FG Düsseldorf: Liquidationsverlust unter Anwendung des Halb-/Teileinkünfteverfahrens
FG Düsseldorf, Urteil vom 16.5.2013 - 12 K 2963/12 E
Sachverhalt
I.
Streitig ist die Beurteilung eines Liquidationsverlustes.
An der mit Gesellschaftsvertrag vom 21.12.2007 begründeten GmbH war die Klägerin mit einer voll eingezahlten Stammeinlage in Höhe von EUR 8.500,00, entsprechend einem Drittel des Stammkapitals der Gesellschaft in Höhe von EUR 25.500,00, beteiligt. Am 14.12.2009 wurde die Auflösung der GmbH mit Wirkung zum Ablauf des 15.12.2009 beschlossen. Der Liquidator wurde beauftragt, die Liquidation bis zum 31.12.2009 durchzuführen. Am 29.12.2009 erfolgte die Auskehrung des sich noch im Gesellschaftsvermögen der GmbH i. L. befindlichen Teils des Stammkapitals in Höhe von EUR 9.456,14 an die jeweils zu einem Drittel beteiligten Gesellschafter, so dass an die Klägerin ein Betrag in Höhe von EUR 3.138,71 ausgezahlt wurde. Weitere Zahlungen in Form von Dividenden, Ausschüttungen oder sonstigen Rückzahlungen aus dem Stammkapital der Gesellschaft hatte die Klägerin nicht erhalten.
Die Klägerin machte in ihrer am 16.09.2011 eingereichten Einkommensteuererklärung 2009 den ihr entstandenen Verlust in Höhe von EUR 5.362,00 - resultierend aus der Rückzahlung des Stammkapitals in Höhe von EUR 3.138,71 abzüglich der geleisteten Stammeinlage als Anschaffungskosten in Höhe von EUR 8.500,00 - in vollem Umfang geltend. Der Beklagte wendete unter Hinweis auf die erfolgte Rückzahlung des Stammkapitals das Teileinkünfteverfahren an und ermittelte einen Verlust aus § 17 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 3.217 Euro.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 10.07.2012) trägt die Klägerin zur Begründung ihrer Klage vor:
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) unterwerfe systemwidrig auch Veräußerungsverluste dem Teileinkünfteverfahren ( z.B. BFH - Urteile vom 25.06.2009 IX R 42/08, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2010, 220; BFH- Beschluss vom 18.03.2010 IX B 227/09, BStBl II 2010, 627). Die Kläger der dortigen Verfahren hätten jeweils eine Veräußerungseinnahme erzielt, nach Abzug der zu berücksichtigenden Anschaffungs- und Veräußerungskosten jedoch im Saldo einen Veräußerungsverlust erlitten. Gleichwohl habe der BFH angenommen, die Kläger hätten Einnahmen i. S. des § 3 Nr. 40 EStG erzielt mit der Folge, dass der im Saldo eingetretene Veräußerungsverlust dem Halb/Teileinkünfteverfahren des § 3 c Abs. 2 EStG unterliege. Der BFH habe diese isolierende und nur auf den erzielten Veräußerungserlös abstellende Sichtweise damit begründet, dass nach der systematischen Grundentscheidung des sog. Halbeinkünfte-/ Teileinkünfteverfahrens Veräußerungsvorgänge den Iaufenden Gewinnausschüttungen gleichzustellen wären. Diese vom BFH vorgenommene Gleichstellung sei nicht zutreffend, denn sie finde keine Grundlage in der Systematik, sondern lasse den vom Gesetz vorgegebenen entscheidenden Unterschied zwischen einem Veräußerungsvorgang und einer Iaufenden Gewinnausschüttung außer Betracht. Während bei einer Gewinnausschüttung eine Saldobetrachtung bereits der Sache nach ausscheide und somit nach dem Gesetz außen vor bleibe und somit jede Gewinnausschüttung automatisch - auch im Saldo - eine Einnahme i. S. d. § 3 Nr. 40 EStG darstelle, sehe der Gesetzgeber dies in den Veräußerungsfällen völlig anders. Danach liege eine steuerpflichtige Einnahme nur dann vor, wenn der erzielte Veräußerungserlös die bestehenden Anschaffungs- und Veräußerungskosten überschreite (§ 17 Abs. 2 EStG). Das Verständnis des "Einnahmebegriffes" in § 3 Nr. 40 EStG könne daher die vom Gesetzgeber getroffene Grundentscheidung der Differenzierung zwischen Iaufenden Gewinnausschüttungen als Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 EStG und denjenigen des Veräußerungsgewinns nach§ 17 Abs. 2 EStG nicht außer acht lassen.
Zu der Frage, ob zu den Einnahmen i. S. des § 3 Nr. 40 EStG auch die zurückgezahlte Stammeinlage zähle, habe sich der BFH bisher nicht geäußert, denn bisher seien nur "Veräußerungsfälle" entschieden worden. Erfolge eine Rückzahlung von Stammkapital, sei dies keine teilweise nach § 3 Nr. 40 EStG steuerbefreite Einnahme, sondern gänzlich steuerfrei. Nach der Systematik des § 17 EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG liege in der Auszahlung von Stammkapital eine nicht steuerbare (nicht nur gern. § 3 Nr. 40 EStG teilweise befreite Einnahme) Rückzahlung von Eigenkapital vor. Dies ergebe sich auch aus dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG, wonach "Bezüge, die nach der Auflösung einer Körperschaft oder Personenvereinigung i. S. der Nummer 1 anfallen und die nicht in der Rückzahlung von Nennkapital bestehen, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören." Dieses Zusammenspiel der Regelung des § 17 EStG und des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zeige, dass Rückzahlungen aus dem Stammkapital nicht als steuerbefreite Einnahme zu qualifizieren seien, sondern eine gänzlich steuerfreie Rückzahlung von Eigenkapital darstellten. Nichts anderes folge aus der vom Beklagten zitierten Verweisung in § 3 Nr. 40 c S. 2 EStG auf § 3 Nr. 40 c Satz 1 EStG für die Fälle von § 17 Abs. 4 EStG. Bei der in § 3 Nr. 40 c S. 2 EStG vorgenommenen Verweisung auf § 3 Nr. 40 c S. 1 EStG handele es sich um eine Rechtsfolgenverweisung. In den Fällen des § 17 Abs. 4 EStG sei daher zu klären sei, ob es sich tatbestandlich bei der Rückzahlung von Stammkapital aus dem steuerlichen Einlagenkonto i. S. des § 27 Körperschaftsteuergesetz (KStG) um eine Einnahme handele. Diese Frage sei nach allgemeinen Grundsätzen (Hinweis auf das Urteil des BFH vom 19. Februar 2013 IX R 24/12, DB 2013,913) zu beantworten und daher zu verneinen.
Da die Klägerin durch die teilweise zurückgezahlte Einlage keine Einnahmen im Sinne von § 3 Nr. 40 EStG erzielt habe, sei der Anwendungsbereich des § 3 c Abs. 2 EStG (a.F.) nicht eröffnet Die zu einer anderen Beurteilung führende Neuregelung des § 3 c Abs. 2 Satz 2 EStG durch das Jahressteuergesetz 2010 gelte erst ab dem Veranlagungszeitraum 2011 und sei daher nicht anwendbar.
Die Klägerin beantragt,
den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 26.1.2012 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 10.7.2012 zu ändern und einen Verlust aus der Liquidation der Beteiligung in Höhe von 5.362 Euro zu berücksichtigen;
hilfsweise Zulassung der Revision.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er vor:
Gemäß dem Grundsatzurteil des BFH vom 25.6.2009 (IX R 42/08) sei ein Verlust im Sinne des § 17 EStG ohne Anwendung des Teileinkünfteverfahrens in voller Höhe zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige aus der Beteiligung keinerlei Einnahmen im Sinne des § 3 Nr. 40 EStG erzielt habe, also weder einen Veräußerungserlös (§ 17 Abs. 2 EStG) noch eine Kapitalrückzahlung (§ 17 Abs. 4 EStG), noch zu irgendeinem Zeitpunkt eine offene oder verdeckte Gewinnausschüttung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG) vereinnahmt habe. Der Auffassung der Klägerin, dass es sich bei Kapitalrückzahlungen nicht um relevante Einnahmen handele, sondern um nicht steuerpflichtige Rückzahlungen des Eigenkapitals könne nicht gefolgt werden. Gemäß § 17 Abs. 4 EStG werde die Kapitalrückzahlung einem Veräußerungspreis gleichgestellt und damit zur steuerpflichtigen Einnahme, die auch explizit in § 3 Nr. 40 c S.2 EStG aufgeführt sei. (Hinweis auf Urteil des Finanzgericht - FG - Niedersachsen vom 19.5.2011 11 K 496/10, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2012, 1326). In weiteren Entscheidungen des BFH vom 6.4.2011 (IX R 40/10) und vom 20.4.2011 (I R 97/10) sei darüber hinaus bereits entschieden worden, dass das Teileinkünfteverfahren auch anzuwenden sei, wenn wegen geringfügiger Einnahmen im Ergebnis ein Verlust erwirtschaftet worden sei.
Aus den Gründen
II.
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO-).
Der Klägerin ist im Streitjahr ein Auflösungsverlust im Sinne von § 17 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 17 Abs. 4 EStG in Höhe von 3.217 Euro entstanden. Sie war innerhalb der letzten fünf Jahre vor Liquidation der Gesellschaft zu mindestens einem Prozent am Stammkapital der GmbH beteiligt.
Der Auflösungsverlust ist gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG in Verbindung mit § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG durch eine Gegenüberstellung des gemeinen Wertes des zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Gesellschaft und den Anschaffungskosten der Beteiligung zu ermitteln.
Die Klägerin hat infolge der Liquidation aus dem Stammkapital der Gesellschaft 3.138,71 Euro ausgekehrt bekommen. Gemäß § 3 Nr. 40 c Satz 2 EStG sind davon 40 % steuerfrei, weil § 3 Nr. 40 c Satz 1 in den Fällen von § 17 Abs. 4 EStG entsprechend anzuwenden ist (vgl. für zurückgezahlte Stammeinlagen Dötsch/Pung Der Betrieb - DB 2010, 977; Förster, GmbH - Rundschau - GmbHR - 2010, 1009; Naujok, Betriebsberater - BB - 2009, 2128, Anmerkung zu BFH vom 25. Juni 2009 IX R 42/08; Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff - KSM - Kommentar zum Einkommensteuergesetz § 17 EStG Rz. E 65, E 70; Urteil Finanzgericht - FG - Niedersachsen vom 19. Mai 2011, 11 K 496/10, EFG 2012, 1326).
Das Gericht folgt nicht der Ansicht der Klägerin, aus steuersystematischen Gründen könne eine Einnahme aus § 17 EStG überhaupt nur dann vorliegen, wenn der Veräußerungserlös oder der an dessen Stelle tretende gemeine Wert der im Falle der Liquidation erhaltenen Wirtschaftsgüter die gegenzurechnenden Auflösungs/ Anschaffungskosten übersteige, so dass eine Anwendung des Teileinkünfteverfahrens in Verlustfällen von vornherein ausscheide. Zur Begründung wird auf die Rechtsprechung des BFH verwiesen (Urteil vom 25. Juni 2009 IX R 42/08, BStBl II 2010, 220; vom 20. April 2011 I R 97/10, BStBl II 2011, 815), der der Senat aus den dort dargestellten Gründen folgt.
Das Gericht folgt auch nicht der Auffassung der Klägerin, dass jedenfalls eine zurückgezahlte Stammeinlage nicht zu Einnahmen im Sinne von § 3 Nr. 40 c EStG führen könne, weil in § 3 Nr. 40 c Satz 2 EStG lediglich auf die Rechtsfolge von § 3 Nr. 40 c Satz 1 EStG verwiesen werde und deshalb nach allgemeinen Grundsätzen, aus denen sich aber ergebe, dass Kapitalrückzahlungen keine Einnahmen seien, zu beurteilen sei, ob Einnahmen vorlägen.
Zutreffend ist, dass in § 3 EStG nicht geregelt ist, was Einnahmen sind, sondern die Vorschrift das Vorliegen einer Einnahme nach der jeweiligen Einkunftsart voraussetzt.§ 3 Nr. 40 c Satz 2 EStG verweist aber für den Einnahmebegriff auf "die Fälle des § 17 Absatz 4", mithin auf die Einnahmen nach dieser Vorschrift. § 17 Abs. 4 Satz 3 EStG ordnet in den in § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG angesprochenen Veräußerungsfiktionen die zufließenden Bezüge vorrangig den Einnahmen aus Kapitalvermögen im Sinne von§ 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG zu. Zu Bezügen im Sinne von § 17 Abs. 4 EStG führen nur Rückzahlungen aus dem Nennkapital, Stammkapital, Grundkapital oder aus dem steuerlichen Einlagenkonto (vgl. z.B. Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff Kommentar zum EStG KSM § 17 Rz. E 30, E 35). Diese Zahlungen sind die Einnahmen im Sinne von § 17 EStG, denen für Zwecke der Ermittlung des Auflösungsverlusts/Auflösungsgewinns im Sinne von § 17 Abs. 2 EStG die Erwerbsaufwendungen gegenübergestellt werden (Schneider in KSM § 17 EStG Rz. E 70). Ein allgemeiner Grundsatz dahingehend, dass eine Einnahme aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft erst vorliege, wenn und soweit der Wert der im Zuge der Auflösung erhaltenen Wirtschaftsgüter das Stammkapital übersteige, lässt sich § 17 EStG nicht entnehmen. Vielmehr erfolgt auch im Auflösungsfall die Ermittlung der Einkünfte durch Gegenüberstellung von Zuflüssen im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG und den nach § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigenden Anschaffungskosten.
Der Verweis von § 3 Nr. 40 c Satz 2 EStG auf Satz 1 bezweckt gerade, dass die infolge der Veräußerungsfiktion - statt eines Kaufpreises - zufließende Einnahme wie der Bezug eines Kaufpreises behandelt wird, so dass auch unter der Geltung des Teileinkünfteverfahrens die in § 17 EStG vorgesehene Gleichbehandlung einer Veräußerung von Gesellschaftsanteilen mit der Liquidation der Gesellschaft nach § 17 Abs. 4 EStG sicher gestellt ist.
Die Anschaffungskosten der Klägerin sind nur zu 60 % abzuziehen, denn nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG dürfen Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben, Veräußerungskosten oder Werbungskosten, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte nur zu 60% abgezogen werden. Entsprechendes gilt, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen oder die Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder der an deren Stelle tretende Wert mindernd zu berücksichtigen sind. Bei steuerfreien Einnahmen soll kein doppelter steuerlicher Vorteil durch den zusätzlichen Abzug von unmittelbar mit diesen zusammenhängenden Aufwendungen erzielt werden (BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 61/04, BStBl II 2006, 163; vom 6. April 2011 IX R 40/10).
Der Verlust ist wie folgt zu berechnen:
3.138, 73 Euro x 60 % = 1.883 Euro (Einnahmen)
8.500,00 Euro x 60 % = 5.100 Euro (Anschaffungskosten)
3.217,00 Euro (Verlust, wie im Bescheid angesetzt)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil keine höchstrichterliche Entscheidung über die steuerliche Beurteilung von Kapitalrückzahlungen im Rahmen der Liquidation einer Kapitalgesellschaft unter der Geltung des Halb/Teileinkünfteverfahrens vorliegt und diese Frage über den entschiedenen Fall hinaus Bedeutung hat.