EuGH-Schlussanträge: MwSt – Vorsteuerabzug/Zuordnung des Investitionsguts bei noch ungewisser wirtschaftlicher Verwendungsabsicht
GA Kokott, Schlussanträge vom 19.4.2018 – C-140/17, Szef Krajowej Administracji karbowej gegen Gmina Ryjewo
ECLI:EU:C:2018:273
Volltext: BB-ONLINE BBL2018-981-2
Schlussanträge
Somit schlägt der GA vor, die Fragen des Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) wie folgt zu beantworten:
Eine Gemeinde ist gemäß der Art. 167, 168, 184, 185 und 187 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sowie des Neutralitätsgrundsatzes zum Abzug der Vorsteuer im Wege einer Vorsteuerkorrektur auf ihre Investitionsausgaben berechtigt, wenn sie damit steuerpflichtige Umsätze ausführt. Dies gilt auch dann, wenn das hergestellte oder erworbene Investitionsgut anfangs für Zwecke genutzt wurde, die nicht der Besteuerung unterliegen, aber sich die Art der Nutzung des Investitionsguts innerhalb des Zeitraumes von Art. 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie geändert hat und die Gemeinde es nunmehr auch für steuerpflichtige Umsätze nutzt.
Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob bereits im Zeitpunkt der Herstellung oder des Erwerbs eine Absicht zum Ausdruck gebracht wurde, diese künftig für steuerpflichtige Umsätze nutzen zu wollen.
Für die Beantwortung der ersten Frage ist es auch nicht von Bedeutung, dass das Investitionsgut sowohl für steuerpflichtige als auch für nicht steuerpflichtige Umsätze genutzt wird und es nicht möglich ist, die konkreten Investitionsausgaben einem der erwähnten Umsätze objektiv zuzuschreiben. Dies betrifft nur die Frage der Aufteilung des Vorsteuerabzugs der Höhe nach, nicht aber die Vorsteuerabzugsberechtigung als solche.
Aus den Gründen
I. Einleitung
1. In diesem Verfahren muss der Gerichtshof entscheiden, ob ein nachträglicher Vorsteuerabzug möglich bleibt, auch wenn der Steuerpflichtige keine ausdrückliche Zuordnung des Gegenstands zu seinem Unternehmen im Zeitpunkt des Erwerbs vorgenommen hat, da die spätere Verwendung in diesem Moment noch nicht konkret absehbar war. Diese Frage stellt sich hier(2) für eine Gemeinde, die bei Erwerb zugleich als Steuerpflichtige registriert war und die den erworbenen Gegenstand erst vier Jahre später (aber noch innerhalb des Vorsteuerkorrekturzeitraums) zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze verwendet hat.
2. In umgekehrter zeitlicher Reihenfolge hätte unstreitig ein Vorsteuerabzugsrecht der Gemeinde bestanden. Ein solcher Vorsteuerabzug wäre lediglich nachträglich im Wege der Entnahmebesteuerung korrigiert worden. Darf nun aber die Belastung eines Steuerpflichtigen mit Mehrwertsteuer von dem Zufall der zeitlichen Reihenfolge der Verwendung eines Investitionsgutes abhängen?
3. Für eine natürliche Person, die einen Gegenstand ausschließlich für ihren privaten Bedarf erworben hat, hat der Gerichtshof seit der Entscheidung Lennartz(3) einen Vorsteuerabzug auch bei einer späteren wirtschaftlichen Verwendung verneint. Allerdings hat sich mittlerweile die Gesetzeslage verändert, so dass zu klären ist, ob diese Rechtsprechung fortgeführt werden kann. Gilt sie gegebenenfalls auch bei einer Gemeinde, die im Zeitpunkt des Erwerbs als Steuerpflichtige registriert war und den Gegenstand nicht ausdrücklich ihrem hoheitlichen Bereich zugeordnet hat? Ist es dabei von Bedeutung, dass eine Gemeinde nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 der Mehrwertsteuerrichtlinie als Nichtsteuerpflichtige gilt?
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
4. Art. 13 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(4) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) regelt, wann Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige gelten:
„(1) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Die Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten in Bezug auf die in Anhang I genannten Tätigkeiten in jedem Fall als Steuerpflichtige, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist. …“
5. Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“
6. Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält folgende Regelung:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden; …“
7. Art. 184 der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft die Korrektur des ursprünglichen Vorsteuerabzugs:
„Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.“
8. Art. 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie regelt den Berichtigungszeitraum:
„(1) Bei Investitionsgütern erfolgt die Berichtigung während eines Zeitraums von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem diese Güter erworben oder hergestellt wurden.
Die Mitgliedstaaten können jedoch für die Berichtigung einen Zeitraum von fünf vollen Jahren festlegen, der mit der erstmaligen Verwendung dieser Güter beginnt.
Bei Grundstücken, die als Investitionsgut erworben wurden, kann der Zeitraum für die Berichtigung bis auf 20 Jahre verlängert werden.
(2) Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel beziehungsweise im Falle der Verlängerung des Berichtigungszeitraums den entsprechenden Bruchteil der Mehrwertsteuer, mit der diese Investitionsgüter belastet waren.
Die in Unterabsatz 1 genannte Berichtigung erfolgt entsprechend den Änderungen des Rechts auf Vorsteuerabzug, die in den folgenden Jahren gegenüber dem Recht für das Jahr eingetreten sind, in dem die Güter erworben, hergestellt oder gegebenenfalls erstmalig verwendet wurden.“
B. Polnisches Recht
9. Das polnische Gesetz über die Steuer auf Gegenstände und Dienstleistungen (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz)(5) regelt in Art. 15, welche Personen steuerpflichtig sind:
„(1) Steuerpflichtig sind juristische Personen, nichtrechtsfähige Organisationseinheiten und natürliche Personen, die selbständig eine in Abs. 2 genannte wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, ohne dass es auf den Zweck oder das Ergebnis einer solchen Tätigkeit ankommt.
(2) Die wirtschaftliche Tätigkeit umfasst jegliche Tätigkeit der Hersteller, Händler oder Dienstleister, einschließlich der Wirtschaftsteilnehmer, die natürliche Ressourcen gewinnen, und der Landwirte, sowie die freiberufliche Tätigkeit. Als wirtschaftliche Tätigkeit gelten insbesondere Handlungen, die in der nachhaltigen Verwendung von Waren oder immateriellen Vermögenswerten und Rechten zu Erwerbszwecken bestehen. …
(6) Als nicht steuerpflichtig gelten Hoheitsträger und Stellen, die die Hoheitsträger im Bereich der durch besondere Rechtsvorschriften auferlegten Aufgaben unterstützen, zu deren Erfüllung sie bestellt worden sind, es sei denn, sie tätigen Umsätze, die aufgrund zivilrechtlicher Verträge ausgeführt werden.“
10. Art. 86 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes regelt:
„Soweit Waren und Dienstleistungen zur Ausführung steuerbarer Umsätze verwendet werden, sind in Art. 15 genannte Steuerpflichtige berechtigt, den Betrag der Vorsteuer vom Betrag der geschuldeten Steuer abzuziehen, vorbehaltlich Art. 114, Art. 119 Abs. 4, Art. 120 Abs. 17 und 19 sowie Art. 124.“
11. Art. 91 des Mehrwertsteuergesetzes enthält Vorschriften zur Vorsteuerberichtigung:
„(2) Bei Waren und Dienstleistungen, die aufgrund der Vorschriften über die Einkommensteuer vom Steuerpflichtigen den abschreibungsfähigen Sachanlagen oder immateriellen Vermögenswerten und Rechten sowie den Grundstücken und Erbnießbrauchrechten an Grundstücken … zugerechnet werden, nimmt der Steuerpflichtige die in Abs. 1 genannte Berichtigung innerhalb von fünf folgenden Jahren und bei Grundstücken und Erbnießbrauchrechten an Grundstücken innerhalb von zehn Jahren vor, gerechnet ab dem Jahr, in dem sie zur Nutzung übergeben worden sind. …
(7) Die Abs. 1 bis 6 gelten entsprechend, wenn der Steuerpflichtige zum Abzug der gesamten Vorsteuer aus den von ihm verwendeten Waren oder Dienstleistungen … nicht berechtigt war und anschließend sich dieses Recht auf Abzug der Vorsteuer aus dieser Ware oder Dienstleistung geändert hat.“
III. Ausgangsrechtsstreit
12. Der Streit in der vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssache betrifft die Frage, ob die Gemeinde Ryjewo (im Folgenden: Gemeinde) berechtigt ist, einen Vorsteuerabzug bezüglich ihrer Investitionsausgaben nachträglich in anteiliger Höhe geltend zu machen. Dem liegt zugrunde, dass die Gemeinde ein örtliches Kulturhaus bauen ließ und dieses zunächst für hoheitliche Zwecke nutzte. Die Errichtungskosten beinhalteten auch Mehrwertsteuer.
13. Die Gemeinde war zwar im Moment der Errichtung als Mehrwertsteuerpflichtige registriert und hat entsprechende Steuererklärungen abgegeben. Ein Vorsteuerabzug wurde jedoch zunächst nicht geltend gemacht, da das Kulturhaus nicht für steuerpflichtige Umsätze verwendet wurde. Dabei erfolgte auch keine ausdrückliche Zuordnung des errichteten Kulturhauses „zum Unternehmen“ der Gemeinde.
14. Vier Jahre nach Fertigstellung des Kulturhauses wurde die Art der Nutzung dahin gehend geändert, dass die Gemeinde es nunmehr auch für steuerpflichtige Umsätze nutzt. Nach Ansicht der Gemeinde steht ihr mit Beginn der entgeltlichen Vermietung des Kulturhauses das Recht zu, teilweise die Vorsteuer aus den Rechnungen, die die Ausgaben für seinen Bau belegen, im Wege der mehrjährigen Berichtigung gemäß Art. 91 Abs. 7 und 7a in Verbindung mit Art. 91 Abs. 1 und 2 des polnischen Mehrwertsteuergesetzes abzuziehen.
15. Die Steuerbehörde stellte hingegen fest, dass der Gemeinde nicht das Recht zustehe, die Mehrwertsteuer auf die Ausgaben für den Bau und den Betrieb des Kulturhauses in Abzug zu bringen. Der Finanzminister war der Auffassung, dass die von der Gemeinde zu Investitionszwecken – Bau des Kulturhauses, das unentgeltlich dem Gemeindlichen Kulturzentrum überlassen werden sollte – angeschafften Waren und Dienstleistungen nicht im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit erworben worden seien und die Gemeinde daher nicht als Mehrwertsteuerpflichtige gehandelt habe. Die spätere Nutzung des Investitionsgutes für eine wirtschaftliche Tätigkeit führe nicht dazu, dass die Gemeinde im Zeitpunkt der Anschaffung als Steuerpflichtige gehandelt habe.
16. Das erstinstanzliche Gericht vertrat die gegenteilige Auffassung. Die vorliegenden Tatsachen schlössen es nicht aus, dass die Gemeinde im Zeitpunkt des Erwerbs der zu Investitionszwecken angeschafften Waren und Dienstleistungen beabsichtigt habe, diese später im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu nutzen. Es nahm an, dass die anfängliche Verwendung der erworbenen Waren und Dienstleistungen durch die Steuerpflichtige für Zwecke, die nicht der Besteuerung unterlägen, ihr nicht das Recht nehme, die Vorsteuer später abzuziehen, wenn sich der Verwendungszweck dieser Waren und Dienstleistungen ändere und sie für steuerpflichtige Zwecke verwendet würden.
17. Der Finanzminister hat Kassationsbeschwerde gegen die Entscheidung des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts eingelegt. Nunmehr hat der jetzt zuständige Oberste Verwaltungsgerichtshof in Polen beschlossen, ein Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen.
IV. Verfahren vor dem Gerichtshof
18. Das Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) hat dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist eine Gemeinde im Licht der Art. 167, 168 und 184 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie des Neutralitätsgrundsatzes zum Abzug der Vorsteuer (durch Berichtigung) auf ihre Investitionsausgaben berechtigt, wenn
–
das hergestellte (erworbene) Investitionsgut anfangs für Zwecke genutzt wurde, die nicht der Besteuerung unterliegen (zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die Gemeinde im Rahmen der ihr zustehenden Hoheitsgewalt),
–
aber die Art der Nutzung des Investitionsguts sich geändert hat und die Gemeinde es nunmehr auch für steuerpflichtige Umsätze nutzt?
2. Ist für die Beantwortung der ersten Frage von Bedeutung, dass die Gemeinde im Zeitpunkt der Herstellung bzw. des Erwerbs des Investitionsguts die Absicht, dieses künftig für steuerpflichtige Umsätze zu nutzen, nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebracht hat?
3. Ist für die Beantwortung der ersten Frage von Bedeutung, dass das Investitionsgut sowohl für steuerpflichtige als auch für nicht steuerpflichtige Umsätze (zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben) genutzt wird und es nicht möglich ist, die konkreten Investitionsausgaben einem der zuvor erwähnten Umsätze objektiv zuzuschreiben?
19. Zu den Vorlagefragen haben in dem Verfahren vor dem Gerichtshof die Gemeinde Ryjewo, die Republik Polen und die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. An der mündlichen Verhandlung vom 11. Januar 2018 haben sich die Gemeinde, die Finanzverwaltung der Republik Polen, die Republik Polen und die Europäische Kommission beteiligt.
V. Rechtliche Würdigung
20. Die Fragen können zusammen geprüft werden: Sie zielen alle darauf ab, ob eine Gemeinde nachträglich noch einen anteiligen Vorsteuerabzug geltend machen kann, wenn sich die Verwendung des errichteten Kulturhauses dahin gehend verändert hat, so dass sie es nunmehr zur Erbringung steuerpflichtiger Dienstleistungen einsetzt.
A. Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie als Ausdruck des Neutralitätsgrundsatzes
21. Nach dem Wortlaut des Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie ist ein Steuerpflichtiger, „soweit die Gegenstände … für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden“, berechtigt, die Mehrwertsteuer für Gegenstände, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert werden, abzuziehen. Diese Voraussetzungen liegen alle vor.
22. Bei einer Versagung des Vorsteuerabzugs bliebe hingegen die steuerpflichtige Verwendung eines Gegenstandes mit Mehrwertsteuer belastet. Das ist offenkundig nicht mit dem Neutralitätsgedanken des Mehrwertsteuerrechts zu vereinbaren. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese selbst der Mehrwertsteuer unterliegen.(6) Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der Neutralitätsgrundsatz im Mehrwertsteuerrecht daher, dass das Unternehmen als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates von der endgültigen Belastung mit Mehrwertsteuer grundsätzlich zu befreien ist,(7) sofern die unternehmerische Tätigkeit selbst der Erzielung (grundsätzlich) steuerpflichtiger Umsätze dient.(8) Dies ist hier der Fall.
23. Zudem steht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrunde liegt, einer Doppelbesteuerung der unternehmerischen Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen entgegen.(9) Die fehlende Entlastung von der mit dem Erwerb eines Gegenstands verbundenen Mehrwertsteuerbelastung bei gleichzeitiger Besteuerung der damit erzielten Umsätze stellt im Ergebnis eine Doppelbesteuerung dar. Auch dies spricht für die Möglichkeit eines nachträglichen Vorsteuerabzugs in der vorliegenden Konstellation.
24. Bei Berücksichtigung der mittlerweile geänderten Rechtslage steht diesem neutralitätskonformen Ergebnis die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zum nachträglichen Vorsteuerabzug nicht mehr zwingend entgegen.
B. Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie als Ausnahme vom Neutralitätsgrundsatz?
1. Bisherige Rechtsprechung zu Art. 20 der Sechsten Richtlinie
25. Unter Geltung von Art. 20 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG(10) hatte der Gerichtshof bislang hingenommen, dass einer Person, die einen Gegenstand für private Zwecke erwirbt und erst später den Gegenstand wirtschaftlich nutzt, der Vorsteuerabzug versagt wird.(11) Diese – nicht ganz unumstrittene(12) – Rechtsprechung erstreckte der Gerichtshof ausdrücklich auch auf Körperschaften des öffentlichen Rechts.(13)
26. Jedoch betont der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung auch, dass eine Person, die Gegenstände für Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne von Art. 9 erwirbt, dies auch dann als Steuerpflichtige tut, wenn sie die Gegenstände nicht sofort für diese wirtschaftliche Tätigkeit verwendet.(14) Eine 23 Monate währende Privatnutzung eines Gegenstandes hinderte nicht einen vollständigen Vorsteuerabzug.(15) In jenem Fall hatte der Betreffende jedoch seine Absicht einer späteren wirtschaftlichen Nutzung zum Erwerbszeitpunkt bekundet („Zuordnungsentscheidung“).
27. Jedoch existieren auch Entscheidungen, in denen ein nachträglicher Vorsteuerabzug verneint wurde.(16) Allerdings betrafen diese Entscheidungen alle die Rechtslage, wie sie in der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG bis zum Inkrafttreten der Mehrwertsteuerrichtlinie geregelt war. In dem entsprechenden Art. 20 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG sprach die Richtlinie in der Tat davon, dass sich eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs auf das Jahr, „in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden“, bezieht. Insofern ist es nachvollziehbar, dass der Gerichtshof trotz der von Generalanwalt Jacobs(17) geäußerten gegenteiligen Ansicht die Auffassung vertreten hat, dass in Fällen wie diesen ein nachträglicher Vorsteuerabzug nach Maßgabe des Art. 20 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG nicht in Betracht komme.(18)
2. Der Zeitpunkt der Entstehung des Rechts auf Vorsteuerabzug
28. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs ist Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Nach Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.(19) Damit hängt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Bestehen eines Rechts auf Vorsteuerabzug entscheidend davon ab, in welcher Eigenschaft eine Person zu diesem Zeitpunkt handelt.(20) Der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht mit der Ausführung der Lieferung (Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie), mithin ist der Erwerb des Gegenstandes maßgeblich.
29. Dagegen entsteht kein Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand nicht für Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie, sondern „für seinen privaten Verbrauch verwendet“.(21) Die Folge aus einer Zusammenschau von Art. 167 und Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist, dass derjenige, der erst später zu einem Steuerpflichtigen wird und den „privat“ erworbenen Gegenstand erst später zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze im Sinne des Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie verwendet, nach Ansicht des Gerichtshofs nicht nachträglich ein Recht zum Vorsteuerabzug ausüben kann.
30. Erwirbt er hingegen als Steuerpflichtiger den Gegenstand, dann kann er einen Vorsteuerabzug sogar in voller Höhe im Moment des Erwerbs geltend machen. Als Steuerpflichtiger gilt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs derjenige, der die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig auszuüben, und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke tätigt.(22)
31. Unschädlich ist es sogar, dass der Gegenstand später nur unerheblich für vorsteuerabzugsberechtigende Umsätze verwendet wird. Diese Umstände werden erst nachträglich nach Maßgabe der Art. 184 ff. oder der Art. 16 und 26 der Mehrwertsteuerrichtlinie berücksichtigt, welche den ursprünglichen (zu hohen) Vorsteuerabzug korrigieren.(23) Insbesondere für den Fall einer nachträglichen unternehmensfremden Verwendung eines von Vorsteuer entlastet erworbenen Gegenstandes existieren sogenannte Entnahmetatbestände (Art. 16 und 26 der Mehrwertsteuerrichtlinie). Diese führen zu einer nachträglichen Besteuerung dieser unternehmensfremden Verwendung.
3. Fehlen einer ausdrücklichen Einlagenregelung
32. Jedoch fehlt in der Mehrwertsteuerrichtlinie eine ausdrückliche Regelung für den umgekehrten Fall einer sogenannten Einlage, bei der ein „privat erworbener“ Gegenstand erst nachträglich für wirtschaftliche Tätigkeiten genutzt wird.
33. Dies führt zu einem Spannungsverhältnis zum fundamentalen Grundsatz der Neutralität (dazu oben, Nr. 22), den Generalanwalt Jacobs(24) bereits aufgezeigt hat. Je nach der zeitlichen Reihenfolge der wirtschaftlichen Nutzung eines Gegenstandes ergeben sich unterschiedliche Rechtsfolgen, selbst wenn der zeitliche Umfang der wirtschaftlichen Nutzung und die daraus geschuldete Mehrwertsteuer identisch sind. Hingegen zeigen die Art. 184 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass es bei einem Wechsel zwischen steuerfreier und steuerpflichtiger Tätigkeit nicht auf die zeitliche Reihenfolge der Verwendung des angeschafften Gegenstandes ankommt.
34. Eine solch unterschiedliche Behandlung von Unternehmen mit – abgesehen von der zeitlichen Reihenfolge – identischen steuerpflichtigen Umsätzen ist auch im Hinblick auf Art. 20 der Charta schwer zu rechtfertigen.(25)
4. Berücksichtigung des geänderten Wortlautes der Mehrwertsteuerrichtlinie
35. Meines Wissen hat sich der Gerichtshof noch nicht ausdrücklich zu der Frage eines nachträglichen Vorsteuerabzugs bei der „Einlage“ eines nicht als Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstandes unter der Berücksichtigung des neuen Wortlautes des Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie geäußert.
36. Der geänderte Wortlaut(26) des Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie stellt nämlich nicht mehr allein auf den Zeitpunkt des Erwerbs oder die Herstellung, sondern nunmehr auch auf die erstmalige Verwendung nach einem Erwerb („oder gegebenenfalls erstmalig verwendet wurde“) ab. Dies erfasst meines Erachtens insbesondere die Fälle, bei denen der Steuerpflichtige den Gegenstand noch nicht seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zugeordnet hatte und damit noch nicht beim Erwerb einen (in der Regel vollen und sofortigen) Vorsteuerabzug geltend machen konnte.
37. Für diesen Fall ist laut dem Wortlaut der Richtlinie der Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die Basis für spätere Vorsteuerkorrekturen, was einen (nachträglichen) Vorsteuerabzug im Moment der Verwendung zwingend voraussetzt. Hätte nämlich der Erwerber bereits beim Erwerb die entsprechende Verwendungsabsicht gehabt, dann hätte schon von Anfang an ein Vorsteuerabzugsrecht bestanden und die Frage des nachträglichen Vorsteuerabzugs im Wege der Berichtigung würde sich nicht stellen. Damit geht die Mehrwertsteuerrichtlinie nunmehr ausdrücklich von einer nachträglichen Zuordnungsmöglichkeit eines bereits erworbenen Gegenstands durch eine nachträgliche wirtschaftliche Verwendung aus.
38. Dementsprechend hat der Gerichtshof unter der neuen Rechtslage bezüglich einer Gemeinde, die – vergleichbar zum vorliegenden Fall – eine Sporthalle zunächst für hoheitliche Zwecke und nachträglich für steuerpflichtige Umsätze verwendete, einen anteiligen nachträglichen Vorsteuerabzug nicht beanstandet.(27)
39. Wegen der zunächst konkret geplanten Verwendung für nicht wirtschaftliche Zwecke besteht kein sofortiges Vorsteuerabzugsrecht. Ändert sich die Verwendung nachträglich innerhalb des Vorsteuerberichtigungszeitraums, dann erlaubt aber der Wortlaut der Art. 184 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie eine präzise nachträgliche Berichtigung des Vorsteuerabzugs ex nunc und pro Jahr in der entsprechenden Höhe ab der geänderten Verwendung. Ändert sich anschließend der Umfang der wirtschaftlichen Verwendung erneut, kann ebenfalls eine entsprechende Berichtigung mittels der Art. 184 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie stattfinden.
40. Eine solche nachträgliche Korrektur des fehlenden Vorsteuerabzugs entspricht auch dem Sinn und Zweck der Art. 184 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie. Denn wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist die Regelung für die Berichtigung der Abzüge (Art. 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie) ein wesentlicher Bestandteil des durch die Mehrwertsteuerrichtlinie eingeführten Systems, indem sie die Richtigkeit der Abzüge und damit die Neutralität der steuerlichen Belastung sichern soll.(28) Nur eine solche nachträgliche Korrektur hat eine dem Neutralitätsprinzip entsprechende Entlastung mit der auf dem Erwerb des Gegenstands ruhenden Mehrwertsteuerbelastung des Steuerpflichtigen zur Folge.
41. Darüber hinaus vermeidet eine solche Berichtigung eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, je nach zeitlicher Abfolge von wirtschaftlicher und nicht wirtschaftlicher Verwendung des Gegenstandes. Damit spricht auch Art. 20 der Charta für diese Auslegung. Im Ergebnis wird dadurch sowohl ein ungerechtfertigter Vorteil als auch ein ungerechtfertigter Nachteil für einen Steuerpflichtigen vermieden.
42. Sowohl im Hinblick auf das Steueraufkommen als auch im Hinblick auf die Entlastung der wirtschaftlichen Verwendung eines Gegenstandes ist eine nachträgliche Änderung des Vorsteuerabzugs nach Maßgabe der Art. 184 ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie auch der präzisere Weg im Vergleich zu einem vollständigen Vorsteuerabzug aufgrund einer nur geplanten (teilweisen) wirtschaftlichen Verwendung. Denn dadurch erfolgt keine fragwürdige Vorfinanzierung von Unternehmen(29) mit Hilfe des Vorsteuerabzugs allein aufgrund einer (geplanten) minimalen wirtschaftlichen Verwendung und einer darauf basierenden vollständigen Zuordnung des Gegenstandes. Nicht ohne Grund wurde derartigen Finanzierungsmodellen mit Grundstücken, die überwiegend zu Wohnzwecken genutzt wurden, durch den Unionsgesetzgeber nachträglich mit Art. 168a der Mehrwertsteuerrichtlinie weitestgehend der Boden entzogen.
C. Hilfsweise: Kriterien für ein Handeln als Steuerpflichtiger
43. Sollte der Gerichtshof meiner Auslegung der Art. 184 ff. (insbesondere des Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2) der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht folgen, dann lautet die hier zu entscheidende Frage: Wie ist zu beurteilen, ob eine Gemeinde die mit Mehrwertsteuer belastete Leistung als Steuerpflichtige oder als Nichtsteuerpflichtige erwirbt, wenn sie nicht ausdrücklich eine entsprechende Entscheidung im Moment des Erwerbs bekannt gibt?
44. Ob ein Steuerpflichtiger den Gegenstand in dieser Eigenschaft, d. h. für Zwecke seiner wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie, erworben hat, ist eine Tatfrage, die unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten des Sachverhalts zu beurteilen ist, zu denen die Art des betreffenden Gegenstands und der zwischen seinem Erwerb und seiner Verwendung für Zwecke der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen liegende Zeitraum gehören.(30)
1. Zuordnungsentscheidung trotz fehlender Absicht?
45. Für den sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug verlangt der Gerichtshof eine durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht, im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie mit dem Investitionsgut eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig auszuüben.(31)
46. Im vorliegenden Fall wusste die Gemeinde im Moment des Erwerbs noch nicht, ob und in welchen Umfang sie das Kulturhaus auch für wirtschaftliche Zwecke einsetzen wird. Sie konnte daher keine derartige Absicht erklären. Man würde von einem Steuerpflichtigen insoweit etwas Unmögliches verlangen. Allenfalls bestünde der bedenkliche Anreiz, über vorsorgliche „Absichtserklärungen“ eine Zuordnung dieser Gegenstände zum Unternehmen zu erreichen.
47. Dieses Dilemma vermeidet der Gerichtshof in der Rechtssache Gmina Międzyzdroje,(32) bei der Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie anzuwenden war. Dort gesteht er – wie die Republik Polen zutreffend vorträgt – zwar nicht ausdrücklich, aber doch im Ergebnis einer Gemeinde ein nachträgliches anteiliges Vorsteuerabzugsrecht für Investitionen in eine Sporthalle zu, die erst eine längere Zeit nach dem Erwerb für steuerpflichtige Vermietungsumsätze genutzt wurde. Hier hat der Gerichtshof nicht auf eine Zuordnungsentscheidung im Erwerbszeitpunkt abgestellt. Vielmehr hat er festgestellt, dass der Vorsteuerabzug an die Erhebung der Steuern auf der folgenden Stufe geknüpft sei.(33)
2. Zuordnung nach Maßgabe des Art. 13 der Mehrwertsteuerrichtlinie?
48. Wenn aber nicht auf eine Absicht im Moment des Erwerbs abgestellt werden kann, dann ist ein anderes Kriterium nötig. Insofern kommt – jedenfalls bei Einrichtungen des öffentlichen Rechts – eine entsprechende Berücksichtigung des Art. 13 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Betracht. Darauf stützt sich im Wesentlichen die Argumentation der Gemeinde, und auch die Kommission ließ in der mündlichen Verhandlung eine gewisse Sympathie für diese Lösung erkennen.
49. Art. 13 der Mehrwertsteuerrichtlinie geht davon aus, dass Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige gelten, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Darunter sind solche Tätigkeiten zu verstehen, die von den besagten Einrichtungen im Rahmen der ihnen eigenen rechtlichen Regelung ausgeübt werden. Nicht dazu gehören hingegen Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer.(34)
50. Folglich wäre entscheidend, ob die Gemeinde bei dem Erwerb unter Inanspruchnahme ihrer hoheitlichen Gewalt gehandelt hat. Dies dürfte wohl nur ausnahmsweise (z. B. im Fall einer Enteignung) angenommen werden können. Die übliche Versorgung mit Konsumgütern erfolgt durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts selten unter Inanspruchnahme hoheitlicher Gewalt. Folglich würde eine Gemeinde beim Erwerb zumeist als Steuerpflichtiger handeln.
51. Mich überzeugt die Argumentation mit Art. 13 der Mehrwertsteuerrichtlinie jedoch nicht. Schon der Wortlaut dieses Artikels spricht davon, dass Einrichtungen des öffentlichen Rechts, soweit sieUmsätze bewirken, unter bestimmten Umständen als Nichtsteuerpflichtige gelten. Damit ist die Regelung ausdrücklich auf die Ausgangsseite (d. h. die Erbringung von Leistungen) und nicht auf die Eingangsseite (d. h. den Erwerb von Leistungen) bezogen. Deutlicher wird dies noch durch Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 und 3 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Hier wird auf eine Wettbewerbsverzerrung (Unterabs. 2) und auf den nicht unbedeutenden Umfang von Tätigkeiten (Unterabs. 3) abgestellt. Beides kann auf die Eingangsseite im Moment des Erwerbs nicht übertragen werden.
52. Der Sinn und Zweck des Art. 13 der Mehrwertsteuerrichtlinie besteht darin, gewisse Tätigkeiten von Einrichtungen des öffentlichen Rechts zu begünstigen,(35) wenn und weil diese ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegende Aufgaben erfüllen. Führt dies dennoch zu größeren Wettbewerbsverzerrungen, dann bleibt es gemäß Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bei der grundsätzlichen Besteuerung solcher wirtschaftlicher Tätigkeiten, selbst wenn diese im Rahmen der öffentlichen Gewalt erfolgen. Insoweit entfällt die Begünstigung wieder.
53. Im vorliegenden Fall würde eine Übertragung des Art. 13 der Mehrwertsteuerrichtlinie auf den Erwerb zwar der Gemeinde helfen. Wenn aber eine Gemeinde unter Inanspruchnahme hoheitlicher Gewalt einen Gegenstand erwirbt, würde dieser Ansatz sie unter Umständen benachteiligen. Konsequenterweise müsste dann nämlich ein Vorsteuerabzug ausgeschlossen sein, selbst wenn die Gemeinde wirtschaftliche Tätigkeiten mit dem hoheitlich erworbenen Gegenstand ausführt. Für den Vorsteuerabzug ist es gemäß Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie aber entscheidend, ob der Erwerb mit Umsatzsteuer belastet war und der Gegenstand für steuerpflichtige Umsätze verwendet wird. Wie Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie zeigt, kann eine steuerpflichtige Lieferung auch vorliegen, wenn der Leistende das Eigentum an einem Gegenstand gegen Zahlung einer Entschädigung aufgrund behördlicher Anordnung oder kraft Gesetzes (mithin mittels hoheitlicher Gewalt erzwungen) überträgt.
54. Insgesamt enthält Art. 13 der Mehrwertsteuerrichtlinie also keine Aussage zu der Frage, ob eine Einrichtung des öffentlichen Rechts beim Erwerb eines Gegenstandes als Steuerpflichtige oder als Nichtsteuerpflichtige handelt, sondern nur, ob sie bei der Erbringung von Lieferungen und Dienstleistungen als Steuerpflichtige anzusehen ist.
3. Vermutung der Zuordnung bei einem Steuerpflichtigen, der den Gegenstand später tatsächlich für steuerpflichtige Umsätze verwendet
55. Teilt der Gerichtshof zumindest meine Auffassung, dass die im Gegensatz zur Entnahmebesteuerung fehlende Einlagenregelung im Hinblick auf den Neutralitätsgrundsatz und den Gleichbehandlungsgrundsatz problematisch ist, dann sollte er dem zumindest über eine großzügige Beurteilung des Erwerbs „als Steuerpflichtiger“ Rechnung tragen.
56. In den bisher entschiedenen Konstellationen, in denen ein nachträglicher Vorsteuerabzug verneint wurde, war der Erwerber des Gegenstandes im Zeitpunkt des Erwerbs ein Nichtsteuerpflichtiger (so in der Rechtssache Waterschap(36)) oder hat den Gegenstand ausdrücklich erst nachträglich in sein Unternehmen eingelegt (so in der Rechtssache Lennartz(37)), ging mithin selbst davon aus, dass er ihn zunächst für private Zwecke erworben hatte. Davon ist die hier vorliegende Konstellation zu unterscheiden, da der Erwerber ein Steuerpflichtiger ist, der gerade keine ausdrückliche Entscheidung getroffen hat.
57. Bei einem Steuerpflichtigen, der einen Gegenstand erwirbt, der seinem Wesen nach durch ihn auch wirtschaftlich verwendet werden kann und der noch nicht ausschließen kann, dass dieser Gegenstand innerhalb des Zeitraums des Art. 187 der Mehrwertsteuerrichtlinie einmal zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze verwendet werden wird, kann aber vermutet werden, dass er ihn im Moment des Erwerbs als Steuerpflichtiger auch mit der Absicht einer gegebenenfalls späteren wirtschaftlichen Verwendung erworben hat. Dies gilt jedenfalls, wenn er diesen Gegenstand nicht ausdrücklich seinem nicht wirtschaftlichen Bereich zugeordnet hat und ihn damit dem Anwendungsbereich des Mehrwertsteuerrechts entzogen hat.(38)
58. Der gegenüber der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG veränderte Wortlaut des Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie (dazu oben ausführlich unter Nrn. 36 und 37) spricht auch für diese Lösung, da er nunmehr auch auf die erstmalige Verwendung nach einem Erwerb („oder gegebenenfalls erstmalig verwendet wurde“) abstellt.
59. Folglich kann unter Berücksichtigung des Wortlautes des Art. 187 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie das Recht auf Vorsteuerabzug beim Erwerb auch aufgrund einer nur potenziellen Verwendungsabsicht entstehen, wenn diese sich später bestätigt. Wegen der zunächst konkret geplanten Verwendung für nicht wirtschaftliche Zwecke besteht es aber erst einmal nur dem Grunde nach (mithin nur in Höhe von 0 Euro). Ändert sich die Verwendung nachträglich innerhalb des Vorsteuerberichtigungszeitraums, dann erlauben die Art. 184 und 185 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine präzise nachträgliche Berichtigung des Vorsteuerabzugs ex nunc und pro Jahr in der entsprechenden Höhe.
60. Die Vermutung einer solch potenziellen Absicht einer zukünftigen Verwendung erlaubt einem Steuerpflichtigen mithin keinen sofortigen Vorsteuerabzug, sondern eröffnet nur die Möglichkeit eines späteren anteiligen Vorsteuerabzugs, sofern der Gegenstand innerhalb des Vorsteuerkorrekturzeitraumes noch für steuerpflichtige Zwecke verwendet wird. Auch damit wird sowohl ein ungerechtfertigter Vorteil als auch ein ungerechtfertigter Nachteil für einen Steuerpflichtigen vermieden.
VI. Ergebnis
…
Originalsprache: Deutsch.
Vergleichbare Verfahren waren: Beschluss vom 5. Juni 2014, Gmina Międzyzdroje (C-500/13, EU:C:2014:1750), und Urteil vom 2. Juni 2005, Waterschap Zeeuws Vlaanderen (C-378/02, EU:C:2005:335).
Urteil vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315).
ABl. 2006, L 347, S. 1.
Ustawa o podatku od towarów i usług vom 11. März 2004 (einheitliche Fassung, Dz. U. 2011, Nr. 177, Pos. 1054 mit Änderungen).
Urteile vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários (C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 38), vom 13. März 2014, Malburg (C-204/13, EU:C:2014:147, Rn. 41), vom 3. März 2005, Fini H (C-32/03, EU:C:2005:128, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 14. Februar 1985, Rompelman (268/83, EU:C:1985:74, Rn. 19).
Urteile vom 13. März 2008, Securenta (C-437/06, EU:C:2008:166, Rn. 25), und vom 1. April 2004, Bockemühl (C-90/02, EU:C:2004:206, Rn. 39).
Vgl. Urteile vom 13. März 2014, Malburg (C-204/13, EU:C:2014:147, Rn. 41), vom 15. Dezember 2005, Centralan Property (C-63/04, EU:C:2005:773, Rn. 51), vom 21. April 2005, HE (C-25/03, EU:C:2005:241, Rn. 57), und meine Schlussanträge in der Rechtssache Di Maura (C-246/16, EU:C:2017:440, Nr. 42).
Urteil vom 2. Juli 2015, NLB Leasing (C-209/14, EU:C:2015:440, Rn. 40), vgl. in diesem Sinne auch Urteile vom 22. März 2012, Klub (C-153/11, EU:C:2012:163, Rn. 42), sowie vom 23. April 2009, Puffer (C-460/07, EU:C:2009:254, Rn. 46).
Sechste Richtlinie vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1). Dort hieß es: „Die Berichtigung erfolgt unter Berücksichtigung der Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden.“
Urteile vom 19. Juli 2012, X (C-334/10, EU:C:2012:473, Rn. 17), vom 23. April 2009, Puffer (C-460/07, EU:C:2009:254, Rn. 44), vom 6. Mai 1992, de Jong (C-20/91, EU:C:1992:192, Rn. 17), und vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315, Rn. 8, 9 und 17).
Ausführliche Kritik bei H. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 15 Anm. 1860 ff. (Stand: 170. Lfg. – Januar 2017).
Urteil vom 2. Juni 2005, Waterschap Zeeuws Vlaanderen (C-378/02, EU:C:2005:335, Rn. 39 und 40).
Urteile vom 19. Juli 2012, X (C-334/10, EU:C:2012:473, Rn. 31), vom 22. März 2012, Klub (C-153/11, EU:C:2012:163, Rn. 44 und 52), und vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315, Rn. 14).
Urteil vom 19. Juli 2012, X (C-334/10, EU:C:2012:473, Rn. 27).
Urteile vom 2. Juni 2005, Waterschap Zeeuws Vlaanderen (C-378/02, EU:C:2005:335), und vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315).
Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Charles und Charles-Tijmens (C-434/03, EU:C:2005:48, Nr. 89 und 90).
Urteil vom 23. April 2009, Puffer (C-460/07, EU:C:2009:254, Rn. 44).
Siehe auch Urteil vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315).
So ausdrücklich Urteile vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários (C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 35), vom 30. März 2006, Uudenkaupungin kaupunki (C-184/04, EU:C:2006:214, Rn. 38), und vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315, Rn. 8 und 9).
So ausdrücklich Urteil vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315, Rn. 9).
So ausdrücklich Urteile vom 29. November 2012, Gran Via Moineşti (C-257/11, EU:C:2012:759, Rn. 27), vom 8. Juni 2000, Breitsohl (C-400/98, EU:C:2000:304, Rn. 34), und vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a. (C-110/98 bis C-147/98, EU:C:2000:145, Rn. 47), siehe dazu meine Schlussanträge in der Rechtssache X (C-334/10, EU:C:2012:108, Nr. 81).
So im Ergebnis auch Urteile vom 29. November 2012, Gran Via Moineşti (C-257/11, EU:C:2012:759, Rn. 28), und vom 8. Juni 2000, Breitsohl (C-400/98, EU:C:2000:304, Rn. 35).
Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Charles und Charles-Tijmens (C-434/03, EU:C:2005:48, Nrn. 75 ff.).
Vgl. Urteil vom 28. Februar 2018, Imofloresmira – Investimentos Imobiliários (C-672/16, EU:C:2018:134, Rn. 44). Hier hat der Gerichtshof ausdrücklich entschieden, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität ungerechtfertigten Unterscheidungen zwischen Unternehmen mit demselben Profil und derselben Tätigkeit in Bezug auf die steuerliche Behandlung von identischen Investitionstätigkeiten entgegensteht.
Art. 20 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG sprach nur davon, dass eine Berichtigung gegenüber dem Jahr erfolgte, „in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden“.
Beschluss vom 5. Juni 2014, Gmina Międzyzdroje (C-500/13, EU:C:2014:1750, Rn. 19 ff.).
Beschluss vom 5. Juni 2014, Gmina Międzyzdroje (C-500/13, EU:C:2014:1750, Rn. 24).
Dieser Effekt tritt ein, weil die Korrektur nach Maßgabe der Art. 184 ff. und auch Art. 26 Abs. 1 Buchst a der Mehrwertsteuerrichtlinie nur anteilig pro Jahr erfolgt und damit im Ergebnis dem Unternehmer bezüglich dieser Mehrwertsteuer solange ein zinsloses Darlehen gewährt.
Urteil vom 16. Februar 2012, Eon Aset Menidjmunt (C-118/11, EU:C:2012:97, Rn. 58), vgl. in diesem Sinne auch: Urteile vom 8. März 2001, Bakcsi (C-415/98, EU:C:2001:136, Rn. 29), und vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315, Rn. 21).
So ausdrücklich Urteile vom 8. Juni 2000, Breitsohl (C-400/98, EU:C:2000:304, Rn. 34), und vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a. (C-110/98 bis C-147/98, EU:C:2000:145, Rn. 47), siehe dazu auch meine Schlussanträge in der Rechtssache X (C-334/10, EU:C:2012:108, Nr. 81).
Beschluss vom 5. Juni 2014, Gmina Międzyzdroje (C-500/13, EU:C:2014:1750).
Beschluss vom 5. Juni 2014, Gmina Międzyzdroje (C-500/13, EU:C:2014:1750, Rn. 19), so auch schon Urteil vom 30. März 2006, Uudenkaupungin kaupunki (C-184/04, EU:C:2006:214, Rn. 24).
Urteil vom 29. Oktober 2015, Saudaçor (C-174/14, EU:C:2015:733, Rn. 70), vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Dezember 2000, Fazenda Pública (C-446/98, EU:C:2000:691, Rn. 17 und 22).
Der Gerichtshof spricht insoweit häufig von einer Steuerbefreiung, Urteile vom 13. Dezember 2007, Götz (C-408/06, EU:C:2007:789, Rn. 41), vom 12. September 2000, Kommission/Vereinigtes Königreich (C-359/97, EU:C:2000:426, Rn. 55), und vom 26. März 1987, Kommission/Niederlande (235/85, EU:C:1987:161, Rn. 20 und 21), die eng auszulegen ist.
Urteil vom 2. Juni 2005, Waterschap Zeeuws Vlaanderen (C-378/02, EU:C:2005:335).
Urteil vom 11. Juli 1991, Lennartz (C-97/90, EU:C:1991:315).
Dies ist nach Auffassung des Gerichtshofs nämlich die Folge eines Erwerbs als Nichtsteuerpflichtiger – vgl. statt vieler: Urteil vom 15. September 2016, Landkreis Potsdam-Mittelmark (C-400/15, EU:C:2016:687, Rn. 33).