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Steuerrecht
11.05.2018
Steuerrecht
EuGH-Schlussanträge: MwSt – Umlegung der allgemeinen Kosten der unternehmerischen Tätigkeit einer Gesellschaft auf die Gesellschafter

GAin Kokott, Schlussanträge vom 3.5.2018 C-16/17, TGE Gas Engineering GmbH – Sucursal em Portugal gegen Autoridade Tributária e Aduaneira

ECLI:EU:C:2018:302

Volltext BB-Online BBL2018-1109-3

Schlussanträge

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlägt der GA dem Gerichtshof vor, das Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa) (Schiedsgericht in Steuersachen [Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren]) wie folgt zu beantworten:

Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist dahin auszulegen, dass mangels mehrwertsteuerpflichtiger Lieferung oder Dienstleistung kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, wenn ein Agrupamento Complementar de Empresas (Zusammenschluss von Unternehmen zum Zweck der gegenseitigen Ergänzung) die allgemeinen Kosten seiner unternehmerischen Tätigkeit auf eine Gesellschaft ausländischen Rechts umlegt, die Gesellschafterin ist, auch wenn für diesen Betrag fälschlicherweise die Mehrwertsteuer abgeführt und eine Rechnung über diesen Betrag an die inländische Zweigniederlassung der Gesellschafterin gestellt worden ist.

Aus den Gründen

I. Einleitung

1  Es ist ein bekanntes Phänomen, dass zwischen einer Gesellschaft und ihren Gesellschaftern Leistungen nicht nur im Rahmen des Gesellschaftsverhältnisses ausgetauscht werden können, sondern auch aufgrund eines davon unabhängigen, eigenen Rechtsverhältnisses.

2  Mit den Auswirkungen dieses Phänomens auf das Mehrwertsteuersystem hat sich der Gerichtshof bereits einige Male beschäftigt.(2)

3  Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, die Konsequenzen für das Recht auf Vorsteuerabzug zu klären, wenn ein Zusammenschluss von Unternehmen seine allgemeinen Kosten auf seine Mitglieder umlegt.

II.    Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

4  Der unionsrechtliche Rahmen des Falles ist die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(3) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie). Art. 167 dieser Richtlinie bestimmt:

„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“

5  Artikel 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;

…“

6  Art. 44 Satz 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der seit dem 1. Januar 2010 geltenden Fassung legt fest, dass als Ort der Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen der Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gilt. Wird die Dienstleistung dagegen an die feste Niederlassung des Steuerpflichtigen erbracht, so gilt gemäß Art. 44 Satz 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie als Ort der Dienstleistung der Ort der festen Niederlassung.

7  Durchführungsvorschriften zu dieser Vorschrift enthält die ab 1. Juli 2011 geltende Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15. März 2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem.(4) Ihr Art. 10 definiert den Begriff des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit näher, ihr Art. 11 den Begriff der festen Niederlassung.

B. Nationales Recht

8  Die Vorgaben der angeführten Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie hat der portugiesische Gesetzgeber umgesetzt.

9  Der Regime do Registo Nacional de Pessoas Coletivas (Gesetz über das Register der juristischen Personen, im Folgenden: RNPC-Gesetz) regelt die Eintragung juristischer Personen in das Registo Nacional de Pessoas Coletivas (Register der juristischen Personen, im Folgenden: RNPC).

10. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b RNPC-Gesetz enthält dieses Register Eintragungen sowohl zu juristischen Personen portugiesischen oder ausländischen Rechts als auch zu Vertretungen juristischer Personen des Völkerrechts oder ausländischen Rechts, die gewöhnlich in Portugal tätig sind.

11. Art. 13 RNPC-Gesetz bestimmt, dass jede im RNPC eingetragene juristische Person einen Número de Identificação de Pessoa Coletiva (Identifikationsnummer für juristische Personen, im Folgenden: NIPC) erhält, und regelt die Einzelheiten ihrer Zuteilung.

III. Sachverhalt und Ausgangsverfahren

12. TGE Gas Engineering GmbH (im Folgenden: TGE Bonn) ist eine Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Bonn. Am 3. März 2009 wurde ihr in Portugal zur Durchführung eines einzelnen Rechtsgeschäfts (Erwerb von Gesellschaftsanteilen) als gebietsfremdem Unternehmen ohne feste Niederlassung die NIPC 980 410 878 zugeteilt.

13. Die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens ist die portugiesische Zweigniederlassung der TGE Bonn mit dem Namen „TGE Gas Engineering GmbH – Sucursal em Portugal“ (im Folgenden: TGE Portugal). Am 7. April 2009 wurde ihr als gebietsfremdem Unternehmen mit fester Niederlassung in Portugal die NIPC 980 412 463 zugeteilt.

14. TGE Bonn gründete am 17. April 2009 mit Somague Engenharia SA (im Folgenden: Somague) einen Zusammenschluss von Unternehmen zum Zweck der gegenseitigen Ergänzung (Agrupamento Complementar de Empresas) mit dem Namen „Projesines Expansão do Terminal de GNL de Sines, ACE“ (im Folgenden: Zusammenschluss).

15. Der Gesellschaftsvertrag legt die Beiträge der Gesellschafter zum Zusammenschluss mit 85 % für Somague und 15 % für TGE Bonn fest. Davon abweichend legt eine interne Vereinbarung des Zusammenschlusses fest, dass TGE Bonn 64,29 % und Somague 35,71 % des Ergebnisses und der Aufwendungen des Zusammenschlusses tragen.

16. Bei der Gründung des Zusammenschlusses verwendete TGE Bonn die NIPC 980 410 878, die ihr als gebietsfremdem Unternehmen ohne feste Niederlassung zugeteilt worden war, nicht die der TGE Portugal zugeteilte NIPC.

17. Der Zusammenschluss selbst ist Vertragspartner der Redes Engéticas Nacionais (im Folgenden: REN), einer portugiesischen Elektrizitätsgesellschaft, und führt für diese das Projekt zur Erweiterung des Terminals in Sines aus, eines Terminals für natürliches Flüssiggas.

18. Der Zusammenschluss schloss mit der TGE Portugal am 4. Mai 2009 einen Subunternehmervertrag. Ein ähnlicher Vertrag bestand ebenfalls mit Somague.

19. Auf der Grundlage dieser Verträge erbrachten TGE Portugal und Somague Lieferungen und Dienstleistungen als Subunternehmer des Zusammenschlusses. Entsprechend der Regelung im Subunternehmervertrag zwischen dem Zusammenschluss und TGE Portugal („Full back-to-back general principle“) stellte der Zusammenschluss sämtliche dieser Lieferungen und sonstigen Leistungen, die TGE Portugal für ihn erbrachte, den REN als Bauherrn in Rechnung.

20. Der Zusammenschluss stellte die Kosten, die für seine eigene wirtschaftliche Tätigkeit anfielen, TGE Portugal im Umfang von 64,29 % unter Verwendung der NIPC in Rechnung, die TGE Portugal zugeteilt worden war. Somague stellte der Zusammenschluss 35,71 % der Kosten in Rechnung. Die Rechnungstellung diente allein dazu, die Kosten des Zusammenschlusses auf seine Gesellschafter umzulegen. Dementsprechend wurden die Kosten entsprechend der internen Vereinbarung der Gesellschafter über die Tragung der Verbindlichkeiten des Zusammenschlusses aufgeteilt. Dennoch wies dieser auf den Rechnungen die Mehrwertsteuer aus und führte sie an die portugiesische Finanzverwaltung ab, was diese nie beanstandet hat.

21. TGE Portugal machte in der Folge den Vorsteuerabzug für die auf diesen Rechnungen ausgewiesene Mehrwertsteuer geltend.

22. Im Rahmen einer Steuerprüfung TGE Portugal für die Veranlagungszeiträume 2009, 2010 und 2011 durch die Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollbehörde, im Folgenden: ATA) wurde ein Steuerprüfungsbericht erstellt. Darin stellte die ATA fest, dass TGE Portugal und TGE Bonn aufgrund der unterschiedlichen NIPC als verschiedene Rechtsträger behandelt werden müssten. Da TGE Bonn Gesellschafterin des Zusammenschlusses ist, nicht aber TGE Portugal, habe der Zusammenschluss unzulässigerweise seine Kosten TGE Portugal in Rechnung gestellt. Der Vorsteuerabzug durch TGE Portugal sei für diese Kosten unzulässig gewesen.

23. Auf der Grundlage dieser Feststellungen erließ die ATA gegenüber TGE Portugal Bescheide zur Festsetzung der Mehrwertsteuer nebst Ausgleichszinsen. Dagegen legte TGE Portugal am 28. März 2014 Einspruch für die Veranlagungszeiträume 2010 und 2011 ein, den die ATA zurückwies.

24. Am 19. September 2014 legte TGE Portugal Beschwerde gegen die Zurückweisung des Einspruchs ein, die wiederum mit ihr am 25. September 2015 zugestelltem Bescheid zurückgewiesen wurde.

25. Am 22. Dezember 2015 erhob TGE Portugal die hiergegen gerichtete Schiedsklage zum vorlegenden Gericht.

IV.    Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

26. Mit Schiedsbeschluss vom 29. Juni 2016, eingegangen am 16. Januar 2017, hat das Tribunal Arbitral Tributário (Schiedsgericht in Steuersachen, Portugal) dem Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Art. 44, 45, 132 Abs. 1 Buchst. f, 167, 168, 169, 178, 179, 192a, 193, 194 und 196 der Mehrwertsteuerrichtlinie (Richtlinie 2006/112), die Art. 10 und 11 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 sowie der Grundsatz der Neutralität dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass die portugiesische Steuerverwaltung einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft deutschen Rechts das Vorsteuerabzugsrecht in einem Fall verweigert, in dem:

–          der Gesellschaft deutschen Rechts in Portugal eine Steueridentifikationsnummer als gebietsfremdem Unternehmen ohne feste Niederlassung für die Durchführung eines einzelnen Rechtsgeschäfts, nämlich den „Erwerb von Gesellschaftsanteilen“, zugeteilt wurde;

–          die Zweigniederlassung dieser Gesellschaft deutschen Rechts später in Portugal registriert wurde und ihr eine eigene Steuernummer als fester Niederlassung dieser Gesellschaft zugeteilt wurde;

–          die Gesellschaft deutschen Rechts sodann unter Verwendung der ersten Identifikationsnummer mit einem anderen Unternehmen einen Vertrag zur Gründung eines Zusammenschlusses von Unternehmen zum Zweck der gegenseitigen Ergänzung (Agrupamento Complementar de Empresas – ACE) für die Durchführung eines Werkvertrags in Portugal abgeschlossen hat;

–          die Zweigniederlassung danach unter Verwendung ihrer eigenen Steuernummer einen Subunternehmervertrag mit dem ACE abgeschlossen hat, in dem die wechselseitigen Leistungen zwischen der Zweigniederlassung und dem ACE vereinbart wurden und festgelegt wurde, dass der ACE den Subunternehmern die ihm entstandenen Kosten im vereinbarten Verhältnis in Rechnung stellt;

–          der ACE auf den zur Inrechnungstellung von Kosten gegenüber der Zweigniederlassung ausgestellten Belastungsanzeigen deren Steueridentifikationsnummer angegeben und Mehrwertsteuer berechnet hat;

–          die Zweigniederlassung die in den Belastungsanzeigen berechnete Mehrwertsteuer als Vorsteuer abgezogen hat;

–          sich die Geschäftstätigkeit des ACE (über eine Subunternehmerschaft) aus den Geschäftstätigkeiten der Zweigniederlassung und des anderen den ACE bildenden Unternehmens zusammensetzt, wobei diese beiden dem ACE Rechnungen über die von diesem gegenüber dem Auftraggeber abgerechneten Gesamteinnahmen stellten?

27. Auf ein Auskunftsersuchen des Gerichtshofs hin hat das vorlegende Gericht – ebenso wie die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens – ergänzend ausgeführt, dass die Rechnungen des Zusammenschlusses allein den Zweck hatten, die allgemeinen Kosten seiner wirtschaftlichen Tätigkeit auf die Gesellschafter umzulegen.

28. Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben TGE Portugal, die Portugiesische Republik und die Europäische Kommission schriftliche Stellungnahmen abgegeben und auch an der mündlichen Verhandlung vom 19. März 2018 teilgenommen.

V. Würdigung

A. Vorlageberechtigung des vorlegenden Gerichts

29. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ist das Tribunal Arbitral Tributário (Schiedsgericht in Steuersachen) als Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen und daher zur Vorlage an den Gerichtshof berechtigt.(5)

B. Auslegung der Vorlagefrage

30. In seiner Frage nimmt das vorlegende Gericht Bezug auf die unterschiedlichen NIPC, die TGE Bonn und TGE Portugal zugeteilt und im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss verwendet wurden, nämlich die NIPC von TGE Bonn bei Abschluss des Vertrags zur Gründung des Zusammenschlusses sowie die NIPC von TGE Portugal bei Abschluss des Subunternehmervertrags mit dem Zusammenschluss.

31. Im Kern zielt die Frage des vorlegenden Gerichts jedoch darauf ab, zu klären, ob TGE Bonn oder TGE Portugal ein Recht zum Vorsteuerabzug hat, wenn der Zusammenschluss seine allgemeinen Kosten TGE Portugal unter Ausweis der Mehrwertsteuer in Rechnung stellt. Insofern möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs in einem Fall wie diesem vorliegen.

C. Recht auf Vorsteuerabzug

32. Die Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug sind in Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführt: Zum Abzug der auf der vorherigen Umsatzstufe geschuldeten oder entrichteten Vorsteuer ist berechtigt, wer selbst Steuerpflichtiger ist und von einem anderen Steuerpflichtigen eine Lieferung oder Dienstleistung empfangen hat, die er für die Zwecke seiner eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit verwendet.

33. Unstreitig wurde im vorliegenden Fall durch den Zusammenschluss die Mehrwertsteuer abgeführt, die er TGE Portugal in Rechnung gestellt hatte. Ebenso unstreitig ist, dass der Zusammenschluss grundsätzlich steuerpflichtig im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie ist.

34. Zu klären ist allerdings, ob TGE Portugal Empfänger einer Dienstleistung ist, der die Zahlung der Kosten gegenübersteht.

1. Steuerpflichtiger als Empfänger der Dienstleistung

35. Gemäß Art. 168 der Mehrwertsteuerrichtlinie steht das Recht zum Vorsteuerabzug nur einem Steuerpflichtigen zu. Der Empfänger der Dienstleistung muss daher ein Steuerpflichtiger im Sinne der Richtlinie sein.

36. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt, dass Steuerpflichtiger ist, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt.

37. Für das Verhältnis einer Gesellschaft zu ihrer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Zweigniederlassung keiner selbständigen Wirtschaftstätigkeit nachgeht, weil sie nicht selbst das wirtschaftliche Risiko ihrer Wirtschaftstätigkeit trägt, insbesondere weil sie über kein Dotationskapital verfügt.(6) Vielmehr wird das wirtschaftliche Risiko allein von der Gesellschaft getragen, zu der die Zweigniederlassung gehört.

38. Auch wenn der unionsrechtliche Begriff des Steuerpflichtigen autonom und einheitlich auszulegen ist(7) und daher nicht nur natürliche und juristische Personen, sondern auch Einheiten ohne Rechtspersönlichkeit umfasst,(8) handelt es sich bei einer Gesellschaft und ihrer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat um ein und dieselbe rechtliche Einheit, innerhalb derer es nicht zwei selbständige Steuerpflichtige gibt.(9)

39. Nach diesem Maßstab bilden TGE Bonn und TGE Portugal einen Steuerpflichtigen (im Folgenden: TGE) im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie.

40. An diesem Ergebnis ändert sich nichts, weil TGE Bonn und TGE Portugal über unterschiedliche NIPC verfügen und bei der Gründung des Zusammenschlusses die NIPC von TGE Bonn, für die Rechnungstellung zur Kostenverteilung aber die NIPC von TGE Portugal verwendet wurde.

2. Vorliegen einer Dienstleistung

41. Art. 168 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie erfordert, dass eine Leistung (Lieferung im Sinne des Art. 14 oder Dienstleistung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie) gegenüber dem vorsteuerabzugsberechtigten Steuerpflichtigen erbracht wird.

42. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Leistung nur dann steuerpflichtig, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung darstellt.(10)

43. Danach ist Besteuerungsgrundlage einer Dienstleistung alles das, was als Gegenleistung für den geleisteten Dienst empfangen wird, weshalb eine Dienstleistung nur dann steuerpflichtig ist, wenn zwischen dem geleisteten Dienst und der erhaltenen Gegenleistung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.(11)

44. Im vorliegenden Fall müsste also der Zusammenschluss eine konkrete Dienstleistung erbracht haben, deren Empfänger TGE ist. Nur dann wären die vom Zusammenschluss der TGE in Rechnung gestellten und von TGE gezahlten Beträge das Entgelt für eine Dienstleistung, für das tatsächlich Mehrwertsteuer geschuldet ist.

45. Wie jedoch das vorlegende Gericht und die Antragstellerin des Ausgangsverfahrens in ihren Antworten auf das Auskunftsersuchen des Gerichtshofs ausführen, handelt es sich bei den jeweiligen Beträgen um die allgemeinen Kosten der wirtschaftlichen Tätigkeit des Zusammenschlusses. Die Rechnungen hatten allein den Zweck, diese Kosten auf TGE als Gesellschafter umzulegen. Die Beträge wurden für keine Gegenleistung des Zusammenschlusses an TGE entrichtet und hatten daher keinen Entgeltcharakter.

46. Somit ist davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall keine konkrete Dienstleistung gegenüber der Steuerpflichtigen erbracht wurde. Stattdessen handelt es sich bei den TGE in Rechnung gestellten und von ihr bezahlten Beträgen um die Umlegung der allgemeinen Kosten des Zusammenschlusses auf seine Gesellschafter, die aufgrund von deren Pflicht zur Gewinn- und Verlusttragung erfolgt, nicht aber um das Entgelt für eine konkrete Tätigkeit.

47. Dieses Ergebnis wird durch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Cibo Participations bestätigt. Dort hat der Gerichtshof entschieden, dass die Zahlung einer Dividende kein Entgelt für eine Dienstleistung darstellt, sondern bloßer Ausfluss der Innehabung des Anteils und damit der Gesellschafterstellung ist. Insbesondere setzt die Ausschüttung von Dividenden im Regelfall ausschüttungsfähige Gewinne voraus und ist somit von der Ertragsbilanz der Gesellschaft abhängig.(12) Im vorliegenden Fall werden zwar nicht Dividenden, also Gewinnanteile, vom Zusammenschluss an die Gesellschafter ausgeschüttet. Vielmehr zahlen diese einen Betrag an den Zusammenschluss. Doch wie bereits die Finanzverwaltung im Ausgangsverfahren ausgeführt hat, handelt es sich um die allgemeinen Kosten der unternehmerischen Tätigkeit des Zusammenschlusses. Diese Kostentragung verhält sich schlussendlich wie ein Spiegelbild zur Dividendenzahlung in der Rechtssache Cibo Participations: Die Höhe des vom Zusammenschluss in Rechnung gestellten Betrags hängt von dessen Ertragssituation ab, ebenso wie die Höhe der Dividendenausschüttung von der Ertragssituation der Gesellschaften abhing, an denen Cibo Participations beteiligt war. Ein Gesellschafter ist kraft seiner Gesellschafterstellung nicht nur zur Gewinnbeteiligung berechtigt, sondern im vorliegenden Fall auch zur Deckung des angefallenen Aufwands verpflichtet. Während die Rechtssache Cibo Participations die Beteiligung am Gewinn betraf, geht es im vorliegenden Fall um die Deckung des angefallenen Aufwands. In beiden Fällen sind die erfolgten Zahlungen Ausfluss der Gesellschafterstellung und stellen deshalb kein Entgelt für eine Dienstleistung dar.

48. Das Fehlen eines Entgelts unterscheidet den vorliegenden Fall von dem Fall, welcher der Rechtssache Heerma zugrunde lag. Dort hatte der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Grundstück an die Gesellschaft verpachtet, wofür die Gesellschaft ihm einen Pachtzins zahlte, der unabhängig von seiner Beteiligung am Gewinn und Verlust der Gesellschaft war. Der Gerichtshof hat in diesem Fall entschieden, dass die Verpachtung des Grundstücks eine mehrwertsteuerpflichtige Leistung darstellt, weil die Gegenleistung in einem konkreten Entgelt bestand.(13)

49. Schließlich kann die vorliegende Konstellation auch nicht mit dem Mitgliedsbeitrag eines Vereinsmitglieds verglichen werden. Der Gerichtshof hat zwar in der Rechtssache Kennemer Golf entschieden, dass der Mitgliedsbeitrag dann Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer darstellt, wenn er das Entgelt für die Möglichkeit der Nutzung von Gegenständen des Vereinsvermögens ist.(14) Denn zum einen ergibt sich die Pflicht zur Zahlung des Mitgliedsbeitrags nicht unmittelbar daraus, dass der Verein einen Gewinn oder Verlust erzielt, sondern beruht auf der Satzungsautonomie des Vereins. Außerdem bezog sich der Beitrag im entschiedenen Fall auf eine konkrete Nutzungsberechtigung der Mitglieder hinsichtlich der Sportanlagen des Vereins. Im vorliegenden Fall hängt die Höhe der TGE in Rechnung gestellten und von ihr gezahlten Beträge dagegen allein vom wirtschaftlichen Ergebnis des Zusammenschlusses ab. Zum anderen räumt der Zusammenschluss TGE nicht die Möglichkeit der Nutzung von Gegenständen seines Vermögens ein und stellt hierfür ein Entgelt in Rechnung. Vielmehr ist dieser in Rechnung gestellte Betrag Ausfluss der Gesellschafterstellung von TGE und der daraus resultierenden Pflicht zur Gewinn- und Verlusttragung.

50. Entgegen dem Vorbringen der Kommission in der mündlichen Verhandlung liegt kein Fall einer Dienstleistungskommission im Sinne des Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie vor. Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist allein die Inrechnungstellung der Aufwendungen, die dem Zusammenschluss für den Bezug von Lieferungen und Dienstleistungen Dritter entstanden. Diese Leistungen Dritter wurden jedoch gegenüber dem Zusammenschluss selbst erbracht. Sie dienten der wirtschaftlichen Tätigkeit des Zusammenschlusses und wurden nicht an dessen Gesellschafter weitergeleistet. Denn wie das vorlegende Gericht ausdrücklich dargelegt hat, fehlt es diesbezüglich an einer Leistung des Zusammenschlusses an seine Gesellschafter. Damit liegen die Voraussetzungen des Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie („bei der Erbringung von Dienstleistungen“) nicht vor.

51. Aus dem Neutralitätsgrundsatz ergibt sich nichts anderes.

52. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist das Recht auf Vorsteuerabzug ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und dient dazu, den Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer zu entlasten.(15)

53. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten. Voraussetzung hierfür ist grundsätzlich jedoch, dass diese selbst der Mehrwertsteuer unterliegen.(16)

54. Da es nach dem Gesagten schon an der Erbringung einer Dienstleistung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie fehlt, schuldete der Zusammenschluss schon keine Mehrwertsteuer für die „Weiterberechnung“ der allgemeinen Kosten seiner unternehmerischen Tätigkeit, die er auf seine Gesellschafter umgelegt hat. Die Mehrwertsteuer wurde also fälschlicherweise abgeführt. Da diese Steuer aus Sicht des Unionsrechts nicht geschuldet war, besteht kein Raum für die Anwendung des Neutralitätsgrundsatzes. Dieser gebietet im vorliegenden Fall gerade nicht, TGE von der Mehrwertsteuer auf die an den Zusammenschluss gezahlten Beträge zu entlasten, wenn die Steuer unionsrechtlich gar nicht erst geschuldet ist.

55. Daher ist festzuhalten, dass der Zusammenschluss gegenüber TGE keine Dienstleistung erbringt, die das Recht von TGE auf Vorsteuerabzug begründen würde.

3. Ort der Leistung

56. Das vorlegende Gericht ersucht den Gerichtshof auch um die Auslegung der Art. 44 und 45 der Mehrwertsteuerrichtlinie, die den Ort der Dienstleistung bestimmen.

57. Gemäß Art. 44 Satz 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt als Ort der Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Empfängers der Dienstleistung. Der Unionsgesetzgeber hat diesen Anknüpfungspunkt als vorrangig gewählt, da er als objektives, einfaches und praktisches Kriterium große Rechtssicherheit bietet.(17)

58. Demgegenüber ist die Anknüpfung an die feste Niederlassung des Dienstleistungsempfängers in Art. 44 Satz 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie nachrangig und eine Ausnahmevorschrift zur allgemeinen Regel.(18)

59. Auch wenn der Gerichtshof in der Rechtssache Welmory das Verhältnis dieser beiden Anknüpfungspunkte geklärt hat, kommt es freilich sowohl gemäß Art. 44 Satz 1 als auch gemäß Art. 44 Satz 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie auf den Empfang einer Dienstleistung durch den Steuerpflichtigen an.

60. Wie oben festgestellt, fehlt es jedoch im vorliegenden Fall an einer Dienstleistung. Mangels der Existenz einer Dienstleistung ist es deshalb nicht möglich, den Ort der Dienstleistung zu bestimmen.

61. Daher kann die Frage des vorlegenden Gerichts insoweit nicht beantwortet werden.

VI.    Ergebnis …


1

Originalsprache: Deutsch.


2

Urteile vom 27. Januar 2000, Heerma (C-23/98, EU:C:2000:46), und vom 27. September 2001, Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495).


3

ABl. 2006, L 347, S. 1.


4

ABl. 2011, L 77, S. 1.


5

Urteil vom 12. Juni 2014, Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta (C-377/13, EU:C:2014:1754, Rn. 23 bis 34).


6

Urteile vom 23. März 2006, FCE Bank (C-210/04, EU:C:2006:196, Rn. 33 bis 37), und vom 17. September 2014, Skandia America Corp. (USA), filial Sverige (C-7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 25 und 26).


7

Urteil vom 17. September 2014, Skandia America Corp. (USA), filial Sverige (C-7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 23).


8

Urteil vom 27. Januar 2000, Heerma (C-23/98, EU:C:2000:46, Rn. 8).


9

Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache FCE Bank (C-210/04, EU:C:2005:582, Rn. 38).


10

Urteile vom 3. März 1994, Tolsma (C-16/93, EU:C:1994:80, Rn. 14), vom 21. März 2002, Kennemer Golf (C-174/00, EU:C:2002:200, Rn. 39), vom 23. März 2006, FCE Bank (C-210/04, EU:C:2006:196, Rn. 34), und vom 17. September 2014, Skandia America Corp. (USA), filial Sverige (C-7/13, EU:C:2014:2225, Rn. 24).


11

Urteile vom 3. März 1994, Tolsma (C-16/93, EU:C:1994:80, Rn. 13), und vom 21. März 2002, Kennemer Golf (C-174/00, EU:C:2002:200, Rn. 39).


12

Urteil vom 27. September 2001, Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495, Rn. 42 und 43); gemeint ist damit die Abhängigkeit der Dividendenausschüttung vom wirtschaftlichen Ergebnis der Gesellschaft.


13

Urteil vom 27. Januar 2000, Heerma (C-23/98, EU:C:2000:46, Rn. 13 und 19).


14

Urteil vom 21. März 2002, Kennemer Golf (C-174/00, EU:C:2002:200, Rn. 40).


15

Urteile vom 27. September 2001, Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495, Rn. 27), vom 12. September 2013, Le Crédit Lyonnais (C-388/11, EU:C:2013:541, Rn. 26 und 27), und vom 15. September 2016, Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos (C-516/14, EU:C:2016:690, Rn. 37 bis 39).


16

Urteil vom 27. September 2001, Cibo Participations (C-16/00, EU:C:2001:495, Rn. 27), vom 12. September 2013, Le Crédit Lyonnais (C-388/11, EU:C:2013:541, Rn. 27), und vom 15. September 2016, Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos (C-516/14, EU:C:2016:690, Rn. 39).


17

Urteil vom 16. Oktober 2014, Welmory (C-605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 53 bis 55).


18

Urteil vom 16. Oktober 2014, Welmory (C-605/12, EU:C:2014:2298, Rn. 56).

 

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