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Steuerrecht
08.09.2016
Steuerrecht
OLG Düsseldorf: Keine Einschränkung des Prognosezeitraums der Bewertung durch im Beherrschungsvertrag vereinbarte Kündigungsfrist

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.9.2015 – I-26 W 10/12 (AktE), rkr.

Volltext des Beschlusses://BB-ONLINE BBL2016-2226-1

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

1. Die Bewertung geht aus von den am Stichtag absehbaren Planungen, die seinerzeit „in der Wurzel“ angelegt waren. Spätere, damals nicht vorhersehbare Entwicklungen, etwa eine deutlich schlechtere Unternehmensentwicklung, sind nicht zu berücksichtigen.

2. Sind die Unternehmensplanungen lückenhaft oder nicht belastbar, hat der gerichtlich bestellte Gutachter eine eigene Planung vorzunehmen.

3. Die Ertragswertprognose erstreckt sich nicht nur auf Zeit bis zur ersten Kündigungsmöglichkeit, sondern ermittelt sich nach der geplanten und voraussichtlichen Unternehmensentwicklung.

§§ 304 Abs. 1 und 2, 305 Abs. 1 AktG, §§ 11 Abs. 3, 15 Abs. 1, 2 und 4 SpruchG a.F., § 66 FamFG

Sachverhalt

A.

Am 28.09.1993 hatte die Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin zu 2, die L. Maschinen- und Anlagenbau AG (L. AG), mit der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin zu 1., der LMM GmbH (LMM GmbH), einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Die Hauptversammlung der L. AG stimmte dem Vertrag am 16.12.1993 zu. Mit dem Vertrag unterstellte die L. AG die Leitung ihrer Gesellschaft der LMM GmbH und verpflichtete sich, ihren gesamten Gewinn an diese abzuführen. Der Vertrag lief zunächst bis zum 30.09.1997 und war danach jährlich kündbar. Der Unternehmensvertrag wurde am 28.01.1994 in das Handelsregister der L. AG eingetragen und am 26.02.1994 bekannt gemacht. Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag endete am 04.05.2000.

Die L. AG verfügte über ein Grundkapital von 55,2 Mio. DM, aufgeteilt in 1,104 Millionen auf den Inhaber lautende Stammaktien im Nennbetrag von 50 DM. Hauptaktionärin war die LMM GmbH, die zum Bewertungsstichtag rund 96 % der Aktien hielt. Auf die außenstehenden Aktionäre entfielen 37.518 Aktien. Das Geschäftsjahr umfasste den Zeitraum vom 01.10. eines Jahres bis zum 30.09. des Folgejahres.

Die L. AG plante, baute und installierte komplette Reinigungs-, Füll-, Inspektions-, Kontroll-, Pasteurisierungsanlagen sowie Etikettier- und Verpackungsmaschinen für die Getränkeindustrie sowie für die pharmazeutische, kosmetische und chemische Industrie. Der Verkauf erfolgte über eine eigene Vertriebsorganisation. Darüber hinaus war die L. AG an verschiedenen Tochtergesellschaften beteiligt. Die LMM GmbH übernahm nach dem Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages bis zum Geschäftsjahr 1998/1999 Verluste der L. AG in Höhe von 233.388.000 DM.

In dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag verpflichtete sich die LMM GmbH, den außenstehenden Aktionären der L. AG während der Vertragsdauer als Ausgleich für jedes Geschäftsjahr und für jede Aktie der L. AG im Nennbetrag von 50 DM einen Betrag in Höhe von 10,15 DM zzgl. einer Steuergutschrift in Höhe von 4,35 DM, insgesamt 14,50 DM, zu zahlen. Außerdem sagte die LMM GmbH zu, auf Verlangen eines außenstehenden Aktionärs der L. AG dessen Aktien gegen eine Abfindung in Höhe von 176,00 DM je Aktie im Nennbetrag von 50 DM zu erwerben.

Die LMM GmbH war neben der Beteiligung an der L. AG auch alleinige Gesellschafterin der I. Aktiengesellschaft (I. AG) mit Sitz in Dortmund und mit über 90 % an der T. Maschinenbau AG (T. AG), Mannheim, beteiligt. Die LMM GmbH hatte ihrerseits mit der L.-Werke AG, Duisburg, einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Die I. AG und T. AG standen damit mittelbar unter der einheitlichen Leitung der L.-Werke AG. Mit Verschmelzungsvertrag vom 30.03.1987 sollten die I. AG und T. AG auf die Rechtsvorgängerin der L. AG, die N. Getränke- und Verpackungstechnik  AG, verschmolzen werden. Aufgrund von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen beim Landgericht Mannheim und der Dauer des Instanzenzuges bis zum Bundesgerichtshof wurden die Verschmelzungen der I. AG und der T. AG erst verzögert am 04.08.1993 und 26.08.1993 in das Handelsregister eingetragen. Durch die Fusion entstand einer der weltweit bedeutendsten Hersteller auf dem stark umkämpften Markt für Verpackungs- und Abfülltechnik.

Am 15.03.2000 beschloss die Hauptversammlung der L. AG die Eingliederung des Unternehmens gemäß § 320 Abs. 1 AktG in die L.-Werke AG, Duisburg. Mit „Aufspaltungs- und Übernahmevertrag“ vom 27.08.2012 hat die LMM GmbH ihr Vermögen auf die M. L.-Werke GmbH übertragen.

Die Antragsteller haben die im Unternehmensvertrag angebotene Abfindung und den angebotenen Ausgleich für nicht ausreichend erachtet. Sie haben geltend gemacht, die Ertragslage und –aussichten seien zu pessimistisch eingeschätzt und unzureichend ermittelt worden. Auch nach der Eingliederung sei das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Der Kapitalisierungszins sei überhöht. Einige Antragsteller haben geltend gemacht, die CAPM-Methode sei nicht anwendbar, weil dieser Standard zum Bewertungsstichtag noch nicht gegolten habe. Außerdem sei der Börsenkurs zu berücksichtigen.

Die Antragsteller und die Vertreter der außenstehenden Aktionäre haben beantragt,

Ausgleich und Abfindung höher festzusetzen.

Die Antragsgegnerinnen haben beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie haben darauf verwiesen, dass die L. AG sich deutlich schlechter entwickelt habe, als bei Abschluss des Unternehmensvertrages angenommen. So wäre die L. AG ohne den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag insolvent gewesen. Diese durch den Vertrag entstehenden Verbundeffekte hätten aber nicht berücksichtigt werden dürfen. So wären etwa ohne den Verlustausgleich der LMM GmbH Kredite mit erheblichen Zinsaufwendungen nötig gewesen.

Das Landgericht hat mit Beschlüssen vom 08.01.2003 und vom 03.11.2008 Beweis zur Höhe des Unternehmenswertes der L. AG und zur Angemessenheit der Abfindung und des Ausgleichs erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2012 ist der gerichtlich beauftragte Sachverständige ausführlich angehört worden.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 15.04.2008 zunächst einen Unternehmenswert in Höhe von 232.144.000 DM berechnet und daraus eine Abfindung in Höhe von 210,28 DM sowie einen Ausgleich in Höhe von 13,28 DM zzgl. einer Steuergutschrift in Höhe von 5,69 DM, insgesamt 18,97 DM, ermittelt. Der Sachverständige hatte die Bewertungsgrundsätze der HFA 2/93-Stellungnahme zugrunde gelegt. Er hatte ausgehend von einer Vergangenheitsanalyse eine Planung für die Geschäftsjahre 1993/1994 bis 1997/1998 vorgenommen (Phase I, 5 Jahre) und dann ab dem Geschäftsjahr 1998/1999 die ewige Rente (Phase II) berechnet. Er hatte einen Basiszinssatz in Höhe von 6,5 %, einen Wachstumsabschlag in Höhe von 1 % und – ausgehend von der durchschnittlichen Vor-Steuer-Rendite amtlich notierter deutscher Aktien in Höhe von 3,332 % mit einem Anlagehorizont von 30 Jahren und einem Betafaktor von 1,05 ‑ einen Risikozuschlag in Höhe von 3,5 % geschätzt. Hieraus hatte er einen Kapitalisierungszinssatz in Höhe von 10 % für die Phase I und in Höhe von 9 % für den Zeitraum der „ewigen Rente“ ermittelt.

In der mündlichen Anhörung hat er dann nach umfassender Erörterung und nach einem Hinweis der Kammer des Landgerichts den Risikozuschlag auf 3 % reduziert, den Wachstumsabschlag auf 2 % erhöht und anstelle eines Basiszinssatzes von 6,5 % mit 6,48 % gerechnet. Hieraus hat er einen erhöhten Unternehmenswert in Höhe von 285.524.509 DM ermittelt. Damit ergab sich eine Abfindung in Höhe von 258,63 DM (entspricht 132,24 €) und ein Ausgleich in Höhe von 13,59 DM zzgl. einer Steuergutschrift in Höhe von 5,83 DM, insgesamt 19,42 DM (entspricht 9,93 €).

Mit Beschluss vom 28.02.2012 hat die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf die angemessene Barabfindung auf 132,24 € (entspricht 258,63 DM) je Aktie im Nennbetrag von 50,00 DM festgesetzt. Den angemessenen Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre der L. AG hat das Landgericht auf 9,93 € (entspricht 19,42 DM) je Aktiennennbetrag von 50 DM abzüglich der Körperschaftssteuerbelastung in Höhe des jeweils geltenden gesetzlichen Tarifes festgesetzt. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten hat das Landgericht den Antragsgegnerinnen auferlegt.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die nach Einleitung des Spruchverfahrens erfolgte Eingliederung keinen Einfluss auf das vorliegende Verfahren habe. Hinsichtlich der Berechnung des Unternehmenswertes ist das Landgericht den Feststellungen des Sachverständigen Buchert in der mündlichen Verhandlung gefolgt. Im schriftlichen Gutachten habe er zwar zunächst einen Risikozuschlag in Höhe von 3,5 % angenommen, den er dann aber in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar auf 3 % reduziert habe. Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten auf die CAPM-Methode verwiesen habe, sei dies ausweislich seiner mündlichen Anhörung nur erfolgt, um den nach der Zuschlagsmethode ermittelten Risikozuschlag zu verproben. Das Landgericht ist mit dem Gutachter davon ausgegangen, dass ein Wachstumsabschlag in Höhe von 2 % angemessen, der noch im schriftlichen Gutachten angesetzte Wachstumsabschlag in Höhe von 1 % zu gering sei. Die prognostizierten Inflationsraten seien zunächst nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das Landgericht hat nicht beanstandet, dass der Sachverständige eine eigenständige Ertragsplanung vorgenommen habe, weil die Antragsgegnerinnen nur unzureichende Unterlagen (4 Seiten mit 7 Zahlen) zur Verfügung gestellt hätten, aus denen nicht auf eine verlässliche Planung habe geschlossen werden können. Auch sei nicht von einer Insolvenz der L. AG auszugehen gewesen. Die relevanten Börsenkurse hätten in den letzten Monaten vor der Bekanntgabe der Strukturmustermaßnahme unter der angebotenen Abfindung gelegen, so dass eine Anpassung der Abfindung deswegen nicht geboten gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung haben die Antragsgegnerinnen und die Antragstellerin zu 9 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt. Der Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) hat gegen den ihm am 10.04.2012 zugestellten Beschluss mit Fax vom 08.05.2012 „Beschwerde“ eingelegt. Er hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die „Beschwerde“ hilfsweise als Anschlussbeschwerde behandelt werden solle.

Die Antragsgegnerinnen halten die Zukunftserträge, die der gerichtlich bestellte Sachverständige geschätzt habe, angesichts der nach Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages eingetretenen Verluste für überhöht. Es habe sich gezeigt, dass die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens deutlich schlechter gewesen sei, als es Vorstand und der gerichtlich bestellte Sachverständige angenommen hätten. So sei in den Geschäftsjahren bis 1998/1999 ein Gesamtverlust in Höhe von 233.388.000 DM entstanden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige für die ersten vier Jahre eine schlechtere Ertragsprognose als der Vorstand erstellt habe, dann aber für den Zeitraum der ewigen Rente, ab dem Jahr 1997, von höheren Gewinnen ausgegangen sei. Es sei nicht überzeugend, dass der Gutachter bei fallenden Umsätzen noch von wachsenden Überschüssen ausgegangen sei. Da bei der L. AG ein Verlustvortrag in Höhe von 64.656.207 DM zum 30.09.1997 entstanden sei, hätten daher in der Folge zunächst keine Gewinne ausgeschüttet werden können und im Hinblick auf nicht ausschüttbare gesetzliche Rücklagen ausgeschüttet werden dürfen. Darüber hinaus seien die Ergebnisse der Inlandstöchter nicht zutreffend einbezogen worden, übersehen worden, dass teilweise hohe Verluste der Inlandstöchter durch die L. AG ausgeglichen worden seien. Für die Planungsphase I hätten nur drei Jahre angesetzt werden dürfen.

Der auf die „ewige Rente“ entfallende Ertragswert mache 97,7 % des Gesamtergebnisses aus. Eine „ewige Rente“ könne aber schon deshalb nicht angesetzt werden, weil der Vertrag nach vier Jahren kündbar gewesen sei, jederzeit mit einem Vertragsende hätte gerechnet werden müssen. Außerdem habe das Landgericht nicht gesehen, dass Prognosen immer weniger belastbar seien, je weiter eine Schätzung in die Zukunft erfolge. Für den Zeitraum der „ewigen Rente“ hätte deshalb ein Sicherheitsabschlag berücksichtigt werden müssen.

Darüber hinaus habe das Landgericht einen zu niedrigen Kapitalisierungszinssatz angesetzt. Ursprünglich sei der Kapitalisierungszinssatz nicht streitig gewesen, weil der Sachverständige in seinem Gutachten vom 15.04.2008 wie der Vorstand der L. AG mit 9 % gerechnet habe. Es sei nicht plausibel, dass das Landgericht von einem Risikozuschlag in Höhe von 3 % ausgegangen sei, obwohl der gerichtlich bestellte Sachverständige noch in seinem schriftlichen Gutachten einen Risikozuschlag in Höhe von 3,5 % angenommen habe. Es sei auch widersprüchlich, dass der Gerichtsgutachter in seinem schriftlichen Gutachten zunächst einen Wachstumsabschlag in Höhe von 1 % angesetzt habe, damals noch einen Prozentsatz in Höhe von 2 % als „nicht sachgerecht“ angesehen habe. In der mündlichen Verhandlung habe er dann aber nicht nachvollziehbar einen Wachstumsabschlag in Höhe von 2 % für gerechtfertigt gehalten. Durch diese Änderungen habe sich der Unternehmenswert gravierend erhöht. Soweit der Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) auf eine fehlerhafte Berechnung des Ausgleichs verweise, sei dies unzutreffend. Um diese Streitfrage über die Höhe des Ausgleichs beizulegen, treten die Antragsgegnerinnen der Berechnung des Vertreters der außenstehenden Aktionäre nicht mehr entgegen.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

den Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 28.02.2012 aufzuheben und die Anträge aller Antragsteller sowie der Vertreter der außenstehenden Aktionäre zurückzuweisen

sowie die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zu 9 sowie die Beschwerde des Vertreters der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) zurückzuweisen.

Der Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) verweist darauf, dass die von den Antragsgegnerinnen erwähnten Verlustvorträge nicht zu berücksichtigen seien, weil das Unternehmen damals unter Konzernleitung gestanden habe. Der Gutachter habe hohe Verluste in den ersten Planjahren berücksichtigt. Der Sachverständige habe in der mündlichen Anhörung plausibel erläutert, warum ein Risikozuschlag in Höhe von 3 % und ein Wachstumszuschlag in Höhe von 2 % angemessen seien. In seinem schriftlichen Gutachten sei der Sachverständige noch unzutreffend davon ausgegangen, dass er sich einschränkungslos an die Vorgaben des IDW S1 habe halten müssen. Das Gutachten im T. AG-Verfahren, auf das sich die Antragsgegnerinnen selbst berufen hätten, sei ebenfalls von einem Risikozuschlag in Höhe von 3 % ausgegangen. Im Übrigen sei der Ausgleich mathematisch unzutreffend berechnet worden, der Ausgleich daher auf 20,29 DM (entspricht 10,37 €) inkl. Steuergutschrift zu erhöhen.

Der Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses der landgerichtlichen Entscheidung den Ausgleich angemessen auf 10,37 € (entspricht 20,29 DM) einschließlich Steuergutschrift festzusetzen.

Die Antragstellerin zu 9 schließt sich den Ausführungen des Vertreters der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) an und beantragt,

die Barabfindung auf einen höheren Betrag als EUR 132,24 je Aktie und die Ausgleichszahlung auf einen höheren Betrag als EUR 9,93 je Aktie und Geschäftsjahr der KHS Maschinen-Anlagenbau AG festzusetzen.

Die Antragsteller zu 1 – 6, 7, 9 - 14 und die Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Abfindung und Ausgleich) beantragen,

die Beschwerde der Antragsgegnerinnen zurückzuweisen.

Die Antragstellerinnen zu 12 und 13 halten einen Risikozuschlag in Höhe von 3 % für angemessen. Die Antragsgegnerinnen hätten auch benötigte und aussagekräftige Unterlagen nicht vorgelegt.

Die Vertreterin der außenstehenden Aktionäre (Abfindung) hält die angesetzte Höhe des Risikozuschlags und des Ausgleichs für sachgerecht. So berücksichtige der Wachstumsabschlag hier die seinerzeitige Höhe der Inflationsrate und die Entwicklung der Unternehmensgewinne in Abhängigkeit von der Inflationsrate. Für die Berechnung der „ewigen Rente“ sei die erste Kündigungsmöglichkeit unerheblich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze mit Anlagen und das Protokoll der Senatssitzung Bezug genommen.

Aus den Gründen

B.

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen ist unbegründet, die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zu 9. und die als Anschlussbeschwerde auszulegende „Beschwerde“ des Vertreters der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) sind begründet.

Der Ausgleich war geringfügig auf 10,37 € zu erhöhen, nachdem die Antragsgegnerinnen sich nicht mehr gegen die vom Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) erhobenen Einwände gegen die Berechnung wenden.

I.

Die Beschwerden und die Anschlussbeschwerde des Vertreters der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) sind zulässig.

Die vom Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) gegen die landgerichtliche Entscheidung eingelegte „Beschwerde“ ist nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist gemäß § 11 Abs. 3 SpruchG a.F. i.V.m. § 22 FGG eingelegt worden und daher verspätet (vgl. zur Anwendbarkeit der FamFG-Vorschriften auf Altfälle: BGH, Beschluss vom 19.07.2010, II ZB 18/09, juris). Sie ist jedoch als Anschlussbeschwerde auszulegen. Eine Anschlussbeschwerde ist in Spruchverfahren zulässig (BGH, Beschluss vom 13.12.2011, II ZB 12/11 (KG), NZG 2012, 191; vgl. auch § 66 S. 1 FamFG). Sie kann auch noch nach Ablauf der Beschwerdefrist erhoben werden (vgl. nun ausdrücklich § 66 S. 1 FamFG). Der Vertreter der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Beschwerde hilfsweise als Anschlussbeschwerde behandelt werden solle.

II.

In der Sache bleiben die Beschwerden und die Anschlussbeschwerde – bis auf die nicht mehr streitige Frage der Berechnung des Ausgleichs – ohne Erfolg.

1. Eingliederung

Durch die Eingliederung ist das Rechtsschutzinteresse der außenstehenden Aktionäre nicht entfallen. Die hier nach Einleitung des Spruchverfahrens erfolgte Eingliederung führt nicht zur Erledigung des Spruchverfahrens.

Vielmehr ist das Spruchverfahren fortzusetzen und die angemessene Abfindung und der angemessene Ausgleich zu ermitteln, um die außenstehenden Aktionäre auch nach der Eingliederung für ihren Herrschafts- und Vermögensverlust, der ihnen mit der Durchführung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages entsteht, zu entschädigen (BGH, Beschluss vom 20.05.1997, II ZB 9/96, BGHZ 135, 374; BGH, Beschluss vom 12.03.2001, II ZB 15/00, BGHZ 147, 108, „DAT Altana“; Puszkajler in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Auflage, § 11 SpruchG, Rn. 44). Die außenstehenden Aktionäre haben daher auch nach der Eingliederung die Möglichkeit, die Angemessenheit von Abfindung und Ausgleich gerichtlich überprüfen zu lassen.

2. Unternehmenswert

Das Landgericht hat zutreffend einen Unternehmenswert von 285.524.509 DM ermittelt. Die vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

a) Ertragslage

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat den Unternehmenswert und die Ertragslage sachgerecht zum 16.12.1993 ermittelt.

Das Landgericht Düsseldorf hat hierzu ein schriftliches Gutachten sowie Ergänzungsgutachten eingeholt und darüber hinaus in der Sitzung vom 28.02.2012 den Sachverständigen sehr ausführlich angehört. Soweit sich durch die mündliche Verhandlung Veränderungen zu den im schriftlichen Gutachten ermittelten Werten ergeben haben, hat das Landgericht dies plausibel erläutert. Das Gericht hat nachvollziehbar begründet, warum es nach der Anhörung von veränderten Werten ausgegangen ist.

aa) Ertragswertmethode - Bewertungsstandard

Die Bewertung erfolgte hier zutreffend anhand der anerkannten Ertragswertmethode (vgl. zum Ertragswertverfahren: Koch in Hüffer, AktG, 11. Auflage 2014, § 305, Rn. 24 ff.; Paulsen in Münchener Kommentar, 4. Auflage 2015, § 305, Rn. 80).

Der Sachverständige hat seiner Bewertung die HFA 2/1983-Stellungnahme zugrunde gelegt. Diese Methode war die am Bewertungsstichtag anerkannte Bewertungsmethode. Im Hinblick auf die im Laufe des Spruchverfahrens erfolgten Anpassungen von Bewertungsstandards (IDW S1 2000 und IDW S1 2005) hat der Sachverständige dies gesehen (Hauptgutachten, S. 10). So hat der Gutachter zur Ermittlung des nach der Pauschalmethode berechneten Risikozuschlags auch CAPM-Elemente zur Plausibilisierung berücksichtigt.

Auf die Frage, welcher Bewertungsstandard anwendbar ist, der am Bewertungsstichtag geltende oder der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. hierzu den Vorlagebeschluss OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.08.2014, I-26 W 9/12 (AktE),  AG 2014, 817), kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, wie sich der Unternehmenswert im konkreten Fall, bezogen auf einen Stichtag 1993, wesentlich ändern oder eine Berechnung anhand der CAPM-Methode hätte durchgeführt werden sollen. Der Gutachter hat in seiner Anhörung klargestellt, dass eine „saubere Anwendung“ der CAPM-Methode schon deshalb nicht möglich gewesen sei, weil für den hier relevanten Stichtag keine belastbaren Indizes vorgelegen hätten. So hat der Gutachter etwa zur Plausibilisierung des Risikozuschlags, hier der Schätzung des Branchenbetas, auf Zahlen zurückgegriffen, die zehn Jahre vom Bewertungsstichtag entfernt lagen, aus den Jahren 2003 und 2004.

bb) Prognoseplanung

Das Landgericht hat anhand der Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen die seinerzeit zu erwartende Ertragslage nachvollziehbar eingeschätzt. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat in seiner Anhörung plausibel geschildert, wie er die Ertragslage ermittelt und beurteilt hat.

Es kann hier dahinstehen, ob ein Gutachter seine eigene Planung an die Stelle einer Unternehmensplanung setzen kann oder ob er Ertragsplanungen von Unternehmensseite zu übernehmen hat. Hier fehlten jedenfalls belastbare Daten zur Unternehmensentwicklung, so dass der Gutachter notwendigerweise eine eigene Planung zu erstellen hatte. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat unmissverständlich darauf hingewiesen, dass verwertbare Planungsunterlagen der L. AG zum Bewertungsstichtag nicht vorhanden gewesen seien, „nicht ernsthaft eine Planung“ existiert habe (Anhörung Bl. 1111 GA). Die von den Antragsgegnerinnen als „Ertragsplanung“ vorgelegten Daten (4 Seiten mit 7 Zahlen) seien praktisch nicht verwertbar gewesen. So hat der Gutachter in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten bekräftigt, dass die Aussagekraft der von Seiten der L. AG zur Ertragsermittlung vorgelegten Unterlagen sehr begrenzt gewesen sei, von einer Planungsrechnung im eigentlichen Sinne keine Rede sein könne.

Es ist insoweit bemerkenswert, dass der Gutachter auch in der Folge nur wenig Informationen von Seiten der Antragsgegnerinnen erhalten hat. So hatte der Gutachter mehrfach bei den Antragsgegnerinnen nach detaillierten Planungsrechnungen gefragt, diese jedoch nicht erhalten (vgl. Bl. 429 f., 589, 595, 606 GA) und von einem „zähem Informationsfluss der Antragsgegnerinnen“ berichtet (Bl. 615 GA). Auch haben die Antragsgegnerinnen nicht auf entsprechende Nachfragen reagiert, nicht einmal mitgeteilt, ob angefragte Unterlagen nicht mehr vorhanden oder nicht mehr auffindbar seien (Bl. 606 GA). Benötigte Unterlagen wurden teils nur mit großer Verzögerung und teils unvollständig übersandt (Bl. 615, 618 GA). Es war dem Gutachter vor diesem Hintergrund auch nicht zumutbar, nach weiteren Informationen auf Seiten der Antragsgegnerinnen zu fragen. Angesichts dieser dürftigen Datenlage war es geboten, dass der Gutachter eine eigene Ertragsrechnung erstellt und zur Überprüfung der Plausibilität eine Szenarioanalyse durchgeführt hat.

Der Gutachter hat in seinem schriftlichen Gutachten sorgfältig die Entwicklung in der Vergangenheit analysiert und eine sachgerechte Zukunftsplanung vorgenommen.

Für die Vergangenheitsanalyse hat er die Daten der Geschäftsjahre 1988/1989 bis 1992/1993 zugrunde gelegt. Anschließend hat er eine Planung für die Jahre 1993/1994 bis 1997/1998 (Phase I) vorgenommen und dann hieraus ein nachhaltiges Ergebnis für die Geschäftsjahre ab 1998/1999 abgeleitet. Er hat hierbei – im Hinblick auf die seinerzeit schon vor dem Bewertungsstichtag eingeleitete Fusion – auch die Entwicklung der I. AG und T. AG und sich hieraus ergebende Synergieeffekte berücksichtigt. Der Gutachter hat die Umsatzentwicklung gesehen, erkannt, dass nach einer wiedervereinigungsbedingten Umsatzsteigerung dann 1992/1993 mit 749 Mio. DM nahezu wieder das Umsatzvolumen von 1988/1989 erreicht worden war. Er hat festgestellt, dass die Materialeinsatzquote über und der Personalaufwand unter dem Branchenschnitt gelegen hatten. Durch die Verschmelzung ist die Zahl der Mitarbeiter erheblich von 3.730 auf 2.718 Mitarbeiter reduziert worden, teils durch  Ausgliederungen von Teilbereichen, teils durch Entlassungen, Abfindungen oder Sozialpläne. Für das Geschäftsjahr 1992/1993 waren daher Rückstellungen für Sozialplanaufwendungen in Höhe von mehr als 30 Mio. € eingeplant. Der Gutachter ist – im Ergebnis zugunsten der Antragsgegnerinnen ‑ auch von einem weniger schnellen Mitarbeiterabbau ausgegangen, als es der Vorstand geplant hatte. Es ist sachgerecht, dass der Gutachter insbesondere vor dem Hintergrund der Rationalisierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen von einem Detailplanungszeitraum von fünf, statt nur drei Jahren, ausgegangen ist, um so eine belastbare Datenbasis seinen Berechnungen zugrunde legen zu können. Er hat neben der Entwicklung der volkswirtschaftlichen Rahmendaten, der individuellen Rahmenbedingungen auch Branchenanalysen des VDMA in seine Betrachtung einbezogen.

Der Gutachter ist auch keineswegs von einseitig überzogenen oder übertrieben ambitionierten Ertragserwartungen ausgegangen. Vielmehr hat er sorgfältig und differenziert geplant. So hat er die Margen zugrunde gelegt, von denen der Vorstand ausgegangen war (Bl. 1112 GA). Andererseits hat er dargestellt, dass der Vorstand damals für die ersten vier Jahre von unrealistisch hohen Gewinnen ausgegangen sei. Er hat gesehen, dass sich Anfang der 90-iger Jahre die volkswirtschaftliche Entwicklung abgeschwächt hatte und die Kapazitätsauslastung des Maschinenbaus zwischen 1989 und 1993 spürbar gesunken war (Hauptgutachten S. 50). Der Gutachter ist trotz des Zusammenschlusses und hierdurch möglicherweise entstehender Synergien von einer gleichbleibenden Materialquote ausgegangen, weil im Materialeinkauf kaum mit Synergieeffekten zu rechnen gewesen sei. Dies gilt auch für die Verwaltungsaufwendungen, bei denen er keine wesentlichen Synergieeffekte angesetzt hat. Er hat angenommen, dass der Verwaltungsapparat des Unternehmens im Laufe der Zeit wieder aufgestockt werde. Auch die durch die Wiedervereinigung entstehenden Effekte hat er berücksichtigt (Hauptgutachten S. 51, 55). Im Zuge der Wiedervereinigung bestand eine hohe Inlandsnachfrage, wohingegen in Osteuropa die Nachfrage zurückgegangen war.

Gut vertretbar ist der gerichtlich bestellte Sachverständige daher für die Folgejahre bis zur „ewigen Rente“ von einer jährlichen Steigerung des Gesamtumsatzes in Höhe von 5 % ausgegangen. Er hat entsprechend den Vorgaben der seinerzeitigen HFA 2/1983-Stellungnahme eine Vollausschüttung der entziehbaren Überschüsse zugrunde gelegt (Hauptgutachten S. 48, Anhörung Bl. 1118 GA). Er hat verdeutlicht, dass die Vollausschüttung auch nur für die Jahre berechnet worden sei, in denen keine Verluste angesetzt worden seien. Er hat klargestellt, dass trotz der Verlustjahre noch Ausschüttungspotential bestanden habe.

Der gerichtlich bestellte Gutachter hat darauf verwiesen, dass die hohen Verluste im Geschäftsjahr 1992/93 im Wesentlichen auf Sozialplanaufwendungen und Abfindungen beruhten, die sich aus der Verschmelzung mit der I. AG und der T. AG auf die L. AG ergeben hätten und sich diese Rationalisierungs- und Umstrukturierungseffekte kostentechnisch über mehrere Jahre erstreckt hätten (Hauptgutachten S. 20, Ergänzungsgutachten S. 17). Er ist so nur für einen begrenzten Zeitraum von sinkenden Umsätzen ausgegangen, hat danach wieder steigende Umsätze zugrunde gelegt. Es ist auch nachvollziehbar, dass aufgrund der getroffenen Maßnahmen, insbesondere durch den Personalabbau, anschließend die Umsatzrendite trotz sinkender Umsätze steigen werde. Im Übrigen war auch der Vorstand davon ausgegangen, dass das Unternehmen nach der Umstrukturierung wieder „gut aufgestellt“ sei, in den Folgejahren mit Erlösverbesserungen zu rechnen sei (Ergänzungsgutachten S. 18; Ermittlung der Höhe der Ausgleichszahlung und der Barabfindung durch L. AG im Dezember 1993, Bl. 43, 45 GA), man also auf Seiten des Unternehmens ersichtlich selbst mit einer spürbaren Verbesserung der Situation gerechnet hatte.

Ebenso hat der Gutachter die durch die Inlandstöchter entstehenden Ergebniseffekte gesehen und plausibel berücksichtigt. Das Auslandsgeschäft machte mehr als 50 % aus; als Zukunftsmärkte wurden seinerzeit Mittel-, Südamerika und Südostasien angesehen. Für die ersten Geschäftsjahre nach dem Bewertungsstichtag hat der Gutachter mit weiter sinkenden Umsätzen gerechnet, dann aber – bedingt durch die geplante Expansion und verstärkten Marktanstrengungen im lateinamerikanischen und asiatischem Raum – wieder steigende Umsätze angenommen. So war der Umsatzanteil des Asiengeschäfts von 5,4 % im Geschäftsjahr 1990/1991 auf 11,7 % im Geschäftsjahr 1992/1993 angestiegen.

Der Gutachter hat in seinem schriftlichen Gutachten zunächst einen Unternehmenswert zum 16.12.1993 in Höhe von 232.144.000 DM ermittelt. Hieraus hat er dann eine Abfindung in Höhe von 210,28 DM und einen Ausgleich je Aktie im Nennwert von 50,00 DM in Höhe von 13,28 DM zzgl. einer Steuergutschrift in Höhe von 5,69 DM, insgesamt 18,97 DM, ermittelt. Soweit er seine Berechnungen in der mündlichen Anhörung dann geändert und einen höheren Unternehmenswert berechnet hat, beruht dies allein auf der Veränderung des Kapitalisierungszinssatzes (s. hierzu unten).

Dass sich die L. AG später anders entwickelt hat, als vom Gutachter eingeschätzt, stellt dessen Bewertung nicht infrage. So hat der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten darauf verwiesen, dass die späteren tatsächlich entstandenen Verluste damals noch nicht absehbar gewesen seien. Auch der Vorstand sei nicht davon ausgegangen, dass sich das Unternehmen später deutlich schlechter entwickeln werde. Anders als der Gutachter hatte der Vorstand für die Geschäftsjahre 1993/94 und 1995/96 sogar noch deutlich positivere Jahresergebnisse geschätzt.

Die Antragsgegnerinnen verweisen hingegen pauschal darauf, dass der Vorstand die Situation „völlig falsch beurteilt“ habe, ohne darzulegen, warum diese gravierende Fehleinschätzung des Vorstands erfolgt sein soll. Die Antragsgegnerinnen haben sich nicht dazu geäußert, warum der Vorstand, wenn denn die Zukunftsaussichten damals leicht erkennbar negativ gewesen sein sollen, gleichwohl eine derart entgegengesetzte Unternehmensentwicklung prognostiziert hatte. Der Gutachter hat jedenfalls keine Umstände erkennen können, dass hier Bewertungsgrundsätze verletzt worden sein könnten (Ergänzungsgutachten S. 9). So hatte der Vorstand auch zu keinem Zeitpunkt vor einer möglicherweise negativen Entwicklung gewarnt. Im Gegenteil, der Vorstand war davon ausgegangen, dass nach dem hohen Verlust im Geschäftsjahr 1992/1993 für die kommenden Jahre das Unternehmen wieder gut aufgestellt sei. Der Gutachter weist nachvollziehbar darauf hin, dass der Vorstand auch keine Mitteilung nach § 44 a Börsengesetz veröffentlicht hatte, wonach alle Tatsachen unverzüglich hätten veröffentlicht werden müssen, wenn sie Auswirkungen auf die Vermögens- und Finanzlage gehabt hätten. Es liegen keine belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vorstand die Unternehmenssituation hier fahrlässig oder bewusst pflichtwidrig geschönt dargestellt haben könnte.

Das Landgericht hat mit dem Gutachter auch die Auswirkungen des Verlustausgleichs gesehen. Auch insoweit ist bemerkenswert, dass anhand der überlassenen Unterlagen und Dokumente nicht ersichtlich war, inwieweit der Vorstand im Rahmen seiner Planungen einen Ausgleich des Verlusts des Geschäftsjahres 1992/1993 berücksichtigt hatte (Ergänzungsgutachten S. 22, vgl. auch Anhörung Bl. 1115 GA). Der Gutachter hat insoweit auf eine fehlerhafte Doppelberechnung der Antragsgegnerinnen hingewiesen (Ergänzungsgutachten S. 26 f.). Nachvollziehbar ist der Gutachter davon ausgegangen, dass die Gesellschaft in der Lage gewesen sei, die Verlustperiode zu überbrücken, und das gezeichnete Kapital nicht angegriffen worden wäre. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat in seiner Anhörung erläutert, dass  er den Verlustausgleich berücksichtigt habe, indem negative Barwerte angesetzt worden seien (Anhörung Bl. 1112, 1115, 1117 GA). Es ist hierbei plausibel, dass der Gutachter nicht dauerhaft von Verlusten ausgegangen war, sondern von einem Going-Concern-Ansatz, andernfalls ein Liquidationsszenario vorgelegen hätte. Für ein solches negatives Szenario gab es, insbesondere vor dem Hintergrund der gerade erfolgten Umstrukturierung, keinerlei Anhaltspunkte. Dass für den Detailplanungszeitraum vorübergehend mit Verlusten zu rechnen war, stellt die Berechnung der „ewigen Rente“ daher nicht in Frage.

b) Kapitalisierungszinssatz

Das Landgericht hat den Kapitalisierungszinssatz sachgerecht mit 7,48 % angesetzt (vgl. Anhörung Bl. 1121 f. GA).

aa) Basiszinssatz

Der Gutachter und mit ihm das Landgericht haben bei der Ermittlung des Basiszinssatzes die Zinsstrukturkurve („Svensson-Methode“) nachvollziehbar zugrunde gelegt.

Die Berechnung des Basiszinssatzes anhand der Zinsstrukturkurve ist geeignet und hat sich mittlerweile durchgesetzt (vgl. Paulsen in Münchener Kommentar, 4. Auflage 2015, § 305, Rn. 114; vgl. zur Rückwirkung: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2011, I-26 W 2/11 (AktE), juris, m. w. Nachw.).

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat nach der Svensson-Methode einen Basiszinssatz zum Bewertungsstichtag in Höhe von 6,4781 % ermittelt und in seinem schriftlichen Gutachten auf 6,5 % gerundet. In der mündlichen Verhandlung hat der Gutachter dann auf einen entsprechenden Hinweis des Landgerichts den Unternehmenswert anhand eines weniger stark gerundeten Basiszinssatzes in Höhe von 6,48 % berechnet. Dies ist nicht zu beanstanden. Vielmehr hat das Landgericht gut vertretbar hier anstelle des pauschaleren Wertes in Höhe von 6,5 % den genaueren, sich stärker an der Zinsstrukturkurve orientierendem Basiszinssatz zugrunde gelegt. Die Berechnung des Basiszinssatzes wird im Übrigen im Beschwerdeverfahren nicht mehr angegriffen.

bb) Risikozuschlag

Der gerichtlich bestellte Sachverständige und mit ihm das Landgericht haben die Berechnung des Risikozuschlages nachvollziehbar erläutert.

Der Gutachter hatte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht deutlich gemacht, dass er den Risikozuschlag nach der HFA 2/1983-Stellungnahme geschätzt und diesen Wert anhand von CAPM-Elementen plausibilisiert habe. In seinem schriftlichen Gutachten hatte er eine Risikoprämie in Höhe von 3,332 % ermittelt und in dem schriftlichen Gutachten dann auf 3,5 % gerundet. Er hat in seiner Anhörung verdeutlicht, dass der Risikozuschlag im Wesentlichen pauschal geschätzt worden sei, hierzu „gängige Marktrisikoprämien“ und Branchenbetas verwandt worden seien, weil speziellere Daten nicht vorgelegen hätten. Er hat so klargestellt, dass im Ergebnis eine ‑ wie seinerzeit nach der HFA 2/1983-Stellungnahme üblich – pauschale Schätzung vorgenommen worden sei. Er hat mündlich erläutert, dass er einen Risikozuschlag in Höhe von 3 % letztlich für realistischer als einen Wert in Höhe von 3,5 % halte. Dieser Wert entspricht auch – worauf das Landgericht hingewiesen hat – dem Wert, der im Rahmen der Begutachtung der T. AG als angemessen angesetzt worden war.

Der angesetzte Risikozuschlag ist nicht zu niedrig und hält sich innerhalb der Grenzen, die in ähnlichen Fällen angewandt werden. Hierbei ist zu sehen, dass die Risikozuschläge nach der seinerzeit geltenden Pauschalmethode tendenziell niedriger als heute waren (vgl. Großfeld, Unternehmensbewertung, 7. Auflage, Rn. 743).

cc) Wachstumsabschlag

Auch ein Wachstumsabschlag in Höhe von 2 % ist nicht zu beanstanden.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat in seiner Anhörung klargestellt, dass er, anders als noch in seinem schriftlichen Gutachten, einen Wachstumsabschlag in Höhe von 2 % als angemessen erachte. Er hatte in seinem Ergänzungsgutachten aber bereits verdeutlicht, dass durchaus auch ein über 1 % liegender Wachstumsabschlag denkbar wäre. In seiner Anhörung hat er dann darauf verwiesen, dass er seinerzeit bei einem Wachstumsabschlag von 1 % bereits ein „Störgefühl“ gehabt habe, er einen Wachstumsabschlag von 1,5 % oder 2 % für sachgerechter halte, den niedrigeren Wert aber im Hinblick auf die IDW-Vorgaben angesetzt habe. Er hat nachvollziehbar erläutert, dass er in seinem schriftlichen Gutachten zunächst einen Wachstumsabschlag in Höhe von 1 % angenommen habe, weil dies vom IDW so „vorgeschrieben“, vorgegeben worden sei.

Der Gutachter ist davon ausgegangen, dass eine Steigerung der Überschüsse in Höhe der Inflationsrate eher unrealistisch gewesen sei, insbesondere weil die L. AG langfristig fertige, Angebote anhand von Beschaffungspreisen vor Beginn der Fertigung hätten kalkuliert werden müssen (Hauptgutachten S. 42). So könnten aufgrund der langfristigen Fertigung nachträglich eintretende Preissteigerungen Kunden nur bedingt weiter belastet werden. Es sei daher unrealistisch, dass die finanziellen Überschüsse in Höhe der zu erwartenden Inflationsrate ansteigen könnten. Er hat plausibel erläutert, dass im Übrigen die Wachstumsrate der Gewinne deutscher Unternehmen in der Vergangenheit unterhalb der Preissteigerungsrate gelegen habe (Ergänzungsgutachten S. 33). Der Gutachter hat ferner gesehen, dass die Schätzung mit Unsicherheiten verbunden gewesen sei, weil Ergebnisse durch die Verschmelzung beeinflusst und die Folgen der einsetzenden Konjunkturflaute schwer einschätzbar gewesen seien.

Wachstumsabschläge zwischen 0,5 % und 2 % sind üblich (Paulsen in Münchener Kommentar, 4. Auflage 2015, § 305, Rn. 134). Ein Wachstumsabschlag in der hier zugrunde gelegten Höhe ist auch vor dem Hintergrund der damaligen, eher hohen Inflationsrate von 3 % und des vergleichsweise hohen Basiszinssatzes nicht unangemessen (vgl. Anhörung Bl. 1107, 1110 GA; vgl. etwa einen Wachstumsabschlag von 2 % bei einem Basiszins von 4,04 %: OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.01.2015, 21 W 26/13, AG 2015, 504).

dd) „ewige Rente“

Auch die Berechnung der „ewigen Rente“ ist nicht zu beanstanden. Dass sich die „ewige Rente“ ganz entscheidend auf den Unternehmenswert auswirkt und maßgeblich den Ertragswert bestimmt, ist dem Bewertungssystem immanent.

So hat der Gutachter zutreffend darauf hingewiesen, dass der Barwert der „ewigen Rente“ den stärksten Werteinfluss bei einer Bewertung nach dem Ertragswertverfahren habe (vgl. Ergänzungsgutachten S. 16, Anhörung Bl. 1112 GA). Im vorliegenden Fall hat sich dieser Effekt dadurch verstärkt, dass für die Detailplanungsphase, hier die Geschäftsjahre 1993/1994 bis 1995/1996, wegen der Sozialplanaufwendungen mit Verlusten gerechnet werden musste, so dass der positive Wertanteil der „ewigen Rente“ stärker gewichtet wurde. Aber auch der Vorstand ging davon aus, dass nach dem hohen Verlust im Geschäftsjahr 1992/1993 die Umstrukturierung abgeschlossen und die L. AG dann wieder für die kommenden Jahre „gut aufgestellt“ sei, also positive Ertragsüberschüsse erzielen werde.

Die Antragsgegnerinnen weisen zutreffend darauf hin, dass eine Schätzung  in die Zukunft mit Unsicherheiten verbunden ist. Dies ist jedoch bei Zukunftsprognosen stets der Fall und stellt die hier angewendete Berechnung nicht infrage. Die Unsicherheiten werden durch den Risikozuschlag abgebildet.

Auch die Kündigungsfrist des Unternehmensvertrages, zunächst nach vier Jahren, dann jährlich, führt nicht dazu, die Ertragsprognose oder den Ertragswert nur für die vertragliche Mindestfrist zu bestimmen. Derartige Kündigungsregeln finden sich regelmäßig in Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen und stellen die Berechnung des Ertragswertes anhand der anerkannten Phasenmethode nicht infrage. Der Ertragswert ist vielmehr anhand der geplanten und voraussichtlichen Unternehmensentwicklung zu berechnen. Hier sollte die L. AG aber nicht nach vier Jahren liquidiert werden, sondern – wie die Umstrukturierungsmaßnahmen zeigen – für die Zukunft langfristig wettbewerbsfähig gemacht werden und dauerhaft Gewinne erwirtschaften. Diese Planung ist für die Frage maßgeblich, welcher voraussichtliche Zukunftsertrag erwirtschaftet werden kann. Dieser Zukunftsertrag wird anhand der „ewigen Rente“ berechnet.

c) Börsenkurs

Der maßgebliche Börsenkurs führt nicht zu einem höheren Abfindungsbetrag (vgl. zur Berücksichtigung von Börsenkursen: Koch in Hüffer, AktG, 11. Auflage 2014, § 305, Rn. 36 ff.). Es bleibt daher bei dem im Rahmen des Ertragswertverfahrens ermittelten Unternehmenswertes.

Der hier relevante 3-Monats-Durchschnittskurs vor Bekanntgabe der Maßnahme (204,56 DM, Anhörung Bl. 1108 GA) liegt unterhalb der ermittelten Abfindung. Auch eine Anpassung aufgrund der Börsenkursentwicklung bis zum Tag der Hauptversammlung ist nicht veranlasst (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 19.07.2010, II ZB 18/09, NJW 2010, 2657, „Stollwerck“). Es lag zwischen dem Datum der Bekanntgabe der Einladung zur Hauptversammlung am 04.11.1993 und dem Tag der Hauptversammlung am 16.12.1993 kein so langer Zeitraum, der ggfs. eine Anpassung erfordert hätte (vgl. Dauer der Zeitspanne: BGH, Beschluss vom 28.06.2011, II ZB 2/10, AG 2011, 590; BGH, Beschluss vom 19.07.2010, II ZB 18/09, NJW 2010, 2657, „Stollwerck“). Im Übrigen hat sich der Börsenkurs bis zum Tag der Hauptversammlung kaum verändert (3-Monats-Durchschnittskurs vor der Hauptversammlung 206,69 DM, Hauptgutachten S. 33, Anhörung Bl. 1108 GA). Eine Marktenge konnte der Gutachter nicht feststellen.

3. Ausgleich

Der angemessene Ausgleich war auf 20,29 DM (entspricht 10,37 €) festzusetzen, nachdem die Antragsgegnerinnen die Bedenken gegen die Berechnung des Vertreters der außenstehenden Aktionäre (Ausgleich) nicht mehr weiterverfolgen.

III.

Die Antragsgegnerinnen haben die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen (§ 15 Abs. 2 S. 1 SpruchG a.F.). Auch die Kosten der Antragsteller sind von den Antragsgegnerinnen zu tragen, weil dies – unter Berücksichtigung des Ausgangs des Beschwerdeverfahrens – der Billigkeit entspricht (§ 15 Abs. 4 SpruchG a.F.).

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 200.000,00 € (§ 15 Abs. 1 S. 2 SpruchG a.F.). Dieser Geschäftswert gilt jeweils auch für die Vergütung der beiden Vertreter der außenstehenden Aktionäre.

 

 

 

 

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