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Steuerrecht
14.09.2018
Steuerrecht
FG Köln: Haftungsinanspruchnahme einer gelöschten britischen Limited für Steuerschulden der deutschen Zweigniederlassung

FG Köln, Urteil vom19.7.201813 K 3142/13

ECLI:DE:FGK:2018:0719.13K3142.13.00

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-2198-4

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme des Klägers für Steuerschulden der deutschen Zweigniederlassung der Firma H (nachfolgend „Steuerschuldnerin“ oder „die Ltd.“) streitig.

Die inzwischen gelöschte Ltd. war eine am … in das zentrale britische Unternehmensregister (Companies House) eingetragene „Private Limited Company“ britischen Rechts – Limited – (Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung) mit Sitz in E. Gesellschafter („shareholder“) der Ltd. waren zunächst sowohl der Kläger (mit einem Anteil von ursprünglich 50 %, später 25 %) als auch Herr W. Seit dem Jahr 2007 wurden sämtliche Anteile der Ltd. allein von Herrn W gehalten. Als Geschäftsführer („director“) der Ltd. waren im britische Unternehmensregister vom 20.05.2005 bis zum 13.06.2005 sowohl der Kläger als auch Herr W eingetragen. Seit dem 13.06.2005 weist das Companies House nur noch Herrn W als „director“ der Ltd. aus. Nach Art. I. (3) des Gesellschaftsvertrags („articles of association“) der Ltd. erfolgte die Bestellung zum „director“ durch ordentlichen Beschluss („ordinary resolution“) der Gesellschafterversammlung („general meeting“).

Die Ltd. betrieb in M seit dem 06.06.2005 (Datum der Handelsregistereintragung) eine deutsche Zweigniederlassung. Gegenstand ihres Unternehmens war der Im- und Export sowie Groß- und Einzelhandel ….

Der Kläger war vom 24.08.2005 bis zum 24.10.2005 sowie erneut ab dem 12.07.2007 als „director“ der Ltd. und ständiger Vertreter ihrer inländischen Zweigniederlassung im Handelsregister des Amtsgerichts L eingetragen. Daneben weist das deutsche Handelsregister folgende Personen für folgende Zeiträume als Vertreter der Ltd. aus:

Name

Zeitraum der Eintragung

Funktion

W

24.08.2005 – 12.07.2007

„director“ und ständiger Vertreter

Q

24.10.2005 – 12.07.2007

ständige Vertreterin

 

Den Eintragungen lagen ein Beschluss der Gesellschafterversammlung der Ltd. vom 06.07.2007 sowie eine Handelsregisteranmeldung vom 10.07.2017 zugrunde. Mit dem Gesellschafterbeschluss vom 06.07.2007 waren Herr W als „director“ der Ltd. und ständiger Vertreter der Zweigniederlassung sowie Frau Q als deren weitere ständige Vertreterin abberufen und der Kläger als ständiger und alleiniger Vertreter der Ltd. und alleiniger ständiger Vertreter ihrer Zweigniederlassung eingesetzt worden. Mit der vom Kläger eigenhändig unterzeichneten Handelsregisteranmeldung vom 10.07.2007 war dementsprechend zur Eintragung angemeldet worden:

 „1. Herr W ist als Direktor und ständiger Vertreter abberufen worden.

2. Frau Q ist nicht mehr ständiger Vertreter.

3. Alleiniger „director“ und damit als Geschäftsführer in vollem Umfang allein zur                    Vertretung der Gesellschaft wie auch der Zweigniederlassung berechtigt, bin

     ich, der Unterzeichnende.“

Nach dem Gesellschafterbeschluss vom 06.07.2007 hatte Frau Q im Zeitraum ihrer Bestellung als ständige Vertreterin der Zweigniederlassung nur eine Prokura inne, die es ihr erlaubt hätte, im Falle einer Verhinderung des Herrn W für die Zweigniederlassung tätig zu werden. Tatsächlich habe sie hiervon jedoch – so der Beschluss – zu keinem Zeitpunkt Gebrauch gemacht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gesellschafterbeschluss vom 06.07.2007 und die Handelsregisteranmeldung vom 10.07.2007 Bezug genommen.

Die Ltd. hatte seit ihrer umsatzsteuerlichen Registrierung in Deutschland zunächst nahezu ausnahmslos Umsatzsteuer-Voranmeldungen eingereicht, aus denen sich Vergütungsbeträge ergaben. Eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2006 wurde von ihr nicht abgegeben. Auch für die Körperschaftsteuer 2006 und 2007 gab die Ltd. keine Steuererklärungen ab, ebenso wenig wie Umsatzsteuer-Voranmeldungen für das III. bis IV. Quartal 2007 und das I. bis III. Quartal 2008.

Mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO) stehendem Bescheid vom 30.05.2008 schätzte der Beklagte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen zur Körperschaftsteuer 2006 und setzte die Steuer gegenüber der Ltd. i.H.v. 1.162 € fest. Der Bescheid war adressiert an den mit Vollmacht vom 08.02.2008 gegenüber dem Beklagten zur Vertretung der Ltd. in Steuerangelegenheiten und zur Entgegennahme von Zustellungen ermächtigten Herrn Steuerberater B „(…) als Empfangsbevollmächtigter für Firma H“. Ein Einspruch hiergegen wurde seitens der Ltd. nicht eingelegt.

Ab dem 01.12.2008 führte der Beklagte sodann eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Ltd. durch. In deren Rahmen trat der Kläger ausweislich Tz. I.6. des Prüfungsberichts vom 04.03.2009 gegenüber der Prüferin als „director“ der Ltd. auf und erteilte für diese – neben einer Frau Steuerberaterin F – Auskünfte.

Nach den Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung wies die Buchführung der Ltd. erhebliche Mängel auf. Neben fehlenden Kassenaufzeichnungen, der Nichtverbuchung von Barvorgängen und ungeklärten Geldeingängen in den Monaten September und Oktober 2007 i.H.v. insgesamt … € wurden u.a. fehlende Ausgangs- und Wareneingangsrechnungen festgestellt. Während der laufenden Prüfung wurden von der Ltd. für 2006 berichtigte und für das I./II. Quartal 2008 erstmalige Umsatzsteuer-Voranmeldungen eingereicht, wobei letztere jedoch keine steuerpflichtigen Umsätze auswiesen. Die Prüferin legte daraufhin für 2006 die von der Ltd. nachgereichten berichtigten Voranmeldungen mit erklärten Umsätzen i.H.v. … €, erhöht um aufgrund fehlenden Belegnachweises nicht anzuerkennende steuerfreie Umsätze von … €, zugrunde. Für 2007 und das I./II. Quartal 2008 wurden die Besteuerungsgrundlagen ausgehend von den während der Prüfung festgestellten, nach Auskunft der Klägerin auf Lieferungen beruhenden ungeklärten Geldeingängen aus September/Oktober 2007 i.H.v. … € für das III. und IV. Quartal 2007 auf … € und für das I. und II. Quartal 2008 auf jeweils … € geschätzt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 04.03.2009 Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 12.03.2009 teilte Herr Steuerberater B gegenüber dem Beklagten mit, dass er das Mandat für die Ltd. zum 10.03.2009 niedergelegt habe und um Löschung seiner Empfangsvollmacht bitte.

Der Beklagte erließ aufgrund der Umsatzsteuer-Sonderprüfung daraufhin am 16.03.2009 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. und II. Quartal 2008 mit Steuerfestsetzungen über … € (I. Quartal 2008) bzw. … € (II. Quartal 2008). Am 17.03.2009 ergingen ferner erstmalige Umsatzsteuerjahresbescheide für 2006 und 2007, mit denen die Steuer auf … € (2006) bzw. …€ (2007) festgesetzt wurde. Sämtliche Bescheide waren adressiert an „Herrn B (…) als Empfangsbevollmächtigter für Firma H“.

Am 24.03.2009 erließ der Beklagte einen ebenfalls auf Schätzungen beruhenden Körperschaftsteuerbescheid für 2007, mit dem die Steuer auf …€ festgesetzt wurde. Auch dieser Bescheid war adressiert an „Herrn B (…) als Empfangsbevollmächtigter für Firma H“.

Gegen die Umsatzsteuerjahresbescheide für 2006 und 2007 sowie den Körperschaftsteuerbescheid für 2007 legte der Kläger mit Schreiben vom 17.04.2009 im Namen und unter dem Briefkopf der Ltd. jeweils fristgerecht Einspruch ein. Zur Begründung der gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2006 und 2007 gerichteten Einsprüche führte er dabei aus, er bitte um Verständnis dafür, dass die Ltd. all ihre Aufwendungen, Zahlungen an Dritte und Ausgaben erfasst haben wolle, bevor der Beklagte endgültige Bescheide über Umsatzsteuer für 2006 und 2007 erstellen könne. Eine weitergehende Begründung erfolgte trotz Aufforderung durch den Beklagten nicht. Der Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid für 2007 blieb gänzlich unbegründet.

Am 12.05.2009 wurde die Ltd. von Amts wegen aus dem britischen Unternehmensregister gelöscht (sog. „striking off“). Die Eintragung ihrer inländischen Zweigniederlassung im deutschen Handelsregister blieb ungeachtet dessen zunächst bestehen.

Da die Ltd. auch für das III. und IV. Quartal 2008 keine Steueranmeldungen abgegeben hatte, schätzte der Beklagte wiederum die diesbezüglichen Besteuerungsgrundlagen und erließ am 28.05.2009 entsprechende Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide über jeweils …€. Für das I. Quartal 2009 erging mangels Abgabe einer Steueranmeldung am 28.05.2009 ebenfalls ein auf Schätzungen beruhender Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid mit einer Festsetzung über … €. Die vorgenannten Bescheide standen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und waren nunmehr adressiert an den Kläger „(…) als gesetzlicher Vertreter von Firma H“. Einsprüche wurden gegen die Bescheide nachfolgend nicht eingelegt.

Mit Einspruchsentscheidungen vom 24.07.2009 wies der Beklagte die Einsprüche der Ltd. gegen die Umsatzsteuerjahresbescheide für 2006 und 2007 sowie den Körperschaftsteuerbescheid für 2007 jeweils als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidungen waren an den Kläger adressiert und wiesen im Rubrum die Ltd. unter der Geschäftsanschrift ihrer deutschen Zweigniederlassung in M aus. Eine Klage wurde nachfolgend weder gegen die Einspruchsentscheidung zur Umsatzsteuer 2006 und 2007 noch gegen die die Körperschaftsteuer 2007 betreffende Einspruchsentscheidung erhoben.

Da auch im weiteren Verlauf keine Steueranmeldungen von der Ltd. abgegeben worden waren, erließ der Beklagte am 26.08.2009 und 23.09.2009 auf Schätzungen beruhende Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das II. Quartal 2009 (… €) sowie den Monat Juli 2009 (… €). Diese wurden nicht mit dem Einspruch angegriffen.

Die Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuerschulden für die Jahre 2006, 2007 sowie die festgesetzten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für den Zeitraum I. Quartal 2008 bis II. Quartal 2009 und den Monat Juli 2009 wurden von der Ltd. nicht beglichen. Daraufhin stellte der Beklagte mit Schreiben vom 14.08.2009 eine Haftungsvoranfrage bezüglich der zu diesem Zeitpunkt rückständigen Steuern und steuerlichen Nebenleistungen der Ltd. i.H.v. insgesamt … € an den Kläger. Nachdem diese unbeantwortet geblieben war, übersandte der Beklagte wegen zwischenzeitlicher Erhöhung der Rückstände bis auf insgesamt … € am 10.12.2009 eine erneute Anfrage an den Kläger, welche dieser jedoch ebenfalls unbeantwortet ließ.

Am 19.05.2010 wurde die inländische Zweigniederlassung der Ltd. von Amts wegen nach § 395 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) wegen Unzulässigkeit aus dem deutschen Handelsregister gelöscht.

Mit Schreiben vom 07.07.2010, 14.07.2010 und 11.01.2011 stellte der Beklagte jeweils Haftungsvoranfragen an Herrn W und Frau Q. Frau Q verwies den Beklagten hierauf mit Antwortschreiben vom 15.07.2010 auf Herrn W, der die Gesellschaft allein geführt habe. Sie selbst habe weder eine Kontovollmacht der Ltd. besessen noch stünden ihr Unterlagen der Gesellschaft zur Verfügung, die es ihr ermöglichten, zu irgendwelchen Umsätzen oder Zahlungen Auskunft zu geben.

Unter dem 13.01.2011 erließ der Beklagte sodann den vorliegend streitgegenständlichen Haftungsbescheid gegenüber dem Kläger, mit welchem er diesen – gestützt auf §§ 191, 69, 34 der Abgabenordnung (AO) – mit einer Quote von 100 % für Steuerrückstände der Ltd. i.H.v. insgesamt … € (Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag 2006 und 2007, Umsatzsteuer 2006 und 2007, Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das I. Quartal 2008 bis II. Quartal 2009 sowie Juli 2009, jeweils zzgl. steuerlicher Nebenleistungen) in Anspruch nahm. Zur Begründung verwies der Beklagte u.a. darauf, dass der Kläger laut Gesellschafterbeschluss vom 06.07.2007 in der Zeit vom 06.07.2007 bis zum 19.05.2010 Geschäftsführer der Ltd. gewesen sei. Eine wirksame Niederlegung seines Geschäftsführeramtes habe er nicht nachgewiesen. Indem der Kläger Steuererklärungen und -anmeldungen für die Ltd. nicht abgegeben und deren Steuerschulden nicht bezahlt habe, habe er die ihn als Geschäftsführer treffenden steuerlichen Pflichten zumindest grob fahrlässig verletzt. Der Haftungszeitraum beginne am 03.10.2007 und ende am 19.05.2010. Dass der Kläger trotz des Schreibens des Beklagten vom 10.12.2009 keine Entschuldigungsgründe für seine Versäumnisse vorgetragen habe, lasse den Schluss zu, dass er die Steuerschulden der Ltd. trotz vorhandener Mittel nicht beglichen habe. Neben dem Kläger sei auch Herr W in vollem Umfang zur Haftung herangezogen worden, weil auch er seinen steuerlichen Verpflichtungen für die Gesellschaft nicht nachgekommen sei. Es sei davon auszugehen, dass er und der Kläger in gleichem Maße für die Steuerrückstände verantwortlich seien. Die ständige Vertreterin Frau Q sei demgegenüber nicht zur Haftung herangezogen worden, weil sie keine geschäftlichen Handlungen für die Ltd. getätigt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftungsbescheid vom 13.01.2011 und den diesem beigefügten Kontoauszug Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 11.02.2011 teilte Herr W dem Beklagten auf dessen Haftungsvoranfrage vom 11.01.2011 mit, dass die Gesellschaft während der Zeit seiner Bestellung keine Gewinne erzielt habe. Weitere Angaben könne er nicht machen, da sich sämtliche Unterlagen bei dem ab dem 12.07.2007 zum Geschäftsführer bestellten Kläger befänden.

Mit Schreiben vom 12.02.2011 legte der Kläger gegen den ihm gegenüber ergangenen Haftungsbescheid vom 13.01.2011 fristgerecht Einspruch ein. Zu dessen Begründung trug er vor, er habe seinen mit der Ltd. geschlossenen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag wegen Nichtzahlung der vereinbarten Geschäftsführergehälter für die Monate Februar bis Juni 2008 bereits mit Wirkung zum 01.07.2008 gekündigt. Zum Nachweis übersandte er die Kopie eines in seinem Namen an die Geschäftsadresse der Ltd. in E gerichteten Kündigungsschreibens vom 05.06.2008, mit welchem er die fehlenden Gehaltszahlungen anmahnte und die sofortige Löschung seiner Handelsregistereintragung als Geschäftsführer verlangte. Ferner trug der Kläger mit dem Einspruch vor, aufgrund der zwischenzeitlichen Löschung der Ltd. aus dem Register der Hauptniederlassung könne eine Zweigniederlassung im Inland bereits begrifflich nicht mehr bestehen. Die Zweigniederlassung selbst sei mittlerweile ebenfalls aus dem Handelsregister gelöscht. Alle geschäftlichen und finanziellen Entscheidungen – auch für die deutsche Zweigniederlassung – sowie sämtliche steuerlichen Angelegenheiten habe zudem allein Herr W getroffen. Eine Vollmacht für das Firmenkonto der Ltd. habe er, der Kläger, nicht besessen. Er sehe sich außerdem außer Stande, irgendwelche Zahlungen für die Ltd. zu leisten, da er seit der Kündigung seiner Geschäftsführerstellung von Hartz IV lebe und die eidesstattliche Versicherung habe abgeben müssen.

Der Beklagte erwiderte hierauf mit Schreiben vom 18.04.2011, die dem Haftungsbescheid zugrunde gelegten Steuerrückstände der Ltd. beträfen – mit Ausnahme der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das II. Quartal 2009 sowie für Juli (bis – wohl versehentlich genannt – Dezember) 2009 sämtlich den Zeitraum vor der am 12.05.2009 erfolgten Löschung des Hauptsitzes der Ltd. aus dem englischen Unternehmensregister. Sie seien entstanden, als sowohl die englische Hauptniederlassung als auch die deutsche Zweigniederlassung noch bestanden hätten. Eine wirksame Niederlegung des Geschäftsführeramtes bereits zum 01.07.2008 habe der Kläger zudem nicht nachgewiesen. Zwar habe er die Kopie eines Kündigungsschreibens eingereicht, jedoch keinen Beweis dafür vorgelegt, dass die Kündigung auch bei dem Vertreter der Ltd. eingegangen und damit wirksam geworden sei.

Mit Haftungsbescheid vom 21.04.2011 nahm der Beklagte auch Herrn W i.H.v. … € für die Steuerschulden der Ltd. in Anspruch.

Mit weiterem Erörterungsschreiben vom 24.07.2013 forderte der Beklagte den Kläger auf, die Wirksamkeit der Kündigung seines Geschäftsführeramtes nachzuweisen. Ferner wies er darauf hin, dass der Kläger im Rahmen der ab dem 01.12.2008 bei der Ltd. durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung noch Auskünfte für die Firma erteilt habe, was im Widerspruch zu der seinerseits behaupteten Kündigung zum 01.07.2008 stehe. Der geforderte Nachweis wurde vom Kläger nachfolgend nicht vorgelegt.

Mit Einspruchsentscheidung vom 09.09.2013 beschränkte der Beklagte die Haftung des Klägers auf die bis zur Löschung der Ltd. am 12.05.2009 entstandenen Steuerrückstände wegen Körperschaftsteuer 2006 und 2007, Umsatzsteuer 2006 und 2007 sowie Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für den Zeitraum I. Quartal 2008 bis I. Quartal 2009, jeweils zzgl. steuerlicher Nebenleistungen. Aufgrund des zwischenzeitlichen Zinslaufs ergab sich hieraus trotz Reduzierung des Haftungsumfangs eine Erhöhung der Haftungssumme auf … €. Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Die Haftung des Klägers ergebe sich allein aus seiner nominellen Bestellung zum Geschäftsführer und ohne Rücksicht darauf, ob die Geschäftsführung auch tatsächlich ausgeübt werden könne und werden solle. Indem er die fälligen Steuern nicht aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet habe, habe er die ihm obliegenden Pflichten verletzt und hierdurch einen Haftungsschaden in Form des Steuerausfalls verursacht. Die dem Kläger obliegenden Pflichten seien ferner bereits dadurch verletzt worden, dass er die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 2008, die Umsatzsteuerjahreserklärungen 2006 und 2007 und die Körperschaftsteuererklärungen 2006 und 2007 nicht bzw. nicht rechtzeitig eingereicht habe. Da er die Haftungsanfragen des Beklagten unbeantwortet gelassen habe und insoweit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, sei der Ansatz einer Haftungsquote von 100 % nicht zu beanstanden. Das Auswahlermessen sei zutreffend ausgeübt worden, indem neben dem Kläger (nur) der Gesellschafter-Geschäftsführer W in vollem Umfang herangezogen, die ständige Vertreterin Q aber nicht in Haftung genommen worden sei, weil sie keine geschäftlichen Handlungen für die Steuerschuldnerin getätigt habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 09.09.2013 (Bl. 15 GA) Bezug genommen.

Hiergegen erhob der Kläger am 10.10.2013 fristgerecht Klage. Zu deren Begründung trägt er vor: Einziger Haftungsschuldner sei der gleichfalls herangezogene W. Er, der Kläger, stehe demgegenüber haftungsrechtlich der Frau Q gleich. Wie diese habe er keine geschäftlichen Handlungen für die Firma getätigt und sei auch in keiner Weise in der Lage gewesen, solche Geschäfte zu tätigen. Diesbezüglich verweist der Kläger auf eine in englischer Sprache verfasste Bestätigung der Sparkasse M vom 10.07.2007 (vgl. Bl. 22 GA), ausweislich derer W seit der Eröffnung der dort geführten Fremdwährungs- und Geschäftskonten der Ltd. im Jahr 2006 alleiniger Verfügungsberechtigter über diese Konten gewesen sei. Vor diesem Hintergrund ermangelte es ihm, dem Kläger, an einer zentralen Geschäftsführereigenschaft, nämlich der grundsätzlichen Verfügungsmöglichkeit über das Vermögen der Gesellschaft. Dies werde auch durch das vorgelegte Schreiben über die Kündigung seines Arbeitsvertrags vom 05.06.2008 gestützt, in welchem als Kündigungsgrund u.a. angegeben sei, dass er von der Gesellschaft kein Entgelt erhalten habe. Hätte er aber die für eine Geschäftsführerstellung notwendigen Kompetenzen besessen, so hätte ihm auch diejenige zustehen müssen, sich selbst das ihm zustehende Gehalt zu überweisen.

Da der streitgegenständliche Haftungsbescheid in 2011, d.h. vor mehr als sieben Jahren ergangen sei, müsse die Forderung des Beklagten nach so langer Zeit doch ohnehin verjährt sein und es stelle sich die Frage, ob der Eigentümer der Gesellschaft, W, eigentlich jemals in Anspruch genommen worden sei. Er selbst sei nur „zum Schein“ als Geschäftsführer angestellt gewesen, um als gebürtiger S bei Bedarf nach Anweisung des eigentlichen Geschäftsführers und Eigentümers, der der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sei, für diesen zu dolmetschen. Inzwischen befinde er sich zudem in der Privatinsolvenz und habe kein Geld.

Der Kläger beantragt,

den Haftungsbescheid vom 13.01.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.09.2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend hierzu vor: Wenn der Kläger keine Kontovollmacht besessen habe, so hätte er den Vollmachtsinhaber anweisen müssen, die fälligen Zahlungen rechtzeitig für die Gesellschaft zu leisten. Diesbezüglich habe der Geschäftsführer eine Kontroll- bzw. Überwachungsfunktion, welcher der Kläger nicht nachgekommen sei. Trotz mehrfacher Aufforderung habe er zudem bis heute nicht nachgewiesen, dass das von ihm vorgelegte Kündigungsschreiben wirksam geworden sei. Die Tatsache, dass der Kläger im Rahmen der bei der Ltd. durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung noch Auskünfte erteilt habe, weise auf die Nichtwirksamkeit seiner Kündigung hin. Hinsichtlich des erhobenen Einwands der Verjährung legt der Beklagte eine gegenüber dem seinerzeitigen Arbeitgeber des Klägers ergangene, mit einer positiven Drittschuldnererklärung beantwortete Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 07.05.2014 vor.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dem Gericht u.a. ein handschriftlich mit dem Namen des Klägers unterzeichnetes Exemplar des an die Ltd. gerichteten Kündigungsschreibens vom 05.06.2008 und die Abschrift eines Beschlusses des Amtsgerichts I vom 11.07.2018 in dem Insolvenzeröffnungsverfahren (Az. …) über das Vermögen einer Firma H (haftungsbeschränkt) vorgelegt, deren ehemaliger Gesellschafter-Geschäftsführer und nunmehriger Liquidator er ist. Mit dem vorgenannten Beschluss wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und zusätzlich angeordnet, dass Verfügungen der Gesellschaft nur mit dessen Zustimmung wirksam sind (§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. der Insolvenzordnung –    InsO). Kopien der vorgenannten Unterlagen wurden zur Gerichtsakte genommen; wegen der Einzelheiten wird auf diese Bezug genommen.

Zur Frage der Wirksamkeit der Kündigung seines Geschäftsführer-Anstellungsvertrags gegenüber der Ltd. hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgetragen, er habe Herrn W ein „Original“ des Kündigungsschreibens vom 05.06.2008 persönlich übergeben und das dem Gericht vorgelegte weitere „Original“ für seine Unterlagen behalten. Im Rahmen der bei der Ltd. ab dem 01.12.2008 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung sei er trotz vorheriger Kündigung seiner Geschäftsführerstellung noch als Vertreter der inländischen Zweigniederlassung aufgetreten, weil er vom Beklagten zu dieser Prüfung „geladen“ worden sei.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Der Senat war nicht aufgrund einer Verfahrensunterbrechung gemäß § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 240 der Zivilprozessordnung (ZPO) an einer Entscheidung in der Sache gehindert.

Nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 240 ZPO wird das anhängige Klageverfahren im Falle der Eröffnung eines die Insolvenzmasse betreffenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers kraft Gesetzes unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Entsprechendes gilt, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Insolvenzschuldners auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht (Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbots, § 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. InsO).

Vorliegend wurde zwar gemäß dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Beschluss des Amtsgerichts I vom 11.07.2018 in dem Verfahren … ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Das vorgenannte Insolvenzeröffnungsverfahren betrifft jedoch nicht den Kläger persönlich, sondern die Firma H (haftungsbeschränkt) als zwar vom Kläger beherrschte, aber rechtlich selbständige juristische Person. Zudem wurde in dem Beschluss kein allgemeines Verfügungsverbot gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alt. InsO verhängt, sondern lediglich ein Zustimmungsvorbehalt i.S.v. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO. Dass – wie von ihm vorgetragen – ein (Privat-)Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers anhängig wäre, vermochte das Gericht anhand der im Internet zugänglichen amtlichen Insolvenzbekanntmachungen des Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen nicht festzustellen. Der Kläger hat hierzu auch weder im vorbereitenden Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung Unterlagen vorgelegt.

II. Der angefochtene Haftungsbescheid vom 13.01.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.09.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Zu Recht hat der Beklagte den Kläger für die aus dem Betrieb ihrer inländischen Zweigniederlassung resultierenden und bis zu ihrer Löschung am 12.05.2009 entstandenen Steuerschulden der Ltd. gemäß §§ 191, 69, 34 AO in Haftung genommen.

1. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme durch Haftungsbescheid ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zweigliedrig (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13.04.1978 – V R 109/75, BStBl II 1978, 508; vom 11.03.2004 – VII R 52/02, BStBl II 2004, 579; vom 20.09.2016 – X R 36/15, BFH/NV 2017, 593, jeweils m.w.N.). Das Finanzamt hat auf der ersten Stufe zunächst zu prüfen, ob in der Person, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine durch das Gericht voll überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamtes an, ob (Entschließungsermessen) und – wenn ja – wen (Auswahlermessen) es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 FGO auf Ermessensfehler überprüfbar.

2. Nach der vorliegend herangezogenen Haftungsvorschrift des § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Dazu zählt gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten. Die gleichen Pflichten treffen die Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO, soweit sie sie rechtlich und tatsächlich erfüllen können.

Die Haftung nach § 69 AO umfasst alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i.S.d. § 37 Abs. 1 AO und damit auch steuerliche Nebenleistungen i.S.v. § 3 Abs. 4 AO einschließlich Säumniszuschlägen, Verspätungszuschlägen und Zinsen.

3. Dies zugrunde gelegt hat der Beklagte die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme des Klägers nach § 69 Satz 1 AO auf erster Stufe zutreffend als in dessen Person erfüllt angesehen.

Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 69 Satz 1 AO gehört neben der Existenz der Steuerverbindlichkeiten, für die der Kläger in Haftung genommen werden soll, die Feststellung, dass er eine der in §§ 34, 35 AO genannten Personen war oder ist, er vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Pflichtverletzung i.S.d. § 69 Satz 1 AO begangen hat und diese ursächlich für den Haftungsschaden geworden ist.

a) Hinsichtlich der erstgenannten Voraussetzung der Existenz der Steuerschuld steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die der Haftungsinanspruchnahme des Klägers zugrunde gelegten Steuerverbindlichkeiten der Ltd. dem Grunde und der Höhe nach bestehen.

aa) Soweit der Kläger für die mit Bescheid vom 30.05.2008 festgesetzte Körperschaft- steuer 2006 in Haftung genommen worden ist, ist die materielle Rechtmäßigkeit dieser Primärschuld inhaltlich nicht mehr zu prüfen. Der Kläger muss insoweit die unanfechtbaren Steuerfestsetzungen gegenüber der Ltd. nach § 166 AO gegen sich gelten lassen.

(1) Ein Haftungsschuldner, gegen den ein Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO erlassen worden ist, kann aufgrund der Akzessorietät der Steuerschuld für die Haftungsschuld im Haftungsverfahren grundsätzlich nicht nur Einwendungen gegen die Haftungsschuld vorbringen, sondern auch Einwendungen gegen die Steuerschuld erheben, für die er als Haftender in Anspruch genommen wird. Er kann insbesondere rügen, die Steuerschuld bestehe dem Grunde oder der Höhe nach nicht oder nicht mehr (vgl. BVerfG-Beschluss vom 29.11.1996 – 2 BvR 1157/93, BStBl II 1997, 415 mit Hinweisen auf die ältere Rechtsprechung des BFH sowie die ältere Literatur; vgl. auch Nachweise bei Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO (Stand: Januar 2014) Rn. 132). Dieser Grundsatz wird jedoch durch die Regelung des § 166 AO (sog. Drittwirkung der Steuerfestsetzung) durchbrochen. Gemäß § 166 AO hat eine gegenüber dem Steuerpflichtigen unanfechtbar festgesetzte Steuer neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch derjenige gegen sich gelten zu lassen, der in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten. § 166 AO ist eine Vereinfachungsnorm (vgl. FG Köln, Urteile vom 05.12.2013 – 13 K 636/09, EFG 2014, 703 und vom 13.10.2011 – 13 K 2582/07, EFG 2012, 778 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Das Haftungsverfahren soll dem von § 166 AO erfassten Haftungsschuldner keine erneute Überprüfungsmöglichkeit hinsichtlich der Steuerfestsetzungen verschaffen, weil er bereits zur Anfechtung der Steuerfestsetzung befugt war oder diese bereits – erfolglos – angefochten hat (vgl. BFH-Urteil vom 06.04.2016 – I R 19/14, BFH/NV 2016, 1491). Soweit § 166 AO eingreift, soll daher das Haftungsverfahren von den Fragen der materiellen Richtigkeit der Steuerfestsetzungen befreit werden. Die Regelung dient damit der Vereinfachung der Verfahrensabläufe. Hierdurch erleidet der Haftungsschuldner auch keinen Rechtsverlust, da er sich der Möglichkeit der Einlegung eines formellen Rechtsbehelfs selbst begeben hat oder bereits eine unanfechtbare Entscheidung über die Rechtsbehelfe gefallen ist.

(2) Nach Maßgabe dieser Grundsätze könnte der Kläger im vorliegenden Haftungsverfahren mit etwaigen – tatsächlich von ihm allerdings nicht erhobenen – Einwendungen gegen die Steuerschulden der GmbH, soweit diese aus der Festsetzung der Körperschaftsteuer 2006 resultieren, nicht gehört werden.

Die Körperschaftsteuer 2006 ist durch den zutreffend an den seinerzeitigen Empfangsbevollmächtigten der Ltd., Herrn Steuerberater B, adressierten (vgl. §§ 80 Abs. 3, 122 Abs. 1 Satz 3 AO i.d.F. des Jahres 2008 und die Rechtsprechung zur Reduzierung des der Finanzbehörde danach eingeräumten Ermessens auf Null; z.B. BFH-Beschluss vom 21.10.2009 – IX R 36/08, juris und BFH-Urteil vom 09.06.2005 – IX R 25/04, BFH/NV 2006, 225) Bescheid vom 30.05.2008 wirksam gegenüber der zu diesem Zeitpunkt unstreitig noch existenten Ltd. festgesetzt worden. Der Kläger war als durch Gesellschafterbeschluss vom 06.07.2007 bestellter „director“ und ständiger Vertreter der inländischen Zweigniederlassung der Ltd. auch während der gesamten Dauer der nach Erlass des vorgenannten Bescheids laufenden einmonatigen Einspruchsfrist rechtlich dazu befugt, diesen anzufechten (vgl. zur Stellung des Klägers als gesetzlicher Vertreter der Ltd. im Einzelnen sogleich). Da er die gegen die Ltd. gerichtete Körperschaftsteuerfestsetzung für 2006 als deren Vertreter jedoch nicht angefochten hat, sind ihm etwaige Einwendungen gegen diese Steuerforderung im vorliegenden Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid abgeschnitten.

Dass der Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, ist insoweit ohne Bedeutung, da § 166 AO auf die Unanfechtbarkeit, nicht auf die Unabänderbarkeit abstellt. Maßgeblich ist somit die „formelle Bestandskraft“, nicht die „materielle Bestandskraft“ der Steuerfestsetzung (vgl. BFH-Urteile vom 22.04.2015 – XI R 43/11, BStBl II 2015, 755; vom 24.08.2004 – VII R 50/03, BStBl II 2005, 127).

bb) Im Übrigen, d.h. soweit der Kläger für die Umsatzsteuer für 2006 und 2007, die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für den Zeitraum I. Quartal 2008 bis I. Quartal 2009 und die Körperschaftsteuer 2007 in Haftung genommen wurde, greift § 166 AO hingegen nicht ein, da die zugrunde liegenden Bescheide

-          teils an den falschen Bekanntgabeempfänger adressiert wurden und daher nicht gegenüber der Ltd. wirksam geworden sind (dazu nachfolgend unter (1)),

-          teils – nach Heilung des ihnen anhaftenden Bekanntgabemangels – vom Kläger im Namen der Ltd. angefochten wurden (dazu nachfolgend unter (2)) und

-          teils zwar an den zutreffenden Bekanntgabeempfänger adressiert wurden sowie gegenüber der Ltd. wirksam geworden sind, vom Kläger aber mangels aktiver Vertretungsmacht für die Ltd. nicht angefochten werden konnten.

(1) Hinsichtlich der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das I. und II. Quartal 2008 fehlt es schon an einer wirksamen Bekanntgabe der zugrunde liegenden Bescheide und damit an einer wirksamen „Steuerfestsetzung“ gegenüber der Ltd. i.S.d. § 166 AO.

Die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das I. und II. Quartal 2008 wurden mit Bescheiden vom 16.03.2009, jeweils adressiert an Herrn Steuerberater B als Empfangsbevollmächtigten der Ltd., festgesetzt. Dieser hatte dem Beklagten gegenüber jedoch kurz zuvor mit Schreiben vom 12.03.2009 das Mandat für die Ltd. niedergelegt. Im Außenverhältnis zum Beklagten führte dies ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit seiner Kündigung im Innenverhältnis zum Erlöschen seiner Vollmacht für das finanzbehördliche Verwaltungsverfahren (vgl. Söhn in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 80 AO (Stand: September 2017) Rn. 183; Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 80 AO (Stand: April 2017) Rn. 34; jeweils m.w.N., auch aus der Rechtsprechung). Der Beklagte hätte dem früheren Bevollmächtigten gegenüber daher ab der Mitteilung über seine Mandatsniederlegung keine Verfahrenshandlungen mit Wirkung für und gegen die Ltd. mehr vornehmen, insbesondere an ihn keine Bescheide als Empfangsbevollmächtigten der Ltd. mehr bekannt geben dürfen. Die Bekanntgabe der vom 16.03.2009 datierenden Bescheide an den falschen Adressaten hatte zur Folge, dass die Wirkungen des § 124 Abs. 1 Satz 1 AO nicht eintreten konnten und die Bescheide gegenüber der Ltd. als Inhaltsadressatin nicht wirksam geworden sind. Dem Kläger wäre es im Haftungsverfahren daher auch nicht nach § 166 AO verwehrt gewesen, Einwendungen gegen Grund und Höhe der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das I./II. Quartal 2008 geltend zu machen.

(2) Hinsichtlich der Umsatzsteuer 2006 und 2007 und der Körperschaftsteuer 2007 liegen zwar „unanfechtbare Steuerfestsetzungen“ gegenüber der Ltd. i.S.d. § 166 AO vor, der Kläger hatte diese jedoch jeweils wirksam mit dem Einspruch angefochten und war nachfolgend nicht in der Lage, gegen die Einspruchsentscheidungen vom 24.07.2009 in Namen der Ltd. Klage zu erheben.

Die vom 17.03.2009 datierenden Bescheide über Umsatzsteuer 2006 und 2007 und Körperschaftsteuer 2007 wurden ebenso wie die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I. und II. Quartal 2008 trotz der dem Beklagten kurz zuvor angezeigten Mandatsniederlegung fälschlicherweise an den früheren Steuerberater der Ltd. als Bevollmächtigten bekannt gegeben und litten daher, wie vorstehend ausgeführt, (zunächst) an einem Bekanntgabemangel. Dieser Mangel wurde allerdings dadurch geheilt, dass der Kläger als zutreffender Bekanntgabeadressat die Bescheide – wie durch die seinerseitige Einspruchseinlegung im Namen der Ltd. indiziert wird – offenkundig tatsächlich erhalten hat (Rechtsgedanke des § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG); vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 14.12.1989 – III R 49/89, BFH/NV 1991, 288; allgemein zur Heilung von Bekanntgabemängeln durch tatsächlichen Zugang beim zutreffenden Bekanntgabeempfänger vgl. Güroff in: Gosch, AO/FGO, § 122 AO (Stand: März 2017) Rn. 30 m.w.N.). Es liegen insoweit somit wirksame, nach Ablauf der Frist zur Klageerhebung gegen die Einspruchsentscheidungen vom 24.07.2009 unanfechtbare Steuerfestsetzungen gegenüber der Ltd. vor.

§ 166 AO entfaltet insofern gleichwohl keine Drittwirkung gegenüber dem Kläger, da er gegen die Bescheide noch vor Löschung der Ltd. aus dem britischen Unternehmensregister aufgrund seiner zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden aktiven Vertretungsmacht wirksam im Namen der Ltd. Einspruch eingelegt hat (zur Behauptung einer vorherigen Beendigung seiner Organstellung vgl. sogleich). Dass die Einsprüche von ihm nach Einlegung nicht weiter begründet wurden und er gegen die Einspruchsentscheidungen vom 24.07.2009 nachfolgend keine Klage erhoben hat, ist insoweit unschädlich: Zwar konnten die Einspruchsentscheidungen trotz zwischenzeitlicher, nach britischem Recht konstitutiver Löschung der Ltd. aus dem britischen Unternehmensregister dem Kläger gegenüber mit Wirkung für die Ltd. bekannt geben werden (passive Vertretungsmacht; zur konstitutiven Wirkung der Löschung einer britischen Limited aus dem Companies House vgl. Senatsurteil vom 08.10.2015 – 13 K 2932/14, EFG 2016, 388 Rn. 27 und FG Münster, Urteil vom 26.07.2011 – 9 K 3871/10 K, EFG 2012, 533). Dies folgt aus der Rechtsscheinhaftung nach §§ 15 Abs. 1 und 3; 13e Abs. 2 Satz 4, Satz 5 Nr. 3, Abs. 3a des Handelsgesetzbuchs (HGB), da der Kläger im deutschen Handelsregister weiterhin als „director“ der Ltd. und ständiger Vertreter ihrer Zweigniederlassung eingetragen war und es versäumt hat, die Löschung der Ltd. und das daraus resultierende Erlöschen seiner Vertretungsmacht gegenüber dem inländischen Handelsregister anzumelden. Infolgedessen entfaltete das Handelsregister Publizität zu seinen Lasten (vgl. Senatsurteil vom 08.10.2015 – 13 K 2932/14, EFG 2016, 388 Rn. 37 bis 41 m.w.N.). Ein Ausschluss der Handelsregisterpublizität aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen bestehenden positiven Kenntnis des Beklagten von der Löschung der Ltd. und des daraus folgenden Erlöschens der Vertretungsmacht des Klägers ist im Streitfall für das Gericht nicht feststellbar.

Dem Kläger mangelte es jedoch ab der Löschung der Ltd. aus dem britischen Unternehmensregister an einer aktiven Vertretungsmacht für die Gesellschaft, die ihn dazu befähigt hätte, die seinerseits wirksam für die Ltd. eingelegten Einsprüche gegen die Umsatzsteuerjahresbescheide für 2006 und 2007 sowie den Körperschaftsteuerbescheid 2007 weiter zu begründen und nach ihrer Zurückweisung Klage im Namen der Ltd. zu erheben. Der mit der Löschung der Ltd. eingetretene Verlust der aktiven Vertretungsmacht des Klägers kann insbesondere nicht durch eine analoge Anwendung des § 35 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) überwunden werden (vgl. dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 08.10.2015 – 13 K 2932/14, EFG 2016, 388 Rn. 26 bis 37 und 43 ff.). Im Ergebnis war somit zwar eine gegenüber der Ltd. wirksame Bekanntgabe der Einspruchsentscheidungen an den Kläger möglich, dieser war für die Ltd. aber nicht mehr klagebefugt. Im Rahmen der Haftungsinanspruchnahme des Klägers kommt dem Beklagten in dieser Konstellation § 166 AO nicht zugute, da der Kläger mit Löschung der Ltd. aus dem britischen Unternehmensregister rechtlich nicht mehr in der Lage war, den Eintritt der Unanfechtbarkeit der Umsatzsteuerfestsetzungen für 2006 und 2007 und der Körperschaftsteuerfestsetzung für 2007 durch Einlegung eines förmlichen Rechtsbehelfs zu verhindern (vgl. Senatsurteil vom 08.10.2015 – 13 K 2932/14, EFG 2016, 388 Rn. 46 f.).

(3) Hinsichtlich der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das III./IV. Quartal 2008 und das I. Quartal 2009 liegen zwar ebenfalls „unanfechtbare Steuerfestsetzungen“ i.S.d. § 166 AO vor, der Kläger konnte gegen diese jedoch im Namen der Ltd. keinen Einspruch einlegen.

Die vom 28.05.2009 datierenden Bescheide über Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das III./IV. Quartal 2008 und das I. Quartal 2009 waren nach Mandatsniederlegung durch den früheren Steuerberater der Ltd. zutreffend an den Kläger als Bekanntgabeempfänger adressiert. Aufgrund der zu seinen Lasten wirkenden Publizität des Handelsregisters konnten sie auch mit Wirkung für und gegen die bereits gelöschte Ltd. an den Kläger bekannt gegeben werden. Mangels aktiver Vertretungsmacht für die Ltd. war der Kläger aber rechtlich nicht i.S.d. § 166 AO „in der Lage“, die gegen die Ltd. erlassenen Bescheide vom 28.05.2009 als deren Vertreter oder Bevollmächtigter anzufechten. Die wirksamen unanfechtbaren Festsetzungen der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das III./IV. Quartal 2008 und das I. Quartal 2009 gegenüber der Ltd. haben somit keine Drittwirkung gegenüber dem Kläger. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die vorstehenden Ausführungen zur Rechtsscheinhaftung nach §§ 15 Abs. 1 und 3; 13e Abs. 2 Satz 4, Satz 5 Nr. 3, Abs. 3a HGB und zum Bestehen passiver Vertretungsmacht bei fehlender aktiver Vertretungsmacht nach Löschung der Ltd. aus dem britischen Unternehmensregister verwiesen.

cc) Im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids ist nach alledem – wegen insoweit fehlender Anwendbarkeit des § 166 AO – inzident die materielle Rechtmäßigkeit der der Haftungsinanspruchnahme des Klägers zugrunde gelegten Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Ltd. für die Jahre 2006, 2007 und den Zeitraum I. Quartal 2008 bis I. Quartal 2009 sowie der Körperschaftsteuerschulden für 2007 zu prüfen. Der Senat hat nach Vornahme dieser Prüfung allerdings keinen Zweifel daran, dass die vorgenannten Steuerschulden sowohl dem Grunde nach als auch in der der Haftungsinanspruchnahme des Klägers zugrunde gelegten Höhe bestehen.

Die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners setzt aufgrund der Akzessorietät der Haftung grundsätzlich das materiell-rechtliche Bestehen einer fremden Steuerschuld (Erstschuld) voraus. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die Erstschuld gegen den Steuerschuldner wirksam festgesetzt worden ist (vgl. § 191 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 5 AO). Ein Haftungsbescheid kann somit ergehen, ohne dass zuvor ein wirksamer Steuerbescheid gegen den Erstschuldner ergangen ist (ständige Rechtsprechung; vgl. die Nachweise bei Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO (Stand: Januar 2014), Rn. 15 und Gehm in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 191 FGO (Stand: Februar 2018) Rn. 11). Der Umstand, dass es hinsichtlich der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das I. und II. Quartal 2008 – wie vorstehend ausgeführt – bereits an einer wirksamen Steuerfestsetzung gegenüber der Ltd. mangelt, ist für die diesbezügliche Haftungsinanspruchnahme des Klägers daher unschädlich.

Konkrete Einwendungen gegen die seiner Haftung zugrunde gelegten Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Ltd. für 2006, 2007 und den Zeitraum I. Quartal 2008 bis I. Quartal 2009 sowie Körperschaftsteuerschulden für 2007 wurden seitens des Klägers nicht geltend gemacht. Im Einspruchsverfahren wegen Umsatzsteuer 2006 und 2007 hat er lediglich vorgebracht, dass sämtliche „Aufwendungen, Zahlungen an Dritte und Ausgaben“ der Ltd. berücksichtigt werden müssten. Ein substantiierter Einwand gegen Grund und Höhe der Steuerschulden ist hierin nicht zu sehen. Anderweitige Anhaltspunkte für das Nichtbestehen der vorgenannten Steuern sind ebenso wenig ersichtlich. Insbesondere sind die insoweit seitens des Beklagten vorgenommenen Schätzungen nicht zu beanstanden. Aufgrund der im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Ltd. festgestellten Buchführungsmängel (fehlende Kassenaufzeichnungen, Nichtverbuchung von Barvorgängen, fehlende Ausgangs- und Wareneingangsrechnungen, ungeklärte Geldeingänge) war nach §§ 162 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2; 158 AO dem Grunde nach eine Schätzungsbefugnis des Beklagten eröffnet. Der Höhe nach hat sich der Beklagte bei seiner Schätzung einerseits an den von der Ltd. während der Prüfung eingereichten berichtigten Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 2006 (modifiziert um die aufgrund fehlenden Belegnachweises nicht anzuerkennenden steuerfreien Umsätze) und andererseits an den im Rahmen der Prüfung festgestellten, nach eigenen Angaben der Ltd. auf Warenlieferungen beruhenden Geldeingängen im September/Oktober 2007 orientiert. Angesichts der erheblichen Höhe (… €) dieser allein in den Monaten September/Oktober 2007 bei der Ltd. festgestellten Geldzuflüsse begegnen die Schätzungen des Beklagten aus Sicht des Senats keinen durchgreifenden Bedenken.

b) Die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme des Klägers nach § 69 Satz 1 AO hinsichtlich der damit nach Überzeugung des Senats bestehenden Steuerrückstände der Ltd. sind ebenfalls erfüllt.

aa) Der Kläger hatte als gesetzlicher Vertreter der Ltd. i.S.d. § 34 Abs. 1 AO vom 06.07.2007 bis zum 12.05.2009 deren steuerliche Pflichten zu erfüllen.

(1) Zu den juristischen Personen des Privatrechts, deren gesetzliche Vertreter unter § 34 Abs. 1 AO fallen, zählen auch Gesellschaften ausländischer Rechtsform, die den deutschen juristischen Personen entsprechen. Ihren Vertretungsorganen obliegt die Erfüllung der deutschen steuerlichen Pflichten der von ihnen Vertretenen (vgl. Schwarz in: Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 34 AO (Stand: Februar 2007) Rn. 7).

Ob es sich bei einer Gesellschaft ausländischen Rechts um eine juristische Person handelt und wer deren gesetzlicher Vertreter ist, richtet sich – auch im Rahmen des § 34 Abs. 1 AO – nach dem Gründungsrecht, wenn die Auslandsgesellschaft in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden ist (vgl. Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 34 AO (Stand: Juni 2014) Rn. 44; wegen der Einzelheiten vgl. Musil in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 11 AO (Stand: April 2014) Rn. 29 ff. mit Hinweisen auf die zugrunde liegende EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit). Für britische Gesellschaften, wie vorliegend für die Ltd., gilt insoweit daher selbst dann britisches Gesellschaftsrecht, wenn die Gesellschaft ausschließlich in der Bundesrepublik Deutschland tätig ist (vgl. BGH-Urteil vom 14.03.2005 – II ZR 5/03, GmbHR 2005, 630).

Nach herrschender Auffassung, welcher sich der erkennende Senat für Zwecke des § 34 Abs. 1 AO anschließt, erfolgt die gesetzliche Vertretung einer ausländischen juristischen Person in Form einer britischen Limited danach durch deren Direktoren (vgl. Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 34 AO (Stand: Juli 2015) Rn. 6 mit Verweis auf Althammer in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 51 Rn. 6; FG München, Urteil vom 08.03.2018 – 7 K 730/17, juris; FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.11.2015 – 9 V 9170/14, EFG 2016, 257; FG München, Beschluss vom 25.03.2010 – 14 V 244/10, GmbHR 2010, 951; Sächsisches FG, Urteil vom 29.05.2008 – 6 K 40/07, juris, mit Anmerkung von Cranshaw, jurisPR-InsR 25/2008 Anm. 6, der insoweit Sec. 40 des britischen Companies Act 2006 als Rechtsgrundlage nennt; FG München, Beschluss vom 26.04.2006 – 14 V 133/06, juris; Korts/Korts, BB 2005, 1474, 1476; vgl. im Kontext des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO ebenso: BFH-Beschluss vom 01.08.2014 – I B 129/13, BFH/NV 2014, 1767). Das Amt des „director“ einer Limited entspricht weitgehend dem des Geschäftsführers einer deutschen GmbH (vgl. Stöber, GmbHR 2006, 746). Gemäß Sec. 154 (1), 155 des britischen Companies Act 2006 muss eine Limited – ebenso wie die GmbH – mindestens einen „director“ in Form einer natürlichen Person haben. Seine Stellung als Vertretungsorgan der Gesellschaft wird dabei grundsätzlich durch den gesellschaftsrechtlichen Akt der Bestellung („appointment“) begründet (vgl. Sec. 157 ff. Companies Act 2006; zur Ausnahme für den bei Gründung zu bestellenden „first director“ sogleich), welche nach dem im Gesellschaftsvertrag festgelegten Bestimmungen erfolgt und in der Regel durch ordentlichen Beschluss („ordinary resolution“) der Gesellschafterversammlung („general meeting“) geschieht (vgl. Art. 17 (1) der „model articles for private companies“, Anhang 2 zum Companies Act 2006). Daneben kann mit dem „director“ ein schuldrechtlicher Anstellungsvertrag („service contract“) geschlossen werden (vgl. Sec. 227 ff. Companies Act).

Im Streitfall war der Kläger aufgrund des Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 06.07.2007 gemäß Art. I. (3) des Gesellschaftsvertrags („articles of association“) zum alleinigen „director“ der Ltd. bestellt und als solcher in das Handelsregister des Amtsgerichts L eingetragen worden. Als gesetzlicher Vertreter der Ltd. i.S.d. § 34 Abs. 1 AO hatte der Kläger somit ab dem 06.07.2007 die ihr nach der AO und den Einzelsteuergesetzen obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen. Die fehlende Eintragung seiner ab dem 06.07.2007 bestehenden Stellung als „director“ im britischen Unternehmensregister ist insoweit ohne Bedeutung: Zwar wird die Organstellung des bei Gründung einer Limited zu bestellenden ersten Geschäftsführers („first director“, vgl. Sec. 12 (1) (a) Companies Act 2006) mit ihrer Eintragung im Companies House begründet, da die Limited hierdurch erst als juristische Person entsteht. Im Gründungsstadium hat die Eintragung des „director“ im Companies House daher nach britischem Recht konstitutive Wirkung sowohl für die Existenz der Gesellschaft als auch für die Erlangung der Geschäftsführerstellung (vgl. Sec. 16 (6) (a) Companies Act 2006; ebenso Stöber, GmbHR 2007, 746 f., 752). Anders ist dies hingegen im Falle der nach Gründung einer Limited erfolgenden Bestellung eines weiteren oder anderen „director“. Bei dieser wird die Organstellung des „director“ nach britischem Recht allein durch den gesellschaftsrechtlichen Bestellungsakt (i.d.R. Beschluss der Gesellschafterversammlung, vgl. vorstehend) begründet; die Eintragung im Companies House (oder in dem nach Sec. 162 ff. Companies Act 2006 von der Gesellschaft gesondert zu führenden „register of directors“) ist – ebenso wie bei der für die deutsche GmbH in § 39 GmbHG vorgeschriebenen Eintragung in das Handelsregister – rein deklaratorisch.

(3) Die Verpflichtung des Klägers nach § 34 Abs. 1 AO bestand auch bis zu der nach britischem Recht konstitutiven Löschung der Ltd. aus dem britischen Unternehmensregister am 12.05.2009 fort. Der Senat kann nicht feststellen, dass die Organstellung des Klägers bereits zu einem früheren Zeitpunkt beendet worden wäre. Insbesondere ist eine solche Beendigung nicht durch die von ihm behauptete wirksame Kündigung seines Geschäftsführer-Anstellungsvertrags zum 01.07.2008 eingetreten.

Ebenso wie die Begründung der Organstellung des „director“ einer britischen Limited unterliegt auch deren Beendigung dem Gesellschaftsstatut und richtet sich bei einer in Großbritannien gegründeten Limited gemäß der sog. Gründungstheorie selbst dann nach britischem Recht, wenn die Gesellschaft ausschließlich in Deutschland tätig ist (vgl. bereits vorstehend). Nach britischem Recht ist – ebenso wie nach deutscher Rechtslage – zwischen der gesellschaftsrechtlichen Erlangung und Beendigung der Organstellung des Geschäftsführers einerseits und der schuldrechtlichen Begründung und Beendigung seines Geschäftsführer-Anstellungsvertrags andererseits zu trennen. Beide Rechtsverhältnisse sind in ihrer Entstehung und ihrem Fortbestand voneinander unabhängig (vgl. Stöber, GmbHR 2006, 746, 747). Die Beendigung der Organstellung des „director“ einer Limited erfolgt nach britischem Recht (nur) durch dessen Abberufung („removal“) seitens der Gesellschafterversammlung (vgl. Sec. 168 Companies Act 2006). Von dem gesellschaftsrechtlichen Akt der Abberufung zu unterscheiden ist die schuldrechtliche Beendigung eines mit dem „director“ geschlossenen Anstellungsvertrags. Mit der bloßen Beendigung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrags endet daher nicht zwangsläufig auch die Stellung des „directors“ als Organ der Gesellschaft. Anders als die gesellschaftsrechtliche Abberufung des „director“ als Organ einer in der Bundesrepublik Deutschland tätigen britischen Limited unterliegt die schuldrechtliche Beendigung seines Anstellungsvertrags zudem nach Art. 27 ff. des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch dem deutschem Recht (vgl. Stöber, GmbHR 2006, 746, 751 m.w.N.). Danach wird der rechtlich als Dienstvertrag i.S.d. §§ 611 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu qualifizierende Geschäftsführer-Anstellungsvertrag durch eine rechtmäßige Kündigung gemäß §§ 620 Abs. 2, 621 ff. BGB wirksam beendet.

Nach diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass die Organstellung des Klägers als „director“ der Ltd. vor dem Zeitpunkt der Löschung der Gesellschaft aus dem britischen Unternehmensregister beendet worden wäre. Eine hierfür nach britischem Recht erforderliche Abberufung durch die Gesellschafterversammlung der Ltd. wurde vom Kläger weder behauptet noch durch Vorlage entsprechender Unterlagen (Gesellschafterbeschluss über die Abberufung) belegt. Der Beklagte ist daher zu Recht von einer bis zur Löschung der Ltd. aus dem britischen Unternehmensregister fortbestehenden Vertreterfunktion des Klägers für die Ltd. ausgegangen. Die seitens des Klägers behauptete Kündigung seines mit der Ltd. geschlossenen Geschäftsführer-Anstellungsvertrags zum 01.07.2008 wäre, selbst wenn man diese als wirksam erachten wollte, aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit von gesellschaftsrechtlicher Organstellung und schuldrechtlicher Anstellung nicht geeignet, eine Beendigung seiner Stellung als gesetzlicher Vertreter der Ltd. auch für Zwecke der Haftung nach §§ 69, 34 AO zu bewirken.

Unabhängig davon bestehen aus Sicht des Senats aber auch erhebliche Zweifel an der vom Kläger behaupteten Wirksamkeit der Kündigung seines Geschäftsführer-Anstellungsvertrags. Zwar wurde von ihm ein entsprechendes Kündigungsschreiben vom 05.06.2008 vorgelegt und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass er dieses persönlich an den Alleingesellschafter der Ltd., Herrn W, ausgehändigt habe, womit die Kündigung wirksam geworden sei. Diesem Vortrag vermag das Gericht nach den Umständen des Streitfalles jedoch nicht zu folgen. Der Senat verkennt insoweit nicht, dass den Beklagten nach allgemeinen Grundsätzen die Feststellungslast für das Vorliegen der den Haftungstatbestand begründenden Voraussetzungen trifft. Die seitens des Klägers aufgestellte, in keiner Weise (z.B. durch eine unterzeichnete Empfangsbestätigung) belegte Behauptung einer wirksamen und ernst gemeinten Kündigung ist für den Senat jedoch aufgrund der neben dem Kündigungsschreiben vom 05.06.2008 vorliegenden weiteren Indizien (Auftreten des Klägers im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung ohne Hinweis auf eine bereits erfolgte Kündigung, Weiterreichung der an den Steuerberater bekannt gegebenen Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 und des Körperschaftsteuerbescheid 2007 an den Kläger und nachfolgende vorbehaltlose Einspruchseinlegung namens der Ltd., fehlende Thematisierung der Kündigung bis zum Einspruchsverfahren gegen den Haftungsbescheid, Behauptung der persönlichen Übergabe des Kündigungsschreibens erst in der mündlichen Verhandlung) nicht glaubhaft.

bb) Der Kläger hat ferner schuldhaft die ihn nach § 34 Abs. 1 AO treffenden steuerlichen Pflichten verletzt.

(1) Nach § 34 Abs. 1 AO hat der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person sämtliche sie treffenden steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Zu diesen zählt insbesondere die Pflicht zur Abgabe (zutreffender) Steuererklärungen und -anmeldungen sowie die Verpflichtung, fällige Steuern aus den von ihm zu verwaltenden Gesellschaftsmitteln zu entrichten. § 34 Abs. 1 Satz 2 AO stellt insoweit ausdrücklich klar, dass sich die Verpflichtung zur Steuerentrichtung nur auf die beim Vertretenen im Fälligkeitszeitpunkt tatsächlich vorhandenen Mittel erstreckt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 28.06.2005 – I R 2/04, GmbHR 2006, 48 m.w.N.) gilt dabei der Grundsatz, dass der Fiskus gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt werden darf. Selbst wenn eine Gesellschaft in Zahlungsschwierigkeiten gerät, gehört es nach diesem Gleichbehandlungsgedanken zu den Pflichten ihres gesetzlichen Vertreters, die Steuerschulden der Gesellschaft etwa in gleicher Weise zu tilgen wie deren übrige Schulden. Dieser von der Rechtsprechung ursprünglich zur Haftung nicht entrichteter Umsatzsteuer entwickelte Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt ebenso für die übrigen Steuern und Nebenleistungen, mit Ausnahme der Lohnsteuer. Im Ergebnis wird hierdurch dem Schadensersatzcharakter der Haftung Rechnung getragen, da der Haftungsschuldner nicht für etwas in Anspruch genommen werden kann, was der Steuerschuldner ohnehin nicht hätte leisten können (vgl. BFH-Beschluss vom 31.03.2000 – VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322; vom 25.08.2000 – VII B 30/00, BFH/NV 2001, 294).

Daneben unterliegt der gesetzliche Vertreter im Hinblick auf bereits erkennbare künftige Steuerschulden einer Mittelvorsorgepflicht. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 09.01.1997 – VII R 51/96, BFH/NV 1997, 324; vom 20.05.2014 – VII R 12/12, BFH/NV 2014, 1353) ist von ihm bereits vor Fälligkeit einer die Gesellschaft treffenden Steuer zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel der Gesellschaft zur Entrichtung erst künftig entstehender Steuern bereithält. Vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht unabhängig (vgl. BFH-Beschluss vom 11.11.2015 – VII B 74/15, BFH/NV 2016, 370; BFH-Urteil vom 09.01.1997 – VII R 51/96, BFH/NV 1997, 324).

(2) Im Streitfall hat der Kläger den ihn danach als „director“ der Ltd. treffenden steuerlichen Pflichten nicht genügt. Er hat es während seiner Bestellung als Geschäftsführer zum einen versäumt, die Umsatzsteuerjahreserklärungen für 2006 und 2007, (zutreffende) Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 2008 und 2009 sowie die Körperschaftsteuererklärung für 2007 für die Ltd. einzureichen. Die Zeitpunkte, zu denen diese Steuererklärungen und -anmeldungen abzugeben waren, fielen sämtlich in den Zeitraum, während dessen der Kläger zum alleinigen Geschäftsführer der Ltd. bestellt war, so dass er sich insoweit auch nicht darauf berufen kann, jemand anderes hätte für deren Abgabe Sorge tragen müssen. Zum anderen hat der Kläger nicht dafür gesorgt, dass die gegenüber der Ltd. festgesetzten Steuern – zumindest anteilig, wofür er im Zweifel hätte Vorsorge treffen müssen – aus den Gesellschaftsmitteln beglichen werden.

Dass die Liquiditätslage der Ltd. eine entsprechende Mittelvorsorge und zumindest anteilige Befriedigung der Steuerforderungen nicht zugelassen hätte, ist nicht ersichtlich. Zwar trägt grundsätzlich das Finanzamt die objektive Feststellungslast für den Nachweis der haftungsbegründenden Tatsache des Vorhandenseins ausreichender finanzieller Mittel (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 15.09.2006 – VII B 76/06, BFH/NV 2007, 185; BFH-Urteil vom 08.07.1982 – V R 7/76, BStBl II 1983, 249). Da bei der Feststellung der finanziellen Lage der Gesellschaft jedoch für das Finanzamt bzw. das Finanzgericht erhebliche Schwierigkeiten bestehen, zumal es um Verhältnisse geht, die im Wesentlichen in der Sphäre des Steuerpflichtigen liegen, ergibt sich aus den §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 AO und § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO insoweit eine entsprechende Mitwirkungspflicht zur Aufklärung des wahren Sachverhalts. In deren Rahmen obliegt es dem in Anspruch genommenen Haftungsschuldner, Auskunft zum Umfang vorhandener finanzieller Gesellschaftsmittel und zu deren Verwendung, insbesondere von in seinem Besitz befindlichen oder von ihm zu beschaffenden Unterlagen, zu erteilen. Zu diesem Zweck muss er substantiierte Angaben machen sowie Aufzeichnungen und Belege beibringen, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang die Gesellschaft im Haftungszeitraum Zahlungen an andere Gläubiger geleistet hat (vgl. BFH-Beschluss vom 11.07.2001 – I B 2/01, BFH/NV 2002, 6). Bei einer Verletzung der dem Haftungsschuldner insoweit obliegenden Pflichten ist das Finanzamt bzw. das Finanzgericht zu einer unter Umständen für ihn nachteiligen Schätzung berechtigt (vgl. BFH-Urteile vom 25.05.2004 – VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498 und vom 08.07.1982 – V R 7/76, BStBl II 1983, 249; BFH-Beschluss vom 31.03.2000 – VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322). Es bleibt dem Haftungsschuldner unbenommen, durch entsprechende Auskünfte zu einem für ihn günstigeren Ergebnis beizutragen. Allerdings hat er spätestens im finanzgerichtlichen Verfahren substantiierte Einwendungen gegen die seitens des Finanzamtes bezüglich der Liquiditätslage der Gesellschaft getroffenen Annahmen und die ermittelte Haftungsquote zu erheben. Die Folgen diesbezüglicher mangelhafter Mitwirkung hat er selbst zu tragen (vgl. BFH-Beschluss vom 22.06.2011 – VII S 1/11, n.v., m.w.N.).

Da der Kläger vorliegend weder im Klageverfahren noch in dem ggf. auch bei fristgerechten Erklärungen vorausgegangenen Verwaltungsverfahren substantiierte Angaben zu der finanziellen Situation der Ltd. gemacht hat und sich aus den Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung hinreichende Anhaltspunkte für in erheblicher Höhe vorhandene Gesellschaftsmittel ergeben, darf somit zu Lasten des Klägers davon ausgegangen werden, dass die Liquiditätslage der Ltd. bis zu ihrer Löschung am 12.05.2009 es durchaus ermöglicht hätte, die Steuerverbindlichkeiten der Gesellschaft zu begleichen bzw. ausreichende Mittel hierfür zurückzulegen. Soweit der Kläger etwas Gegenteiliges hätte vortragen wollen, hätte es ihm oblegen, die sich aus den Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung ergebenden Anhaltspunkte durch entsprechende substantiierte Angaben und Vorlage geeigneter Belege zu widerlegen. Dies ist jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht geschehen.

(3) Die festgestellte Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des gesetzlichen Vertreters indiziert im Übrigen grundsätzlich auch zumindest dessen grobe Fahrlässigkeit (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 14.09.1999 – VII B 33/99, BFH/NV 2000, 303; vom 25.07.2003 – VII B 240/02, BFH/NV 2003, 1540; BFH-Urteil vom 13.03.2003 – VII R 46/02, BStBl II 2003, 556). Grob fahrlässig in diesem Sinne handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt bzw. wer außer Acht lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 07.03.1995 – VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941 m.w.N.; vom 04.04.1998 – I B 116/96, BFH/NV 1998, 1460, 1462).

Der Kläger hat hiernach wenigstens grob fahrlässig seine aus § 34 Abs. 1 AO erwachsenden steuerlichen Pflichten als „director“ der Ltd. verletzt. Gründe für ein fehlendes Verschulden sind insoweit nicht erkennbar. Insbesondere kann sich der Kläger nicht mit dem Vortrag exkulpieren, dass die Geschäfte der Ltd. tatsächlich durch Herrn W geführt worden seien und er selbst mangels Verfügungsmacht über das Firmenkonto nicht in der Lage gewesen sei, geschäftliche Handlungen für die Gesellschaft zu tätigen. Ob der Kläger rechtlich oder tatsächlich in der Lage war, die Aufgaben eines gesetzlichen Vertreters der Ltd. wahrzunehmen, ist für seine Haftungsinanspruchnahme ohne Belang. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Urteil vom 11.03.2004 – VII R 52/02, BStBl II 2004, 579 m.w.N.) ergibt sich die Haftung des Geschäftsführers nach §§ 191, 69, 34 AO allein aus seiner nominellen Bestellung ohne Rücksicht darauf, ob die Geschäftsführung von ihm auch tatsächlich ausgeübt werden kann oder soll. Der Geschäftsführer kann sich nicht damit entschuldigen, dass er von der ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte ferngehalten worden sei und die Geschäfte tatsächlich von einem anderen geführt wurden. Auch eine lediglich nominell zum Geschäftsführer bestellte Person kann sich nicht damit entlasten, dass sie keine Möglichkeit gehabt habe, ihre rechtliche Stellung als Geschäftsführer innerhalb der Gesellschaft zu verwirklichen und die steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Ist der Geschäftsführer nicht in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen und seiner Rechtsstellung gemäß zu handeln, so muss er die Beendigung seiner Organstellung herbeiführen und darf im Rechtsverkehr nicht den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte. Solange er formell die Stellung als Geschäftsführer inne hat, bleibt er für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der von ihm vertretenen Gesellschaft voll verantwortlich.

Auch wenn der Kläger im Streitfall entsprechend seinem Vortrag, er sei nur „zum Schein“ als Geschäftsführer bestellt worden, lediglich als Strohmann anzusehen und an der tatsächlichen Führung der Geschäfte der Ltd. durch den (Vor-)Geschäftsführer W gehindert worden sein sollte, wäre er nach der BFH-Rechtsprechung somit nicht von der Inhaftungnahme ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 11.3.2004 – VII R 52/02, BStBl II 2004, 579; BFH-Beschlüsse vom 08.03.2006 – VII B 233/05, BFH/NV 2006, 1252; vom 13.02.1996 – VII B 245/95, BFH/NV 1996, 657). Denn ein Geschäftsführer verletzt auch dann zumindest grob fahrlässig die ihm auferlegten Pflichten, wenn er in Kenntnis des steuerlichen Verhaltens eines anderen die Führung der Geschäfte durch diesen duldet. Da dem Kläger nach seinem eigenen Vortrag und den von ihm vorgelegten Unterlagen keine Vollmacht über das Geschäftskonto der Ltd. eingeräumt worden war, musste er sichere Kenntnis davon haben, dass ihm eine tatsächliche Ausübung seiner rechtlichen Stellung als Geschäftsführer und damit auch eine ordnungsgemäße Erfüllung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten nicht möglich sein würde. Der gegen den Kläger gerichtete Schuldvorwurf kann daher bereits in der pflichtwidrigen und zumindest grob fahrlässigen Duldung des seine Geschäftsführungstätigkeit faktisch ausschließenden Verhaltens des Herrn W gesehen werden.

cc) Der im angefochtenen Haftungsbescheid geltend gemachte Fiskalschaden wurde schließlich auch in voller Höhe adäquat kausal durch das schuldhafte Fehlverhalten des Klägers ausgelöst.

Zwar hat der Schadensersatzcharakter der Haftung nach § 69 Satz 1 AO (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 19.09.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18 m.w.N.) zur Folge, dass sich die Haftung dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht bzw. nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden ist. Die Höhe der Haftung ergibt sich daher unabhängig vom Grad des Verschuldens grundsätzlich allein aus der adäquat kausalen Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den bei dem Fiskus eingetretenen Vermögensschaden. Hierzu ist festzustellen, ob und in welchem Umfang dem Steuerschuldner die Mittel zur Verfügung standen, um die von ihm geschuldeten Steuern zu entrichten (vgl. BFH Urteil vom 06.03.2001 – VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100). Dabei ist der bereits angesprochene Grundsatz der anteiligen Tilgung zu berücksichtigen (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 26.04.1984 – V R 128/79, BStBl II 1984, 776, 778 m.w.N.). Wurden die rückständigen Steuerbeträge vom Geschäftsführer bei Fehlen ausreichender Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht in ungefähr gleichem Verhältnis wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern getilgt, so liegt (nur) im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die er als Haftungsschuldner einzustehen hat (Haftungssumme). Hierzu hat das Finanzamt unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder ggfs. im Schätzungswege festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt.

Bei der Ermittlung dieses haftungsbegründenden Kausalzusammenhangs ist das Finanzamt bzw. nachfolgend das Finanzgericht allerdings – wie vorstehend bereits ausgeführt – auf die Mitwirkung des Haftungsschuldners angewiesen. Vor diesem Hintergrund bestehen im Streitfall keine rechtlichen Bedenken gegen die Schätzung einer Haftungsquote von 100 %. Anhaltspunkte für eine Reduzierung dieser Quote sind seitens des Klägers weder vorgetragen noch nachgewiesen worden. Trotz ordnungsgemäßer Anhörung im Verwaltungsverfahren erfolgten seinerseits keinerlei Ausführungen zur Vermögenslage der Ltd. und wurden auch im vorliegenden Klageverfahren hierzu keine Angaben gemacht. Substantiierte Anhaltspunkte dafür, dass andere Gläubiger der Ltd. nicht vollständig befriedigt worden wären, bestehen nicht. Vielmehr ist aus den bereits ausgeführten Gründen – insbesondere aufgrund der durch die Umsatzsteuer-Sonderprüfung getroffenen Feststellungen – diesbezüglich vom Gegenteil auszugehen.

4. Der Beklagte hat auch das ihm auf zweiter Stufe nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen rechtmäßig ausgeübt. Der Senat hat insoweit gemäß § 102 Satz 1 FGO nur zu überprüfen, ob der Beklagte die in § 5 AO festgelegten Grenzen des Ermessens über- oder unterschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

a) Bei der Entscheidung, ob überhaupt ein ausstehender Steueranspruch durch Geltendmachung von Haftungsansprüchen realisiert werden soll (Entschließungsermessen), ist die Aufgabe des Finanzamtes entscheidend, Steuerausfälle zu verhindern. Bei Uneinbringlichkeit der Steuern muss daher die Haftungsinanspruchnahme die Regel sein (vgl. Rüsken in: Klein, AO, 13. Aufl., § 191 Rz. 35 m.w.N.). Das Entschließungsermessen ist vor diesem Hintergrund durch den Hinweis auf die Unmöglichkeit der Einziehung der rückständigen Steuern durch Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Steuerpflichtigen jedenfalls bei Nichtvorliegen außergewöhnlicher Umstände regelmäßig ausreichend begründet (vgl. BFH-Urteile vom 13.06.1997 – VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4; vom 29.09.1987 – VII R 54/84, BStBl II 1988, 176).

So verhält es sich auch im vorliegenden Streitfall. Der Beklagte hat in dem angefochtenen Haftungsbescheid darauf verwiesen, dass die Ltd. als Steuerschuldnerin erfolglos zur Zahlung der rückständigen Steuern aufgefordert worden ist und sämtliche gegen sie gerichteten Vollstreckungsversuche erfolglos geblieben sind.

b) Der Kläger war seit dem 06.07.2007 überdies alleiniger „director“ der Ltd. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass seither noch ein weiterer (faktischer) Geschäftsführer neben dem Kläger hätte verantwortlich sein können, lagen dem Beklagten zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht vor. Insbesondere war der vorherige „director“ W dem Beklagten gegenüber nach Aktenlage in dem Zeitraum, für den der Kläger in Haftung genommen wurde, nicht als Geschäftsführer der Ltd. in Erscheinung getreten.

Herr W stand dem Beklagten jedoch als im Zeitraum vom 24.08.2005 bis zum 06.07.2007 bestellter Vor-Geschäftsführer ebenfalls gemäß §§ 191, 69, 34 AO als Haftungsschuldner für die Steuerschulden der Ltd. zur Verfügung. Mit Haftungsbescheid vom 21.04.2011 wurde er durch den Beklagten auch tatsächlich in Anspruch genommen. Die unterlassene Haftungsinanspruchnahme der im Zeitraum 24.10.2005 bis 06.07.2007 zur ständigen Vertreterin der inländischen Zweigniederlassung der Ltd. bestellten Frau Q begegnet im Hinblick auf das vom Beklagten auszuübende Auswahlermessen keinen rechtlichen Bedenken. Anders als der Kläger und Herr W, die beide zu Direktoren der Ltd. bestellt waren und daher allein aufgrund ihrer formellen Organstellung gemäß §§ 69, 34 AO haften, war Frau Q nur zur ständigen Vertreterin der inländischen Zweigniederlassung der Ltd. berufen. Als solche hätte sie für die Steuerschulden der Ltd. – mangels Stellung als Gesellschaftsorgan – allenfalls als Bevollmächtigte bzw. Verfügungsberechtigte i.S.d. § 35 AO in Haftung genommen werden können. Eine Verfügungsberechtigung als solche begründet jedoch noch keine Verpflichtung nach § 35 AO; der Verfügungsberechtigte muss in dieser Eigenschaft vielmehr – im eigenen oder fremden Namen – auch nach außen im Sinne einer Teilnahme am Wirtschafts- und Rechtsverkehr auftreten und damit schlüssig zu erkennen geben, dass er von seiner Verfügungsmacht Gebrauch machen will (vgl. Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 35 AO (Stand Juni 2014) Rn. 10 f. m.w.N.). Wer als Verfügungsberechtigter auftritt, unterliegt nach dem Wortlaut des § 35 AO zudem nur insoweit den steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters, als er diese „tatsächlich und rechtlich“ erfüllen kann. Der Umfang der zu erfüllenden Pflichten hängt somit im Einzelfall davon ab, inwieweit demjenigen, der als Verfügungsberechtigter auftritt, Verfügungsbefugnisse nach außen eingeräumt sind und ob er tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, steuerliche Pflichten zu erfüllen (vgl. Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 35 AO (Stand Juni 2014) Rn. 14 m.w.N.).

Dies zugrunde gelegt hat der Beklagte Frau Q zu Recht nicht zur Haftung herangezogen, da in ihrer Person die Voraussetzungen nach den §§ 191, 69, 35 AO nicht erfüllt waren. Sie war im Wirtschafts- und Rechtsverkehr ersichtlich zu keinem Zeitpunkt als Verfügungsberechtigte der Ltd. aufgetreten. Nach den übereinstimmenden Angaben sowohl von Frau Q als auch der Ltd. sollte sie nur für den Fall, dass Herr W nicht verfügbar wäre, tätig werden, wozu es aber nie gekommen sei. Sie war zudem auch tatsächlich nicht in der Lage, die steuerlichen Pflichten der Ltd. zu erfüllen, da sie über keine Kontovollmacht und geschäftlichen Unterlagen der Gesellschaft verfügte. Im Unterschied zum Kläger, der als „director“ allein aufgrund seiner formellen Organstellung die steuerlichen Pflichten der Ltd. zu erfüllen hatte und sich insoweit gegenüber seiner Inhaftungnahme – wie vorstehend ausgeführt – auch nicht auf sein rechtliches oder tatsächliches Unvermögen berufen kann, stand einer Haftungsinanspruchnahme von Frau Q daher entgegen, dass sie die Aufgaben eines gesetzlichen Vertreters der Ltd. tatsächlich nicht zu erfüllen vermochte.

5. Der streitgegenständliche Haftungsbescheid ist auch nicht etwa, wie vom Kläger eingewendet, wegen Eintritts der Verjährung rechtswidrig. Die nach § 191 Abs. 3 Satz 2 AO für den Erlass des Haftungsbescheids grundsätzlich zu wahrende vierjährige Festsetzungsfrist war bei dessen Ergehen am 13.01.2011 – ausgehend von ihrem Beginn mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Haftungstatbestand verwirklicht worden und die Steuerschuld entstanden ist (§ 191 Abs. 3 Satz 3 AO) – unabhängig von einer etwaigen An- oder Ablaufhemmung selbst für die ältesten der Haftungsinanspruchnahme des Klägers zugrunde gelegten Steuerschulden (Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer 2006; Beginn der Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des 31.12.2007) noch nicht abgelaufen.

III. Eine Zahlungsverjährung i.S.d. §§ 228 ff. AO ist ebenso wenig eingetreten. Der Beklagte hat noch mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 07.05.2014 Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Kläger ergriffen. Damit ist gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO eine Unterbrechung der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist (§ 228 Satz 2 AO) eingetreten, die nach § 231 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO auch noch fortdauert.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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