EuGH-SA: Rechtsmittel – staatliche Beihilfen – Steuervorbescheide („tax rulings“) – vom Vereinigten Königreich zugunsten bestimmter multinationaler Konzerne durchgeführte Beihilferegelung
GAin Medina, Schlussanträge vom 11.4.2024 – verb. Rs. C-555/22 P, C-556/22 P und C-564/22 P; Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland gegen Europäische Kommission u.a.; ECLI:EU:C:2024:304
Volltext BB-Online BBL2024-917-1
Schlussanträge
GAin Medina schlägt dem EuGH vor, wie folgt zu entscheiden:
1. das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 8. Juni 2022, Vereinigtes Königreich und ITV/Kommission (T‑363/19 und T‑456/19, EU:T:2022:349), aufzuheben;
2. den Beschluss (EU) 2019/1352 der Kommission vom 2. April 2019 über die staatliche Beihilfe SA.44896 des Vereinigten Königreichs im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierungen für beherrschte ausländische Unternehmen (CFC) aufzuheben;
3. der Europäischen Kommission die Kosten der Rechtsmittelverfahren sowie der Verfahren im ersten Rechtszug aufzuerlegen.
Aus den Gründen
1. Mit ihren jeweiligen Rechtsmitteln beantragen das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (C‑555/22 P), die ITV plc (C‑556/22 P) sowie die LSEGH (Luxembourg) Ltd und die London Stock Exchange Group Holdings (Italy) Ltd (im Folgenden gemeinsam: LSEGH) (C‑564/22 P) die Aufhebung des Urteils des Gerichts vom 8. Juni 2022, Vereinigtes Königreich und ITV/Kommission (T‑363/19 und T‑456/19, EU:T:2022:349, im Folgenden: angefochtenes Urteil). Mit diesem Urteil sind die Klagen des Vereinigten Königreichs und von ITV auf Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2019/1352 der Kommission(2) abgewiesen worden.
2. Im Vereinigten Königreich sind die Steuerregelungen in Bezug auf beherrschte ausländische Unternehmen (im Folgenden: CFC) in Teil 9A des Taxation (International and Other Provisions) Act 2010 (Steuergesetz von 2010 [Internationale und sonstige Vorschriften], im Folgenden: TIOPA)(3) festgelegt, das Regelungen zu den internationalen Aspekten des Systems der direkten Steuern des Vereinigten Königreichs enthält, einschließlich der Doppelbesteuerungsentlastung und verschiedener Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken.
I. Vorgeschichte des Rechtsstreits
3. Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wird in den Rn. 1 bis 28 des angefochtenen Urteils dargestellt. Für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge lässt sie sich wie folgt zusammenfassen.
A. Zum angefochtenen Beschluss
4. Nach der Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV erließ die Europäische Kommission den angefochtenen Beschluss, in dem sie entschied, dass die Regelung über die Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierungen aufgrund der in Teil 9A Kapitel 9 TIOPA (im Folgenden: Kapitel 9) vorgesehenen Befreiungen eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dargestellt habe. Dies sei aus dem Grund der Fall gewesen, dass diese Regelung für nicht gewerbliche Finanzierungserträge aus qualifizierten Darlehensverhältnissen gegolten habe, die unter Art. 371EB in Teil 9A Kapitel 5 TIOPA (im Folgenden: Kapitel 5, streitige Regelung oder in Rede stehende Befreiungen) gefallen seien. Die Kommission beurteilte die in Rede stehenden Befreiungen als eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare „Beihilferegelung“, die das Vereinigte Königreich unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV rechtswidrig durchgeführt habe.
5. Die Kommission kam jedoch zu dem Schluss, dass die streitige Regelung keine Beihilfe darstelle, wenn sie auf nicht gewerbliche Finanzierungserträge aus qualifizierten Darlehensverhältnissen angewandt werde, die unter Kapitel 5 Art. 371EC („Kapitalinvestitionen aus dem Vereinigten Königreich“) fielen (im Folgenden: Kriterium des mit dem Vereinigten Königreich verbundenen Kapitals) und nicht unter Art. 371EB („Tätigkeiten im Vereinigten Königreich“) dieses Kapitels, da die Aufgaben der Entscheidungsträger(4) dann im Vereinigten Königreich ausgeführt würden (im Folgenden: Kriterium der im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger).
6. Im angefochtenen Beschluss konzentrierte sich die Kommission auf das Vorliegen eines selektiven Vorteils. So stellte die Kommission fest, dass ein im Vereinigten Königreich ansässiges Unternehmen, das andernfalls (gemäß Kapitel 5) einer CFC‑Abgabe unterlegen hätte, aufgrund der in Rede stehenden Befreiungen (nach Kapitel 9) beantragen könne, dass nur 25 % der nicht gewerblichen Finanzierungserträge des CFC aus qualifizierten Darlehensverhältnissen mit der CFC‑Abgabe besteuert würden, was bedeute, dass 75 % dieser Gewinne von dieser Abgabe befreit würden. Unter bestimmten Voraussetzungen könne die Abgabe auf einen noch niedrigeren Prozentsatz erhoben werden, was zu einer Befreiung von bis zu 100 % der Gewinne des betreffenden CFC führen könne.
7. Zur Selektivität der in Rede stehenden Befreiungen führte die Kommission aus, dass der Bezugsrahmen aus den CFC‑Vorschriften bestehe und diese Befreiungen eine Abweichung von diesem Rahmen darstellten.
8. In diesem Zusammenhang stellte die Kommission fest, dass eine Situation, in der ein steuerpflichtiges Unternehmen, das ein CFC beherrsche, das nicht gewerbliche Finanzierungserträge aus einem qualifizierten Darlehensverhältnis erziele, mit der Situation eines steuerpflichtigen Unternehmens vergleichbar sei, das ein CFC beherrsche, das nicht gewerbliche Finanzierungserträge aus anderen Quellen erziele, insbesondere aus Darlehen, die die CFC den im Vereinigten Königreich ansässigen verbundenen Unternehmen gewährt hätten, d. h. aus sogenannten „Upstream-Darlehen“, sowie aus Darlehen, die die CFC Dritten gewährt hätten und die vom Vereinigten Königreich als „fiktive Darlehen“ bezeichnet würden.
9. Die Kommission wies darauf hin, dass eine vom Bezugsrahmen abweichende Maßnahme dennoch aufgrund des Wesens und des Aufbaus dieses Rahmens gerechtfertigt sein könne und dass es Sache des betreffenden Mitgliedstaats(5) sei, eine solche Rechtfertigung nachzuweisen. Das Vereinigte Königreich hatte vorgebracht, die in Rede stehenden Befreiungen sollten zum einen sicherstellen, dass das System handhabbar und verwaltbar sei. Zum anderen sollten sie die Ausübung der Niederlassungsfreiheit innerhalb der Union gewährleisten.
10. Die Kommission räumte ein, dass, soweit die streitige Regelung für Fälle gegolten habe, die in den Anwendungsbereich von Kapitel 5 gefallen seien, d. h. unter das Kriterium des mit dem Vereinigten Königreich verbundenen Kapitals, davon auszugehen sei, dass diese Regelung darauf abziele, die „Verwaltbarkeit“ der CFC‑Vorschriften zu gewährleisten. Die streitige Regelung habe sichergestellt, dass eine CFC‑Abgabe nur auf Gewinne aus britischen Vermögenswerten erhoben werde, für die vernünftigerweise davon ausgegangen werden könne, dass sie künstlich aus dem Vereinigten Königreich weggeleitet worden seien, und zwar ohne dass Unternehmen und Steuerbehörden aufgrund der Fungibilität des Kapitals unverhältnismäßig belastende Maßnahmen zur Lokalisierung der Vermögenswerte durchführen müssten.
11. Dagegen stellte die Kommission fest, dass die streitige Regelung im Vereinigten Königreich steuerpflichtigen Unternehmen, die ein CFC mit nicht gewerblichen Finanzierungserträgen aus qualifizierten Darlehen beherrschten, in Fällen, in denen das Kriterium der im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger erfüllt seien, einen a priori selektiven Vorteil verschaffe. Sie kam zu dem Ergebnis, dass dieser a priori selektive Vorteil weder durch das Bedürfnis, über verwaltbare und kontrollierbare Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken zu verfügen, noch durch die Notwendigkeit der Beachtung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten gerechtfertigt werden könne.
12. Ferner sei die streitige Regelung nach den Änderungen der CFC‑Vorschriften im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1164(6), wonach es nicht länger möglich sei, in Bezug auf die in der vorstehenden Nummer genannten Erträge einen Antrag auf die in Rede stehenden Befreiungen zu stellen, mit Wirkung ab 1. Januar 2019 mit den Vorschriften über staatliche Beihilfen vereinbar geworden.
13. Zur Vereinbarkeit der streitigen Regelung mit dem Binnenmarkt führte die Kommission im Wesentlichen aus, dass die im Rahmen der Regelung gewährten Beihilfen keine Maßnahmen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete darstellten, und daher nicht unter Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV fielen.
14. Schließlich ordnete die Kommission die Rückforderung der im Rahmen der streitigen Regelung gewährten Beihilfen von den durch diese Begünstigten an.
II. Zum angefochtenen Urteil
15. Das Gericht hat die jeweiligen, von der Regierung des Vereinigten Königreichs und ITV erhobenen Klagen abgewiesen. Es hat u. a. festgestellt, dass die Voraussetzung des Vorliegens eines selektiven Vorteils erfüllt sei. In diesem Zusammenhang hat es die klassische dreistufige Prüfung durchgeführt, die darin besteht, i) den Bezugsrahmen zu ermitteln, ii) zu prüfen, ob die streitige Regelung im Hinblick auf das mit diesem verfolgten Ziel vom Rahmen abgewichen ist, und iii) festzustellen, ob der Mitgliedstaat nachgewiesen hat, dass die durch die Beihilferegelung eingeführte Unterscheidung gerechtfertigt war, weil sie sich aus dem Wesen oder dem Aufbau des Rahmens ergeben hat, in den sich diese Regelung eingefügt hat.
A. Erste Stufe: Bezugsrahmen
16. Das Gericht hat die Klagegründe zurückgewiesen, mit denen das Vereinigte Königreich und ITV geltend gemacht hatten, die Kommission habe dadurch einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, dass sie zu dem Schluss gekommen sei, dass der Bezugsrahmen nur aus den „CFC‑Vorschriften“ und nicht aus dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem des Vereinigten Königreichs (im Folgenden: allgemeines Körperschaftsteuersystem) bestehe.
17. Hierzu hat das Gericht erstens ausgeführt, dass das allgemeine Körperschaftsteuersystem auf dem Territorialitätsprinzip beruhe, wonach nur die im Vereinigten Königreich erzielten Gewinne besteuert würden. Als Nächstes hat es darauf hingewiesen, dass die CFC‑Vorschriften sicherstellen sollten, dass von einem CFC erzielte Gewinne – die nach diesem Grundsatz normalerweise nicht im Vereinigten Königreich besteuert würden – gleichwohl dort besteuert würden, wenn angenommen werde, dass sie künstlich aus dem Vereinigten Königreich weggeleitet worden seien und somit die Gewinne des CFC künstlich erhöht hätten, das sodann Dividenden ausschütte, die im Vereinigten Königreich nicht steuerbar seien. Daraus hat es den Schluss gezogen, dass die CFC‑Vorschriften keine Ausnahme vom allgemeinen Körperschaftsteuersystem darstellten, sondern vielmehr dessen Erweiterung oder Folge, die im Vergleich zu diesem System auf einer eigenen, unterscheidbaren Logik beruht habe(7).
18. Zweitens hat das Gericht geprüft, ob die CFC‑Vorschriften als vollständige Gesamtheit von Vorschriften angesehen werden könnten, die sich vom allgemeinen Körperschaftsteuersystem unterscheide, insbesondere was Elemente wie die Bemessungsgrundlage, den Steuerpflichtigen, den Steuertatbestand oder den Steuersatz anbelange.
19. In Bezug auf die Bemessungsgrundlage hat das Gericht im Wesentlichen festgestellt, dass mit den CFC‑Vorschriften Buchgewinne besteuert werden sollten, die von den CFC außerhalb des Vereinigten Königreichs erzielt und künstlich aus diesem Staat weggeleitet würden. Dagegen werde die britische Körperschaftsteuer auf Gewinne angewandt, die im Vereinigten Königreich von dort ansässigen Gesellschaften erzielt würden(8).
20. Was den Steuerpflichtigen anbelangt, hat das Gericht im Wesentlichen festgestellt, dass die den CFC‑Vorschriften unterliegenden Steuerpflichtigen gegenüber den nach dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem Steuerpflichtigen aufgrund der Besonderheit individualisiert würden, an die die Anwendbarkeit der CFC‑Vorschriften anknüpfe, d. h., wenn im Vereinigten Königreich ansässige Unternehmen bestimmte Beteiligungen an Tochtergesellschaften außerhalb des Vereinigten Königreichs hätten(9).
21. In Bezug auf den Steuertatbestand sei der entscheidende Faktor für die Erhebung einer CFC‑Abgabe die künstliche Wegleitung von Gewinnen aus dem Vereinigten Königreich, wohingegen die Steuerpflicht nach dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem durch die Erzielung von Gewinnen im Vereinigten Königreich ausgelöst werde(10).
22. Was den Steuersatz anbelangt, hat das Gericht die Auffassung vertreten, dass die CFC‑Vorschriften zwar keinen speziellen, auf die Gewinne von CFC anwendbaren Steuersatz enthielten und auf den im allgemeinen Körperschaftsteuersystem vorgesehenen Steuersatz verwiesen, die CFC‑Abgabe jedoch insgesamt durch einen speziellen Berechnungsmechanismus bestimmt werde, der gegebenenfalls die Berechnung des Durchschnitts mehrerer auf die Gewinne eines verbundenen Unternehmens anwendbarer Steuersätze erfordere, das im Vereinigten Königreich steuerpflichtig sei(11).
23. Außerdem würden die CFC‑Vorschriften spezielle Vorschriften zur Berechnung der CFC‑Abgabe, zu ihrer Verwaltung und Erhebung und insbesondere zu ihrer Verknüpfung mit den Steuern enthalten, die von dem im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen zu zahlen seien, sowie mit den Steuern, die vom CFC in seinem Sitzland gezahlt würden. Darüber hinaus hat das Gericht darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung der Steuer des gebietsansässigen Unternehmens für die von seinem CFC erzielten Gewinne eine Entlastung in Bezug auf Steuern vorgesehen sei, die im Aufnahmeland des CFC gezahlt worden seien(12).
B. Zweite Stufe: Vorliegen eines Vorteils und a priori selektiver Charakter der streitigen Regelung
24. Erstens hat das Gericht im Wesentlichen entschieden, dass die in Teil 9A TIOPA enthaltenen Vorschriften Kriterien zur Feststellung von Fällen einer künstlichen Wegleitung von Gewinnen wie u. a. solchen vorsähen, die unter Kapitel 5 fielen. Wenn daher eines der in diesen Vorschriften vorgesehenen Kriterien erfüllt sei, würden die von den betreffenden CFC erzielten Gewinne im Vereinigten Königreich mit der CFC‑Abgabe besteuert. Daraus hat das Gericht den Schluss gezogen, dass die Befreiungen von Gewinnen von dieser Abgabe, die ihr andernfalls unterlegen hätten, nach Maßgabe der vorstehend genannten Kriterien einen Vorteil darstellten und keine Anpassung der Besteuerung der Gewinne der CFC oder Eingrenzung des Umfangs der Besteuerung dieser Gewinne.
25. Zweitens hat das Gericht im Wesentlichen festgestellt, dass die CFC‑Vorschriften den Schutz der Bemessungsgrundlage der britischen Körperschaftsteuer zum Ziel hätten, indem Gewinne aus Tätigkeiten und Vermögenswerten im Vereinigten Königreich, die künstlich an die CFC umgeleitet würden, besteuert würden.
26. Drittens hat es im Wesentlichen entschieden, dass die Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierung im Hinblick auf das Ziel des Bezugsrahmens a priori selektiv sei.
C. Dritte Stufe: Vorliegen einer Rechtfertigung für die in Rede stehenden Befreiungen
27. Das Gericht hat das Vorbringen des Vereinigten Königreichs und von ITV zurückgewiesen, wonach die in Rede stehenden Befreiungen gerechtfertigt seien.
28. Zum ersten vorgebrachten Rechtfertigungsgrund gehe zwar zunächst aus den Antworten im Rahmen der Konsultation der britischen Behörden vor dem Erlass der CFC‑Vorschriften hervor, dass insbesondere der Vorschlag für eine teilweise Befreiung von 75 % aufgrund seiner Einfachheit und leichten Umsetzbarkeit mehrheitlich unterstützt worden sei, doch habe das Vereinigte Königreich keine Beweise vorgelegt, anhand deren sich die Verwaltungskosten für die Ermittlung und Verortung der Aufgaben der Entscheidungsträger im Zusammenhang mit konzerninternen Darlehen bemessen ließen, sondern sich auf allgemeine Behauptungen beschränkt. Es sei auch nicht nachgewiesen worden, dass der Prozentsatz der Befreiung von 75 % erforderlich oder angemessen sei, um die Frage nach der Schwierigkeit der Ermittlung und Verortung der Ausführung der Aufgaben der Entscheidungsträger im Zusammenhang mit konzerninternen Darlehen, aus denen nicht gewerbliche Finanzierungserträge erzielt würden, zu beantworten.
29. Im Hinblick auf den zweiten vorgebrachten Rechtfertigungsgrund hat das Gericht aus dem Urteil in der Rechtssache Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas(13) abgeleitet, dass, da die CFC‑Abgabe für Gewinne gelte, die nach dem Kriterium der im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger als künstlich umgeleitet anzusehen seien, diese Abgabe keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstelle; folglich hat es entschieden, dass die in Rede stehenden Befreiungen nicht gerechtfertigt sein könnten, um diese Grundfreiheit zu gewährleisten.
III. Würdigung der Rechtsmittel
A. Zulässigkeit
30. Die Kommission bringt vor, das nationale Recht sei eine Tatsachenfrage, deren Würdigung in die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts falle, es sei denn, die Auslegung dieses Rechts beruhe auf einer Verfälschung von Beweismitteln. Zwar sei die korrekte Bestimmung des Bezugsrahmens nach dem Urteil in der Rechtssache Fiat(14) eine Rechtsfrage, doch habe sich der Fehler, den der Gerichtshof in diesem Urteil festgestellt habe, darauf bezogen, ob das Gericht bei dieser Abgrenzung die gebotenen Faktoren berücksichtigt habe, und nicht auf die Auslegung des nationalen Rechts. Dagegen würden die Rechtsmittelführer in den vorliegenden Rechtssachen nicht geltend machen, dass das Gericht sich auf die falschen Gesichtspunkte gestützt habe, als es beurteilt habe, ob die Kommission den Bezugsrahmen korrekt abgegrenzt habe.
31. Das Vereinigte Königreich, ITV und LSEGH treten dem vorstehenden Vorbringen entgegen und erachten die Rechtsmittel für zulässig.
32. Zuerst möchte ich daran erinnern, dass nach dem Urteil in der Rechtssache Fiat (Rn. 82) „der Gerichtshof, wenn er im Rahmen eines Rechtsmittels Beurteilungen des nationalen Rechts durch das Gericht prüft, die im Bereich des Beihilfenrechts Tatsachenwürdigungen darstellen, [zwar] nur prüfen [kann], ob dieses Recht verfälscht wurde“.
33. Dem Gerichtshof kann jedoch nicht die Möglichkeit genommen werden, nachzuprüfen, ob solche Beurteilungen nicht selbst eine Verletzung des Unionsrechts darstellen(15).
34. Denn der Gerichtshof stellt in seiner Rechtsprechung klar, dass „[d]ie Frage, ob das Gericht [den] einschlägige[n] Bezugs[rahmen] angemessen abgegrenzt … hat, … eine Rechtsfrage [ist], die Gegenstand einer Überprüfung durch den Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren sein kann. Vorbringen, mit dem die Wahl des Bezugs[rahmens] im ersten Schritt der Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils in Frage gestellt wird, ist zulässig, da diese Prüfung auf einer rechtlichen Qualifizierung des nationalen Rechts auf der Grundlage einer unionsrechtlichen Vorschrift beruht“(16).
35. Ließe man nach dieser Rechtsprechung nämlich „zu, dass der Gerichtshof nicht die Möglichkeit hätte, festzustellen, ob sich das Gericht die Abgrenzung des maßgeblichen [Bezugs]rahmens sowie dessen Auslegung und Anwendung als entscheidenden Parameter bei der Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils rechtsfehlerfrei zu eigen gemacht hat, liefe das darauf hinaus, die Möglichkeit in Kauf zu nehmen, dass das Gericht gegebenenfalls eine Bestimmung des Primärrechts der Union, nämlich Art. 107 Abs. 1 AEUV, verletzt hat, ohne dass diese Verletzung im Rahmen des Rechtsmittels festgestellt werden könnte, was gegen Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV verstieße“(17).
36. Außerdem ist der Gerichtshof, wenn das Gericht Tatsachen festgestellt oder gewürdigt hat, gemäß Art. 256 AEUV zur Überprüfung der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen befugt, was sich für den Fall einer Verfälschung auch auf die Würdigung des Inhalts des nationalen Rechts erstrecken würde. Der Gerichtshof muss überprüfen können, ob das Gericht „dem Inhalt der [nationalen] Rechtsvorschriften offensichtlich zuwiderlaufende Feststellungen getroffen“ oder diesen eine Tragweite beigemessen hat, die ihnen offensichtlich nicht zukommt(18). Die Abgrenzung des Bezugsrahmens und damit die Frage, ob das Gericht das nationale Recht verfälscht hat, stellen daher Rechtsfragen dar, die einer Überprüfung durch den Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren zugänglich sind(19).
37. Daraus folgt, dass die vorliegenden Rechtsmittel zulässig sind.
B. Begründetheit
38. Das Vereinigte Königreich stützt sein Rechtsmittel (Rechtssache C‑555/22 P) auf fünf Rechtsmittelgründe und macht Folgendes geltend: i) einen Rechtsfehler sowie eine Verfälschung und fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts hinsichtlich der Ermittlung des Bezugsrahmens, ii) einen Rechtsfehler sowie eine Verfälschung und fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts hinsichtlich des Vorliegens eines Vorteils, iii) einen Rechtsfehler, eine Verfälschung und fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts sowie einen Verstoß gegen die Begründungspflicht hinsichtlich der Selektivität, iv) einen Rechtsfehler sowie eine Verfälschung und fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts hinsichtlich der verwaltungstechnischen Durchführbarkeit und v) einen Rechtsfehler hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit.
39. Daneben macht ITV (Rechtssache C‑556/22 P) vier Rechtsmittelgründe geltend: i) einen Fehler bei der Bestimmung des Bezugsrahmens, ii) einen Fehler bei der Feststellung eines selektiven Vorteils, iii) einen Fehler bei der Behandlung der Rechtfertigung der in Rede stehenden Befreiungen und iv) einen Fehler bei der Anwendung des Urteils in der Rechtssache Cadbury.
40. Schließlich machen LSEGH (Rechtssache C‑564/22 P) fünf Rechtsmittelgründe geltend: i) einen Rechtsfehler bei der Ermittlung des Bezugsrahmens, ii) einen Rechtsfehler bei der Ermittlung des Ziels dieses Rahmens, iii) einen Rechtsfehler hinsichtlich des Vorliegens einer Diskriminierung zwischen verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern, iv) eine Verletzung der Art. 263 und 296 AEUV, da es das Gericht versäumt habe, sich mit bestimmten Klagegründen zu befassen, und die Begründung der Kommission im angefochtenen Beschluss durch seine eigene ersetzt habe, und v) einen Rechtsfehler hinsichtlich der Rechtfertigung der in Rede stehenden Befreiungen.
41. Obwohl die Rechtsmittelführer nicht alle die gleiche Zahl von Rechtsmittelgründen vorbringen und auch wenn innerhalb dieser Rechtsmittelgründe jeder von ihnen bestimmten Argumenten mehr oder weniger Gewicht beigemessen haben oder individuelle Argumente vorgebracht haben mag, konzentriert sich ihr Vorbringen gleichwohl auf vier Gesichtspunkte: i) auf die Bestimmung des Bezugsrahmens, ii) auf das Vorliegen eines selektiven Vorteils, iii) auf die Rechtfertigung der streitigen Regelung durch die Notwendigkeit der Ermöglichung der verwaltungstechnischen Durchführbarkeit der CFC‑Vorschriften und iv) auf die Rechtfertigung dieser Regelung zur Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit.
42. Es sei darauf hingewiesen, dass sich die Rechtsmittel vorwiegend auf den Gesichtspunkt i) (den Bezugsrahmen) konzentrieren.
43. Ich werde die verschiedenen Argumente der Rechtsmittelführer daher gemeinsam unter diesen vier Gesichtspunkten behandeln (die sich auf die drei aufeinanderfolgenden Stufen der vom Gericht vorgenommenen Prüfung beziehen, wobei die letzten beiden Gesichtspunkte die dritte Stufe der Prüfung betreffen).
44. Das Vorbringen der Rechtsmittelführer, wonach die Kapitel 5 und 9 gemeinsam zu lesen seien, da sie den vom Vereinigten Königreich verfolgten risikobasierten Ansatz widerspiegelten, ist nicht nur für die Beurteilung des Vorliegens einer Rechtfertigung eines selektiven Vorteils von Bedeutung, sondern auch für die Abgrenzung des korrekten Bezugsrahmens selbst.
45. Ferner werde ich, obwohl sich einige der von den Rechtsmittelführern im Rahmen der Gesichtspunkte iii) und iv) vorgebrachten Argumente auf die dritte Stufe der Prüfung beziehen, bereits in dem Teil der Schlussanträge auf diese Argumente eingehen, der sich mit dem Bezugsrahmen befasst(20). Dies ist insofern gerechtfertigt, als ein enger Zusammenhang zwischen den zur Bestimmung des einschlägigen Bezugsrahmens vorgebrachten Argumenten und dem Vorbringen besteht, mit dem eine gemeinsame Lesart der Kapitel 5 und 9 begründet werden soll und wonach die in Rede stehenden Befreiungen als den in Teil 9A Kapitel 3 TIOPA (im Folgenden: Kapitel 3) enthaltenen Filtern sowie den „Ausnahmen auf Unternehmensebene“ entsprechend anzusehen seien.
1. Erster Rechtsmittelgrund des Vereinigten Königreichs und von ITV sowie erster und zweiter Rechtsmittelgrund von LSEGH – Erste Stufe (Bestimmung des Bezugsrahmens)
a) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
46. Das Vereinigte Königreich bringt vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen und/oder das Unionsrecht verletzt, da es den in Rede stehenden Sachverhalt verfälscht und rechtlich falsch eingeordnet habe, indem es entschieden habe, dass die CFC‑Vorschriften des Vereinigten Königreichs als der Bezugsrahmen anzusehen seien.
47. ITV macht geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler und/oder einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem es entschieden habe, dass der Kommission in ihrer Auswahl des Bezugsrahmens für die Prüfung, ob die Bestimmungen über staatliche Beihilfen in den Art. 107 und 108 AEUV verletzt worden seien, kein Fehler unterlaufen sei.
48. LSEGH tragen vor, das Gericht habe aufgrund der Verkennung des nationalen Rechts und der Außerachtlassung von Nachweisen einen Rechtsfehler begangen, da es die CFC‑Vorschriften des Vereinigten Königreichs in Teil 9A TIOPA und nicht das allgemeine Körperschaftsteuersystem, mit dem diese untrennbar verbunden seien, als Bezugsrahmen bezeichnet habe. Zweitens habe das Gericht, selbst wenn die CFC‑Vorschriften des Vereinigten Königreichs den Bezugsrahmen bilden würden, einen Rechtsfehler begangen, als es das Ziel dieses Rahmens ermittelt habe und ihm in der Folge der Rechtsfehler unterlaufen sei, die Bestimmungen in Kapitel 5 als Festlegung der „normalen“ Besteuerung nicht gewerblicher Finanzierungserträge aufzufassen, wodurch die Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierungen in Kapitel 9 einen Vorteil verschafft hätten.
49. Die Kommission tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführer entgegen und macht im Wesentlichen geltend, das Gericht habe nicht die Besteuerung aller Gewinne von CFC als „normal“ aufgefasst, sondern festgestellt, dass deren Gewinne ungeachtet der Tatsache einer CFC‑Abgabe unterlegen hätten, dass sie von einem nicht im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen erzielt worden seien, wenn sie sich aus einer künstlichen Wegleitung ergeben hätten. Die CFC‑Vorschriften würden es daher ermöglichen, Gewinne aus Vermögenswerten oder Tätigkeiten im Vereinigten Königreich in die Bemessungsgrundlage der britischen Steuer einzubeziehen, die dieser andernfalls entgehen würden. Im Wesentlichen macht die Kommission geltend, dass durch die „Ausnahmen auf Unternehmensebene“ erhebliche Risiken der Wegleitung der davon erfassten Gewinne ausgeschlossen würden, während dies im Hinblick auf Gewinne, die den in Rede stehenden Befreiungen unterlägen und die die in Kapitel 5 vorgesehenen Kriterien erfüllten, nicht der Fall sei.
b) Würdigung
1) Einführung
50. Zum Bezugsrahmen tragen die Rechtsmittelführer im Wesentlichen vor, indem die Kommission die CFC‑Vorschriften als „normales“ Steuersystem bezeichnet habe, habe sie es versäumt, diese Vorschriften in den richtigen Zusammenhang zu setzen, worin sie eine streng begrenzte Ausnahme zum allgemeinen Körperschaftsteuersystem sowie einen Teil desselben darstellten. Dieses System habe weitgehend territorialen Charakter und sehe grundsätzlich nur die Besteuerung der Gewinne vor, die im Vereinigten Königreich ansässige Unternehmen selbst erzielt hätten. Die CFC‑Vorschriften ließen sich nicht aus dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem herauslösen, sondern stellten eine Korrekturmaßnahme dar, die untrennbar mit diesem System verbunden sei, das auf den Schutz der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage des Vereinigten Königreichs vor Missbrauch im Zusammenhang mit CFC abziele. Den Rechtsmittelführern zufolge seien die in Rede stehenden Befreiungen sehr weit gefasst worden, um sicherzustellen, dass die nicht gewerblichen Finanzierungserträge von CFC nicht (zur Gänze) der CFC‑Abgabe unterlägen, wenn das Risiko für die britische Steuerbemessungsgrundlage gering und die mit dieser Abgabe verbundene Abweichung vom Territorialitätsprinzip daher nicht gerechtfertigt sei. Diese Befreiungen entsprächen den Ausnahmen auf Unternehmensebene sowie den in Kapitel 3 enthaltenen Filtern. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass in Kapitel 4, das die Anwendung der CFC‑Abgabe auf die gewerblichen Finanzerträge von CFC betreffe, Befreiungen vorgesehen seien, während Kapitel 5 selbst keine Befreiungen vorsehe.
51. Wie ich vorstehend in Nr. 45 ausgeführt habe, ist dieses Vorbringen eng mit demjenigen verbunden, mit dem die Rechtsmittelführer geltend machen, es sei falsch, anzunehmen, dass Kapitel 5 die Kriterien für die Feststellung enthalte, welche nicht gewerblichen Finanzierungserträge von CFC als künstlich weggeleitet einzustufen seien, während Kapitel 9 Befreiungen für gewisse Gewinne aufstelle, die andernfalls einer CFC‑Abgabe nach Kapitel 5 unterlegen hätten. Die Rechtsmittelführer tragen vor, dass diese Kapitel einander ergänzten und eine einheitliche und kohärente Gesamtheit von Vorschriften für die Besteuerung der nicht gewerblichen Finanzierungserträge von CFC bildeten. Die betreffenden Kapitel grenzten also gemeinsam den Anwendungsbereich der CFC‑Abgabe ab, wobei die Bewertung des für die britische Steuerbemessungsgrundlage bestehenden Risikos anhand der Herkunft und der Verwendung der Mittel berücksichtigt werde, aus denen diese nicht gewerblichen Finanzierungserträge erzielt würden.
52. Ferner seien die CFC‑Vorschriften in Verbindung mit den Bestimmungen des allgemeinen Körperschaftsteuersystems zu lesen, wonach erstens Dividenden, die CFC an im Vereinigten Königreich ansässige Mutterunternehmen ausschütten würden, nicht steuerbar seien und zweitens diese Unternehmen die Zinsen für ihre Darlehen abziehen könnten, selbst wenn die so aufgenommenen Mittel zur Finanzierung eines CFC verwendet würden.
2) Rechtsprechung zur Bestimmung des Bezugsrahmens
53. Dem Gerichtshof zufolge kommt „der Bestimmung des Bezugsrahmens im Fall von steuerlichen Maßnahmen eine besondere Bedeutung [zu], da das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV nur in Bezug auf eine sogenannte ‚normale‘ Besteuerung festgestellt werden kann“(21).
54. Darüber hinaus kommt es „darauf an, dass das in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine Steuersystem oder [der] Bezugs[rahmen] im Beschluss der Kommission zutreffend bestimmt und von dem mit einer gegen diese Bestimmung gerichteten Rüge befassten Gericht untersucht wird. Da die Bestimmung des Bezugs[rahmens] den Ausgangspunkt für die vergleichende Prüfung darstellt, die im Zusammenhang mit der Beurteilung der Selektivität zu erfolgen hat, führt ein bei dieser Bestimmung begangener Fehler zwangsläufig dazu, dass die gesamte Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität mit einem Mangel behaftet ist“(22).
55. Ferner ist daran zu erinnern, dass sich nach dem Urteil in der Rechtssache World Duty Free(23) „die Bestimmung des Bezugsrahmens, die nach einer kontradiktorischen Erörterung mit dem betreffenden Mitgliedstaat erfolgen muss, aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften ergeben muss. Insoweit kann die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme nicht anhand eines Bezugsrahmens beurteilt werden, der aus einigen Bestimmungen des nationalen Rechts des betreffenden Mitgliedstaats besteht, die künstlich aus einem breiteren rechtlichen Rahmen herausgelöst wurden“ (Hervorhebung nur hier).
56. Daher ist, „wenn die fragliche steuerliche Maßnahme untrennbar mit dem allgemeinen [Körperschaftsteuersystem] des betreffenden Mitgliedstaats verbunden ist, auf dieses System Bezug zu nehmen. Erweist sich dagegen, dass sich eine solche Maßnahme eindeutig von diesem allgemeinen [Körperschaftsteuersystem] trennen lässt, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass der zu berücksichtigende Bezugsrahmen enger ist als dieses allgemeine System oder sogar mit der Maßnahme selbst identisch ist, wenn sich diese als eine Norm mit eigenständiger rechtlicher Logik darstellt und es nicht möglich ist, eine kohärente Gesamtheit von Vorschriften außerhalb dieser Maßnahme zu bestimmen“(24).
57. Daraus folgt, dass der Gerichtshof – vor der Beurteilung der Art der Maßnahme und ob diese einen selektiven Vorteil darstellt – prüfen muss, ob der Bezugsrahmen korrekt abgegrenzt wurde. Dies erfordert, dass der Gerichtshof zuerst die Methode festlegt, anhand deren zu beurteilen ist, welcher Auslegung des nationalen Rechts der Vorzug einzuräumen ist: derjenigen, die die Kommission vorgeschlagen hat, oder derjenigen, die der Mitgliedstaat vertreten hat. Zweitens hat der Gerichtshof zu beurteilen, ob diese maßgebliche Auslegung widerlegt werden kann.
3) Methode zur Bestimmung des Bezugsrahmens
58. Im Urteil in der Rechtssache Fiat (Rn. 73)(25) wird klargestellt, dass „es außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, der betreffende Mitgliedstaat, der in Wahrnehmung seiner eigenen Zuständigkeiten im Bereich der direkten Steuern aufgrund seiner Steuerautonomie die grundlegenden Merkmale der Steuer bestimmt, die grundsätzlich [den] ‚normale[n]‘ Bezugs[rahmen] oder die ‚normale‘ Steuerregelung definieren, anhand deren die Voraussetzung der Selektivität zu prüfen ist. Dies gilt insbesondere für die Festlegung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und des Steuertatbestands“ (Hervorhebung nur hier).
59. Darüber hinaus verweist der Gerichtshof in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, der als allgemeiner Rechtsgrundsatz Teil der Unionsrechtsordnung ist und der verlangt, dass jede Pflicht zur Entrichtung einer Steuer sowie alle wesentlichen Elemente, die die materiell-rechtlichen Aspekte der Steuer ausmachen, vom Gesetz vorgesehen sind und dass der Steuerpflichtige die Höhe der geschuldeten Steuer vorhersehen und berechnen sowie ihren Fälligkeitszeitpunkt bestimmen kann(26).
60. Es geht also eindeutig aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Kommission bei der Bestimmung des Bezugsrahmens, die sie zur Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV auf steuerliche Maßnahmen vornimmt, grundsätzlich gehalten ist, die vom betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen der kontradiktorischen Erörterung zwischen ihm und der Kommission vorgebrachte Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts zu akzeptieren, sofern diese Auslegung mit dem Wortlaut dieser Bestimmungen vereinbar ist(27).
61. Vor diesem Hintergrund sei darauf hingewiesen, dass in den Urteilen in den Rechtssachen Fiat (Rn. 96)(28) und Engie (Rn. 44) jeweils klargestellt wird, dass die Analyse der Kommission auf steuerlichen Grundsätzen beruhen muss, die im nationalen Recht ausdrücklich vorgesehen sind(29).
62. Daraus folgt, dass der Bezugsrahmen auf der Grundlage des nationalen Rechts in seiner Auslegung durch den Mitgliedstaat festzulegen ist, dem die Befugnis zukommt, die Ziele und grundlegenden Elemente der betreffenden Steuervorschriften sowie die praktische Durchführung dieser Vorschriften zu bestimmen.
63. Die Auslegung des Mitgliedstaats ist jedoch nicht absolut. Die Kommission kann davon abweichen, allerdings nur unter den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen. Dies ist insbesondere möglich, wenn die Kommission nachweisen kann, dass in der Rechtsprechung oder der Verwaltungspraxis dieses Mitgliedstaats eine andere Auslegung vorherrscht, wobei sie sich insoweit auf verlässliche und übereinstimmende Beweise stützen muss, die bei einer kontradiktorischen Erörterung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgelegt wurden(30).
64. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem keine solche Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis des Mitgliedstaats besteht, lässt sich aus den vorstehend erläuterten Voraussetzungen ableiten, dass der Auslegung der Kommission gegenüber derjenigen des Mitgliedstaats nur dann der Vorzug einzuräumen ist, wenn die Kommission nachweisen kann, dass letztere Auslegung mit dem Wortlaut und den Zielen der in Rede stehenden nationalen Bestimmungen offensichtlich unvereinbar ist.
65. Aus dem vom Gerichtshof gewählten Ansatz folgt zudem, dass die Kommission die Beweislast dafür trägt, dass die Auslegung des Mitgliedstaats offensichtlich fehlerhaft und mit dem Wortlaut und den Zielen der nationalen Bestimmung unvereinbar wäre.
66. In meiner Analyse werde ich auf die zentrale Frage eingehen, die mit den Rechtsmitteln aufgeworfen wird: Bilden die CFC‑Vorschriften im vorliegenden Fall den korrekten Bezugsrahmen? Zur Beantwortung dieser Frage werde ich eine zweistufige Prüfung anwenden, die meines Erachtens aus der vorstehend angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs abgeleitet werden kann(31). Ich werde zunächst versuchen, zu bestimmen, ob den CFC‑Vorschriften eine eigenständige rechtliche Logik zukommt(32), die für ihre Existenz sowie dafür maßgeblich wäre, ob sie als integraler Bestandteil des allgemeinen Körperschaftssystems angesehen werden sollten. Anschließend werde ich das nationale Recht zur Beantwortung der Frage würdigen, ob die Auslegung der CFC‑Vorschriften durch das Vereinigte Königreich dem Wortlaut und den Zielen dieser nationalen Rechtsnormen entspricht, oder ob die Kommission erfolgreich nachgewiesen hat, dass diese Auslegung mit diesem Wortlaut und diesen Zielen offensichtlich unvereinbar ist(33).
i) Erster Teil: Kommt den CFC‑Vorschriften ein eigenständiger Existenzgrund zu?
67. In Rn. 82 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zutreffend festgestellt, dass die CFC‑Vorschriften eine Folge des allgemeinen Körperschaftsteuersystems darstellten.
68. Sodann hat es jedoch entschieden, dass „die CFC‑Vorschriften auf einer Logik [beruhen], die sich von der Logik des allgemeinen britischen Körperschaftsteuersystems unterscheidet. Diese Logik ist zugegebenermaßen eine Ergänzung oder, wie die Kommission im 105. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausführt, eine Folge des allgemeinen Steuersystems, das auf dem Territorialitätsprinzip beruht, doch lässt sie sich von diesem trennen.“
69. Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich eine Folge grundsätzlich nicht von dem grundlegenden Element trennen lassen kann, von dem sie definitionsgemäß herrühren soll und mit dem sie daher dieselbe Logik teilen soll. Dementsprechend ist zu prüfen, ob der vorliegende Fall ein ihn unterscheidendes Merkmal aufweist, aus dem eine Abweichung vom allgemeinen Verständnis gerechtfertigt wäre und das dem Gericht die Schlussfolgerung erlauben würde, dass die CFC‑Vorschriften eine Folge des allgemeinen Körperschaftsteuersystems darstellten, obwohl sie auf einer davon unterscheidbaren Logik beruhten.
70. Dementsprechend werde ich prüfen, ob die CFC‑Vorschriften einen eigenständigen, unterscheidbaren Zweck verfolgen, eigenständige grundlegende Elemente aufweisen und eigenständige Instrumente zur Erreichung dieses Zwecks einsetzen, um festzustellen, ob diese Merkmale sich von denjenigen des allgemeinen Körperschaftsteuersystem unterscheiden.
– a) Zweck des allgemeinen Körperschaftsteuersystems und der CFC‑Vorschriften
71. In diesem Abschnitt werde ich den Zweck des allgemeinen Körperschaftsteuersystems und denjenigen der CFC‑Vorschriften analysieren sowie der Frage nachgehen, ob die CFC‑Vorschriften dem Zweck des allgemeinen Körperschaftsteuersystems dienen.
72. Aus dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs geht hervor, dass es der Zweck des allgemeinen Körperschaftsteuersystems sowie der CFC‑Regeln sei, die britische Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage vor Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (im Folgenden: BEPS) zu schützen. Tatsächlich sollen die CFC‑Vorschriften nach dem BEPS-Projekt der OECD und der G20 unmissverständlich sowohl eine Gewinnverkürzung als auch eine Gewinnverlagerung verhindern(34). Das Gericht hat daher zu Unrecht festgestellt, dass die CFC‑Vorschriften stets nur das Ziel der Bekämpfung von Gewinnverlagerung in Form einer künstlichen Wegleitung von Gewinnen aus dem Vereinigten Königreich verfolgen könnten(35).
73. Wie die Rechtsmittelführerinnen dargelegt haben, hat das Vereinigte Königreich mit der CFC‑Abgabe lediglich auf „rein künstliche“ Gestaltungen zur Wegleitung von Gewinnen abzielen wollen, um dem Urteil in der Rechtssache Cadbury nachzukommen. In diesem Urteil hatte der Gerichtshof festgestellt, dass die vorherigen CFC‑Vorschriften des Vereinigten Königreichs gegen die Niederlassungsfreiheit verstoßen hatten. Aus demselben Urteil folgt, dass sich eine entsprechende Beschränkung nur rechtfertigen lässt, wenn sie auf die Bekämpfung „rein künstlicher“ Gestaltungen abzielt, d. h. auf solche mit dem „Zweck …, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird“ (Rn. 55 dieses Urteils).
74. Wie das Vereinigte Königreich erläutert, hat der nationale Gesetzgeber die CFC‑Abgabe auf Fälle beschränken wollen, in denen i) ein CFC entweder keine echte wirtschaftliche Präsenz im Überseegebiet hat und den Kriterien in Bezug auf Geschäftsräume daher nicht entspricht oder ii) eine hinreichend feinjustierte Risikobewertung vorgelegen hat, um zu ermöglichen, dass nur der Teil der Gewinne eines CFC der CFC‑Abgabe unterworfen wird, der das Steuersystem des Vereinigten Königreichs untergräbt.
75. In der mündlichen Verhandlung haben die Rechtsmittelführer bestätigt, dass mit den CFC‑Vorschriften ein doppelter Zweck verfolgt werde: die Bekämpfung von Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung. Das Vereinigte Königreich hat u. a. auf Teil 9A Kapitel 7 TIOPA und auf Kapitel 5 Fall 4 TIOPA hingewiesen, der über ein Offshore-Unternehmen gestaltetes Finanzierungsleasing betreffe; beide bestätigten, dass nicht nur auf Gewinnverlagerung, sondern auch auf Gewinnverkürzung abgezielt werde. Die Kommission hat lediglich betont, dass ein klarer Unterschied zwischen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung bestehe und sich das Kernziel der CFC‑Vorschriften auf Gewinnverlagerung beziehe, d. h. auf eine künstliche Wegleitung von Gewinnen. Meines Erachtens überzeugen die Ausführungen der Kommission nicht und reichen jedenfalls nicht aus, um sich über die Auslegung des Mitgliedstaats hinsichtlich des Zwecks seiner nationalen Rechtsnormen hinwegzusetzen.
76. Daraus folgt, dass mit den CFC‑Vorschriften und dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem derselbe Zweck verfolgt wird, und zwar Unternehmensgewinne zu besteuern, die Bestandteil der britischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage sind oder ohne Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung Bestandteil derselben wären. Wie ITV zu Recht hervorhebt, verfolgt das Bündel von Maßnahmen und Befreiungen des TIOPA einen gesamtheitlichen Ansatz, da diese sich gemeinsam gegen das Risiko der Errichtung künstlicher Gestaltungen richten, die wesentliche Auswirkungen auf die Integrität des allgemeinen Körperschaftsteuersystems haben. Die Mittel, mit denen diesem Risiko begegnet wird, hängen von den tatsächlichen Umständen ab, die sich in der Praxis ergeben könnten. Teil 9A TIOPA bedient sich daher einer Vielzahl an Regelungstechniken, um einerseits „rein künstliche“ Gestaltungen zu erfassen und andererseits zur Erhaltung der Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage beizutragen.
77. In diesem Zusammenhang bin ich der Ansicht, dass insbesondere Kapitel 9 als geeignete gesetzgeberische Maßnahme erscheint, um den Zweck des allgemeinen Körperschaftsteuersystems in einer Weise zu ergänzen, die mit dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Cadbury vereinbar ist. Dieses Kapitel erlaubt es einem Unternehmen somit nachzuweisen, dass Darlehen zur Finanzierung von Geschäftstätigkeiten anderer Unternehmen innerhalb eines multinationalen Konzerns mittels qualifizierter Darlehensverhältnisse gewährt wurden oder dass keine Wegleitung von Gewinnen stattgefunden hat, oder andernfalls die CFC‑Abgabe zu akzeptieren, die auf einer begründeten Schätzung der zu erwartenden Überkapitalisierung beruht.
78. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die CFC‑Vorschriften einen echten Beitrag zur Förderung des mit dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem verfolgten Zwecks leisten.
– b) Räumlicher Anwendungsbereich des allgemeinen Körperschaftsteuersystems und der CFC‑Vorschriften
79. Wie ITV hervorhebt, dienen die CFC‑Vorschriften der Erhaltung der Integrität des allgemeinen Körperschaftsteuersystems, indem Gewinne mit der Abgabe belastet und somit der britischen Steuer unterworfen werden, die zwar im Ausland erwirtschaftet aber künstlich aus dem Vereinigten Königreich weggeleitet wurden und daher so zu behandeln sind, als seien sie im Vereinigten Königreich erzielt worden. Würden die CFC‑Vorschriften nicht angewandt, würde der räumliche Anwendungsbereich des Körperschaftsteuersystems des Vereinigten Königreichs höchstwahrscheinlich durch aggressive Steuervermeidungspraktiken umgangen.
80. Aus dem angefochtenen Urteil und dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten geht hervor, dass dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem – abgesehen von den CFC‑Vorschriften – im Untersuchungszeitraum unstreitig nur von im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen erzielte Gewinne unterlagen. Ebenso galt dieses für nicht ansässige Unternehmen, die eine Geschäftstätigkeit über eine dauerhafte Betriebsstätte im Vereinigten Königreich ausübten oder Gewinne aus Immobilien im Vereinigten Königreich bezogen.
81. Die Rechtsmittelführer führen aus, dass das allgemeine Körperschaftsteuersystem auf dem Grundsatz der „weitgehenden Territorialität“ beruhe. Dieser Ansatz bedeute, dass multinationale Konzerne außerhalb des Vereinigten Königreichs für gewöhnlich keiner der britischen Steuervorschriften außer den CFC‑Vorschriften unterlägen, d. h., dass abgesehen von dieser Ausnahme keine Gewinne ausländischen Ursprungs vom Vereinigten Königreich besteuert würden. Die CFC‑Vorschriften stellten also eine Ausnahme vom Territorialitätsprinzip dar, und eine Gegenausnahme von dieser Ausnahme (wie die in Kapitel 9 vorgesehene) sei nicht als Abweichung vom Bezugsrahmen anzusehen. Aus vorstehender Analyse folge, dass es rein künstliche Gestaltungen zur Wegleitung von Gewinnen und zur Erosion der Bemessungsgrundlage gebe. Dementsprechend ist der räumliche Anwendungsbereich des Systems dem Vereinigten Königreich zufolge im Sinne einer weitgehenden Territorialität angepasst und um eine Ausnahme vom reinen Territorialitätsprinzip ergänzt worden. Diese Ausnahme ziele auf diese rein künstlichen Gestaltungen ab und bringe diese Gewinne zurück in das Vereinigte Königreich „wo sie (theoretisch) hingehören“.
82. Das Gericht hat in Rn. 83 des angefochtenen Urteils einen Fehler begangen, indem es festgestellt hat, dass die CFC‑Vorschriften nicht als Ausnahme vom allgemeinen Körperschaftsteuersystem fungierten. Mit den CFC‑Vorschriften wird britischen Unternehmen aufgrund der durch nicht ansässige Tochterunternehmen außerhalb des Vereinigten Königreichs erzielten und in den Jahresabschlüssen der CFC verbuchten Einkünfte eine der britischen Körperschaftsteuer entsprechende Abgabe auferlegt. Wie ich vorstehend erörtert habe, bezweckt eine solche Ausnahme, rein künstlichen Gestaltungen entgegenzutreten. Diese Ausnahme zeigt, warum das Körperschaftssystem als solches auf dem Grundsatz der weitgehenden Territorialität beruht.
83. Es ist jedoch festzustellen, dass die endgültige Steuerschuld bei einem im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen liegt, das für die Steuern auf die Gewinne eines anderen, außerhalb des Vereinigten Königreichs ansässigen Unternehmens verantwortlich ist.
84. Daraus folgt, dass das Gericht den weitgehend territorialen Charakter des allgemeinen Körperschaftsteuersystems missverstanden hat und von der Prämisse ausgegangen ist, dass nur im Vereinigten Königreich erzielte Gewinne besteuert würden (vgl. Rn. 116 des angefochtenen Urteils). Damit wird der zugrunde liegende räumliche Anwendungsbereich des Systems fehlerhaft bestimmt.
85. Dieser Fehler hat das Gericht beispielsweise zu der Annahme veranlasst, dass Einkünfte aus Tätigkeiten im Vereinigten Königreich, die ein CFC erzielt, zwangsläufig künstlich weggeleitet worden seien. Dabei handelt es sich um eine fehlerhafte Schlussfolgerung, die auf einer unzutreffenden Prämisse beruht(36).
86. Tatsächlich wurde der Ansatz der weitgehend territorialen Besteuerung, der die in Rede stehenden Befreiungen einschließt, gerade wegen der besonderen Art der vom britischen Gesetzgeber ermittelten Risiken für die Bemessungsgrundlage gewählt.
87. Wie ITV zu Recht hervorhebt, wirft Teil 9A TIOPA – um eine Fischfang-Metapher zu verwenden – zwar ein weites Netz aus, doch sind die Löcher im Geflecht groß: Nur die gewünschten Fische (einer gewissen Größe) werden gefangen. Gleichwohl würde man die Löcher in einem Fischernetz nicht als eigenständiges Instrument bezeichnen. Vielmehr handelt es sich dabei um einen bewussten und gewollten Teil des Netzes selbst.
88. Aus dem Vorstehenden lässt sich schließen, dass der weitgehend territoriale Charakter der britischen Körperschaftsbesteuerung bedeutet, dass das Steuersystem des Vereinigten Königreichs darauf abzielt, von ausländischen Unternehmen erwirtschaftete ausländische Gewinne nur dann zu erfassen, wenn i) diese Gewinne künstlich aus dem Ansässigkeitsstaat des britischen Mutterkonzerns weggeleitet wurden oder ii) die Gestaltungen das allgemeine Körperschaftssystem in missbräuchlicher Weise untergraben. Andernfalls besteht kein territorialer Anknüpfungspunkt für die Besteuerung ausländischer Gewinne.
89. Die Kommission macht hierzu lediglich geltend, dass es dem Vereinigten Königreich nicht gelinge, einen Teil des Urteils zu benennen, der von der Schlussfolgerung des Gerichts abhänge, wonach das britische Körperschaftsteuersystem gänzlich und nicht nur weitgehend territorial sei. Das Vorbringen des Vereinigten Königreichs sei als ins Leere gehend zurückzuweisen. Meines Erachtens ist die Argumentation der Kommission unzureichend, um darzutun, dass die Auslegung des Vereinigten Königreichs offensichtlich mit dem Wortlaut und den Zielen seiner nationalen Rechtsnormen unvereinbar sei.
90. Folglich stellen der Zweck der CFC‑Vorschriften sowie die damit ausgewählten Instrumente den Hauptgrund dafür dar, dass davon ausgegangen wird, dass das allgemeine Körperschaftsteuersystem insgesamt einen weitgehend territorialen Anwendungsbereich aufweist.
– c) Andres-Rechtsprechung des Gerichtshofs
91. Wie Generalanwalt Wahl in der Rechtssache Andres ausgeführt hat(37), kann der Rechtsprechung entnommen werden, dass der Gerichtshof in Fällen wie dem vorliegenden einen Ansatz verfolgt, mit dem die Gesamtheit der Regelungen bestimmt werden soll, die die steuerliche Belastung der Unternehmen beeinflussen. Ein solcher Ansatz stellt sicher, dass die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme anhand eines Rahmens beurteilt wird, der alle relevanten Bestimmungen einbezieht, und nicht anhand von Bestimmungen, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst worden sind.
92. Aus dem Urteil des Gerichtshofs in derselben Rechtssache folgt, dass der Bezugsrahmen keine Regel sein kann, die selbst eine Ausnahme zur allgemeinen Regel darstellt, obwohl die Prüfung des gesamten Inhalts dieser Bestimmungen die Schlussfolgerung erlaubt, dass die in Rede stehende Steuermaßnahme eine unter die allgemeine Regel fallende Situation definiert. Der Gerichtshof hat entschieden, dass „die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme anhand eines Referenzsystems, das aus einigen Bestimmungen besteht, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst wurden, nicht zutreffend beurteilt werden kann“(38).
93. Im vorliegenden Fall ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die CFC‑Vorschriften den Bezugsrahmen bildeten, bei denen es sich, wie ich vorstehend dargelegt habe, um eine Ausnahme von der territorialen Besteuerung handelt, insofern sie Gewinne mit der CFC‑Abgabe belasten, die nach dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem nicht steuerbar wären.
94. Meines Erachtens können Vorschriften, die eine solche Ausnahme vorsehen, im Licht der oben angeführten Andres-Rechtsprechung nicht den korrekten Bezugsrahmen darstellen.
95. Ferner können die CFC‑Vorschriften nicht so verstanden werden, dass sie sich vom allgemeinen Körperschaftssystem trennen ließen, da andernfalls – dadurch, dass der vom betreffenden Staat angewandten Regelungstechnik eine übermäßige Bedeutung beigemessen würde – die steuerliche Belastung eines im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmens künstlich aufgespalten würde. Genau dies hat das Gericht im angefochtenen Urteil getan, jedoch steht eine solche Vorgehensweise im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs(39).
– d) Wesentliche Elemente eines steuerlichen Bezugsrahmens
96. Meine vorstehenden Schlussfolgerungen zum Bezugsrahmen werden durch die angeblichen Unterschiede in Bezug auf die wesentlichen Elemente der Körperschaftsteuervorschriften im Vereinigten Königreich, die das Gericht in den Rn. 85 bis 88 des angefochtenen Urteils angeführt hat, nicht in Frage gestellt.
97. Wie das Vereinigte Königreich hervorhebt, versucht das Gericht, was erstens Rn. 85 des angefochtenen Urteils (zur Bemessungsgrundlage) betrifft, zu Unrecht zwischen im Vereinigten Königreich erzielten Gewinnen und künstlich aus dem Vereinigten Königreich weggeleiteten Gewinnen zu unterscheiden, um diese als unterschiedliche Bemessungsgrundlagen zu behandeln. Dadurch wird der Begriff der „Bemessungsgrundlage“ in diesem Zusammenhang verfälscht. Im Glossar der OECD wird der Begriff „Bemessungsgrundlage“ definiert als „die Sache oder der Betrag, auf die bzw. den der Steuersatz angewandt wird, z. B. Unternehmenseinkünfte, persönliche Einkünfte, Immobilienvermögen“(40). Dieser Begriff bezieht sich also auf die Sache oder den Betrag, die oder der einer Steuer unterliegt, unabhängig davon, ob es sich dabei um „Gewinne“, „Verkäufe“ (im Fall einer allgemeinen Verkaufsteuer), „Umsätze“ (im Fall der Umsatzsteuer) oder „Vermögenswerte“ (im Fall einer Kapitalsteuer wie einer Vermögens- oder Erbschaftsteuer) handelt. Entgegen der Auffassung des Gerichts beziehen sich die britische CFC‑Abgabe und die allgemeine Körperschaftsteuer beide auf die gleiche Bemessungsgrundlage, nämlich Unternehmensgewinne.
98. Das Gericht hat argumentiert, dass die CFC‑Gesetzgebung eine eigenständige Gesamtheit von Vorschriften darstellen würde, sofern die Bemessungsgrundlage eine andere wäre, bevor es die nach den CFC‑Vorschriften steuerbaren Unternehmensgewinne eines CFC als eine solche eigenständige Bemessungsgrundlage definiert hat. Damit ist außer Acht gelassen worden, dass die allgemeine Körperschaftsteuer und die CFC‑Abgabe unter die gleiche Art von Bemessungsgrundlage für steuerbare Unternehmensgewinne fallen und diese Gewinne nach denselben Regeln berechnet werden, die sowohl für CFC als auch für im Vereinigten Königreich ansässige Unternehmen gelten.
99. Was zweitens Rn. 86 des angefochtenen Urteils (zum Steuerpflichtigen) betrifft, möchte ich darauf hinweisen, dass die CFC‑Abgabe im Vereinigten Königreich ansässigen Mutterunternehmen zugeordnet wird, d. h. Unternehmen, die im Vereinigten Königreich der Körperschaftsteuer unterliegen. Wie die Kommission zu Recht geltend macht, handelt es sich dabei um eine Unterkategorie von im Vereinigten Königreich ansässigen Unternehmen, da nicht alle davon zwangsläufig CFC beherrschen, deren Gewinne eine CFC‑Abgabe auslösen. Dennoch haben innerhalb dieser Unterkategorie ein und dieselben Unternehmen sowohl die Körperschaftsteuer als auch die CFC‑Abgabe zu entrichten. Der Steuerpflichtige ist in beiden Fällen derselbe: Nach dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem werden im Vereinigten Königreich ansässige Unternehmen besteuert; nach den CFC‑Vorschriften werden ebenfalls im Vereinigten Königreich ansässige Unternehmen besteuert, denen die Gewinne ihrer CFC zugerechnet werden.
100. In diesem Zusammenhang wiederholt die Kommission in ihrem Vorbringen den Kern der fehlerhaften Analyse des Gerichts. Sie stützt sich auf die Argumentation des Gerichts, wonach Unternehmen, die im Hinblick auf die Gewinne ihrer CFC steuerpflichtig sind, sich – grundsätzlich – von denjenigen unterschieden, für die dies nicht der Fall sei. Dies läuft auf nichts weiter als die Feststellung hinaus, dass mit einer Regelung, die sich auf die Gewinne von CFC bezieht, die Gewinne von CFC besteuert werden. Es wird damit der entscheidende Gesichtspunkt außer Acht gelassen, dass es sich bei dem „Steuerpflichtigen“, der (sowohl im Rahmen des allgemeinen Körperschaftsteuersystems als auch im Rahmen der CFC‑Vorschriften) die Steuer zu entrichten hat, um ein im Vereinigten Königreich ansässiges Unternehmen handelt.
101. Was drittens Rn. 87 des angefochtenen Urteils (zum Steuertatbestand) angeht, hat das Gericht festgestellt, dass die Auferlegung einer CFC‑Abgabe (gemäß den CFC‑Vorschriften), die ausgelöst werde, wenn CFC außerhalb des Vereinigten Königreichs Gewinne machten, bei denen davon ausgegangen werde, dass sie aus künstlichen Gestaltungen oder Umleitungen von Mitteln oder Gewinnen stammten, die im Vereinigten Königreich hätten besteuert werden müssen, einen anderen Steuertatbestand darstelle als die Erzielung von Gewinnen im Vereinigten Königreich (betreffend die britische Körperschaftsteuer). Damit wird der Begriff des „Steuertatbestands“ verfälscht. Wie das Vereinigte Königreich ausführt, ist sowohl im Rahmen des allgemeinen Körperschaftsteuersystems als auch nach den CFC‑Vorschriften die Realisierung von Gewinnen das die Steuerpflicht einer Person auslösende Ereignis. Die Kommission hat sich zu dieser Frage nicht geäußert.
102. Es spielt keine Rolle, ob diese Gewinne von einem im Vereinigten Königreich ansässigen Mutterunternehmen oder einem CFC erzielt werden: Für die Frage, wann Gewinne erzielt werden, gelten dieselben Vorschriften (beispielsweise im Hinblick auf die Vornahme der Gewinnermittlung in der Buchführung). Aus der Errichtung künstlicher Gestaltungen oder der Wegleitung von Mitteln oder Gewinnen aus dem Vereinigten Königreich allein ergeben sich keine Gewinne. Wie das Vereinigte Königreich hervorhebt, werden Gewinne sowohl nach dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem als auch nach den CFC‑Vorschriften erzielt, wenn diese erwirtschaftet und für Steuerzwecke anerkannt werden; die gleichen Regeln gelten hinsichtlich der Frage, wann diese Gewinne erzielt worden sind.
103. Schließlich heißt es in Rn. 88 des angefochtenen Urteils (zum Steuersatz), dass der für die CFC‑Abgabe einschlägige Steuersatz der gleiche sei wie derjenige, der im allgemeinen Körperschaftsteuersystem vorgesehen sei. Dies hätte das Gericht dazu veranlassen müssen, anzuerkennen, dass zumindest ein Element der CFC‑Vorschriften im Vergleich zum allgemeinen Körperschaftsteuersystem identisch gewesen sei. Stattdessen wird in Rn. 88 mit einer Bezugnahme auf den Fall fortgeschritten, dass es „mehrere anwendbare Steuersätze“ gebe und der Durchschnitt dieser Steuersätze auf die Gewinne eines CFC angewandt werde(41). In derselben Randnummer kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die CFC‑Abgabe durch eine spezielle Berechnung bestimmt werde, die die Berechnung des Durchschnitts mehrerer Steuersätze erfordere.
104. Wie das Vereinigte Königreich zu Recht geltend macht, hat das Gericht mit der Schlussfolgerung, dass es in Bezug auf die CFC‑Abgabe eine maßgeschneiderte Berechnung gebe, die sich wesentlich von dem durch Art. 8 Abs. 5 des Corporation Tax Act 2009 (Körperschaftsteuergesetz 2009, im Folgenden: CTA 2009) verfolgten Ansatz unterscheide, einen Fehler begangen. Tatsächlich sind Art. 371BC TIOPA und Art. 8 Abs. 5 CTA 2009 so konzipiert, dass sie eine einander entsprechende Steuerbelastung für jeden einzelnen Steuerzeitraum vorsehen, doch sie kommen auf leicht voneinander abweichenden Wegen zu dieser Steuerbelastung.
105. Daraus folgt, dass durch die wesentlichen Elemente des in Rede stehenden Steuersystems (Bemessungsgrundlage, Steuerpflichtiger, Steuertatbestand und Steuersatz) bestätigt wird, dass das allgemeine Körperschaftsteuersystem und die CFC‑Vorschriften gemeinsam eine kohärente Gesamtheit von Vorschriften bilden(42), so dass der korrekte Bezugsrahmen das allgemeine Körperschaftsteuersystem ist und nicht die CFC‑Vorschriften.
– e) Zusammenhänge zwischen den nationalen Rechtsnormen sowie Regelungstechnik: Besteht eine Verbindung zwischen dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem und den CFC‑Vorschriften?
106. Die Rechtsmittelführer tragen vor, dass sich die CFC‑Vorschriften entgegen den Feststellungen des Gerichts nicht vom allgemeinen Körperschaftsteuersystem trennen ließen, da sie, um mit den in den Schriftsätzen des Vereinigten Königreichs und von ITV verwendeten Formulierungen zu sprechen, eine Ausnahme vom Territorialitätsprinzip darstellten, die in großem Maß zum Wesen dieses Systems beitrage, bzw. es sich dabei, um mit den Worten von LSEGH zu sprechen, um eine Abhilfemaßnahme handele, die untrennbar mit diesem System verbunden sei und die dazu diene, die Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage des Vereinigten Königreichs vor Missbrauch im Zusammenhang mit CFC zu schützen.
107. Wie das Vereinigte Königreich zu Recht geltend macht, hat es das Gericht bei der Bestimmung des Bezugsrahmens versäumt, zu berücksichtigen, inwieweit die CFC‑Vorschriften auf der umfassenderen allgemeinen Körperschaftsteuergesetzgebung aufbauen und einen Teil derselben darstellen.
108. Beginnend mit Teil 9A Art. 371AA Abs. 12 TIOPA heißt es darin eindeutig, dass die CFC‑Gesetzgebung Teil der Körperschaftsteuergesetze ist.
109. Die vom Gesetzgeber verwendete Regelungstechnik bestätigt die Absicht der gemeinsamen Anwendung der CFC‑Vorschriften und des allgemeinen Körperschaftsteuersystems. Tatsächlich bestehen zahlreiche Querverweise auf die Bestimmungen des CTA 2009 und 2010 in Teil 9A TIOPA(43). In der CFC‑Gesetzgebung von 2013 gibt es mehr als 80 solcher Querverweise auf CTA-Bestimmungen(44). Sogar die Begriffsbestimmung von qualifizierten Darlehensverhältnissen baut auf der Definition von „Darlehensverhältnissen“ in Art. 302 Abs. 1 CTA 2009 auf(45).
110. Daraus folgt, dass Teil 9A TIOPA auch in systematischer Hinsicht Teil der Körperschaftsteuergesetzgebung des Vereinigten Königreichs ist und selbst keinen eigenständigen Bezugsrahmen darstellt. In Rn. 68 des angefochtenen Urteils heißt es zutreffend: „Wenn die fragliche steuerliche Maßnahme untrennbar mit dem allgemeinen Steuersystem des betreffenden Mitgliedstaats verbunden ist, ist auf dieses System Bezug zu nehmen“, und Teil 9A TIOPA lässt sich tatsächlich nicht vom allgemeinen Körperschaftsteuersystem trennen.
111. Folglich bekräftigen die Zusammenhänge zwischen den nationalen Rechtsnormen sowie die Regelungstechnik, dass zwischen dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem und den CFC‑Vorschriften eine Verbindung besteht und diese Vorschriften sich nicht von jenem System trennen lassen.
– f) Ergebnis des ersten Teils
112. Wie in der Literatur bestätigt wird, „erscheint der Standpunkt, wonach zwischen den CFC‑Vorschriften und anderen Vorschriften des britischen Körperschaftsteuersystems zur Abgrenzung, was unter die Körperschaftsteuer des Vereinigten Königreichs fällt, kein Unterschied bestehe, ziemlich überzeugend. Ungeachtet der Tatsache, dass die CFC‑Vorschriften eine vollständige Gesamtheit von Vorschriften darstellen, die sich vom allgemeinen Körperschaftsteuersystem des Vereinigten Königreichs unterscheidet, handelt es sich bei Teil 9A [TIOPA] eindeutig um eine notwendige Ergänzung des grundsätzlich territorialen Ansatzes des CTA. Ein vollständiges Verständnis der CFC‑Vorschriften kann daher mit einer isolierten Betrachtung dieser Vorschriften nicht erlangt werden, sondern nur unter Einbeziehung des britischen Körperschaftsteuersystems als Ganzes“(46).
113. Meines Erachtens sollten die CFC‑Vorschriften als Erweiterung des allgemeinen Körperschaftsteuersystems betrachtet werden. Folglich ist es falsch und künstlich, eine solche Erweiterung dahin zu verstehen, dass sie sich von diesem System trennen ließe; dieser Ansatz liefe auch dem Urteil in der Rechtssache World Duty Free zuwider (siehe Nr. 55 der vorliegenden Schlussanträge).
114. Das Gericht hat daher einen Fehler begangen, indem es entgegen den in Rn. 68 des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegten Grundsätzen ein Bündel von Vorschriften (die CFC‑Vorschriften) von ihrem breiteren rechtlichen Rahmen (dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem) abstrahiert hat.
115. Daraus folgt, dass die CFC‑Vorschriften grundsätzlich als Teil des allgemeinen Körperschaftsteuersystems einzustufen sind und dem Gericht dadurch, dass es gegenteilig entschieden hat, ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Ferner hat die Kommission nicht nachgewiesen, dass eine solche Einstufung durch den Mitgliedstaat offensichtlich mit dem Zweck (den konkreten Wirkungen), den grundlegenden Elementen (dem Inhalt) und dem Zusammenhang der CFC‑Vorschriften und des allgemeinen Körperschaftsteuersystems unvereinbar ist(47). Nunmehr ist zum nächsten Schritt meiner Analyse überzugehen, der darin besteht, „ins Dickicht vorzudringen“ und den Inhalt der konkreten Bestimmungen der in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften zu würdigen. Dies wird eine Überprüfung beinhalten, ob die vom betreffenden Mitgliedstaat vorgebrachte Auslegung des Wortlauts der betreffenden Einzelbestimmungen des nationalen Rechts auf ein Verständnis hinausläuft, dass mit diesen Bestimmungen offensichtlich unvereinbar ist(48).
ii) Zweiter Teil: Auslegung der in den CFC‑Vorschriften enthaltenen Bestimmungen
116. Wie ich in Nr. 60 der vorliegenden Schlussanträge in Erinnerung gerufen habe, wird der Bezugsrahmen für die Zwecke der Beurteilung der Selektivität der in Rede stehenden Maßnahme grundsätzlich durch die Auslegung des nationalen Rechts durch den Mitgliedstaat bestimmt.
117. Angesichts dessen, dass das Gericht vielmehr die Auslegung des nationalen Rechts bestätigt hat, die die Kommission im angefochtenen Beschluss vorgenommen hat, ist zu überprüfen, ob die Auslegung der betreffenden nationalen Bestimmungen durch den Mitgliedstaat, wie sie im Rechtsmittel des Vereinigten Königreichs zum Ausdruck kommt und im Vorbringen von ITV und LSEGH befürwortet wird, tatsächlich mit dem Wortlaut dieser Bestimmungen unvereinbar ist.
– a) Teil 9A Kapitel 2 („CFC‑Abgabe“) TIOPA: Wortlaut von Art. 371BB
118. Teil 9A Kapitel 2 Art. 371BB TIOPA enthält die Grundregel für die Bestimmung, welche Gewinne die Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe erfüllen.
119. Art. 371BB Abs. 1 sieht zunächst vor, welche Schritte für die Feststellung zu befolgen sind, ob und welches der Kapitel 4 bis 8 auf die Gewinne eines CFC anwendbar ist (erste Stufe nach Art. 371BB).
120. Sodann regelt diese Bestimmung den Umfang, in dem Gewinne unter eines dieser Kapitel fallen (zweite Stufe nach Art. 371BB) und ordnet in ihrem Abs. 2 an, dass ihr Abs. 1 „vorbehaltlich“ von u. a. Kapitel 9 gilt.
121. Wenn das Vereinigte Königreich geltend macht, dass dem Verweis auf Kapitel 9 in Art. 371BB Abs. 2 eine deklaratorische und keine konstitutive Wirkung zukomme, widerspricht dies nicht dem Wortlaut jenes Abs. 2. Tatsächlich macht dieser die Steuerpflichtigen lediglich darauf aufmerksam, dass Kapitel 9 die Handhabung von Art. 371BB Abs. 1 beeinflussen kann; er reicht für sich genommen jedoch nicht aus, um nicht qualifizierte Finanzierungserträge gemäß der zweiten Stufe nach Art. 371BB Abs. 1 einer Abgabe zu unterwerfen.
122. Gemeinsam gelesen erscheinen die Abs. 1 und 2 dieser Bestimmung nicht als unvereinbar mit der Auslegung des Vereinigten Königreichs hinsichtlich der Wirkungsweise von Kapitel 9 innerhalb der CFC‑Vorschriften: Das Vereinigte Königreich argumentiert, dass Gewinne nicht nach den anderen Kapiteln von Teil 9A TIOPA zu beurteilen seien, wenn sie die Kriterien erfüllen würden, die in Kapitel 9 vorgesehen seien. Sobald Kapitel 9 Anwendung finde, brauche daher nicht mehr geprüft zu werden, ob Gewinne auch unter eines der in Kapitel 5 vorgesehenen Kriterien fallen würden, da diese Gewinne unabhängig davon, ob dies der Fall sei, nach den in Kapitel 9 enthaltenen Vorschriften besteuert würden.
123. Wird Art. 371BB im Kontext von Teil 9A TIOPA gelesen, ist zudem die von ITV und LSEGH vorgebrachte Auslegung plausibel und widerspricht nicht dem eigentlichen Text von Teil 9A TIOPA. Diese Verfahrensbeteiligten machen nämlich geltend, dass Kapitel 9 auf Antrag des betreffenden steuerpflichtigen Unternehmens angewandt werden könne, ohne dass zuerst Kapitel 5 berücksichtigt würde und somit ohne dass festgestellt werden müsste, ob die aus qualifizierten Darlehensverhältnissen stammenden (und daher Kapitel 9 unterliegenden) nicht gewerblichen Finanzierungserträge eines CFC die Kriterien von Kapitel 5 erfüllen würden.
124. Eine solche Lesart wird außerdem im HMRC‑Handbuch(49) anhand des folgenden Beispiels in Bezug auf Art. 371BB veranschaulicht: „Ein CFC erzielt während eines Steuerzeitraums die folgenden nicht gewerblichen Finanzierungserträge[:] 10 Mio. Pfund aus Darlehen A, das ein qualifiziertes Darlehen ist[;] 20 Mio. Pfund aus Darlehen B, das ein qualifiziertes Darlehen ist[; und] 15 Mio. Pfund an Ausschüttungen, die nicht steuerbefreit sind. Es wird ein Antrag auf die Anwendung von Kapitel 9 gestellt, in dem ausgeführt wird, dass [Art.] 371IB (‚vollständige Befreiung‘) auf die Gewinne aus Darlehen A angewandt werden solle, wodurch 90 % der nicht gewerblichen Finanzierungserträge aus diesem Darlehen befreit werden. [Art.] 371ID (‚Befreiung von 75 %‘) solle auf Darlehen B angewandt werden. Dieser Antrag hat zum Ergebnis, dass Gewinne in Höhe von 6 Mio. Pfund nach Maßgabe von Kapitel 9 die Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe erfüllen (1 Mio. Pfund aus Darlehen A und 5 Mio. Pfund aus Darlehen B); die übrigen Gewinne in Höhe von 15 Mio. Pfund erfüllen die Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe nach Maßgabe dieses Kapitels nicht, da die nicht steuerbefreiten Ausschüttungserträge nicht unter Art. 302 Abs. 1 CTA 2009 fallen. Vielmehr erfüllen die nicht steuerbefreiten Ausschüttungen die Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe nach Maßgabe von Kapitel 5 (ausgehend von der Annahme, dass diese Gewinne unter jenes Kapitel fallen)“ (Hervorhebung nur hier).
125. Meines Erachtens stützen die in Art. 371BB enthaltenen Regeln den Standpunkt des Vereinigten Königreichs, wonach Kapitel 5 überhaupt nicht berücksichtigt werden müsse, wenn eine der drei Steuerbefreiungen für konzerninterne Finanzierungen anwendbar sei (deren Voraussetzungen in Kapitel 9 enthalten seien). Auch Kapitel 3 (Art. 371CB Abs. 1 und 8)(50) stellt klar, dass Kapitel 9 angewandt werden kann, ohne dabei Kapitel 5 zu berücksichtigen(51).
126. Die Kommission trägt im Wesentlichen vor, das Gericht sei zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht gewerbliche Finanzierungserträge, die die Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe auf der Grundlage von Kapitel 5 (nach Maßgabe des Kriteriums der im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger oder desjenigen des mit dem Vereinigten Königreichs verbundenen Kapitals) erfüllen würden, Gewinne darstellen würden, die im Sinne der CFC‑Vorschriften künstlich aus dem Vereinigten Königreich weggeleitet worden seien und dass es sich bei Kapitel 9 um eine (teilweise) Befreiung für nicht gewerbliche Finanzierungserträge aus qualifizierten Darlehensverhältnissen handele, die andernfalls die Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe nach Kapitel 5 erfüllt hätten. Keines der Argumente der Kommission lässt darauf schließen, dass die Auslegung von Art. 371BB durch das Vereinigte Königreich offensichtlich fehlerhaft wäre.
– b) Kapitel 3 („Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe“): Wortlaut von Art. 371CB
127. Kapitel 3 Art. 371CB nennt die Umstände, unter denen Kapitel 5 zur Anwendung kommt. Diese Bestimmung sieht – vorbehaltlich bestimmter abgegrenzter Ausnahmen – vor, dass Kapitel 5 auf nicht gewerbliche Finanzierungserträge anzuwenden ist, die während eines bestimmten Steuerzeitraums erzielt werden. In Art. 371CB Abs. 8 heißt es, dass „im Fall eines abgabepflichtigen Unternehmens, das einen Antrag nach Kapitel 9 stellt, Bezugnahmen auf die nicht gewerblichen Finanzierungserträge des CFC im vorliegenden Artikel und in Kapitel 5 als Bezugnahmen auf diese Erträge zu verstehen sind, jedoch mit der Ausnahme, dass nicht auch die (in Kapitel 9 definierten) Erträge des CFC aus qualifizierten Darlehensverhältnissen erfasst sind“ (Hervorhebung nur hier).
128. Liest man diese Bestimmung, scheint sie insoweit im Einklang mit der Auslegung des Vereinigten Königreichs zu stehen, dass der Gesetzgeber in Art. 371CB Abs. 2, 3 und 4 sowie in Kapitel 5 Befreiungen definiert habe. Die Verwendung des Adverbs „auch“ in Art 371CB Abs. 8 lässt die Auslegung zu, dass die in Kapitel 9 vorgesehenen Ausnahmen zusätzlich zu weiteren Ausnahmen in Art. 371CB und Kapitel 9 gelten.
129. Es ist daher plausibel, Art. 371CB Abs. 1 und 8 dahin auszulegen, dass Kapitel 9 angewandt werden kann, ohne dabei Kapitel 5 zu berücksichtigen(52). Den Rechtsmittelführern zufolge handelt es sich bei Art. 371CB Abs. 8 um eine zentrale operative Bestimmung, die vorsehe, dass Kapitel 9 im Fall einer Antragstellung anstelle von Kapitel 5 zur Anwendung komme und dass die Kapitel 3 und 9 gemeinsam gelesen eine alternative Methode zur Berechnung des Betrags der nicht gewerblichen Finanzierungserträge vorsähen, die, wenn sie aus qualifizierten Darlehensverhältnissen stammten, der Steuer unterlägen. Bei Vorliegen nicht gewerblicher Finanzierungserträge werde zuerst Kapitel 9 geprüft und nur in einem zweiten Schritt würden etwaige verbleibende nicht gewerbliche Finanzierungserträge, die nicht in den Gewinnen aus qualifizierten Darlehensverhältnissen enthalten seien, nach Kapitel 5 berücksichtigt. Eine solche Auslegung scheint mir mit dem Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmungen vereinbar.
130. Ferner hat ITV darauf hingewiesen, dass Kapitel 9 dazu diene, vorab das Wesen und den Umfang der betreffenden Gewinne, die unter die Voraussetzungen des Kapitels 5 fielen, abzugrenzen. Daher lässt sich die Auffassung vertreten, dass Kapitel 9 nicht die Bestimmungen ersetzt, die andernfalls zur Anwendung kämen.
131. Die Kommission erkennt an, dass die Kapitel 5 und 9 alternative Methoden zur Bestimmung steuerbarer Gewinne vorsehen. Dennoch folge daraus nicht, dass diese Kapitel selbst Alternativen für die Ermittlung nicht gewerblicher Finanzierungserträge darstellten, die mit einer Abgabe der Steuer unterlägen. Aus einer solchen Lesart lässt sich jedoch nicht schließen, dass die Auslegung des Mitgliedstaats mit dem tatsächlichen Wortlaut der nationalen Bestimmungen offensichtlich unvereinbar wäre.
– c) Kapitel 5 („Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe: nicht gewerbliche Finanzierungserträge“): Wortlaut von Art. 371EA
132. Kapitel 5 Art. 371EA Abs. 1 sieht vor, dass für die Zwecke der zweiten Stufe nach Art. 371BB Abs. 1 die diesem Kapitel unterliegenden Gewinne eines CFC seine nicht gewerblichen Finanzierungserträge in dem Umfang sind, in dem sie die Kriterien dieses Kapitels erfüllen. Art. 371EA Abs. 2 weist darauf hin, dass „Bezugnahmen auf die nicht gewerblichen Finanzierungserträge des CFC im Einklang mit [Art.] 371CB Abs. 2 und, soweit dieser anwendbar ist, [Art.] 371CB Abs. 8 zu lesen“ sind.
133. Wie das Vereinigte Königreich und ITV betonen und ich vorstehend erläutert habe, bedeutet die Tatsache, dass Kapitel 5 Art. 371EA Abs. 2 auf Kapitel 3 Art. 371CB Abs. 8 verweist, dass bei Vorliegen nicht gewerblicher Finanzierungserträge zuerst Kapitel 9 zu berücksichtigen ist und anschließend nur etwaige verbleibende nicht gewerbliche Finanzierungserträge, die nicht in den Gewinnen aus qualifizierten Darlehensverhältnissen enthalten sind, nach Kapitel 5 berücksichtigt werden. Meines Erachtens ist eine solche Auslegung konsistent und plausibel.
134. Kapitel 5 (Art. 371EA Abs. 2) ordnet an, dass Bezugnahmen auf nicht gewerbliche Finanzierungserträge im Einklang mit Art. 371CB Abs. 2 und 8 zu lesen sind. Art. 371CB Abs. 8 verlangt (wie ich in der vorstehenden Nummer erörtert habe) wiederum, dass eine Bezugnahme auf nicht gewerbliche Finanzierungserträge in Kapitel 5 so behandelt wird, dass Gewinne aus qualifizierten Darlehensverhältnissen, für die ein Antrag nach Kapitel 9 gestellt wird, davon ausgenommen sind.
135. Meines Erachtens stellt Art. 371EA – der seiner Überschrift zufolge die „Grundregel“ von Kapitel 5 darstellt und sich den nicht gewerblichen Finanzierungserträgen von CFC widmet – die Anwendung der Kriterien dieses Kapitels mit dem Verweis auf Art. 371CB Abs. 8 unter den Vorbehalt, dass die betreffenden nicht gewerblichen Finanzierungserträge nicht unter Kapitel 9 fallen.
136. Aus dieser Beurteilung folgt also nicht, dass die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung mit dem Wortlaut der nationalen Bestimmungen unvereinbar wäre.
137. Die Kommission missversteht den Aussagegehalt von Art. 371EA Abs. 2, der, wie ich vorstehend erörtert habe, besagt, dass Bezugnahmen auf nicht gewerbliche Finanzierungserträge vorbehaltlich der in Art. 371CB Abs. 8 getroffenen Anordnungen zu lesen sind, sofern die letztgenannte Bestimmung anwendbar ist.
138. In ihrer Erwiderung bringt sie vor, dass aus Art. 371IA Abs. 1 folge, dass Kapitel 9 auf nicht gewerbliche Finanzierungserträge aus qualifizierten Darlehensverhältnissen anwendbar sei, die andernfalls einer Abgabe nach Kapitel 5 unterlegen hätten. Entgegen diesem Vorbringen kann der Wortlaut von Art. 371EA nicht eindeutig dahin ausgelegt werden, dass dieselben Gewinne gleichzeitig Kapitel 5 und Kapitel 9 unterliegen könnten.
139. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass aus dem Wortlaut und dem Zusammenhang von Art. 371EA nichts hervorgeht, das darauf hindeuten würde, dass der Mitgliedstaat eine offensichtlich fehlerhafte Auslegung dieser Bestimmung vorgebracht hätte, und das zeigen würde, dass sich die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung eindeutig aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt.
– d) Kapitel 9 („Befreiungen für Gewinne aus qualifizierten Darlehensverhältnissen“): Wortlaut von Art. 371IA
140. Der Wortlaut von Kapitel 9 Art. 371IA Abs. 1 bis 3 beschreibt das Vorgehen, mit dem ein Unternehmen einen Antrag nach Kapitel 9 stellen kann und beschränkt die Anwendbarkeit dieses Kapitels auf die nicht gewerblichen Finanzierungserträge aus qualifizierten Darlehensverhältnissen dieses Unternehmens.
141. Erstens sieht Art. 371IA Abs. 1 vor, dass „dieses Kapitel zur Anwendung kommt, wenn[:] abgesehen von diesem Kapitel Kapitel 5 (‚Nicht gewerbliche Finanzierungserträge‘) … [auf die Gewinne eines CFC] anwendbar wäre“. In Abs. 2 dieser Bestimmung heißt es, dass „ein abgabepflichtiges Unternehmen … einen Antrag … darauf stellen kann, dass die zweite Stufe nach [Art.] 371BB (‚Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe‘) Abs. 1 … vorbehaltlich dieses Kapitels angewendet wird.“ Schließlich sieht Art. 371IA Abs. 3 vor, dass „wenn [dieses] Unternehmen einen Antrag stellt …, die Gewinne des CFC aus qualifizierten Darlehensverhältnissen den Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe soweit (und nur soweit) unterliegen, als sie nicht nach diesem Kapitel befreit sind“.
142. Dem Vereinigten Königreich zufolge bedeutet die Wendung „wenn[:] abgesehen von diesem Kapitel Kapitel 5 (‚Nicht gewerbliche Finanzierungserträge‘) … anwendbar wäre“ in Art. 371IA Abs. 1 Buchst. a nicht, dass ein Besteuerungsrecht nach Kapitel 5 bestanden hätte, wenn kein Antrag auf die Anwendung von Kapitel 9 gestellt worden wäre. Diese Wendung diene der Erläuterung des Verhältnisses zwischen den Kapiteln 5 und 9(53). Sie stütze nicht die Annahme, dass es sich bei Kapitel 9 um eine Ausnahme von Kapitel 5 handele. Vielmehr spiegele diese Wendung die Art und Weise wider, in der diese beiden Kapitel gemeinsam anzuwenden seien. Sie bedeute nicht, dass solche nicht gewerblichen Finanzierungserträge – ohne einen Antrag nach Kapitel 9 – nach Kapitel 5 steuerbar würden. Eine solche Deutung erscheint umso plausibler, wenn man die Auslegung der anderen vorstehend analysierten Bestimmungen berücksichtigt.
143. Die Kommission macht – gestützt auf ihre Auslegung von Art. 371IA Abs. 1 bis 3 – geltend, dass „die nicht gewerblichen Finanzierungserträge, auf die sich Kapitel 9 bezieht, solche sind, die ohne die in diesem Kapitel vorgesehene Befreiung (auf der Grundlage von Kapitel 5 – dem Kapitel, das nicht gewerbliche Finanzierungserträge betrifft) Gegenstand der CFC‑Abgabe wären“.
144. Diese Annahme zieht die Kommission heran, um ihre fehlerhafte Einstufung von Kapitel 9 als Abweichung vom Bezugsrahmen zu stützen, die Steuerpflichtigen einen „Vorteil“ gegenüber dem, was sie als „normale“ Besteuerung nicht gewerblicher Finanzierungserträge ansieht, verschaffe, d. h. gegenüber den Vorschriften in Kapitel 5.
145. Wie LSEGH jedoch betonen, unterläuft der Kommission in Bezug auf die Handhabung der einschlägigen Vorschriften ein Fehler. Wie oben erörtert wurde, kann Kapitel 9 dazu führen, dass nicht gewerbliche Finanzierungserträge mit einer CFC‑Abgabe belastet werden, die andernfalls – nach Kapitel 5 – nicht angefallen wäre. Auf dieser Grundlage sollte Kapitel 9 nicht als Abweichung von Kapitel 5 angesehen werden (siehe auch Nrn. 129 und 130 der vorliegenden Schlussanträge). Bei Kapitel 9 könnte es sich nur dann um eine Abweichung vom Bezugsrahmen handeln, wenn ein Unternehmen, gäbe es dieses Kapitel nicht, eine Steuer zahlen würde (oder mehr Steuern zahlen würde).
146. In diesem Zusammenhang zeigen die Praxisbeispiele, die LSEGH anführen, wann ein Steuerpflichtiger unter Umständen, unter denen zumindest ein Teil der nicht gewerblichen Finanzierungserträge des betreffenden CFC andernfalls nicht unter Kapitel 5 gefallen wäre, sich vernünftigerweise für Kapitel 9 entscheiden könnte und diese Erträge somit dennoch die Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe nach Kapitel 9 erfüllen würden. Diese Beispiele veranschaulichen, dass Kapitel 9 in der Praxis nicht ausschließlich zu einer Vermeidung oder Reduktion der CFC‑Abgabe dient, die andernfalls nach Kapitel 5 geschuldet wäre, und somit nicht als Abweichung vom Bezugsrahmen angesehen werden kann(54).
147. In Ermangelung konkreter Praxisbeispiele, die das Gegenteil belegen würden, ist der Kommission nicht der Nachweis gelungen, dass der Wortlaut von Art. 371IA Abs. 1 – der besagt, dass Kapitel 9 zur Anwendung kommt, wenn „abgesehen von diesem Kapitel Kapitel 5 (‚Nicht gewerbliche Finanzierungserträge‘) auf einen Steuerzeitraum eines CFC anwendbar wäre“ – die These belegt, „dass Kapitel 9 auf nicht gewerbliche Finanzierungserträge aus qualifizierten Darlehensverhältnissen anwendbar ist, die andernfalls nach Kapitel 5 einer Abgabe unterliegen würden“. Der Wortlaut dieser Bestimmung deutet vielmehr darauf hin, dass der Begriff „abgesehen“ das Verhältnis zwischen den beiden Kapiteln beschreibt.
148. Ein solches Verständnis wird auch durch die Argumentation des Vereinigten Königreichs bestätigt, wonach die Kommission ihrer Würdigung im angefochtenen Beschluss die falsche Bestimmung der CFC‑Vorschriften zugrunde gelegt und sich auf diese falsche Bestimmung konzentriert habe. Nach dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs handelt es sich bei Art. 371IA Abs. 1 Buchst. a nicht um eine Bestimmung mit konstitutiver Wirkung, sondern lediglich um eine der Anwendungsvoraussetzungen für Kapitel 9. Wie ich vorstehend erörtert habe(55), ist es Art. 371CB Abs. 8, der sehr wohl eine Bestimmung mit konstitutiver Wirkung darstellt, die die entscheidende Voraussetzung enthält, wonach im Fall einer Antragstellung Kapitel 9 anstelle von Kapitel 5 Anwendung findet.
149. In Ermangelung konkreter Beispiele aus der Rechtsprechung oder der Verwaltungspraxis des betreffenden Mitgliedstaats, die von der Auslegung dieses Staates abweichen würden(56), folgt daraus, dass die von der Kommission vertretene Auslegung nicht ausreicht, um sich über die Auslegung der Rechtsmittelführer und ihre Darstellungen von Situationen aus der Praxis hinwegzusetzen.
– e) Verhältnis zwischen Kapitel 5 und Kapitel 9
150. Nach den vom Gericht bestätigten Feststellungen der Kommission enthalten die Kapitel 5 und 9 jeweils den CFC‑Vorschriften zugehörige Regeln sowie Ausnahmen davon, in dem Sinne, dass aus dem letztgenannten Kapitel eine Reduktion der ansonsten nach dem erstgenannten Kapitel geschuldeten Steuer folge. Wie sich jedoch aus meiner vorstehenden Analyse ergibt, bestätigen die Gesetzessystematik und der Inhalt der nationalen Rechtsvorschriften das Gegenteil: Weder Kapitel 5 noch Kapitel 9 ist dem jeweils anderen übergeordnet; beide sind primus inter pares und sie gelten für unterschiedliche Kategorien nicht gewerblicher Finanzierungserträge.
151. Aus dem Wortlaut der Bestimmungen des TIOPA ergibt sich, dass es sich bei Kapitel 9 weder um eine Abweichung noch um eine Ausnahme von Kapitel 5 handelt(57), sondern vielmehr um ein ergänzendes und alternatives Instrument, nach dem die Steuerschuld bemessen werden kann, wenn bestimmte, konkrete Voraussetzungen erfüllt sind.
152. Diese beiden Kapitel ergänzen einander und ergeben gemeinsam eine kohärente Gesamtheit von Vorschriften über die Besteuerung der nicht gewerblichen Finanzierungserträge von CFC. Als Ganzes gesehen grenzen diese Kapitel also den Anwendungsbereich der CFC‑Abgabe unter Berücksichtigung des Risikos für die britische Steuerbemessungsgrundlage anhand der Herkunft und der Verwendung der Mittel, aus denen diese nicht gewerblichen Finanzierungserträge erzielt werden, ab. CFC können durch Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung ein Risiko für die Körperschaftsteuergrundlage darstellen. Folglich werden mit den CFC‑Vorschriften des Vereinigten Königreichs zuerst diejenigen CFC ermittelt, bei denen das größte Risiko einer Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung besteht (weswegen diese Vorschriften risikobasiert sind), und anschließend der Umfang bestimmt, in dem Gewinne in die britische Steuerregelung zurückgeführt werden sollten. Teil 9A TIOPA dient dazu, diejenigen Gestaltungen zu ermitteln, die das höchste Risiko für die britische Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage darstellen. Die drei Steuerbefreiungstatbestände für konzerninterne Finanzierungen bauen auf diesem risikobasierten Ansatz auf. Wie das Vereinigte Königreich geltend macht, war es der Standpunkt des britischen Gesetzgebers bei der Ausarbeitung der betreffenden Rechtsvorschriften, dass qualifizierte Darlehensverhältnisse (d. h. Darlehen, mit denen echte Geschäftstätigkeiten eines Konzerns finanziert würden, auf den die Steuerbefreiungen für konzerninterne Finanzierungen anwendbar seien) ein relativ geringes Risiko der künstlichen Wegleitung von Gewinnen mit sich bringen würden. Dies stehe im Gegensatz zu „Upstream-Darlehen“ und „Moneybox-Vereinbarungen“, die beide ein hohes Risiko für die britische Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage darstellen würden.
153. Durch ihre getrennte Betrachtung der betreffenden Kapitel haben die Kommission und das Gericht der vom britischen Gesetzgeber verwendeten Regelungstechnik eine übermäßige Bedeutung zugemessen, anstatt eine objektive Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem betreffenden nationalen Recht anwendbaren Vorschriften vorzunehmen, wie es die Rechtsprechung erfordert(58).
154. Es lässt sich daher der Schluss ziehen, dass die mit den Kapiteln 5 und 9 beabsichtigte gemeinsame Wirkung darin besteht, den Risiken entgegenzutreten, die bestimmte, darin definierte künstliche Gestaltungen mit sich bringen. Darüber hinaus sehen sie rechtliche Instrumente zur Umsetzung des Systems der weitgehend territorialen Besteuerung von Unternehmensgewinnen unter Umständen vor, in denen das Vereinigte Königreich ein Risiko rein künstlicher Gestaltungen bestimmter CFC und ihrer im Vereinigten Königreich ansässigen Mutterunternehmen festgestellt hat.
– f) Aufgaben der Entscheidungsträger
155. Schließlich werde ich im Rahmen der Analyse des Inhalts und der konkreten Wirkungen der nationalen Rechtsvorschriften auf die Bedeutung des Kriteriums der Aufgaben der Entscheidungsträger eingehen. Obwohl diese formal eher im Rahmen der zweiten oder dritten Stufe der Prüfung behandelt werden sollten, wäre die Analyse des Bezugsrahmens unvollständig, würde darin nicht auf den Wortlaut und den Zusammenhang der Bestimmungen zu den Aufgaben der Entscheidungsträger eingegangen, da dieses Kriterium einen integralen Bestandteil des Rahmens darstellt. ITV zufolge hat die Kommission dadurch, dass sie die CFC‑Vorschriften als eigenständiges Regelwerk und das Kriterium der Aufgaben der Entscheidungsträger darin als Indikator einer künstlichen Wegleitung von Gewinnen als dem Leitbild dieser Regeln behandelt habe, anstelle der ordnungsgemäßen Anwendung der in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften ein abstraktes Konzept herangezogen.
156. Tatsächlich erinnert der Umstand, dass die Kommission daran festhält, dass innerhalb der CFC‑Vorschriften einzig die Analyse der Aufgaben der Entscheidungsträger eine Vermutung einer künstlichen Wegleitung von Gewinnen nach sich ziehen könne, an ihr fehlgeleitetes Festhalten an einer „Bewertung anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes“ in der Rechtssache, in der das Urteil Fiat(59) ergangen ist. Dem Gericht ist (insbesondere in Rn. 101 des angefochtenen Urteils) dadurch ein Fehler unterlaufen, dass es diesen irrigen Ansatz bestätigt hat(60).
157. Wie LSEGH erläutern, wird das Kriterium der Aufgaben der Entscheidungsträger in den CFC‑Vorschriften des Vereinigten Königreichs als einer der Indikatoren zur Ermittlung von Gewinnen verwendet, die die Voraussetzungen für die Anwendung der Kapitel 4 („Gewinne aus Tätigkeiten im Vereinigten Königreich“) und 5 („Nicht gewerbliche Finanzierungserträge“) erfüllen, wobei im letztgenannten Kapitel Art. 371EB nicht gewerbliche Finanzierungserträge aus Tätigkeiten regelt, bei denen die Aufgaben der Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich ausgeführt werden. Es ist daher plausibel, dass, wie LSEGH geltend machen, das Kriterium der Aufgaben der Entscheidungsträger keine Leitregel darstellt, sondern nur Teil der angesprochenen Voraussetzungen für die Anwendung der Kapitel 4 und 5 ist und selbst dort neben anderen Konzepten (wie den Ausnahmen von Kapitel 4 oder der Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierungen in Kapitel 9) zur Anwendung kommt.
158. Entgegen dem Vorbringen der Kommission scheinen die CFC‑Vorschriften nicht primär darauf ausgerichtet zu sein, dass die Ausführung der Aufgaben der Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich eine Vermutung für die künstliche Wegleitung von Gewinnen nach sich zieht. Wie ITV geltend macht, hätte es sich dabei dann um kein treffsicheres Instrument gehandelt, das einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und den Anforderungen des Urteils in der Rechtssache Cadbury standgehalten hätte. ITV bringt weiter vor, dass im TIOPA auf ein Erfordernis der Prüfung des Kriteriums der im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger verzichtet werde, da der Art und dem Umfang des Risikos für das allgemeine Körperschaftsteuersystem in Bezug auf qualifizierte Darlehensverhältnisse schlicht und einfach mit einer Anwendung von Kapitel 9 begegnet werden könne. Diese Argumente deuten darauf hin, dass das Kriterium der im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger eines der in den CFC‑Vorschriften eingesetzten Instrumente darstellt, bei dem es sich – entgegen den Ausführungen der Kommission und des Gerichts – nicht um das entscheidende Instrument handelt.
159. Darüber hinaus führt eine Analyse der Aufgaben der Entscheidungsträger unweigerlich zu einer subjektiven Bewertung, die insbesondere dann mit Vorsicht zu genießen ist, wenn diese Analyse wie im vorliegenden Fall nachträglich durchgeführt werden musste. Wie ITV vor dem Gericht dargelegt hat, unterschied sich der diesbezüglich von der HMRC verfolgte Ansatz in der Praxis erheblich von der großen Mehrheit der von den Steuerpflichtigen und ihren Beratern durchgeführten Analysen. Eine Maßgeblichkeit des Kriteriums der Aufgaben der Entscheidungsträger würde also wahrscheinlich zu umfangreichen Rechtsstreitigkeiten führen, in denen eine eingehende Analyse der Schritte zu erfolgen hätte, die ein Steuerpflichtiger im Rahmen der jeweiligen genauen Bewertung des Umfangs der im Vereinigten Königreich sowie der außerhalb des Vereinigten Königreichs ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger gesetzt hat. Im ersten Rechtszug hat ITV konkrete Beispiele in Bezug auf eine vom Wirtschaftsprüfungsunternehmen Deloitte LLP untersuchte Stichprobe von 25 Steuerpflichtigen(61) mit Mutterunternehmen im Vereinigten Königreich angeführt, die auf Auskunftsersuchen der HMRC im Hinblick auf Finanzierungsstrukturen geantwortet hätten, die Kapitel 9 unterlägen und vom angefochtenen Beschluss betroffen seien. Nach einer eingehenden Analyse der Aufgaben der Entscheidungsträger seien drei Steuerpflichtige zu dem Ergebnis gekommen, dass keine der Aufgaben ihrer Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich ausgeführt würden, 22 Steuerpflichtige hätten festgestellt, dass ein Minderheitsanteil der Aufgaben ihrer Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich ausgeführt werde, während keiner dieser Steuerpflichtigen angegeben hätte, dass 100 % der Aufgaben seiner Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich ausgeführt werde. Nur in drei Fällen hätten die Schlussfolgerungen der HMRC und des jeweiligen Steuerpflichtigen miteinander übereingestimmt. Die Unterschiede in der Herangehensweise sind aus dem geschwärzten Bericht von Deloitte ersichtlich, der dem Gericht vorgelegt wurde(62). Diese Unstimmigkeiten veranschaulichen die Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten des Kriteriums der Aufgaben der Entscheidungsträger, wenn es darum geht, den Steuerpflichtigen durchwegs verlässliche und faire Ergebnisse zu bieten, und zeigt dementsprechend die Notwendigkeit eines klar abgegrenzten, vernünftigen Kriteriums in Form von Kapitel 9. Eine solche Subjektivität kann das Verständnis der Analyse der Aufgaben der Entscheidungsträger als bloßer Teil der nach den CFC‑Vorschriften zur Verfügung stehenden Instrumente nur bestätigen und bestärkt die Plausibilität des Vorbringens des Vereinigten Königreichs zu verwaltungstechnischen Schwierigkeiten bei der Einzelbewertung der Aufgaben der Entscheidungsträger sowohl auf Seiten der Steuerverwaltung als auch auf Seiten der Steuerpflichtigen.
160. Ich neige dazu, ITV zuzustimmen, dass die Kommission und das Gericht die Analyse der Aufgaben der Entscheidungsträger fehlerhaft als Kernelement der CFC‑Vorschriften aufgefasst und Kapitel 9 in diesem Zusammenhang folglich als Befreiung angesehen haben. Wie ich gezeigt habe, handelt es sich bei Kapitel 9 vielmehr um ein Referenzinstrument, das weitgehend vor Überkapitalisierung schützt und mit dem ein alternativer Anknüpfungspunkt für die britische Steuer festgelegt werden soll, die dem Vereinigten Königreich theoretisch entgangen ist. Insbesondere soll damit keine Alternative zu im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger in Bezug auf konzerninterne Finanzierungen geschaffen werden.
161. Auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen ergibt die Analyse des Wortlauts und des Zusammenhangs der Kapitel 4 und 5 in Bezug auf die Aufgaben der Entscheidungsträger, dass der Kommission nicht der Nachweis gelungen ist, dass die vom betreffenden Mitgliedstaat vorgebrachte Auslegung des Wortlauts und des Zusammenhangs der Vorschriften in Bezug auf diese Aufgaben offensichtlich fehlerhaft wäre.
– g) Zwischenergebnis
162. Aus alledem folgt, dass die korrekte Anwendung der in den Nrn. 55 und 56 der vorliegenden Schlussanträge in Erinnerung gerufenen Grundsätze aus der Rechtsprechung bestätigt, dass sich die CFC‑Vorschriften im vorliegenden Fall nicht vom allgemeinen Körperschaftsteuersystem trennen lassen, da sie einen integralen Bestandteil und eine Ergänzung dieses Systems darstellen. Dementsprechend hätte der richtige Bezugsrahmen im vorliegenden Fall das allgemeine Körperschaftsteuersystem sein müssen und nicht die CFC‑Vorschriften.
163. Aus der in Nr. 54 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs und den vorstehenden Erwägungen folgt, dass ein „bei [der] Bestimmung [des Bezugsrahmens] begangener Fehler zwangsläufig dazu [führt], dass die gesamte Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität mit einem Mangel behaftet ist“.
164. Infolgedessen ist das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben und der angefochtene Beschluss für nichtig zu erklären.
165. Es ist daher nicht erforderlich, die anderen Rechtsmittelgründe zu prüfen. Ich werde jedoch – der Vollständigkeit halber – eine kurze Analyse für den Fall vornehmen, dass der Gerichtshof meiner vorstehenden Bewertung nicht folgen sollte.
2. Zweiter und dritter Rechtsmittelgrund des Vereinigten Königreichs, zweiter Rechtsmittelgrund von ITV sowie dritter Rechtsmittelgrund von LSEGH – Zweite Stufe (Vorliegen eines selektiven Vorteils)
a) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
166. Das Vereinigte Königreich und ITV machen (mit ihrem jeweiligen zweiten Rechtsmittelgrund) im Wesentlichen geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es entschieden habe, dass die CFC‑Gesetzgebung des Vereinigten Königreichs einen Vorteil verschafft habe. Dieser Rechtsfehler habe sich aus der Verfälschung und fehlerhaften Würdigung des Sachverhalts in Bezug auf die Rolle der Aufgaben der Entscheidungsträger in der CFC‑Gesetzgebung des Vereinigten Königreichs und der Wechselwirkung zwischen deren Kapiteln 5 und 9 ergeben.
167. Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund macht das Vereinigte Königreich geltend, das Gericht habe bei der Prüfung der Zielsetzung und der Selektivität der CFC‑Gesetzgebung des Vereinigten Königreichs einen Rechtsfehler begangen. Das angefochtene Urteil enthalte wiederholte Verfälschungen und/oder offensichtliche Verständnisfehler in Bezug auf die Rolle der Aufgaben der Entscheidungsträger in der CFC‑Gesetzgebung des Vereinigten Königreichs und das Verhältnis zwischen den Kapiteln 5 und 9. Das Gericht habe es zudem versäumt, Kernelemente des Vorbringens des Vereinigten Königreichs wiederzugeben oder zu behandeln, was einen Verstoß gegen seine Begründungspflicht darstelle.
168. LSEGH machen mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe in Bezug auf die Prüfung eines selektiven Vorteils einen Rechtsfehler begangen. Insbesondere habe das Gericht einen Fehler begangen, indem es festgestellt habe, dass Wirtschaftsteilnehmer, die die Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierungen in Kapitel 9 hätten in Anspruch nehmen können, mit Unternehmen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Situation gewesen seien, die diese nicht hätten in Anspruch nehmen können.
169. Die Kommission tritt dem vorstehenden Vorbringen entgegen.
b) Würdigung
170. Sollte der Gerichtshof die Schlussfolgerung des Gerichts zur ersten Stufe der Prüfung (Abgrenzung des Bezugsrahmens) bestätigen – was ich für unwahrscheinlich halte – wird zu überprüfen sein, ob das Ergebnis, zu dem das Gericht in Bezug auf die zweite Stufe der Prüfung gelangt ist (ob die steuerliche Maßnahme eine Abweichung vom Bezugsrahmen darstellt), ebenfalls korrekt ist. Dies würde eine Prüfung der Frage beinhalten, ob die in Rede stehenden Befreiungen Abweichungen vom Bezugsrahmen darstellen, was der Fall wäre, wenn damit Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern getroffen würden, die sich im Hinblick auf das mit diesem Rahmen verfolgte Ziel in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Situation befänden.
171. Ich muss zugeben, dass mir dieses Unterfangen recht theoretisch erscheint, da ein Vorliegen von Unterscheidungen wie den soeben genannten nur in Frage kommt, wenn der Gerichtshof meinen Schlussanträgen in Bezug auf den Bezugsrahmen nicht folgt und zu dem Ergebnis gelangt, dass im vorliegenden Fall Teil 9A TIOPA mit Ausnahme von Kapitel 9 (in dem die in Rede stehenden Befreiungen vorgesehen sind) den Bezugsrahmen darstellt. Denn wenn man davon ausgeht, dass der Bezugsrahmen durch Teil 9A TIOPA einschließlich von Kapitel 9 gebildet wird, ist schwer zu verstehen, wie geprüft werden könnte, ob die vom Gericht bestätigten Ausführungen der Kommission für die Feststellung ausreichen, dass Kapitel 9 Befreiungen enthält, die von diesem Bezugsrahmen abweichen, obwohl sie einen Teil des Bezugsrahmens darstellen.
172. Gleichwohl ändert auch die theoretische Annahme einer Feststellung, wonach alle CFC‑Vorschriften den Bezugsrahmen bilden würden, nichts daran, dass – wie ich im Rahmen meiner Ausführungen zur ersten Stufe der Prüfung eingehend erörtert habe – die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften durch das Vereinigte Königreich nicht von der Kommission widerlegt wurde (insoweit, als sie nicht nachgewiesen hat, dass die vom Vereinigten Königreich vorgetragene Auslegung seiner nationalen Rechtsvorschriften offensichtlich fehlerhaft ist). Insbesondere handelt es sich bei Kapitel 9 weder um eine Abweichung noch um eine Ausnahme von Kapitel 5(63), sondern vielmehr um ein ergänzendes und alternatives Instrument, mit dem die Steuerschuld bemessen werden kann, wenn bestimmte, konkrete Voraussetzungen erfüllt sind.
173. Erstens haben die Kommission und das Gericht, wie ich in meinen Ausführungen zur ersten Stufe der Prüfung darlege, tatsächlich einen Fehler begangen, indem sie festgestellt haben, dass Kapitel 9 Befreiungen von der CFC‑Abgabe zugunsten der nicht gewerblichen Finanzierungserträge von CFC vorsähen, die andernfalls nach Kapitel 5 steuerbar wären. Das Gericht hat der Rolle des Kriteriums der im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger eine zu große Bedeutung zugemessen, indem es entschieden hat, dass alle nicht gewerblichen Finanzierungserträge eines CFC, die dieses Kriterium erfüllten, automatisch als künstlich aus dem Vereinigten Königreich weggeleitet zu beurteilen seien und folglich gemäß Kapitel 5 der CFC‑Abgabe unterlägen. Bestimmte Arten von Gestaltungen, nämlich qualifizierte Darlehensverhältnisse, stellen unabhängig von der Ausführung der Aufgaben der Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich kein hohes Risiko der künstlichen Wegleitung von Gewinnen dar. Andere Gestaltungen, nämlich solche, die sich nicht unter qualifizierte Darlehensverhältnisse subsumieren lassen, bringen, wiederum unabhängig von der Ausführung der Aufgaben der Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich, ein solches Risiko mit sich.
174. Zweitens ergibt sich aus meinen Ausführungen zur ersten Stufe der Prüfung, dass die Kommission und das Gericht es versäumt haben, zu berücksichtigen, dass die CFC‑Vorschriften insgesamt im Licht ihrer Zielsetzung nach einem Ansatz konzipiert wurden, der auf dem Risiko basiert, das die Gewinne von CFC für das allgemeine Körperschaftsteuersystem (dessen integralen Bestandteil die CFC‑Vorschriften darstellen) mit sich bringen. Das Ziel dieser Vorschriften ist es, Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung entgegenzutreten, wobei die Kommission und das Gericht zu Unrecht nur die Gewinnverlagerung anerkannt haben.
175. Drittens haben sich die Kommission und das Gericht, wie sich aus meinen Ausführungen zur ersten Stufe der Prüfung ergibt, bei dem Vergleich zwischen nicht gewerblichen Finanzierungserträgen von CFC, auf die die in Rede stehenden Befreiungen anwendbar waren, und von diesen Befreiungen ausgeschlossenen nicht gewerblichen Finanzierungserträgen auf die Bejahung der Frage beschränkt, ob all diese Erträge das Kriterium der im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger erfüllen können, anstatt die mit den verschiedenen Erträgen verbundene Höhe des Risikos für das allgemeine Körperschaftsteuersystems in Betracht zu ziehen.
176. Daraus folgt, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es die Auslegung der zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats durch die Kommission bestätigt hat und dadurch hinsichtlich des Vorliegens eines Vorteils und der Rolle der Aufgaben der Entscheidungsträger innerhalb dieser nationalen Rechtsvorschriften zu einer fehlerhaften rechtlichen Schlussfolgerung gelangt ist. In gleicher Weise sind dem Gericht entsprechende Fehler in Bezug auf das Ziel der CFC‑Vorschriften (und dasjenige des allgemeinen Körperschaftsteuersystems) unterlaufen.
177. Sollte der Gerichtshof meiner vorstehenden Bewertung nicht folgen und die Feststellungen des Gerichts zum a priori selektiven Charakter der in Rede stehenden Befreiungen bestätigen – was ich für unwahrscheinlich halte – wird das Vorbringen der Rechtsmittelführer zu der Art und Weise, in der das Gericht die mögliche Rechtfertigung dieser Befreiungen geprüft hat, zu würdigen sein.
3. Vierter Rechtsmittelgrund des Vereinigten Königreichs, dritter Rechtsmittelgrund von ITV sowie fünfter Rechtsmittelgrund von LSEGH – Stufe 3a (Rechtfertigung der in Rede stehenden Befreiungen durch die Notwendigkeit der Gewährleistung einer verwaltungstechnischen Durchführbarkeit)
a) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
178. Das Vereinigte Königreich macht mit seinem vierten Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe es versäumt, sein Vorbringen zu behandeln, wonach die Unterscheidung zwischen im Vereinigten Königreich ausgeführten Aufgaben der Entscheidungsträger und mit dem Vereinigten Königreich verbundenen Kapital im angefochtenen Beschluss vernunftwidrig sei, was einen Verstoß gegen die Begründungspflicht darstelle. Außerdem habe das Gericht die Rechtfertigung der verwaltungstechnischen Durchführbarkeit mit zwei im Zusammenhang mit angeblich fehlenden Nachweisen gegenüber dem Gericht stehenden Gründen zurückgewiesen. Keiner von beiden sei begründet und beide würden eine offensichtliche Verfälschung des vor dem Gericht in Rede stehenden Sachverhalts beinhalten.
179. ITV macht mit seinem dritten Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler und/oder einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, indem es entschieden habe, dass die Befreiungen, falls diese einen selektiven Vorteil verschaffen würden (was nicht der Fall sei), nicht aus Gründen der verwaltungstechnischen Durchführbarkeit gerechtfertigt werden könnten.
180. LSEGH tragen im Rahmen ihres fünften Rechtsmittelgrundes vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es festgestellt habe, dass die Steuerbefreiungen für konzerninterne Finanzierungen in Kapitel 9 nicht aufgrund des Wesens und des Aufbaus des Bezugsrahmens gerechtfertigt gewesen seien.
181. Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.
b) Würdigung
182. Im ersten Teil meiner Schlussanträge (zum Bezugsrahmen) habe ich dargelegt, dass die Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften durch das Vereinigte Königreich in Bezug auf ihren Zweck, ihren Inhalt und ihre konkreten Wirkungen plausibel ist und dass die Auslegung dieser nationalen Vorschriften durch die Kommission im angefochtenen Beschluss folglich fehlerhaft war. Was die im Zusammenhang mit der verwaltungstechnischen Durchführbarkeit der Analyse der Aufgaben der Entscheidungsträger bestehenden Probleme betrifft, bin ich auf diese in den Nrn. 157 bis 159 und 173 der vorliegenden Schlussanträge im Einzelnen eingegangen.
183. Es genügt daher – ähnlich wie der Gerichtshof in der Rechtssache Andres(64) – darauf hinzuweisen, dass das Gericht auf der Grundlage seiner rechtsfehlerhaften Würdigung (wonach die Kommission bei der Auslegung der zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschriften keinen Fehler begangen habe)(65) das weitere Vorbringen der Rechtsmittelführer geprüft hat, mit dem die Rechtfertigung der in Rede stehenden Befreiungen durch die Notwendigkeit der Gewährleistung einer verwaltungstechnischen Durchführbarkeit dargetan werden sollte. Der vorstehend beschriebene Rechtsfehler führt zwangsläufig dazu, dass auch die Prüfung einer solchen Rechtfertigung durch das Gericht mit einem Mangel behaftet ist(66).
184. Für den theoretischen Fall einer Würdigung dieser Rechtsmittelgründe durch den Gerichtshof müsste diesen jedoch zwangsläufig stattgegeben werden.
4. Fünfter Rechtsmittelgrund des Vereinigten Königreichs, vierter Rechtsmittelgrund von ITV sowie fünfter Rechtsmittelgrund von LSEGH – Stufe 3b (Rechtfertigung der in Rede stehenden Befreiungen durch die Notwendigkeit, die Beachtung der Niederlassungsfreiheit zu gewährleisten)
a) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
185. Das Vereinigte Königreich macht mit seinem fünften Rechtsmittelgrund geltend, die Begründung des Gerichts enthalte einen offensichtlichen Rechtsfehler im Hinblick auf die Voraussetzung der Niederlassungsfreiheit und die Bedeutung des Urteils in der Rechtssache Cadbury, die einer Verkennung dieser Rechtssache gleichkämen. Die Schlussfolgerung des Gerichts hierzu enthalte mehrere Fehler. Erstens beruhe sie auf einem Verkennen der Rolle der Aufgaben der Entscheidungsträger in der CFC‑Gesetzgebung des Vereinigten Königreichs. Zweitens scheine das Gericht davon ausgegangen zu sein, dass das Vereinigte Königreich ein rein territorial basiertes System verabschiedet habe. Drittens werde es in diesem Teil des angefochtenen Urteils versäumt, die umfangreichen Ausführungen des Vereinigten Königreichs in Bezug auf die Auswirkungen der Cadbury-Rechtsprechung auf die Ausgestaltung seiner CFC‑Gesetzgebung wiederzugeben oder zu behandeln.
186. ITV macht mit seinem vierten Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es versäumt habe, das Urteil in der Rechtssache Cadbury angemessen zu berücksichtigen und anzuwenden. Insbesondere habe das Gericht dies bei der Prüfung des Referenzrahmens, des selektiven Vorteils sowie der Frage versäumt, ob die Befreiungen ganz oder teilweise zum Schutz der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV gerechtfertigt seien. Ferner bzw. hilfsweise habe es das Gericht versäumt, seine Feststellungen angemessen zu begründen.
187. LSEGH machen mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es festgestellt habe, dass die Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierungen in Kapitel 9 nicht aufgrund des Wesens und des Aufbaus des Bezugsrahmens gerechtfertigt sei.
188. Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen.
b) Würdigung
189. Wie ich in den Nrn. 182 und 183 der vorliegenden Schlussanträge erörtert habe, ist die Analyse des Vorbringens der Rechtsmittelführer, mit dem eine Rechtfertigung der in Rede stehenden Befreiungen (u. a. durch den vorliegenden Rechtfertigungsgrund) dargetan werden sollte, durch das Gericht, insoweit dieses zu Unrecht die fehlerhafte Auslegung der zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschriften durch die Kommission bestätigt hat, ebenfalls zwangsläufig mit einem Mangel behaftet.
190. Es genügt daher, darauf hinzuweisen, dass ich in den Nrn. 73 bis 77 der vorliegenden Schlussanträge zu dem Ergebnis gelangt bin, dass es die Absicht des britischen Gesetzgebers war, insbesondere dem Urteil in der Rechtssache Cadbury nachzukommen, und die Kommission keine Argumente vorgetragen hat, die es dem Gerichtshof erlauben würden, dieses Verständnis als offensichtlich fehlerhaft in Frage zu stellen.
191. Für den theoretischen Fall einer Würdigung dieser Rechtsmittelgründe durch den Gerichtshof müsste diesen jedoch zwangsläufig stattgegeben werden.
5. Vierter Rechtsmittelgrund von LSEGH
a) Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
192. LSEGH machen geltend, das Gericht habe die Art. 263 und 296 AEUV verletzt, indem es versäumt habe, sich mit den Klagegründen zu befassen und seiner Begründungspflicht nachzukommen, da es die Begründung der Kommission im angefochtenen Beschluss durch seine eigene Begründung ersetzt habe.
193. Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen und macht geltend, das Gericht habe ihre Feststellungen zum Fehlen einer Rechtfertigung der Abweichung vom Bezugsrahmen aus Gründen der verwaltungstechnischen Durchführbarkeit zu Recht bestätigt und sei seiner Begründungspflicht nachgekommen.
b) Würdigung
194. Wie ich in den Nrn. 182 und 183 der vorliegenden Schlussanträge erörtert habe, ist die Analyse des Vorbringens der Rechtsmittelführer, mit dem eine Rechtfertigung der in Rede stehenden Befreiungen (u. a. durch den vorliegenden Rechtfertigungsgrund) dargetan werden sollte, durch das Gericht, insoweit dieses zu Unrecht die fehlerhafte Auslegung der zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschriften durch die Kommission bestätigt hat, ebenfalls zwangsläufig mit einem Mangel behaftet.
195. Für den theoretischen Fall einer Würdigung dieses Rechtsmittelgrundes durch den Gerichtshof müsste diesem jedoch zwangsläufig stattgegeben werden.
IV. Ergebnis
196. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,
1. das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 8. Juni 2022, Vereinigtes Königreich und ITV/Kommission (T‑363/19 und T‑456/19, EU:T:2022:349), aufzuheben;
2. den Beschluss (EU) 2019/1352 der Kommission vom 2. April 2019 über die staatliche Beihilfe SA.44896 des Vereinigten Königreichs im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierungen für beherrschte ausländische Unternehmen (CFC) aufzuheben;
3. der Europäischen Kommission die Kosten der Rechtsmittelverfahren sowie der Verfahren im ersten Rechtszug aufzuerlegen.
1 Originalsprache: Englisch.
2 Beschluss vom 2. April 2019 über die staatliche Beihilfe SA.44896 des Vereinigten Königreichs im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung für konzerninterne Finanzierungen für beherrschte ausländische Unternehmen (CFC) (ABl. 2019, L 216, S. 1) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).
3 Der vollständige Text von Teil 9A TIOPA wurde als Anlage A.3 zur Rechtsmittelschrift des Vereinigten Königreichs in der Rechtssache C‑555/22 P vorgelegt. Er ist abrufbar unter https://www.legislation.gov.uk/ukpga/2010/8/contents/.
4 Es wird davon ausgegangen, dass die Ermittlung des Ortes der Ausführung der Aufgaben der Entscheidungsträger einen hilfreichen Hinweis darauf liefert, wo das Risiko in Bezug auf Vermögenswerte verwaltet wird und auch einen guten Anhaltspunkt für den Standort von Vermögenswerten, aus denen Gewinne erzielt werden.
5 Das Vereinigte Königreich war zum maßgeblichen Zeitpunkt noch ein Mitgliedstaat.
6 Richtlinie des Rates vom 12. Juli 2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts (ABl. 2016, L 193, S. 1).
7 Vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 77, 78 und 80 bis 83).
8 Vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 85).
9 Vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 86).
10 Vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 87).
11 Vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 88).
12 Vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 89 und 90).
13 Urteil der Großen Kammer vom 12. September 2006 (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 72 und 73, im Folgenden: Urteil in der Rechtssache Cadbury).
14 Urteil der Großen Kammer vom 8. November 2022, Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission (C‑885/19 P und C‑898/19 P, EU:C:2022:859, im Folgenden: Urteil in der Rechtssache Fiat).
15 Vgl. Urteil der Großen Kammer vom 5. Dezember 2023, Luxemburg u. a./Kommission (C‑451/21 P und C‑454/21 P, EU:C:2023:948, Rn. 76 und 77 und die dort angeführte Rechtsprechung, im Folgenden: Urteil in der Rechtssache Engie).
16 Urteil in der Rechtssache Fiat (Rn. 85). Vgl. auch Urteil in der Rechtssache Engie (Rn. 78).
17 Vgl. Urteil in der Rechtssache Engie (Rn. 79).
18 Vgl. Urteil vom 3. April 2014, Frankreich/Kommission (C‑559/12 P, EU:C:2014:217, Rn. 81).
19 Urteil in der Rechtssache Fiat (Rn. 82 und 85).
20 Nrn. 46 ff. der vorliegenden Schlussanträge.
21 Urteil in der Rechtssache Fiat (Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung (Hervorhebung nur hier).
22 Ebd. (Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Urteil der Großen Kammer vom 6. Oktober 2021, World Duty Free Group und Spanien/Kommission (C‑51/19 P und C‑64/19 P, EU:C:2021:793, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung, im Folgenden: Urteil in der Rechtssache World Duty Free).
24 Ebd. (Rn. 63).
25 Vgl. auch Urteil in der Rechtssache Engie (Rn. 112 und 118).
26 Urteil in der Rechtssache Engie (Rn. 119 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Ebd. (Rn. 111 und 120 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 “Bei der Prüfung der Frage, ob ein selektiver Steuervorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt, und der Feststellung, welche Steuerbelastung ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, dürfen daher Parameter und Regeln, die außerhalb des fraglichen nationalen Steuersystems liegen, nicht berücksichtigt werden, es sei denn, das nationale Steuersystem bezieht sich ausdrücklich darauf“ (Hervorhebung nur hier).
29 Der Begriff „ausdrücklich“ wird vom Gerichtshof in den Urteilen in den Rechtssachen Fiat und Amazon (Urteil vom 14. Dezember 2023, Kommission/Amazon.com u. a., C‑457/21 P, EU:C:2023:985) verwendet, nicht aber im Urteil in der Rechtssache Engie.
30 Urteil in der Rechtssache Engie (Rn. 121).
31 Siehe Nrn. 53 bis 65 der vorliegenden Schlussanträge.
32 Vgl. Urteil in der Rechtssache World Duty Free (Rn. 63).
33 Siehe erster Teil der vorliegenden Schlussanträge (Nrn. 67 bis 115).
34 Vgl. Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), BEPS-Projekt, Inklusiver Rahmen der OECD und der G20 gegen BEPS, Punkt 3, Beherrschtes ausländisches Unternehmen, https://www.oecd.org/tax/beps/beps-actions/action3/.
35 Vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 109 bis 120).
36 Vgl. insbesondere angefochtenes Urteil (Rn. 85 und 87).
37 Vgl. seine Schlussanträge in der Rechtssache Andres (Insolvenz Heitkamp BauHolding)/Kommission (C‑203/16 P, EU:C:2017:1017, Nr. 109).
38 Urteil vom 28. Juni 2018, Andres (Insolvenz Heitkamp BauHolding)/Kommission (C‑203/16 P, EU:C:2018:505, Rn. 101 bis 103, im Folgenden: Urteil in der Rechtssache Andres). Siehe auch Nr. 55 der vorliegenden Schlussanträge.
39 Urteil in der Rechtssache World Duty Free (Rn. 94): „[N]ationale Steuervorschriften [können] nicht durch den Rückgriff auf eine bestimmte Regelungstechnik von vornherein der im AEU-Vertrag vorgesehenen Kontrolle im Bereich der staatlichen Beihilfen entzogen werden … und dieser Rückgriff [kann] auch nicht zur Bestimmung des für die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität maßgebenden [Bezugsrahmens] ausreichen …, da sonst die Form der staatlichen Maßnahmen in entscheidender Weise Vorrang vor ihren Wirkungen genösse“ (Hervorhebung nur hier); und Urteil in der Rechtssache Fiat (Rn. 70): „[D]ie Regelungstechnik [kann] nicht entscheidend für die Feststellung der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme sein“. Vgl. auch Urteil in der Rechtssache Andres (Rn. 92).
40 Vgl. OECD, Glossary of Tax Terms (OECD Web Archive).
41 Vgl. Teil 9A Kapitel 2 Art. 371BC Abs. 3 Buchst. b TIOPA.
42 Vgl. Urteil in der Rechtssache World Duty Free (Rn. 63).
43 Es lassen sich viele Beispiele finden, in denen sich die CFC‑Gesetzgebung auch auf andere Bestimmungen der Körperschaftsteuergesetzgebung stützt. In Kapitel 9 verweisen die Art. 371IB Abs. 1 und 371IH Abs. 1 beide auf Bestimmungen des CTA 2009. Für zentrale Begriffsbestimmungen wie „steuerbarer Gesamtgewinn“ in Art. 371SB wird auf das CTA 2010 verwiesen. Die Art. 371SD bis 371SR enthalten eine Reihe an „Körperschaftsteuervermutungen“, wonach Vorschriften aus der Körperschaftsteuergesetzgebung angewandt werden. Teil 9A Kapitel 21 („Verwaltung“) TIOPA baut maßgeblich auf anderen Bestimmungen auf, insbesondere auf solchen aus dem Finance Act 1998 (Finanzgesetz 1998). In Teil 9A Kapitel 22 („Begriffsbestimmungen“) TIOPA wird häufig auf die Körperschaftsteuergesetzgebung verwiesen.
44 Vgl. Fn. 11 der Erwiderung des Vereinigten Königreichs vor dem Gericht (und Anlage A.9 in der Rechtssache C‑555/22 P).
45 Vgl. Art. 371IA Abs. 10 Buchst. a.
46 Goeth, P., „UK Cases“, in Kofler u. a. (Hrsg.), CJEU – Recent developments in direct taxation 2021 (2022), Linde Digital.
47 Vgl. Urteil in der Rechtssache World Duty Free (Rn. 62).
48 Siehe Nrn. 58 bis 65 der vorliegenden Schlussanträge.
49 Das „interne Handbuch“ der Steuerbehörde des Vereinigten Königreichs (His Majesty’s Revenue & Customs, HMRC), u. a. zu CFC. Vgl. Abschnitt INTM216800. Quelle: https://www.gov.uk/hmrc-internal-manuals/international-manual/intm190000 (im Folgenden: HMRC‑Handbuch).
50 Art. 371CB Abs. 8 stellt klar, dass nicht gewerbliche Finanzierungserträge, die nach Kapitel 9 besteuert werden nicht auch nach Kapitel 5 besteuert werden können. Entweder ist Kapitel 9 oder aber Kapitel 5 ausschließlich anwendbar.
51 Die Auslegung des Vereinigten Königreichs entspricht auch dem HMRC‑Handbuch.
52 Siehe Fn. 50.
53 Auf dieses Verhältnis werde ich in den Nrn. 150 ff. der vorliegenden Schlussanträge zurückkommen.
54 Das erste Beispiel ist eine Situation, in der ein Steuerpflichtiger ein CFC beherrscht, das Vertragspartei mehrerer qualifizierter Darlehensverhältnisse ist, und in der in Bezug auf bestimmte dieser Darlehensverhältnisse mehr als 25 % der damit verbundenen nicht gewerblichen Finanzierungserträge ohne einen Antrag nach Kapitel 9 unter Kapitel 5 fallen würden, aber in der dies in Bezug auf andere der qualifizierten Darlehensverhältnisse des CFC für weniger als 25 % der damit verbundenen nicht gewerblichen Finanzierungserträge nicht der Fall wäre. In einer solchen Situation würde die Wahl von Kapitel 9 die Steuerbelastung mit der CFC‑Abgabe im Hinblick auf die erste Kategorie qualifizierter Darlehensverhältnisse reduzieren, diese jedoch im Hinblick auf die zweite Kategorie dieser Darlehensverhältnisse erhöhen. Ein Steuerpflichtiger kann sich jedoch nicht dafür entscheiden, dass Kapitel 9 nur in Bezug auf bestimmte qualifizierte Darlehensverhältnisse eines CFC angewandt wird; wenn ein Antrag gestellt wird, gilt dieses Kapitel für alle qualifizierten Darlehensverhältnisse. Jedoch könnte sich ein vernünftiger Steuerpflichtiger dennoch dafür entscheiden, einen solchen Antrag zu stellen, wenn er der Ansicht ist, dass er unter Berücksichtigung beider Kategorien qualifizierter Darlehensverhältnisse insgesamt davon profitieren wird. Das zweite Beispiel ist eine Situation, in der ein Steuerpflichtiger davon ausgeht, dass weniger als 25 % der nicht gewerblichen Finanzierungserträge aus qualifizierten Darlehensverhältnissen eines bestimmten CFC unter Kapitel 5 fallen würden, in der jedoch die Steuerbehörde des Vereinigten Königreichs an der Beurteilung durch den Steuerpflichtigen zweifelt. In einer solchen Situation könnte sich der Steuerpflichtige vernünftigerweise für die Anwendung von Kapitel 9 auf das CFC entscheiden, um Rechtssicherheit zu erlangen und die Kosten eines Rechtsstreits mit der HMRC zu vermeiden. In diesem Fall wären in Bezug auf 25 % der betreffenden nicht gewerblichen Finanzierungserträge nach Maßgabe von Kapitel 9 die Voraussetzungen für die Erhebung der CFC‑Abgabe erfüllt, selbst wenn der Steuerpflichtige theoretisch Recht haben könnte und dies nach Maßgabe von Kapitel 5 für weniger als 25 % dieser Erträge der Fall wäre.
55 Siehe Nr. 129 der vorliegenden Schlussanträge.
56 Vgl. die in Nr. 63 der vorliegenden Schlussanträge angeführte Rechtsprechung.
57 Siehe insbesondere Nr. 129 der vorliegenden Schlussanträge.
58 Vgl. Urteil in der Rechtssache Fiat (Rn. 70 und 72). Insbesondere haben die Kommission und das Gericht es versäumt, den risikobasierten Charakter des in Teil 9A TIOPA enthaltenen Rechtsrahmens zu berücksichtigen.
59 Im Rahmen seines Rechtsmittelgrundes betreffend die Bestimmung des Bezugsrahmens bringt ITV ähnliche Argumente vor.
60 Das Gericht ist wiederholt davon ausgegangen, dass im Fall der Ausführung der Aufgaben der Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich alle nicht gewerblichen Finanzierungserträge, die diesen Aufgaben zuzuordnen seien, aus dem Vereinigten Königreich weggeleitet würden, vgl. angefochtenes Urteil (Rn. 106, 139 bis 143, 148 und 149, 150 bis 154, 155 bis 159, 162 bis 165, 176 und 177, 179 und 180, 199 und 201).
61 Diese Stichprobe wurde aus anonymen Daten von Steuerpflichtigen gewonnen, die Berichte über die Aufgaben der Entscheidungsträger erstellt hatten, die der HMRC übermittelt wurden. Der Bericht von Deloitte wurde dem Gericht von ITV als Anlage E1 vorgelegt.
62 Viele Steuerpflichtige haben eine eingehende Analyse der Aufgaben der Entscheidungsträger durchgeführt, um festzustellen, ob sie im vorliegenden Fall eine staatliche Beihilfe erhalten haben. Eine Reihe davon stellte fest, dass die CFC zwar mittels mit dem Vereinigten Königreich verbundenen Kapital gegründet worden seien, jedoch keine wesentlichen Aufgaben der Entscheidungsträger im Vereinigten Königreich ausgeführt worden seien. Mehr als die Hälfte der ursprünglich beim Gericht erhobenen Nichtigkeitsklagen wurden auf dieser Grundlage zurückgenommen.
63 Siehe insbesondere Nr. 129 der vorliegenden Schlussanträge.
64 Vgl. Rn. 106 und 107.
65 Siehe insbesondere Nrn. 113 bis 115 sowie Nrn. 162 bis 164 der vorliegenden Schlussanträge.
66 Vgl. entsprechend Urteil vom 16. September 2021, Kommission/Belgien und Magnetrol International (C‑337/19 P, EU:C:2021:741, Rn. 120 bis 122).