile an der G-GmbH. Ein Anspruch von S und M bestehe im Wege des Schadensersatzes aufgrund Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 2, 280 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-). Der Kläger habe seine Pflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB verletzt, indem er unrichtige Bilanzen vorgelegt und S und M damit getäuscht habe.

Der Kläger legte gegen das Urteil Berufung (Aktenzeichen: …/09) ein. In der vor dem Oberlandesgericht J. (OLG) am 30.09.2010 durchgeführten mündlichen Verhandlung schlossen der Kläger und S und M einen Vergleich, nach dem der Kläger an S und M einen Betrag in Höhe von insgesamt 200.000,- EUR zu zahlen hatte. Bei Zahlung von 25.000,- EUR (je 12.500,- EUR an S und M) bis zum 30.10.2010 und von 100.000,- EUR (je 50.000,- EUR an S und M) bis zum 02.05.2011 werde ihm der Restbetrag in Höhe von insgesamt 75.000,- EUR erlassen. S und M traten die Anteile an der G-GmbH nach Punkt 4 des Vergleichs unter der aufschiebenden Bedingung der Vergleichserfüllung an den Kläger ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30.09.2010 verwiesen. Der Vergleich wurde erfüllt. Der Kläger zahlte fristgerecht an S und M Beträge in Höhe von insgesamt 125.000,- EUR.

Die Kläger stellten unter dem 12.01.2011 einen Antrag auf Änderung der Einkommensteuer-Festsetzung für 2003 gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, den der Beklagte mit Verfügung vom 14.04.2011 ablehnte. Der Beklagte wies den von den Klägern eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 31.07.2012 als unbegründet zurück.

Die Kläger haben am 27.08.2012 Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie vor: Es liege durch die Rückzahlung des Kaufpreises und die Rückübertragung der GmbH-Anteile aufgrund des gerichtlichen Vergleichs ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Dies mit der Folge, dass im Streitjahr 2003 keine Veräußerung stattgefunden habe und damit auch kein Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG entstanden sein könne. Der Kaufvertrag über die GmbH-Anteile sei gemäß §§ 134, 138 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mit ex-tunc-Wirkung nichtig, weil er aufgrund eines Verstoßes gegen § 263 des Strafgesetzbuchs (StGB) zustande gekommen sei. Die laut gerichtlichem Vergleich an die Käufer zurückgezahlten Beträge seien Rückzahlungen im Sinne des § 812 BGB. Hiermit erfülle er, der Kläger, keine vertragliche, sondern eine gesetzliche Pflicht aus §§ 823 Abs. 2, 826 BGB. Es handele sich also nicht um ein individualvertragliches Schuldverhältnis und keinesfalls um einen individualvertraglichen Kaufvertrag im Sinne des § 433 BGB. Die Interpretation des Beklagten, im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs sei es nicht zu einer Rückabwicklung des ursprünglichen Kaufvertrags vom 19.08.2003, sondern zu einem Rückkauf der GmbH-Anteile gekommen, sei deshalb offenkundig rechtswidrig. Aber auch bei rechtswidriger Unterstellung des Vorliegens eines Kaufvertrags wäre ein vereinbarter Preis nur dann ein Entgelt im Sinne des § 433 Abs. 2 BGB, wenn Leistung und Gegenleistung zueinander in einem ausgewogenen Verhältnis stünden. Im Streitfall sei dies aber nicht der Fall. Die Anteile an der G-GmbH seien völlig wertlos gewesen. Nach den allgemeinen Regeln der Anteilsbewertung lasse sich mangels einer Geschäftstätigkeit und aufgrund der Überschuldung und Vermögenslosigkeit der G-GmbH weder ein positiver Vermögenswert noch ein zukunftsbezogener Ertragswert der zurückübertragenen Anteile feststellen. Damit scheide ein Kaufvertrag im Sinne des § 433 BGB aus. Es handele sich vielmehr um ein aus seinem deliktischen Handeln resultierendes gesetzliches Schuldverhältnis und ein aus dem gerichtlichen Vergleich abgeleitetes und konkretisiertes, selbständiges, individualvertragliches Leistungsaustauschverhältnis im Sinne der §§ 311 Abs. 1, 779 Abs. 1 und 346 BGB.

Die Kläger tragen im Anschluss an den von dem Berichterstatter durchgeführten Erörterungstermin und nach der Akteneinsichtnahme in die zum vorliegenden Verfahren beigezogenen Gerichtsakten des LG und OLG ergänzend vor: Soweit auf den Willen des Spruchkörpers des OLG und der Parteien abzustellen sei, so sollte dies durch Einvernahme der Personen erfolgen, die an der Verhandlung am 30.09.2010 teilgenommen hätten, da diese die Motive, Erwägungen und Willenserklärungen der Parteien am besten beschreiben und bestätigen könnten. Seiner Auffassung nach sei dies jedoch entbehrlich, da sich die Situation nach einer Zwischenberatung des 27. Senats des OLG so dargestellt habe, dass ihm von dem Senat erhebliche Risiken deutlich gemacht worden seien, wenn Beweis über die streitgegenständliche und entscheidungserhebliche Umsatzhinzubuchung erhoben würde. Der Senat habe deutlich gemacht, dass diese Hinzubuchung in der Bilanz eine wichtige Indiz-Tatsache für die vorsätzliche Täuschung der Anteilskäufer durch ihn und seinen damaligen Steuerberater angesehen werde. Nach der vom Senat ausgesprochenen Empfehlung zu einem Vergleich über die Rückzahlung des gesamten Kaufpreises, d.h. je 125.000,- EUR an S und M, sei die Verhandlung dann erneut unterbrochen und beiden Seiten Gelegenheit gegeben worden, sich zur Beratung zu diesem Vorschlag zurück zu ziehen. Die Parteien hätten im Anschluss daran im Wesentlichen nur noch über die Zahlungsmodalitäten verhandelt. Hier sei das Interesse von S und M auf die Zahlung innerhalb eines halben Jahres gerichtet gewesen, während er erst nach dem Verkauf seiner Immobilie habe zahlen wollen, der Zeitpunkt des Verkaufs aber noch völlig ungewiss gewesen sei. Erst als eigentlich der Vergleich von beiden Seiten als schon gescheitert gegenüber dem Senat bezeichnet worden sei, habe er noch einmal persönlich einen Vergleichsabschluss angeregt, weil er aufgrund seines hohen, von dem Senat geschilderten Prozessrisikos an einem Vergleich interessiert gewesen sei. Daraufhin seien die Vergleichsverhandlungen wieder aufgenommen und seien insbesondere nochmals die Zahlungsmodalitäten diskutiert worden. Als Anreiz und Druckmittel für eine fristgerechte Zahlung sei dann schließlich einvernehmlich die Vergleichs-Hauptsumme von bisher insgesamt 250.000,- EUR (2 x 125.000,- EUR) auf 200.000,- EUR (2 x 100.000,- EUR) herabgesetzt und entsprechend protokolliert worden, wobei ihm nachgelassen worden sei, dass ihm bei Zahlung von insgesamt 125.000,- EUR bis zu den festgelegten Terminen der Restbetrag von 75.000,- EUR erlassen werde. Aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Restzahlung hätten dann auch die Geschäftsanteile zurückübertragen werden sollen. Damit habe der notarielle Kaufvertrag vom 19.08.2003 in vollem Umfang unter Ausgleich der wechselseitigen Ansprüche rückabgewickelt werden sollen. Es stehe seiner Auffassung nach nachweisbar fest, dass er die volle Kaufpreissumme für die Anteile in Höhe von je 125.000,-EUR an S und M gegen Rückgabe der Anteile habe zurückzahlen sollen. Es habe sich demzufolge durch den gerichtlichen Vergleich sowohl in der tatbestandlichen und in der zivilrechtlichen als auch in der ertragsteuerlichen Qualifikation und Interpretation gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil nichts geändert. Das erstinstanzliche Urteil werde – isoliert betrachtet – auch von dem Beklagten als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beurteilt. Änderungen in der Beurteilung hätten sich aber – wie ausgeführt – durch den Vergleich in der Berufungsinstanz nicht ergeben. Er habe im Rahmen des gerichtlichen Vergleichs nach dem Willen aller am Vergleich beteiligten Richter, Parteien und deren Prozessvertreter den Kaufpreis in voller Höhe zurück zahlen müssen abzüglich eines Nachlasses als Leistungs-Erfüllungs-Prämie für seine schnelle und fristgerechte Zahlung des geschuldeten Rückzahlungsbetrags. S und M hätten im Rahmen des Vergleichs nur auf die weiteren, erstinstanzlich zugesprochenen Schadensersatzansprüche für die Erwerbsnebenkosten in Höhe von jeweils 13.920,19 EUR verzichtet. Dies sei der ausdrücklich erklärte Wille der Parteien auf entsprechendem Vorschlag des 27. Senats des OLG J. bei Abschluss des gerichtlichen Vergleichs am 30.09.2010 gewesen. S und M sei somit offenkundig der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach gewesen. Ein Rückkauf sei von keiner Partei und auch nicht von dem den Vergleich vorschlagenden Spruchkörper in Erwägung gezogen worden. Es sei allen Verfahrensbeteiligten einzig und allein um die Rückabwicklung des notariellen Kaufvertrags vom 19.08.2003 gegangen. Dem Beklagten sei es rechtlich nicht möglich, diese Willensentscheidung durch eine eigene Auslegung des Vergleichs zu ersetzen und damit eigenmächtig zivil- und ertragsteuerlich einen Rückkaufvertrag zu konstruieren.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Ablehnungsverfügung vom 14.04.2011 und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 31.07.2012 das Finanzamt zu verpflichten, die Einkommensteuer 2003 und den Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 2003 auf 0,- EUR herabzusetzen,

die Kosten des Verfahrens dem Beklagten aufzuerlegen und hierzu klarstellend zu beschließen, den Beklagten zu verpflichten, den von den Klägern eingezahlten Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 220,- EUR vom Zeitpunkt der Einzahlung bei der Gerichtskasse an bis zur Erstattung an die Kläger mit 5 % über dem Basiszinssatz gemäß § 139 Abs. 1 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu verzinsen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend vor: Bei Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils wäre der zuvor verwirklichte Sachverhalt mit Wirkung für die Vergangenheit verändert worden. Es wäre zu einer echten Rückabwicklung gekommen, die auch steuerlich zu berücksichtigen wäre. Es hätte in diesem Fall eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO erfolgen können. Diese Rechtsfolge trete aber nach dem Vergleich vor dem OLG nicht ein. Weder sei das deliktische Verhalten des Klägers noch die Nichtigkeit des Kaufvertrags festgestellt oder die vollständige Rückabwicklung vereinbart worden. Der Prozessvergleich habe eine Doppelnatur. Er sei sowohl Prozesshandlung als auch materielles Rechtsgeschäft. In diesem Sinne handele es sich bei dem Vergleich vor dem OLG um einen Rückkauf und nicht um ein gesetzliches Schuldverhältnis.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Der Senat hat am 15.04.2015 mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die Klage ist unbegründet.

Die Ablehnungsverfügung vom 14.04.2011 und die Einspruchsentscheidung vom 31.07.2012 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).

Der Beklagte hat zu Recht die Berichtigung der Einkommensteuer-Festsetzung 2003 und der Festsetzung des Solidaritätszuschlags zur Einkommensteuer 2003 abgelehnt, da die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht vorliegen.

Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die Frage, wann ein Sachverhalt im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO steuerlich zurückwirkt, wird im Gesetz nicht näher bestimmt. Es genügt aber nicht, dass das spätere Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestaltet. Die Änderung muss sich auch steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der geänderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) allein anhand des jeweils einschlägigen materiellen Rechts (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 26.06.2014 I B 74/12, BFH/NV 2014, 1497).

Bei den laufend veranlagten Steuern – wie vorliegend der Einkommensteuer – sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Denn grundsätzlich kann ein Sachverhalt nicht mit steuerrechtlicher Wirkung rückwirkend gestaltet werden, weil der Steuerpflichtige auf einen entsprechenden Steueranspruch nicht rückwirkend Einfluss nehmen kann. Eine solche Einflussnahme wäre ein unzulässiger Eingriff in öffentlich-rechtliche Verhältnisse (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 18.09.1984 VIII R 119/81, BFHE 142, 130, BStBl II 1985, 55). Dieser Grundsatz gilt jedoch nur insoweit, als die einschlägigen steuerrechtlichen Regelungen nicht bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt. Eine solche Rechtslage ist insbesondere bei Steuertatbeständen gegeben, die an ein einmaliges, punktuelles Ereignis anknüpfen, wie z.B. die Veräußerung eines Gewerbebetriebes nach § 16 Abs. 1 EStG und – wie im Streitfall – der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach § 17 Abs. 1 EStG (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 26.06.2014 I B 74/12, BFH/NV 2014, 1497; BFH-Urteil vom 19.08.2009 I R 3/09, BFHE 226, 486, BStBl II 2010, 249; BFH-Urteil vom 21.12.1993 VIII R 69/88, BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648; BFH-Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).

Hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Änderung des Sachverhalts im Zusammenhang mit einem einmaligen, punktuellen Ereignis zu einer rückwirkenden Änderung der steuerlichen Rechtsfolgen führt, unterscheidet die neuere Rechtsprechung des BFH zunächst danach, ob das dem Besteuerungstatbestand zugrunde liegende Rechtsgeschäft bereits vollzogen ist, d.h. die beiderseitigen Vertragspflichten erfüllt sind, oder nicht (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 28.10.2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539; BFH-Urteil vom 19.08.2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107).

Für den Fall des noch nicht vollzogenen Rechtsgeschäfts, d.h. dass nach dem Abschluss des Vertrags Veränderungen beim ursprünglich vereinbarten Veräußerungspreis eintreten und der Erwerber seine Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung noch nicht erfüllt hat, hat der Große Senat des BFH (Beschluss vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) für die entsprechende Regelungslage bei einer Betriebsveräußerung nach § 16 EStG entschieden, dass diese Veränderungen materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurück zu beziehen seien. Es liege ein Fall des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Dabei sei es auch unerheblich, welche Gründe für die Minderung oder Erhöhung des Erlöses maßgebend gewesen seien, denn nur auf diese Weise lasse sich eine sachgerechte (Einmal-)Besteuerung sicherstellen. Zu diesem Zweck sei § 16 Abs. 2 EStG – ebenso wie die parallele Vorschrift des § 17 Abs. 2 EStG für die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die im Privatvermögen gehalten werden – nach der Regelungskonzeption stichtagsbezogen ausgestaltet. Das rechtfertige es, Wertveränderungen des Kaufpreises spezialgesetzlich auf den Veräußerungsstichtag zurückwirken zu lassen und nur den tatsächlich vereinnahmten Kaufpreis zu erfassen (vgl. u.a. auch BFH-Urteil vom 11.05.2010 IX R 26/09, BFH/NV 2010).

Auch in dem Fall des bereits vollzogenen Rechtsgeschäfts hat der BFH die Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO prinzipiell bejaht, allerdings die Änderungsmöglichkeit von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht. Tritt eine (bloße) Veränderung des Veräußerungspreises bei einem vollzogenen Rechtsgeschäft ein, wirkt diese Veränderung rückwirkend im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn die Preisänderung aus einem Grund erfolgt, der im Kaufvertrag selbst angelegt ist (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 23.04.2012 IX R 32/11, BFHE 237, 234, BStBl II 2012, 675; BFH-Urteil vom 28.10.2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539). Erfolgt hingegen bei einem vollzogenen Rechtsgeschäft eine Rückabwicklung, d.h. nicht nur eine Preisänderung, sondern auch eine Rückübertragung des Veräußerungsgegenstands, ist § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nur anwendbar, wenn die Rückabwicklung zum einen aus einem Grund erfolgt, der im Kaufvertrag selbst angelegt ist und das Rechtsgeschäft zum anderen auch tatsächlich und vollständig rückabgewickelt wird. Eine tatsächliche und vollständige Rückabwicklung liegt vor, wenn sich die Vertragsparteien so stellen, wie sie stünden, wenn der Kaufvertrag nicht abgeschlossen worden wäre (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 28.10.2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539; BFH-Urteil vom 19.08.2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107; v. Groll, in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO § 175 Rz. 256). Ist dies der Fall, ist die Veräußerungsgeschäft auch steuerrechtlich rückwirkend im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entfallen, so dass es auf der Seite des ursprünglichen Veräußerers nicht (mehr) zu einer Besteuerung des Veräußerungsgeschäfts nach § 17 Abs. 1 EStG kommt. Anderenfalls liegt kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, sondern ein neues Rechtsgeschäft, dem keine Rückwirkung beizumessen ist, vor (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 28.10.2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539; BFH-Urteil vom 21.10.1999 I R 43, 44/98, BFHE 190, 377, BStBl II 2000, 424). Denn die Besteuerung, die – wie bei § 17 Abs. 1 EStG – an das wirtschaftliche Ergebnis eines Rechtsgeschäfts anknüpft, kann mit steuerlicher Vergangenheitswirkung nur beseitigt werden, wenn auch die wirtschaftlichen Folgen des Rechtsgeschäfts durch Rückabwicklung tatsächlich wieder beseitigt werden (vgl. u.a. auch BFH-Urteil vom 10.07.1996 II B 139/95, BFH/NV 1997, 61; Loose, in Tipke/Kruse § 175 AO Rn. 33; Rüsken, in Klein AO 12. Auflage 2014 § 175 Rz. 62).

In der Rechtsprechung des BFH ist auch anerkannt, dass ein (gerichtlicher) Vergleich im Zusammenhang mit einem einmaligen, punktuellen Ereignis zu einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führen kann. Dies insbesondere, wenn der Vergleich bei einem vollzogenen Rechtsgeschäft zur Beilegung des Rechtsstreits über die Höhe des Veräußerungspreises dient (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 19.08.2009 I R 3/09, BFHE 226, 486, BStBl II 2010, 249; BFH-Urteil vom 10.02.1994 IV R 37/92, BFHE 174, 140, BStBl II 1994, 564). Wird im Rahmen des Vergleichs aber nicht nur ein Streit über die Höhe des Veräußerungspreises beigelegt, sondern die Rückabwicklung eines bereits vollzogenen Rechtsgeschäfts geregelt, liegt ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aber nur dann vor, wenn – wie bereits ausgeführt – der Grund für die im Vergleich getroffene Regelung im ursprünglichen Kaufvertrag angelegt ist und zum anderen mit der Regelung im Vergleich die wirtschaftlichen Folgen des Veräußerungsgeschäfts von den Vertragsparteien tatsächlich und vollständig beseitigt werden, d.h. aufgrund des Vergleichs eine tatsächliche und vollständige Rückabwicklung von Leistung und Gegenleistung erfolgt (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 28.10.2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539; BFH-Urteil vom 19.08.2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107). So hat der BFH auch in seinem Urteil vom 19.08.2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107 zur Anerkennung eines Vergleichs als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ausgeführt: „… Der im Wege des Vergleichs abgeschlossene Rückabwicklungsvertrag ist ebenso ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung, wie es der Eintritt der auflösenden Bedingung gewesen wäre, wenn dieser zwischen den Vertragspartnern unumstritten gewesen wäre. Denn in diesem Vertrag haben die Beteiligten zur Beilegung ihrer Meinungsverschiedenheiten einvernehmlich Verpflichtungen festgelegt, die sich auch dann hätten ergeben können, wenn die auflösende Bedingung unstreitig eingetreten wäre. Die veräußerten Geschäftsanteile waren zurück zu übertragen und der vereinnahmte Kaufpreis war unabhängig davon zurück zu gewähren, ob sich in der Zwischenzeit der Wert dieser Geschäftsanteile verringert hatte. Es besteht kein vernünftiger Grund, einem solchen Vergleich keine steuerliche Rückwirkung beizumessen und die Vertragspartner zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung oder der Fortführung eines bereits anhängigen Verfahrens zu zwingen, wenn die Rückabwicklung tatsächlich durchgeführt wird. …“. Fehlt es aber an der Regelung der tatsächlichen und vollständigen Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts im Vergleich, liegt kein Fall des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor.

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann die Einkommensteuer-Festsetzung 2003 im Streitfall mangels eines rückwirkenden Ereignisses nicht gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden. Das vollzogene Rechtsgeschäft, die „Veräußerung der Anteile an der G-GmbH“, ist aufgrund der Regelungen in dem vor dem OLG geschlossenen Vergleich nicht rückwirkend im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entfallen, so dass der Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der G-GmbH im Rahmen der Einkommensteuer-Festsetzung 2003 unverändert erfasst bleibt. Zwar hat der Vergleich seinen Anknüpfungspunkt in dem zwischen dem Kläger und S und M abgeschlossenen Kaufvertrag vom 19.08.2003, da die Ansprüche aufgrund des Verschuldens des Klägers bei Vertragsschluss in dem Berufungsverfahren streitig waren. Jedoch haben die Parteien des Vergleichs nicht die wirtschaftlichen Folgen des Veräußerungsgeschäfts, des Kaufvertrags vom 19.08.2003, tatsächlich und vollständig beseitigt. Denn in diesem Fall hätten S und M – wie im erstinstanzlichen Urteil – die vollständige Rückabwicklung des Vertrags, d.h. auch die vollständige Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von insgesamt 250.000,- EUR, verlangen können. Nur dann hätten sich der Kläger und S und M so gestellt, wie sie stünden, wenn der Kaufvertrag vom 19.08.2003 nicht abgeschlossen worden wäre. Tatsächlich war der Kläger aber nach dem Vergleich nicht verpflichtet, den gesamten Kaufpreis in Höhe von 250.000,- EUR, sondern nur einen Betrag in Höhe von 200.000,- EUR bzw. bei fristgerechter Zahlung zu vereinbarten Terminen nur einen Betrag in Höhe von insgesamt 125.000,- EUR an S und M zurück zu zahlen und hat tatsächlich auch nur einen Betrag in Höhe von insgesamt 125.000,- EUR an S und M zurück gezahlt. Da es – wie ausgeführt – für die Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bei einem Rückabwicklungsverhältnis aber gerade auf die tatsächliche und vollständige Rückabwicklung des Kaufvertrags und damit auf die Rückgängigmachung des nach § 17 Abs. 1 EStG besteuerten wirtschaftlichen Ergebnisses ankommt, ist das Motiv für die Festlegung der geringeren Zahlungsverpflichtung im Streitfall unmaßgeblich. Der Senat braucht daher auch den von den Klägern insoweit gestellten Beweisanträgen nicht nachzugehen.

Durch den Prozessvergleich ist – entgegen der Ausführungen des Klägers – auch eine (neue) vertragliche Vereinbarung zwischen dem Kläger und S und M geschlossen worden. Denn der vor dem OLG geschlossene Prozessvergleich hat eine sog. Doppelnatur. Er ist zum einen Prozesserklärung, zum anderen aber auch, soweit er – wie im Streitfall – materiell-rechtliche Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien regelt, ein materiell-rechtlicher Vertrag. Rechtsgrundlage der Zahlungsverpflichtungen des Klägers und der Verpflichtung zur Rückübertragung der GmbH-Anteile ist diese, im Prozessvergleich geregelte vertragliche Vereinbarung, und nicht – wie der Kläger vorträgt – ein gesetzliches Schuldverhältnis gemäß § 812 BGB, § 823 Abs. 2 BGB oder § 826 BGB. Zivilrechtlich kann es sich bei der im Vergleich getroffenen materiell-rechtlichen Regelung um einen Kaufvertrag im Sinne des § 433 BGB handeln. Insoweit kann – entgegen der Auffassung des Klägers – auch über wertlose GmbH-Anteile ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen werden. Ein zivilrechtlich wirksamer Kaufvertrag erfordert – anders als der Kläger meint – kein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Letztendlich kann im Streitfall aber auch dahingestellt bleiben, ob die im Vergleich getroffene materiell-rechtliche Regelung zivilrechtlich als Kaufvertrag oder als Vereinbarung einer („unvollständigen/teilweisen“) Rückabwicklung auszulegen ist. Denn auch ein („unvollständiges/teilweises“) Rückabwicklungsverhältnis kann auf der Veräußererseite – hier bei S und M – eine Veräußerung im Sinne des § 17 EStG darstellen (vgl. BFH-Urteil vom 21.10.1999 I R 43, 44/98, BFHE 190, 377, BStBl II 2000, 424) und auf der Erwerberseite – hier dem Kläger – zu Anschaffungskosten führen. Jedenfalls ist der mit dem Prozessvergleich geschlossenen materiell-rechtlichen Regelung – wie ausgeführt – keine Rückwirkung beizumessen.

Rein nachrichtlich weist der Senat darauf hin, dass der Kläger seine im Jahr 2010 gezahlten Beträge in Höhe von 125.000,- EUR für die – wie er anführt – wertlosen Anteile an der G-GmbH im Rahmen der Ermittlung des Gewinns bzw. Verlusts aus der Auflösung der GmbH gemäß § 17 Abs. 4 EStG mindernd geltend machen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Eine – wie von den Klägern begehrt – Entscheidung über die Verzinsung des Gerichtskostenvorschusses bedarf es im Streitfall nicht, da den Klägern die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

 

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