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Steuerrecht
18.01.2018
Steuerrecht
FG Köln: Keine Anwendung der ertragsteuerlichen Zuflussfiktion beim beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer für Zwecke der Umsatzsteuer/Konkludenter Antrag auf Sollversteuerung ohne erkennbare Ermessensausübung

FG Köln, Urteil vom 15.11.20179 K 1016/14

ECLI:DE:FGK:2017:1115.9K1016.14.00

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Umsätze aus Leistungen zu versteuern hat, die er in den Streitjahren gegenüber einer von ihm beherrschten Kapitalgesellschaft erbracht und in Rechnung gestellt, für die die Kapitalgesellschaft das vereinbarte Entgelt aber nicht – in voller Höhe – entrichtet hat; streitig ist dabei insbesondere, ob dem Kläger die Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) gestattet war.

Der Kläger war in den Streitjahren als Rechtsanwalt unternehmerisch tätig. Zudem war er alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der H GmbH bzw. ab dem 7. Juli 2009 der H GmbH (HRB ..., AG E; im Folgenden: GmbH). Ab dem Jahr 2007 erbrachte der Kläger Leistungen sowohl gegenüber verschiedenen Mandanten als auch gegenüber der GmbH, ab dem Jahr 2010 nur noch gegenüber der GmbH. Für seine Tätigkeit gegenüber der GmbH als Geschäftsführer bezog der Kläger kein gesondertes Gehalt. Ab dem 1. Januar 2007 bestand zwischen dem Kläger und der GmbH ein Kooperationsvertrag (Bl. 139 BpHA Bd. I). Nach diesem Vertrag sollte der Kläger Mandate namens und im Auftrag der GmbH bearbeiten und zur Abrechnung bringen. Die GmbH stellte dem Kläger Räumlichkeiten und Infrastruktur (PC mit Internet, EMail, Telefon und Fax, Literatur, Besprechungsraum, Visitenkarten etc.) zur Verfügung und richtete ein Konto bei der E-Bank ein, über das der Kläger mit Zustimmung der GmbH verfügen konnte. Als Vergütung erhielt der Kläger von den vom ihm bearbeiteten und abgerechneten Mandanten eine Umsatzbeteiligung in Höhe von 45% der jährlich vereinnahmten Nettoumsätze, zahlbar durch monatliche Abschlagszahlungen in Höhe der jeweils vereinnahmten monatlichen Nettoumsätze. Die Abrechnung der monatlichen Abschlagszahlungen sollte durch der GmbH erteilte Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis erfolgen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Kooperationsvertrag vom 28. Dezember 2006 verwiesen.

Am 15. Februar 2007 trafen der Kläger und die GmbH eine Abrechnungsvereinbarung (vgl. Bl. 138 BpHA Bd. I). Danach sollte die Auszahlung der vereinbarten Umsatzbeteiligung in Höhe von 45% der vereinnahmten Nettoerlöse „in jeder Hinsicht flexibel gestaltet“ werden können, solange aus der Buchhaltung der GmbH jederzeit der Stand des Abrechnungssaldos ermittelt werden könne. Grund für diese Vereinbarung war „die Erfahrung des Klägers, dass kleine Anwaltskanzleien hohen Umsatzschwankungen“ ausgesetzt seien. Mit der Vereinbarung solle insbesondere vermieden werden, die künftigen Zahlungs- und Verrechnungspraktiken als verdeckte Gewinnausschüttungen zu qualifizieren.

Am 22. April 2008 schlossen der Kläger und die GmbH eine Rangrücktrittsvereinbarung dergestalt, dass der Kläger gegenüber der GmbH in Bezug auf alle seine gegenwärtigen und zukünftigen Honoraransprüche, Darlehensforderungen und Auslagenersatzansprüche den Rangrücktritt in dem Umfang erklärte, in dem die Durchsetzung der Zahlungsansprüche zur Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung der GmbH führen würde. Der Kläger durfte hiernach die Befriedigung seiner Forderungen nur in der Art und Weise verlangen, als dass hierdurch die Existenz der GmbH und der Fortbestand der Kanzlei nicht gefährdet wurden. Die dem Rangrücktritt unterfallenden Forderungen konnten nur aus zukünftigen Gewinnen, einem Liquidationsüberschuss oder aus sonstigem freien Vermögen der GmbH befriedigt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Rangrücktrittserklärung verwiesen (Bl. 177 BpHA Bd. I).

Der Kläger gab am 3. Juni 2011 die Steuererklärungen für die Jahre 2009 und 2010 und am 18. September 2012 die Steuererklärungen für das Jahr 2011 beim – damals zuständigen – Finanzamt E ab. Enthalten waren jeweils u.a. sowohl die Einkommensteuererklärung, die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und die Umsatzsteuererklärung. Dabei entsprachen die erklärten Einnahmen in den Einnahme-Überschuss-Rechnungen jeweils den erklärten Umsätzen zum allgemeinen Steuersatz (z.B.: 2009: Umsätze: ... €, USt: ... €; Umsatzerlöse: ... €, PKW-Vermietung: ... €, MwSt: ... €). Auf der Gewinnermittlung des Jahres 2009 findet sich bei den Umsatzsteuerzahlungen ein Vermerk des Bearbeiters über einen Rechenfehler des Klägers.

Aufgrund einer Prüfungsanordnung vom 12. Oktober 2012 führte der Beklagte ab dem 22. November 2012 eine steuerliche Außenprüfung beim Kläger durch. Dabei würdigte der Prüfer die Kooperation des Klägers mit der GmbH dahingehend, dass diese zwar ertragsteuerlich nicht zu beanstanden sei und damit keine verdeckten Gewinnausschüttungen auslöse. Allerdings sei ein Zufluss der Honorare seitens der GmbH beim Kläger nicht erst im Zeitpunkt der Gutschrift, sondern schon im Zeitpunkt der Fälligkeit seiner Forderungen anzunehmen, da der Kläger als beherrschender Gesellschafter es in der Hand gehabt habe, sich die geschuldeten Beträge auszahlen zu lassen. Etwas anderes gelte nur für den Fall der Überschuldung der GmbH, der aber nicht vorliege, da der Kläger seine Forderungen gegenüber der GmbH erst dann geltend gemacht habe, nachdem die Mandanten an die GmbH gezahlt hätten. Auch sei eine Überschuldung der GmbH durch den Kläger nicht nachgewiesen worden.

Ertragsteuerlich seien daher die erklärten zugeflossenen Erlöse um die in Rechnung gestellten und damit fälligen Erlöse zu erhöhen, im Jahr 2009 zudem um die offenen Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung der Vorjahre. Zusätzlich sei auch die Umsatzsteuer im Zeitpunkt des unterstellten Zuflusses festzusetzen. Der Prüfer verwies dazu auf die Urteile des FG München vom 24. März 1993 (3 K 4102/91) und des FG Berlin vom 2. März 1999 (7254/96). Die Berechnung der Erhöhungsbeträge wurde zwischen der Bp und dem Kläger abgestimmt, die Umsatzsteuer 2009 wurde um ... € erhöht, die Umsatzsteuer für 2010 um ... € und die Umsatzsteuer 2011 um ... €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 25. Januar 2013 verwiesen.

Gegen den Prüfungsbericht wandte der Kläger am 11. April 2013 ein, dass die Forderungen gegenüber der GmbH aufgrund der Abrechnungsvereinbarung und dem dort vereinbarten Leistungsbestimmungsrechts der GmbH noch nicht fällig gewesen seien, dass die Forderungen aufgrund der Rangrücktrittsvereinbarung nicht unbestritten gewesen seien, dass § 64 Satz 3 des Gesetzes über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) einer Zahlung der Honorarforderungen entgegen gestanden hätten und dass die GmbH im Falle einer Zahlung zahlungsunfähig gewesen wäre. Ein Zufluss könne aus diesem Grund trotz seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter nicht fingiert werden.

Der Beklagte folgte dem nicht und erließ am 6. Juni 2013 (2010) und am 17. Juni 2013 (2011) nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011, die zu Nachzahlungsbeträgen von ... € und ... €, jeweils zzgl. Zinsen, führten. Eine Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2009 unterblieb zunächst. Gegen die Bescheide für 2010 und 2011 legte der Kläger am 21. Juni 2013 Einsprüche ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV), was der Beklagte am 15. Juli 2013 und erneut am 20. August 2013 ablehnte.

Daraufhin beantragte der Kläger am 23. August 2013 gerichtliche AdV gemäß § 69 Abs. 2 FGO (15 V 2700/13) hinsichtlich der Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011. Die Einschaltung der GmbH sei weder steuerlich noch haftungsrechtlich motiviert gewesen, sondern habe dazu gedient, weitere Rechtsanwälte mit Minderheitsbeteiligungen zu den gleichen Bedingungen (Kooperationsvereinbarung) in die Kanzlei aufzunehmen. Dies sei gescheitert. Aufgrund der Abrechnungsvereinbarung sei es unerheblich, dass in den Rechnungen gegenüber der GmbH die Zahlung „fälliger Forderungen“ angemahnt wurde. Die Bearbeiterin des Klägers sei hierzu nicht angewiesen worden. Zudem könne man auf diese Weise das in der Abrechnungsvereinbarung niedergelegte Leistungsbestimmungsrecht der GmbH nicht umgehen. Die GmbH habe zudem zu den Zeitpunkten der Rechnungsstellung nicht über ausreichende Mittel zur Zahlung verfügt. Zum Zeitpunkt der Rechnungstellung sei der jeweilige Liquiditätszufluss bereits verbraucht gewesen.

In einem Erörterungstermin am 17. Oktober 2013 äußerte die Berichterstatterin Zweifel an der Fälligkeit der Forderungen gegenüber der GmbH, wies aber hinsichtlich der Umsatzsteuer auf § 20 UStG hin; der Kläger nahm den Antrag auf AdV daraufhin zurück, war aber der Auffassung, einen konkludenten Antrag auf Gestattung der Ist-Versteuerung nach § 20 UStG gestellt zu haben.

Daraufhin stellte er beim Beklagten am 22. Oktober 2013 erneut einen Antrag auf AdV. Diesen begründete er damit, dass er seit ... als Rechtsanwalt zugelassen sei, seitdem jedes Jahr freiberufliche Einkünfte beziehe, die er nach § 4 Abs. 3 EStG ermittele und seitdem seine Umsatzsteuer jedes Jahr nach vereinnahmten Entgelten berechnet habe. Dies sei dem Finanzamt seit Jahren bekannt, ohne dass die Gestattung der Ist-Versteuerung jemals in Zweifel gezogen worden wäre. Der Antrag auf Gestattung sei formlos mit der ersten Umsatzsteuererklärung gestellt worden, mit der ersten Umsatzsteuerabrechnung sei die Ist-Versteuerung ebenfalls formlos gestattet worden. Aus den eingereichten Erklärungen habe der Beklagte die Ist-Versteuerung auch immer erkennen können, da die Einnahmen der Gewinnermittlung den erklärten Umsätzen entsprochen hätten. Hilfsweise beantragte der Kläger, die Umsatzsteuer für die Jahre 2010 und 2011 nach vereinnahmten Entgelten berechnen zu dürfen. Dieser Antrag könne bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung auch rückwirkend gestellt werden.

Den Antrag auf AdV der Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 lehnte der Beklagte ab. Aus den eingereichten Umsatzsteuererklärungen sei ein Antrag auf Gestattung der Ist-Besteuerung nicht erkennbar gewesen. Auch eine konkludente Gestattung könne nicht angenommen werden, weil nicht unzweifelhaft erkennbar sei, dass sich das Finanzamt eines Antrags des Klägers bewusst gewesen sei. Schließlich wäre die Ist-Versteuerung nicht gewährt bzw. wäre eine konkludente Gestattung widerrufen worden, weil der Vorsteuerabzug bei der beherrschten GmbH bei fehlender Umsatzbesteuerung beim Kläger zur Gefährdung des Steueraufkommens geführt hätte, was sogar den Widerruf einer zuvor erteilten ausdrücklichen Gestattung rechtfertige.

Ein erneuter Antrag auf gerichtliche AdV (15 V 3449/13) hinsichtlich der Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 vom 14. November 2013 blieb erfolglos. Der damals zuständige 15. Senat des FG Köln hatte Zweifel an einem konkludenten Antrag des Klägers auf Ist-Versteuerung, konnte aber jedenfalls keine nach außen erkennbare Entscheidung des Beklagten hierzu feststellen, so dass die Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten zu berechnen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 4. März 2014 verwiesen.

Am 5. Dezember 2013 erließ der Beklagte einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid über Umsatzsteuer 2009, mit dem er die Prüfungsfeststellungen für das Jahr 2009 umsetzte, was zu einem Nachzahlungsbetrag in Höhe von ... € führte. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 17. Dezember 2013 Einspruch ein.

Am 14. April 2014 erhob der Kläger gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 FGO, mit der er sich weiterhin gegen Besteuerung der Umsätze aus Leistungen gegenüber der GmbH wandte, soweit für diese kein Entgelt entrichtet worden war. Es sei leicht erkennbar, dass seit 1993 die Zahlen in den Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG mit den Zahlen in den Umsatzsteuererklärungen übereinstimmten. Es sei nicht vorstellbar, dass diese Zahlenidentität von dem jeweiligen Finanzbeamten nicht erkannt worden sei. Der Beklagte habe aufgrund der Berechnungen des Klägers diverse Abrechnungen, Zahlungsaufforderungen und Umbuchungen übersandt. Es sei eine reine Schutzbehauptung, wenn der Beklagte vortrage, er sei sich nicht bewusst gewesen, dass ein Antrag auf Ist-Versteuerung gestellt worden sei. Vielmehr stellten die Abrechnungen, Zahlungsaufforderungen etc. bereits die Gestattung der Ist-Versteuerung dar. Denn der Beklagte sei zur Gestattung verpflichtet gewesen, so dass er – der Kläger – die Abrechnungen, Zahlungsaufforderungen etc. als Gestattung verstehen musste und durfte. Jedenfalls aber habe der Beklagte den Rechtsschein einer Genehmigung gesetzt. Ein Widerruf der Gestattung sei allenfalls mit Wirkung für die Zukunft möglich.

Seinen Antrag auf Gestattung der Ist-Versteuerung vom 20. Oktober 2013 erweiterte er auf die Jahre ab 1992.

Im Nachgang zur Klage beantragte der Kläger am 16. April 2014 die gerichtliche AdV des Umsatzsteuerbescheids 2009 sowie – erneut – der Umsatzsteuerbescheide für 2010 und 2011 (9 V 1050/14).

Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte unter dem 6. Mai 2014, einem Dienstag, eine Einspruchsentscheidung für die Umsatzsteuerbescheide 2009 bis 2011. Die Einspruchsentscheidung ist gerichtet an „Firma H, B-Straße ..., ... E“ und wurde mit einfachem Brief bekannt gegeben. Die Verfügung trägt einen vom Bearbeiter unterschriebenen Postausgangsvermerk vom 6. Mai 2014.

Die Umsatzsteuer sei nach vereinbarten Entgelten zu berechnen, da die Berechnung nach vereinnahmten Entgelten nicht beantragt, jedenfalls nicht gestattet worden sei. Darauf komme es aber nicht entscheidend an, da die ertragsteuerlichen Regeln über den Zufluss von Vermögensvorteilen bei einem beherrschenden Gesellschafter von seiner Kapitalgesellschaft auch im Streitfall und damit umsatzsteuerlich anzuwenden seien. Die Forderungen seien, wie sich aus der Rechnungsstellung ergebe, fällig gewesen. Dies folge auch daraus, dass sie bei der GmbH als Verbindlichkeit bilanziert worden seien, was nicht hätte erfolgen dürfen, wenn der Rangrücktritt eingegriffen hätte. Die Forderung sei unbestritten gewesen, da der Rangrücktritt mangels Zahlungsunfähigkeit nicht eingegriffen hätte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass dem Kläger nur 45% der Zahlungseingänge zugestanden habe, so dass der GmbH 55% der Zahlungseingänge zur Befriedigung weiterer Gläubiger verblieben wären und daher eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ausgeschlossen werden könne. Die tatsächliche Verwendung der Mittel durch die GmbH sei hierfür unerheblich.

Den nachträglichen Antrag auf Genehmigung der Ist-Versteuerung vom 20. Oktober 2013 und 14. April 2014 lehnte der Beklagte mit gesonderten Bescheid ebenfalls vom 6. Mai 2014 ab. Die Genehmigung könne nur bis zum Eintritt der formellen Bestandskraft der erstmaligen Umsatzsteuerjahresfestsetzung erteilt werden, die auch in der Festsetzung unter Nachprüfungsvorbehalt oder in einer Umsatzsteuervoranmeldung liege. Die erstmaligen Steuerfestsetzungen seien in allen Jahren ab 1992 bestandskräftig geworden. Zudem stehe die Gefährdung des Steueraufkommens einer Genehmigung entgegen.

Mit Telefax vom 13. Juni 2014, einem Dienstag, erweiterte der Kläger seine Klage um den Umsatzsteuerbescheid für 2009. Das Gericht erfasste dies als neue Klage (9 K 1644/14) und verband die beiden Klagen auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 4. September 2014.

Zur Zulässigkeit dieser Klage trug der Kläger vor, die Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2014 sei ihm erst am 16. Mai 2014, jedenfalls nicht vor dem 13. Mai 2014 zugegangen. Es werde bestritten, dass die Einspruchsentscheidung am 6. Mai 2014 zur Post aufgegeben worden sei. Die Datumsangabe auf dem Bescheid sei kein verlässlicher Anhaltspunkt, da auch andere Schreiben des Beklagten ein falsches oder korrigiertes Datum enthalten hätten (Schreiben vom 28. November 2013, vom 15. August 2014, vom 11. Dezember 2013 und vom 6. Mai 2014, Bl. 68 ff. d.A.). Zudem könne sich der Beklagte nicht auf die Zugangsvermutung in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO berufen. Diese gelte nur für normale Umstände. Im Streitfall habe er – der Kläger – in der B-Straße keinen eigenen Briefkasten unterhalten. Die Post sei vielmehr, so wie diejenige der übrigen Unternehmen dort auch, am Empfang im Eingangsbereich des ...oder aber an der Rezeption im F abgegeben und von dort aus weiterverteilt oder ausgehändigt worden. Da unklar sei, wem die Post wann ausgehändigt worden sei, sei die Vermutung widerlegt. Dieses Risiko habe der Beklagte zu tragen, der den Weg der Bekanntgabe mit einfachem Brief gewählt habe. Die Übergabe der Post an der Rezeption habe nicht dazu geführt, dass die Post in seinen Machtbereich gelangt sei. Nach dem Eingangsstempel habe er keine Zweifel am Fristlauf gehabt.

In der Sache selbst verweist er auf sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und den AdV-Verfahren. Für die Fiktion eines Zuflusses von Vermögensvorteilen bei ihm sei wegen fehlender Fälligkeit der Forderungen, der Rangrücktrittsvereinbarung, § 62 Abs. 2 GmbHG sowie wegen der ansonsten eintretenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der GmbH kein Raum.

Zu der Frage der Gestattung der Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten nach § 20 UStG beruft sich der Kläger auf die Urteile des BFH vom 18. August 2015 (V R 47/14) und vom 18. November 2015 (XI R 38/14). Danach ergebe sich bereits aus der antragsgemäßen Festsetzung der Umsatzsteuer, dass ein zuvor konkludent gestellter Antrag nach § 20 UStG genehmigt worden sei. Insoweit komme es allein auf den Empfängerhorizont an. Ein Ermessensspielraum komme dem Beklagten insoweit auch nicht zu, er – der Kläger – habe nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 UStG einen Anspruch auf die Gestattung. Die vom BFH entschiedenen Sachverhalte seien mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar.

Der Kläger beantragt,

die Umsatzsteueränderungsbescheide vom 5. Dezember 2013 (2009), vom 6. Juni 2013 (2010) und vom 17. Juni 2013 (2011) sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die KIage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung ist die Klage wegen Umsatzsteuer 2009 wegen Verfristung unzulässig und wegen Umsatzsteuer 2010 und 2011 unbegründet.

Die Klage wegen Umsatzsteuer 2009 sei außerhalb der Klagefrist erhoben worden. Ein Schriftstück sei bereits dann zugegangen, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter Ausschluss unbefugter Dritter von dem Schriftstück Kenntnis nehmen könne und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden könne. Diese Voraussetzungen seien nach der Rechtsprechung regelmäßig erfüllt, wenn entsprechend der postalischen Vorschriften zugestellt werde. Die tatsächliche Kenntnisnahme sei nicht erforderlich, ausreichend sei die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Die Einspruchsentscheidung sei bekanntgegeben worden, als sie für den Kläger entgegen genommen worden sei, da ihm ein ungehinderter Zugriff auf die Post möglich gewesen sei. Es liege in seiner Risikosphäre, wann er seine Post tatsächlich zur Kenntnis nehme. Der Kläger könne den Zugang nicht vereiteln, indem er die Post an der zentralen Annahmestelle im F nicht abhole.

In der Sache selbst verweist er auf die Einspruchsentscheidung sowie die AdV‑Beschlüsse in den Verfahren 15 V 2700/13 und 15 V 3449/13. Es sei ihm nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände diese zutreffende Einschätzung des vorliegenden Sachverhalts durch eine BFH-Entscheidung in einem anderen Sachverhalt zu revidieren sein sollte. In dem Verfahren des BFH V R 47/14 habe eine Betriebsprüfung der Vorjahre eine Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten vorgenommen. Nach dem Tatbestand dieser Entscheidung habe es ein Schreiben gegeben, in dem ausdrücklich auf die Ist-Versteuerung hingewiesen worden sei. Zudem habe in diesem Verfahren festgestanden, dass das Finanzamt die Verknüpfung von Gewinnermittlung und Umsatzsteuererklärung erkannt habe, da ein Hinweis auf die Gewinnermittlung in der Umsatzsteuerverprobung für die Streitjahre enthalten sei. Im Streitfall seien in den Akten entsprechende Hinweise auf eine entsprechende Willensbildung des Beklagten dagegen nicht zu finden.

Die zunächst beim 12. Senat des FG Köln aufgenommene Untätigkeitsklage wegen Umsatzsteuer 2010 und 2011 wurde mit Beschluss vom 12. Mai 2014 (Bl. 17 d.A.) an den nach dem Geschäftsverteilungsplan des Finanzgerichts Köln zuständigen 9. Senat abgegeben.

Den Antrag auf gerichtliche AdV wegen Umsatzsteuer 2009 bis 2011 wies der erkennende Senat mit Beschluss vom 2. Juli 2014 zurück. Hinsichtlich der Jahre 2010 und 2011 beurteilte er den Antrag als wiederholenden Antrag als gemäß § 69 Abs. 6 FGO unzulässig, hinsichtlich des Jahres 2009 teilte er die Auffassung des 15. Senats des FG Köln in dessen Beschluss vom 14. November 2013 (15 V 3449/13). Eine hiergegen gerichtete Anhörungsrüge nach § 133a FGO vom 16. Juli 2014 hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 25. Juli 2014 (9 V 2011/14) zurückgewiesen. Einen Befangenheitsantrag gegen den Berichterstatter sowie die an der Entscheidung beteiligten Mitglieder des Senats vom 16. Juli 2014 hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 25. Juli 2014 als rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Beschlüsse, die den Beteiligten bekannt sind, verwiesen.

Dem Gericht haben folgende Akten vorgelegen: Umsatzsteuer ab 2000, 1 Band RB-Akten, 1 Band BpHA, 1 Band ESt-Akten, 1 Band Vertragsakten, 1 Band Bilanzakten. Die Akten der Verfahren 15 V 3449/13, 15 V 209/14, 15 V 208/14, 15 V 3226/13, 15 V 2700/13, 9 V 1050/14 und 9 V 2011/14 wurden beigezogen.

Am 28. August 2014 hat der Kläger Einsicht in drei Bände FG-Akten sowie in die Umsatzsteuerakte, Rechtsbehelfsakte und BpHA genommen.

Aus den Gründen

Die Klage hat nur teilweise Erfolg.

Hinsichtlich des Umsatzsteuerbescheids 2009 ist die Klage unzulässig, hinsichtlich der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 ist sie zulässig und begründet.

I.              Die Klage gegen den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2009 ist unzulässig, da sie erst am 13. Juni 2014 und damit mehr als einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2014 erhoben wurde.

Gemäß § 47 Abs. 1 FGO ist eine Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einzulegen. Diese gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO mit dem dritten Tage nach ihrer Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer wenn sie nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Bestreitet der Steuerpflichtige nicht den Zugang des Schriftstücks überhaupt, sondern den Erhalt innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, so hat er sein Vorbringen im Rahmen des Möglichen zu substantiieren, um Zweifel an der Dreitagesvermutung zu begründen. Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische – Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post – ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Dreitagesfrist reicht ein abweichender Eingangsvermerk nicht aus (BFH-Beschlüsse vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389, vom 18. April 2013 X B 47/12, und vom 5. September 2017 IV B 82/16, alle m.w.N.).

Hiernach ist die Klage verfristet.

Die Einspruchsentscheidung wurde zur Überzeugung des Gerichts am Dienstag, den 6. Mai 2014 zur Post gegeben, so dass sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als dem Kläger am Freitag, den 9. Mai 2014 zugegangen gilt. Nach den gestempelten und unterschriebenen Vermerken auf dem Verfügungsteil des in der Rechtsbehelfsakte befindlichen Exemplars der Einspruchsentscheidung hat die Bearbeiterin am 30. April 2014 die Rechtzeitigkeit der Einspruchseinlegung geprüft, die Einspruchsentscheidung gefertigt und die Erledigung in der Rechtsbehelfsliste vermerkt sowie dann am 6. Mai 2014 die Einspruchsentscheidung nach Zeichnung durch den Sachgebietsleiter zur Post gegeben („Abgesandt am: 06.05.2017 Unterschrift“). Aufgrund der durch diesen Vermerk dokumentierten Aufgabe zur Post am 6. Mai 2015 ist der Senat davon überzeugt, dass die Aufgabe zur Post auch tatsächlich zu diesem Zeitpunkt erfolgte. Anhaltspunkte dafür, dass entgegen dieses Postausgangsvermerks die Aufgabe zur Post tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte, sind weder vom Kläger vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Insbesondere kann der Kläger aus Erörterungs- oder sonstigen Schreiben des Beklagten, die teilweise handschriftlich geänderte Daten enthalten oder ihm vielleicht auch tatsächlich längere Zeit nach dem angegeben Daten zugegangen sind derartige Zweifel für die Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2014 nicht herleiten. Denn die von ihm benannten Schreiben lösten keine Fristen aus, so dass auf diesen mangels Erheblichkeit der Zeitpunkt der Aufgabe zur Post – anders als bei der Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2014 – auch nicht durch Postausgangsvermerk dokumentiert worden ist.

Gegen die Geltung der sog. Drei-Tages-Fiktion nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO kann der Kläger auch nicht mit Erfolg einwenden, dass ihm die Einspruchsentscheidung tatsächlich erst am 16. Mai zugegangen sei. Die Vermutung des § 122 Abs. 2 AO greift dann nicht, wenn der Verwaltungsakt tatsächlich nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang zu beweisen. Um die Beweislast der Behörde zu begründen, muss der Steuerpflichtige nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung durch substantiierte Erklärungen darlegen, dass er nicht rechtzeitig in den Besitz des Bescheides gekommen ist (bspw. BFH-Beschluss vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389). Er muss Tatsachen vortragen, die den Schluss darauf zulassen, dass ein anderer Geschehensablauf als der typische Zugang binnen dreier Tage nach Aufgabe zur Post ernstlich in Betracht zu ziehen ist. Es genügt danach nicht schon ein einfaches Bestreiten, um die gesetzliche Vermutung über den Zeitpunkt des Zugangs des Schriftstücks zu entkräften. Es müssen vielmehr Zweifel berechtigt sein, sei es nach den Umständen des Falles, sei es nach dem schlüssigen oder jedenfalls vernünftig begründeten Vorbringen des Steuerpflichtigen (BFH-Beschluss vom 23. November 2016 IX B 54/16, BFH/NV 2017, 264). Zur Begründung von Zweifeln am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist reicht ein abweichender Eingangsvermerk allein jedoch nicht aus (so BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 2010 IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115; vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389), auch wenn dieser als private Urkunde zu beurteilen wäre. Ein objektives Beweismittel wäre bspw. der betreffende Briefumschlag mit dem sich darauf befindlichen Poststempel (BFH-Beschlüsse vom 1. Dezember 2010 VIII B 123/10, BFH/NV 2011, 410; vom 25. Februar 2010 IX B 149/09, BFH/NV 2010, 1115).

Hiernach ist die Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht erschüttert. Der Kläger hat insoweit lediglich unter Hinweis auf den Posteingangsstempel vorgetragen, die Einspruchsentscheidung sei ihm erst am 16. Mai 2014, jedenfalls nicht vor dem 13. Mai 2014 zugegangen, da die Post am Sitz seiner Kanzlei, B-Straße ... in E, im zentralen Eingangsbereich abgegeben und anschließend verteilt werde, er dort jedenfalls keinen Briefkasten habe. Hieraus ergeben sich keine Gründe, ernstliche Zweifel am Zugang innerhalb der Drei-Tages-Frist zu haben. Den originalen Briefumschlag als objektives Beweismittel eines späteren Zugangs hat der Kläger nicht vorgelegt. Mit der Abgabe der Post in der B-Straße ... ist dem Kläger die Einspruchsentscheidung auch zugegangen. Unter Zugang i.S.d. § 122 Abs. 2 AO wird nicht allein die tatsächliche Kenntnisnahme des Schriftstückes verstanden. Zugegangen ist es bereits dann, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers (Inhaltsadressaten) gelangt ist, dass dieser unter Ausschluss unbefugter Dritter von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 14. März 1990 X R 104/88, BStBl II 1990, 612 und vom 14. August 1975 IV R 150/71, BStBl II 1976, 764). Diese Voraussetzungen sind regelmäßig erfüllt, wenn die Sendung entsprechend den postalischen Vorschriften zugestellt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 37/97, BStBl II 2000, 175). Dies gilt auch im Streitfall. Der Beklagte hat die Einspruchsentscheidung an die vom Kläger damals in seinen Schreiben verwendete Adresse übersandt. Der Kläger konnte von diesem Schriftstück Kenntnis nehmen, dies war auch von ihm zu erwarten. Andernfalls hätte es der Kläger in der Hand, selbst zu bestimmen, ob für eine Bekanntgabe mit einfachem Brief ihm gegenüber die Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gelte. Allein, dass die Postzustellung in der B-Straße ..., in dem nach Angaben des Klägers selbst und nach Kenntnis des Gerichts eine Vielzahl von Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzleien ihren Sitz haben, zentral organisiert ist und nicht jede Kanzlei einen Briefkasten unterhält, stellt keinen atypischen Sachverhalt dar, der die Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO außer Kraft setzten könnte.

Da die Einspruchsentscheidung hiernach am 9. Mai 2014 als zugegangen gilt, war die Klagefrist gemäß § 47 FGO am Tag der Klageerhebung, dem 13. Juni 2014 bereits abgelaufen.

II.              Die Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 ist dagegen zulässig und auch begründet.

1.              Der Zulässigkeit der Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 steht insbesondere nicht entgegen, dass sie nicht fristgerecht erhoben wäre.

Denn diese Klage wurde bereits vor Ergehen einer Einspruchsentscheidung zulässig als Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO erhoben, da der Beklagte über die Einsprüche des Klägers vom 21. Juni 2013 bis zur Klageerhebung am 14. April 2014 ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes nicht entschieden hatte. In diesem Fall wird die Klage ohne weiteres fortgesetzt, die Einspruchsentscheidung wird zum Gegenstand des Verfahrens und eine – weitere – Klageerhebung, für die eine Klagefrist zu beachten wäre, ist weder erforderlich noch zulässig (vgl. Levedag in Gräber, FGO, 8. Aufl. 2015, § 46 Rn. 28 m.w.N.).

2.              Die Klage gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 ist auch begründet. Diese Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zu Unrecht hat der Beklagte die vom Kläger erklärten Umsätze um die der GmbH in Rechnung gestellten, aber von dieser nicht gezahlten Beträge erhöht. Denn dem Kläger war die Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten im Sinne des § 20 Satz 1 UStG gestattet, so dass allein die Ausführung der Leistung nicht für die Steuerentstehung nach § 13 Abs. 1 Buchst. a UStG ausreichte; die streitigen Beträge hat der Kläger aber nicht im Sinne des § 13 Abs. 1 Buchst. b UStG vereinnahmt.

a)              Grundsätzlich entsteht die Steuer gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (sog. Sollbesteuerung) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Die Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 63 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Gemäß § 20 UStG kann das FA unter bestimmten – hier nicht streitigen – Umständen auf Antrag gestatten, dass ein Unternehmer die Steuer nicht nach vereinbarten Entgelten, sondern nach vereinnahmten Entgelten berechnet. Mit der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG – sog. Ist-Besteuerung –) hat der Gesetzgeber die ihm nach Unionsrecht eingeräumte Ermächtigung ausgeübt, für die Entstehung des Steueranspruchs nach Art. 66 Buchst. b MwStSystRL auf die Vereinnahmung des Preises abzustellen. Die Steuer entsteht in diesem Fall mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG).

aa)              Gemäß § 20 UStG ist für die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten anstelle der Regelbesteuerung nach vereinbarten Entgelten ein Antrag notwendig, auf Grund dessen das Finanzamt nach pflichtgemäßem Ermessen die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten durch formlosen Verwaltungsakt (§ 118 Satz 1 AO) gestattet haben muss. Dieser Antrag kann nach der Rechtsprechung des BFH auch konkludent gestellt werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit kann aber eine Steuererklärung, bei der die Besteuerungsgrundlagen nach tatsächlichen Einnahmen erklärt worden sind, nur dann als konkludenter Antrag auf Gestattung der Ist-Besteuerung angesehen werden, wenn ihr deutlich erkennbar zu entnehmen ist, dass die Umsätze auf Grundlage vereinnahmter Entgelte erklärt worden sind.

Die Gestattung der Ist-Versteuerung kann nach der Rechtsprechung des BFH auch stillschweigend bekannt gegeben werden. Bei der Gestattung nach § 20 UStG durch das FA handelt es sich um den Erlass eines begünstigenden Ermessens-Verwaltungsaktes i.S.d. §§ 130, 131 AO. Da die Gestattung einer Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG) und die hierauf beruhende Umsatzsteuerfestsetzung (§ 155 AO) zwei verschiedene Verfahren betreffen, kann die Umsatzsteuerfestsetzung nur dann als konkludente Gestattung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten ausgelegt werden, wenn mit ihr nach außen erkennbar auch eine Entscheidung über den entsprechenden Antrag getroffen wurde. Hieran dürfen aber keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Vielmehr ist der Empfängerhorizont der Beteiligten entscheidend. Hat ein Steuerpflichtiger einen konkludenten Antrag auf Genehmigung der Ist-Besteuerung beim FA gestellt, dann hat die antragsgemäße Festsetzung der Umsatzsteuer den Erklärungsinhalt, dass der Antrag genehmigt worden ist (vgl. hierzu die während des vorliegenden Klageverfahren ergangenen BFH-Urteile vom 18. November 2015 XI R 38/14, BFH/NV 2016, 950 und vom 18. August 2015 V R 47/14, BFH/NV 2015, 1786).

bb)              Hiernach ist dem Kläger auf seine formlosen Anträge hin die Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 UStG durch den Beklagten stillschweigend gestattet worden.

Der Kläger hat durch Abgabe seiner Steuererklärungen hinreichend deutlich die Gestattung der Ist-Versteuerung beantragt. Er hat, jedenfalls in den Streitjahren, die Umsatzsteuerjahreserklärungen zusammen mit den Einkommensteuererklärungen und mit den Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG abgegeben. Dies ergibt sich aus beigezogenen Einkommensteuerakten, in denen die jeweiligen Anschreiben enthalten sind. Die Beträge, die der Kläger in den Gewinnermittlungen nach § 4 Abs. 3 EStG als – gemäß § 11 EStG zugeflossene – Einnahmen ausgewiesen hat, entsprechen (mit Ausnahme eines glatten und damit leicht erkennbaren Betrags für nichtumsatzsteuerpflichtige PKW-Vermietung) den deklarierten Ausgangsumsätzen zu 19%. Dies ist zwischen den Beteiligten nach Einsichtnahme in die Steuererklärungen in der mündlichen Verhandlung unstreitig. Zudem ergibt sich bereits aus den Gewinnermittlungen selbst, dass der Kläger die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnete, da die als Betriebseinnahme ausgewiesene Umsatzsteuer der auf die zugeflossenen Betriebseinnahmen entfallenden Umsatzsteuer betragsmäßig entsprach. Nach Auffassung des Senats war die Ist-Versteuerung durch den Kläger hinreichend deutlich erkennbar im Sinne der o.g. Rechtsprechung des BFH.

Da der Beklagte den Umsatzsteuerjahreserklärungen jedenfalls der Streitjahre zunächst ohne Abweichung folgte, konnte und durfte der Kläger auch davon ausgehen, dass seinem Antrag auf Gestattung der Ist-Versteuerung gefolgt worden war. Der Senat sieht zwar die vom Beklagten auch in der mündlichen Verhandlung geäußerte Problematik, dass in einem Fall wie dem vorliegenden dem Finanzamt eine Entscheidung über einen Antrag und damit eine Ermessensausübung unterstellt wird, obwohl eine solche nicht positiv festgestellt werden kann; dies erscheint auch insbesondere deswegen problematisch, weil die Umsatzsteuerfestsetzung im Zweifel allein edv-gestützt erfolgt. Nach dem BFH-Urteil vom 18. November 2015 XI R 38/14, BFH/NV 2016, 950 und vom 18. August 2015 V R 47/14, BFH/NV 2015, 1786 aber kommt es hierauf nicht an. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, wie der Steuerpflichtige die Äußerung des Finanzamts durch Erlass des Umsatzsteuerbescheids bzw. die Abrechnung verstehen durfte, ohne dass eine tatsächliche Ermessensbetätigung des Finanzamts feststellbar sein muss. Auch musste das Finanzamt hiernach den Antrag auf Gestattung der Ist-Versteuerung nicht tatsächlich erkennen, vielmehr reicht – wie im Streitfall – die deutliche Erkennbarkeit aus. Der BFH löst diese Problematik damit zugunsten des Steuerpflichtigen, der darauf vertrauen darf, dass das Finanzamt seinen – hinreichend deutlichen – Antrag erkannt hat und im Falle der Ablehnung von seinen Angaben abgewichen wäre.

b)              Der Kläger hat die streitigen Beträge nach Auffassung des erkennenden Senats nicht im Sinne des § 13 Abs. 1 Buchst. b UStG vereinnahmt, so dass der Beklagte die vom Kläger deklarierten Umsätze zu Unrecht erhöht hat.

aa)              Das Entgelt ist vereinnahmt im Sinne des § 13 Abs. 1 Buchst. b UStG, wenn der Unternehmer für seine Leistung eine Gegenleistung in Geld oder Geldeswert erhält, über die er wirtschaftlich verfügen kann (Leipold in Sölch/Ringleb, UStG, Kommentar, § 13 Rn. 52; Herbert in Hartmann/Metzenmacher, UStG, Kommentar, § 13 Rn. 152; Leonard in Bunjes, UStG, 16. Aufl. 2017, § 13 Rn. 19; Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, Kommentar, § 13 Rn. 347). Dabei folgt das Umsatzsteuerecht weitgehend den Kriterien des Ertragssteuerrechts für die Zeitpunkt des Zufluss von Einnahmen nach § 11 EStG (Herbert, a.a.O.; Leipold, a.a.O.; Reiß in Reiß/Kaeusel/Langer/Wäger, UStG, Kommentar, § 13 Rn. 42). Eine Vereinnahmung erfolgt daher im Fall der Barzahlung mit der Übergabe an den Unternehmer bzw. dessen Vertreter und im Fall der Überweisung auf ein Bankkonto mit der Gutschrift.

Hiernach kann der Senat eine Vereinnahmung der streitigen Beträge durch den Kläger nicht feststellen. Eine (Bar-)Zahlung oder eine Überweisung ist im Streitfall unstreitig nicht erfolgt. Auch unter den Gesichtspunkten einer Novation oder einer Gutschrift in den Büchern der GmbH als Leistungsempfängerin (vgl. zu diesen Gesichtspunkten die Nachweise bei Herbert, a.a.O., RN. 153) ist eine Vereinnahmung durch den Kläger nicht zu erkennen, die Verbindlichkeiten werden bei der GmbH als Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung, nicht als solche aus Darlehen, ausgewiesen, auch eine Gutschrift für den Kläger ist in den Büchern der GmbH nicht auszumachen.

bb)              Soweit der Beklagte in der Einspruchsentscheidung die Auffassung vertritt, dass eine Vereinnahmung der Entgelte durch den Kläger bereits deswegen anzunehmen ist, weil dieser als beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer die Auszahlung der streitigen Beträge jederzeit hätte bewirken können, so dass nach ertragsteuerlichen Grundsätzen auch ein Zufluss zu bejahen sei, so folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Dabei ist ausdrücklich nicht darüber zu entscheiden, ob die ertragsteuerlichen Voraussetzungen für die Zuflussfiktion beim Kläger als beherrschendem Gesellschafter-Geschäftsführer tatsächlich vorliegen. Denn nach Auffassung des erkennenden Senats gelten die vom Beklagten angeführten, ertragsteuerlichen Grundsätze für die Zuflussfiktion beim beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer für die Frage der umsatzsteuerlichen Vereinnahmung von Entgelten gemäß § 13 Abs. 1 Buchst. b UStG nicht.

Dies gilt bereits aus dem Grund, dass die umsatzsteuerrechtlichen Regelungen zum Entstehen der Steuer ihre Grundlage in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie haben, namentlich in Art. 66 MwStSystRL. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach dem 24. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuersystemrichtlinie die Begriffe „Steuertatbestand“ und „Steueranspruch“ harmonisiert werden sollten, damit die Anwendung und die späteren Änderungen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zum gleichen Zeitpunkt wirksam werden. Der Unionsgesetzgeber wollte den Zeitpunkt, zu dem die Steuerschuld in allen Mitgliedstaaten entsteht, so weit wie möglich harmonisieren, um eine einheitliche Erhebung der Mehrwertsteuer zu gewährleisten (vgl. EuGH-Urteil vom 16. Mai 2013 C-169/12, Rs. TNT Express Worldwide (Portland), DStRE 2013, 1253). Daher kann der unionsrechtliche Begriff der Vereinnahmung im Sinne des § 13 Abs. 1 Buchst. b UStG nicht aufgrund von nationalen ertragsteuerlichen Rechtsinstituten wie der Zuflussfiktion bei Forderungen eines beherrschenden Gesellschafters verändert werden. Denn hierdurch würde der Wille des Unionsgesetzgebers nach einer Vereinheitlichung insoweit umgangen.

Zudem sieht der Senat auch nach nationalem Recht keine Rechtfertigung dafür, die vom Beklagten herangezogene, ertragsteuerliche Rechtsprechung auf die umsatzsteuerliche Beurteilung des Begriffs der Vereinnahmung heranzuziehen. Der BFH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern ein Zufluss von Einnahmen auch ohne Zahlung oder Gutschrift bereits früher vorliegen kann. Danach fließt dem alleinigen oder jedenfalls beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen die von ihm beherrschte Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zu, denn ein beherrschender Gesellschafter hat es regelmäßig in der Hand, sich geschuldete Beträge auszahlen zu lassen, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist (vgl. bswp. BFH-Urteile vom 14. April 2016 VI R 13/14, BStBl. II 2016, 778 und vom 8. Mai 2007 VIII 13/06, BFH/NV 2007, 2249, m.w.N.). Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt haben (bspw. BFH-Urteile vom 3. Februar 2011 VI R 66/09, BStBl II 2014, 491 vom 11. Februar 1965 IV 213/64 U, BFHE 82, 440, BStBl III 1965, 407). Nach Auffassung der Finanzverwaltung dagegen soll ausreichen, dass die Verbindlichkeit auf Seiten der GmbH nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung hätte gebildet werden müssen (vgl. BMF-Schreiben vom 12. Mai 2014 IV C 2-S 2743/12/10001, BStBl. I 2014, 860). Die Zuflussfiktion beim Gesellschafter setzt danach bei der Gesellschaft eine tatsächliche oder jedenfalls eine nach den GoB zwingende Gewinnauswirkung voraus. Diese Parallelität ist dem Umsatzsteuerrecht fremd. Denn jeder Leistungsbezug eines Unternehmers von einem Unternehmer, der seine Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet, führt zu einem Auseinanderfallen von Umsatzsteuer und Vorsteuer, da der Leistungsempfänger auch in diesem Fall den Vorsteuerabzug nach der Grundregel des § 16 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG geltend machen kann. Die Regeln über den Vorsteuerabzug werden durch die Ist-Besteuerung nicht beeinflusst, da die Ist-Versteuerung lediglich die zeitliche Erfassung der Ausgangsumsätze betrifft. Dies wird teilweise als nicht gerechtfertigte Subvention der Unternehmer zu Lasten der Allgemeinheit angesehen, jedenfalls entspricht dies gängiger Verwaltungspraxis und ist vom Gesetzgeber so gewollt (vgl. die Nachweise bei Frye in Rau/Dürrwächter, UStG, Kommentar, § 20 Rn. 100 f.). Von der unionsrechtlichen Möglichkeit, das Recht zum Vorsteuerabzug in diesem Fall von der Entstehung der Steuer abhängig zu machen und damit eine Verknüpfung herbei zu führen (Art. 167, 167a MwStSystRL), hat der Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. In diesem Fall aber erscheint es dem erkennenden Senat nicht gerechtfertigt, die gleiche Rechtsfolge durch eine Übernahme der ertragsteuerlichen Zuflussfiktion für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer auf die Frage der Vereinnahmung des Entgelts herbeizuführen.

3.              Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 709 ZPO.

Die Revision wird zugelassen zu der Frage, ob eine konkludente Gestattung der Berechnung der Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 UStG auch dann anzunehmen ist, wenn das Finanzamt die Berechnung nach vereinnahmten Entgelten durch den Steuerpflichtigen zwar erkennen konnte, ein tatsächliches Erkennen und damit eine tatsächliche Ermessensausübung aber nicht festgestellt werden kann, sowie zu der Frage, ob die ertragsteuerliche Fiktion eines Zuflusses von Entgelten beim beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer von der von ihm beherrschten GmbH auch umsatzsteuerlich zur Vereinnahmung dieses Entgelts im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) UStG führt.

 

 

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