EuGH: MWSt – Begriff der „Lieferung gegen Entgelt“ – Tätigkeiten einer Gemeinde
EuGH, Urteil vom 10.9.2014 – C92/13; Gemeente ’s-Hertogenbosch gegen Staatssecretaris van Financiën
Tenor
Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er auf eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, in der eine Gemeinde den Erstbezug eines Gebäudes vornimmt, das sie auf eigenem Grund und Boden hat errichten lassen und das sie zu 94 % für ihre Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt und zu 6 % für ihre Tätigkeiten als Steuerpflichtige – davon zu 1 % für steuerbefreite Leistungen, die nicht zum Mehrwertsteuerabzug berechtigen – nutzen wird. Die spätere Nutzung des Gebäudes für die Tätigkeiten der Gemeinde kann jedoch gemäß Art. 17 Abs. 5 dieser Richtlinie zum Abzug der Steuer, die aufgrund der in Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Richtlinie vorgesehenen Zuordnung entrichtet wurde, nur in Höhe des Anteils berechtigen, der der Nutzung des Gebäudes für steuerbare Umsätze entspricht.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gemeente ’s‑Hertogenbosch (Gemeinde ’s‑Hertogenbosch, Niederlande, im Folgenden: Gemeente) und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen) wegen des Rechts der Gemeente, die für die Kosten der Errichtung eines neuen kommunalen Gebäudes entrichtete Mehrwertsteuer als Vorsteuer in Abzug zu bringen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Die Sechste Richtlinie wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2007 durch die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) aufgehoben und ersetzt. Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass aufgrund des Zeitpunkts des Sachverhalts für den Ausgangsrechtsstreit weiterhin die Sechste Richtlinie gilt.
4 Art. 2 der Sechsten Richtlinie lautete:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
2. die Einfuhr von Gegenständen.“
5 Art. 4 dieser Richtlinie bestimmte:
„(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbstständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden … Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen umfasst.
(3) Die Mitgliedstaaten können auch solche Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Absatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere eine der folgenden Leistungen erbringen:
a) Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung dieses Kriteriums auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff ‚dazugehöriger Grund und Boden‘ festlegen.
Die Mitgliedstaaten können andere Kriterien als das des Erstbezugs bestimmen …
Als Gebäude gilt jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk;
b) Lieferung von Baugrundstücken.
Als Baugrundstücke gelten erschlossene oder unerschlossene Grundstücke entsprechend den Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten. …
(5) … Gemeinden … gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. …
Die Mitgliedstaaten können die Tätigkeiten der [Gemeinden], die nach Artikel 13 oder 28 von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.“
6 Abschnitt V („Steuerbarer Umsatz“) der Sechsten Richtlinie umfasste deren Art. 5 bis 7 mit den Überschriften „Lieferung von Gegenständen“, „Dienstleistungen“ und „Einfuhren“.
7 Art. 5 der Sechsten Richtlinie hatte folgenden Wortlaut:
„(1) Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. …
(5) Als Lieferungen im Sinne des Absatzes 1 können die Mitgliedstaaten die Erbringung bestimmter Bauleistungen betrachten.…
(7) Die Mitgliedstaaten können einer Lieferung gegen Entgelt gleichstellen:
a) die Zuordnung eines im Rahmen seines Unternehmens hergestellten, gewonnenen, be- oder verarbeiteten, gekauften oder eingeführten Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen für Zwecke seines Unternehmens, falls ihn der Erwerb eines solchen Gegenstands von einem anderen Steuerpflichtigen nicht zum vollen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigen würde; …“
8 Art. 6 dieser Richtlinie sah vor:
„(1) Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist. …
(2) Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:
a) die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat; …
Die Mitgliedstaaten können Abweichungen von diesem Absatz vorsehen, sofern solche Abweichungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen. …“.
9 Nach Art. 17 der Sechsten Richtlinie galt Folgendes:
„(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden, …
c) die Mehrwertsteuer, die nach Artikel 5 Absatz 7 Buchstabe a) und Artikel 6 Absatz 3 geschuldet wird. …
(5) Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die nach den Absätzen 2 und 3 ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur für den Teil der Mehrwertsteuer zulässig, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt.
Dieser Pro-rata-Satz wird nach Artikel 19 für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.
Jedoch können die Mitgliedstaaten …
c) dem Steuerpflichtigen gestatten oder ihn verpflichten, den Vorsteuerabzug je nach der Zuordnung der Gesamtheit oder eines Teils der Gegenstände oder Dienstleistungen vorzunehmen; …“
Niederländisches Recht
10 Art. 3 der Wet op de omzetbelasting 1968 (Umsatzsteuergesetz 1968) vom 28. Juni 1968 (Staatsblad 1968, Nr. 329) in der auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Wet OB) lautete:
„(1) Als Lieferungen von Gegenständen gelten:…
c) die Lieferung von Liegenschaften durch den Hersteller, mit Ausnahme von unbebauten Grundstücken, die keine Baugrundstücke sind …
…
h) das Verfügen über im eigenen Unternehmen hergestellte Gegenstände für Zwecke des Unternehmens, falls, wenn solche Gegenstände von einem Unternehmer bezogen worden wären, die auf ihnen lastende Steuer nicht oder nicht in vollem Umfang als Vorsteuer abziehbar wäre; den im eigenen Unternehmen hergestellten Gegenständen werden Gegenstände gleichgestellt, die unter Überlassung von Stoffen, einschließlich Grundstücken, im Auftrag hergestellt worden sind; von der Anwendung des Buchst. h ausgenommen sind unbebaute Grundstücke, die keine Baugrundstücke … sind.
…“
11 Art. 11 Wet OB lautet:
„(1) Unter den durch Verordnung festzulegenden Voraussetzungen sind von der Steuer befreit:
a) die Lieferung von Liegenschaften und Rechten daran, ausgenommen:
1. die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor oder spätestens zwei Jahre nach dem Erstbezug erfolgt, sowie die Lieferung von Baugrundstücken; …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
12 Die Gemeente erbringt einerseits im Rahmen der öffentlichen Gewalt und andererseits als Steuerpflichtige Leistungen. Von den Leistungen, die sie als Steuerpflichtige erbringt, sind manche mehrwertsteuerpflichtig, andere aber nach Art. 11 Wet OB von der Mehrwertsteuer befreit.
13 Die Gemeente gab auf einem ihrer Grundstücke die Errichtung eines Bürogebäudes in Auftrag, mit dessen Bau im Jahr 2000 begonnen wurde. Das Gebäude sollte von der Gemeente für folgende Zwecke genutzt werden:
– 94 % der Fläche des Gebäudes für den Bedarf der Gemeente im Rahmen der öffentlichen Gewalt;
–5 % der Fläche für Tätigkeiten, die die Gemeente als Steuerpflichtige für Leistungen erbringt, die zum Mehrwertsteuerabzug berechtigen;
–1 % der Fläche für Tätigkeiten, die die Gemeente als Steuerpflichtige für Leistungen erbringt, die nicht zum Mehrwertsteuerabzug berechtigen.
14 Der Erstbezug des Gebäudes durch die Gemeente erfolgte am 1. April 2003.
15 In den für die Bauleistungen an die Gemeente gerichteten Rechnungen vom Juli 2002 war ein Betrag von 287 999 Euro als Mehrwertsteuer ausgewiesen. In der von der Gemeente bei der Finanzverwaltung eingereichten Steuererklärung war als zu erstattende Mehrwertsteuer ein Betrag von 32 Euro angegeben.
16 Die Finanzverwaltung nahm die Steuererklärung an. Danach änderte die Gemeente jedoch ihre Auffassung und beantragte die Erstattung der gesamten von ihr als Vorsteuer entrichteten Mehrwertsteuer. Zur Begründung ihres Antrags machte sie geltend, das errichtete Gebäude sei ein im Rahmen ihres Unternehmens hergestellter Gegenstand im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. h Wet OB, der Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie entspreche.
17 Auf diesen Einspruch hin erhöhte die Finanzverwaltung die Mehrwertsteuererstattung zugunsten der Gemeente auf 17 279 Euro, was 6 % des für die gezahlte Vorsteuer geforderten Betrags von 287 999 Euro entspricht.
18 Diesen Bescheid focht die Gemeente beim Gerechtshof te ‘s-Hertogenbosch an. Der Gerechtshof entschied, dass die Gemeente über das fragliche Gebäude nur insoweit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. h Wet OB für Zwecke des Unternehmens verfügt habe, als diese Zwecke die Tätigkeiten der Gemeente als Steuerpflichtige beträfen, also zu 6 % der gesamten Zuordnung des Gebäudes. Die übrigen 94 % entsprächen einer Zuordnung zu den Tätigkeiten der Gemeente im Rahmen der öffentlichen Gewalt und fielen als solche weder unter die Wet OB noch unter die Sechste Richtlinie.
19 Gegen das Urteil des Gerechtshof te ’s‑Hertogenbosch legte die Gemeente Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden ein. In ihrem Rechtsmittel macht sie geltend, die betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen seien im Hinblick auf die spätere Erbringung einer mehrwertsteuerpflichtigen Leistung erworben worden, nämlich um nach der Übergabe des Gebäudes und für Zwecke ihres Unternehmens über einen „im eigenen Unternehmen“ hergestellten Gegenstand zu verfügen. Diese Leistung sei gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. h in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Nr. 1 USt‑Gesetz als mehrwertsteuerpflichtige Lieferung anzusehen.
20 Das vorlegende Gericht verweist auf das Urteil Gemeente Vlaardingen (C‑299/11, EU:C:2012:698), nach dem Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie, wonach bestimmte Vorgänge einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt werden könnten, auch auf Gegenstände anwendbar sei, die von einem Dritten mit von dem Unternehmen, das die Vorsteuer gezahlt habe, zur Verfügung gestellten Materialien hergestellt, gewonnen, be- oder verarbeitet worden seien.
21 Die Besonderheit des Ausgangsverfahrens bestehe jedoch darin, dass hier ein steuerpflichtiger Dritter im Auftrag der Gemeente eine unbewegliche Sache hergestellt habe, die die Gemeente zu 94 % für ihre Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt nutze. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie, der die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug eröffnet, anwendbar ist, obwohl Gemeinden grundsätzlich nicht mehrwertsteuerpflichtig sind, weil die Gemeente das Gebäude teilweise – wenn auch in geringem Umfang – für Leistungen nutzt, die sie als Steuerpflichtige erbringt.
22 Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass es als Lieferung gegen Entgelt anzusehen ist, wenn eine Gemeinde ein Gebäude in Gebrauch nimmt, das sie auf eigenem Grund und Boden hat bauen lassen und das sie zu 94 % für ihre Tätigkeiten, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt erbringt, und zu 6 % für ihre Tätigkeiten als Steuerpflichtige – davon zu 1 % für steuerbefreite Leistungen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen – nutzen wird?
Zur Vorlagefrage
23 Zunächst ist daran zu erinnern, dass Gemeinden nach Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie grundsätzlich nicht als Mehrwertsteuerpflichtige gelten, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen.
24 Art. 5 Abs. 7 Buchst. a und Art. 6 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie betreffen Umsätze, die einer Lieferung gegen Entgelt oder Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt sind oder werden können.
25 Was zunächst Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie betrifft, so kann, wie die Generalanwältin in den Nrn. 17 und 51 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die in dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit, Gegenstände dem als Steuerpflichtiger genutzten Vermögen oder dem als Nicht-Steuerpflichtiger genutzten Vermögen zuzuordnen, keine Anwendung auf eine Situation finden, in der der Steuerpflichtige – wie im Ausgangsverfahren – zugleich wirtschaftliche Tätigkeiten, die der Mehrwertsteuer unterliegen, und nicht von der Mehrwertsteuer erfasste nichtwirtschaftliche Tätigkeiten ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteil Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie, C‑515/07, EU:C:2009:88, Rn. 37 und 38).
26 Folglich ist Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie nicht auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens anwendbar.
27 Sodann können die Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie die Zuordnung eines im Rahmen seines Unternehmens hergestellten, gewonnenen, be- oder verarbeiteten, gekauften oder eingeführten Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen für Zwecke seines Unternehmens einer Lieferung gegen Entgelt gleichstellen, falls den Steuerpflichtigen der Erwerb eines solchen Gegenstands von einem anderen Steuerpflichtigen nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigen würde.
28 Der Wortlaut dieser Bestimmung, und zwar der Begriff des „durch einen Steuerpflichtigen für Zwecke seines Unternehmens“ „hergestellten, gewonnenen, be- oder verarbeiteten … Gegenstands“, umfasst nicht nur die vollständig vom betreffenden Unternehmen selbst hergestellten, gewonnenen, be- oder verarbeiteten Gegenstände, sondern auch die von einem Dritten mit von diesem Unternehmen zur Verfügung gestellten Material hergestellten, gewonnenen, be- oder verarbeiteten Gegenstände (vgl. in diesem Sinne Urteil Gemeente Vlaardingen, EU:C:2012:698, Rn. 27).
29 Somit fällt ein Gebäude wie das im Ausgangsverfahren fragliche, das von einem Dritten auf einem Grundstück einer Gemeinde errichtet wurde, unter den in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Wortlaut.
30 Ein Mitgliedstaat hat nur dann die Möglichkeit, die Zuordnung eines solchen Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen für Zwecke seines Unternehmens einer Lieferung gegen Entgelt gleichzustellen, wenn den Steuerpflichtigen der Erwerb eines solchen Gegenstands von einem anderen Steuerpflichtigen nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigen würde.
31 Aus Art. 3 Abs. 1 Wet OB geht hervor, dass das Königreich der Niederlande von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.
32 Wie die Generalanwältin in Nr. 62 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, erfüllt eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens, in der nicht die volle Vorsteuer hätte abgezogen werden können, wenn das betreffende Gebäude vollständig von einem anderen Steuerpflichtigen erworben worden wäre, weil das Gebäude auch für andere Zwecke als für steuerpflichtige Umsätze genutzt wird, die in Rn. 30 des vorliegenden Urteils erwähnte Voraussetzung für die Anwendung von Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie.
33 Folglich ist es, da der betreffende Mitgliedstaat von der in Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie genannten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, als eine unter diese Vorschrift fallende Situation anzusehen, wenn eine Gemeinde den Erstbezug eines Gebäudes vornimmt, das sie auf eigenem Grund und Boden hat bauen lassen und das sie zu 94 % für ihre Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt und zu 6 % für ihre Tätigkeiten als Steuerpflichtige – davon zu 1 % für steuerbefreite Leistungen, die nicht zum Steuerabzug berechtigen – nutzen wird.
34 Wie die Generalanwältin in den Nrn. 72 und 73 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, muss die gesamte Mehrwertsteuer, die von der Gemeente auf der Vorstufe beim Erwerb der Gegenstände für die Zwecke der auf der folgenden Stufe vorgenommenen Zuordnung gezahlt wurde, das Recht auf Abzug dieser Steuer nach Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie eröffnen.
35 Diese Zuordnung unterliegt selbst der Mehrwertsteuer, und die Höhe der von der Gemeente insoweit geschuldeten Mehrwertsteuer ist gemäß Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie auf der Grundlage des Gesamtwerts jedes Bestandteils – des Grundstücks und des Gebäudes – zu berechnen, wobei die Mehrwertsteuer für diese Bestandteile nicht zuvor erhoben worden sein darf (vgl. in diesem Sinne Urteil Gemeente Vlaardingen, EU:C:2012:698, Rn. 28 bis 33).
36 Schließlich ist der Steuerpflichtige nach Art. 17 Abs. 2 und 5 der Sechsten Richtlinie grundsätzlich berechtigt, die Mehrwertsteuer, die er aufgrund der in der vorstehenden Randnummer genannten Zuordnung entrichtet hat, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen, soweit die betreffenden Gegenstände für seine steuerpflichtigen Umsätze genutzt werden; im Ausgangsverfahren ist dies bei 5 % der Fläche des Gebäudes der Fall. Für den Teil, zu dem die Gegenstände für steuerbefreite Umsätze oder für Umsätze verwendet werden, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, ist kein Abzug der Mehrwertsteuer zulässig.
37 Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 7 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er auf eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, in der eine Gemeinde den Erstbezug eines Gebäudes vornimmt, das sie auf eigenem Grund und Boden hat bauen lassen und das sie zu 94 % für ihre Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt und zu 6 % für ihre Tätigkeiten als Steuerpflichtige – davon zu 1 % für steuerbefreite Leistungen, die nicht zum Mehrwertsteuerabzug berechtigen – nutzen wird. Die spätere Nutzung des Gebäudes für die Tätigkeiten der Gemeinde kann jedoch gemäß Art. 17 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie zum Abzug der Steuer, die aufgrund der in Art. 5 Abs. 7 Buchst. a dieser Richtlinie vorgesehenen Zuordnung entrichtet wurde, nur in Höhe des Anteils berechtigen, der der Nutzung des Gebäudes für steuerbare Umsätze entspricht.
Kosten
38 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.