EuGH: Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen, die eine Bildungseinrichtung einem eingeschränkten Publikum gegen Entgelt erbringt
EuGH (1. Kammer), Urteil vom 4.5.2017 – Rs. C‑699/15, Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs gegen Brockenhurst College
ECLI:EU:C:2017:344
Volltext:BB-ONLINE BBL2017-1173-2
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Tenor
Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass Tätigkeiten, die unter Umständen wie jenen des Ausgangsverfahrens ausgeübt werden und darin bestehen, dass Studenten einer höheren Bildungseinrichtung im Rahmen ihrer Ausbildung Dritten gegen Entgelt Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen erbringen, als mit der Unterrichtsleistung „eng verbunden“ angesehen und folglich von der Mehrwertsteuer befreit werden können, wenn diese Dienstleistungen für die Ausbildung der Studenten unerlässlich und nicht dazu bestimmt sind, dieser Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden, was das nationale Gericht zu prüfen hat.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs (Steuer- und Zollverwaltung des Vereinigten Königreichs, im Folgenden: Steuerverwaltung) und dem Brockenhurst College (im Folgenden: College) wegen der Befreiung der vom College erbrachten Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen von der Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 unterliegen der Mehrwertsteuer „Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.
4 Titel IX („Steuerbefreiungen“) der Richtlinie 2006/112 enthält u. a. Kapitel 1 („Allgemeine Bestimmungen“) mit Art. 131 und Kapitel 2 („Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten“) mit den Art. 132 bis 134.
5 Art. 131 dieser Richtlinie lautet:
„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.“
6 Art. 132 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung und damit eng verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung;
…“
7 Art. 133 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der Befreiungen nach Artikel 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, im Einzelfall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig machen:
Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.
Leitung und Verwaltung dieser Einrichtungen müssen im Wesentlichen ehrenamtlich durch Personen erfolgen, die weder selbst noch über zwischengeschaltete Personen ein unmittelbares oder mittelbares Interesse am wirtschaftlichen Ergebnis der betreffenden Tätigkeiten haben.
Die Preise, die diese Einrichtungen verlangen, müssen von den zuständigen Behörden genehmigt sein oder die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Umsätzen, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen die verlangten Preise unter den Preisen liegen, die der Mehrwertsteuer unterliegende gewerbliche Unternehmen für entsprechende Umsätze fordern.
Die Befreiungen dürfen nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen.
…“
8 Art. 134 dieser Richtlinie lautet:
„In folgenden Fällen sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Artikels 132 Absatz 1 Buchstaben b, g, h, i, l, m und n ausgeschlossen:
a) sie sind für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich;
b) sie sind im Wesentlichen dazu bestimmt, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden.“
Recht des Vereinigten Königreichs
9 Die in Art. 132 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiungen wurden durch Section 31 des Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz 1994) in das Recht des Vereinigten Königreichs umgesetzt. Nach dieser Vorschrift ist eine Dienstleistung von der Steuer befreit, wenn sie der Beschreibung in Anhang 9 dieses Gesetzes entspricht.
10 Nach Anhang 9 Teil II Gruppe 6 Nrn. 1 und 4 des Value Added Tax Act 1994 sind von der Steuer befreit:
„1. Die Leistung durch eine für die Befreiung in Betracht kommende Einrichtung von
(a) Unterricht;
…
(c) Berufsausbildung.
…
4. Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen (ausgenommen Prüfungsdienstleistungen), die eng verbunden sind mit einer Leistung im Sinne von Nr. 1 (der Hauptleistung) einer für eine Befreiung in Betracht kommenden Einrichtung oder an eine solche Einrichtung, die die Hauptleistung erbringt, sofern
(a) die Gegenstände oder Dienstleistungen dem Schüler, Studenten oder Auszubildenden (je nach Sachlage), der die Hauptleistung erhält, unmittelbar zugutekommen und
(b) diese Leistung in Fällen, in denen die Leistung an die für eine Befreiung in Betracht kommende Einrichtung, die die Hauptleistung erbringt, erbracht wird, von einer anderen solchen Einrichtung erbracht wird.“
11 Der Begriff „für eine Befreiung in Betracht kommende Einrichtung“ ist in Anmerkung 1 zu dieser Gruppe 6 definiert.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
12 Das College ist eine höhere Bildungseinrichtung, die Lehrgänge über Gastronomie, Gastgewerbe und darstellende Künste anbietet.
13 Damit die Studenten dieser Lehrgänge Kenntnisse unter praxisnahen Bedingungen erwerben können, betreibt das College durch Studenten und unter der Aufsicht ihrer Tutoren ein Restaurant und veranstaltet Theateraufführungen, wobei sich diese Angebote an Personen außerhalb der Bildungseinrichtung richten. Sowohl das Restaurant als auch die Theateraufführungen sind einem eingeschränkten Publikum zugänglich, das sich aus Personen zusammensetzt, die sich für die vom College organisierten Veranstaltungen interessieren könnten. Diese Personen sind in einer Datenbank erfasst, damit sie durch einen Newsletter über diese Veranstaltungen auf dem Laufenden gehalten werden. Sie sind darüber informiert, dass die Veranstaltungen im Rahmen der Ausbildung der Studenten zu einem ermäßigten Preis angeboten werden, der hinsichtlich der Bewirtung ungefähr 80 % der tatsächlichen Kosten entspricht. Gehen beim Restaurant nicht für mindestens 30 Personen Reservierungen ein, wird die Bewirtung abgesagt.
14 Aus den dem Gerichtshof übermittelten Akten geht hervor, dass der Hauptzweck dieser Dienstleistungen nicht darin besteht, im unmittelbaren Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen zusätzliche Einnahmen für das College zu erzielen.
15 Dem vorlegenden Gericht zufolge ist der praktische Unterricht als Bestandteil der Lehrgänge ausgestaltet, was von den Studenten bei ihrer Anmeldung für die betreffende Ausbildung mitberücksichtigt werde.
16 Das College entrichtete im fraglichen Zeitraum die Mehrwertsteuer zum normalen Satz auf den Preis, der für die Bewirtung und die Unterhaltungsdienstleistungen berechnet worden war.
17 Es vertrat jedoch die Auffassung, dass diese Lieferungen und Dienstleistungen gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 als mit der Unterrichtsleistung „eng verbundene“ Dienstleistungen von der Steuer hätten befreit werden müssen. Da die Steuerverwaltung seinen Antrag auf Erstattung ablehnte, erhob es Klage beim First-tier Tribunal (Tax Chambers) (Gericht erster Instanz [Steuerkammer], Vereinigtes Königreich).
18 Dieses Gericht entschied am 5. November 2012, dass die Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer befreit seien, da sie mit der Unterrichtsleistung eng verbunden seien. Diese Entscheidung wurde in der Berufungsinstanz vom Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) (Höheres Gericht [Steuer- und Chancerykammer]) mit Urteil vom 30. Juni 2014 bestätigt.
19 Die Steuerverwaltung legte gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein, das die Ansicht vertritt, dass der Ausgang des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie 2006/112 abhänge.
20 Unter diesen Umständen hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Rechtsmittelgericht [England und Wales] [Zivilabteilung]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen, die eine Lehreinrichtung gegenüber zahlenden Mitgliedern der Öffentlichkeit (die keine Empfänger der Hauptleistung des Unterrichts sind) erbringt, im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 „eng verbunden“ mit der Unterrichtsleistung, wenn die Erbringung dieser Dienstleistungen durch die Studenten (die die Empfänger der Hauptleistung des Unterrichts sind) im Rahmen ihres Unterrichts und als ein wesentlicher Teil ihres Unterrichts ermöglicht wird?
2. Ist es für die Entscheidung, ob die Restaurant- und die Unterhaltungsdienstleistungen als mit der Unterrichtsleistung „eng verbundene“ Dienstleistungen unter die Befreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 fallen,
a) erheblich, dass die Studenten Nutzen aus ihrer Mitwirkung an der Erbringung der fraglichen Dienstleistungen, nicht aber aus dem Gegenstand dieser Dienstleistungen ziehen;
b) erheblich, dass diese Dienstleistungen nicht von den Studenten unmittelbar oder mittelbar empfangen oder verbraucht werden, sondern von den Mitgliedern der Öffentlichkeit empfangen und verbraucht werden, die dafür bezahlen und nicht die Empfänger der Hauptleistung des Unterrichts sind;
c) erheblich, dass diese Dienstleistungen aus Sicht der sie empfangenden Durchschnittsverbraucher (d. h. der Mitglieder der Öffentlichkeit, die dafür bezahlen) kein Mittel darstellen, um eine andere Dienstleistung unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten, sondern einen eigenen Zweck erfüllen;
d) erheblich, dass diese Dienstleistungen aus Sicht der Studenten keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern dass die Mitwirkung an der Erbringung der Dienstleistungen ein Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Unterrichts unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten;
e) und inwieweit ist der Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu berücksichtigen?
Zu den Vorlagefragen
21 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass Tätigkeiten, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ausgeübt werden und darin bestehen, dass Studenten einer höheren Bildungseinrichtung im Rahmen ihrer Ausbildung Dritten gegen Entgelt Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen erbringen, im Sinne dieser Bestimmung als mit der Unterrichtsleistung „eng verbunden“ angesehen und folglich von der Mehrwertsteuer befreit werden können.
22 Art. 132 der Richtlinie 2006/112 sieht Steuerbefreiungen vor, mit denen, wie die berschrift des Kapitels zeigt, zu dem dieser Artikel gehört, die Förderung bestimmter, dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten bezweckt wird. Diese Befreiungen betreffen jedoch nicht alle dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten, sondern nur diejenigen, die in der Vorschrift einzeln aufgeführt und sehr genau beschrieben sind (Urteil von 25. Februar 2016, Kommission/Niederlande, C‑22/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:118, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Die Begriffe, mit denen die genannten Steuerbefreiungen bezeichnet sind, sind eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen, sich aus Art. 2 der Richtlinie 2006/112 ergebenden Grundsatz darstellen, dass jede Leistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Diese Regel einer engen Auslegung bedeutet jedoch nicht, dass die zur Definition der Steuerbefreiungen nach Art. 132 verwendeten Begriffe in einer Weise auszulegen sind, die den Befreiungen ihre Wirkung nähme (Urteil vom 25. Februar 2016, Kommission/Niederlande, C‑22/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:118, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
24 Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 enthält keine Definition des dort verwendeten Begriffs der „eng verbundenen“ Umsätze. Jedoch geht schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung hervor, dass sie sich auf Dienstleistungen bezieht, die eine enge Verbindung mit „[der] Erziehung von Kindern und Jugendlichen, [dem] Schul- und Hochschulunterricht, [der] Aus‑ und Fortbildung [oder der] berufliche[n] Umschulung“ aufweisen. Daher können Dienstleistungen nur dann als mit diesen Dienstleistungen „eng verbunden“ angesehen werden, wenn sie tatsächlich als Nebenleistungen zu dem von der betreffenden Einrichtung erteilten Unterricht, der die Hauptleistung ist, erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juni 2007, Horizon College, C‑434/05, EU:C:2007:343, Rn. 27 und 28 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 25. März 2010, Kommission/Niederlande, C‑79/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:171, Rn. 50).
25 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Leistung als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten (Urteil vom 25. März 2010, Kommission/Niederlande, C‑79/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:171, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Insoweit hängt die Befreiung für mit der Unterrichtsleistung „eng verbundene“ Umsätze jedenfalls von drei Voraussetzungen ab, die zum Teil in den Art. 132 und 134 der Richtlinie 2006/112 genannt sind und im Wesentlichen folgendermaßen lauten: Erstens müssen sowohl diese Hauptleistung als auch die damit eng verbundenen Dienstleistungen von in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie genannten Einrichtungen erbracht werden. Zweitens müssen diese Dienstleistungen für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, unerlässlich sein. Drittens dürfen diese Dienstleistungen nicht im Wesentlichen dazu bestimmt sein, den Einrichtungen zusätzliche Einnahmen durch einen Umsatz zu verschaffen, der in unmittelbarem Wettbewerb mit der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juni 2007, Horizon College, C‑434/05, EU:C:2007:343, Rn. 34, 38 und 42, und vom 25. März 2010, Kommission/Niederlande, C‑79/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:171, Rn. 61).
27 Im Ausgangsverfahren steht hinsichtlich der ersten Voraussetzung fest, dass das College eine öffentlich-rechtliche Einrichtung mit einem Ausbildungsziel ist, die für die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 in Frage kommt.
28 In Bezug auf die zweite Voraussetzung ergibt sich aus Rn. 39 des Urteils vom 14. Juni 2007, Horizon College (C‑434/05, EU:C:2007:343), dass Dienstleistungen dann für steuerbefreite Umsätze unerlässlich sind, wenn sie von solcher Art oder Qualität sind, dass ohne Rückgriff auf diese Dienstleistungen keine Gleichwertigkeit des Unterrichts der unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 fallenden Einrichtung und damit des ihren Studierenden erteilten Unterrichts gewährleistet wäre.
29 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der praktische Unterricht ls integraler Bestandteil des Lehrgangs ausgestaltet ist und dass die Studenten ohne ihn nicht den vollen Nutzen aus ihrer Ausbildung ziehen würden.
30 Hierzu wird nämlich ausgeführt, dass alle Bewirtungsaufgaben in Zusammenhang mit dem Restaurant von Studenten des Colleges unter der Aufsicht ihrer Tutoren wahrgenommen werden und dass das Lehrrestaurant des Colleges mit dem Ziel betrieben wird, es den Studenten der Lehrgänge über Gastronomie und Gastgewerbe zu ermöglichen, Kenntnisse unter praxisnahen Bedingungen zu erwerben.
31 Dies gilt auch für die Lehrgänge über darstellende Künste. Das College veranstaltet durch die Studenten dieser Lehrgänge Konzert- und Theateraufführungen, um ihnen praktische Erfahrungen zu vermitteln.
32 Es ist festzustellen, dass der vom College im Bereich der Gastronomie, des Gastgewerbes und der Theateraufführungen erteilte Unterricht ohne diese praktischen Teile nicht gleichwertig wäre.
33 Diese Feststellung wird dadurch bestätigt, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland vorträgt, das Lehrrestaurant des Colleges sei für die Studenten wie ein Klassenraum, und die Europäische Kommission betont, die Studenten zögen Nutzen aus der Erfahrung, die sie durch das Zubereiten und Servieren der Gerichte unter realen Bedingungen gewännen und die einen wichtigen Teil ihrer Ausbildung darstelle.
34 Unter diesen Umständen sind die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen offensichtlich als unerlässlich für die Qualität des vom College als Hauptleistung erteilten Unterrichts anzusehen.
35 Hinsichtlich der dritten Voraussetzung ist darauf hinzuweisen, dass diese eine spezifische Ausprägung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität darstellt, dem es insbesondere zuwiderläuft, dass gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2007, Horizon College, C‑434/05, EU:C:2007:343, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Im Ausgangsrechtsstreit steht zunächst fest, dass die vom College angebotenen Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen nur Personen zugänglich sind, die sich zuvor in eine vom College geführte Verteilerliste eingetragen haben. Das Publikum der Theateraufführungen setzt sich nach Angaben des vorlegenden Gerichts in der Regel aus Freunden oder Familienmitgliedern der Studenten des Colleges oder aus Personen zusammen, die zuvor in dessen Datenbank aufgenommen wurden.
37 Sodann ist das Lehrrestaurant des Colleges nur nach Reservierung und unter der Bedingung zugänglich, dass es vollbesetzt ist, da mindestens 30 reservierte Plätze nötig sind, damit die Studenten aus ihren Leistungen den größtmöglichen Nutzen ziehen können. So wird anders als bei einem gewerblichen Restaurant, bei dem die Reservierungen grundsätzlich bedingungslos eingehalten werden, die Bewirtung abgesagt, wenn die erforderliche Mindestzahl nicht erreicht wird.
38 Schließlich geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervor, dass die in der Ausbildung befindlichen Studenten die Restaurantdienstleistungen, Konzerte und Theateraufführungen zur Gänze selbst erbringen, organisieren und durchführen. Diese Situation unterscheidet sich grundsätzlich von der jener Studenten, die ein Praktikum in einer gewerblichen Einrichtung absolvieren, wo sie in eine professionelle Belegschaft eingegliedert werden, die derartige Dienstleistungen unter den auf den jeweiligen Märkten herrschenden Wettbewerbsbedingungen erbringt.
39 Es zeigt sich somit, dass die Leistungen, die das College im Rahmen der für seine Studenten abgehaltenen Lehrveranstaltungen einer begrenzten Anzahl Dritter anbietet, sich wesentlich von denen unterscheiden, die für gewöhnlich in einem Theater oder einem gewerblichen Restaurant angeboten werden, und sich insofern an ein anderes Publikum richten, als sie nicht denselben Bedürfnissen des Verbrauchers dienen.
40 Darüber hinaus decken die vom College festgesetzten Preise unbestritten lediglich 80 % der Bewirtungskosten ab. Es ist somit nicht ersichtlich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen dazu bestimmt wären, dem College zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen wie Restaurants oder Theatern durchgeführt werden.
41 Demnach sind die Leistungen, die das College einer begrenzten Anzahl Dritter anbietet, nicht mit denen vergleichbar, die von gewerblichen Restaurants und Theatern angeboten werden, und die Befreiung der von dieser Einrichtung angebotenen Leistungen von der Mehrwertsteuer führt nicht zu einer steuerlichen Ungleichbehandlung.
42 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich das nationale Gericht ausgehend von den Ausführungen des Gerichtshofs zu vergewissern hat, dass diese Voraussetzungen angesichts des Sachverhalts, welcher der bei ihm anhängigen Rechtssache zugrunde liegt, erfüllt sind.
43 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass Tätigkeiten, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ausgeübt werden und darin bestehen, dass Studenten einer höheren Bildungseinrichtung im Rahmen ihrer Ausbildung Dritten gegen Entgelt Restaurant- und Unterhaltungsdienstleistungen erbringen, als mit der Unterrichtsleistung „eng verbunden“ angesehen und folglich von der Mehrwertsteuer befreit werden können, wenn diese Dienstleistungen für die Ausbildung der Studenten unerlässlich und nicht dazu bestimmt sind, dieser Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden, was das nationale Gericht zu prüfen hat.
Kosten
44 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.