EuGH: Minderung der bestandskräftig festgestellten MwSt-Bemessungsgrundlage nach Kündigung eines Leasingvertrags wegen Nichtzahlung
EuGH, Urteil vom 3.7.2019 – C-242/18, „UniCredit Leasing“ EAD gegen Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (NAP)
ECLI:EU:C:2019:558
Volltext BB-Online BBL2019-1621-2
Tenor
1. Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er bei einer Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrags eine Minderung der durch Steuerprüfungsbescheid pauschal anhand aller für die gesamte Vertragslaufzeit geschuldeten Leasingraten festgesetzten Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage erlaubt, obwohl dieser Prüfungsbescheid bestandskräftig geworden ist und somit einen „beständigen Verwaltungsakt“ darstellt, mit dem gemäß dem nationalen Recht eine Steuerschuld festgestellt wird.
2. Art. 90 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zum einen die Nichtzahlung eines Teils der aus einem Finanzierungsleasingvertrag geschuldeten Leasingraten für den Zeitraum ab Zahlungseinstellung bis zur nicht rückwirkenden Kündigung des Vertrags und zum anderen die Nichtzahlung eines im Fall einer vorzeitigen Vertragsbeendigung geschuldeten Schadensersatzes, der der Summe aller ausstehenden Leasingraten bis zum Ende der Laufzeit dieses Vertrags entspricht, eine Nichtbezahlung darstellen, die unter die Ausnahme von der Pflicht zur Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage gemäß Art. 90 Abs. 2 dieser Richtlinie fallen kann, es sei denn, der Steuerpflichtige macht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit geltend, dass diese Schuld nicht beglichen wird, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „UniCredit Leasing“ EAD (im Folgenden: Unicredit) und dem Direktor der Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (NAP) (Direktion „Anfechtung und Steuer- und Sozialversicherungspraxis“ Sofia bei der Zentralverwaltung der Nationalen Finanzbehörde [NAP]) (im Folgenden: Direktor) wegen der Weigerung des Direktors, Unicredit eine Erstattung der Mehrwertsteuer für nicht gezahlte Raten eines Leasingvertrags zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Akte über den Beitritt der Republik Bulgarien zur Europäischen Union
3 In Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203), heißt es:
„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für Bulgarien und Rumänien verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“
Mehrwertsteuerrichtlinie
4 Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt“.
5 Art. 14 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Als ‚Lieferung von Gegenständen‘ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen.
(2) Neben dem in Absatz 1 genannten Umsatz gelten folgende Umsätze als Lieferung von Gegenständen:
a) die Übertragung des Eigentums an einem Gegenstand gegen Zahlung einer Entschädigung auf Grund einer behördlichen Anordnung oder kraft Gesetzes;
b) die Übergabe eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags, der die Vermietung eines Gegenstands während eines bestimmten Zeitraums oder den Ratenverkauf eines Gegenstands vorsieht, der regelmäßig die Klausel enthält, dass das Eigentum spätestens mit Zahlung der letzten fälligen Rate erworben wird;
c) die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission.
(3) Die Mitgliedstaaten können die Erbringung bestimmter Bauleistungen als Lieferung von Gegenständen betrachten.“
6 Art. 63 dieser Richtlinie sieht vor:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“
7 Art. 73 dieser Richtlinie bestimmt:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“
8 Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend gemindert.
(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“
9 Art. 273 der Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.
Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen.“
Bulgarisches Recht
10 Art. 6 des Zakon za danak varhu dobavenata stoynost (Mehrwertsteuergesetz) (DV Nr. 63 vom 4. August 2006, seit dem 1. Januar 2007 in Kraft, im Folgenden: ZDDS), sieht vor:
„(1) Als Lieferung eines Gegenstands im Sinne dieses Gesetzes gilt die Übertragung des Eigentumsrechts oder eines anderen dinglichen Rechts an dem Gegenstand.
(2) Für die Zwecke dieses Gesetzes gilt als ,Lieferung eines Gegenstands‘ auch:
…
3. (geändert – DV Nr. 101 von 2013, in Kraft ab 1. Januar 2014) Die tatsächliche Bereitstellung von Gegenständen aufgrund eines Leasingvertrags, der ausdrücklich die Übertragung des Eigentums an diesen Gegenständen vorsieht; diese Bestimmung gilt auch dann, wenn der Leasingvertrag nur eine Option vorsieht, das Eigentum an den Gegenständen zu übertragen, und die Summe der nach dem Vertrag geschuldeten Leasingraten ohne die Zinsen nach Art. 46 Abs. 1 Nr. 1 identisch mit dem normalen Preis der Ware zum Zeitpunkt der Bereitstellung ist. …“
11 Art. 115 ZDDS sieht vor:
„(1) Im Fall einer Änderung der Steuerbemessungsgrundlage eines Umsatzes und im Fall der Rückgängigmachung einer Lieferung, für die eine Rechnung ausgestellt wurde, ist der Lieferer verpflichtet, eine Anzeige zur Rechnung zu erstellen.
(2) (ergänzt – DV Nr. 97 von 2016, in Kraft ab 1. Januar 2017) Die Anzeige ist innerhalb von fünf Tagen nach dem in Abs. 1 genannten Ereignis und, wenn sie eine Lieferung betrifft, für die eine Rechnung mit Angabe der für eine Vorauszahlung in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer ausgestellt wurde, innerhalb von fünf Tagen nach dem Datum der Erstattung, Verrechnung oder sonstigen Zahlung des Betrags der vorgesehenen Vorauszahlung über den erstatteten, verrechneten oder auf andere Weise gezahlten Betrag auszustellen.
(3) Bei einer Erhöhung der Steuerbemessungsgrundlage ist eine Belastungsanzeige zu erstellen, bei einer Minderung der Steuerbemessungsgrundlage oder einer Rückgängigmachung von Umsätzen eine Gutschrift zu erteilen.
(4) Zusätzlich zu den in Art. 114 genannten wesentlichen Angaben muss in einer Anzeige zu einer Rechnung auch Folgendes angegeben werden:
1. Nummer und Datum der Rechnung, für die die Anzeige erstellt wird;
2. Grund für die Erstellung dieser Anzeige.
(5) Eine Anzeige muss in mindestens zwei Exemplaren erstellt werden: eine für den Lieferer und eine für den Empfänger.
(6) Im Fall der Annullierung oder Rückgängigmachung eines Leasingvertrags im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 muss der Lieferer eine Gutschrift ausstellen, die der Differenz zwischen der Steuerbemessungsgrundlage für die Lieferung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 und dem nach diesem Vertrag verbleibenden Betrag ohne Mehrwertsteuer nach diesem Gesetz entspricht.
(7) (neu – DV Nr. 94 von 2012, in Kraft ab 1. Januar 2013) Die Anzeige für eine Rechnung darf die in Art. 114 Abs. 1 Nrn. 12, 14 und 15 genannten wesentlichen Angaben nicht enthalten, es sei denn, es handelt sich um eine Transaktion, deren Erfüllungsort sich im Gebiet eines Mitgliedstaats befindet, eine innergemeinschaftliche Transaktion und einen Fernverkauf von Gegenständen.“
12 Art. 116 ZDDS sieht vor:
„(1) Berichtigungen oder Zusätze zu den Rechnungen oder den dazugehörigen Anzeigen sind unzulässig. Unrichtig ausgestellte oder berichtigte Rechnungen sind zu annullieren, und es sind neue Rechnungen auszustellen.
(2) Als unrichtig erstellte Dokumente gelten auch ausgestellte Rechnungen und die dazugehörigen Anzeigen, in denen die Mehrwertsteuer nicht ausgewiesen wurde, obwohl sie auszuweisen gewesen wäre.
(3) Als unrichtig erstellte Dokumente gelten auch ausgestellte Rechnungen und die dazugehörigen Anzeigen, in denen die Mehrwertsteuer ausgewiesen wurde, obwohl sie nicht auszuweisen gewesen wäre.
(4) Werden unrichtig erstellte oder berichtigte Dokumente in den Buchhaltungsunterlagen des Lieferers oder des Empfängers ausgewiesen, ist für jede der Parteien ein Protokoll über die Stornierung zu erstellen, in dem Folgendes angegeben wird:
1. Grund für die Stornierung;
2. Nummer und Datum des Dokuments, das storniert wird;
3. Nummer und Datum des ausgestellten neuen Dokuments;
4. Unterschrift der Personen, die das Protokoll für jede der Parteien erstellt haben.
(5) Alle Exemplare der stornierten Dokumente werden vom Aussteller aufbewahrt und in der Buchführung des Lieferers und des Empfängers gemäß den Durchführungsvorschriften zu diesem Gesetz erfasst.“
13 In § 9 der Übergangs- und Schlussbestimmungen des ZDDS heißt es:
„(1) Wurden Waren im Rahmen eines Finanzierungsleasingvertrags vor dem Datum des Inkrafttretens [des ZDDS] tatsächlich bereitgestellt, so gelten alle folgenden Zahlungen (Monatsraten) aus diesem Vertrag, die nach Inkrafttreten des ZDDS fällig werden, als separate Umsätze, bei denen der Steuertatbestand zum Zeitpunkt der Zahlung oder, falls dieser davor liegt, zu dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Zahlung fällig wurde.
(2) Abs. 1 gilt nur, wenn der Steuerpflichtige (Lieferer) innerhalb eines Monats nach Inkrafttreten [des ZDDS] der Gebietsdirektion der Nationalen Finanzagentur, bei der er registriert ist, eine Liste mit den folgenden Pflichtangaben vorlegt:
1. den Empfänger im Rahmen der in Abs. 1 genannten Verträge;
2. die Anzahl und den Betrag der monatlichen Zahlungen für alle Verträge, für die ein Steuerbeleg ausgestellt wurde, die aber nicht bezahlt wurden;
3. Anzahl und Höhe der monatlichen Zahlungen aus allen Verträgen, bei denen der Steuertatbestand im Sinne von Abs. 1 nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eintritt.
(3) Bei Verträgen, die nicht in einer gemäß Abs. 2 vorgelegten Liste enthalten sind, wird davon ausgegangen, dass der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt des Inkrafttretens [des ZDDS] einen Umsatz im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 ausführt, dessen Steuerbemessungsgrundlage der Summe der nach dem Inkrafttreten [des ZDDS] geschuldeten monatlichen Zahlungen ohne die auf sie entfallende Mehrwertsteuer entspricht.“
14 Art. 128 des Danachno-osiguritelnia protsesualen kodeks (Steuer- und Sozialversicherungsverfahrensordnung) (DV Nr. 105 vom 29. Dezember 2005, seit dem 1. Januar 2006 in Kraft, im Folgenden: DOPK) sieht vor:
„(1) Ungerechtfertigt gezahlte oder eingenommene Beträge für Steuern, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung, Geldbußen und Geldstrafen, die von den Finanzbehörden verhängt werden, sowie Beträge, die von der Nationalen Finanzbehörde nach den Steuer- oder Sozialversicherungsgesetzen erstattet werden können, sind von den Finanzbehörden für die Rückzahlung der von der Nationalen Finanzagentur erfassten fälligen öffentlichen Schulden zu verrechnen. Eine Verrechnung mit einer verjährten Forderung ist möglich, wenn die Forderung des Schuldners fällig geworden ist, bevor seine Schuld verjährt ist. …“
15 Art. 129 DOPK bestimmt:
„(1) Die Verrechnung oder Erstattung kann von der Steuerverwaltung von Amts wegen oder auf schriftlichen Antrag des Beteiligten vorgenommen werden. Der Antrag auf Verrechnung oder Erstattung wird berücksichtigt, wenn er innerhalb von fünf Jahren nach dem 1. Januar des Jahres eingereicht wird, das auf das Jahr folgt, in dem das Ereignis, das die Erstattung ausgelöst hat, eingetreten ist, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt.
…
(3) (ergänzt – DV Nr. 108 von 2007) Der Verrechnungs- oder Erstattungsbescheid muss innerhalb von 30 Tagen nach Eingang des Antrags ergehen, wenn nicht vor Ablauf dieser Frist eine Prüfung angeordnet wird. Auch im Fall einer Verrechnung oder Rückzahlung, einschließlich der Fälle, in denen gegen den in Satz 1 genannten Bescheid ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist, können Steuerschulden oder Schulden aus Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung Gegenstand einer Prüfung sein. Wenn gegen den Bescheid ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist, kann bis zum Eintritt der Rechtskraft der Gerichtsentscheidung ein Prüfungsbescheid erstellt werden.
…
(7) Die Verrechnungs- oder Erstattungsbescheide sind nach den Modalitäten der Anfechtung von Nachforderungsbescheiden anfechtbar.“
16 Art. 133 DOPK bestimmt:
„(1) Eine Steuerschuld oder Schuld aus Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung, die mit einem bestandskräftigen und nicht mit Rechtsbehelf angefochtenen Prüfungsbescheid festgesetzt worden ist, kann auf Initiative der Steuerbehörde oder auf Antrag der geprüften Person geändert werden.
(2) Die Schuld wird aus folgenden Gründen geändert:
1. Wenn neue Umstände oder neue schriftliche Nachweise, die für die Feststellung von Steuer- oder Sozialversicherungsschulden wesentlich sind, auftreten, von denen die Person oder Behörde, die den Prüfungsbescheid erlassen hat, vor
a) dem Erlass des Prüfungsbescheids, wenn dieser nicht angefochten worden ist,
b) dem Eintritt der Bestandskraft des Prüfungsbescheids, wenn dieser angefochten worden ist,
nicht hätte wissen können;
2. wenn ein ordnungsgemäß befasstes Gericht festgestellt hat, dass die von einem Dritten abgegebenen schriftlichen Erklärungen, die Sachverständigengutachten, die schriftlichen Erklärungen, auf deren Grundlage die Steuerschuld oder Schuld aus Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung festgestellt wird, falsch sind oder dass der Adressat des Bescheids, sein Vertreter oder die Finanzbehörde, die an der Festsetzung von Steuern oder Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung beteiligt war oder den Rechtsbehelf gegen den Änderungsbescheid geprüft hat, eine Straftat begangen hat;
3. wenn die Feststellung der Schuld auf einem in einem Gerichtsverfahren ordnungsgemäß als falsch anerkannten Dokument beruht, das falsche Informationen enthält oder das verfälscht wurde;
4. wenn die Feststellung der Schuld auf einer Handlung eines Gerichts oder einer anderen staatlichen Behörde beruht, die später für nichtig erklärt wurde;
5. wenn für die gleichen Schulden, für den gleichen Zeitraum und für denselben Steuerpflichtigen ein anderer, gegenteiliger Prüfungsbescheid bestandskräftig geworden ist. …“
17 Art. 134 DOPK lautet:
„(1) (ergänzt – DV Nr. 94 von 2015, in Kraft ab 1. Januar 2016) Die Steuerbehörde, die einen Änderungsgrund gemäß Art. 133 Abs. 2 feststellt, ist verpflichtet, den Gebietsdirektor zu informieren und das Vorliegen des Grundes zu begründen. Nach Prüfung, ob ein Änderungsgrund vorliegt, kann der Gebietsdirektor eine Prüfung in Auftrag geben oder delegieren, die es ihm ermöglicht, bereits festgesetzte Steuerschulden oder Schulden aus Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung zu ändern.
(2) Eine betroffene Person kann einen schriftlichen Antrag beim Gebietsdirektor stellen und die Beweise, auf die sie sich stützt, beifügen.
(3) Die Änderung ist zulässig, wenn innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis des Änderungsgrundes und vor Ablauf der in Art. 109 vorgesehenen Frist die Entscheidung, mit der die Prüfung angeordnet wird, erlassen oder der Antrag auf Änderung gestellt worden ist.
(4) Innerhalb von 30 Tagen nach Einreichung des in Abs. 2 genannten Antrags ordnet der Gebietsdirektor durch eine mit Gründen versehene Entscheidung eine Überprüfung an oder verweigert sie. Eine Kopie der Ablehnungsentscheidung wird der Person, die den Antrag gestellt hat, innerhalb von sieben Tagen nach ihrem Erlass, spätestens aber 14 Tage nach Ablauf der in Satz 1 dieses Absatzes vorgesehenen Frist übermittelt.
(5) (geändert – DV Nr. 30 von 2006, in Kraft ab 1. März 2007) Die betroffene Person kann innerhalb von 14 Tagen nach Empfang der Entscheidung und gegen eine stillschweigende Ablehnung innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der Antwortfrist bei dem für die Prüfung der Klage gegen den Prüfungsbescheid zuständigen Verwaltungsgericht Klage erheben. Die Klage wird über den Gebietsdirektor eingereicht. Das Gericht entscheidet über die Klage durch nicht anfechtbaren Beschluss.
(6) Wird festgestellt, dass die Steuerschuld oder Schuld aus Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung auf einen höheren oder niedrigeren Betrag als den geschuldeten Betrag festgesetzt wurde, wird ein Prüfungsbescheid über die Differenz ausgestellt. Im Fall einer Überzahlung wird diese durch Prüfungsbescheid verrechnet oder erstattet.“
18 Art. 87 des Zakon za zadalzheniata i dogovorite (Gesetz über Schuldverhältnisse und Verträge) (im Folgenden: ZZD) sieht vor:
„(1) Erbringt der Schuldner bei einem gegenseitigen Vertrag eine Leistung wegen eines Umstands, den er zu vertreten hat, nicht, kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner eine angemessene Frist zur Erfüllung bestimmt und darauf hingewiesen hat, dass nach Fristablauf der Vertrag als rückgängig gemacht gilt, den Vertrag rückgängig machen. Der Hinweis hat schriftlich zu erfolgen, wenn der Vertrag schriftlich geschlossen wurde. …“
19 Art. 88 ZZD bestimmt:
„(1) Die Rückgängigmachung wird, außer bei Verträgen über Dauerschuldverhältnisse oder wiederkehrende Leistungen, rückwirkend wirksam. Der Gläubiger hat Anspruch auf Ersatz von Schäden, die durch die Nichterfüllung des Vertrags verursacht werden. …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
20 Am 6. Februar 2006 schloss die „BA Kreditanstalt Bulus“ EOOD (im Folgenden: Bulus oder Leasinggeber), deren Rechtsnachfolgerin Unicredit ist, mit der „Vizatel“ OOD (im Folgenden: Leasingnehmer) einen Finanzierungsleasingvertrag, in dem sich der Leasinggeber verpflichtete, ein vom Leasingnehmer angegebenes Grundstück zu erwerben, um darauf ein Gebäude zu errichten und es zusammen mit dem Grundstück dem Leasingnehmer zur Verfügung zu stellen.
21 Dieser Vertrag wurde für eine Dauer von elf Jahren geschlossen, gerechnet ab dem Beginn des Monats, der auf die materielle Übergabe des Vertragsgegenstands – gegen eine monatliche Leasingrate – folgt. Er sah vor, dass der Leasinggeber den Vertrag bei Nichtzahlung von mindestens drei Leasingraten durch den Leasingnehmer vorzeitig kündigen und die Zahlung von Schadensersatz in Höhe aller nicht gezahlten Leasingraten für die gesamte Laufzeit des Leasingvertrags verlangen konnte.
22 Am 5. Dezember 2006 wurde der Vertragsgegenstand an den Leasingnehmer übergeben, und am 28. Dezember 2006 stellte der Leasinggeber eine Rechnung für das erste Leasingentgelt mit Mehrwertsteuer aus. Mit Steuerprüfungsbescheid vom 14. Februar 2008 setzten die bulgarischen Steuerbehörden eine Mehrwertsteuerschuld von Bulus fest, berechnet auf einer Bemessungsgrundlage, die aus der Summe aller während der gesamten Vertragslaufzeit geschuldeten Leasingraten gebildet wurde; diese Steuerschuld wurde danach mit einer Gegenforderung aufgerechnet, die Bulus gegenüber den Steuerbehörden hatte.
23 Während der Leasinggeber bis zum 29. Oktober 2010 und dann vom 4. August 2011 bis zum 31. August 2012 weiterhin Rechnungen mit Mehrwertsteuer ausstellte, stellte der Leasingnehmer die Zahlung der fälligen Leasingraten ab April 2009 ein. Mit Wirkung zum 6. Juni 2015 kündigte Bulus wegen schuldhafter Nichterfüllung der Verpflichtungen des Leasingnehmers einseitig den Leasingvertrag.
24 Unter diesen Umständen beantragte Bulus bei den bulgarischen Steuerbehörden eine Rückerstattung der in dem Steuerprüfungsbescheid vom 14. Februar 2008 festgesetzten Mehrwertsteuer. Ihr Antrag wurde jedoch mit Bescheid der zuständigen Steuerbehörde abgelehnt, der vom Direktor bestätigt wurde.
25 Bulus legte gegen diesen Bescheid beim Administrativen sad Sofia (Verwaltungsgericht Sofia, Bulgarien) Beschwerde ein, die das Verwaltungsgericht zurückwies.
26 Unicredit, die Rechtsnachfolgerin von Bulus, legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) ein. Sie macht insbesondere geltend, der Administrativen sad Sofia (Verwaltungsgericht Sofia) habe den durch Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie garantierten Anspruch auf Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage im Fall der Rückgängigmachung eines Vertrags nicht beachtet.
27 Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass der Anspruch auf Berichtigung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage dann, wenn diese Bemessungsgrundlage durch einen bestandskräftigen Steuerprüfungsbescheid und nicht durch eine Rechnung festgesetzt werde, nicht anwendbar sei, da es sich um einen eine Steuerschuld feststellenden Verwaltungsakt handele. Darüber hinaus sei, selbst wenn man annähme, dass dieser Anspruch auf Berichtigung anwendbar sei, zu unterscheiden zwischen zum einen dem Zeitraum, in dem die Raten vom Leasingnehmer gezahlt worden seien und für den keine Berichtigung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage vorzunehmen sei, und zum anderen dem Zeitraum, in dem die Raten vom Leasingnehmer bis zur Kündigung wegen teilweiser Nichtbezahlung nicht mehr gezahlt worden seien, für den eine Wiederherstellung der Situation vor Vertragsabschluss nach nationalem Recht unmöglich sei. Das vorlegende Gericht weist daher, falls angenommen werden sollte, dass eine teilweise Nichtbezahlung vorliege und nicht eine Rückgängigmachung im Sinne von Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie, darauf hin, dass es im bulgarischen Recht keine Bestimmung gebe, die die Modalitäten der Minderung der durch einen Steuerprüfungsbescheid festgesetzten Bemessungsgrundlage im Fall einer teilweisen oder vollständigen Nichtbezahlung regele.
28 Schließlich stellt sich das vorlegende Gericht die Frage nach der Berichtigung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage für den Zeitraum von der Kündigung des Vertrags bis zum Ende der in ihm vorgesehenen Laufzeit, da weder festgestellt worden sei, dass der Leasinggegenstand bis zum Ende der Vertragslaufzeit an den Leasinggeber zurückgegeben worden sei, noch, dass unter Berücksichtigung der Vertragsklausel, die für den Fall einer Kündigung wegen schuldhafter Nichterfüllung eine Schadensersatzzahlung an den Leasinggeber vorsieht, die Schulden des Leasingnehmers endgültig beglichen worden seien.
29 Unter diesen Umständen hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erlaubt die Bestimmung des Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bei Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrags die Minderung der Steuerbemessungsgrundlage und die Erstattung der Mehrwertsteuer, die mit einem bestandskräftigen Steuerprüfungsbescheid auf einer Bemessungsgrundlage, bestehend aus der Summe der monatlichen Leasingraten für die gesamte Vertragslaufzeit, festgesetzt wurde?
2. Bei Bejahung der ersten Frage: Auf welche der in Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Fälle kann sich der Leasinggeber bei Kündigung eines Leasingvertrags wegen teilweiser Nichtbezahlung der geschuldeten Leasingraten gegenüber einem Mitgliedstaat berufen, um die Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage im Ausmaß der geschuldeten, aber für den Zeitraum ab Zahlungseinstellung bis zum Zeitpunkt der Kündigung des Vertrags nicht gezahlten Raten zu erlangen, nachdem die Kündigung nicht rückwirkend ist und dies mit einer Klausel im Vertrag selbst bestätigt wird?
3. Lässt die Auslegung des Art. 90 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie den Schluss zu, dass in einem Fall wie dem vorliegenden eine Ausnahme von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegt?
4. Gestattet die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Annahme, dass der in der Vorschrift verwendete Begriff der Rückgängigmachung den Fall umfasst, in dem der Leasinggeber im Rahmen eines Finanzierungsleasingvertrags mit fest vereinbarter Eigentumsübertragung vom Leasingnehmer nicht mehr die Zahlung der Leasingraten verlangen kann, da er den Leasingvertrag wegen Nichterfüllung des Vertrags seitens des Leasingnehmers gekündigt hat, er aber gemäß dem Vertrag Anspruch auf Schadensersatz in Höhe sämtlicher nicht gezahlter Leasingraten hat, die bis zum Ende der Leasingdauer fällig werden würden?
Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs
30 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof für die Auslegung des Unionsrechts nur insoweit zuständig, als es um dessen Anwendung in einem neuen Mitgliedstaat ab dem Tag seines Beitritts zur Union geht (Urteile vom 15. September 2011, Słaby u. a., C‑180/10 und C‑181/10, EU:C:2011:589, Rn. 27, sowie vom 21. November 2018, Vădan, C‑664/16, EU:C:2018:933, Rn. 34).
31 Daraus ergibt sich insbesondere, dass der Gerichtshof für die Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinien der Union nicht zuständig ist, wenn der Erhebungszeitraum der fraglichen Steuern vor dem Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Union liegt (Urteil vom 27. Juni 2018, Varna Holideis, C‑364/17, EU:C:2018:500, Rn. 18).
32 Dagegen ist der Gerichtshof für die Auslegung des Unionsrechts zuständig, wenn die Tatsachen, die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegen, teilweise nach dem Zeitpunkt des Beitritts des Mitgliedstaats zur Union eingetreten sind (Urteil vom 15. April 2010, CIBA, C‑96/08, EU:C:2010:185, Rn. 15) oder ihnen ein vor dem Zeitpunkt des Beitritts des Mitgliedstaats zur Union geschlossener Vertrag zugrunde liegt und diese Situation nach diesem Zeitpunkt weiterhin Wirkung entfaltet hat (vgl. entsprechend, in Bezug auf einen Konzessionsvertrag, Urteil vom 15. Dezember 2016, Nemec, C‑256/15, EU:C:2016:954, Rn. 22 und 23, sowie, in Bezug auf die vertragliche Bestellung von Nießbrauchsrechten, Urteil vom 6. März 2018, SEGRO und Horváth, C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2018:157, Rn. 38 und 40).
33 Im vorliegenden Fall wurde der Leasingvertrag im Februar 2006 geschlossen, und die Mehrwertsteuer wurde mit der materiellen Übergabe des Leasinggegenstands im Dezember 2006 fällig. Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und der Erhebungszeitraum liegen daher vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Union am 1. Januar 2007.
34 Allerdings handelte es sich um einen Vertrag über ein Dauerschuldverhältnis, der den Leasingnehmer verpflichtete, mehrwertsteuerpflichtige Leasingraten über elf Jahre ab dem 28. Dezember 2006 zu bezahlen. Die sich aus diesem Vertrag ergebende Situation hat daher auch nach dem Zeitpunkt des Beitritts der Republik Bulgarien zur Union noch Wirkung entfaltet.
35 Angesichts der besonderen Merkmale dieses Vertrags und des Fortbestands seiner Rechtswirkungen nach dem Beitritt dieses Mitgliedstaats zur Union ist der Gerichtshof daher für die Beantwortung der Vorabentscheidungsfragen in Bezug auf die steuerlichen Folgen seiner Durchführung zuständig.
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
36 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er bei einer Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrags eine Minderung der durch Steuerprüfungsbescheid pauschal anhand aller für die gesamte Vertragslaufzeit geschuldeten Leasingraten festgesetzten Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage erlaubt, obwohl dieser Prüfungsbescheid bestandskräftig geworden ist und somit einen „beständigen Verwaltungsakt“ darstellt, mit dem eine Steuerschuld festgestellt wird.
37 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der die Fälle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes betrifft, die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Steuerbemessungsgrundlage und mithin den Betrag der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuer immer dann zu mindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Diese Bestimmung ist Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen Betrag erheben darf, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten übersteigt (Urteil vom 6. Dezember 2018, Tratave, C‑672/17, EU:C:2018:989, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten zwar nach Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Pflichten vorsehen können, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, diese Maßnahmen jedoch grundsätzlich von der Einhaltung der Regeln über die Steuerbemessungsgrundlage nur insoweit abweichen dürfen, als dies für die Erreichung dieses spezifischen Ziels zwingend erforderlich ist. Sie dürfen die Ziele und Grundsätze der Mehrwertsteuerrichtlinie nämlich nur so wenig wie möglich beeinträchtigen und können daher nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage stellen würden (Urteil vom 6. Dezember 2018, Tratave, C‑672/17, EU:C:2018:989, Rn. 31 und 33).
39 Demzufolge müssen sich die Formalitäten, die von den Steuerpflichtigen zu erfüllen sind, damit sie gegenüber den Steuerbehörden das Recht auf Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage ausüben können, auf diejenigen beschränken, die den Nachweis ermöglichen, dass nach Bewirkung des Umsatzes die Gegenleistung zum Teil oder in vollem Umfang endgültig nicht erlangt wurde. Insoweit haben die nationalen Gerichte zu prüfen, ob dies bei den vom betreffenden Mitgliedstaat verlangten Formalitäten der Fall ist (Urteil vom 6. Dezember 2018, Tratave, C‑672/17, EU:C:2018:989, Rn. 34).
40 Der Erlass eines Prüfungsbescheids wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende stellt aber keine Formalität dar, die im Sinne von Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie darauf abzielt, eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehung zu vermeiden.
41 Der Erlass eines Prüfungsbescheids wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende vermag somit für sich genommen nicht zu rechtfertigen, dass der Steuerpflichtige danach seinen Anspruch auf Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage im Fall der Kündigung des Vertrags nicht mehr geltend machen können soll.
42 Dies gilt im Hinblick auf die oben dargestellten Grundsätze auch dann, wenn der Steuerprüfungsbescheid gemäß den nationalen Rechtsvorschriften Bestandskraft erlangt hat, d. h. unanfechtbar geworden ist, wie es nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts hier der Fall ist.
43 Daher ist auf die erste Frage zu antworten dass Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er bei einer Kündigung eines Finanzierungsleasingvertrags eine Minderung der durch Steuerprüfungsbescheid pauschal anhand aller für die gesamte Vertragslaufzeit geschuldeten Leasingraten festgesetzten Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage erlaubt, obwohl dieser Prüfungsbescheid bestandskräftig geworden ist und somit einen „beständigen Verwaltungsakt“ darstellt, mit dem gemäß dem nationalen Recht eine Steuerschuld festgestellt wird.
Zur zweiten, zur dritten und zur vierten Frage
Zur Zulässigkeit der vierten Frage
44 Die bulgarische Regierung hält die vierte Frage für unzulässig. Zum einen sei die Klausel, die im Fall der Vertragskündigung wegen schuldhafter Nichterfüllung einen Schadensersatz vorsehe, nichtig, weil sie nach nationalem Recht gegen die öffentliche Ordnung verstoße. Zum anderen betreffe diese Frage einen Finanzierungsleasingvertrag ohne Option, während der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag ausdrücklich eine Kaufoption enthalte.
45 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, ist, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 5. März 2019, Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 47).
46 Hieraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Er kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 23. Januar 2019, M. A. u. a., C‑661/17, EU:C:2019:53, Rn. 50).
47 Außerdem hat der Gerichtshof wiederholt festgestellt, dass er nicht befugt ist, im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens darüber zu entscheiden, wie nationale Vorschriften auszulegen sind oder ob ihre Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig ist; diese Auslegung fällt nämlich in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte (Urteile vom 16. Februar 2017, IOS Finance EFC, C‑555/14, EU:C:2017:121, Rn. 21, und vom 14. Juni 2017, Online Games u. a., C‑685/15, EU:C:2017:452, Rn. 45).
48 Schließlich ist festzustellen, dass der Gerichtshof im Rahmen von Art. 267 AEUV nicht befugt ist, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden. Es ist daher Aufgabe des vorlegenden Gerichts, die für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlichen rechtlichen Qualifizierungen vorzunehmen. Dagegen hat der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht alle erforderlichen Hinweise zu geben, um es bei dieser Beurteilung zu leiten, indem er gegebenenfalls die ihm vorgelegte Frage umformuliert (Urteil vom 2. Juli 2015, NLB Leasing, C‑209/14, EU:C:2015:440, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
49 Im vorliegenden Fall macht die bulgarische Regierung geltend, dass die Klausel, die bei einer Vertragskündigung wegen schuldhafter Nichterfüllung einen Schadensersatz vorsieht, nichtig sei, weil sie nach nationalem Recht gegen die öffentliche Ordnung verstoße. Der Gerichtshof ist aber weder befugt, darüber zu entscheiden, wie nationale Vorschriften auszulegen sind, noch, sich zu vergewissern, dass das vorlegende Gericht den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen zutreffend bestimmt hat.
50 Außerdem ergibt sich aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte, dass, wie die bulgarische Regierung ausgeführt hat, der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Finanzierungsleasingvertrag eine Kaufoption enthält. Dadurch, dass in einem Abschnitt der Vorlagefrage dem Anschein nach unzutreffend vom Fehlen einer Kaufoption die Rede ist, wird die gestellte Frage aber nicht rein hypothetisch. Zudem ist es Aufgabe des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens eine sachdienliche Antwort zu geben, indem er gegebenenfalls die ihm vorgelegte Frage umformuliert.
51 Unter diesen Umständen ist die vierte Frage, die der Gerichtshof so betrachtet, dass sie sich, wie vom nationalen Gericht in Rn. 4 seiner Vorlageentscheidung angegeben, auf einen Finanzierungsleasingvertrag mit Kaufoption bezieht, zulässig.
Zur Beantwortung der Fragen
52 Mit seinen Fragen 2, 3 und 4, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine „Rückgängigmachung“ oder „Nichtbezahlung“ vorliegt, die unter die Ausnahme von der Pflicht zur Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage gemäß Art. 90 Abs. 2 fallen kann, erstens wenn ein Teil der aus einem Finanzierungsleasingvertrag geschuldeten Leasingraten für den Zeitraum ab Zahlungseinstellung bis zur Kündigung des Vertrags nicht gezahlt wird, da diese Kündigung nicht rückwirkend ist, und zweitens, wenn ein im Fall einer vorzeitigen Vertragsbeendigung geschuldeter Schadensersatz, der der Summe aller geschuldeten Leasingraten bis zum Ende dieses Vertrags entspricht, nicht gezahlt wird.
53 Art. 90 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie erlaubt es den Mitgliedstaaten im Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung des Preises, von der in Rn. 37 des vorliegenden Urteils dargestellten Regel abzuweichen, wonach sie verpflichtet sind, die Bemessungsgrundlage immer dann zu mindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält.
54 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, beruht diese strikt auf den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung beschränkte Abweichungsbefugnis auf der Erwägung, dass es unter bestimmten Umständen und aufgrund der Rechtslage in dem betreffenden Mitgliedstaat schwierig sein kann, nachzuprüfen, ob die Gegenleistung endgültig oder nur vorläufig nicht erbracht worden ist (Urteil vom 23. November 2017, Di Maura, C‑246/16, EU:C:2017:887, Rn. 17).
55 Die Nichtbezahlung des Kaufpreises versetzt die Parteien nämlich nicht in ihre Situation vor Vertragsschluss zurück. Zum einen schuldet der Käufer bei vollständiger Nichtzahlung zumindest weiter den ursprünglich vereinbarten vollen Preis oder bei teilweiser Nichtzahlung den noch ausstehenden Teil des Preises. Zum anderen steht dem Verkäufer grundsätzlich immer noch seine Forderung zu, die er vor Gericht geltend machen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2017, Lombard Ingatlan Lízing, C‑404/16, EU:C:2017:759, Rn. 29).
56 Während sich die Begriffe „Annullierung“, „Auflösung“ und „Rückgängigmachung“ auf Situationen beziehen, in denen die Verpflichtung des Schuldners zur Begleichung seiner Schuld entweder vollständig erloschen ist oder auf einer endgültig festgelegten Stufe eingestellt wird, zeichnet sich unter diesen Umständen die Nichtzahlung dadurch aus, dass ihr Unsicherheit darüber innewohnt, ob sie endgültig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 2017, Lombard Ingatlan Lízing, C‑404/16, EU:C:2017:759, Rn. 30 und 31).
57 Was erstens die für die Zeit von der Zahlungseinstellung bis zur Kündigung des in Rede stehenden Leasingvertrags geschuldeten Leasingraten betrifft, ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall der Leasinggeber den Vertrag mit Wirkung zum 6. Juni 2015 gekündigt hat. Da die Kündigung jedoch nur für die Zukunft gilt, bleiben gemäß Art. 88 ZZD die vom Leasingnehmer vor dem Zeitpunkt der Kündigung des Leasingvertrags nicht gezahlten Raten fällig und der Leasinggeber verfügt grundsätzlich noch über seine Forderung, mit der Möglichkeit, sie vor Gericht geltend zu machen.
58 Die entsprechende Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage im Fall der Rückgängigmachung gemäß Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist daher auf eine solche Forderung, die durch die Kündigung des Leasingvertrags nicht in Frage gestellt wird, nicht anwendbar.
59 Hieraus folgt, dass die unterbliebene Zahlung eines Teils der für die Zeit vor der Kündigung des Vertrags fälligen Raten einen Fall von teilweiser Nichtbezahlung im Sinne von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt, in dem der betreffende Mitgliedstaat, wie in den Rn. 53 und 54 des vorliegenden Urteils dargelegt, von seiner Pflicht gemäß deren Art. 90 Abs. 2 zur Minderung der Bemessungsgrundlage abweichen kann.
60 Gibt es eine nationale Vorschrift, die bei der Aufzählung der Sachverhalte, bei denen die Steuerbemessungsgrundlage gemindert wird, den Fall der Nichtbezahlung des Preises des Umsatzes nicht nennt, ist darin, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, das Ergebnis der Ausübung der dem Mitgliedstaat durch Art. 90 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingeräumten Befugnis zur Abweichung zu sehen (Urteil vom 15. Mai 2014, Almos Agrárkülkereskedelmi, C‑337/13, EU:C:2014:328, Rn. 24).
61 Das vorlegende Gericht gibt aber an, im bulgarischen Recht gebe es keine Bestimmung, die eine Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage im Fall der Nichtbezahlung erlaube; Art. 115 ZDDS sehe eine solche Anpassung nur für den Fall der Annullierung oder Rückgängigmachung vor. Es ist demnach davon auszugehen, dass die Republik Bulgarien von ihrem Recht, von der Verpflichtung zur Minderung der Bemessungsgrundlage im Fall der Nichtbezahlung abzuweichen, in der Weise Gebrauch gemacht hat, dass der Leasinggeber auf eine solche Minderung keinen Anspruch hat.
62 Der Unsicherheit über die Einbringung der geschuldeten Beträge kann gemäß dem Grundsatz der Steuerneutralität dadurch Rechnung getragen werden, dass dem Steuerpflichtigen das Recht auf Minderung der Besteuerungsgrundlage so lange vorenthalten wird, wie die Forderung nicht endgültig uneinbringlich ist. Es könnte ihr aber auch dadurch Rechnung getragen werden, dass die Minderung zuerkannt wird, wenn der Steuerpflichtige eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für den Ausfall der Schuld darlegt, aber die Besteuerungsgrundlage heraufgesetzt werden kann, wenn die Zahlung dennoch erfolgen sollte. Es wäre dann Sache der nationalen Behörden, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter richterlicher Kontrolle die Nachweise für eine wahrscheinlich länger dauernde Nichtbezahlung festzulegen, die der Steuerpflichtige unter Berücksichtigung der Besonderheiten des anzuwendenden nationalen Rechts beizubringen hat. Eine solche Ausgestaltung wäre auch zur Erreichung des verfolgten Ziels wirksam und zugleich weniger belastend für den Steuerpflichtigen, der die Vorfinanzierung der Mehrwertsteuer sicherstellt, indem er sie für Rechnung des Staates einzieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2017, Di Maura, C‑246/16, EU:C:2017:887, Rn. 27).
63 Insoweit ist entschieden worden, dass diese Feststellung umso mehr im Kontext nationaler Rechtsvorschriften gilt, bei deren Anwendung in der Praxis erst nach rund zehn Jahren sicher feststeht, dass die Forderung endgültig uneinbringlich ist. Eine solche Dauer kann jedenfalls für die diesen Rechtsvorschriften unterliegenden Unternehmer im Fall der Nichtbezahlung einer ihrer Rechnungen zu einem Liquiditätsnachteil gegenüber ihren Mitbewerbern aus anderen Mitgliedstaaten führen, der offensichtlich das mit der Mehrwertsteuerrichtlinie verfolgte Ziel der Steuerharmonisierung zunichtemachen könnte (Urteil vom 23. November 2017, Di Maura, C‑246/16, EU:C:2017:887, Rn. 28).
64 Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Leasingnehmer die Zahlung der geschuldeten Raten ab April 2009, d. h. fast neun Jahre vor dem Datum der Vorlageentscheidung, eingestellt hat. Aus dem Vorstehenden folgt jedoch, dass die Tatsache, dass der Steuerpflichtige für einen längeren Zeitraum die ihm geschuldeten Beträge nicht erhalten hat, zu einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für den Ausfall der Schuld führt, und dass sich die nationalen Behörden unter richterlicher Kontrolle zu vergewissern haben, dass dies unter Berücksichtigung der zu diesem Zweck vorgelegten Beweise tatsächlich der Fall ist.
65 Unter diesen Umständen kann die in Art. 90 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Möglichkeit des Abweichens, da sie nur dazu dient, der Unsicherheit über die Einbringung der geschuldeten Beträge entgegenzuwirken, in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht angewandt werden, unbeschadet der Möglichkeit, dass die Bemessungsgrundlage heraufgesetzt werden kann, falls die Zahlung gleichwohl erfolgen sollte.
66 Was zweitens den im Fall einer vorzeitigen Vertragsbeendigung geschuldeten Schadensersatz betrifft, ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass der Leasingvertrag vorsah, dass der Leasinggeber im Fall der Kündigung wegen schuldhafter Nichterfüllung vom Leasingnehmer die Zahlung einer Entschädigung in Höhe sämtlicher nicht gezahlter Leasingraten über die gesamte Vertragslaufzeit verlangen kann, abzüglich des Restwerts der Vermögenswerte und des jährlichen Pachtzinses auf der Grundlage des für die Finanzierung der Transaktion geltenden Zinssatzes. Hieraus folgt, dass die Raten des Leasingvertrags vorbehaltlich entgegenstehender nationaler Bestimmungen als nach dem Datum seiner Kündigung geschuldet angesehen werden können.
67 Insoweit machen der Direktor, die bulgarische Regierung und die Europäische Kommission geltend, dass die als Schadensersatz vereinbarte Zahlung keine wirkliche Kündigungsentschädigung darstellt, sondern die Vergütung für die vertragsgegenständliche und als solche mehrwertsteuerpflichtige Transaktion.
68 Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen Lieferungen von Gegenständen sowie Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt bzw. erbringt, der Mehrwertsteuer.
69 Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass ein „Umsatz gegen Entgelt“ nur voraussetzt, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung besteht. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (Urteil vom 10. Januar 2019, A, C‑410/17, EU:C:2019:12, Rn. 31).
70 Insbesondere ist entschieden worden, dass der im Vorhinein festgelegte Betrag, den ein Wirtschaftsteilnehmer im Fall der vorzeitigen Beendigung eines Dienstleistungsvertrags mit einer Mindestbindungsfrist durch seinen Kunden oder aus einem diesem zuzurechnenden Grund bezieht und der dem Betrag entspricht, den dieser Wirtschaftsteilnehmer ohne diese vorzeitige Beendigung für die restliche Laufzeit erhalten hätte, als Gegenleistung für eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung anzusehen ist und als solche der Mehrwertsteuer unterliegt, selbst wenn diese Beendigung die Deaktivierung der vertragsgegenständlichen Produkte oder Dienste vor dem Ende der vereinbarten Mindestbindungsfrist impliziert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. November 2018, MEO – Serviços de Comunicações e Multimédia, C‑295/17, EU:C:2018:942, Rn. 12, 45 und 57).
71 Im vorliegenden Fall ist zunächst zu der Voraussetzung des Vorliegens gegenseitiger Leistungen, die einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und der erhaltenen Gegenleistung herstellen, festzustellen, dass die Zahlung der betreffenden Raten als Kündigungsentschädigung ein konstituierender Bestandteil des Vertrags ist, da das Bestehen der rechtlichen Verbindung zwischen den Parteien von der Zahlung dieser Raten abhängt.
72 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen geht nämlich hervor, dass sich der Leasinggeber im Rahmen des betreffenden Finanzierungsleasingvertrags verpflichtet hatte, ein vom Leasingnehmer angegebenes Grundstück zu erwerben, darauf ein Gebäude zu errichten und beides dem Leasingnehmer zur Verfügung zu stellen. Als Gegenleistung musste der Leasingnehmer über 132 Monate, also elf Jahre, eine monatliche Leasingrate von 833,78 Euro entrichten, um die Transaktion gemäß dem diesem Vertrag beigefügten Ratenplan zu finanzieren. Mit Vereinbarung vom 29. Oktober 2010 stellten die Parteien im Übrigen fest, dass der Bau des Leasinggegenstands abgeschlossen war.
73 Außerdem entspricht der im Fall einer vorzeitigen Vertragsbeendigung geschuldete Betrag, wie in Rn. 66 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, allein der Summe aller nicht gezahlten Leasingraten für die gesamte Vertragslaufzeit. Nicht darin enthalten sind also das auf der Grundlage des für die Finanzierung der Transaktion geltenden Zinssatzes berechnete jährliche Nutzungsentgelt sowie der Restwert des Vermögensgegenstands, der nur bei Ausübung der Option zu zahlen gewesen wäre. Die Zahlung des im Fall einer vorzeitigen Vertragsbeendigung geschuldeten Betrags ermöglicht es also dem Leasinggeber, die gleichen Einnahmen zu erzielen, die er ohne diese Kündigung erhalten hätte. Daraus folgt, dass die Kündigung bei einem solchen Vertrag wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die wirtschaftliche Realität des Vertragsverhältnisses nicht verändert.
74 Somit ist festzustellen, dass bei einem Vertrag wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Gegenleistung für den vom Leasingnehmer an den Leasinggeber gezahlten Betrag darin besteht, dass der Leasingnehmer das Recht hat, die Durchführung genau der vertraglichen Verpflichtungen durch diesen Wirtschaftsteilnehmer zu beanspruchen, auch wenn der Leasingnehmer dieses Recht aus einem von ihm zu vertretenden Grund nicht ausüben will oder kann. Dabei spielt es daher keine Rolle, ob der Leasingnehmer zum Zeitpunkt der Kündigung des Vertrags noch über den Gegenstand verfügt hat oder nicht, solange der Leasinggeber es dem Leasingnehmer ermöglicht hat, die vertraglich vereinbarten Leistungen zu beanspruchen, deren Aufgabe ihm nicht zuzurechnen ist.
75 Was sodann die Voraussetzung angeht, dass die entrichteten Beträge die tatsächliche Gegenleistung für eine bestimmbare Dienstleistung darstellen, ist darauf hinzuweisen, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Verpflichtungen des Leasinggebers und der dem Leasingnehmer in Rechnung gestellte Betrag im Fall einer vorzeitigen Vertragsbeendigung bei Abschluss dieses Vertrags festgelegt worden sind. Darüber hinaus entspricht der im Fall einer vorzeitigen Beendigung fällige Betrag dem Gesamtbetrag der zu zahlenden Monatsraten, die sofort fällig werden, ohne dass die wirtschaftliche Realität des Vertragsverhältnisses hierdurch verändert würde.
76 Hieraus folgt, dass der im Fall einer vorzeitigen Beendigung geschuldete Betrag als integraler Bestandteil des Gesamtbetrags zu betrachten ist, zu dessen Zahlung sich der Leasingnehmer im Gegenzug zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch den Leasinggeber verpflichtet hatte.
77 Der Umstand, dass die bulgarischen Steuerbehörden die Mehrwertsteuer auf einer Bemessungsgrundlage in Höhe der Summe aller während der gesamten Vertragslaufzeit geschuldeten Leasingraten berechnet haben, was von Bulus nicht gerügt worden zu sein scheint, bestätigt im Übrigen, dass die fraglichen Beträge die Gegenleistung für eine selbständige und bestimmbare Dienstleistung darstellen.
78 Folglich ist eine Kündigungsentschädigung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als Vergütung für die Transaktion anzusehen, die Gegenstand des Leasingvertrags ist, und als solche mehrwertsteuerpflichtig.
79 Daher ist festzustellen, ob bei der Nichtzahlung der Raten, die der Summe aller unbezahlten Leasingraten von der Kündigung bis zum Ende der Vertragslaufzeit entsprechen, eine „Rückgängigmachung“ oder „Nichtbezahlung“ im Sinne von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegt.
80 Wie sich aus Rn. 66 des vorliegenden Urteils ergibt, sind diese Beträge als geschuldet anzusehen, so dass der Leasinggeber grundsätzlich noch über seine Forderung verfügt und diese gerichtlich geltend machen kann. Tatsächlich ist die Einziehung der fälligen Raten für den Zeitraum nach der Kündigung des Vertrags auf den ersten Blick ungewiss.
81 Im Übrigen ist, nachdem der Steuerpflichtige eine hinreichende Wahrscheinlichkeit geltend macht, dass die den Raten vor der Kündigung des Vertrags entsprechende Schuld nicht beglichen wird, da die fälligen Beträge seit fast neun Jahren nicht mehr eingebracht wurden, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, davon auszugehen, dass in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens diese Wahrscheinlichkeit auch für die Raten nach der Kündigung des Vertrags gilt.
82 Unter diesen Umständen ist die Möglichkeit des Abweichens nach Art. 90 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie auch nicht auf den Zeitraum nach der Kündigung des Vertrags anwendbar, unbeschadet der Möglichkeit, dass die Bemessungsgrundlage heraufgesetzt werden kann, falls die Zahlung gleichwohl erfolgen sollte.
83 Daher ist auf die zweite, die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zum einen die Nichtzahlung eines Teils der aus einem Finanzierungsleasingvertrag geschuldeten Leasingraten für den Zeitraum ab Zahlungseinstellung bis zur nicht rückwirkenden Kündigung des Vertrags und zum anderen die Nichtzahlung eines im Fall einer vorzeitigen Vertragsbeendigung geschuldeten Schadensersatzes, der der Summe aller ausstehenden Leasingraten bis zum Ende der Laufzeit dieses Vertrags entspricht, eine Nichtbezahlung darstellen, die unter die Ausnahme von der Pflicht zur Minderung der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage gemäß Art. 90 Abs. 2 dieser Richtlinie fallen kann, es sei denn, der Steuerpflichtige macht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit geltend, dass diese Schuld nicht beglichen wird, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.