EuGH-Schlussanträge: Mehrwertsteuer – Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer, wenn auf die Einfuhr eine innergemein-schaftliche befreite Lieferung folgt
GA Mengozzi, Schlussanträge vom 22.3.2018 – C-108/17, UAB Enteco Baltic gegen Muitinės departamentas prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos
ECLI:EU:C:2018:215
Volltext: BB-Online BB-ONLINE BBL2018-918-1
Schlussanträge
130. Aufgrund aller dieser Erwägungen schlägt der GA dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionales Verwaltungsgericht Vilnius, Litauen) wie folgt zu beantworten:
1. Art. 143 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, geändert durch die Richtlinie 2009/69/EG des Rates vom 25. Juni 2009 zur Bekämpfung des Steuerbetrugs bei der Einfuhr, ist dahin auszulegen, dass er es angesichts des dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats nicht gestattet, die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung nur deshalb abzulehnen, weil zum Zeitpunkt der Einfuhr beabsichtigt war, Gegenstände an einen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat zu liefern, dessen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer folglich in der Einfuhranmeldung angegeben wurde, die Gegenstände jedoch später wegen veränderter Umstände an einen anderen Steuerpflichtigen (der ebenfalls der Mehrwertsteuer unterlag) geliefert wurden, wobei die Behörden des ersten Mitgliedstaats vollständig über die Identität des tatsächlichen Erwerbers informiert wurden.
2. Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 in der Fassung der Richtlinie 2009/69 ist dahin auszulegen, dass Dokumente wie das elektronische Verwaltungsdokument (das sogenannte e-VD) und der aufgrund des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr ausgestellte Frachtbrief (der sogenannte CMR-Frachtbrief) als Beweismittel dafür angesehen werden können, dass die eingeführten Gegenstände zum Zeitpunkt der Einfuhr dazu bestimmt sind, in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert zu werden. Art. 138 der Richtlinie 2006/112 in der Fassung der Richtlinie 2009/69, auf den Art. 143 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie verweist, ist dahin auszulegen, dass die die e-VD betreffenden Eingangsmeldungen sowie die eEB-Empfangsbekenntnisse als Beweismittel dafür angesehen werden können, dass die eingeführten Gegenstände, die Gegenstand der innergemeinschaftlichen Lieferung waren, das Hoheitsgebiet des Einfuhr- und Liefermitgliedstaats verlassen haben und in den Bestimmungsmitglied versandt worden sind.
3. Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112 in der Fassung der Richtlinie 2009/69 ist dahin auszulegen, dass er es den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats nicht gestattet, die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer abzulehnen, wenn die Befähigung, wie ein Eigentümer über die eingeführten und gelieferten Gegenstände zu verfügen, nicht unmittelbar auf den Erwerber übertragen wurde, solange sie nur auf diesen Steuerpflichtigen und nicht auf andere Personen übertragen wurde, wovon sich das vorlegende Gericht überzeugen muss.
4. Es verstößt gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn die Zollverwaltung eines Mitgliedstaats einem Steuerpflichtigen, der gutgläubig gehandelt hat und für den nicht nachgewiesen ist, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einer Steuerhinterziehung beteiligt war, das Recht auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer mit der Begründung abspricht, dass eine der materiellen Voraussetzungen für die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung, die auf die Einfuhr folgte, von der Mehrwertsteuer nicht mehr erfüllt ist, obwohl die zuständige Behörde desselben Mitgliedstaats diese Voraussetzung nach einer Kontrolle der vom Steuerpflichtigen eingereichten Belege und Dokumente bereits als erfüllt angesehen hat. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu untersuchen, ob der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens die Feststellung zulässt, dass alle diese Umstände und Voraussetzungen gegeben sind, wobei der bloße Umstand, dass sich der Steuerpflichtige für die Kommunikation mit seinen Vertragspartnern elektronischer Kommunikationsmittel bedient hat, nicht als Hinweis auf seine Fahrlässigkeit oder seine Bösgläubigkeit angesehen werden kann.
5. Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 in der Fassung der Richtlinie 2009/69 ist dahin auszulegen, dass der Steuerpflichtige, der eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer beansprucht, nachweisen muss, dass die materiellen Voraussetzungen für diese Befreiung erfüllt sind, ohne dass er von den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats verlangen könnte, bei der Prüfung der Frage, ob das Recht, wie ein Eigentümer über die gelieferten Gegenstände zu verfügen, auf den Erwerber übertragen wurde, Auskünfte von anderen Steuerpflichtigen einzuholen, die nur Behörden erteilt werden.
Aus den Gründen
I. Einleitung
1. Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen fragt das Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionales Verwaltungsgericht Vilnius, Litauen) den Gerichtshof nach der Auslegung des Art. 14 Abs. 1, des Art. 138 Abs. 1 und des Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem(2), geändert durch die Richtlinie 2009/69/EG des Rates vom 25. Juni 2009 zur Bekämpfung des Steuerbetrugs bei der Einfuhr(3) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie), sowie des Grundsatzes des Schutzes der Rechtssicherheit.
2. Die sieben Fragen des vorlegenden Gerichts stellen sich im Zusammenhang mit der Einfuhr von Treibstoff, den die UAB Enteco Baltic aus Weißrussland zur innergemeinschaftlichen Lieferung in andere Mitgliedstaaten nach Litauen einführte.
3. Die schwierigste Frage in der vorliegenden Rechtssache ist die, ob die Verpflichtung eines Importeurs wie Enteco Baltic, den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats die seinem Kunden im Bestimmungsmitgliedstaat der Waren zugeteilte Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer mitzuteilen, seit Inkrafttreten der Richtlinie 2009/69, durch die diese Verpflichtung in die Richtlinie 2006/112 eingefügt wurde, eine rein formelle oder aber eine materielle Voraussetzung für das Recht auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer darstellt.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
4. Nach Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gilt „als ‚Lieferung von Gegenständen‘ … die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen“.
5. Nach Art. 20 dieser Richtlinie gilt als „‚innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen‘ … die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, der durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versandt oder befördert wird“.
6. Art. 131 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger [Unions]vorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen.“
7. Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der [Union] versandt oder befördert werden von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.“
8. Art. 143 der Richtlinie 2006/112 wurde durch die Richtlinie 2009/69 geändert, dessen Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 die Umsetzungsfrist auf den 1. Januar 2011 festsetzt. Die Erwägungsgründe 3, 4 und 5 der Richtlinie 2009/69 lauten:
„(3) Die Einfuhr von Gegenständen ist von der Mehrwertsteuer befreit, wenn darauf eine Lieferung oder Verbringung dieser Gegenstände an einen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat folgt. Die Voraussetzungen für diese Steuerbefreiung werden von den Mitgliedstaaten festgelegt. Allerdings hat sich erwiesen, dass Unterschiede bei der Anwendung von den Händlern missbraucht werden, um die Zahlung der Mehrwertsteuer auf unter diesen Umständen eingeführte Gegenstände zu umgehen.
(4) Um einen derartigen Missbrauch zu vermeiden, ist für spezielle Umsätze auf Gemeinschaftsebene eine Reihe von Mindestvoraussetzungen für die Anwendung dieser Befreiung festzulegen.
(5) Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Verhinderung von Steuerhinterziehung, aus den dargelegten Gründen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden kann und daher besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen ist, kann die Gemeinschaft im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip nach Artikel 5 EG tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.“
9. Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
d) die Einfuhr von Gegenständen, die von einem Drittgebiet oder einem Drittland aus in einen anderen Mitgliedstaat als den Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung versandt oder befördert werden, sofern die Lieferung dieser Gegenstände durch den gemäß Artikel 201 als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird und gemäß Artikel 138 befreit ist;
…
(2) Die Steuerbefreiung gemäß Absatz 1 Buchstabe d ist in den Fällen, in denen auf die Einfuhr von Gegenständen eine Lieferung von Gegenständen folgt, die gemäß Artikel 138 Absatz 1 und Absatz 2 Buchstabe c von der Steuer befreit ist, nur anzuwenden, wenn der Importeur zum Zeitpunkt der Einfuhr den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats mindestens die folgenden Angaben hat zukommen lassen:
a) seine im Einfuhrmitgliedstaat erteilte MwSt.-Identifikationsnummer oder die im Einfuhrmitgliedstaat erteilte MwSt.-Identifikationsnummer seines Steuervertreters, der die Steuer schuldet;
b) die in einem anderen Mitgliedstaat erteilte MwSt.-Identifikationsnummer des Erwerbers, an den die Gegenstände gemäß Artikel 138 Absatz 1 geliefert werden, oder seine eigene MwSt.-Identifikationsnummer, die in dem Mitgliedstaat erteilt wurde, in dem die Versendung oder Beförderung der Gegenstände endet, wenn die Gegenstände gemäß Artikel 138 Absatz 2 Buchstabe c verbracht werden;
c) den Nachweis, aus dem hervorgeht, dass die eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, aus dem Einfuhrmitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versandt zu werden.
Allerdings können die Mitgliedstaaten festlegen, dass der Nachweis nach Buchstabe c den zuständigen Behörden lediglich auf Ersuchen vorzulegen ist.“
10. Nach Art. 157 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie können „[d]ie Mitgliedstaaten … die Einfuhr von Gegenständen, die einer Regelung für andere Lager als Zolllager unterliegen sollen, [von der Steuer befreien]“.
11. Nach Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
B. Litauisches Recht
12. Art. 35 des Lietuvos Respublikos pridėtinės vertės mokesčio įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über die Mehrwertsteuer, im Folgenden: MwStG) bestimmt:
„1. Eingeführte Gegenstände sind von der Einfuhrumsatzsteuer befreit, wenn zum Zeitpunkt der Einfuhr bekannt ist, dass diese Gegenstände dazu bestimmt sind, in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführt zu werden, und dass ihre Beförderung dorthin erfolgen wird; die durch den Importeur vorgenommene Lieferung der Gegenstände von Litauen in einen anderen Mitgliedstaat gemäß Titel VI dieses Gesetzes … unterliegt einem Mehrwertsteuer-Nullsatz.
2. Die Bestimmungen dieses Artikels finden Anwendung, wenn der Importeur in Litauen als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist und die Gegenstände nicht später als einen Monat seit dem Eintritt des Steuertatbestands in einen anderen Mitgliedstaat befördert werden … Die Frist für die Beförderung der Gegenstände kann verlängert werden, wenn dies aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.
3. Die Modalitäten der Anwendung dieses Artikels werden vom nationalen Zolldienst zusammen mit der zentralen Steuerverwaltung festgelegt.“
13. In Art. 49 Abs. 1 MwStG heißt es:
„Der Mehrwertsteuer-Nullsatz ist anwendbar auf Gegenstände, die an eine in einem anderen Mitgliedstaat als mehrwertsteuerpflichtig registrierte Person geliefert und vom nationalen Hoheitsgebiet in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführt werden (ungeachtet des Transporteurs der Gegenstände, ob es sich um den Lieferer, den Erwerber oder einen von diesen beauftragten Dritten handelt).“
14. Art. 56 MwStG („Rechtfertigung der Anwendung des Mehrwertsteuer-Nullsatzes“) sieht u. a. Folgendes vor:
„1. … Ein Mehrwertsteuerpflichtiger, der gemäß Art. 49 dieses Gesetzes den Mehrwertsteuer-Nullsatz angewandt hat, muss im Besitz von Beweisen für die Ausfuhr der Gegenstände aus dem Hoheitsgebiet sein. Ist der Mehrwertsteuer-Nullsatz bei der Lieferung der Gegenstände an eine in einem anderen Mitgliedstaat als mehrwertsteuerpflichtig registrierte Person angewandt worden, muss er im Besitz von Beweisen dafür sein, dass die Person, an die die Gegenstände ausgeführt wurden, in einem anderen Mitgliedstaat mehrwertsteuerpflichtig ist …
…
4. Unbeschadet der übrigen Bestimmungen dieses Artikels ist die Steuerverwaltung befugt, gemäß den im Mokesčių administravimo įstatymas [(Gesetz über die Steuerverwaltung)] festgelegten Modalitäten die Vorlage zusätzlicher Beweise zu verlangen, die es ermöglichen, die Berechtigung der Anwendung des Mehrwertsteuer-Nullsatzes zu beurteilen. Kann ein Mehrwertsteuerpflichtiger die Anwendung eines Mehrwertsteuer-Nullsatzes auf die Lieferung von Gegenständen, den Erwerb von Gegenständen in einem anderen Mitgliedstaat oder die Erbringung von Dienstleistungen nicht rechtfertigen, so ist diese Lieferung von Gegenständen, dieser Erwerb von Gegenständen in einem anderen Mitgliedstaat oder diese Erbringung von Dienstleistungen dem normalen Mehrwertsteuersatz oder einem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen, wenn ein solcher für derartige Gegenstände oder Dienstleistungen vorgesehen ist.
…
5. Unbeschadet der übrigen Bestimmungen dieses Artikels ist die Steuerverwaltung befugt, von Amts wegen oder mit Hilfe der zuständigen Vollstreckungsbehörden zusätzliche Beweise zu erheben, um zu klären, ob die Anwendung des Mehrwertsteuer-Nullsatzes gerechtfertigt ist. Geht aus diesen Beweisen hervor, dass ein Mehrwertsteuer-Nullsatz zu Unrecht auf die Lieferung von Gegenständen, den Erwerb von Gegenständen in einem anderen Mitgliedstaat oder die Erbringung von Dienstleistungen angewandt wurde, ist diese Lieferung von Gegenständen, dieser Erwerb von Gegenständen in einem anderen Mitgliedstaat oder diese Erbringung von Dienstleistungen dem normalen Mehrwertsteuersatz oder einem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen, wenn ein solcher für derartige Gegenstände oder Dienstleistungen vorgesehen ist.“
15. § 4 der Regelung zur Befreiung eingeführter und in einen anderen EU-Mitgliedstaat gelieferter Gegenstände von der Einfuhrumsatzsteuer (im Folgenden: Regelung), die durch Beschluss Nr. 1B-439/VA-71 des Direktors des nationalen Zolldienstes und des Leiters der Valstybinės mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos (dem Finanzministerium der Republik Litauen nachgeordnete staatliche Steuerinspektion, im Folgenden: Inspektion) vom 29. April 2004 erlassen wurde, lautet:
„4. In das nationale Hoheitsgebiet eingeführte Gegenstände sind von der Mehrwertsteuer befreit, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
4.1. Zum Zeitpunkt der Einfuhr ist bekannt, dass die Gegenstände dazu bestimmt sind, ausgeführt zu werden, und dass ihre Beförderung nach einem anderen Mitgliedstaat erfolgen wird;
4.2. der Importeur der Gegenstände ist zurzeit der Abgabe der Einfuhranmeldung zur zollamtlichen Kontrolle im nationalen Hoheitsgebiet als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert;
4.3. die Lieferung von Gegenständen aus Litauen in einen anderen Mitgliedstaat gemäß den Bestimmungen des Titels VI MwStG ist aufgrund der Anwendung eines Mehrwertsteuer-Nullsatzes mehrwertsteuerfrei;
4.4. der Importeur liefert dem Steuerpflichtigen des anderen Mitgliedstaats genau die Gegenstände, die er in das nationale Hoheitsgebiet eingeführt hat;
4.5. die Gegenstände werden binnen eines Monats seit Eintritt des in Art. 14 Abs. 12 oder 13 MwStG bezeichneten Steuertatbestands oder binnen der in § 5 der Regelung für den Transport in einen anderen Mitgliedstaat vorgesehenen verlängerten Frist in einen anderen Mitgliedstaat befördert.“
16. In § 7 der Regelung heißt es:
„7. Zur Zollkontrolle sind mit der Einfuhranmeldung und den anderen Dokumenten folgende Schriftstücke vorzulegen:
7.1. eine Bescheinigung über die Registrierung des Importeurs als Mehrwertsteuerpflichtiger nebst Kopie (Bescheinigung über die Registrierung des Importeurs als Mehrwertsteuerpflichtiger, die nach Überprüfung der Kopie zurückgesandt wird);
7.2. Dokumente, die den Nachweis dafür erbringen, dass die in das Hoheitsgebiet des Landes eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, in einen anderen Mitgliedstaat befördert zu werden, und dass ihre Beförderung dorthin erfolgen wird (namentlich Beförderungsdokumente oder Vertrag).“
17. Die Regelung wurde durch den Beschluss Nr. 1B-773/VA-119 des Direktors des nationalen Zolldiensts und des Leiters der Inspektion vom 28. Dezember 2010, der am 1. Januar 2011 in Kraft trat, um § 71 ergänzt. Dieser lautet:
„Im Fall der Änderung des Ortes der Lagerung der Gegenstände oder des Erwerbers (des in den zur zollamtlichen Kontrolle vorgelegten Dokumenten aufgeführten Steuerpflichtigen des anderen Mitgliedstaats und/oder des Mitgliedstaats, in den die Gegenstände verbracht werden) muss der Importeur unverzüglich das örtliche Zollamt informieren und dabei neue Tatsachen zur Erklärung der Gründe für die Änderungen angeben und Kopien der diese rechtfertigenden Belege beifügen.“
18. Nr. 27.49.1.7. der durch Beschluss Nr. I B-289 des Direktors des nationalen Zolldiensts vom 13. April 2004 erlassenen „Anweisungen zum Ausfüllen des Einheitspapiers der Versandanmeldung“ verpflichtet den Importeur zur Angabe des bei der Abgabe der Einfuhranmeldung gültigen alphabetischen Codes des Mitgliedstaats der Union, in den die Gegenstände ausgeführt werden, und der von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats der Union zugeteilten persönlichen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Empfängers der Gegenstände, wenn nicht aus der Gemeinschaft stammende Gegenstände, die gemäß Art. 35 MwStG von der Einfuhrumsatzsteuer befreit sind, in den zollrechtlich freien Verkehr überführt und in den inländischen Markt eingeführt werden.
III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
19. Enteco Baltic ist eine in Litauen ansässige Gesellschaft, die einen Treibstoffgroßhandel betreibt.
20. Von 2010 bis 2012 führte sie Treibstoffe aus Weißrussland nach Litauen ein. Diese Treibstoffe wurden nach dem „Zollverfahren 42“(4) unter Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer zum freien Verkehr abgefertigt. In den Einfuhranmeldungen gab sie die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erwerbers an, an den sie die Gegenstände zu liefern beabsichtigte. Sie lagerte diese in Steuerlager für verbrauchsteuerpflichtige Waren ein, die anderen litauischen Unternehmen gehörten.
21. Enteco Baltic verkaufte diese Treibstoffe aufgrund schriftlicher Verträge und einzelner Bestellungen an Gesellschaften, die in Polen, der Slowakei und Ungarn ansässig waren. In diesen Verträgen war eine Lieferung ab Werk („ex works“)(5) vorgesehen. Somit war Enteco Baltic nur verpflichtet, den Treibstoff den Erwerbern in Litauen zu übergeben, und diese waren für die Weiterbeförderung in den Bestimmungsmitgliedstaat verantwortlich.
22. Die Erwerber übermittelten Enteco Baltic ihre einzelnen Bestellungen per E-Mail, wobei sie namentlich Angaben über die Vertreter, die die bestellten Gegenstände abholen sollten, und über die Steuerlager am Bestimmungsort(6) dieser Gegenstände machten. Die von Enteco Baltic ausgestellten Rechnungen mit ausgewiesener Mehrwertsteuer wurden den Erwerbern gewöhnlich per E-Mail übersandt.
23. Für die Gegenstände wurden im Hinblick auf ihren Transport elektronische Dokumente für die Beförderung von verbrauchsteuerpflichtigen Gegenständen (e-VD) sowie CMR-Frachtbriefe(7) ausgestellt. Diese wurden vom verantwortlichen Personal des Abgangsteuerlagers ausgefüllt und enthielten u. a. die Angabe des Versendungsorts der Gegenstände (das Abgangsteuerlager), des Erwerbers und des Empfangsorts der Gegenstände (das Bestimmungsteuerlager).
24. Nach Lieferung der Gegenstände in die Bestimmungsteuerlager(8) erhielt Enteco Baltic ein eEB (elektronisches Empfangsbekenntnis)(9) für die Lieferung und die Bestätigung, dass das e-VD-Verfahren abgeschlossen war. Normalerweise erhielt sie auch die CMR-Frachtbriefe mit der Bestätigung des Erhalts der Gegenstände durch die Bestimmungsteuerlager.
25. Enteco Baltic verkaufte bisweilen Gegenstände an andere Steuerpflichtige als die, deren Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern in den Einfuhranmeldungen angegeben waren. Die Angaben über diese in anderen Mitgliedstaaten Steuerpflichtigen einschließlich ihrer Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer wurden der Inspektion immer in den monatlichen Berichten über die Lieferung der Gegenstände in andere Mitgliedstaaten übermittelt.
26. Das Vilniaus teritorinė muitinė (Regionales Zollamt Vilnius, Litauen, im Folgenden: Zollamt Vilnius) führte 2012 eine teilweise Kontrolle der für den Zeitraum vom 1. April 2010 bis zum 31. Mai 2012 abgegebenen Einfuhranmeldungen durch. Dabei stellte es Unregelmäßigkeiten bei den Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern fest und berichtigte sie.
27. 2013 wurde der Inspektion von polnischen, slowakischen und ungarischen Steuerbehörden mitgeteilt, dass es bei der Durchführung des „Zollverfahrens 42“ möglicherweise zu Missbräuchen gekommen sei. Diese Behörden erklärten u. a., nicht bestätigen zu können, dass die Erwerber den fraglichen Treibstoff tatsächlich erhalten hätten, und wiesen darauf hin, dass diese in dem entsprechenden Zeitraum keine Mehrwertsteuer erklärt hätten.
28. Aufgrund dieser Informationen führte die Inspektion 2013 eine Steuerkontrolle durch. Sie stellte fest, dass Enteco Baltic ausreichende Beweise dafür vorgelegt habe, dass die Gegenstände das Land verlassen hätten und dass den Erwerbern das Recht, wie ein Eigentümer darüber zu verfügen, tatsächlich übertragen worden sei. Es sei nicht nachgewiesen, dass Enteco Baltic bei diesen Umsätzen fahrlässig oder unvorsichtig gehandelt hätte.
29. Das Zollamt Vilnius führte in den Jahren 2014 und 2015 erneute Untersuchungen durch, deren Zweck und Zeitraum sich teilweise mit denen der von der Inspektion im Jahr 2013 vorgenommenen Kontrolle überschnitten. Dabei stellte das Zollamt Vilnius fest, dass Enteco Baltic den Treibstoff nicht an die in den Einfuhranmeldungen angegebenen Steuerpflichtigen geliefert bzw. nicht nachgewiesen habe, dass der Treibstoff befördert worden sei und das Recht, darüber wie ein Eigentümer zu verfügen, auf die in den Mehrwertsteuerrechnungen genannten Personen übertragen worden sei.
30. Enteco Baltic wandte sich an ein polnisches Unternehmen, das Wirtschaftsinformationsdienste anbietet, um zusätzliche Auskünfte über die fraglichen Beförderungen zu erhalten, und ersuchte das Zollamt Vilnius, von den polnischen Steuerlagern Auskünfte einzuholen, die das genannte Unternehmen nicht erhalten konnte. Diesem Ersuchen wurde nicht stattgegeben.
31. Das Zollamt Vilnius stellte in einem Untersuchungsbericht vom 25. November 2015 fest, dass die Firma Enteco Baltic bei der Einfuhr der Treibstoffe aus Weißrussland rechtsgrundlos keine Einfuhrumsatzsteuer entrichtet habe, und verlangte von dieser die Zahlung von 3 220 822 Euro für Mehrwertsteuer, Bußgelder und Verzugszinsen.
32. Der nationale Zolldienst bestätigte diese Aufforderung durch Bescheid vom 16. März 2016. Darin führte er aus, dass die Steuerbefreiung bei der Einfuhr nur gewährt werden könne, wenn das Recht, über die Gegenstände zu verfügen, unmittelbar auf einen in einem anderen Mitgliedstaat Mehrwertsteuerpflichtigen übertragen werde. Diese Befreiung könne Enteco Baltic nicht gewährt werden, da der Treibstoff an polnische Steuerlager geliefert worden sei, deren Mehrwert-Identifikationsnummer in den Mehrwertsteuerrechnungen nicht angegeben worden sei.
33. Enteco Baltic erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde bei der Mokestinių ginčų komisija prie Lietuvos Respublikos (Kommission für Steuerstreitigkeiten bei der Regierung der Republik Litauen, im Folgenden: Kommission für Steuerstreitigkeiten). Diese verwies die Beschwerde durch Entscheidung vom 1. Juni 2016 an den nationalen Zolldienst zurück.
34. Sowohl Enteco Baltic als auch der nationale Zolldienst haben das vorlegende Gericht angerufen und namentlich die Aufhebung der Entscheidung der Kommission für Steuerstreitigkeiten beantragt.
35. Enteco Baltic und der nationale Zolldienst haben vor dem Gericht die Auswirkungen der Lieferung der Treibstoffe an in anderen Mitgliedstaaten Steuerpflichtige, die nicht in den Einfuhranmeldungen genannt waren, erörtert. Das Gericht weist darauf hin, dass Enteco Baltic gegenüber der Inspektion in den monatlichen Aufstellungen über die Lieferung von Gegenständen in andere Mitgliedstaaten alle Angaben über die Erwerber einschließlich ihrer Mehrwert-Identifikationsnummer gemacht hat, ohne die Identität der tatsächlichen Erwerber zu verschleiern.
36. Im Übrigen stellt sich das vorlegende Gericht Fragen nach dem Beweiswert der CMR-Frachtbriefe und der elektronischen Verwaltungsdokumente (im Folgenden: e-VD(10)) sowie der eEB-Empfangsbekenntnisse.
37. Das Gericht ersucht ferner darum, den Begriff „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie für den Fall genauer zu definieren, dass das Recht, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, nicht unmittelbar auf den Erwerber, sondern auf Beförderungsunternehmen oder polnische Steuerlager übertragen wurde. Es weist darauf hin, dass sich Enteco Baltic im Verfahren auf die Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug berufen habe.
38. Zudem fragt sich das vorlegende Gericht, ob, wie die Kommission für Steuerstreitigkeiten vorgetragen hat, der gute Glaube des Lieferers eine zusätzliche Voraussetzung für die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer darstellt oder darstellen kann.
39. Schließlich ersucht das vorlegende Gericht um Klärung der Frage der Beweiswürdigung bei der Anwendung der Mehrwertsteuerrichtlinie.
40. Unter diesen Umständen hat das Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionales Verwaltungsgericht Vilnius) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 143 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass die Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats die Anwendung der in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiung nicht allein deshalb ablehnen darf, weil die betreffenden Gegenstände zum Zeitpunkt der Einfuhr dazu bestimmt waren, an einen Mehrwertsteuerpflichtigen geliefert zu werden, dessen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer daher in der Einfuhranmeldung angegeben war, später jedoch wegen veränderter Umstände an einen anderen (Mehrwert)Steuerpflichtigen versandt wurden, wobei die Behörden vollständig über die Identität des tatsächlichen Erwerbers informiert wurden?
2. Kann Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles dahin ausgelegt werden, dass Dokumente (e-VD-Frachtbriefe und eEB-Empfangsbekenntnisse), die unwiderlegt bestätigen, dass die Gegenstände aus einem Steuerlager im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats in ein Steuerlager in einem anderen Mitgliedstaat verbracht wurden, einen ausreichenden Nachweis für die tatsächliche Ausfuhr der Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat erbringen?
3. Ist Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass er es der Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats untersagt, die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung abzulehnen, wenn das Recht, über die Gegenstände zu verfügen, nicht unmittelbar auf den Erwerber, sondern auf von ihm benannte Personen (Beförderungsunternehmen oder Steuerlager) übertragen wurde?
4. Steht eine Verwaltungspraxis im Widerspruch zu den Grundsätzen der Neutralität der Mehrwertsteuer und des Vertrauensschutzes, wonach der Begriff der Übertragung der Verfügungsmacht und die Anforderungen an den Nachweis dieser Übertragung unterschiedlich ausgelegt werden, je nachdem, ob Art. 167 oder Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie anwendbar ist?
5. Gilt der Grundsatz des guten Glaubens bei der Erhebung der Mehrwertsteuer auch für das Recht auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer (nach Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie) in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, d. h., wenn die Zollverwaltung einem Steuerpflichtigen das Recht auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer mit der Begründung versagt, dass die Voraussetzungen der Weiterlieferung der betreffenden Gegenstände innerhalb der Union (Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie) nicht erfüllt seien?
6. Ist Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass er einer Verwaltungspraxis der Mitgliedstaaten entgegensteht, wonach die Annahme, dass i) die Verfügungsmacht nicht auf einen bestimmten Vertragspartner übertragen wurde und ii) dem Steuerpflichtigen eine etwaige Mehrwertsteuerhinterziehung seines Vertragspartners bekannt war oder hätte bekannt sein müssen, darauf beruht, dass der Steuerpflichtige mit seinen Vertragspartnern in elektronischer Form kommunizierte und die Steuerprüfung durch die Verwaltung ergab, dass seine Vertragspartner unter den angegebenen Geschäftsadressen nicht auffindbar waren und keine Mehrwertsteuer für die mit ihm getätigten Umsätze erklärt hatten?
7. Ist Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass, obwohl es dem Steuerpflichtigen obliegt, das Recht auf eine Steuerbefreiung darzutun, dies nicht bedeutet, dass die zuständigen Behörden bei der Prüfung der Frage der Übertragung der Verfügungsmacht nicht verpflichtet wären, Auskünfte einzuholen, die nur Behörden erteilt werden?
41. Enteco Baltic, die litauische Regierung und die Europäische Kommission haben zu diesen Fragen schriftliche Erklärungen abgegeben. Diese Verfahrensbeteiligten sind ferner in der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2018 angehört worden.
IV. Untersuchung
42. Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht die Steuerbefreiung für die Einfuhr von Gegenständen vor, die aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat verbracht werden, wenn auf diese Einfuhr eine vom Importeur vorgenommene und gemäß Art. 138 dieser Richtlinie steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung folgt.
43. Im Ausgangsverfahren wurde Enteco Baltic nach den Erklärungen des vorlegenden Gerichts ursprünglich die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Steuerbefreiung gewährt, und zwar als Importeur von Treibstoffen aus Weißrussland nach Litauen, die dazu bestimmt waren, an Erwerber in Polen, der Slowakei und Ungarn geliefert zu werden, wobei diese innergemeinschaftliche Lieferung von der Mehrwertsteuer befreit war. Der entscheidungserhebliche Zeitraum betrifft Treibstoffeinfuhren vom 1. April 2010 bis 31. Mai 2012.
44. Aufgrund verschiedener Kontrollen bei Enteco Baltic, auf deren Konsequenzen ich später eingehen werde, kam die litauische Zollverwaltung zu der Auffassung, dass diese Firma letztlich zur Entrichtung der Mehrwertsteuer verpflichtet war. Dem Vorlagebeschluss zufolge wird ihr hauptsächlich vorgeworfen, bei der Einfuhr eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer angegeben zu haben, die letztendlich nicht der der tatsächlichen Erwerber entsprach, und/oder nicht nachgewiesen zu haben, dass die eingeführten Treibstoffe dazu bestimmt waren, in einen anderen Mitgliedstaat geliefert zu werden.
45. Tatsächlich ist nach Art. 143 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Steuerbefreiung gemäß Art. 143 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie im Fall einer Einfuhr, auf die eine innergemeinschaftliche Lieferung folgt, nur anzuwenden, wenn der Importeur zum Zeitpunkt der Einfuhr den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats u. a. die in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers, an den die Gegenstände gemäß Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie geliefert werden, sowie den Nachweis, aus dem hervorgeht, dass die eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, aus dem Einfuhrmitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versandt zu werden, hat zukommen lassen.
46. Wenn man sich an den Wortlaut des Art. 143 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie hält, könnte der Ausgangsrechtsstreit auf den ersten Blick leicht gelöst werden. Denn es wäre möglich, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen vorgeschlagen hat, die in diesem Artikel aufgestellten Voraussetzungen nicht nur als rein formelle, sondern als materielle Voraussetzungen des Rechts auf die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer anzusehen. Dann würde die Nichterfüllung einer dieser Voraussetzungen die Verweigerung dieser Steuerbefreiung nach sich ziehen oder wie im Ausgangsverfahren gegenüber Enteco Baltic zur Rückforderung der Mehrwertsteuer vom Importeur führen.
47. Die von der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen vorgeschlagene Lösung scheint mir jedoch nicht nur den recht speziellen Sachverhalt des Ausgangsverfahrens außer Acht zu lassen, sondern auch, und grundlegender, das Problem des Zusammenspiels der in Art. 143 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthaltenen Anforderungen mit den Voraussetzungen für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie, insbesondere was die Verpflichtung des Importeurs betrifft, zum Zeitpunkt der Einfuhr die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers, an den die Gegenstände geliefert werden, anzugeben. Die Kommission hat im Übrigen ihre Auffassung in der mündlichen Verhandlung stark nuanciert, ja sogar das Gegenteil vorgetragen(11).
48. Die sieben Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen sich auf die Natur, den Umfang und die Erfüllung der beiden vorgenannten in Art. 143 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthaltenen Anforderungen im Hinblick auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, insbesondere betreffend den Nachweis des Versands der Treibstoffe und der Übertragung des Eigentums daran sowie das Verhalten der litauischen Steuer- und Zollbehörden.
49. Unter Berücksichtigung dieses Sachverhalts werde ich somit zuerst die erste Vorlagefrage prüfen, die die in Art. 143 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Angabe der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Kunden des Importeurs betrifft (A). Zweitens werde ich die übrigen sechs Fragen des vorlegenden Gerichts untersuchen, die sich auf Art. 143 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie beziehen, nämlich auf den Nachweis dafür, dass die eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, in einen anderen Mitgliedstaat als den Einfuhrmitgliedstaat geliefert zu werden (B).
A. Zu dem in Art. 143 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Erfordernis der Angabe der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Kunden des Importeurs (erste Vorlagefrage)
50. Wie bereits dargelegt hängt die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Steuerbefreiung bei der Einfuhr davon ab, dass auf diese eine gemäß Art. 138 dieser Richtlinie ebenfalls von der Steuer befreite innergemeinschaftliche Lieferung folgt.
51. Nach Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie befreien die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Union versandt oder befördert werden, von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, die als solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt.
52. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung eines Gegenstands von der Einfuhrumsatzsteuer nur bei Vorliegen dreier Voraussetzungen anwendbar, nämlich erstens, wenn das Recht, wie ein Eigentümer über diesen Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, zweitens, wenn der Lieferer nachweist, dass der fragliche Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist, und drittens, wenn derselbe Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat(12).
53. Dies sind also die drei materiellen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit dem Lieferer gemäß Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung gewährt werden kann.
54. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, sind diese Voraussetzungen abschließend in Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführt(13). Dazu gehört somit nicht die Verpflichtung des Lieferers, die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers, die diesem im Bestimmungsmitgliedstaat erteilt wurde, anzugeben.
55. Denn unbeschadet der erheblichen Bedeutung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer der Steuerpflichtigen für das ordnungsgemäße Funktionieren des Mehrwertsteuersystems(14) hat der Gerichtshof festgestellt, dass es sich bei der dem Lieferer vom nationalen Recht auferlegten Verpflichtung, die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers der gelieferten Gegenstände anzugeben, um ein formelles Erfordernis handelt, dessen Nichtbeachtung den Anspruch des Lieferers auf die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz grundsätzlich nicht in Frage stellen kann, sofern die materiellen Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllt sind(15).
56. Der Gerichtshof hat davon zwei Ausnahmen gemacht, die die beiden Fälle betreffen, in denen die Nichtbeachtung eines formellen Erfordernisses den Verlust des Rechts auf die Mehrwertsteuerbefreiung nach sich ziehen kann.
57. Dabei handelt es sich zum einen um den Fall, dass sich der Steuerpflichtige an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat, die das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdet, und in dem er somit nicht in gutem Glauben gehandelt und nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich zu vergewissern, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt(16).
58. Zum anderen kann die Nichtbeachtung eines formellen Erfordernisses zur Versagung der Mehrwertsteuerbefreiung führen, wenn sie den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt worden sind(17).
59. Im Ausgangsverfahren ergibt sich sowohl aus den Informationen des vorlegenden Gerichts als auch aus den Erläuterungen der litauischen Regierung in der mündlichen Verhandlung, dass die Steuerverwaltung, also die Inspektion, die bei der Kontrolle im Jahr 2013 nachprüfen sollte, ob die Voraussetzungen für die innergemeinschaftliche Lieferung erfüllt waren, zu dem Ergebnis kam, dass Enteco Baltic ausreichende Beweise dafür vorgelegt hatte, dass die Gegenstände das litauische Hoheitsgebiet verlassen hatten und dass den Erwerbern das Recht, wie ein Eigentümer darüber zu verfügen, tatsächlich übertragen worden war, ohne dass nachgewiesen wurde, dass Enteco Baltic bei diesen Umsätzen fahrlässig oder unvorsichtig gehandelt hätte.
60. Angesichts dieser Feststellungen betreffend die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, denen Rechnung getragen werden muss, haben die Fehler, die Enteco Baltic bei der Angabe der Identifikationsnummer des Erwerbers oder der Erwerber in den Bestimmungsmitgliedstaaten der Treibstoffe gemacht hat, die Inspektion nach den dem Gerichtshof mitgeteilten Tatsachen also nicht daran gehindert, festzustellen, dass die materiellen Anforderungen der innergemeinschaftlichen Lieferung beachtet worden waren.
61. An diesem Punkt ist zu prüfen, ob die Behörden eines Mitgliedstaats gleichwohl das Recht auf Steuerbefreiung der Einfuhr von gelieferten Gegenständen – eines Umsatzes, der zeitlich vor der innergemeinschaftlichen Lieferung liegt – davon abhängig machen dürfen, dass der Lieferer zum Zeitpunkt der Einfuhr die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers, d. h. des Unternehmens, für das die innergemeinschaftliche Lieferung bestimmt ist, angibt.
62. Wie sich aus den Informationen der litauischen Regierung eindeutig ergibt, besteht eine solche Verpflichtung des Importeurs im litauischen Recht seit 2004.
63. Meines Erachtens handelte es sich bei dieser Anforderung, die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht enthalten war, bis zur Änderung der Richtlinie 2006/112 durch die Richtlinie 2009/69 um ein formelles Erfordernis im Sinne der in Nr. 55 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung. Deshalb konnte sie als solche die Ablehnung der Steuerbefreiung der Einfuhr von Gegenständen, die in der Folge in einen anderen Mitgliedstaat geliefert wurden, nicht rechtfertigen, sofern die materiellen Voraussetzungen des Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und des Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfüllt waren.
64. Ist nun dieses formelle Erfordernis nach Inkrafttreten der Richtlinie 2009/69 – die Art. 143 Abs. 2 Buchst. b in die Richtlinie 2006/112 eingefügt hat –, d. h. ab dem 25. Juli 2009, zu einer materiellen Voraussetzung des Rechts auf Steuerbefreiung bei der Einfuhr geworden?
65. Ich glaube das nicht.
66. Zwar legt der Wortlaut des Art. 143 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie den Schluss nahe, dass es sich bei den drei Gruppen von Informationen, die dort unter den Buchst. a bis c aufgeführt sind, um Anforderungen handelt, deren Beachtung eine Voraussetzung für das in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie verankerte Recht auf Steuerbefreiung bei der Einfuhr ist.
67. Es besteht jedoch, wie ich wiederholen möchte, kein Zweifel daran, dass die Einfuhr der Gegenstände, von der in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie die Rede ist, nicht den Verbrauch im Einfuhrmitgliedstaat, sondern den in einem anderen Mitgliedstaat bezweckt, dessen Befreiung ganz und gar von einer innergemeinschaftlichen Lieferung abhängig ist, die ihrerseits nach Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Steuer befreit ist. Auch in Art. 143 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie wird mehrfach auf Art. 138 dieser Richtlinie Bezug genommen.
68. Daraus folgt meiner Meinung nach, dass die materiellen Voraussetzungen des Rechts auf die Steuerbefreiung bei der Einfuhr, was die Befreiung der nachfolgenden innergemeinschaftlichen Lieferung betrifft, ganz und gar von den in Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Voraussetzungen abhängig sind.
69. Demnach wollte der Unionsgesetzgeber, der die in Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten materiellen Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung unverändert gelassen hat, die wie gesagt in diesem Stadium nicht die Angabe der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers im Bestimmungsmitgliedstaat durch den Lieferer umfassten, gewiss nicht das Recht auf Steuerbefreiung bei der Einfuhr von der Beachtung dieser Anforderung abhängig machen.
70. Andernfalls würde den steuerpflichtigen Importeuren und Lieferern von Gegenständen, die in die Union geliefert werden, das Recht auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer versagt, obwohl sie alle materiellen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung, von der die Steuerbefreiung der vorgeschalteten Einfuhr ganz und gar abhängig ist, erfüllen.
71. Trotz des berechtigten Ziels der Bekämpfung der Steuerhinterziehung, das zum Erlass der Richtlinie 2009/69 geführt hat, glaube ich nicht, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigt hat, die Steuerpflichtigen mit derartigen Schwierigkeiten und Ungereimtheiten des bestehenden Systems zu konfrontieren. Insbesondere für die betroffenen Steuerpflichtigen wäre diese Situation unvereinbar mit der korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen, wie sie in Art. 131 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehen ist(18).
72. Dazu hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass es weniger darauf ankomme, die genaue Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers zu kennen, als vielmehr diesen auf die eine oder andere Weise bestimmen zu können. Sie scheint somit einigermaßen im Widerspruch zu ihren schriftlichen Erklärungen eingeräumt zu haben, dass die dem Importeur durch Art. 143 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgeschriebene Angabe der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers zum Zeitpunkt der Einfuhr nach wie vor ein formelles Erfordernis darstellt.
73. Die Nichtbeachtung dieses Erfordernisses führt deshalb meines Erachtens nicht zum Verlust des Rechts auf Befreiung von der Mehrwertsteuer, sondern könnte höchstens nach nationalem Recht durch ein Bußgeld geahndet werden.
74. Dieses Ergebnis findet meines Erachtens eine Stütze in bestimmten Gegebenheiten des Ausgangsverfahrens.
75. So ist darauf hinzuweisen, dass Enteco Baltic es zum Zeitpunkt der Einfuhr nicht versäumt hat, den zuständigen Behörden die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers mitzuteilen. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts entsprach die ursprünglich angegebene Nummer wegen veränderter Umstände allerdings nicht mehr (oder nicht mehr ausschließlich) der des tatsächlichen Erwerbers.
76. Nach § 71 der von dem Direktor des nationalen Zolldiensts und dem Leiter der Inspektion erlassenen Regeln muss der Importeur im Fall der Änderung des in den zur zollamtlichen Kontrolle vorgelegten Dokumenten aufgeführten Steuerpflichtigen des anderen Mitgliedstaats und/oder des Mitgliedstaats, in den die Gegenstände verbracht werden, unverzüglich das örtliche Zollamt informieren und dabei neue Tatsachen zur Erklärung der Gründe für die Änderungen angeben und Kopien der diese rechtfertigenden Belege beifügen.
77. Diese dem Importeur vom litauischen Recht auferlegte Verpflichtung, die Zollbehörden über Änderungen der Identität des Erwerbers, für den die Gegenstände bestimmt sind, zu informieren, gibt meines Erachtens einen Hinweis auf die Auffassung der litauischen Behörden, dass Auslassungen oder Irrtümer bezüglich der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers, zu denen es zum Zeitpunkt der Einfuhr gekommen ist, als solche das Recht des Importeurs auf die Steuerbefreiung der Einfuhr nicht nachträglich in Frage stellen können. Es wäre nämlich völlig sinnlos, vom Importeur zu verlangen, eine den Erwerber betreffende Änderung bekannt zu geben, wenn eine solche Änderung so oder so automatisch zu der Versagung des Rechts auf die Steuerbefreiung der Einfuhr führen würde. Der automatische Verlust des Rechts auf die Steuerbefreiung der Einfuhr wegen Änderungen der Mehrwertsteuer-Identifikation des Erwerbers im Bestimmungsmitgliedstaat der gelieferten Gegenstände würde die Importeure ferner veranlassen, den innerstaatlichen Behörden derartige Änderungen nie mitzuteilen, da sie sonst befürchten müssten, das Recht auf die Steuerbefreiung der Einfuhr zu verlieren.
78. Offensichtlich aufgrund dieser Regeln oder zumindest dieser Konzeption, wonach die Mitteilung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers rein formellen Charakter hat, hat das Zollamt Vilnius nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts bei der 2012 vorgenommenen ersten Kontrolle der Einfuhren, um die es im Ausgangsverfahren geht, die Irrtümer bezüglich der mangelnden Übereinstimmung der von Enteco Baltic in den Einfuhranmeldungen angegebenen Nummern von Amts wegen berichtigt. Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts hat diese Gesellschaft der Inspektion stets die Änderungen der Identität der Erwerber mitgeteilt.
79. Deshalb kann der Umstand, dass der Importeur zum Zeitpunkt der Einfuhr eine Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers angibt, von der sich herausstellt, dass sie aufgrund veränderter Umstände der Nummer des tatsächlichen Erwerbers ganz oder teilweise nicht mehr entspricht, meines Erachtens nur in den beiden in den Nrn. 56 bis 58 der vorliegenden Schlussanträge genannten Fällen zur Versagung des Rechts auf die Steuerbefreiung der Einfuhr führen. Diese Fälle hat der Gerichtshof im Hinblick auf die Nichtbeachtung einer formellen Anforderung im Rahmen der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie anerkannt.
80. Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass die erste Frage des vorlegenden Gerichts wie folgt beantwortet werden sollte:
Art. 143 Abs. 2 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie ist dahin auszulegen, dass er es angesichts des dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats nicht gestattet, die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung nur deshalb abzulehnen, weil zum Zeitpunkt der Einfuhr beabsichtigt war, Gegenstände an einen Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat zu liefern, dessen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer folglich in der Einfuhranmeldung angegeben wurde, die Gegenstände jedoch später wegen veränderter Umstände an einen anderen Steuerpflichtigen (der ebenfalls der Mehrwertsteuer unterlag) geliefert wurden, wobei die Behörden des ersten Mitgliedstaats vollständig über die Identität des tatsächlichen Erwerbers informiert wurden.
B. Zu dem in Art. 143 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Erfordernis des Nachweises dafür, dass die eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, aus dem Einfuhrmitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versandt zu werden (zweite bis siebte Vorlagefrage)
81. Die Fragen 2 bis 7 des vorlegenden Gerichts betreffen im Wesentlichen die Auslegung des Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und die Beachtung des in Art. 143 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Erfordernisses, dass zum Zeitpunkt der Einfuhr „der Nachweis [dafür erbracht werden muss], dass die eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, aus dem Einfuhrmitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versandt zu werden“, in Verbindung mit der Auslegung des Art. 138 Abs. 1 und des Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie und des Grundsatzes der Rechtssicherheit.
82. Vor einer Prüfung dieser Fragen ist darauf hinzuweisen, dass der vom Importeur nach Art. 143 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie verlangte Nachweis die Zweckbestimmung der Einfuhr in die Union betrifft, nämlich den Umstand, dass auf diesen Umsatz eine innergemeinschaftliche Lieferung gemäß Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie folgen muss.
83. Der Importeur muss also zum Zeitpunkt der Einfuhr nachweisen, dass er die in Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten materiellen Voraussetzungen des Rechts auf die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung zu erfüllen beabsichtigt.
84. Wie ich bereits in Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, stellt dieser Artikel drei Voraussetzungen für das Recht auf die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung von der Mehrwertsteuer auf. Nachzuweisen ist erstens, dass das Recht, wie ein Eigentümer über diesen Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist, zweitens, dass der fragliche Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist, und drittens, dass derselbe Gegenstand aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat.
85. Diese Voraussetzungen entsprechen im Wesentlichen der Beachtung der dem Importeur durch Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie auferlegten Verpflichtung, außer dass im letzteren Fall der Importeur „zum Zeitpunkt der Einfuhr“ nachweisen muss, dass die in die Union eingeführten Gegenstände zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung „bestimmt sind“.
86. Somit muss der Importeur, wie das vorlegende Gericht ganz richtig verstanden hat, nach Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie zum Zeitpunkt der Einfuhr den Nachweis dafür erbringen, dass das Recht, wie ein Eigentümer über die eingeführten Gegenstände zu verfügen, dazu bestimmt ist, auf den Erwerber übertragen zu werden, und weiter, dass dieselben Gegenstände dazu bestimmt sind, in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versandt zu werden, d. h., dass sie auch dazu bestimmt sind, das Hoheitsgebiet des Einfuhrmitgliedstaats physisch zu verlassen.
87. Die Fragen 3 bis 7 des vorlegenden Gerichts betreffen das Recht, wie ein Eigentümer über die eingeführten Gegenstände zu verfügen, das dazu bestimmt ist, auf den Erwerber übertragen zu werden, unter Berücksichtigung des dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts, namentlich des Verhaltens von Enteco Baltic und der litauischen Behörden. Die zweite Frage bezieht sich auf die Beweismittel dafür, dass die eingeführten Gegenstände zum Zeitpunkt der Einfuhr dazu bestimmt waren, in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert zu werden. Ich werde diese beiden Punkte nacheinander prüfen.
1. Zu dem Recht, wie ein Eigentümer über die eingeführten Gegenstände zu verfügen, das dazu bestimmt ist, auf den Erwerber übertragen zu werden (dritte bis siebte Frage)
88. Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob das Vorliegen eines Rechts, wie ein Eigentümer über die eingeführten Gegenstände zu verfügen, das dazu bestimmt ist, auf den Erwerber übertragen zu werden, auch dann bejaht werden kann, wenn dieses Recht nicht dazu bestimmt war, unmittelbar auf den Erwerber, sondern vielmehr auf von ihm benannte Personen, nämlich Beförderungsunternehmen oder Steuerlager, übertragen zu werden.
89. Diese Frage verweist in meinen Augen auf den Inhalt des autonomen und einheitlichen Begriffs(19) der „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, wonach unter „Lieferung von Gegenständen“ die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, zu verstehen ist.
90. Nach der Rechtsprechung bezieht sich der Begriff der Lieferung von Gegenständen nicht auf die Eigentumsübertragung in den im anwendbaren nationalen Recht vorgesehenen Formen, sondern umfasst jede Übertragung eines körperlichen Gegenstands durch eine Partei, die die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer(20).
91. Demzufolge kann eine Transaktion als eine „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne von Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingestuft werden, wenn mit dieser Transaktion ein Steuerpflichtiger die Übertragung eines körperlichen Gegenstands vornimmt und die andere Partei ermächtigt, über diesen Gegenstand faktisch so zu verfügen, als wäre sie sein Eigentümer, ohne dass die Form des Eigentumserwerbs an dem betreffenden Gegenstand insoweit von Bedeutung ist(21).
92. Aus der Einheitlichkeit des Begriffs und der Definition der „Lieferung von Gegenständen“ in der Mehrwertsteuerrichtlinie folgt – um jeden Zweifel des vorlegenden Gerichts angesichts der Formulierung seiner vierten Frage auszuräumen –, dass die Übertragung des Rechts, wie ein Eigentümer über die körperlichen Gegenstände zu verfügen, auf den Erwerber auch bei der Auslegung des Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, wo die Steuerbefreiung der Einfuhr von Gegenständen in die Union, auf die eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung folgt, geregelt ist, zum Tragen kommt(22). Die Übertragung des Rechts, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber ist nämlich eine wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen einer Lieferung von Gegenständen(23).
93. Wie der Gerichtshof entschieden hat, hat der Begriff „Lieferung von Gegenständen“ einen objektiven Charakter und ist unabhängig von Zweck und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar, ohne dass die Absicht des Steuerpflichtigen ermittelt werden müsste(24). Dies gilt meines Erachtens auch für die Auslegung von Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, d. h., dass anhand objektiver Beweismittel untersucht werden muss, ob die eingeführten Gegenstände zum Zeitpunkt der Einfuhr zu einer späteren innergemeinschaftlichen Lieferung „bestimmt“ waren, ohne dass es erforderlich wäre, die genaue Absicht des Importeurs zu diesem Zeitpunkt zu ermitteln.
94. Im Übrigen ist es im Rahmen der Anwendung des Art. 267 AEUV Sache des nationalen Gerichts, in jedem Einzelfall anhand des ihm vorliegenden Sachverhalts festzustellen, ob das Recht, wie ein Eigentümer über die betreffenden Gegenstände zu verfügen, tatsächlich übertragen worden ist(25).
95. Insoweit wirft die Formulierung der dritten Frage des vorlegenden Gerichts wirklich Fragen auf. Das Gericht führt nämlich aus, dass das Recht, über die Treibstoffe zu verfügen, nicht unmittelbar auf die in den Erklärungen von Enteco Baltic angegebenen Erwerber, sondern auf Beförderungsunternehmen und Steuerlager übertragen worden sei.
96. Sollte dies wirklich der Fall sein, sind die letztgenannten Wirtschaftsteilnehmer, wie die Kommission meint, als die tatsächlichen Erwerber der von Enteco Baltic eingeführten Treibstoffe anzusehen. Wenn diese Beförderungsunternehmen und Steuerlager im litauischen Hoheitsgebiet belegen sind, kann Enteco Baltic aber meines Erachtens nicht von der Einfuhrumsatzsteuer befreit werden, da dann auf diesen Umsatz keine innergemeinschaftliche Lieferung, sondern nur eine interne Lieferung gefolgt wäre.
97. Haben dagegen weder die Beförderungsunternehmen noch die Steuerlager – ob sie nun in Litauen oder in einem der drei anderen vom vorlegenden Gericht genannten Mitgliedstaaten belegen sind – die Befähigung erlangt, wie Eigentümer über den Treibstoff zu verfügen, haben sie also nur, ohne dabei im eigenen Namen zu handeln, eine Vermittlerrolle für die Beförderung bzw. die Lagerung gespielt, damit der zum Zeitpunkt der Einfuhr in den Anmeldungen von Enteco Baltic genannte Erwerber darüber verfügen konnte, so muss Enteco Baltic meines Erachtens die Steuerbefreiung der Einfuhr gewährt werden, sofern die übrigen materiellen Voraussetzungen des Rechts auf die Befreiung von der Mehrwertsteuer erfüllt sind.
98. Sonach hat das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Ausgangsverfahrens zu prüfen, welcher der beiden Fälle hier tatsächlich vorliegt.
99. Ich möchte allerdings hinzufügen, dass zu diesen Umständen ganz besonders das in der fünften bis siebten Frage des vorlegenden Gerichts beschriebene Verhalten der Firma Enteco Baltic und der litauischen Behörden gehört.
100. Zum Verhalten von Enteco Baltic ist darauf hinzuweisen, dass es nicht gegen das Unionsrecht verstößt, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu verlangen, dass er in gutem Glauben handelt und alle zumutbaren Maßnahmen ergreift, um sich zu vergewissern, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt(26). Wenn der betreffende Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers in Zusammenhang stand, und nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern, müsste ihm das Recht auf die Steuerbefreiung versagt werden(27).
101. Das vorlegende Gericht muss im Wege einer umfassenden Würdigung aller Gegebenheiten und tatsächlichen Umstände der Rechtssache prüfen, ob die Firma Enteco Baltic in gutem Glauben gehandelt und alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sich zu vergewissern, dass sie sichaufgrund des getätigten Umsatzes nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat(28).
102. Insofern kann der vom vorlegenden Gericht in der sechsten Frage genannte Umstand, dass Enteco Baltic mit ihren Kunden namentlich für den Austausch von Verträgen elektronische Kommunikationsmittel benutzt hat, mit Sicherheit keinen Beweis für den fehlenden guten Glauben oder eine Fahrlässigkeit des Importeurs im Hinblick auf die Maßnahmen erbringen, die einem solchen Wirtschaftsteilnehmer zumutbar waren, um zu vermeiden, dass er an einer Steuerhinterziehung teilnimmt.
103. Zwar will ich nicht ausschließen, dass ein Importeur, der es zum Zeitpunkt der Einfuhr der fraglichen Gegenstände unterlässt, den zuständigen nationalen Behörden die in Art. 143 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführten Informationen zu geben, diesen Behörden, denkt man an den Zweck der Einfügung dieser Bestimmung in diese Richtlinie, möglicherweise die Vermutung nahelegt, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einer Steuerhinterziehung beteiligte.
104. Meines Erachtens muss der Importeur eine solche Vermutung jedoch mit Hilfe aller im nationalen Recht zulässigen Beweismittel widerlegen können.
105. Dies vorausgeschickt, ist der Ausgangsrechtsstreit, geht man von der Sachverhaltsschilderung des vorlegenden Gerichts aus, nicht dadurch gekennzeichnet, dass Enteco Baltic es unterlassen hätte, die in Art. 143 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführten Informationen zu geben, sondern vielmehr dadurch, dass die Zollbehörden und die Steuerbehörden die Angaben dieses Wirtschaftsteilnehmers, der offensichtlich in gutem Glauben mit ihnen zusammengearbeitet hat, unterschiedlich bewertet haben.
106. In der Tat – und dies führt mich zur Prüfung des Verhaltens der nationalen Behörden – legen die vom vorlegenden Gericht beschriebenen tatsächlichen Gegebenheiten sowie die Formulierung der fünften Vorlagefrage stark den Schluss nahe, dass das Zollamt Vilnius bei den 2014 und 2015 vorgenommenen Prüfungen das Ergebnis der Kontrolle der Inspektion im Jahr 2013, deren Gegenstand die Erfüllung der Voraussetzungen des Vorliegens einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne des Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie war, entkräftet hat.
107. Die litauische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass beide Behörden Kontrollen durchführten, die einen unterschiedlichen Anwendungsbereich hätten: Die Zollverwaltung prüfe die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie, während die Steuerbehörde die Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 138 dieser Richtlinie kontrolliere. Diese Erklärung überzeugt mich nicht. Denn wie ich bereits ausgeführt habe, ist die Steuerbefreiung bei der Einfuhr nach Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie ganz und gar von der Erfüllung der Voraussetzungen der Steuerbefreiung der auf diese Einfuhr folgenden innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß Art. 138 Abs. 1 dieser Richtlinie abhängig. Die Kontrollen der nationalen Behörden überschneiden sich also zumindest teilweise. Im Übrigen verweist das vorlegende Gericht in seiner fünften Frage genau darauf, dass die Zollverwaltung (Zollamt Vilnius und/oder nationaler Zolldienst) ihre Ablehnung des Rechts auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer damit begründet hat, dass die Voraussetzungen der Aufrechterhaltung (der Befreiung) der Lieferung der Gegenstände innerhalb der Union nicht erfüllt seien; dabei handelt es sich um die Voraussetzungen des Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie, die Gegenstand der Kontrolle der Inspektion im Jahr 2013 waren.
108. Unter diesen Umständen ist auf die Ausführungen des Gerichtshofs zum Verhalten der nationalen Behörden im Zusammenhang mit der Anwendung der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferungen hinzuweisen (in den Urteilen vom 27. September 2007, Teleos u. a., C-409/04, EU:C:2007:548, Rn. 50, und vom 14. Juni 2017, Santogal M-Comércio e Reparação de Automóveis, C-26/16, EU:C:2017:453, Rn. 75). Dort hat der Gerichtshof entschieden, dass es gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt, wenn ein Mitgliedstaat, der die vom Lieferer/Verkäufer als Nachweise für das Recht auf Befreiung vorgelegten Unterlagen zunächst akzeptiert hat, den Lieferer/Verkäufer später wegen eines vom Erwerber begangenen Betrugs, von dem der Lieferer/Verkäufer weder Kenntnis hatte noch haben konnte, zur Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer verpflichten könnte.
109. Das vorlegende Gericht wird also aufmerksam zu prüfen haben, ob diese Situation im Ausgangsverfahren tatsächlich gegeben war.
110. Ich füge für alle Fälle hinzu, dass sich ein Mitgliedstaat keinesfalls auf mangelnde Koordinierung und Zusammenarbeit seiner eigenen Behörden berufen kann, um einem Steuerpflichtigen, der gutgläubig gehandelt hat und bei dem kein ernsthafter Hinweis dafür vorliegt, dass er wusste oder wissen konnte, dass er an einer Steuerhinterziehung beteiligt war, das Recht auf Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen. Insoweit ist es aufschlussreich, festzustellen, dass die beiden Berichte des Rechnungshofs der Europäischen Union, die 2011 und 2015 nach Audits in mehreren Mitgliedstaaten abgegeben wurden(29) und auf die die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen verwiesen hat, ganz deutlich machen, dass „(die) Zoll- und Steuerkontrollen … im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer-Befreiung für Einfuhren im Rahmen des Zollverfahrens 42 nicht wirksam [funktionieren]“ und dass „die Tatsache, dass die MwSt-Befreiung von zwei verschiedenen Behörden (Zoll- und Steuerverwaltung) verwaltet wird, … [dieser] Wirksamkeit … abträglich [ist], da es zwischen ihnen keinen nahtlosen Kommunikationsfluss über Einfuhren im Rahmen [des] [Zoll-]Verfahrens [42] gibt“(30). Unter Berücksichtigung der vom vorlegenden Gericht beschriebenen Gegebenheiten und Umstände scheint mir das Ausgangsverfahren die in den Berichten des Rechnungshofs aufgedeckten Unklarheiten, ja Ungereimtheiten zu veranschaulichen, die den Kommunikationsfluss zwischen Zoll- und Steuerbehörden in ein und demselben Mitgliedstaat beeinträchtigen.
111. Zur siebten Frage des vorlegenden Gerichts betreffend eine eventuelle Verpflichtung der litauischen Behörden, zum Nachweis der Übertragung des Rechts, über die von Enteco Baltic gelieferten Gegenstände zu verfügen, Auskünfte von Unternehmen anderer Mitgliedstaaten einzuholen, ist dagegen im Einklang mit der Rechtsprechung darauf hinzuweisen, dass der Wirtschaftsteilnehmer, der eine Befreiung von der Mehrwertsteuer beansprucht, beweisen muss, dass die materiellen Voraussetzungen für diese Befreiung erfüllt sind(31). Diese Rechtsprechung ist meines Erachtens entsprechend auf den in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie bezeichneten Importeur anwendbar.
112. Was die Rolle der nationalen Behörden betrifft, hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass die Rechtsakte, durch die auf der Ebene der Union ein System des Informationsaustauschs zwischen den Finanzverwaltungen der Mitgliedstaaten eingeführt wurde(32), nicht erlassen wurden, um den Steuerpflichtigen von seiner Verpflichtung, den innergemeinschaftlichen Charakter von Umsätzen darzutun, zu entbinden, wenn er selbst nicht in der Lage ist, die insoweit erforderlichen Beweise vorzulegen(33).
113. Diese Rechtsakte verleihen dem Steuerpflichtigen also keine besonderen Rechte(34), namentlich keinen Anspruch darauf, dass sich eine zuständige Behörde den von diesen Rechtsakten eingeführten Mechanismus des Informationsaustauschs zunutze macht.
114. Erst recht verpflichtet das Unionsrecht betreffend den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten im Bereich der Mehrwertsteuer die nationalen Behörden nicht, auf Ersuchen eines Steuerpflichtigen Auskünfte von Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten einzuholen, wenn der Steuerpflichtige selbst nicht in der Lage ist, die erforderlichen Beweise dafür vorzulegen, dass die Befähigung, wie ein Eigentümer über die eingeführten und gelieferten Gegenstände zu verfügen, auf den Erwerber übertragen wurde, und allgemeiner dafür, dass die von ihm vorgenommenen Einfuhren oder Lieferungen von der Mehrwertsteuer befreit sind.
115. Ich schlage deshalb vor, die dritte bis siebte Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:
– Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie ist dahin auszulegen, dass er es den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats nicht gestattet, die Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer abzulehnen, wenn die Befähigung, wie ein Eigentümer über die eingeführten und gelieferten Gegenstände zu verfügen, nicht unmittelbar auf den Erwerber übertragen wurde, sofern sie nur auf diesen Steuerpflichtigen und nicht auf andere Personen übertragen wurde, wovon sich das vorlegende Gericht überzeugen muss.
– Es verstößt gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn die Zollverwaltung eines Mitgliedstaats einem Steuerpflichtigen, der gutgläubig gehandelt hat und für den nicht nachgewiesen ist, dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einer Steuerhinterziehung beteiligt war, das Recht auf Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer mit der Begründung abspricht, dass eine der materiellen Voraussetzungen für die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung, die auf die Einfuhr folgte, von der Mehrwertsteuer nicht mehr erfüllt ist, obwohl die zuständige Behörde desselben Mitgliedstaats diese Voraussetzung nach einer Kontrolle der vom Steuerpflichtigen eingereichten Belege und Dokumente bereits als erfüllt angesehen hat. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu untersuchen, ob der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens die Feststellung zulässt, dass alle diese Umstände und Voraussetzungen gegeben sind, wobei der bloße Umstand, dass sich der Steuerpflichtige für die Kommunikation mit seinen Vertragspartnern elektronischer Kommunikationsmittel bedient hat, nicht als Hinweis auf seine Fahrlässigkeit oder seine Bösgläubigkeit angesehen werden kann.
– Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist dahin auszulegen, dass der Steuerpflichtige, der eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer beansprucht, nachweisen muss, dass die materiellen Voraussetzungen für diese Befreiung erfüllt sind, ohne dass er von den zuständigen Behörden des Einfuhrmitgliedstaats verlangen könnte, bei der Prüfung der Frage, ob das Recht, wie ein Eigentümer über die gelieferten Gegenstände zu verfügen, auf den Erwerber übertragen wurde, Auskünfte von anderen Steuerpflichtigen einzuholen, die nur Behörden erteilt werden.
2. Zu den Beweismitteln dafür, dass die eingeführten Gegenstände zum Zeitpunkt der Einfuhr dazu bestimmt sind, in einen anderen Mitgliedstaat befördert oder versandt zu werden (zweite Frage)
116. Mit seiner zweiten Frage befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nach dem Beweiswert bestimmter Dokumente wie der e-VD und der eEB-Empfangsbekenntnisse, die die Beförderung der Treibstoffe von dem im Einfuhrmitgliedstaat (hier Litauen) belegenen Steuerlager zu einem im Bestimmungsmitgliedstaat (im Ausgangsverfahren offensichtlich Polen) belegenen Steuerlager bestätigen.
117. Weder in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 noch in Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist geregelt, welche Beweise die Steuerpflichtigen erbringen müssen, um in den Genuss der Befreiung von der Mehrwertsteuer zu kommen. Folglich fällt diese Frage nach Art. 131 der Mehrwertsteuerrichtlinie in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, die diese unter Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze ausüben müssen, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zählen(35).
118. Was erstens die Auslegung des Art. 143 der Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft, handelt es sich bei den eEB-Empfangsbekenntnissen, wie das vorlegende Gericht ausgeführt und auch die Kommission vorgetragen hat, um elektronische Dokumente speziell für verbrauchsteuerpflichtige Waren, die nach dem Versand und/oder der Beförderung der Waren aufgesetzt werden und die tatsächliche Durchführung dieser Transaktionen bescheinigen.
119. Zur Erfüllung der Voraussetzung des Art. 143 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie muss der Importeur jedoch „zum Zeitpunkt der Einfuhr“ den Nachweis dafür erbringen, dass die eingeführten Gegenstände dazu bestimmt sind, in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert zu werden.
120. Die eEB-Empfangsbekenntnisse sind deshalb meines Erachtens keine ausreichenden Beweismittel dafür, dass die eingeführten Gegenstände zum Zeitpunkt der Einfuhr zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung bestimmt waren.
121. Handelspapiere wie die CMR-Frachtbriefe, die vor dem Versand oder der Beförderung in den Bestimmungsmitgliedstaat ausgestellt werden, sind dagegen, wie auch die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, geeignet, objektiv die zum Zeitpunkt der Einfuhr bestehende Absicht, die eingeführten Gegenstände in einen anderen Mitgliedstaat zu versenden oder zu befördern, zu beweisen.
122. Die in der Richtlinie 2008/118 und der Verordnung Nr. 684/2009 vorgesehenen e-VD-Dokumente müssen die unter Aussetzung von der Verbrauchsteuer beförderten Waren begleiten. So muss der Versender nach Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 und Art. 3 der Verordnung Nr. 684/2009 den zuständigen Behörden des Abgangsmitgliedstaats einen Entwurf des elektronischen Verwaltungsdokuments übermitteln, und zwar frühestens sieben Tage vor dem Zeitpunkt des Versands der betroffenen Waren, der auf dem Dokument vermerkt wird. Diese Förmlichkeit ermöglicht es diesen Behörden, die Gültigkeit der in dem Dokument gemachten Angaben zu überprüfen; diese umfassen nach der Tabelle 1 im Anhang der Verordnung Nr. 684/2009 namentlich Angaben über die versandte Ware, den Wirtschaftsbeteiligten am Ort der Versendung und den Wirtschaftsbeteiligten am Ort der Bestimmung der Beförderung der Waren. Somit ist durchaus vorstellbar, dass der Importeur oder eine in seinem Namen handelnde Person zum Zeitpunkt der Einfuhr einer Ware aus einem Drittland den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, aus dem die Ware unter Aussetzung der Verbrauchsteuer versandt wird, den Entwurf eines e-VD-Dokuments zur Genehmigung übersendet.
123. Was das Ausgangsverfahren betrifft, gehen weder die Umstände, unter denen die verschiedenen e-VD-Dokumente den zuständigen litauischen Behörden übersandt wurden, noch der Inhalt dieser Dokumente (oder Entwürfe von Dokumenten) noch ihre Bearbeitung durch die nationalen Behörden aus den dem Gerichtshof gegebenen Informationen hervor.
124. Gleichwohl kann meines Erachtens bekräftigt werden, dass das e-VD-Dokument ein Beweismittel dafür darstellen kann, dass der eingeführte Gegenstand zum Zeitpunkt der Einfuhr im Sinne des Art. 143 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dazu bestimmt war, in einen anderen Mitgliedstaat versandt zu werden.
125. Das vorlegende Gericht wird zu prüfen haben, ob die nationalen Behörden zum Zeitpunkt der Einfuhr im Besitz von Entwürfen von e-VD-Dokumenten waren und ob diese ordnungsgemäß ausgefüllt waren; zugleich wird es die Bearbeitung dieser Dokumente durch diese Behörden kontrollieren müssen.
126. Was zweitens den tatsächlichen Versand oder Transport der Ware angeht, die Gegenstand einer innergemeinschaftlichen Lieferung war – eine Voraussetzung, die wie gesagt gemäß Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfüllt werden muss und von der die in Art. 143 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Steuerbefreiung bei der Einfuhr ganz und gar abhängig ist –, können die von einem im Bestimmungsmitgliedstaat belegenen Steuerlager ausgestellten eEB-Empfangsbekenntnisse meiner Meinung nach den Beweis für die tatsächliche physische Verbringung der Gegenstände über die Grenzen des Liefermitgliedstaats erbringen. Im Hinblick auf das e-VD bestimmt Art. 24 der Richtlinie 2008/118, dass beim Empfang der Waren der Empfänger spätestens fünf Werktage nach Beendigung der Beförderung eine Eingangsmeldung an die zuständigen Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats sendet, die die gemachten Angaben überprüfen und genehmigen und sodann an die zuständigen Behörden des Abgangsmitgliedstaats übermitteln. Nach Art. 7 der Verordnung Nr. 684/2009 und der Tabelle 6 im Anhang dieser Verordnung muss die Eingangsmeldung u. a. den Verwaltungscode des e-VD-Dokuments enthalten. Alle diese Informationen sind somit als Nachweis dafür geeignet, dass die Gegenstände tatsächlich das Hoheitsgebiet des Abgangsmitgliedstaats verlassen haben.
127. Insoweit ist eine Bescheinigung des Versands oder der Beförderung zum Erwerber in den vom Lieferer übermittelten Dokumenten weder nach dem Wortlaut des Art. 138 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie noch nach der Rechtsprechung zur Auslegung dieser Bestimmung erforderlich(36). Es reicht aus, wie sich im Übrigen aus dem Wortlaut des Art. 143 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt, dass der eingeführte Gegenstand das Hoheitsgebiet des Liefermitgliedstaats physisch in Richtung auf den Bestimmungsmitgliedstaat verlassen hat.
128. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob Enteco Baltic zum Zeitpunkt der Einfuhr genügend Belege dafür vorgelegt hat, dass die eingeführten Treibstoffe im Sinne des Art. 143 Abs. 2 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung bestimmt waren, und gemäß Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie hinreichend nachgewiesen hat, dass die in Rede stehenden Treibstoffe das litauische Hoheitsgebiet physisch verlassen haben, wobei wie gesagt das Verhalten dieser Gesellschaft und der zuständigen nationalen Behörden zu berücksichtigen ist.
129. Ich schlage deshalb vor, die zweite Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:
Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist dahin auszulegen, dass Dokumente wie das elektronische Verwaltungsdokument (das sogenannte e-VD) und der aufgrund des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr ausgestellte Frachtbrief (der sogenannte CMR-Frachtbrief) als Beweismittel dafür angesehen werden können, dass die eingeführten Gegenstände zum Zeitpunkt der Einfuhr dazu bestimmt sind, in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert zu werden. Art. 138 der Mehrwertsteuerrichtlinie, auf den Art. 143 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie verweist, ist dahin auszulegen, dass die die e-VD betreffenden Eingangsmeldungen sowie die eEB-Empfangsbekenntnisse als Beweismittel dafür angesehen werden können, dass die eingeführten Gegenstände, die Gegenstand der innergemeinschaftlichen Lieferung waren, das Hoheitsgebiet des Einfuhr- und Liefermitgliedstaats verlassen haben und in den Bestimmungsmitglied versandt worden sind.
V. Ergebnis
(…)
Originalsprache: Französisch.
ABl. 2006, L 347, S. 1.
ABl. 2009, L 175, S. 12.
Dieses Verfahren wird als „Zollverfahren 42“ bezeichnet, weil der Importeur für die Befreiung von der Mehrwertsteuer in der Spalte 37 des Einheitspapiers einen Code eintragen muss, der mit 42 beginnt. Dieses Verfahren ermöglicht es, Gegenstände, die sodann im Wege einer innergemeinschaftlichen Lieferung weiterbefördert werden, unter Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer mit vereinfachten Formalitäten und zu geringeren Kosten einzuführen.
In einem solchen Handelsvertrag verpflichtet sich der Verkäufer lediglich, die Waren für die Ausfuhr bereitzustellen, während der Erwerber alle mit ihrer Beförderung verbundenen Gefahren trägt.
Im Vorabentscheidungsersuchen ist nur von Steuerlagern in Polen die Rede.
Der CMR-Frachtbrief (ausgestellt aufgrund des am 19. Mai 1956 in Genf unterzeichneten Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr [CMR], Recueil des traités 1961, Bd. 399, S. 189) ist ein die Beförderung zu Lande betreffendes Dokument, das vor der Durchführung einer Beförderung im internationalen Straßengüterverkehr von einer der Parteien des Beförderungsvertrags aufgesetzt werden muss. Der CMR-Frachtbrief erbringt namentlich den Beweis für die Beförderung der Waren vom Zeitpunkt der Unterzeichnung durch das Beförderungsunternehmen an.
Vgl. Fn. 6.
Bekanntlich ist das eEB ein vom Empfänger abgegebenes elektronisches Empfangsbekenntnis für verbrauchsteuerpflichtige Waren.
Akronym für „Electronic Administrative Document“. Das elektronische Verwaltungsdokument ist in der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. 2009, L 9, S. 12) vorgesehen und muss den Erfordernissen der Verordnung (EG) Nr. 684/2009 der Kommission vom 24. Juli 2009 zur Durchführung der Richtlinie 2008/118/EG des Rates in Bezug auf die EDV-gestützten Verfahren für die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren unter Steueraussetzung (ABl. 2009, L 197, S. 24) genügen. Dieses Dokument ermöglicht es, in den Genuss der Regelung über die Aussetzung der Verbrauchsteuer zu kommen.
Vgl. Nr. 72 der vorliegenden Schlussanträge.
Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 27. September 2007, Teleos u. a. (C-409/04, EU:C:2007:548, Rn. 42), vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 31), vom 9. Oktober 2014, Traum (C-492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 24), und vom 26. Juli 2017, Toridas (C-386/16, EU:C:2017:599, Rn. 30).
Vgl. Urteile vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 59), vom 9. Februar 2017, Euro Tyre (C-21/16, EU:C:2017:106, Rn. 29), und vom 26. Juli 2017, Toridas (C-386/16, EU:C:2017:599, Rn. 47).
Ich erinnere insoweit daran, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 214 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie die erforderlichen Maßnahmen treffen sollen, damit die Steuerpflichtigen eine individuelle Nummer erhalten, nämlich die individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer gemäß Art. 215. Im Übrigen wird außer in Art. 143 Abs. 2 noch in mehreren Bestimmungen dieser Richtlinie auf diese Nummer verwiesen, so in Art. 226 betreffend die Rechnungsangaben und in Art. 365 betreffend die Mehrwertsteuererklärung. Ferner hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Umsätzen darauf hingewiesen, dass diese Nummer die Bestimmung des Mitgliedstaats erleichtern soll, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt (vgl. u. a. Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre, C-21/16, EU:C:2017:106, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 59 bis 63), vom 27. September 2012, VSTR (C-587/10, EU:C:2012:592, Rn. 51 und 52), vom 20. Oktober 2016, Plöckl (C-24/15, EU:C:2016:791, Rn. 40), und vom 9. Februar 2017, Euro Tyre (C-21/16, EU:C:2017:106, Rn. 32).
Vgl. namentlich Urteil vom 9. Februar 2017, Euro Tyre (C-21/16, EU:C:2017:106, Rn. 39 und 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Urteil vom 9. März 2017, Euro Tyre (C-21/16, EU:C:2017:106, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Vgl. u. a. in diesem Sinne Urteil vom 3. September 2015, Fast Bunkering Klaipėda (C-526/13, EU:C:2015:536, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Vgl. Urteil vom 3. Juni 2010, De Fruytier (C-237/09, EU:C:2010:316, Rn. 22).
Vgl. u. a. Urteile vom 21. November 2013, Dixons Retail (C-494/12, EU:C:2013:758, Rn. 20), und vom 3. September 2015, Fast Bunkering Klaipėda (C-526/13, EU:C:2015:536, Rn. 51).
Urteil vom 18. Juli 2013, Evita-K (C-78/12, EU:C:2013:486, Rn. 35).
In seiner vierten Frage scheint das vorlegende Gericht anzudeuten, dass die litauischen Behörden den Begriff der Übertragung der Verfügungsmacht über Gegenstände verschieden auslegen, je nachdem, ob sie die Bestimmungen über den Vorsteuerabzug (Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie) oder die Vorschriften über die Steuerbefreiung bei der Einfuhr, auf die eine innergemeinschaftliche Lieferung folgt (Art. 143 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie) anwenden. Wie ich schon ausgeführt habe, ist eine solche unterschiedliche Auslegung, die im Übrigen nicht eindeutig aus der Begründung der Vorlageentscheidung hervorgeht, aufgrund der Autonomie und Einheitlichkeit der Definition der „Lieferung von Gegenständen“ im Sinne des Art. 14 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ohnehin unter keinen Umständen gerechtfertigt.
Urteil vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 32).
Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. November 2013, Dixons Retail (C-494/12, EU:C:2013:758, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Evita-K (C-78/12, EU:C:2013:486, Rn. 34).
Vgl. u. a. Urteil vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 48).
Vgl. u. a. Urteile vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 54), und vom 9. Oktober 2014, Traum (C-492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 42).
Vgl. u. a. entsprechend Urteile vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 53), und vom 9. Oktober 2014, Traum (C-492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 41).
Vgl. Rechnungshof, Sonderbericht Nr. 13, Lässt sich MwSt-Hinterziehung durch die Kontrolle des Zollverfahrens 42 verhindern und aufdecken?, Luxemburg 2011, und Sonderbericht Nr. 24, Bekämpfung des innergemeinschaftlichen MwSt.-Betrugs: Weitere Maßnahmen sind erforderlich, Luxemburg 2015.
Vgl. Sonderbericht Nr. 13, Ziff. 55 und 56. Siehe ebenfalls Ziff. 36 bis 38 dieses Berichts und Ziff. 78 und 79 des Sonderberichts Nr. 24.
Vgl. u. a. Urteile vom 27. September 2007, Twoh International (C-184/05, EU:C:2007:550, Rn. 26), und vom 7. Dezember 2010, R. (C-285/09, EU:C:2010:742, Rn. 46).
Es handelt sich um die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. 1977, L 336, S. 15) und die Verordnung (EG) Nr. 1798/2003 des Rates vom 7. Oktober 2003 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 (ABl. 2003, L 264, S. 1). An die Stelle dieser beiden Rechtsakte traten die Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung(ABl. 2011, L 64, S. 1), deren Umsetzungsfrist am 1. Januar 2013 ablief, und die Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer(ABl. 2010, L 268, S. 1), die am 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist.
Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. September 2007, Twoh International (C-184/05, EU:C:2007:550, Rn. 34), und vom 22. April 2010, X und fiscale eenheid Facet-Facet Trading (C-536/08 und C-539/08, EU:C:2010:217, Rn. 37).
Zu der Richtlinie 77/799 vgl. Urteile vom 27. September 2007, Twoh International (C-184/05, EU:C:2007:550, Rn. 31), und vom 22. Oktober 2013, Sabou (C-276/12, EU:C:2013:678, Rn. 36). Vgl. ebenfalls in diesem Sinne zu der Richtlinie 2011/16, die ein ähnliches Ziel verfolgt wie die Richtlinie 77/299, an deren Stelle sie getreten ist, Urteil vom 16. Mai 2017, Berlioz Investment Fund (C-682/15, EU:C:2017:373, Rn. 46, 47 und 58).
Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 36), vom 9. Oktober 2014, Traum (C-492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 27), und vom 9. Februar 2017, Euro Tyre (C-21/16, EU:C:2017:106, Rn. 33).
Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 6. September 2012, Mecsek-Gabona (C-273/11, EU:C:2012:547, Rn. 31), vom 9. Oktober 2014, Traum (C-492/13, EU:C:2014:2267, Rn. 24), und vom 9. Februar 2017, Euro Tyre (C-21/16, EU:C:2017:106, Rn. 25).