BFH: Keine Schätzung nach § 64 Abs. 5 AO für Überschüsse aus Pfennigbasar
BFH, Urteil vom 11.2.2009 - I R 73/08
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 16.7.2008 - 10 K 282/05
LEITSATZ
Überschüsse eines gemeinnützigen Vereins aus der Veranstaltung eines Pfennigbasars, auf dem von den Mitgliedern gesammelte gebrauchte Gegenstände verkauft werden, können nicht nach § 64 Abs. 5 AO geschätzt werden.
AO § 14, § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 64, § 65
SACHVERHALT
I.
Streitig ist, ob Überschüsse aus der Veranstaltung eines Pfennigbasars für gebrauchte Gegenstände gemäß § 64 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) geschätzt werden können.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), ein eingetragener Verein, dient nach seiner Satzung der Förderung der Völkerverständigung. Er veranstaltet regelmäßig einen Pfennigbasar, für den er durch seine ehrenamtlichen Vereinsmitglieder gebrauchte Gegenstände aller Art sammelt, unter anderem Kleidung, Bücher und Haushaltsgeräte. Die gesammelten Gegenstände werden auf dem Pfennigbasar unter flohmarktähnlichen Bedingungen verkauft. Der Überschuss aus dem Pfennigbasar wird für wohltätige Zwecke gespendet.
Der Kläger erzielte im Streitjahr 2002 aus der Veranstaltung des Pfennigbasars Einnahmen in Höhe von 42 579 € und einen Überschuss in Höhe von 30 008 €. In der Steuererklärung für das Streitjahr beantragte er, den Überschuss nach § 64 Abs. 5 AO in Höhe des branchenüblichen Reingewinns von 20 % der Einnahmen auf 7 341 € zu schätzen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte die vom Kläger beantragte Schätzung nach § 64 Abs. 5 AO ab und setzte im Körperschaftsteuerbescheid und im Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr den vom Kläger erzielten Überschuss in Höhe von 30 008 € an.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren wies das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg die Klage mit Urteil vom 16. Juli 2008 10 K 282/05 ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung sowie den Körperschaftsteuerbescheid und den Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
AUS DEN GRÜNDEN
II.
Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Überschüsse aus dem vom Kläger im Streitjahr veranstalteten Pfennigbasar nicht nach § 64 Abs. 5 AO geschätzt werden können.
1. Gemäß § 64 Abs. 5 AO können Überschüsse aus der Verwertung unentgeltlich erworbenen Altmaterials außerhalb einer ständig dafür vorgehaltenen Verkaufsstelle, die der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer unterliegen, in Höhe des branchenüblichen Reingewinns geschätzt werden. Die Anwendung des § 64 Abs. 5 AO setzt voraus, dass die Überschüsse in einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb einer Körperschaft anfallen, die --wie im Streitfall der Kläger-- steuerbegünstigte Zwecke i.S. des § 51 AO verfolgt (Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 64 Rz 26; Tipke in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 64 AO Rz 20).
2. Bei dem vom Kläger veranstalteten Pfennigbasar handelt es sich um einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 14 AO). Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) wurden auf dem jährlich durchgeführten Pfennigbasar gebrauchte Gegenstände verkauft, die zuvor von den Mitgliedern des Klägers gesammelt worden waren. Mit der Sammlung und Weiterveräußerung dieser Gegenstände übte der Kläger eine selbständige nachhaltige Tätigkeit aus, durch die er Einnahmen und andere wirtschaftliche Vorteile erzielte und die über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausging (vgl. zu Altkleidersammlungen Senatsurteile vom 26. Februar 1992 I R 149/90, BFHE 167, 147, BStBl II 1992, 693; vom 10. Juni 1992 I R 76/90, BFH/NV 1992, 839).
Der Pfennigbasar diente in seiner Gesamtrichtung nicht der Verwirklichung der satzungsmäßigen gemeinnützigen Zwecke des Klägers, sondern der Beschaffung zusätzlicher Mittel für die hierauf gerichtete Tätigkeit des Klägers. Die Sammlung und Weiterveräußerung der gebrauchten Gegenstände begründet damit keinen Zweckbetrieb i.S. des § 65 AO (vgl. Senatsurteile in BFHE 167, 147, BStBl II 1992, 693; in BFH/NV 1992, 839).
3. Das FG hat zutreffend angenommen, dass § 64 Abs. 5 AO auf den Pfennigbasar des Klägers nicht anwendbar ist. Im Streitfall hat der Kläger nach den Feststellungen des FG auf dem Pfennigbasar gebrauchte Gegenstände aller Art verkauft, zu denen unter anderem Kleidung, Bücher und Haushaltsgeräte gehörten. Eine Verwertung von Altmaterial liegt nicht vor, wenn es im Rahmen eines Basars oder Flohmarkts zu einem Einzelverkauf gebrauchter Sachen kommt (allgemeine Meinung; vgl. Sauer in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 64 AO Rz 64; Blümich/von Twickel, EStG/KStG/GewStG, § 5 KStG Rz 201; Sauter/Voigt de Oliveira in Erle/Sauter, Körperschaftsteuergesetz, 2. Aufl., § 5 Rz 302; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 64 AO Rz 77; Anwendungserlass zur Abgabenordnung, Nr. 25 zu § 64 Abs. 5).
a) Der Tatbestand des § 64 Abs. 5 AO erfasst nur die Verwertung von Altmaterial. Unter der Verwertung von Altmaterial ist die Veräußerung von Gegenständen zu verstehen, die --wie Altkleider, Altpapier und Schrott (vgl. Senatsurteile in BFHE 167, 147, BStBl II 1992, 693; in BFH/NV 1992, 839; Woitschell in Ernst & Young, KStG, § 5 Rz 577; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 64 AO Rz 20; Koenig in Pahlke/Koenig, a.a.O., § 64 Rz 26; Blümich/von Twickel, ebenda)-- nur noch einen Altmaterialwert haben. § 64 Abs. 5 AO findet damit seinem Wortlaut nach keine Anwendung auf den Einzelverkauf gebrauchter Sachen, die darüber hinaus noch einen Gegenstandswert aufweisen.
b) Die enge Auslegung des § 64 Abs. 5 AO wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt, aus denen sich eindeutig ergibt, dass der Gesetzgeber die Schätzung nach § 64 Abs. 5 AO nur auf Überschüsse aus Altmaterialsammlungen, nicht aber auf den Einzelverkauf gebrauchter Sachen auf Basaren und Flohmärkten erstrecken wollte (Jost in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 5 Abs. 1 Nr 9 KStG nF Rz 265). Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Wille des Gesetzgebers im Streitfall zur Auslegung des § 64 Abs. 5 AO herangezogen werden, da er im Wortlaut der Vorschrift einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126, 130; vom 16. Dezember 1981 1 BvR 898/79 u.a., BVerfGE 59, 128, 153; Senatsbeschluss vom 3. September 1999 I B 169/98, BFH/NV 2000, 42, unter II.B.2. der Gründe, m.w.N.).
§ 64 Abs. 5 AO ist durch das Gesetz zur Verbesserung und Vereinfachung der Vereinsbesteuerung (Vereinsförderungsgesetz) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2212, BStBl I 1989, 499) eingefügt worden. Im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung war die Vorschrift nicht enthalten; sie wurde erst im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Finanzausschusses ins Vereinsförderungsgesetz aufgenommen (Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 11/5582, S. 8). Der Finanzausschuss nahm hierbei einen Ergänzungsvorschlag des Bundesrates auf, nach dem sich die Schätzung auf "Überschüsse aus der Verwertung gespendeter und gesammelter Sachen" erstrecken sollte. Der Bundesrat wollte mit diesem Vorschlag neben Altmaterialsammlungen ausdrücklich auch Flohmärkte und Basare in die Schätzung einbeziehen (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 11/4176, S. 15 f., Stellungnahme des Bundesrates; vgl. auch Gesetzentwurf des Landes Baden-Württemberg zur Vereinfachung der Vereinsbesteuerung, BRDrucks 132/85, S. 9).
Der Vorschlag des Bundesrates wurde von der Bundesregierung unter Verweis auf Wettbewerbsgesichtspunkte und Abgrenzungsprobleme abgelehnt (Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks 11/4305, S. 1 f.). Im Finanzausschuss wurde den Bedenken der Bundesregierung dadurch Rechnung getragen, dass die vom Bundesrat vorgeschlagene Regelung auf Altmaterialsammlungen begrenzt wurde. Auf die Einbeziehung von Verkaufsveranstaltungen wie Basaren und Flohmärkten in die Schätzung des Überschusses wurde --abweichend vom Vorschlag des Bundesrates-- mit der Begründung verzichtet, dass diese zu schwierigen Abgrenzungsproblemen führe und unter Wettbewerbsgesichtspunkten nicht gerechtfertigt sei (Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 11/5582, S. 31, Einzelbegründung zu § 64 Abs. 5 AO; Kröger, Deutsche Steuer-Zeitung 1990, 79, 83; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 64 AO Rz 2; Scholtz in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 64 Rz 25).
c) Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich die Einbeziehung des Einzelverkaufs gebrauchter Sachen in die Schätzung nach § 64 Abs. 5 AO weder aus dem Zweck der Vorschrift selbst noch aus übergreifenden Zwecken des Gemeinnützigkeitsrechts ableiten.
aa) § 64 Abs. 5 AO bezweckt die Vereinfachung der Vereinsbesteuerung, indem der Überschuss aus der Verwertung von Altmaterial unter Berücksichtigung fiktiver Lohnaufwendungen niedriger geschätzt wird, als er ohne diese Lohnaufwendungen tatsächlich ist (Woitschell in Ernst & Young, a.a.O., § 5 Rz 576; Scholtz in Koch/Scholtz, ebenda; Bott in Schauhoff, Handbuch der Gemeinnützigkeit, 2. Aufl., § 7 Rz 307; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, ebenda). Die Schätzung sollte die bis zur Einführung der Vorschrift in der Praxis vielfach anzutreffende Gestaltung, Löhne an die ehrenamtlichen Helfer der Vereine zu zahlen, die von diesen als Spenden zurückgezahlt wurden, entbehrlich machen (Thiel/Eversberg, Der Betrieb 1990, 344, 347; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 2008, § 7 Rz 42; Rader in Leopold/Madle/Rader, Abgabenordnung, § 64 Rz 24; Märkle/Alber, Der Verein im Zivil- und Steuerrecht, 12. Aufl., S. 231; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 64 AO Rz 20).
Eine Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens wird nur erreicht, wenn die Schätzung des Überschusses auf Altmaterialsammlungen beschränkt wird. Die Einbeziehung des Einzelverkaufs gebrauchter Sachen auf Verkaufsveranstaltungen wie Basaren und Flohmärkten führt dagegen zu schwierigen Abgrenzungsproblemen bei der Aufteilung von Einnahmen und Ausgaben, wenn dort sowohl gekaufte als auch unentgeltlich erworbene Gegenstände verkauft werden (Thiel/Eversberg, ebenda; Blümich/von Twickel, a.a.O., § 5 KStG Rz 201; Woitschell in Ernst & Young, ebenda; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 64 AO Rz 77; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, ebenda).
bb) Die Beschränkung des § 64 Abs. 5 AO auf Altmaterialsammlungen ist ferner auch aus Wettbewerbsgründen erforderlich (Scholtz in Koch/Scholtz, ebenda; Rader in Leopold/Madle/ Rader, ebenda; Müller in Pump/Leibner, Abgabenordnung, Kommentar, § 64 Rz 80). Im Hinblick auf die Altmaterialsammlungen wird die Wettbewerbssituation dadurch ausgeräumt, dass die Schätzung nach § 64 Abs. 5 AO nur dann zulässig ist, wenn die Verwertung des Altmaterials außerhalb einer ständig dafür vorgehaltenen Verkaufsstelle erfolgt (Thiel/Eversberg, ebenda; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, ebenda; kritisch Hüttemann in Walz, Gemeinnützigkeitsrecht - Quo vadis?, S. 2, 7). Im Gegensatz dazu führt die Anwendung des § 64 Abs. 5 AO auf den Überschuss aus dem Verkauf von --gebrauchten-- Einzelhandelswaren wie Spielzeug, Textilien, Sport- und Elektrogeräten stets zu ungerechtfertigten Wettbewerbsverzerrungen zugunsten der steuerbegünstigten Körperschaften (Blümich/von Twickel, ebenda; Woitschell in Ernst & Young, ebenda; Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, ebenda; vgl. auch Gutachten der Unabhängigen Sachverständigenkommission zur Prüfung des Gemeinnützigkeits- und Spendenrechts, Schriftenreihe des BMF, Heft 40, 1988, S. 211 f.). Dies gilt entgegen der Auffassung des Klägers auch für den vom Kläger veranstalteten Pfennigbasar.
cc) Dem Kläger kann schließlich nicht darin gefolgt werden, dass sich eine weite Auslegung des § 64 Abs. 5 AO aus dem kulturpolitischen Nebenzweck des Gemeinnützigkeitsrechts ergebe, da die Ausgaben des Klägers gemeinnützigen Zwecken dienten. Steuerbegünstigte Körperschaften dürfen zwar nach § 64 Abs. 1 AO einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten, um Mittel für die Verwirklichung ihrer steuerbegünstigten Zwecke zu erwirtschaften. Die Körperschaft hat die im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erzielten Überschüsse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AO für ihre satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke zu verwenden.
Die Mittelverwendung für steuerbegünstigte Zwecke rechtfertigt es jedoch nicht, bei der Auslegung der in § 64 AO enthaltenen Vereinfachungsvorschriften für die Besteuerung der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe den auch im Gemeinnützigkeitsrecht geltenden Grundsatz der Wettbewerbsneutralität (Jachmann in Beermann/Gosch, a.a.O., AO Vor §§ 51-68 Rz 52; Leisner-Egensperger in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., AO Vor §§ 51-68 Rz 40; Hüttemann, a.a.O., § 1 Rz 94 f.; vgl. § 65 Nr. 3 AO) unberücksichtigt zu lassen. Der Gesetzgeber hat die Bedeutung der Wettbewerbsneutralität für die Begrenzung dieser Vereinfachungsvorschriften nicht nur im Rahmen des durch das Vereinsförderungsgesetz eingefügten § 64 Abs. 5 AO, sondern auch in jüngeren Gesetzgebungsverfahren anlässlich der Einfügung des § 64 Abs. 6 AO (vgl. Bericht des Finanzausschusses, BTDrucks 14/4626, S. 7 f., Einzelbegründung zu § 64 Abs. 6 AO) und der Anhebung der Besteuerungsgrenze des § 64 Abs. 3 AO (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/5200, S. 22, Einzelbegründung zu § 64 Abs. 3, und S. 30, Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates) wiederholt hervorgehoben.