BFH: Neue Gesellschafter bei einer mittelbaren Änderung des Gesellschafterbestands einer grundbesitzenden Personengesellschaft
BFH, Urteil vom 21.8.2024 – II R 16/22
ECLI:DE:BFH:2024:U.210824.IIR16.22.0
Volltext:BB-ONLINE BBL2025-214-3
Amtlicher Leitsatz
Wird eine an der grundbesitzenden Personengesellschaft mittelbar beteiligte Personengesellschaft in die Gesellschafterstruktur eingefügt (Verlängerung der Beteiligungskette), ohne dass sich die Gesellschafter geändert haben, ist kein neuer Gesellschafter der grundbesitzenden Personengesellschaft im Sinne von § 1 Abs. 2a Satz 1 des Grunderwerbsteuergesetzes hinzugekommen.
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG. Ihre Geschäftsleitung befindet sich in … Sie hat Grundbesitz in mehreren Finanzamtsbezirken.
An der Klägerin war die X KG mittelbar zu 100 % über eine Beteiligung an einer weiteren KG beteiligt. An der X KG waren bis einschließlich 16.12.2015 AB und CB in Höhe von jeweils 20 %, EG in Höhe von 20 %, MG in Höhe von 30 % und TG in Höhe von 10 % beteiligt.
Mit notarieller Urkunde vom 17.12.2015 schenkte EG ihren Söhnen MG und TG jeweils hälftig ihren Anteil an der X KG, so dass MG nunmehr mit 40 %, TG nunmehr mit 20 % an der X KG beteiligt waren. Mit notariell beurkundetem Vertrag ebenfalls vom 17.12.2015 wurde vereinbart, dass MG seinen Anteil an der X KG in Höhe von 40 % in die Y S.r.L. (Y), eine Kapitalgesellschaft italienischen Rechts, einbringt. Außerdem wurde vereinbart, dass TG seinen Anteil an der X KG in Höhe von 20 % in die Z S.r.L. (Z), ebenfalls eine Kapitalgesellschaft italienischen Rechts, einbringt. Schließlich kamen die Parteien überein, dass AB und CB ihre Anteile an der X KG in Höhe von jeweils 20 % in die am 20.10.2015 gegründete W KG einbringen. Kommanditisten der W KG mit einem Anteil in Höhe jeweils von 50 % waren AB und CB.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) sah durch die Umstrukturierung den Tatbestand des § 1 Abs. 2a des Grunderwerbsteuergesetzes i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2015 vom 02.11.2015 (BGBl I 2015, 1834, BStBl I 2015, 846) ‑‑GrEStG‑‑ als erfüllt an und erließ gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 der Abgabenordnung (AO) stehenden Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer (Feststellungsbescheid) vom 30.06.2017. Im Hinblick auf die nunmehr über die W KG vermittelten Beteiligungen von AB und CB an der X KG gewährte das FA eine Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 3 GrEStG in Höhe von 40 %. Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens ergingen am 27.10.2017 und 15.01.2018 aus revisionsrechtlich nicht relevanten Gründen zwei auf § 164 Abs. 2 AO gestützte Änderungsbescheide. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 16.03.2018 als unbegründet zurückgewiesen und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben.
Am 03.07.2018 änderte das FA, gestützt auf § 165 Abs. 2 Satz 1 AO, den zuletzt geänderten Feststellungsbescheid aus revisionsrechtlich nicht relevanten Gründen.
Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) hatte keinen Erfolg. § 1 Abs. 2a GrEStG sei auf Ebene der X KG als mittelbare Beteiligung an der Klägerin verwirklicht worden, da 100 % der Anteile an der Klägerin mittelbar innerhalb von fünf Jahren auf neue Gesellschafter übergegangen seien (40 % auf die Y, 20 % auf die Z und 40 % auf die W KG). Es sei für die Verwirklichung des § 1 Abs. 2a GrEStG unerheblich, dass an der W KG AB und CB unmittelbar jeweils zu 50 % als Kommanditisten beteiligt seien und daher nach wie vor zumindest wirtschaftlich mittelbar eine insgesamt 40%ige Beteiligung an der Klägerin hielten. Diesem Umstand werde durch die Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 3 GrEStG in Höhe von 40 % Rechnung getragen.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin eine Verletzung von § 1 Abs. 2a GrEStG geltend. Personengesellschaften seien hinsichtlich der Frage, ob innerhalb von fünf Jahren mittelbar 95 % der Anteile an der grundbesitzenden Personengesellschaft auf neue Gesellschafter übergegangen seien, als transparent zu behandeln. Es sei auf die oberste Ebene, an der keine Beteiligung mehr gegeben sei, abzustellen. Dies seien im Streitfall AB und CB gewesen, die auch nach dem 17.12.2015 über ihre Beteiligungen an der W KG und den darüber vermittelten weiteren KG-Beteiligungen mittelbar in Höhe von 40 % an der grundbesitzenden Klägerin beteiligt gewesen seien und deshalb keine neuen Gesellschafter seien.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung, den Feststellungsbescheid vom 30.06.2017, die Änderungsbescheide vom 27.10.2017 und vom 15.01.2018 sowie die Einspruchsentscheidung vom 16.03.2018 und den Änderungsbescheid vom 03.07.2018 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Aus den Gründen
10 II. Die Revision ist begründet (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der angefochtenen Bescheide. Der Tatbestand des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG wurde entgegen der Auffassung des FG nicht verwirklicht. Es sind durch die notariell beurkundete Vereinbarung vom 17.12.2015 nicht mindestens 95 % der Anteile an der grundbesitzenden Klägerin innerhalb von fünf Jahren unmittelbar oder mittelbar auf neue Gesellschafter übergegangen. Der Übergang von 40 % der Anteile an der mittelbar zu 100 % an der Klägerin beteiligten X KG auf die W KG erfüllt den Tatbestand dieser Norm nicht, da die zuvor an der X KG zu 40 % beteiligten AB und CB nach der Abtretung weiterhin mittelbar zu 40 % über die W KG an der Klägerin beteiligt waren. Die W KG ist nicht als neue Gesellschafterin der grundbesitzenden Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG anzusehen.
11 1. Gehört zum Vermögen einer Personengesellschaft ein inländisches Grundstück und ändert sich innerhalb von fünf Jahren der Gesellschafterbestand unmittelbar oder mittelbar dergestalt, dass mindestens 95 % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übergehen, gilt dies als ein auf die Übereignung eines Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft (§ 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG).
12 a) Mittelbare Änderungen im Gesellschafterbestand von den an einer Personengesellschaft beteiligten Personengesellschaften werden durch Multiplikation der Vomhundertsätze der Anteile am Gesellschaftsvermögen anteilig berücksichtigt (§ 1 Abs. 2a Satz 2 GrEStG). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm sind Personengesellschaften danach als transparent anzusehen. Bei mehrstöckigen Personengesellschaften ist auf allen Ebenen der beteiligten Personengesellschaften durchzuschauen und sind dortige Veränderungen der jeweiligen Beteiligungsverhältnisse in die Betrachtung miteinzubeziehen. Dabei sind nur diejenigen Veränderungen in den Beteiligungsverhältnissen relevant, durch die solche Rechtsträger neu beteiligt werden, an denen keine gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen bestehen können ‑‑natürliche und juristische Personen außer Kapitalgesellschaften‑‑ (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 24.04.2013 - II R 17/10, BFHE 241, 53, BStBl II 2013, 833, Rz 18; s.a. Meßbacher-Hönsch in Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 21. Aufl., § 1 Rz 739; Schnitter in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 1 GrEStG Rz 277, Stand 07/2024).
13 b) Bei mehrstöckigen Personengesellschaften hat sich durch die Einfügung des neuen Satz 2 in § 1 Abs. 2a GrEStG durch das Steueränderungsgesetz 2015 als Reaktion des Gesetzgebers auf das BFH-Urteil vom 24.04.2013 - II R 17/10 (BFHE 241, 53, BStBl II 2013, 833), das zur mittelbaren Änderung des Gesellschafterbestands nach § 1 Abs. 2a GrEStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24.03.1999 (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) ergangen ist, hinsichtlich der Beurteilung von mittelbaren Änderungen des Gesellschafterbestands einer grundbesitzenden Personengesellschaft nichts geändert. Es ist entgegen der Auffassung des FA weiterhin eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgebend. Die Gesetzesbegründung im Steueränderungsgesetz 2015 zur Ergänzung des § 1 Abs. 2a GrEStG ist nicht dahin zu verstehen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift jegliche wirtschaftliche Betrachtung außer Acht zu lassen ist (s. hierzu BFH-Urteil vom 25.11.2015 - II R 18/14, BFHE 251, 492, BStBl II 2018, 783, Rz 19; vgl. auch Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 1 Rz 323).
14 c) Die Maßgeblichkeit wirtschaftlicher Gesichtspunkte schließt es danach aus, bei mehrstöckigen Beteiligungsstrukturen die Beurteilung auf bestimmte Beteiligungsebenen der Personengesellschaft zu beschränken und die Beteiligungsverhältnisse auf höheren Beteiligungsebenen unberücksichtigt zu lassen (vgl. BFH-Urteil vom 24.04.2013 - II R 17/10, BFHE 241, 53, BStBl II 2013, 833, Rz 23 zu § 1 Abs. 2a GrEStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002). Wird eine an der grundbesitzenden Personengesellschaft mittelbar beteiligte Personengesellschaft in die Gesellschafterstruktur eingefügt, ohne dass sich die Rechtsträger, an denen keine gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen bestehen können, geändert haben, ist kein neuer Gesellschafter der grundbesitzenden Personengesellschaft hinzugekommen. Die neu zwischengeschaltete, mittelbar an der grundbesitzenden Personengesellschaft beteiligte Personengesellschaft stellt selbst ‑‑entgegen der Auffassung des FA (vgl. Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG vom 10.05.2022, BStBl I 2022, 801, Beispiel unter 5.3.2)‑‑ keinen "neuen Gesellschafter" im Sinne von § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG dar.
15 d) Entgegen der Auffassung des FA (vgl. dazu auch Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung des § 1 Abs. 2a GrEStG vom 10.05.2022, BStBl I 2022, 801, Beispiel unter 5.3.2) kommt es nicht darauf an, dass § 6 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG die Nichterhebung der Steuer in dem Umfang vorsieht, in dem die Gesellschafter der ursprünglichen Personengesellschaft am Vermögen der neu mittelbar beteiligten Personengesellschaft beteiligt sind. § 6 GrEStG ist zwar auf alle steuerbaren Erwerbsvorgänge des § 1 GrEStG anwendbar, auch auf den fiktiven Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2a GrEStG. Die Vorschrift entfaltet ihre Wirkung allerdings nur bei einer unmittelbaren oder mittelbaren Änderung des Gesellschafterbestands einer grundbesitzenden Personengesellschaft, die den Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfüllen kann (vgl. BFH-Urteil vom 25.09.2013 - II R 17/12, BFHE 243, 404, BStBl II 2014, 268, Rz 14 ff.). Dies ist ‑‑wie bereits ausgeführt‑‑ vorliegend nicht der Fall.
16 e) Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Es vertrat die Auffassung, dass für die Frage des Eintritts neuer Gesellschafter im Sinne des § 1 Abs. 2a Satz 1 GrEStG die Beurteilung der Änderung des Gesellschafterbestands auf die Ebene der X KG zu beschränken und die Beteiligungsverhältnisse an der W KG außer Acht zu lassen sind. Sein Urteil war daher aufzuheben.
17 2. Die Sache ist spruchreif. Durch die notariell beurkundete Vereinbarung vom 17.12.2015 sind nicht innerhalb von fünf Jahren mindestens 95 % der Anteile an der grundbesitzenden Klägerin unmittelbar oder mittelbar auf neue Gesellschafter übergegangen. Nach der Abtretung von jeweils 20 % der Anteile der AB und der CB an der X KG, die mittelbar an der Klägerin zu 100 % beteiligt war, an die W KG, war die W KG an der Klägerin mittelbar zu 40 % beteiligt. AB und CB waren an der W KG zu jeweils 50 % beteiligt, so dass sie auch nach der Abtretung ihrer Anteile an der X KG mittelbar zu 40 % an der Klägerin beteiligt waren. Die W KG ist durch die Abtretung der Anteile der AB und der CB zwar in die Beteiligungskette eingefügt worden (Verlängerung der Beteiligungskette). Neue Gesellschafter sind bei der grundbesitzenden Klägerin jedoch nicht hinzugekommen, da durch die Personengesellschaften hindurchzuschauen ist. Gesellschafter der W KG waren AB und CB, die bereits vor der Abtretung ihrer Anteile an der Klägerin mittelbar beteiligt waren. Es kann folglich dahingestellt bleiben, ob für die Abtretung der Anteile am 17.12.2015 die erforderlichen Genehmigungen erteilt wurden. Die angefochtenen Bescheide sind danach rechtswidrig und deshalb aufzuheben.
18 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.