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Steuerrecht
20.10.2017
Steuerrecht
FG Baden-Württemberg: „Leitender Angestellter“ i. S. d. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz

FG Baden-Württemberg, Urteil vom13.7.2017 – 3 K 2439/14

Volltext:BB-ONLINE BBL2017-2518-1

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Sachverhalt

Streitig ist, ob der Kläger ein sog. leitender Angestellter im Sinne von Art. 15 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom 21. Dezember 1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) -DBA-Schweiz- ist.

Der Kläger ist verheiratet und wird für den Veranlagungszeitraum 2012 (Streitjahr) mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Er hatte im Streitjahr in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) in X, A-Straße 2, seinen Wohnsitz im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG), § 8 der Abgabenordnung (AO) und war dort ansässig im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz.

Der Kläger ist von Beruf Diplom-Kaufmann. Nach dem Abschluss des Studiums der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Y war er seit Juli 1979 zunächst bei der Z AG und (nach deren Fusion mit der Q AG) ab 1996 bei der W AG/Kanton E/Schweiz (W-AG) nichtselbständig beschäftigt (vgl. die Angaben des Klägers, FG-Akten Bl. 517). Seit April 2002 nahm er als „Head of ...“ eine Position ein, die der „Corporate Executive Group“ (CEG) zugeordnet ist (vgl. Arbeitsvertrag vom ... Oktober 2001, FG-Akten Bl. 551; Schreiben der W-AG vom 9. April 2002 und 18. Juni 2002, FG-Akten Bl. 549 f.). Die CEG umfasst die höchste Managementstufe des W-Konzerns (mit im Streitjahr weltweit über..... Vollzeitmitarbeitern). Dazu gehören ca. xxx Manager aus allen Divisionen und Funktionen des Konzerns. Bei der CEG handelt es sich nicht um ein Leitungsgremium mit Kompetenzen/Zuständigkeiten, sondern um eine Managementstufe (vgl. Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 20. Juni 2017, FG-Akten Bl. 620 ff.; Übersicht: W ..., FG-Akten Bl. 243; Übersicht: ...., FG-Akten Bl. 252, 573).

Nach einer Tätigkeit als „Chief Financial Officer“ (CFO) für eine niederländische Konzerngesellschaft (Januar 2007 - Mai 2009, FG-Akten Bl. 539) hatte der Kläger seit Juni 2009 und auch im Streitjahr die Position des „CFO Group ...“ (CFO GEM) inne. Auch diese Position ist der CEG zugeordnet (vgl. Arbeitsvertrag vom Juni 2009, FG-Akten Bl. 524; deutsche Übersetzung, FG-Akten Bl. 364; Schreiben der W-AG vom 2. Juni 2009, FG-Akten Bl. 524; deutsche Übersetzung, FG-Akten Bl. 362; Schreiben der W-AG vom Januar 2012, FG-Akten Bl. 218 ff.; deutsche Übersetzung, FG-Akten Bl. 371 ff.). Wegen der Einzelheiten der dem Kläger obliegenden Aufgaben- und Verantwortungsbereiche wird auf seine Angaben in der von ihm erstellten Übersicht Bezug genommen (FG-Akten Bl. 575). Der Kläger berichtete direkt an den „Head of Group ...“ und fachlich an den „Chief Financial & Administration Officer“. Beide waren Teil der Geschäftsleitung der W-AG, des „... Executive Committee“ (..EC). Wegen der Organisationsstruktur der „Group ...“ wird auf das vorgelegte Organigramm verwiesen (Stand 1. März 2012, FG-Akten Bl. 226).

Mit Zirkulationsbeschluss vom xx. August 2008 erteilte der Verwaltungsrat der W-AG dem Kläger (und sieben weiteren Personen) „die Kollektivunterschrift zu zweien (ein-schließlich der Prokura)“, die zunächst gemäß dem Unterschriftenreglement für die W-AG nicht im Handelsregister eingetragen wurde. Als Funktionsbezeichnung des Klägers wurde in dem Beschluss „CFO in Netherlands“ angegeben (FG-Akten Bl. 228; Hinweis auch auf den Zirkulationsbeschluss des Verwaltungsrats vom Juni 2008 über die Erteilung der Kollektivunterschrift zu zweien [einschließlich der Prokura] an xxx Personen, FG-Akten Bl. 293; Ziff. 1.4 des Organisationsreglements der W-AG, FG-Akten Bl. 249 ff.). Laut Verfügung des Handelsregisteramts des Kantons E vom.. Dezember 2009 wurde der Kläger mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ ohne Funktionsbezeichnung im Handelsregister eingetragen (FG-Akten Bl. 173, 189; vgl. auch die Anmeldung durch den Verwaltungsrat der W-AG vom.. Dezember 2009 und das Unterschriftenblatt, FG-Akten Bl. 244 ff.).

Nach dem im Streitjahr gültigen Unterschriftenreglement der W-AG, das im Jahr 2005 vom Verwaltungsrat der W-AG genehmigt wurde, sind alle Mitarbeitenden innerhalb ihres Kompetenzbereichs berechtigt, das Unternehmen mit ihrer Unterschrift rechtskräftig zu vertreten. Die Unterschrift muss mit der Funktionsbezeichnung versehen sein. Für Angelegenheiten außerhalb des Kompetenzbereichs darf nur unterzeichnen, wer als Zeichnungsberechtigter im Handelsregister für dieses Unternehmen aufgeführt ist (vgl. FG-Akten Bl. 568 ff.).

Die Statuten der W-AG (FG-Akten Bl. 222 ff.) sehen vor, dass der Verwaltungsrat nach Maßgabe eines Organisationsreglements die Geschäftsführung oder einzelne Zweige derselben an einzelne seiner Mitglieder (Delegierte) oder Dritte (Direktoren, Geschäftsführer) übertragen kann (Art. 2.. der Statuten; vgl. auch Art. 716 Abs. 2, 716a, 716b des Schweizer Obligationenrechts -OR-, Systematische Sammlung des Bundesrechts [SR] 220, www.admin.ch).

Nach dem auch im Streitjahr gültigen Organisationsreglement der W-AG vom Juni 1997 (FG-Akten Bl. 249 ff., 620) ist der Delegierte zusammen mit der Geschäftsleitung für die aktive Geschäftsführung zuständig (Ziff. 2.). Die aktive Geschäftsleitung wird dem ..EC übertragen (Ziff. 3.), das im Streitjahr weltweit xx Mitglieder hatte. Die Geschäftsleitung kann Teile der ihr zustehenden Kompetenzen an einzelne Mitglieder rsp. Gremien delegieren, bleibt aber für deren Überwachung verantwortlich (Ziff. 3.7.). Das ..EC seinerseits hat gewisse Kompetenzen vom „W Executive Committee“ (ECW) delegiert bekommen (vgl. Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 20. Juni 2017, FG-Akten Bl. 620 ff.). Die Mitglieder des ..EC der W-AG und deren Funktionen ergeben sich aus der Übersicht: ... Leadership Team, auf die Bezug genommen wird (FG-Akten Bl. 248; zu den Änderungen im Streitjahr vgl. die Angaben im Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 20. Juni 2017, FG-Akten Bl. 621; vgl. auch die Übersicht: W Organizational ….., FG-Akten Bl. 136). Sie waren nicht alle im Stammhaus der W-AG in E beschäftigt, sondern rekrutierten sich auch aus in anderen Ländern ansässigen Konzerngesellschaften. Der Kläger war und ist nicht Mitglied des ..EC.

Der Verwaltungsrat vertritt die W-AG nach außen. Er kann die Vertretung einem oder mehreren Mitgliedern (Delegierte) oder Dritten (Direktoren) übertragen und Prokuristen oder andere Bevollmächtigte ernennen. Er bestimmt die Art der Zeichnung, auch die seiner Mitglieder (Art. 2.. der Statuten; vgl. auch Art. 718 Abs. 1 und 2 OR).

Die Mitglieder des Verwaltungsrats und die Direktoren haben nach Schweizer Recht eine organschaftliche Vertretungsmacht. Diese ist vom Verwaltungsrat zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (Art. 720, 931a OR, Art. 17 Abs. 1 lit. c der Handelsregisterverordnung vom 17. Oktober 2007 -HRegV-, Systematische Sammlung des Bundesrechts [SR] 221.411, www.admin.ch). Die Eintragung im Handelsregister hat für die Vertretungsbefugnis jedoch keine konstitutive Wirkung (Watter in Honsell/Vogt/ Wiegand, Obligationenrecht II, 5. Aufl. 2016, Art. 720 Rz. 2). Die Vertretungsbefugnis kann durch Eintragung eines Kollektivzeichnungsrechts im Handelsregister beschränkt werden (vgl. Art. 718a Abs. 2 OR). Die Zeichnungsberechtigung der zur Vertretung befugten Personen gemäß Art. 720 OR wird in der Schweizer Handelsregisterpraxis als „Unterschrift“ bezeichnet. Diese geht weiter als die Prokura gemäß Art. 721 OR (vgl. FG-Akten Bl. 598).

Der Verwaltungsrat kann rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht in Form der (kaufmännischen) Prokura (Art. 458 Abs. 1 OR) erteilen (Art. 721 OR). Die Prokura ist vom Verwaltungsrat zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, auch hier hat die Ein-tragung nur deklaratorischen Charakter (Art. 458 Abs. 2, 931a OR; Watter in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 6. Aufl. 2015, Art. 458 Rz. 9). Die Prokura kann mehreren Personen zu gemeinsamer Unterschrift erteilt werden (Kollektiv-Prokura; Art. 460 Abs. 2 OR).

Im Gegensatz zur organschaftlichen Vertretungsmacht und zur Prokura ist die Handlungsvollmacht (Art. 462 OR) im Schweizer Handelsregister nicht eintragbar (Watter in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 6. Aufl. 2015, Art. 462 Rz. 3; Praxismitteilung des Eidgenössischen Amts für das Handelsregister -EHRA- 4/09 vom 17. Dezember 2009 unter Ziff. 5, www.ehra.fenceit.ch; FG-Akten Bl. 595).

Die Registrierung der Zeichnungsberechtigten im Handelsregister richtet sich nach Art. 931 ff. OR, Art. 45 Abs. 1 lit. o und Art. 119 HRegV. Das Handelsregisteramt prüft die Anmeldung der eingetragenen Tatsache formal (Zuständigkeit, Anmeldeberechtigung, Vollständigkeit der Angaben und Belege, vgl. Art. 19 ff., 28 HRegV) und eingeschränkt auch materiell (vgl. Art. 940 Abs. 1 OR, Eckert in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht II, 5. Aufl. 2016, Art. 940 Rz. 9 ff.). Die Eintragung erbringt nach Art. 9 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (ZGB, Systematische Sammlung des Bundesrechts [SR] 210, www.admin.ch) vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhalts nachgewiesen ist.

In dem zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Art. 119 lit. g und h HRegV ist vorgesehen, dass auch die Funktion, die die Person in der Rechtseinheit wahrnimmt, und die Art der Zeichnungsberechtigung oder der Hinweis, dass die Person nicht zeichnungsberechtigt ist, anzugeben ist. Dessen ungeachtet wird es in der Praxis weiterhin als zulässig angesehen, dass nicht dem Verwaltungsrat angehörende Zeichnungsberechtigte ohne Titel/Funktionsbezeichnung eingetragen werden (Watter in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht II, 5. Aufl. 2016, Art. 720 Rz. 5, Art. 721 Rz. 8; vgl. auch FG-Akten Bl. 597 f.).

Im Falle der W-AG wird im Handelsregister nur bei den Mitgliedern des Verwaltungsrats bzw. dem Sekretär des Verwaltungsrats eine Funktion angegeben. Bei allen anderen mit Kollektivunterschrift zu zweien eingetragenen Zeichnungsberechtigten fehlt ein solcher Zusatz, und zwar auch dann, wenn die Eintragung nach dem 1. Januar 2008 erfolgte und es sich um Mitglieder der Geschäftsleitung, des ..EC, handelte (vgl. z.B. Eintragungen von G.., H.., J.., K.., FG-Akten Bl. 170 ff.). Eintragungen der Zeichnungsart Prokura finden sich bei der W-AG nicht. Nicht alle Mitglieder des ..EC sind mit Kollektivunterschrift zu zweien im Schweizer Handelsregister eingetragen; dies betrifft nach den Angaben des Klägers insbesondere Vertreter von in anderen Ländern ansässigen Konzerngesellschaften.

Der Kläger kehrte im Streitjahr an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund der Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz im Inland zurück (vgl. die eingereichte Liste der Nichtrückkehrtage, Anlage Gre 3 mit Bestätigungen des Arbeitgebers und Sichtvermerk der zuständigen Steuerbehörde der Eidgenössischen Steuerverwaltung -ESTV- sowie Quellensteuerrechnung der ESTV vom 22. Januar 2014, ESt-Akten 2012 Bl. 33 ff.; an der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientierte Ermittlung der Nichtrückkehrtage des früheren Berichterstatters lt. Kalenderübersicht, FG-Akten Bl. 39 ff.). Ausweislich der eingereichten Liste der Nichtrückkehrtage übte der Kläger an 63 von 240 Arbeitstagen seine Tätigkeit in Drittstaaten und im Inland aus.

Die von der W-AG einbehaltene und an die ESTV abgeführte Quellensteuer in Höhe von 4,5 % der Vergütung (s. Art. 15a Abs. 1 Sätze 2 und 3 DBA-Schweiz i.V.m. Art. 15a Abs. 3 Buchst. b DBA-Schweiz) betrug lt. Lohnausweis 32.179,65 CHF (ESt-Akten 2012 Bl. 25). Nach der Quellensteuer-Rechnung der ESTV für das Streitjahr vom 22. Januar 2014 wurde gegenüber dem Kläger die tarifliche Quellensteuer festgesetzt in Höhe von 119.174,80 CHF (205.225,45 CHF Quellensteuer abzgl. der durch die W-AG abgerechneten Quellensteuer und der „internationalen Ausscheidung: 177/240“ von 53.872 CHF, ESt-Akten Bl. 36). Die Quellensteuer-Rechnung wurde durch Verfügungen der ESTV vom 19. März 2014 und 21. Januar 2015 dahingehend geändert, dass die Einkünfte des Klägers aus unselbständiger Arbeit nunmehr voll in der Schweiz besteuert wurden. Die Schweizer Quellensteuer wurde vom Kläger bezahlt (FG-Akten Bl. 468 ff.).

Für den Veranlagungszeitraum 2011 hat die Steuerrekurskommission des Kantons E mit Beschluss vom 24. April 2014 nach Einsprache und Rekurs des Klägers gegen den Einspracheentscheid vom 22. Juli 2013 diesen aufgehoben und den Kläger als sog. leitenden Angestellten im Sinne des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz angesehen und seine Einkünfte aus unselbständiger Arbeit vollumfänglich der Besteuerung in der Schweiz unterworfen (FG-Akten Bl. 482 ff.).

In der unter dem 6. März 2014 unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO) durchgeführten Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr (ESt-Akte 2012 Bl. 66 ff.) unterwarf der Beklagte (das Finanzamt -FA-) den auf die Tätigkeit des Klägers im Inland und in Drittstaaten entfallenden Teil seiner Vergütung (63/240) in Höhe von 167.266 EUR der Besteuerung. Aufgrund der Eintragung des Klägers im Handelsregister mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ ohne Funktionsbezeichnung sah das FA den Kläger nicht als sog. „leitenden Angestellten“ im Sinne von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz an. Die Einkommensteuer wurde auf 59.382 EUR festgesetzt. Die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte aus unselbständiger Arbeit wurden in die Berechnung des Steuersatzes einbezogen (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz). Schweizer Quellensteuer wurde nicht angerechnet.

Dem form- und fristgerecht eingelegten Einspruch hat das FA mit Einkommensteueränderungsbescheid vom 2. Juni 2014 hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und der Unterhaltsleistungen an den Sohn des Klägers teilweise abgeholfen (ESt-Akten/Einspruchsverfahren 2012 Bl. 22 ff.). Mit Teileinspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2a AO vom 25. Juni 2014 wurde die Einkommensteuer -nach vorheriger Androhung- auf 58.624 EUR heraufgesetzt (Kürzung der nach § 33a EStG abzugsfähigen Unterhaltsleistungen an den Sohn des Klägers um 1.372 EUR wegen eigener Einnahmen des Sohnes). Wegen der Streitpunkte Unterhaltsleistungen und Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das FA hielt an seiner Auffassung fest, dass Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz auf den Kläger keine Anwendung finde. Es berief sich auf die Verständigungsvereinbarung mit der ESTV vom 30. September 2008 IV B 2- S 1301 - CHE/07/10015 (BStBl I 2008, 935) und die gleichlautende Vorschrift des § 19 Abs. 2 der Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Deutsch-Schweizerische Konsultationsvereinbarungsverordnung -KonsVerCHEV-) vom 20. Dezember 2010 (BGBl I 2010, 2187; BStBl I 2011, 148). Danach sei Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz nur auf Personen anwendbar, deren vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasste Funktion oder Prokura im Handelsregister eingetragen sei.

Im Übrigen hat das FA darauf hingewiesen, dass es über die Steuerpflicht der Erstat-tungszinsen im Sinne des § 233a AO nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG und die Anwendung des Werbungskostenabzugsverbots des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG auf nach dem 31. Dezember 2008 geleistete Aufwendungen, die mit Kapitalerträgen in Zusammenhang stehen, die bereits vor dem 1. Januar 2009 zugeflossen sind, nicht entscheide.

Mit der fristgerecht erhobenen Klage begehrt der Kläger weiterhin, sämtliche Einkünfte aus unselbständiger Arbeit für die W-AG nach Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA Schweiz 1971 unter Progressionsvorbehalt steuerfrei zu stellen. Zur Begründung lässt er vortragen, dass im Handelsregister die Zeichnungsart des Klägers mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ beschrieben sei. Prokurist im Sinne des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz sei auch der Kollektivprokurist.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteueränderungsbescheid 2012 vom 2. Juni 2014 in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung vom 25. Juni 2014 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus nicht- bzw. unselbständiger Arbeit in voller Höhe unter Progressionsvorbehalt steuerfrei gestellt werden und die Einkommensteuer auf 4.802 EUR herabgesetzt wird.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Es hält daran fest, dass Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz nach Art. 19 Abs. 2 KonsVerCHEV nur auf Personen anwendbar sei, deren vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasste Funktion oder Prokura im Handelsregister eingetragen sei. Diese Voraussetzung sei für einen Prokuristen nur erfüllt, wenn neben der Zeichnungsberechtigung auch die Funktion „Prokurist“ oder ggf. auch „Kollektivprokura zu zweien“ als solche im Handelsregister eingetragen sei.

Mit dem Zirkulationsbeschluss vom xx. August 2008 seien dem Kläger keine Vertretungsbefugnisse verliehen worden, die mindestens der Prokura entsprochen hätten. Nach dem Unterschriftenreglement für die W-AG, auf das der Zirkulationsbeschluss verweise, sei ausdrücklich nur Zeichnungsbefugnis (zu zweien) innerhalb des eigenen Kompetenzbereichs übertragen worden, was für eine Vergleichbarkeit mit der Prokura nicht ausreiche. Das FA gehe daher davon aus, dass lediglich eine Handlungsvollmacht im Sinne von Art. 462 Abs. 1 OR erteilt worden sei.

Der frühere Berichterstatter des erkennenden Senats hat den Streitfall am 26. Mai 2015 mit den Beteiligten erörtert. Auf die Niederschrift über den Erörterungstermin wird Bezug genommen (FG-Akten Bl. 253).

Am 13. Juli 2017 hat der Senat den Streitfall mündlich verhandelt. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird verwiesen.

Dem Senat lag bei der Entscheidung 1 Bd. Einkommensteuerakten vor.

Aus den Gründen

30        I. Die Klage ist zulässig. Das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf des Klägers ist erfolglos geblieben (§ 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).

31        Nach § 367 Abs. 2a Satz 1 AO kann die Finanzbehörde vorab über Teile des Ein-spruchs entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Sie hat in dieser Entscheidung zu bestimmen, hinsichtlich welcher Teile Bestandskraft nicht eintreten soll (§ 367 Abs. 2a Satz 2 AO). Ob der Erlass einer Teileinspruchsentscheidung sachdienlich und ermessensgerecht war oder nicht, unterliegt zwar der gerichtlichen Überprüfung, allerdings nur, wenn sich die Klage allein gegen die Rechtmäßigkeit der Teilein-spruchsentscheidung richtet und deren isolierte Aufhebung beantragt wird (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 2012 X R 50/09, BStBl II 2012, 536). Wird hingegen der ursprüngliche Verwaltungsakt in Gestalt der Teileinspruchsentscheidung angefochten (vgl. § 44 Abs. 2 FGO), ist für die Zulässigkeit der Klage nach § 44 Abs. 1 FGO lediglich maßgebend, ob sich die Klage gegen die Besteuerungsgrundlagen richtet, die Gegenstand des Tenors der Teileinspruchsentscheidung waren (vgl. Gräber/Levedag, FGO, 8. Aufl. 2015, § 44 Rz. 32; Bartone in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 367 AO Rz. 55).

32        Im Streitfall hat das FA, wie sich aus dem Tenor der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2014 ergibt, hinsichtlich der im Klageverfahren ausschließlich streitigen Besteuerung der Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit für die W-AG eine Teileinspruchsentscheidung erlassen, mit der der Einspruch des Klägers insoweit als unbegründet zurückgewiesen wurde.

33        II. Die Klage ist begründet. Die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit unterliegen, auch soweit sie auf Tätigkeiten des Klägers in Drittstaaten und in Deutschland entfallen, nicht der Besteuerung in Deutschland, da der Kläger zu dem in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz genannten Personenkreis gehört.

34        1. Der Kläger war im Streitjahr gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und unterlag mit seinen Einkünften im Sinne von § 2 Abs. 1 EStG (Welteinkünfte) der Einkommensteuer, da er ausschließlich einen Wohnsitz (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 AO) in Deutschland hatte. Aus abkommensrechtlicher Sicht war er in Deutschland ansässig im Sinne von Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz.

35        2. Die Ausübung des hiernach bestehenden Besteuerungsrecht Deutschlands wird für die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit für die W-AG jedoch durch das DBA-Schweiz eingeschränkt.

36        Nach Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz sind die gesamten Einkünfte des Klägers aus unselbständiger Arbeit von der deutschen Besteuerung freizustellen und unterliegen lediglich dem Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG). Dies gilt auch, soweit die Einkünfte auf Tätigkeiten des Klägers in Drittländern oder in Deutschland entfallen. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz enthält für seinen Anwendungsbereich eine Fiktion des Tätigkeitsortes, die auch im Rahmen der Auslegung von Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz berücksichtigt werden muss (BFH-Urteil vom 25. Oktober 2006 I R 81/04, BStBl II 2010, 778; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMF- vom 3. Dezember 2013, IV B 2-S 1301-CHE/07/10024-05, BStBl I 2013, 1610).

37        a) Vorbehaltlich des Art. 15a DBA-Schweiz können die Einkünfte einer in Deutschland ansässigen Person aus einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied, Direktor, Geschäftsführer oder Prokurist einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft in der Schweiz besteuert werden, sofern die Tätigkeit nicht so abgegrenzt ist, dass sie lediglich Aufgaben außerhalb der Schweiz umfasst. Besteuert die Schweiz diese Einkünfte nicht, so können sie in Deutschland besteuert werden (Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz).

38        aa) Der Kläger war im Streitjahr kein Grenzgänger im Sinne von Art. 15a DBA-Schweiz, da er an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist. Er hat zur Überzeugung des Senats über 60 Nichtrückkehrtage im Sinne des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz nach Maßgabe der Grundsätze der Rechtsprechung (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 11. November 2009 I R 15/09, BStBl II 2010, 602) nachgewiesen. Auf die Ermittlung der Nichtrückkehrtage lt. Kalenderübersicht wird Bezug genommen (FG-Akten Bl. 39 ff.). Auch die Beteiligten gehen übereinstimmend von über 60 Nichtrückkehrtagen aus.

39        Ferner umfasste die Tätigkeit des Klägers im Streitjahr nicht lediglich Aufgaben außerhalb der Schweiz. Auch dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten.

40        bb) Seinem Wortlaut entsprechend erfasst Art. 15 Abs. 4 DBA Schweiz nur einen abgegrenzten Personenkreis und nicht schlechthin sämtliche „leitenden Angestellten“ einer Kapitalgesellschaft. Eine Ausweitung des in Art. 15 Abs. 4 Satz 1 DBA-Schweiz genannten Personenkreises kommt in Anbetracht der abschließenden Aufzählung nicht in Betracht. Dem stehen der Ausnahmecharakter der Norm und die ihr zugrunde liegenden Rechtsgrundsätze des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 15. November 1971 GrS 1/71, BStBl II 1972, 68 entgegen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. April 1999 I B 141/98, BFH/NV 1999, 1317; Urteil des FG Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2015 3 K 2913/13, EFG 2016, 1061 -Rev. anhängig Az. BFH I R 22/16-; Kempermann in Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA Deutschland - Schweiz, Art. 15 Rz. 107 ff.).

41        Die natürliche Person muss aus zivilrechtlicher Sicht eine Stellung in der Kapitalgesellschaft einnehmen, die im Hinblick auf die damit verbundene Leitungs- und Vertretungsmacht derjenigen der in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz aufgeführten Rechtsträger mindestens gleichsteht (vgl. BFH-Urteil vom 14. März 2011 I R 23/10, BStBl II 2013, 73 zu einem Delegierten des Verwaltungsrats). Handlungsbevollmächtigte einer Kapitalgesellschaft im Sinne von Art. 462 OR bzw. § 54 des Handelsgesetzbuches (HGB) werden von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz daher nicht erfasst (BFH in BFH/NV 1999, 1317). Art 15 Abs. 4 DBA-Schweiz enthält keine Einschränkung auf eine dem Arbeitnehmer erteilte Einzelunterschrift bzw. Einzelprokura. Prokurist im Sinne dieser Vorschrift ist demnach nicht nur der Einzel-, sondern auch der Kollektivprokurist (Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Juni 2008 3 K 2565/08, EFG 2009, 88).

42        Gemessen daran gehörte der Kläger im Streitjahr zu dem in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz genannten Personenkreis.

43        (1) Der Kläger verfügte im Streitjahr zivilrechtlich über die Vertretungsmacht eines Direktors (mindestens jedoch über die eines Prokuristen) im Sinne von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz.

44        Ihm wurde durch Zirkulationsbeschluss des gemäß Art. 2..Abs.1.. der Statuten und Art. 716a Ziff. 4 OR für die Ernennung der mit der Vertretung vertrauten Personen zuständigen Verwaltungsrats vom xx. August 2008 (FG-Akten Bl. 228) die „Kollektivunterschrift zu zweien (einschließlich der Prokura)“ erteilt. Aufgrund der von sämtlichen Mitgliedern des Verwaltungsrats der W-AG unterschriebenen Anmeldung an das Handelsregisteramt des Kantons E wurde der Kläger -wie in Art. 720 OR vorgesehen- am.. Dezember 2009 im Handelsregister mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ ohne Funktionsangabe eingetragen (FG-Akten Bl. 244).

45        Wie dem Senat auch aufgrund seiner in anderen Verfahren gewonnenen Kenntnisse des Schweizer Rechts und der Schweizer Handelsregisterpraxis bekannt ist, bezeichnet die als „Kollektivunterschrift zu zweien“ erteilte Vertretungsmacht im Schweizer Zivilrecht regelmäßig die organschaftliche Vertretungsmacht von Direktoren im Sinne von Art. 718 Abs. 2 OR (vgl. FG-Akten Bl. 598). Bei einer Eintragung mit „Kollektivunterschrift zu zweien“ ohne Bezeichnung einer Funktion lässt sich die Vertretungsmacht der betreffenden Person daher nach „oben“ (kein Mitglied des Verwaltungsrats) und nach „unten“ (keine Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter) eingrenzen (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2014 3 K 1837/14, juris). Die Praxis der Handelsregister erlaubt -auch nach Inkrafttreten von Art. 119 lit. g und h HRegV zum 1. Januar 2008- die Eintragung der Zeichnungsberechtigung auch ohne Funktionsangabe (Watter in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht II, 5. Aufl. 2016, Art. 720 Rz. 5, Art. 721 Rz. 8). Die organschaftliche Vertretungsmacht von Direktoren ist abzugrenzen von der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht der (Kollektiv-)Prokura (Art. 458 Abs. 1 OR).

46        Die Statuten der W-AG sehen vor, dass der Verwaltungsrat die Vertretung Dritten (Direktoren) übertragen kann (Art. 2..Abs.1.. der Statuten). Im Fall des Klägers geht der Senat davon aus, dass der Verwaltungsrat der W-AG dem Kläger entsprechend dem Wortlaut des Zirkulationsbeschlusses des Verwaltungsrats vom xx.August 2008 im Außenverhältnis die organschaftliche Vertretungsmacht eines Direktors, mindestens aber die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht eines Prokuristen erteilt hat. Diese Vertretungsmacht ist jedenfalls nach Eintragung der Unterschriftsberechtigung des Klägers im Handelsregister -entgegen der Auffassung des FA- auch nicht intern auf den Umfang einer Handlungsvollmacht (Art. 462 OR) begrenzt. Zwar gilt nach dem im Jahr 2005 vom Verwaltungsrat der W-AG genehmigten und auch im Streitjahr gültigen Unterschriftenreglement für den W-Konzern, dass alle Mitarbeitenden (nur) innerhalb ihres Kompetenzbereichs berechtigt sind, das Unternehmen, bei dem sie angestellt sind, gemeinsam mit einem anderen Mitarbeitenden rechtskräftig zu vertreten. Mitarbeitende, die -wie der Kläger- jedoch als Zeichnungsberechtigte im Handelsregister eingetragen sind, sind hiervon hingegen ausdrücklich ausgenommen und dürfen auch außerhalb ihres Kompetenzbereiches unterzeichnen. Diesen Mitarbeitern kommt damit eine weitergehende Vertretungsmacht als einem Handlungsbevollmächtigten zu, der nur zu Rechtshandlungen ermächtigt ist, die für das konkrete Unternehmen und den Aufgabenbereich des betreffenden Mitarbeiters üblich sind (vgl. Watter in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 6. Aufl. 2015, Art. 462 Rz. 4).

47        (2) Eine Aussage über den Umfang der Geschäftsführungsbefugnis bzw. der internen Leitungsmacht einer Person in dem Unternehmen lässt sich aus der Erteilung der „Kollektivunterschrift zu zweien“ nicht unmittelbar ableiten. Anknüpfungspunkt für den Titel des „Direktors“ im Sinne von Art. 718 Abs. 2 OR ist einzig das Vertretungsrecht, nicht jedoch Geschäftsführungskompetenzen (Watter in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht II, 5. Aufl. 2016, Art. 718 Rz. 16).

48        Im Streitfall wurde nach den Statuten der W-AG in Verbindung mit dem Organisationsreglement die aktive Geschäftsführung dem ..EC übertragen (Art. 2.. der Statuten; Ziff.  6.. des Organisationsreglements). Der Kläger war nicht Mitglied des ..EC, d.h. seine interne Leistungsmacht war geringer als diejenige der Mitglieder des ..EC. Für die Leitungsmacht des Klägers ergibt sich aus der Zugehörigkeit der vom Kläger im Streitjahr eingenommenen Position zum CEG, dass die Unternehmensleitung (top management) des W-Konzerns die Position des Klägers nach individueller Bewertung und Überprüfung der höchsten Managementstufe des W-Konzerns zugeordnet hat (vgl. Schreiben vom 2. Juni 2009, FG-Akten Bl. 524). Der Kläger berichtete unmittelbar an Mitglieder der Geschäftsleitung bzw. des ..EC. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers oblag ihm als CFO GEM die verantwortliche Leitung der Group ..., in der die Geschäftstätigkeiten der W-AG in xx Ländern zusammengefasst waren. Wegen der Einzelheiten wird auf die Aufgaben und Verantwortungsbeschreibung des Klägers Bezug genommen (FG-Akten Bl. 575). Auch wenn der Kläger danach eine Position bekleidete, die nicht zur Geschäftsleitung (..EC) der W-AG gehörte, sondern in der Hierarchie eine Stufe darunter angesiedelt war, ist der Senat der Überzeugung, dass die dem Kläger in seiner Position als CFO GEM zukommende Leitungsmacht jedenfalls der einer üblicherweise Prokuristen zugesprochenen Leitungsmacht entspricht. Die W-AG differenziert nicht zwischen Kollektivunterschrift und Prokura, sondern stattet alle im Handelsregister eingetragenen Personen mit der (weitergehenden) Kollektivunterschrift zu zweien aus.

49        (3) Die Beschränkung der Unterschriftsberechtigung des Klägers auf die Kollektivunterschrift zu zweien führt zu keiner anderen Beurteilung. Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz enthält keine Einschränkung auf eine dem Unterschriftsberechtigten oder Prokuristen erteilte Berechtigung zur Einzelvertretung (vgl. FG Baden-Württemberg in EFG 2009, 88). Die Berechtigung (nur) zur Kollektivunterschrift zu zweien ist Ausdruck des im W Konzern für alle Mitarbeitenden geltenden „vier-Augen-Prinzips“. Sämtliche im Handelsregister für die W-AG eingetragenen Personen, auch die Mitglieder des Verwaltungsrats und des ..EC, unterliegen dieser Beschränkung (vgl. Handelsregisterauszug, FG-Akten Bl. 170 ff.).

50        (4) Sicher auszuschließen ist im Streitfall nach Überzeugung des Senats, dass der Kläger nach Schweizer Zivilrecht lediglich als Handlungsbevollmächtigter (Art. 452 OR) anzusehen ist.

51        Dies folgt bereits aus der Eintragung des Klägers im Handelsregister und den ihr zugrunde liegenden Beschlüssen des Verwaltungsrats der W-AG zur Erteilung der Kollektivunterschrift zu zweien und zur nachfolgenden Anmeldung zum Handelsregister. Die Handlungsvollmacht ist nach Schweizer Recht keine im Handelsregister eintragungsfähige Tatsache (Watter in Honsell/Vogt/Wiegand, Obligationenrecht I, 6. Aufl. 2015, Art. 462 Rz. 3; Praxismitteilung des Eidgenössischen Amt für das Handelsregister -EHRA- 4/09 vom 17. Dezember 2009 unter Ziff. 5; vgl. FG-Akten Bl. 595 f.). Nach Art. 9 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 10. Dezember 1907 (ZGB, Systematische Sammlung des Bundesrechts [SR) 210, www.admin.ch) erbringen öffentliche Register für die durch sie zu bezeugenden Tatsachen vollen Beweis, solange nicht die Unrichtigkeit ihres Inhalts nachgewiesen ist.

52        cc) Der Einbeziehung des Klägers in den in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz genannten Personenkreis steht nicht entgegen, dass der Kläger ohne Funktionsbezeichnung im Handelsregister eingetragen ist.

53        (1) Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV, der im Anschluss an eine auf Art. 26 Abs. 3 DBA-Schweiz gestützte Konsultationsvereinbarung mit der ESTV (vgl. BMF-Schreiben vom 30. September 2008 (in BStBl I 2008, 935, Ziff. 2 Satz 2) in die KonsVerCHEV aufgenommen wurde, ist Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz nur auf Personen anwendbar, deren vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasste Funktion oder Prokura im Handelsregister eingetragen wurde.

54        Der Senat sieht im Streitfall die Voraussetzungen von § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV als erfüllt an. Denn der Kläger ist seit Dezember 2009 im Schweizer Handelsregister mit Kollektivunterschrift zu zweien eingetragen. Mit der Eintragung dieser Zeichnungsberechtigung, die nach Schweizer Recht weiter geht als die Prokura, wird, wie bereits ausgeführt (vgl. unter II. 2. a) bb) (1)), implizit zum Ausdruck gebracht, dass die betreffende Person die Vertretungsmacht eines „Direktors“ im Sinne des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz innehat.

55        (2) Der hiervon abweichenden Ansicht des FA, dass bei Eintragung der Zeichnungsberechtigung „Kollektivunterschrift“ zusätzlich die Angabe einer Funktion (wie beispielsweise „Direktor“ oder „Vizedirektor“) erforderlich sei, folgt der Senat nicht. Das Verlangen nach einer dahingehenden Funktionsangabe findet weder in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz noch in § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV eine Grundlage.

56        Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz stellt zunächst allein auf die Tätigkeit der Person als Direktor oder Prokurist einer in dem anderen Vertragsstaat ansässigen Kapitalgesellschaft und nicht auf deren Eintragung im Handelsregister ab.

57        § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV beschränkt die Anwendung von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz auf Personen, deren vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasste Funktion oder Prokura im Handelsregister eingetragen ist.

58        Nach Auffassung des Senats ist diese Vorschrift im Hinblick auf Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck dahingehend auszulegen, dass über die Eintragung der betreffenden Person im Handelsregister ihre Zugehörigkeit zu dem in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz genannten Personenkreis bestimmt werden kann. Bei Abschluss der Konsultationsvereinbarung vom 30. September 2008 ging es den Vertragsparteien vor allem darum, den in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz genannten Personenkreis von dem nicht von dieser Vorschrift erfassten Handlungsbevollmächtigten abzugrenzen. So wird im BMF-Schreiben vom 30. September 2008 (in BStBl I 2008, 935) ausgeführt, dass Anlass für die Konsultationsvereinbarung war, dass der Verzicht auf eine Eintragung im Handelsregister mit Verständigungsvereinbarung vom 7. Juli 1997 (vgl. Ziff. 2.a des BMF-Schreibens vom 7. Juli 1997 IV C-S 1301 Schz-37/97, BStBl I 1997, 723) zunehmend zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des unter Art. 15 Abs. 4 DBA fallenden Personenkreises -insbesondere gegenüber nur begrenzt vertretungsberechtigten Handlungsbevollmächtigten und Fällen pauschaler Erteilung eines auf den begrenzten persönlichen Zuständigkeitsbereich beschränkten Zeichnungsrechts- geführt hat. Sinn und Zweck der in § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV geforderten Eintragung der betreffenden Personen im Handelsregister ist demnach, den Finanzverwaltungen eine praktikable und zuverlässige Abgrenzung des von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz umfassten Personenkreises zu ermöglichen. Diesem Bedürfnis wird auch dann Genüge getan, wenn die Eintragung einer dem Personenkreis des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz zugehörigen Funktion nicht nur dann angenommen wird, wenn diese ausdrücklich im Handelsregister genannt ist, sondern sie sich in anderer Weise aus der bestehenden Eintragung im Handelsregister ergibt.

59        Für diese Auslegung von § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV spricht ferner, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift bei der Prokura eine Eintragung ohne zusätzliche Funktionsangabe („oder Prokura“) als ausreichend angesehen wird. Gemessen daran erschließt sich dem Senat nicht, warum bei Personen, die mit einer über die Prokura hinausgehenden Vertretungsmacht (Unterschriftsberechtigung) im Handelsregister eingetragen sind, die zusätzliche Angabe der vom FA geforderten Funktionsbezeichnung verlangt wird. Die Eintragung der Berechtigung zur „Kollektivunterschrift zu zweien“ schließt vielmehr grundsätzlich und so auch im Streitfall die „Funktion“ im Sinne von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz in Verbindung mit § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV ein.

60        Der Eintragung einer Person mit Unterschriftsberechtigung ohne weitere Funktionsangabe lässt sich nämlich -insbesondere im Hinblick auf die im Rahmen der Anwendung des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz notwendige Abgrenzung zum „Handlungsbevollmächtigten“- die Zugehörigkeit zu dem Personenkreis des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz entnehmen. Denn die Handlungsvollmacht ist nach Schweizer Recht nicht im Handelsregister eintragungsfähig. Der (zusätzlichen) Angabe einer Funktion wie „Direktor“ oder „Vizedirektor“ bei mit (Kollektiv)Unterschriftsberechtigung eingetragenen Personen kommt ausgehend vom Schweizer Recht für die Anwendung des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz keine weitergehende Aussagekraft zu.

61        Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die vom Kläger in der W-AG ausgeübte Funktion des „CFO GEM“ im Schweizer Handelsregister nicht eintragungsfähig wäre (vgl. Praxismitteilung EHRA 4/2009 unter Ziff. 3. zur Zulässigkeit der Bezeichnung CEO nur in Kombination mit der Funktion „Vorsitzender der Geschäftsleitung“, ehra. fenceit.ch; FG-Akten Bl. 599).

62        (3) Da die Eintragung des Klägers im Handelsregister -nach Auffassung des Senats- den Erfordernissen von § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV genügt, kann der Senat offen lassen, ob § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV andernfalls als eine zulässige Spezifizierung und Umsetzung der Regelung des Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz durch eine Konsultationsvereinbarung angesehen werden könnte oder aber die Grenzen der Auslegung überschreiten und über den Abkommenswortlaut, der in abschließender Weise die „Grenzmarke“ für das richtige Abkommensverständnis darstellt, hinausgehen würde (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juni 2015 I R 79/13, BStBl II 326 m.w.N.).

63        In diesem Zusammenhang weist der Senat -ohne dass dies für die Entscheidung erheblich ist- darauf hin, dass es sich bei dem in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz genannten Personenkreis um eine abschließende Aufzählung handelt. Zwar stellt Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz nur auf die Tätigkeit der Person und nicht auf deren Eintragung im Handelsregister ab. Auch kommt der Eintragung im Handelsregister nach Schweizer Recht nur deklaratorische Bedeutung zu und es kann der Nachweis geführt werden, dass die Eintragung unrichtig ist. Jedoch ist sämtlichen in Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz aufgezählten Funktionen gemein, dass sowohl nach Schweizer wie auch nach deutschem Recht eine Pflicht zur Eintragung im Handelsregister besteht (vgl. Art. 720, 814, 458 OR; §§ 39, 81 des Aktiengesetzes, § 10 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, § 53 des Handelsgesetzbuches). In Anbetracht dessen sprechen durchaus Argumente dafür, eine Auslegung von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz dahingehend, dass nur solche Personen in den Anwendungsbereich der Vorschrift einbezogen werden, deren besondere Stellung auch -wie im deutschen und Schweizer Recht vorgesehen- durch Eintragung der Person im Handelsregister nach außen dokumentiert wird, als eine mit dem Wortlaut von Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz jedenfalls vereinbare Auslegung anzusehen.

64        III. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 und 711 der Zivilprozessordnung.

65        2. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären. Der Kläger konnte die Hilfe eines sachkundigen Bevollmächtigten für unentbehrlich halten (BFH-Beschluss vom 21. Dezember 1967 VI B 2/67, BStBl II 1968, 181).

66        3. Die Revision war zuzulassen. Der Senat misst der Frage der Auslegung und der sich ggf. daran anschließenden Frage der Wirksamkeit von § 19 Abs. 2 Satz 2 KonsVerCHEV grundsätzliche Bedeutung zu (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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