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Steuerrecht
16.05.2012
Steuerrecht
FG Münster: Keine Firmenfortführung bei bloßer Beibehaltung einer Geschäftsbezeichnung

FG Münster, Urteil vom 2.4.2012 - 4 K 562/09

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Voraussetzungen einer Haftungsinanspruchnahme nach § 25 des Handelsgesetzbuches (HGB) für Steuerschulden eines von der Klägerin gepachteten Chinarestaurants, die vor Pachtbeginn entstanden waren.

Die D & Z GbR (im Folgenden: DZ GbR) betrieb bis zum 31.8.2007 das Chinarestaurant " " an der Straße in . Die beiden Gesellschafter, Frau D und deren Vater, Herr Z , sind je zur Hälfte Miteigentümer des Betriebsgrundstücks.

Mit Pachtvertrag vom 26.7.2007 verpachteten die Gesellschafter die gewerblich genutzten Räume im Erdgeschoss des Gebäudes und das Inventar ab dem 1.8.2007 an die Klägerin. Diese ist die Schwiegertochter des Herrn Z bzw. die Schwägerin der Frau D . Die in dem Gebäude befindlichen Wohnräume wurden nicht mit verpachtet. Die DZ GbR meldete ihr bisheriges Gewerbe (Schank- und Speisewirtschaft " ") zum 31.8.2007 ab, und die Klägerin meldete zum 1.9.2007 unter derselben Bezeichnung ein Gewerbe an.

Wegen rückständiger Lohn- und Umsatzsteuern der DZ GbR stellte der Beklagte eine Voranfrage hinsichtlich einer beabsichtigten Haftungsinanspruchnahme nach § 25 HGB an die Klägerin. Hiergegen wendete die Klägerin ein, dass eine Haftung nicht in Betracht komme, weil das übernommene Restaurant keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordere, sondern lediglich ein Kleingewerbe darstelle. Es werde keine überregionale Tätigkeit ausgeübt, die Waren würden lediglich von einem einzigen Lieferanten bezogen, es existierten lediglich eine Betriebsstätte und eine Bankverbindung und 2-3 der 4-5 Beschäftigten seien Aushilfen. Der überwiegende Barzahlungsverkehr erfordere eine Dokumentation der Geschäftsvorfälle lediglich über das Kassenbuch und die Bankauszüge.

Der Beklagte nahm die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 16.5.2008 gemäß § 25 HGB für rückständige Lohn- und Umsatzsteuern zzgl. Nebenleistungen der DZ GbR in Höhe von insgesamt 238.303,47 EUR in Anspruch. Bei dem übernommenen Restaurant handele es sich um ein vollkaufmännisches Handelsgeschäft, da es nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB erfordere. Aus dem hohen Jahresumsatz (453.423,- EUR im Jahr 2006) ergebe sich, dass eine Vielzahl von Geschäftsvorfällen angefallen sei, die zu einem hohen Organisationsbedürfnis führten. Auch die Vielzahl der Kredite und die Zahl der Angestellten sprächen dafür. Das Handelsgeschäft sei nach dem Gesamteindruck mit allen wesentlichen Teilen fortgeführt worden. Auch die Firma "" sei fortgeführt worden. Neben der Klägerin nahm der Beklagte auch Frau D und Herrn Z als Gesellschafter der DZ GbR in Haftung.

Ihren am 23.5.2008 eingelegten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass "Chinarestaurant " keine Firmen-, sondern lediglich eine Geschäftsbezeichnung sei, da ein Hinweis auf den Geschäftsinhaber fehle. Die Firma der Vorgängerin habe vielmehr "D/Z GbR" gelautet.

Mit Einspruchsentscheidung vom 9.2.2009 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Da die DZ GbR nur unter der Bezeichnung "" in Erscheinung getreten sei, sei dies die Firma im Sinne von § 17 HGB. Daran habe sich nach der Übernahme durch die Klägerin nichts geändert. Zudem sei der ehemalige Mitgesellschafter Herr Z weiterhin als Koch bei ihr angestellt. Für das Vorliegen eines Handelsgeschäfts spreche, dass eine elektronische Registrierkasse erforderlich sei. Die Übernahme bestimmter Tätigkeiten (z.B. Lohnsteueranmeldungen) durch ein Steuerbüro ändere am Erfordernis eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs nichts. Zudem seien laut Pachtvertrag zwei Büroräume vermietet worden.

Die Klägerin hat am 24.2.2009 Klage erhoben. Dass der Gaststättenname "Chinarestaurant " keine Firmenbezeichnung sei, werde auch daran deutlich, dass selbst der Beklagte weder die DZ GbR noch die Klägerin unter diesem Namen geführt habe. Auch personell könne nicht von einer Fortführung ausgegangen werden, da die Klägerin selbst Bewerbungsgespräche mit den Beschäftigten der DZ GbR geführt habe. Die Weiterbeschäftigung des ehemaligen Gesellschafters als Koch habe lediglich eine Übergangslösung dargestellt, da sich die Einstellung des neuen Kochs wegen dessen langwierigen Ausreiseverfahrens aus der Volksrepublik China verzögert habe. Zudem seien das äußere Erscheinungsbild und die Einrichtung des Restaurants teilweise erneuert worden. Die Klägerin habe sich den Gästen in den ersten Wochen als neue Betreiberin vorgestellt. Die im Pachtvertrag genannten Büroräume würden als Abstellkammer und als Stauraum genutzt.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 16.5.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9.1.2009 aufzuheben;

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend zu seinen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung trägt er vor, dass der Hauptlieferant den Empfänger in seinen Rechnungen mit ", Inhaber: W. D & Y Z" bezeichnet habe. Der Zusatz "Inhaber" werde üblicherweise nur im Zusammenhang mit einer Firma verwendet. Die vorgenommenen Änderungen des fortgeführten Betriebs hinsichtlich des Angebots, der personellen Ausstattung und des Erscheinungsbildes seien als unwesentlich anzusehen.

Auf einen rechtlichen Hinweis des Berichterstatters, dass Zweifel an der Firmenfortführung bestünden, weist der Beklagte auf eine Entscheidung des 10. Senats des FG Münster (10 K 3125/06 U vom 13.8.2008) hin, in dem die Voraussetzungen des § 25 HGB in einem ähnlich gelagerten Fall angenommen worden seien. Nach der Auffassung von K. Schmidt habe die Firmenfortführung lediglich Indizfunktion, die nicht erforderlich sei, wenn die Unternehmensidentität klar feststellbar sei.

Der Senat hat am 2.4.2012 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO). Der Beklagte hat die Klägerin zu Unrecht für Steuerschulden der DZ GbR gemäß § 25 HGB in Anspruch genommen.

Nach § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) kann derjenige, der kraft Gesetzes für eine Steuer haftet, durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist zweigliedrig (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 13.6.1997 VI R 96/96, BFH/NV 1998, 4). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es zur Haftung heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme erfüllt sind. Hierbei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob und ggf. wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch bzw. Ermessensüberschreitung) überprüfbar (vgl. BFH-Urteil vom 11.3.2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579, unter II 1 a m.w.N.).

Die Voraussetzungen des Haftungstatbestands liegen nicht vor. Wer ein unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma mit oder ohne Beifügung eines das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatzes fortführt, haftet für alle im Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 HGB).

Im Streitfall kann dahinstehen, ob es sich bei dem von der Klägerin geführten Chinarestaurant um ein Handelsgeschäft im Sinne von § 1 Abs. 2 HGB handelt, da bereits keine Firmenfortführung vorliegt. Firma ist gemäß § 17 Abs. 1 HGB der Name, unter dem der Kaufmann seine Geschäfte betreibt und die Unterschrift abgibt. Gemäß § 18 Abs. 1 HGB muss die Firma zur Kennzeichnung des Kaufmanns geeignet sein und Unterscheidungskraft besitzen. Bei Einzelkaufleuten muss die Firma den Zusatz "eingetragener Kaufmann" oder "eingetragene Kauffrau" bzw. eine entsprechende Abkürzung enthalten (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 HGB), bei einer offenen Handelsgesellschaft die Bezeichnung "offene Handelsgesellschaft" oder eine allgemein verständliche Abkürzung (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 HGB).

Die Firma ist von einer bloßen Geschäftsbezeichnung (Etablissementbezeichnung) zu unterscheiden, die nicht den Unternehmer, sondern lediglich den Geschäftsbetrieb oder das Geschäftslokal spezifiziert. Hierzu gehört insbesondere die Bezeichnung einer Gaststätte (Heidinger in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2010, § 17 Rn. 35 mit Beispielen). Wird bloß ein solcher Gaststättenname fortgeführt, der den Unternehmensträger nicht bezeichnet, scheidet eine Haftung nach § 25 HGB aus (FG Münster, Urteil vom 12.03.2009 8 K 2496/06, EFG 2009, 989; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.01.1998 10 U 30/97, NJW-RR 1998, 965). Zwar kann eine Geschäftsbezeichnung Bestandteil einer Firma sein; eine Firma liegt jedoch nur dann vor, wenn einer der in § 19 HGB genannten Zusätze enthalten ist (bzw. der Zusatz "GmbH" gem. § 4 GmbHG, so im Urteilsfall des OLG Düsseldorf vom 12.07.1990 6 U 264/89, GmbHR 1991, 315, das in diesem Fall eine Firmenfortführung nach § 25 HGB angenommen hat).

Die Klägerin hat keine Firma der früheren Geschäftsinhaberin (DZ GbR) fortgeführt. Die Bezeichnung "China-Restaurant " stellt eine bloße Geschäftsbezeichnung dar, da sie keinen Hinweis auf den Unternehmensinhaber enthält. Anders als im Urteilsfall des OLG Düsseldorf (vom 12.07.1990 6 U 264/89, GmbHR 1991, 315) war die Geschäftsbezeichnung auch nicht Bestandteil einer Firma. Weder die frühere Geschäftsinhaberin noch die Klägerin verwendeten diese Bezeichnung mit einem in § 19 HGB genannten Zusatz. Die Vorgängerin konnte als GbR bereits keine Firma führen, da eine GbR nicht firmenfähig ist (Heidinger in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2010, § 17 Rn. 20 m.w.N.). Folgte man der Ansicht des Beklagten, dass der Betrieb des Chinarestaurants im Streitfall einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Gewerbebetrieb erfordert und damit Handelsgewerbe ist, hätte die "DZ GbR" den Zusatz "offene Handelsgesellschaft" führen müssen, da die Gesellschaft dann zwingend eine OHG gewesen wäre (§ 105 Abs. 1 HGB).

Eine analoge Anwendung des § 25 HGB auf die Fortführung von Geschäftsbezeichnungen scheidet aus (FG Münster, Urteil vom 12.03.2009 8 K 2496/06, EFG 2009, 989; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.01.1998 10 U 30/97, NJW-RR 1998, 965). Der Senat folgt insoweit nicht der Auffassung von K. Schmidt (Handelsrecht, 4. Auflage 1994, § 8 II 1c)), wonach eine Firmenfortführung lediglich Indizfunktion habe. Die Firmenfortführung stellt vielmehr eine unverzichtbare Tatbestandsvoraussetzung für die Haftungsinanspruchnahme dar. Dies ergibt sich aus dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut und der Stellung der Norm im dritten Abschnitt des ersten Buches des HGB, der mit "Handelsfirma" überschrieben ist. Eine Auffassung, die eine Haftungsinanspruchnahme in anderen als den vom Gesetzeswortlaut erfassten Fällen zuließe, würde zu einer unzulässigen steuerbegründenden Analogie führen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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