FG Köln: Haftung für Steuerschulden im Fall einer sog. „Firmenbestattung"
FG Köln, Urteil vom 17.3.2011 - 13 K 4010/06
Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagten den Kläger für Steuerschulden der A Handelsgesellschaft mbH, C - im Folgenden A -, in Haftung nehmen durfte und dabei insbesondere, ob ein Fall der sog. "Firmenbestattung" vorliegt.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde.
Gründungsgesellschafter der mit Vertrag vom 4. Juni 2002 gegründeten A waren der Kläger zu 50% sowie Herr B und Frau D zu jeweils 25%. Geschäftsführer der Gesellschaft war der Kläger. Das Stammkapital betrug 95.000 € und war ausweislich der auf den 1. Januar 2002 aufgestellten Eröffnungsbilanz zur Hälfte von den Gesellschaftern eingezahlt. Die Schlussbilanz des Jahres 2002 weist Forderungen gegenüber den Gesellschaftern B und D i.H.v. jeweils 27.000 DM und gegenüber dem Kläger i.H.v. 38.000 DM aus. Am 18. Juni 2003 übertrug Frau D ihren Geschäftsanteil zum Kaufpreis von 30.000 DM auf Frau E. In der notariellen Vertragsurkunde ist vermerkt, dass der Geschäftsanteil voll eingezahlt ist. Nachweise über die Einzahlung der Stammeinlagen konnten dem späteren Insolvenzverwalter der A nicht vorgelegt werden.
Gegenstand der Gesellschaft war der Im- und Export sowie der Handel mit Lebensmitteln und sonstigen Waren aller Art. In den Streitjahren betrieb sie in der F-Straße ... in C einen Supermarkt. Diese Geschäftsräume waren von dem Kläger, D, B1 und G angemietet.
Mit notariellem Vertrag vom 2. Februar 2005 - den der Beklagte als Teil einer organisierten Firmenbestattung ansieht - übertrugen die o.g. Gesellschafter ihre Geschäftsanteile auf Herrn H zum Kaufpreis von 94.000 €. Ausweislich der Angaben im Vertrag sollte dieser in I, J-Straße ..., wohnhaft sein. Vor dem Notar wies sich Herr H durch einen griechischen Reisepass aus. Ebenfalls am 2. Februar 2005 berief Herr H den Kläger als Geschäftsführer der A ab und bestellte sich zugleich als neuen Geschäftsführer. Für den Beklagten war Herr H in der Folgezeit nicht erreichbar.
Am 10. Februar 2005 schloss die A, vertreten durch Herrn H, mit ihrem ehemaligen Gesellschafter B einen auf den 2. Februar 2005 rückwirkenden Kaufvertrag über den Warenbestand und die Ladeneinrichtung zum Kaufpreis von 71.000 €. Umsatzsteuer wurde nicht in Rechnung gestellt. Am selben Tag erwarb Herr B aufgrund eines weiteren Kaufvertrags den LKW der A zum Preis von 11.600 € (brutto). Vereinbart war zwischen der A und Herr B, dass dieser diverse Verbindlichkeiten der Gesellschaft übernimmt und Arbeitnehmer der A, hierunter den Kläger, sowie Frau K und Frau L weiter beschäftigt.
Ebenfalls am 10. Februar 2005 vermieteten der Kläger, D1 und G die früheren Geschäftsräume der Klägerin an Herrn B.
Am 11. Februar 2005 wurde das Gewerbe der A durch den Kläger beim Gewerbeamt der Stadt C wegen vollständiger Geschäftsaufgabe abgemeldet.
Am 9. November 2005 wurde der Geschäftsführerwechsel im Handelsregister des Amtsgerichts M (HRB a) eingetragen. Auf eine entsprechende Anfrage des Beklagten teilte das Registergericht am 21. November 2005 mit, es halte den Gesellschafterbeschluss über den Wechsel des Geschäftsführers angesichts der notariellen Übertragung aller Geschäftsanteile auf Herrn H für wirksam.
Ausweislich einer Rückstandsanzeige vom 18. Februar 2005 schuldete die A Körperschaftsteuer 2002, Umsatzsteuer 2002 sowie Umsatzsteuervorauszahlungen II. und III. Quartal 2004 in Höhe von 16.049,42 € (inklusive Säumniszuschläge). Für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen war der A bis einschließlich Dezember 2004 Dauerfristverlängerung nach § 46 der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung - UStDV - gewährt worden. Mit einer Haftungsanfrage vom 9. Februar 2005 teilte der Beklagte dem Kläger mit, es sei beabsichtigt, ihn für diese Rückstände im Haftungswege in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig wurde der Kläger aufgefordert, einen Berechnungsbogen zur Ermittlung der Haftungssumme auszufüllen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 9. Februar 2005 in der Haftungsakte verwiesen.
Am 25. Mai 2005 stellte der Beklagte einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A. Mit Beschluss vom 30. Juni 2006 wurde das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet. Am 13. Juli 2006 wurde im Handelsregister der Vermerk eingetragen, dass die A durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen aufgelöst ist. Wegen der Einzelheiten wird auf den Auszug aus dem Handelsregister vom 13. Januar 2011 verwiesen.
Am 15. Dezember 2005 ergänzte der Beklagte den Umfang der Haftungsanfrage an den Kläger und teilte mit, nach Auffassung des Finanzamts liege ein Fall der "Firmenbestattung" vor. Nach der einschlägigen Rechtsprechung seien mit einer Firmenbestattung einhergehende Beschlüsse sittenwidrig und nichtig. Daher sei der Kläger zivilrechtlich weiterhin als Geschäftsführer der A und damit als verantwortliche Person im Sinne des § 34 der Abgabenordnung - AO - anzusehen. Der Beklagte beabsichtige daher, den Kläger zusätzlich für Körperschaftsteuer - KSt - 2003, KSt-Vorauszahlungen II. - IV. Quartal 2005, Umsatzsteuer 2003 sowie Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004, Juli, August, September 2005 und I. und II. Quartal 2005 in Haftung zu nehmen. Die Haftungssumme betrug ausweislich der angefügten Rückstandsanzeige vom 9. Dezember 2005 nunmehr 76.377,29 € (inklusive Säumniszuschläge). Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 15. Dezember 2005 in der Haftungsakte verwiesen.
Im Rahmen der Haftungskorrespondenz führte der Beklagte ergänzend aus, der Beginn des Haftungszeitraumes werde auf den 31. Mai 2003 festgelegt. Hierbei handele es sich um den Zeitpunkt der ältesten, dem Kläger anzulastenden Pflichtverletzung. Diese habe darin bestanden, dass insbesondere die Körperschaftsteuererklärung 2002 nicht bis zum gesetzlich vorgeschriebenen Abgabetermin beim Beklagten eingereicht worden sei. Dies habe eine frühere Festsetzung der Steuern und damit erfolgsversprechende Vollstreckungsmaßnahmen vereitelt.
Im Verwaltungsverfahren wies der Kläger, vertreten durch die Prozessbevollmächtigte, darauf hin, dass er zumindest für einen Teil der Haftungszeiträume nicht mehr Geschäftsführer der A gewesen sei. Es werde bestritten, dass die vom Finanzamt behauptete Firmenbestattung Ziel der Anteilsübertragung gewesen sei. Dass der Erwerber der Anteile unter der im Vertrag genannten Anschrift und unter einer weiteren Adresse in der O-Straße ..., ... M, nicht gemeldet und für den Beklagten nicht erreichbar gewesen sei, könne von ihm nicht überprüft werden und liege darüber hinaus nicht in seinem Verantwortungsbereich. Herr H habe sich auf ein Zeitungsinserat über den Verkauf der GmbH-Anteile gemeldet und als Kaufpreis seine Schulden gegenüber der A in Höhe von 38.000 € übernehmen und weitere 9.000 € unmittelbar an ihn auszahlen wollen. Aus diesem Grunde sei eine nähere Überprüfung der Wohnsitzangaben des Herrn H nicht erforderlich gewesen. Den Kaufpreis habe er erhalten. Außerdem habe er sich sicher gefühlt, weil ein Notar den Übertragungsvertrag beurkundet habe.
Im notariellen Übertragungsvertrag habe man sich darauf geeinigt, dass Herr H sämtliche Schulden ab 2004 trage. Das impliziere, dass die Schulden bis 2004 von ihm bzw. aus dem Gesellschaftsvermögen zu tragen seien. Die Verpflichtung der A bzw. seine eigene Verpflichtung, die Steuerschulden für 2002 und 2003 zu tragen, werde daher nicht bestritten. Für die Steuerschulden 2004 müsse sich der Beklagte hingegen an Herrn H wenden.
Die vom Beklagten behauptete Firmenbestattung sei bereits deshalb nicht nachzuvollziehen, weil sich Herr B, der nach § 75 AO als Unternehmensnachfolger ebenfalls haften solle, zur Übernahme diverser Verbindlichkeiten verpflichtet habe. Wenn tatsächlich eine Firmenbestattung beabsichtigt gewesen sei, wäre eine Übernahme von Verbindlichkeiten nicht erfolgt.
Mit Bescheid vom 31. März 2006 nahm der Beklagte den Kläger für Körperschaftsteuer 2002 und 2003 sowie Umsatzsteuer 2003 und Umsatzsteuer-Vorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 in einer Gesamtsumme in Höhe von 48.362,29 € (inklusive Säumniszuschläge) in Haftung. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Haftungsschuld wird auf den Kontoauszug vom 27. März 2006 in der Haftungsakte verwiesen. In derselben Höhe nahm der Beklagte Herrn H für Steuerschulden der A mit Bescheid vom 31. März 2006 in Haftung. Ferner nahm der Beklagte mit Haftungsbescheid vom 31. März 2006 Herrn B für Umsatzsteuer IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 als Betriebsübernehmer nach § 75 der Abgabenordnung in Höhe von 10.526 € in Haftung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Haftungsbescheide in der Haftungsakte verwiesen. Hinsichtlich der Reduzierung der ursprünglich angekündigten Haftungsinanspruchnahme ergibt sich aus einem Vermerk des Beklagten vom 27. März 2006, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die A ab März 2005 noch wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet habe. Daher seien der Kläger und Herr H nur für Steuerschulden bis einschließlich Februar 2005 in Haftung zu nehmen. Zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme führte der Beklagte im angefochtenen Haftungsbescheid aus, mit dem Anteilsübertragungsvertrag sowie den Gesellschafterbeschluss über die Auswechslung des Geschäftsführers hätten die beteiligten Personen folgende Ziele verfolgt:
- Beiseiteschaffen vorhandener Vermögensgegenstände der GmbH,
- Vernichtung von Beweismitteln (z. B. die Buchführungsunterlagen),
- Verschleierung von Verantwortungsverhältnissen,
- Benachteiligung von Gläubigern,
- Schutz ehemaliger Geschäftsführer vor Haftungsinanspruchnahme,
- Behinderung der ordnungsgemäßen Abwicklung eines Insolvenzverfahrens.
Dies ergebe sich daraus, dass Herr H zeitgleich mit dem Übertragungsvertrag und dem Beschluss über die Auswechslung des Geschäftsführers das gesamte Vermögen der A an den Gründungsgesellschafter B veräußert habe und eine tatsächliche Kaufpreiszahlung nicht erfolgt sei. Stattdessen sei der Kaufpreis angeblich durch Übernahme von Schulden der Gesellschaft gezahlt worden. Herr B habe den Supermarkt nach Übernahme des Aktivvermögens in nahezu unveränderter Form fortgeführt und deutlich sichtbar die Bezeichnung A beibehalten. Ein Ort der Geschäftsleitung bzw. ein verantwortlicher Geschäftsführer der A sei nach der Anteilsübertragung nicht mehr vorhanden gewesen. Dass die Anschrift des Herrn H eindeutig falsch sei, unterstreiche, dass ein Fall der sogenannten Firmenbestattung vorliege. Der Kläger habe als Geschäftsführer von der weiteren Verantwortung befreit werden sollen, obwohl bereits festgestanden habe, dass der neue Geschäftsführer H für die deutschen Behörden nicht erreichbar sein werde. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftungsbescheid in der Haftungsakte verwiesen.
Hiergegen legte der Kläger am 12. April 2006 Einspruch ein.
Zur Begründung wiederholte er sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren und führte ergänzend aus, es sei ihm nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt Herr H das Vermögen der Gesellschaft an Herrn B veräußert habe. Der Kaufvertrag zwischen der A GmbH und Herrn B sei ihm nicht bekannt. Mit diesem Vertrag habe er auch nichts zu tun. Bestritten werde, dass der Geschäftsbetrieb der A in der Folge unverändert von Herrn B fortgeführt worden sei. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei das Anbieten von GmbH-Anteilen in Zeitungen nicht als unseriöses Geschäftsgebaren anzusehen.
Der Beklagte sei auch nicht benachteiligt worden. Eine Entziehung des Gesellschaftsvermögens durch den Kläger sei nicht erfolgt. Ob überhaupt eine Entziehung des Gesellschaftsvermögens vorliege, sei für ihn nicht nachzuvollziehen und vom Beklagten zu beweisen. Von der Vereitelung von Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Gesellschaft habe er keine Kenntnis. Im Übrigen habe er keine Pflichtverletzung begangen, insbesondere habe er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt. Ein Ursachenzusammenhang für einen Steuerausfall und eine schuldhafte Pflichtverletzung seien nicht erkennbar.
Den Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 11. September 2006 als unbegründet zurück. Gleichzeitig reduzierte er die Zahlungsaufforderung von 48.362,29 € auf 46.412,29 € wegen einer zwischenzeitlich eingegangenen Zahlung in Höhe von 1.950 €. Ergänzend zu seinen bisherigen Ausführungen argumentierte der Beklagte, der Kläger sei nach § 34 AO verpflichtet gewesen, zutreffende Steuererklärungen pünktlich einzureichen und fällige Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln zu entrichten. Beides sei nicht geschehen. An der Auffassung, dass ein Fall der Firmenbestattung vorliege, werde festgehalten. Alle von der Rechtsprechung geforderten typischen Indizien lägen vor.
Die Pflichtverletzung bestehe darin, dass der Kläger die Steuererklärungen für 2002 erst verspätet nach dem Erlass von Schätzungsbescheiden und die Steuererklärungen für 2003 ungeachtet der ebenfalls im Schätzungswege durchgeführten Veranlagungen überhaupt nicht eingereicht habe. Dasselbe gelte für die Umsatzsteuervoranmeldungen IV. Quartal 2004 bzw. I. Quartal 2005. Ferner habe der Kläger es unterlassen, die Steuerschulden aufgrund der geänderten Körperschaftsteuerfestsetzung für 2002 (Fälligkeit am 21. März 2005) und der weiteren Schätzungsveranlagungen zur Umsatz- und Körperschaftsteuer aus den von ihm verwalteten Mitteln zu entrichten. Die Haftungsquote sei auf 100 % zu schätzen, weil der Kläger pflichtwidrig keine Angaben zur Berechnung einer anderweitigen Haftungsquote gemacht habe. Der A seien im Haftungszeitraum Gelder aus Umsätzen zugeflossen, deren Höhe wegen fehlender Steuererklärungen bzw. Gewinn- und Verlustrechnungen nicht genau bestimmbar sei. Die letzte vorliegende Bilanz zum 31. Dezember 2002 weise einen laufenden Gewinn von 1.291 € und einen Aktiva-Überhang in Höhe von 96.291 € aus. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Passivseite der Bilanz einen Sonderposten mit Rücklageanteil nach § 7 g des Einkommensteuergesetzes - EStG - in Höhe von 13.500 € enthalte. Deshalb sei von einem Aktiv-Überhang in Höhe von 109.791 € auszugehen. Dabei sei zu beachten, dass es sich bei dem Veranlagungszeitraum 2002 um das Gründungsjahr der Gesellschaft handele und das Geschäftsjahr lediglich einen Zeitraum von sechs Monaten (tatsächlich 6 Monate und 26 Tage) umfasst habe. Die Umsätze der Folgejahre 2003 und 2004 rechtfertigten nicht den Schluss, dass die A ihren Zahlungsverpflichtungen nicht habe nachkommen können.
Es stehe auch zur Überzeugung des Finanzamtes fest, dass die angeblich von Herrn H vorgenommene Übertragung des Anlagevermögens auf Herrn B tatsächlich auf Veranlassung des Klägers und Herrn B erfolgt sei. Denn diese Vermögensübertragung sei unerlässliche Voraussetzung gewesen, um den Supermarkt als Einzelunternehmen schuldenfrei und nahezu unverändert fortführen zu können. Das zeige sich besonders deutlich an dem Kaufvertrag zwischen der GmbH und Herrn B, in dem sich Letztgenannter verpflichtet habe, verschiedene Verbindlichkeiten zu übernehmen. Die Steuerschulden gegenüber dem Finanzamt C seien dabei jedoch nur mit 3900 € und damit deutlich unter den tatsächlichen Steuerrückständen beziffert worden.
Nachweise, dass Herr H die Gegenleistungen für die Übernahme der GmbH-Anteile tatsächlich erbracht habe, fehlten (Hinweis auf Seite 3 des Insolvenzgutachtens).
Außerdem habe der Kläger es zugelassen, dass der Gesellschaft weitere Liquidität entzogen worden sei. Ausweislich der Bilanz zum 31. Dezember 2002 hätten offene Forderungen gegen die Gründungsgesellschafter in Höhe von insgesamt 92.000 € bestanden. Der Kläger habe es daher während seiner Geschäftsführertätigkeit zugelassen, dass der A die Einzahlungen auf das Stammkapital im Wesentlichen wieder entzogen worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 11. September 2006 verwiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 11. Oktober 2006 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt er ergänzend und vertiefend zu seinen Ausführungen im Verwaltungsverfahren vor, soweit ihm vorgeworfen werde, dass er die Steuererklärungen für 2002 verspätet eingereicht habe, fehle es an einer Pflichtverletzung. Er sei steuerlich nicht versiert gewesen und habe deshalb das Steuerbüro N, M, mit der Fertigung der Steuererklärungen beauftragt und diesem die betrieblichen Unterlagen vollständig zur Verfügung gestellt. Da er alle Kostenvorschüsse des Steuerberaters gezahlt habe, könne er sich nicht erklären, weshalb die Steuererklärungen nicht zeitnah gefertigt worden seien. Er habe sich gutgläubig darauf verlassen, dass der beauftragte Steuerberater alles Erforderliche in die Wege leite. Insoweit könne ihm allenfalls leichte Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Soweit der Beklagte von ihm verlange, den Steuerberater zu überwachen und gegebenenfalls in eigener Person Steuererklärungen abzugeben, sei er hierzu allein schon wegen fehlender steuerrechtlicher Kenntnisse nicht in der Lage.
Die Unterlagen für die Umsatzsteuervoranmeldungen IV. Quartal 2004 habe er ebenfalls dem Steuerberater übergeben. Für das I. Quartal 2005 sei er aufgrund des Geschäftsanteilsübertragungsvertrages nicht mehr zuständig gewesen.
Er bestreite, dass dem Beklagten ein Steuerausfall entstanden sei bzw. dass zwischen der - ohnehin nicht vorliegenden - Pflichtverletzung und einem Steuerausfall ein Kausalzusammenhang bestehe.
Haftungsschuldner für die Umsatzsteuerschulden ab 2004 sei im Übrigen nach den eigenen Feststellungen des Beklagten Herr B nach § 75 AO. Der Beklagte verhalte sich widersprüchlich, wenn er die Anteilsübertragung als sittenwidrig ansehe, gleichzeitig aber Herrn B als Unternehmensnachfolger in Haftung nehme, obwohl die Unternehmensnachfolge die Anteilsübertragung voraussetze.
Welche geschäftlichen Aktivitäten die A nach der Beurkundung des Geschäftsanteilsübertragungsvertrages entfaltet habe, entziehe sich seiner Kenntnis. Er sei auch nicht verpflichtet gewesen, sich hierüber zu informieren.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Prozessbevollmächtigte ergänzend ausgeführt, der Kläger habe zwar die Geschäftsführung für die A übernommen und sich diese Aufgabe auch zugetraut. Aufgrund seiner Sprach- und sonstigen Kenntnisse und Fähigkeiten sei er hierzu jedoch offenbar nicht in der Lage gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 31. März 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. September 2006 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er ergänzend und vertiefend zu seinen Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vor, der Haftungszeitraum sei zutreffend auf die Zeit vom 31. Mai 2003 bis 31. März 2006 festgelegt worden. Wegen der Nichtigkeit der mit der Firmenbestattung einhergehenden Beschlüsse sei der Kläger verpflichtet gewesen, Umsatzsteuervoranmeldungen auch für das IV. Quartal 2004 und das I. Quartal 2005 abzugeben. Ein etwaiges Verschulden des Steuerberaters müsse der Kläger sich nach § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - zurechnen lassen.
Es sei kein Widerspruch darin zu sehen, die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer für unwirksam, die Übertragung des Aktivvermögens auf Herrn B jedoch für wirksam zu halten. Denn eine Übertragung durch Herrn H sei nach den Regeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht bzw. der Anscheins- und Duldungsvollmacht auch möglich, ohne dass dieser Geschäftsführer der A gewesen sei.
Sofern der Kläger vortrage, die im Schätzungswege festgesetzten Steuerschulden seien überzogen, müsse dem widersprochen werden. Die Steuererklärungen für 2003, das IV. Quartal 2004 und das I. Quartal 2005 seien nicht eingereicht worden und die Schätzungsbescheide in Bestandskraft erwachsen.
Aus den Gründen
Die Klage ist teilweise begründet.
Soweit der Beklagte den Kläger für Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 (jeweils zzgl. steuerlicher Nebenleistungen) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat, ist der (zusammengefasste) Haftungsbescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person haftet gemäß §§ 69, 34 Abs. 1 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Pflichtverletzungen sind insbesondere Verstöße gegen die Steuererklärungspflicht und die Steuerentrichtungspflicht einschließlich der Pflicht zur Mittelvorsorge. Wird eine solche steuerliche Pflicht verletzt, kann ggf. der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO als Haftungsschuldner durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.
Der Beklagte hat die Inanspruchnahme des Klägers darauf gestützt, dass dieser zu den maßgeblichen Deklarationsterminen (10.2.2005/10.4.2005) die Voranmeldungen nicht abgegeben und bei Fälligkeit die Umsatzsteuer nicht gezahlt habe, obwohl er noch Geschäftsführer der A gewesen sei.
Die Voraussetzungen für eine dergestalt begründete Haftungsinanspruchnahme können im Streitfall aber nicht festgestellt werden.
Der Senat kann nicht die Feststellung treffen, dass der Kläger in dem hierfür maßgeblichen Haftungszeitraum noch Geschäftsführer der A war.
Da der A für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen bis einschließlich Dezember 2004 Dauerfristverlängerung nach § 46 UStDV gewährt worden war, bestand eine Verpflichtung zur Deklaration der USt IV/04 und I/05 nicht vor dem 10. Februar 2005.
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt trotz des streitbefangenen Gesellschafterbeschlusses über den Wechsel in der Person des Geschäftsführers vom 2. Februar 2005 noch gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft war.
Es ist dem Beklagten nicht gelungen, das Gericht mit der hierfür erforderlichen Sicherheit davon zu überzeugen, dass dieser Beschluss wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig und darüber hinaus für steuerliche Zwecke rechtlich unbeachtlich ist.
Der Beklagte stützt sich insoweit auf die Rechtsprechung des Amtsgerichts Memmingen vom 2. Dezember 2003 HRB 8361, Deutsche Steuerzeitung - DStZ - 2004, 283. Es ist bereits problematisch, ob diese zu einer Handelsregistereintragung ergangene Rechtsprechung im Steuerrecht zu denselben Konsequenzen führt wie im Zivilrecht. Denn abweichend von allen zivilrechtlichen Grundsätzen bestimmen die §§ 40 und 41 AO, dass es für die Besteuerung unerheblich ist, ob ein Verhalten, gegen ein gesetzliches Ge- oder Verbot oder die guten Sitten verstößt und dass es für die Besteuerung unerheblich ist, ob ein Rechtsgeschäft unwirksam ist oder wird, solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts eintreten und bestehen lassen.
Im Ergebnis kann diese Frage jedoch dahinstehen, weil es dem Beklagten nicht gelungen ist, das Gericht von der Sittenwidrigkeit des Beschlusses über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der A zu überzeugen.
In dem Sachverhalt, der dem Urteil des AG Memmingen zugrunde lag, wurden die GmbH-Anteile an einen gewerbsmäßigen Firmenbestatter abgetreten, der bereits öffentlich damit warb, dass er über jahrelange Erfahrung darin verfüge, Kapitalgesellschaftsanteile unter Abberufung und gleichzeitiger Entlastung der Geschäftsführung zu übernehmen und neue GmbH-Mäntel zur Verfügung zu stellen, so dass die Kunden "von heute auf morgen" in der Lage seien, geschäftliche Aktivitäten ohne erneute Einzahlung von Stammkapital und ohne Entstehung einer persönlichen Haftung zu entwickeln. Im dort zu entscheidenden Rechtsstreit erwarben die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft dann auch einen GmbH-Mantel um mit diesem ihr Unternehmen in den bisherigen Betriebsräumen mit Hilfe ihrer früheren Arbeitnehmer und unter Nutzung des Anlagevermögens zu betreiben. Der interessierten Öffentlichkeit sollte so das wirtschaftliche Scheitern der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter und das - auf einem Eigenantrag der GmbH beruhende - Insolvenzverfahren soweit als möglich verheimlicht werden. Flankierend sollte das Insolvenzverfahren der GmbH durch die Verweigerung jeglicher Mitwirkung des neuen Geschäftsführers blockiert und so auf schnellstem Wege eine Abweisung des Insolvenzantrags erreicht werden.
Ein vergleichbarer Sachverhalt lässt sich im vorliegenden Rechtsstreit nicht feststellen. Dass es sich bei Herrn H um einen organisierten Firmenbestatter handelt, hat der Beklagte weder vorgetragen noch nachgewiesen. Der Umstand, dass Herr H für den Beklagten nicht greifbar war, lässt das möglich erscheinen, es spricht jedoch nicht mit der zur Klageabweisung erforderlichen Sicherheit dafür. Dass die Gesellschafter das Geschäft unter "Umgehung einer geordneten Insolvenz" unter einer geänderten Firma weiterführen wollten, ist ebenfalls nicht erkennbar. Tatsächlich hat "lediglich" Herr B das Geschäft fortgeführt. Eine geordnete Insolvenz wurde von den Beteiligten - anders als im Streitfall des AG Memmingen - auch nicht mit dem Ziel, die Abweisung des Insolvenzantrags zu erreichen, blockiert. Der Insolvenzverwalter war aufgrund der Mitwirkung des Klägers jedenfalls in der Lage, das Insolvenzverfahren zu eröffnen.
Die weiteren Argumente, die der Beklagte zur Begründung seiner Rechtsauffassung heranzieht, werden durch den tatsächlich verwirklichten Lebenssachverhalt widerlegt. So vertritt der Beklagte die Auffassung, die Anteilsübertragung und der Verkauf des Anlagevermögens habe dazu gedient, den Geschäftsführer der Gesellschaft vor der Haftungsinanspruchnahme zu schützen. Dabei übersieht der Beklagte, dass sich die Problematik der organisierten Firmenbestattung in haftungsrechtlicher Sicht auf die Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 bezieht. Hierbei handelt es sich um Betriebssteuern, für die der Geschäftsübernehmer B - der mangels Geschäftsführertätigkeit für diese Steuern nicht gehaftet hätte - bestandskräftig in Haftung wurde und mit dem gesamten von der GmbH übernommenen Vermögen hierfür einstehen muss (§ 75 AO). Im Ergebnis hat die gewählte Gestaltung hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungsbeträge IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 dem Beklagten daher in der Person eines Betriebsübernehmers einen Haftungsschuldner beschert. Insoweit ist dem Beklagten das Haftungssubstrat des lebenden Betriebes über die Vorschrift des § 75 AO erhalten geblieben. Das entspricht nicht dem vom AG Memmingen dargestellten Bild einer organisierten Firmenbestattung. Deshalb ist auch ein weiteres Argument des Beklagten, die Gestaltung habe der Beiseiteschaffung von Vermögensgegenständen der A und damit der Benachteiligung von Gläubigern gedient zumindest zweifelhaft. Im Ergebnis ist dem Beklagten zuzugeben, dass der vorliegend verwirklichte Lebenssachverhalt Anhaltspunkte dafür bietet, über das Vorliegen einer organisierten Firmenbestattung nachzudenken. Bei einer objektiv genaueren Überprüfung der Anhaltspunkte verbleiben jedoch vom Beklagten nicht ausgeräumte Zweifel, die sich in einem Haftungsverfahren wegen der dort geltenden Feststellungslastverteilung zum Nachteil des Beklagten auswirken. Hierzu gehört bspw. auch der Umstand, dass das Amtsgericht M trotz einer entsprechende Remonstration des Beklagten an seiner Auffassung festgehalten und den streitbefangenen Beschluss über den Wechsel des Geschäftsführers in das Handelsregister eingetragen hat.
Soweit der Beklagte den Kläger für Körperschaft- und Umsatzsteuer der Veranlagungszeiträume 2002 und 2003 (jeweils zzgl. steuerlichen Nebenleistungen) in Haftung genommen hat, ist der (zusammengefasste) Haftungsbescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
Der Kläger war seit Gründung der A bis zum 2. Februar 2005 alleiniger Geschäftsführer der Gesellschaft und gehörte damit zu den nach §§ 69, 34 AO potenziell haftenden gesetzlichen Vertretern.
Die Gesellschaft schuldete für 2002 und 2003 die im Haftungsbescheid aufgeführten Steuerschulden. Substantiierte Einwendungen gegen die Höhe der festgesetzten Steuern hat der Kläger nicht vorgetragen. Auch nach Aktenlage fehlen Anhaltspunkte dafür, dass es sich insoweit um überhöhte Steuerfestsetzungen handelt. Die Abgabenforderungen für den Veranlagungszeitraum 2002 beruhen auf den abgegebenen Steuererklärungen. Da die A als Betriebsausgaben geltend gemachte Mieten und die Voraussetzungen für die Bildung einer Ansparrücklage nach § 7g des Einkommensteuergesetzes nicht nachweisen konnte, hat der Beklagte den Gewinn um diese Positionen auf rund 41.500 € erhöht. Gemessen am dem erklärten Gesamtumsatz i.H.v. rund 1.109.000 € ergibt sich hieraus ein durchaus realistischer Reingewinn i.H.v. 3,7%, der sich noch um eine unstreitige verdeckte Gewinnausschüttung i.H.v. rund 5.500 € erhöht.
Die Steuerfestsetzungen 2003 basieren auf Schätzungsbescheiden, weil die A es unterlassen hat, Steuererklärungen einzureichen. Bei der Schätzung hat der Beklagte den für das Rumpfwirtschaftsjahr 2002 (knapp 7 Monate) ermittelten Gewinn von rund 41.500 € auf 70.000 € und damit auf 11,8/12 und die erklärten Umsätze von rund 1.109.000 € auf 1.621.000 € und damit auf 10,23/12 erhöht. Auch das begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Diese Steuern konnte der Beklagte aufgrund einer zumindest grob fahrlässigen Verletzung der dem Kläger auferlegten Pflichten nicht rechtzeitig festsetzen.
Der Kläger hat es unterlassen, zu den gesetzlichen Abgabenterminen für die Streitjahre Steuererklärungen einzureichen und damit eine Deklarationspflichtverletzung begangen.
Nach § 149 Abs. 2 S. 1 AO sind Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr beziehen vorbehaltlich anderer gesetzlicher Bestimmungen spätestens fünf Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs abzugeben. Da für die Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuererklärungen keine anderweitigen Regelungen bestehen und nach Aktenlage auch keine Fristverlängerung seitens des Beklagten gewährt worden war, wäre der Kläger verpflichtet gewesen, die Steuererklärungen bis zum 31. Mai der Jahre 2003 und 2004 abzugeben. Das ist in beiden Streitjahren nicht geschehen.
Diese Pflichten hat der Kläger grob fahrlässig verletzt.
Diesem Vorwurf kann der Kläger nicht erfolgreich mit dem Argument entgegentreten, er habe sämtliche steuerliche Unterlagen rechtzeitig an den Steuerberater der A ausgehändigt und dessen Rechnungen pünktlich bezahlt. Das gilt entgegen der vom Beklagten vertretenen Rechtsauffassung allerdings nicht, weil sich der Kläger ein etwaiges Deklarationsverschulden seines steuerlichen Beraters nach § 278 BGB zurechnen lassen müsste. Nach der vom erkennenden Senat geteilten Rechtsauffassung des VII. Senats des BFH haftet der Geschäftsführer einer GmbH nach §§ 34, 69 AO nur für eigenes Verschulden. Für die Anwendung verschuldensunabhängiger Zurechnungsvorschriften ist kein Raum, so dass eine Haftung nur in Betracht kommt, wenn der Geschäftsführer selbst vorsätzlich oder grob fahrlässig eine nach §§ 34, 69 AO erhebliche Pflichtverletzung begangen hat. (BFH-Urteile vom 30. Juni 1995 VII R 85/94, BFH/NV 1996, 2; vom 30. August 1994 VII R 101/92, BStBl II 1995, 278).
Bedient sich der Geschäftsführer fremder Hilfe, ist er allerdings gehalten, denjenigen dessen er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient, sorgfältig auszuwählen und laufend und sorgfältig bei der Durchführung der ihm übertragenen Aufgaben zu überwachen (BFH-Urteil vom 27. November 1990 VII R 20/89, BStBl II 1991, 284, 286). Er muss sich insbesondere so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann und ihm ein Fehlverhalten des Beauftragten rechtzeitig erkennbar wird. Die mangelhafte Überwachung der vom Geschäftsführer zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten herangezogenen Personen ist dabei regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung ("Überwachungsverschulden") einzustufen (BFH-Urteil vom 30. August 1994 VII R 101/92, a.a.O.). Im Streitfall hätte der Kläger bei der gebotenen sorgfältigen Überwachung des Steuerberaters zu den gesetzlichen Abgabeterminen feststellen können und müssen, das dieser ihm (noch) keine Steuererklärungen zur Unterschrift vorgelegt hatte.
Soweit der Kläger hiergegen einwendet, er sei aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen, die Überwachungspflichten eines Geschäftsführers einer GmbH wahrzunehmen, lässt dies die grobe Fahrlässigkeit seines Verhaltens nicht entfallen.
Nach der vom erkennenden Senat geteilten ständiger Rechtsprechung des BFH ergibt sich die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH alleine aus seiner Bestellung zum Geschäftsführer, ohne Rücksicht darauf, ob er sie tatsächlich ausüben kann. Auf sein eigenes Unvermögen, seinen Aufgaben als Geschäftsführer nachzukommen, kann sich niemand berufen (BFH-Urteil vom 11. November 1986 VII R 201/83, BFH/NV 1987, 212, und vom 7. Mai 1985 VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210). Wer den Anforderungen, die an einen gewissenhaften Geschäftsführer gestellt sind, nicht oder nicht mehr entsprechen kann, muss vielmehr von der Übernahme des Geschäftsführeramts absehen bzw. es niederlegen (BFH-Beschluss vom 5. März 1985 VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422. Wer hingegen die Stellung eines Geschäftsführers übernommen hat, haftet nach § 69 AO grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben und seiner Pflicht, die Person sorgfältig auszuwählen, der er die Erledigung steuerlicher Angelegenheiten der GmbH und damit die Erfüllung seiner eigenen Pflichten überlässt, nachzukommen (BFH-Beschluss vom 18.08.1999 VII B 106/99, BFH/NV 2000, 541).
Durch die nicht rechtzeitige Abgabe der Steuererklärungen ist dem Beklagten ein Schaden in Höhe der nicht mehr bei der A realisierbaren Steuern entstanden. Eine Haftung nach den §§ 69, 34 AO kommt nur in Betracht, wenn zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Steuerausfall als dem auszugleichenden Schaden ein adäquater Zusammenhang besteht. Dies gilt nicht nur im Falle der Nichterfüllung einer Steuerschuld (§ 69 Satz 1 Alternative 2 AO), sondern auch im Fall der Verletzung von Steuererklärungspflichten (vgl. BFH-Urteile vom 2. März 1993 VII R 90/90, BFH/NV 1994, 526; vom 5. März 1991 VII R 93/88, BStBl II 1991, 678, und vom 25. April 1995 VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97). Zur Begründung der Kausalität bedarf es daher der Feststellung dass die Kapitalgesellschaft überhaupt in der Lage gewesen wäre, die bei pflichtgemäßer Erfüllung der steuerlichen Pflichten früher fällig gewesenen Steuern zu bezahlen. Reichen die vom Haftungsschuldner verwalteten Mittel nicht zur vollständigen Begleichung der Abgabenforderungen aus, haftet er nur in dem Umfang, in dem er andere Gläubiger gegenüber dem Fiskus bevorzugt befriedigt hat. (ständige Finanzrechtsprechung, vergleich hierzu: BFH-Beschluss vom 15. September 2006 VII B 76/06 juris PR-SteuerR 6/2007 mit Anmerkung Bartone; BFH-Urteile vom 11. März 2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579 vom 28. Juni 2005 I R 2/04, GmbHR 2006, 48 und vom 26. August 1992 VII R 50/91, BStBl II 1993, 8; Finanzgericht München-Urteil vom 22. März 2007 14 K 96/04, nv/Juris-Dokument und Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO, Rdnr. 34 m.w.N. aus Literatur und Rechtsprechung).
Für den Nachweis dieser haftungsbegründenden Tatsache (Vorhandensein ausreichender finanzieller Mittel) trägt das Finanzamt die objektive Feststellungslast (BFH-Beschluss vom 15. September 2006 VII B 76/06, a.a.O.; BFH-Urteil vom 18. Juli 1982 V R 7/76, BStBl II 1983, 249; FG München-Urteil vom 22. März 2007 14 K 96/04, a. a. O.). Aus den §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 AO und 76 Abs. 1 Satz 2 FGO ergibt sich für das Verfahren vor den Finanzämtern und den Finanzgerichten allerdings eine Mitwirkungspflicht der Beteiligten zur Aufklärung des wahren Sachverhalts. Dem in Anspruch genommenen gesetzlichen Vertreter einer Gesellschaft obliegt es dabei, die in seinen Wissensbereich fallenden Angaben zu machen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann das Finanzamt der Besteuerung die Annahme zugrundelegen, dieser habe im Haftungszeitraum gegen den Grundsatz der anteiligen Tilgung verstoßen und damit grob fahrlässig gehandelt (BFH-Beschluss vom 15. September 2006 VII B 76/06, a.a.O.; FG Rheinland-Pfalz-Urteil vom 15. April 1986 6 K 151/83, nv/Juris-Dokument und vom 10. August 1987 5 K 196/86 nv/Juris-Dokument). Nach gefestigter Finanzrechtsprechung ist die Haftungssumme in einem solchen Fall zu schätzen. Bei dieser Schätzung kann der Grundsatz der anteiligen Tilgung in der Regel außer Acht gelassen und davon ausgegangen werden, dass der Haftungsschuldner im fraglichen Zeitraum über ausreichend liquide Mittel zur Begleichung der Steuerschulden verfügt hat (BFH-Beschluss vom 15. September 2006 VII B 76/06, a. a. O.; Urteile vom 9. Oktober 1985 I R 154/82, BFH/NV 1986, 312; vom 26. September 1989 VII R 99/87 BFH/NV 1990, 351; FG Rheinland-Pfalz Urt. vom 10. August 1987 5 K 196/86, a. a. O.). Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Im Falle einer zeitlich schnell nachfolgenden Insolvenz stellt eine 100%ige Tilgungsquote eher die Ausnahme als die Regel dar. Eine sachgerechte Schätzung erfordert daher die Berücksichtigung eines angemessenen Abschlags. Deckt sich der Haftungszeitraum weitestgehend mit der dem Insolvenzantrag vorangehenden Phase des Vermögensniedergangs, an dessen Ende oftmals eine beträchtliche Überschuldung steht, verbietet sich die Annahme einer vollständigen Tilgungsmöglichkeit der Steuerforderungen bereits denkgesetzlich. Die im Schätzungswege zu reduzierende Quote muss bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nochmals gemindert werden, wenn der Steuerschuldner im Haftungszeitraum Zahlungen auf die bestehenden Steuerschulden erbracht hat (vgl. dazu Beschluss des BFH vom 31.3.2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322).
Im Streitfall ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass der A in den Jahren 2003 und 2004 ausreichende Mittel für die Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden haben. Hierzu hat der Beklagte auf die letzte und einzig vorliegende Bilanz für das Streitjahr 2002 hingewiesen, die einen Überhang der Aktiva i.H.v. knapp 110.000 € (unter Außerachtlassung der Rücklage nach § 7g EStG) ausweist. Einen substantiierten Vortrag, aus welchen Gründen die A ungeachtet dieser Vermögensübersicht nicht in der Lage gewesen wäre, die streitigen Abgabenforderungen bei rechtszeitiger Festsetzung zu zahlen, hat der Kläger nicht vorgebracht. Er hat auf eine entsprechende Anfrage des Beklagten zur Ermittlung der Tilgungsquote vielmehr geschwiegen. Selbst Jahre später konnte der Insolvenzverwalter über die ausstehenden Einlagen noch verwertbares Vermögen der GmbH auffinden.
Hinsichtlich des (zusammengefassten) Haftungsbescheides wegen Körperschaft- und Umsatzsteuer 2002 und 2003 sind auch keine den Kläger belastende Ermessensfehler ersichtlich. Die Entscheidung darüber, ob der Kläger gemäß § 69 i.V.m. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO wegen Verletzung der ihm als Geschäftsführer obliegenden Zahlungspflichten in Anspruch genommen werden kann, ist eine Ermessensentscheidung des Antragsgegners. Eine solche ist nach § 102 FGO vom Finanzgericht (nur) daraufhin zu überprüfen, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Das Gericht darf nicht die allein maßgeblichen Verwaltungserwägungen durch eigene Erwägungen ersetzen. Die für die Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen müssen dabei - vorbehaltlich zulässiger Ergänzungen - in dem zu überprüfenden Ausgangsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung enthalten sein (Urteil des BFH vom 11.06.1997 X R 14/95, BStBl II 1997, 642). Im Streitfall hat der Beklagte seinen Entschluss, den Antragsteller in Haftung zunehmen, mit dem Auftrag der Finanzverwaltung, die öffentlichen Abgaben möglichst vollständig zu erheben, begründet. Das lässt keine Ermessensfehler erkennen (vgl. hierzu: BFH-Urt. vom 29. September 1987, VII R54/84, BStBl II 1988, 178 und vom 13. Juni 1997 VII R 96/96). Da der Beklagte neben dem Kläger auch die Herrn H und B als Haftungsschuldner in Anspruch genommen hat, bestehen ebenfalls keine Bedenken an der rechtmäßigen Ausübung des Auswahlermessens zwischen mehreren potentiellen Haftungsschuldnern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.