EuGH-Schlussanträge: Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Begriff der Beihilfe – selektiver Charakter – steuerliche Behandlung von Spielbanken in Deutschland –
... Abweisung einer Beschwerde durch die Europäische Kommission
GA Pikamäe, Schlussanträge vom 25.5.2023 – C-831/21 P; Fachverband Spielhallen e. V, LM gegen Europäische Kommission
ECLI:EU:C:2023:432
Volltext BB-Online BBL2023-1301-2
Schlussanträge
Nach alledem schlägt der GA dem Gerichtshof vor, den Beschluss des Gerichts der Europäischen Union vom 22. Oktober 2021, Fachverband Spielhallen und LM/Kommission (T‑510/20), aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über den einzigen Klagegrund, den der Fachverband Spielhallen e. V. und LM vor dem Gericht geltend gemacht hatten, an das Gericht zurückzuverweisen.
Aus den Gründen
1. „Simul stabunt aut simul cadent“ („Sie werden zusammen stehen oder zusammen fallen“) – so lautet ein Papst Pius XI. zugeschriebenes Diktum, das er während der Verhandlungen zur Regelung der Beziehungen zwischen der römischen Kirche und dem ehemaligen Königreich Italien geprägt haben soll, die am 11. Februar 1929 zur Unterzeichnung der Lateranverträge und des Konkordats führten. Es bringt den festen Willen des Papstes zum Ausdruck, sich dem Ansinnen zu widersetzen, allein den Lateranverträgen Unwiderruflichkeit beizulegen und das weitere Schicksal dieser beiden Rechtsakte somit voneinander zu scheiden.
2. In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof insbesondere gefragt, ob in Steuersachen eine solche Verbindung zwischen Vorteil und Selektivität, den konstitutiven Voraussetzungen des Begriffs „staatliche Beihilfe“, besteht. Sollte dies der Fall sein, würde dies bedeuten, dass ein Klagegrund, der vor dem Gericht gegen die Beurteilung der Europäischen Kommission in Bezug auf die Erfüllung einer dieser Voraussetzungen vorgebracht wird, notwendigerweise als zugleich auch auf die andere Voraussetzung bezogen angesehen werden müsste.
3. Mit ihrem Rechtsmittel beantragen der Fachverband Spielhallen e. V. und LM (im Folgenden: Rechtsmittelführer) die Aufhebung des Beschlusses vom 22. Oktober 2021, Fachverband Spielhallen und LM/Kommission (T‑510/20, im Folgenden: angefochtener Beschluss, nicht veröffentlicht), mit dem das Gericht der Europäischen Union ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2019) 8819 final der Kommission vom 9. Dezember 2019 betreffend die staatlichen Beihilfen SA.44944 (2019/C, ex 2019/FC) – Steuerliche Behandlung von Spielbanken in Deutschland und SA.53552 (2019/C, ex 2019/FC) – Mutmaßliche Garantie für Spielbankunternehmer in Deutschland (Wirtschaftlichkeitsgarantie) (ABl. 2020, C 187, S. 80, im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen hat. Insbesondere wenden sich die Rechtsmittelführer gegen die Entscheidung des Gerichts, ihre Argumentation nicht zu prüfen, weil diese sich nicht auf die Feststellung der Kommission bezogen habe, dass es an einem Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV fehle.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss
4. Am 22. März 2016 reichten die Rechtsmittelführer, der Fachverband Spielhallen e. V., ein Berufsverband von 88 Betreibern von Glücksspielgeräten, und LM, eine Betreiberin von Glücksspielgeräten, bei der Kommission drei Beschwerden ein, die die steuerliche Behandlung der Spielbankunternehmer in Deutschland betrafen.
5. Die dritte dieser Beschwerden bezog sich konkret auf das Spielbankgesetz NRW (im Folgenden: „Spielbankgesetz“), das in Nordrhein-Westfalen (Deutschland) bis zu seiner Ersetzung im Jahr 2020 galt. Nach diesem Gesetz war die Westdeutsche Spielbanken GmbH & Co. KG (im Folgenden: WestSpiel) das einzige konzessionierte Spielbankunternehmen in diesem Land.
6. Nach dem Spielbankgesetz unterlagen die Einnahmen der Spielbanken zwei verschiedenen Steuerregelungen. Zum einen unterlagen die Einnahmen aus Glücksspielen einer besonderen Besteuerung, die in einer Spielbankabgabe bestand. Zum anderen unterlagen die nicht aus dem Spielbetrieb erzielten Einnahmen wie diejenigen aus den Gastronomiebereichen der Normalbesteuerung, nämlich der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer (im Folgenden: Normalbesteuerung).
7. Ferner bestimmte § 14 des Spielbankgesetzes, dass die ausgewiesenen Jahresüberschüsse der Spielbankunternehmen unabhängig davon, ob sie aus Glücksspielen stammten oder nicht, zu 75 % an das Land Nordrhein-Westfalen abzuführen waren. Für den Fall, dass das restliche Viertel dieser Überschüsse 7 % der Summe aus den Anteilen des Gesellschaftskapitals, den Rücklagen und den Risikofonds überstieg, sah diese Bestimmung vor, dass diese Überschüsse in voller Höhe an dieses Land abzuführen waren (im Folgenden: Gewinnabschöpfung).
8. Die Gewinnabschöpfung konnte allerdings in Höhe des Teils der nicht durch den Spielbetrieb erzielten Einkünfte als „durch den Betrieb veranlasste Aufwendungen“ von den Bemessungsgrundlagen der Gewerbesteuer und der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer abgezogen werden. Diese Abzugsfähigkeit (im Folgenden: Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung oder streitige Maßnahme) beanstandeten die Rechtsmittelführer in ihrer dritten Beschwerde, weil sie eine staatliche Beihilfe darstelle.
9. Nach einem Schriftwechsel mit den Rechtsmittelführern kam die Kommission am 9. Dezember 2019 zu dem Ergebnis, dass die streitige Maßnahme keinen selektiven Vorteil und somit keine Beihilfe enthalte, und beschloss daher, hinsichtlich dieser Maßnahme nicht das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten.
10. Im angefochtenen Beschluss stellte die Kommission fest, dass die nicht durch den Spielbetrieb erzielten Einkünfte der Spielbankunternehmer zum einen der Normalbesteuerung und zum anderen der Gewinnabschöpfung unterlägen, die sie als „besondere Steuer“ einstufte.
11. Die Kommission stellte fest, dass sich die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung von der Bemessungsgrundlage der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer nicht aus einer besonderen Bestimmung ergebe, sondern aus der Anwendung der allgemeinen Steuervorschriften der Normalbesteuerung, nach denen die Steuern auf der Grundlage des Nettogewinns nach Abzug der „durch den Betrieb veranlassten Aufwendungen“, wie im vorliegenden Fall der Gewinnabschöpfung, berechnet würden. Folglich stelle die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung keinen selektiven Vorteil dar.
12. Anschließend setzte die Kommission im streitigen Beschluss die Prüfung der streitigen Maßnahme unter Berücksichtigung der Argumentation der Rechtsmittelführer in der Vorprüfungsphase fort.
13. Die Kommission stellte als Erstes fest, dass die Rechtsmittelführer mit ihrer Argumentation implizit geltend machten, dass es sich bei der Gewinnabschöpfung um eine Steuer handele, die mit den Ertragsteuern vergleichbar sei, welche nach den allgemeinen Steuervorschriften der Normalbesteuerung – insbesondere nach § 4 Abs. 5b des Einkommensteuergesetzes – nicht abzugsfähig seien. Nach Auffassung der Kommission konnte die Gewinnabschöpfung allerdings als eine besondere Ertragsteuer angesehen werden. Insoweit machte sie geltend, § 4 Abs. 5b des Einkommensteuergesetzes schließe nur die Gewerbesteuer, nicht aber sämtliche Ertragsteuern von der Einstufung als abziehbare Betriebsausgabe aus. Tatsächlich gebe es keine Bestimmung, die der Abzugsfähigkeit einer besonderen Ertragsteuer generell entgegenstehe.
14. Als Zweites ging die Kommission auf ein Argument ein, das die Rechtsmittelführer aus § 10 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes hergeleitet hatten, wonach bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer die Steuern vom Einkommen und sonstige Personensteuern nicht abziehbar seien. Diese Bestimmung stelle auf allgemeine Ertragsteuern ab, und nichts weise darauf hin, dass sie auch für eine besondere Steuer wie die Gewinnabschöpfung gelte, die kein anderer Steuerzahler als ein Spielbankunternehmer entrichte und deren Bemessungsgrundlage nicht genau dem mit seiner Tätigkeit erzielten Einkommen entspreche.
15. Als Drittes stellte die Kommission in Bezug auf ein weiteres Argument der Rechtsmittelführer, wonach gemäß den allgemeinen Steuervorschriften der Normalbesteuerung Ausschüttungen nicht von der Bemessungsgrundlage der Gewerbe- und der Einkommensteuer abgezogen werden könnten, fest, dass die Gewinnabschöpfung keine Ausschüttung sei.
16. Aufgrund des Vorstehenden kam die Kommission im streitigen Beschluss zu dem Ergebnis, dass die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung im Einklang mit dem allgemeinen Grundsatz der Abzugsfähigkeit der durch den Betrieb veranlassten Aufwendungen stehe und daher nicht selektiv sei.
17. Schließlich stellte die Kommission in Rn. 159 des streitigen Beschlusses speziell zum Kriterium des Vorteils fest, dass andere Wirtschaftsbeteiligte, insbesondere Spielhallen, nicht der Gewinnabschöpfung unterlägen. Der Umstand, dass der Betrag dieser besonderen Steuer von der Bemessungsgrundlage anderer Steuern abgezogen werde, habe WestSpiel daher keinen Vorteil gegenüber der Normalbesteuerung verschaffen können.
18. Die Kommission machte hierzu geltend, dass sich die Gewinnabschöpfung 2014 auf 82,02 Mio. Euro belaufen habe und der Gewerbesteuersatz und der Körperschaftsteuersatz 17,7 % bzw. 15,6 % betragen hätten. Die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung innerhalb der Grenzen von § 14 des Spielbankgesetzes habe daher dazu geführt, dass diese Steuersätze nicht auf diesen Betrag angewandt würden. Folglich habe sich der von WestSpiel aufgrund der Normalbesteuerung geschuldete Gesamtbetrag um 27,3 Mio. Euro verringert. Die Gesamtsteuerbelastung von WestSpiel sei jedoch gleichzeitig um einen weit höheren Betrag gestiegen, nämlich um eben diese 82,02 Mio. Euro, die der Gewinnabschöpfung entsprächen.
19. So kam die Kommission im streitigen Beschluss zu dem Ergebnis, dass der Vorteil, der sich daraus ergeben solle, dass ein Betreiber wie WestSpiel die Möglichkeit habe, die Gewinnabschöpfung teilweise von den Bemessungsgrundlagen der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer abzuziehen, jedenfalls von der höheren Belastung aufgrund der Zahlung dieser Gewinnabschöpfung übertroffen werde, die speziell für Spielbankunternehmer gelte und stets viel höher als diese beiden Steuern sei.
20. In Fn. 87 des streitigen Beschlusses erläuterte die Kommission, dass der Vorteil, der den Spielbankunternehmern aus der Verringerung der Bemessungsgrundlage um einen Teil der Gewinnabschöpfung entstehe, insoweit geringer als der Nachteil sei, der ihnen aus der Verpflichtung zur Entrichtung der Gewinnabschöpfung erwachse, als die Körperschaftsteuer und die Gewerbesteuer proportional seien und die Einkommensteuer progressiv gestaffelt sei.
Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss
21. Mit Klageschrift, die am 14. August 2020 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhoben die Rechtsmittelführer Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.
22. Sie stützten ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund, mit dem sie eine Verletzung ihrer Verfahrensrechte infolge der Weigerung der Kommission rügten, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zu eröffnen, obwohl sie am Ende der Vorprüfungsphase nicht in der Lage gewesen sei, sämtliche ernsthafte Schwierigkeiten auszuräumen, auf die sie gestoßen sei.
23. Nach Darstellung des Gerichts bestand dieser einzige Klagegrund im Wesentlichen aus fünf Teilen.
24. Mit dem ersten Teil machten die Rechtsmittelführer geltend, die Kommission habe fälschlicherweise angenommen, dass sie die Gewinnabschöpfung als Steuer ansähen. Mit dem zweiten Teil machten sie geltend, die Kommission habe die Gewinnabschöpfung als besondere Steuer eingestuft, indem sie fälschlicherweise angenommen habe, dass die Art der Einstufung einer Maßnahme durch das innerstaatliche Recht nicht maßgeblich sei. Mit dem dritten Teil beanstandeten sie die von der Kommission angewandten Kriterien zur Einstufung der Gewinnabschöpfung als Steuer. Mit dem vierten Teil trugen sie eine Reihe von Argumenten vor, um geltend zu machen, dass die Gewinnabschöpfung selbst unter der Annahme, dass sie eine Steuer sei, nicht von den Bemessungsgrundlagen der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer abgezogen werden könne. Mit dem fünften Teil trugen sie Argumente gegen den in Fn. 77 des streitigen Beschlusses gezogenen Vergleich der Gewinnabschöpfung mit Sonderzahlungen vor, die Unternehmen z. B. wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens leisten müssten und die nach deutschem Recht abzugsfähig seien.
25. In den Rn. 48 und 57 des angefochtenen Beschlusses stellte das Gericht fest, dass die Rechtsmittelführer ausschließlich gerügt hätten, dass der streitige Beschluss den selektiven Charakter der streitigen Maßnahme verneint habe und dass die Kommission in diesem Beschluss keine Gesamtprüfung der Kriterien für das Vorliegen von Vorteil und Selektivität vorgenommen habe. Indessen habe sich die Kommission darauf konzentriert, zum einen in Erwiderung auf das Vorbringen der Rechtsmittelführer darzutun, dass es im vorliegenden Fall an der gerügten Selektivität fehle, und zum anderen und getrennt davon, aufzuzeigen, dass es unabhängig von der Frage der Selektivität an einem wirtschaftlichen Vorteil fehle.
26. In Rn. 58 des angefochtenen Beschlusses führte das Gericht aus, dass die Rechtsmittelführer insbesondere nicht die in Rn. 159 und Fn. 87 des streitigen Beschlusses enthaltene Feststellung beanstandet hätten, nach der die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung nicht geeignet gewesen sei, einem Spielbankunternehmen wie WestSpiel einen Vorteil zu verschaffen, da die Belastung, die diesem Unternehmen durch die Gewinnabschöpfung entstehe, stets und zwangsläufig viel größer als die Steuer sei, die für den der Gewinnabschöpfung entsprechenden Betrag zu entrichten gewesen wäre.
27. Gleichwohl prüfte das Gericht in den Rn. 60 bis 66 des angefochtenen Beschlusses, ob die der Erwiderung beigefügten Anlagen, in denen verschiedene „Besteuerungs-Szenarien“ beschrieben worden seien, die auf den Daten der Buchführung für die Wirtschaftsjahre 2014 und 2019 beruhten, für den Nachweis eines sich aus der Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung ergebenden Vorteils relevant waren. Insoweit entschied das Gericht, dass die aus diesen Anlagen hervorgehenden Gesichtspunkte nicht als Nachweis für die Existenz dieses Vorteils berücksichtigt werden könnten und dass sie jedenfalls verspätet und unzulässig seien.
28. Nachdem das Gericht in Rn. 67 des angefochtenen Beschlusses darauf hingewiesen hatte, dass das Vorliegen eines Vorteils unabhängig von der Voraussetzung der Selektivität zu beurteilen sei, stellte es in Rn. 68 des angefochtenen Beschlusses fest, dass die Rechtsmittelführer offensichtlich nicht mit Erfolg geltend machen könnten, dass der streitige Beschluss ihre Verfahrensrechte verletzt habe, weil sie nicht dargetan hätten, dass die Beurteilung der Informationen und Angaben, über die die Kommission in der Phase der Vorprüfung der streitigen Maßnahme verfügt habe, Anlass zu Zweifeln und ernsthaften Schwierigkeiten in Bezug auf die Frage hätte geben müssen, ob die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung einen WestSpiel begünstigenden Vorteil dargestellt habe.
29. Schließlich gelangte das Gericht in Rn. 71 des angefochtenen Beschlusses zu dem Ergebnis, dass der einzige Klagegrund und damit die Klage insgesamt als offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend abzuweisen sei.
Anträge der Parteien
30. Die Rechtsmittelführer beantragen,
– den angefochtenen Beschluss aufzuheben;
– den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
31. Die Kommission beantragt,
– das Rechtsmittel zurückzuweisen und
– den Rechtsmittelführern die Kosten aufzuerlegen.
Zum Rechtsmittel
Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien
32. Die Rechtsmittelführer stützen ihr Rechtsmittel auf einen einzigen Rechtsmittelgrund, mit dem sie im Wesentlichen geltend machen, dass dem Gericht, indem es ihre Klage mit der Begründung abgewiesen habe, dass die streitige Maßnahme keinen Vorteil zu verschaffen vermöge, ein Rechtsfehler bei der Anwendung der Voraussetzungen unterlaufen sei, die erfüllt sein müssten, damit eine Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden könne. Hätte das Gericht diesen Rechtsfehler nicht begangen und folglich das Vorliegen eines Vorteils bejaht, hätte es auch prüfen müssen, ob dieser Vorteil materiell selektiv war, und somit zu dem Schluss kommen können, dass dies der Fall sei.
33. Wie das Gericht zudem in Rn. 52 des angefochtenen Beschlusses eingeräumt habe, müssten die Voraussetzungen des Vorteils und der Selektivität nämlich gemeinsam geprüft werden.
34. Hierzu weisen die Rechtsmittelführer darauf hin, dass eine nationale steuerliche Maßnahme nach ständiger Rechtsprechung nur nach einer dreistufigen Prüfung als selektiv eingestuft werden könne, wobei die erste Stufe die Ermittlung der im betreffenden Mitgliedstaat geltenden „Normalbesteuerung“ voraussetze. Aus dieser Methode der dreistufigen Prüfung der Voraussetzung der Selektivität ergebe sich, dass das Gericht, um das Fehlen eines Vorteils feststellen zu können, zwingend mit der Definition der „Normalbesteuerung“ hätte beginnen müssen.
35. Nach Darstellung der Rechtsmittelführer ist im Verfahren des ersten Rechtszugs jedoch gerade streitig gewesen, ob es sich, wie die Kommission in Rn. 159 des streitigen Beschlusses ausgeführt habe, bei der Gewinnabschöpfung nach § 14 des Spielbankgesetzes um eine „besondere Steuer“ handele, die nach den allgemeinen deutschen Steuerregeln von den Bemessungsgrundlagen der Gewerbesteuer und der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer abgezogen werden könne.
36. Im angefochtenen Beschluss habe sich das Gericht in seiner rechtlichen Würdigung mit dieser Streitfrage nicht befasst und daher faktisch die Definition der „Normalbesteuerung“ in Rn. 159 des streitigen Beschlusses übernommen.
37. Wenn die Einstufung als „besondere Steuer“ unzutreffend wäre und die Gewinnabschöpfung stattdessen, wie die Rechtsmittelführer vor dem Gericht argumentiert hätten, nur als Gewinnabführung oder Gewinnausschüttung anzusehen wäre, würde die Abzugsfähigkeit dieser Abschöpfung eine Abweichung von der „Normalbesteuerung“ darstellen und die streitige Maßnahme somit einen selektiven Charakter aufweisen.
38. Die Rechtsmittelführer schließen daraus, dass das Gericht im angefochtenen Beschluss den Begriff der „staatlichen Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV fehlerhaft angewandt habe, indem es das Vorliegen eines Vorteils verneint habe, ohne zuvor eine eigenständige, von der Bewertung der Kommission im streitigen Beschluss unabhängige Definition der „Normalbesteuerung“ vorgenommen zu haben, wobei eine solche Definition der „Normalbesteuerung“ ein zwingender Zwischenschritt für die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines Vorteils sei.
39. Die Kommission hält dem entgegen, dass der einzige Rechtsmittelgrund ins Leere gehe und jedenfalls offensichtlich unbegründet sei.
Würdigung
40. Zunächst ist kurz auf das Argument der Kommission einzugehen, dass der einzige Rechtsmittelgrund des vorliegenden Rechtsmittels auf einem unzutreffenden Verständnis des angefochtenen Beschlusses beruhe.
41. Hierzu stelle ich fest, dass das Gericht die Abweisung der Klage nicht, wie von den Rechtsmittelführern behauptet, mit dem Fehlen eines durch die streitige Maßnahme gewährten Vorteils, wie es im streitigen Beschluss festgestellt wurde, begründet hat. Wie insbesondere aus Rn. 58 des angefochtenen Beschlusses hervorgeht, hat es diese Abweisung damit gerechtfertigt, dass die Rechtsmittelführer mit ihrer Klage keinen auf das Bestehen dieses Vorteils gestützten Klagegrund geltend gemacht hätten. Nach Ansicht des Gerichts haben sie lediglich die Feststellung in Frage gestellt, dass die genannte Maßnahme keinen selektiven Charakter habe.
42. Das Gericht hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, dass selbst unter der Annahme, dass die Voraussetzung der Selektivität erfüllt sei, wie die Rechtsmittelführer vor dem Gericht geltend gemacht hätten, die streitige Maßnahme mangels eines Vorteils für diese Begünstigten keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen könne. Folglich sei es den Rechtsmittelführern nicht gelungen, nachzuweisen, dass die Schlussfolgerung der Kommission, eine solche Beihilfe habe nicht vorgelegen, falsch gewesen sei.
43. Aus der Rechtsmittelschrift geht jedoch hervor, dass die Rechtsmittelführer dem Gericht vorwerfen, ihre Argumente bezüglich des selektiven Charakters der streitigen Maßnahme nicht geprüft zu haben. Hätte das Gericht diese Argumente geprüft und notwendigerweise bestätigt, hätte es auch feststellen müssen, dass es einen Vorteil für die Begünstigten der streitigen Maßnahme gegeben habe. Nach Ansicht der Rechtsmittelführer sind nämlich in Steuersachen sowohl die Voraussetzung des Vorteils als auch die Voraussetzung der Selektivität davon abhängig, dass die tatsächliche Besteuerung Folge einer Abweichung von der „Normalbesteuerung“ ist, und müssen daher gemeinsam geprüft werden.
44. Die Frage, ob diese beiden Voraussetzungen gemeinsam beurteilt werden müssen, wenn die betreffende Maßnahme steuerlicher Natur ist, steht im Mittelpunkt der vorliegenden Rechtssache.
45. Zur Beantwortung dieser Frage ist es wichtig, die Prämisse zu betrachten, von der das Gericht in den Rn. 49 bis 53 des angefochtenen Beschlusses ausgegangen ist.
46. Zunächst hat das Gericht ausgeführt, dass das aus Art. 107 Abs. 1 AEUV folgende Erfordernis der Selektivität insofern „klar vom begleitenden Nachweis eines wirtschaftlichen Vorteils unterschieden werden muss“, als die Kommission, wenn sie das Vorliegen eines Vorteils entdeckt habe, der sich unmittelbar oder mittelbar aus einer bestimmten Maßnahme ergebe, weiterhin noch nachweisen müsse, dass dieser Vorteil spezifisch einem oder mehreren Unternehmen zugutekomme.
47. Sodann hat das Gericht anerkannt, dass in Steuersachen die Voraussetzungen des Vorteils und der Selektivität „gemeinsam geprüft werden [können]“, da beide „den Nachweis verlangen, dass die beanstandete steuerliche Maßnahme zu einer Verringerung des Steuerbetrags führt, den der durch diese Maßnahme Begünstigte normalerweise nach der allgemeinen … steuerrechtlichen Regelung hätte zahlen müssen“, wie dies im Urteil vom 12. Mai 2021, Luxemburg u. a./Kommission (T‑516/18 und T‑525/18, EU:T:2021:251), der Fall gewesen sei.
48. Das Gericht hat zum einen die Auffassung vertreten, dass dieser Umstand jedoch nicht bedeute, dass das Vorliegen eines Vorteils „vernachlässigt werden kann“, und zum anderen, dass sich der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache von demjenigen der Rechtssache unterscheide, in der das Urteil Luxemburg u. a./Kommission(2) ergangen sei.
49. Die Erwägungen des Gerichts in dieser Passage des angefochtenen Beschlusses lassen sich meines Erachtens wie folgt zusammenfassen. Erstens scheint das Gericht der Ansicht zu sein, dass nach einer allgemeinen Regel, die auch in Steuersachen gilt, die Prüfung, ob ein Vorteil vorliegt, nicht mit der Prüfung, ob dieser selektiv ist, zusammenfallen darf. Zweitens scheint es davon auszugehen, dass diese beiden Voraussetzungen in Steuersachen in bestimmten Fällen Gegenstand ein und derselben Prüfung sein können, weil bei beiden geprüft werden müsse, ob die betreffende Maßnahme eine Verringerung der Steuerlast bewirke, die der Begünstigte normalerweise hätte tragen müssen.
50. Diese Vorstellung von der Beziehung zwischen der Prüfung des Vorteils und der Prüfung der Selektivität in Steuersachen halte ich für falsch.
51. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission, um eine solche Maßnahme als selektiv einstufen zu können, nach gefestigter Rechtsprechung eine Prüfung in drei Schritten vornehmen muss. Insbesondere ist die Kommission verpflichtet, in einem ersten Schritt den Bezugsrahmen, d. h. die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende „Normalbesteuerung“, zu ermitteln und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die steuerliche Maßnahme Differenzierungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem Bezugsrahmen verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Wird diese Frage bejaht, hat der betreffende Mitgliedstaat nur die Möglichkeit, in einem dritten Schritt nachzuweisen, dass diese Maßnahme gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem inneren Aufbau des Bezugsrahmens ergibt. Die Frage, ob die untersuchte steuerliche Maßnahme selektiv ist, hängt mit anderen Worten von der vorherigen Bestimmung des Bezugsrahmens ab, was bedeutet, dass ein bei dieser Bestimmung begangener Fehler zwangsläufig dazu führt, dass die gesamte Prüfung der Selektivität mit einem Mangel behaftet ist(3).
52. Im Kontext der vorliegenden Rechtssache ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung der Bestimmung des Bezugsrahmens für die Beurteilung der Selektivität „im Fall von [nationalen] steuerlichen Maßnahmen eine besondere Bedeutung zukommt, da das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV nur in Bezug auf eine sogenannte ‚normale‘ Besteuerung festgestellt werden kann“(4).
53. Da der Gerichtshof somit eine klare Verbindung zwischen dem Begriff des Vorteils und dem der Selektivität herstellt(5), ist diese Bestimmung eine unerlässliche Voraussetzung, um nicht nur den selektiven Charakter einer steuerlichen Maßnahme, sondern auch das Vorliegen eines Vorteils zu beurteilen. Ebenso wie es bei der Beurteilung der Selektivität in Steuersachen der Feststellung einer etwaigen nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung bedarf, wird bei der – kontrafaktischen – Prüfung, ob ein Vorteil vorliegt, das „normale“ Steuersystem zugrunde gelegt. So impliziert das Vorliegen einer Verringerung der Steuerlast der durch die in Rede stehende Maßnahme begünstigten Unternehmen notwendigerweise, dass sowohl die Voraussetzung der Selektivität als auch die des Vorteils erfüllt sind.
54. Daraus folgt, dass diese beiden Voraussetzungen in Steuersachen gemeinsam geprüft werden müssen, mit der einzigen Ausnahme des Falles, in dem eine Beihilferegelung einen Vorteil verschafft, dessen Gewährung von der Ausübung eines weiten Ermessens der Steuerverwaltung hinsichtlich der Begünstigten und der Voraussetzungen für die Gewährung abhängt. In diesem Fall hat der Gerichtshof erst kürzlich bestätigt, dass es für die Beurteilung der Selektivität nicht erforderlich ist, den Bezugsrahmen zu bestimmen, weil die Ausübung dieses Ermessens zwangsläufig die Begünstigten der Regelung gegenüber jedem anderen Unternehmen begünstigt, das sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befindet(6). Es ist offensichtlich, dass die Anwendung der hier in Rede stehenden Beihilferegelung in keiner Weise von der Ausübung des genannten Ermessensspielraums abhängig ist.
55. Darüber hinaus hat der Gerichtshof klargestellt, dass sich die Bestimmung des Bezugsrahmens aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht des jeweiligen Mitgliedstaats anwendbaren Vorschriften ergeben muss. Außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, steht die Festlegung der grundlegenden Merkmale der Steuer, die grundsätzlich den Bezugsrahmen definieren, nämlich im Ermessen dieser Staaten(7).
56. Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Rechtsmittelführer, wie das Gericht in den Rn. 47 und 48 des angefochtenen Beschlusses im Wesentlichen festgestellt hat, in ihren Schriftsätzen im ersten Rechtszug ausdrücklich die Richtigkeit der Beurteilung der Kommission in Frage gestellt haben, dass die streitige Maßnahme keinen selektiven Charakter habe, und sich mehrfach auf die „Normalbesteuerung“ bezogen haben, um nachzuweisen, dass diese Maßnahme von den im betreffenden Mitgliedstaat geltenden allgemeinen Steuervorschriften der „Normalbesteuerung“ abweiche, anhand deren diese Selektivität zu beurteilen sei.
57. Im Wesentlichen hatten die Rechtsmittelführer vor dem Gericht das bereits in der Vorprüfungsphase vorgebrachte und von der Kommission im streitigen Beschluss zurückgewiesene Vorbringen wiederholt, dass die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung von der Bemessungsgrundlage der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer von der in Deutschland geltenden „Normalbesteuerung“ abweiche. Konkret hatten die Rechtsmittelführer geltend gemacht, dass diese Abschöpfung nach den allgemeinen Regeln der „Normalbesteuerung“ nicht von der Bemessungsgrundlage der oben genannten Steuern abzugsfähig sei, weil sie eine Gewinnabführung oder Gewinnausschüttung und keine „besondere Steuer“ darstelle, als die sie im streitigen Beschluss eingestuft werde, und dass diese Gewinnabschöpfung, selbst wenn man annähme, dass sie eine Steuer darstelle, nicht als „durch den Betrieb veranlasste Aufwendungen“ abgezogen werden könne.
58. In den Rn. 10 bis 12 des angefochtenen Beschlusses hat das Gericht die Argumentation wiedergegeben, mit der die Kommission dieses Vorbringen im streitigen Beschluss auf der Grundlage einer Auslegung des deutschen Rechts, insbesondere von § 4 Abs. 5b des Einkommensteuergesetzes und von § 10 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes, zurückgewiesen hatte(8). Die Argumentation der Rechtsmittelführer, mit der diese die Richtigkeit einer solchen Auslegung im Hinblick auf bestimmte Grundsätze und Bestimmungen des deutschen Steuerrechts in Frage stellten, hat das Gericht jedoch nicht geprüft, weil sich diese Argumentation nur auf den selektiven Charakter der streitigen Maßnahme bezogen habe.
59. Im Einzelnen hat das Gericht in Rn. 48 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass die Rechtsmittelführer den streitigen Beschluss ausschließlich insoweit beanstandet hätten, als dieser den selektiven Charakter der streitigen Maßnahme verneint habe, und in Rn. 58 des angefochtenen Beschlusses, dass die Rechtsmittelführer die Feststellung in Rn. 159 und Fn. 87 des streitigen Beschlusses, dass die streitige Maßnahme nicht geeignet gewesen sei, einen Vorteil zu verschaffen, nicht in Frage gestellt hätten.
60. Der Ansatz des Gerichts steht meines Erachtens im Widerspruch zu der in den Nrn. 51 bis 55 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung. Nach dieser Rechtsprechung fällt die Prüfung, die die Kommission vornehmen muss, um die Selektivität einer Beihilferegelung steuerlicher Art festzustellen, hinsichtlich der Bestimmung des Bezugsrahmens (oder der „Normalbesteuerung“) mit der Prüfung zusammen, die durchgeführt werden muss, um festzustellen, ob die streitige Maßnahme den durch sie Begünstigten einen Vorteil verschafft.
61. Diese Auffassung kann nicht durch die von der Kommission in ihren Schriftsätzen vorgebrachten Argumente entkräftet werden, die auf einen begrifflichen Unterschied zwischen den Voraussetzungen des Vorteils und denen der Selektivität verweisen(9), ohne sich darum zu bemühen, insbesondere unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu erklären, warum diese Voraussetzungen in einem Fall wie dem vorliegenden getrennt geprüft werden müssten.
62. Außerdem füge ich hinzu, dass das Gericht, wenn es die Argumentation der Rechtsmittelführer analysiert hätte, mit der diese die von der Kommission im streitigen Beschluss vorgenommene Auslegung des deutschen Steuerrechts beanstandeten, gegebenenfalls hätte feststellen können, dass die Bestimmung des durch die „Normalbesteuerung“ gebildeten Bezugsrahmens, wie sie aus diesem Beschluss hervorgeht, fehlerhaft war. Ein solcher Fehler hätte jedoch zwangsläufig nicht nur die gesamte Analyse der Selektivität, sondern auch die Analyse des Vorteils verfälscht, weil, wie bereits erwähnt, die „Normalbesteuerung“ der Vergleichsmaßstab für die kontrafaktische Bewertung ist, mit der das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils überprüft werden soll. Somit wäre die vom Gericht in Rn. 68 des angefochtenen Beschlusses gezogene Schlussfolgerung nicht gerechtfertigt gewesen, dass es den Rechtsmittelführern nicht gelungen sei, darzutun, dass die Beurteilung der der Kommission vorliegenden Informationen und Angaben Anlass zu Zweifeln und ernsthaften Schwierigkeiten in Bezug auf die Frage hätte geben müssen, ob die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung einen Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle, und dass die Rechtsmittelführer daher offensichtlich nicht mit Erfolg geltend machen könnten, dass der streitige Beschluss ihre Verfahrensrechte verletzt habe.
63. Nach alledem bin ich der Ansicht, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es die von den Rechtsmittelführern erhobene Klage für offensichtlich unbegründet erklärte.
64. Entgegen dem Vorbringen der Kommission in ihren Schriftsätzen überschreitet diese Schlussfolgerung nicht die durch den Grundsatz ne ultra petita gezogene Grenze, wonach sich die Entscheidungsbefugnis des Gerichts auf die Fragen beschränkt, die ihm von den Parteien unterbreitet werden. Nach Ansicht der Kommission durfte sich das Gericht, wollte es diesem Grundsatz Rechnung tragen, nicht mit der Frage nach dem Vorliegen eines Vorteils befassen, weil die von den Rechtsmittelführern vorgebrachte Kritik an der Bestimmung des Bezugsrahmens formal allein auf die Feststellung abgezielt habe, dass die streitige Maßnahme nicht selektiv sei.
65. Nach meiner Überzeugung läuft dieses Argument darauf hinaus, die Pflicht des Gerichts, sich an den Gegenstand der Klage (das Petitum) zu halten, mit der dem Gericht ebenfalls obliegenden Pflicht zu verwechseln, auf die vor ihm geltend gemachten Klagegründe unter Anwendung aller einschlägigen Rechtsnormen zu antworten. Obwohl der Unionsrichter nach ständiger Rechtsprechung nur über das Begehren der Parteien zu entscheiden hat, deren Sache es ist, den Rahmen des Rechtsstreits abzugrenzen, muss er nämlich über deren Vorbringen hinaus die für die Entscheidung des Rechtsstreits relevanten Rechtsnormen auf den ihm vorgetragenen Sachverhalt anwenden. Andernfalls könnte er sich gezwungen sehen, seine Entscheidung auf unzutreffende rechtliche Erwägungen zu stützen(10).
66. Unabhängig davon, dass sich die Kritik der Rechtsmittelführer nur auf die Beurteilung der Selektivität im streitigen Beschluss bezog, musste das Gericht somit unter Anwendung der im Urteil Fiat Chrysler Finance Europe herausgearbeiteten Rechtsprechung davon ausgehen, dass eine Beanstandung der Bestimmung des Bezugsrahmens notwendigerweise auf die Prüfung abzielt, ob ein Vorteil vorliegt, und zwar zusätzlich zu der Prüfung, ob die streitige Maßnahme selektiv ist.
67. Aus diesen Erwägungen ergibt sich auch, dass das Gericht auf die von den Rechtsmittelführern entwickelte Argumentation hätte eingehen müssen, auch wenn die Rechtsmittelführer, wie das Gericht in Rn. 48 des angefochtenen Beschlusses festgestellt hat, die Feststellung in Rn. 159 und Fn. 87 des streitigen Beschlusses, dass die streitige Maßnahme nicht geeignet gewesen sei, den durch sie Begünstigten einen Vorteil zu verschaffen, nicht in Frage gestellt hatten.
68. Der Vollständigkeit halber scheint mir eine weitere Klarstellung sinnvoll zu sein.
69. Ich weise darauf hin, dass die Kommission in dieser Rn. 159 und in dieser Fn. 87 festgestellt hat, dass die Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung nicht geeignet sei, einem Spielbankunternehmen wie WestSpiel einen Vorteil zu verschaffen. Sie hatte nämlich den 2014 im Zuge der Gewinnabschöpfung entrichteten Betrag (82,02 Mio. Euro) mit dem Betrag der dieser Abschöpfung entsprechenden Verringerung der Bemessungsgrundlage der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer (27,3 Mio. Euro) verglichen und hatte mithin gefolgert, dass gegenüber dem sich aus dieser Abzugsfähigkeit ergebenden wirtschaftlichen Vorteil die stets höhere Belastung überwiege, die mit der Abschöpfung verbunden sei und die spezifisch Spielbankunternehmen betreffe.
70. Diese Auslegung beruht auf der von der Kommission vorgeschlagenen und vom Gericht implizit gebilligten Auslegung des Urteils Kommission/Fútbol Club Barcelona(11). Nach Rn. 63 dieses Urteils muss die Kommission bei der Prüfung der verschiedenen Elemente einer Maßnahme, die möglicherweise eine staatliche Beihilfe beinhaltet, alle rechtlichen oder tatsächlichen Begleitumstände dieser Maßnahme berücksichtigen, darunter die daraus resultierenden Vergünstigungen und Lasten.
71. Diesen Grundsatz halte ich im vorliegenden Fall für offensichtlich nicht relevant. Meines Erachtens ergibt sich aus diesem Urteil, dass bei der Prüfung, ob die konstitutiven Voraussetzungen des Begriffs „staatliche Beihilfe“, einschließlich des Vorteils, erfüllt sind, die Vergünstigungen und Lasten, die sich aus einer nationalen steuerlichen Maßnahme ergeben, als notwendige Folgen der in Rede stehenden steuerlichen Maßnahme berücksichtigt werden müssen.
72. Diese Vergünstigungen und Lasten müssen sich mit anderen Worten aus der Maßnahme ergeben, deren Wirkung, die Steuerlast der Begünstigten im Vergleich zur „Normalbesteuerung“ zu senken, zur Diskussion steht, und nicht aus der Kombination dieser Maßnahme mit den Besteuerungsregeln, die die „Normalbesteuerung“ ausmachen.
73. Im vorliegenden Fall sind bei der Prüfung des Vorliegens eines Vorteils die Vergünstigungen und Lasten zu berücksichtigen, die sich aus der Abzugsfähigkeit der Gewinnabschöpfung ergeben, und nicht die Kombination dieser Maßnahme mit der Gewinnabschöpfung selbst, da deren Zugehörigkeit zur „Normalbesteuerung“ außer Zweifel steht.
74. Ich bin daher überzeugt, dass diese in Nr. 69 der vorliegenden Schlussanträge dargelegte Auslegung, sollte sie bestätigt werden, die Logik auf den Kopf stellen könnte, die der Kontrolle staatlicher Beihilfen in Steuersachen zugrunde liegt, weil sie es den Mitgliedstaaten ermöglichen würde, jede steuerliche Maßnahme der Einstufung als staatliche Beihilfe zu entziehen, indem sie nachweisen, dass die Steuerlast, die das betroffene Unternehmen zu tragen hat, höher ausfällt als der wirtschaftliche Vorteil, den es aus der Anwendung dieser Maßnahme zieht.
75. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, wie ihm in den vorliegenden Schlussanträgen vorgeschlagen wird, nach Art. 61 Abs. 1 seiner Satzung den Rechtsstreit entweder selbst endgültig entscheiden kann, sofern dieser entscheidungsreif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen kann.
76. Im vorliegenden Fall bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof die Sache an das Gericht zurückverweisen sollte, damit es den einzigen Klagegrund prüft, den die Rechtsmittelführer vor ihm vorgebracht hatten.
77. Wie bereits erwähnt, zielte dieser Klagegrund nämlich darauf ab, die Richtigkeit der Auslegung des nationalen Rechts durch die Kommission im Rahmen der Bestimmung des Bezugsrahmens, den die „Normalbesteuerung“ darstellt, im Hinblick auf bestimmte Grundsätze und Bestimmungen des deutschen Steuerrechts in Frage zu stellen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich jedoch, dass die Kontrolle der von der Kommission in diesem Rahmen vorgenommenen Auslegung des anwendbaren nationalen Rechts eine Tatsachenwürdigung darstellt und daher vom Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels nur daraufhin geprüft werden kann, ob dieses nationale Recht verfälscht wurde(12). Ich stelle jedoch fest, dass die Rechtsmittelführer im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels kein Argument vorgebracht haben, das auf die Feststellung einer solchen Verfälschung abzielt.
Ergebnis
78. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, den Beschluss des Gerichts der Europäischen Union vom 22. Oktober 2021, Fachverband Spielhallen und LM/Kommission (T‑510/20), aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über den einzigen Klagegrund, den der Fachverband Spielhallen e. V. und LM vor dem Gericht geltend gemacht hatten, an das Gericht zurückzuverweisen.
1 Originalsprache: Französisch.
2 Urteil vom 12. Mai 2021 (T‑516/18 und T‑525/18, EU:T:2021:251).
3 Urteil vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission (C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, im Folgenden: Urteil Fiat Chrysler Finance Europe, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).
4 Urteil Fiat Chrysler Finance Europe (Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).
5 Wie von mir in Nr. 54 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission (C‑885/19 P, EU:C:2021:1028) dargelegt.
6 Vgl. u. a. Urteil vom 2. Februar 2023, Spanien u. a./Kommission (C‑649/20 P, C‑658/20 P und C‑662/20 P, EU:C:2023:60, Rn. 48 und 68).
7 Urteil Fiat Chrysler Finance Europe (Rn. 72 und 73 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
8 Vgl. Rn. 155 bis 157 des streitigen Beschlusses.
9 Zu diesem Zweck führt die Kommission als Beispiele eine individuelle Maßnahme an, die als selektiv angesehen wird, ohne notwendigerweise einen Vorteil zu gewähren, sowie eine Maßnahme, die aufgrund der Natur oder des inneren Aufbaus des Bezugsrahmens gerechtfertigt und nicht selektiv ist, aber dem durch sie Begünstigten durchaus einen Vorteil verschaffen kann. Insoweit genügt zum einen die Feststellung, dass die streitige Maßnahme eine Beihilferegelung ist, und zum anderen, dass der Nachweis der Rechtfertigung durch die Natur oder den inneren Aufbau des Bezugsrahmens den Mitgliedstaaten obliegt und daher keinen notwendigen Teil der von der Kommission durchzuführenden Prüfung der Selektivität darstellt (vgl. Urteil vom 16. März 2021, Kommission/Ungarn [C‑596/19 P, EU:C:2021:202, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung]).
10 Vgl. Urteil vom 20. Januar 2021, Kommission/Printeos (C‑301/19 P, EU:C:2021:39, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
11 Urteil vom 4. März 2021 (C‑362/19 P, EU:C:2021:169).
12 Urteil Fiat Chrysler Finance Europe (Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung).