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Steuerrecht
13.12.2019
Steuerrecht
OVG NRW: Haftung des gesetzlichen Vertreters für Tilgung weiterer Steuerschulden bei (drohender) Insolvenz

OVG NRW, Beschluss vom 15.11.201914 B 1443/19

ECLI:DE:OVGNRW:2019:1115.14B1443.19.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2019-3029-6

Aus den Gründen

 

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 2 K 3888/19 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen gegen den Haftungsbescheid der Antragsgegnerin vom 2.3.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.8.2019 über die vom Verwaltungsgericht angeordnete aufschiebende Wirkung hinaus in voller Höhe anzuordnen, hat auch im Beschwerdeverfahren keinen Erfolg. Dem Antrag ist nicht wegen der im Beschwerdeverfahren dargelegten, vom Senat alleine zu prüfenden Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) stattzugeben. Sie begründen nämlich keine die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO rechtfertigenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides im Sinne des entsprechend anzuwendenden § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Bescheid aus den dargelegten Gründen rechtswidrig ist.

 

Der Antragsteller verweist darauf, er habe 2013 und 2014 einen Großteil der Steuern der steuerschuldenden GmbH aus privaten Mitteln bestritten, habe also nicht verkannt, dass Vergnügungssteuern zu zahlen gewesen seien. Die wirtschaftliche Situation der GmbH sei der Antragsgegnerin bekannt gewesen, mit der eine mündliche Vereinbarung zu den Barzahlungen durch ihn getroffen worden sei.

 

Mit diesem Vortrag wird die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe mindestens grob fahrlässig die fälligen Steuern nicht entrichtet, nicht erschüttert. Für die Feststellung, in welchem Umfang der Kläger die hier in Rede stehende Pflichtverletzung in Form der Nichtzahlung fällig gewordener Steuerforderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen hat, kommt es auf die Gesamthöhe der im Haftungszeitraum fälligen oder fällig gewordenen Forderungen und die in diesem Zeitraum getätigten Zahlungen an und darauf, dass liquide Mittel zu weiterer Begleichung der Forderungen nicht vorhanden waren.

Vgl. zur Berechnung der Haftungsquote BFH, Urteil vom 14.6.2016 VII R 20/14 , juris, Rn. 21 ff.

 

Über die im Haftungszeitraum fälligen oder fällig gewordenen Forderungen und die geleisteten Zahlungen sowie den Bestand an liquiden Mitteln im Haftungszeitraum muss er als Geschäftsführer jedenfalls in den Grundzügen informiert sein, auch wenn sich die Geschäftsunterlagen nun beim Insolvenzverwalter befinden. Dazu hat der Antragsteller nichts Substanzielles vorgetragen, und zwar schon nicht im Verwaltungsverfahren. Mit dem bloßen Verweis auf eine angeblich bekannte wirtschaftlich schwierige Situation der steuerschuldenden GmbH ist es nicht getan. Zu Recht hat daher das Verwaltungsgericht angenommen, der Antragsteller habe nicht ausreichend an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt und die erforderlichen Auskünfte nicht erteilt (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen KAG i.V.m. §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung AO ).

 

Die Haftung des Antragstellers wegen grob fahrlässiger Verletzung der dem gesetzlichen Vertreter der steuerschuldenden GmbH auferlegten Pflichten (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und d KAG i.V.m. §§ 69, 34 Abs. 1 AO) wird im Übrigen durch seine Einlassung im gerichtlichen Verfahren nicht nur nicht überwiegend wahrscheinlich erschüttert, sondern eher bestätigt. Es liegt nahe, dass die GmbH schon 2013 nicht mehr in der Lage war, aus eigenen liquiden Mitteln ihre Schulden zu begleichen, so dass jedenfalls mit den ab April 2014 weiter angefallenen und ab Mai 2014 fälligen und unbeglichen gebliebenen Steuerschulden Zahlungsunfähigkeit vorzuliegen scheint. Dies wird durch das Schreiben des Antragstellers an die Antragsgegnerin vom 3.4.2018 gestützt. Dort führte er aus, er habe schon im Jahre 2012 eine Forderung von etwa 58.000 Euro gegen die Gesellschaft gehabt, die bis 2015 auf etwa 150.000 Euro angewachsen sei. Offensichtlich war eine zur Insolvenzantragspflicht führende Überschuldung der Gesellschaft (§ 15a Abs. 1 Satz 1 der Insolvenzordnung InsO ) schon damals wenn überhaupt nur durch Gesellschafterdarlehen zu vermeiden (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO).

Spätestens ab Mai 2014 kam wohl noch Zahlungsunfähigkeit hinzu. Angesichts dieser Lage spricht alles dafür, dass der Antragsteller die Steuerschuldnerin weiter wirtschaftlich tätig werden ließ und neue Steuerschulden anhäufte, obwohl erkennbar war, dass sie nicht mehr beglichen werden konnten.

 

Allerdings wird in der steuerrechtlichen Literatur zur Haftung nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vertreten, der gesetzliche Vertreter sei unbeschadet gesellschafts- und/oder insolvenzrechtlicher Regelungen, deren Verletzung eine steuerliche Haftung nicht begründen könne, nicht verpflichtet, von Geschäften Abstand zu nehmen, weil diese eine Steuer auslösten, die voraussichtlich nicht beglichen werden könne.

Vgl. BFH, Urteil vom 28.11.2002 VII R 41/01 , juris, Rn. 15 [BB 2003, 718]; Rüsken in, Klein: AO, 14. Aufl., § 69, Rn. 57 f; Boeker in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Loseblattsammlung (Stand: September 2019), § 69 AO, Rn. 14a.

 

Dem kann so pauschal jedenfalls nach den in Nordrhein-Westfalen entsprechend anwendbaren Haftungsvorschriften der Abgabenordnung für die Geldspielgerätesteuer nicht beigepflichtet werden. Den Vertreter einer steuerschuldenden juristischen Person trifft die Pflicht, Vorsorge zu treffen, dass erkennbar entstehende Steuerschulden im Zeitpunkt der Fälligkeit getilgt werden können (Mittelvorsorgepflicht).

 

Zur Mittelvorsorgepflicht vgl. BVerwG, Urteil vom 9.12.1988 - 8 C 13.87 -, juris, Rn. 20 f.; BFH, Urteil vom 20.5.2014 - VII R 12/12 -, juris, Rn. 11 ff. [BB 2014, 2470 m. BB-Komm. Rogge]; Urteil vom 28.11.2002 - VII R 41/01 -, juris, Rn. 15 = BFHE 200, 482 (485) [BB 2003, 718]; OVG NRW, Beschluss vom 21.8.2017 14 A 1009/15 , NRWE, Rn. 20 ff. = juris, Rn. 20 ff; Beschluss vom 27.7.2016 14 A1007/16 , NRWE, Rn. 7 f. = juris, Rn. 6 f.; Beschluss vom 25.11.2015 14 A 2279/15 , NRWE, Rn. 7 f. = juris, Rn. 6 f.; Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl., Rn. 92.

 

Das schließt erst recht ein, in dem Zeitpunkt, in dem wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ein Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen (§ 15a Abs. 1 Satz 1 InsO) oder wegen drohender Zahlungsunfähigkeit hätte gestellt werden können (§ 18 InsO), die nötige Mittelvorsorge zu treffen, denn dann drängt sich akut die Frage auf, wie die anfallenden Steuern beglichen werden sollen.

 

Die volle Haftung des gesetzlichen Vertreters für derartige Steuerausfälle auch nach Bundesrecht unter dem Gesichtspunkt der Mittelvorsorgepflicht bejahend Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, 3. Aufl., Rn. 89 f.; Urban, Je strafbarer, desto haftungsfreier? Zur steuerlichen Quotenhaftung des GmbH-Geschäftsführers nach §§ 69, 34 AO bei Konkursverschleppung, DStR 1997, 1145 (1148 ff.); Biletzki, Steuerrechtliche Haftung des GmbHGeschäftsführers nach Eintritt der Konkursreife, NJW 1997, 1548 f.

 

Allerdings hat der Haftungsanspruch Schadensersatzcharakter und umfasst daher nur die Steuern, die durch die Pflichtverletzung des Haftenden ausgefallen sind. Die Pflichtverletzung muss ursächlich für den eingetretenen Steuerausfall sein.

Vgl. Intemann in: Koenig, AO, 3. Aufl., § 69, Rn. 3 und 55.

 

Bestünde die Pflichtverletzung darin, die steuerbegründenden Geschäfte nicht unterlassen zu haben, wären die Steuern bei pflichtgemäßem Handeln gar nicht erst angefallen, so dass zweifelhaft ist, ob der Weiterbetrieb der Geschäfte mit dem Ausfall der dann anfallenden Steuern wirtschaftlich einen Steuerschaden bewirkt.

 

Das unterscheidet die Antragsgegnerin von im Leistungsaustausch zur Insolvenzschuldnerin stehenden Vertragsgläubigern, die gar keinen Schaden erlitten hätten, wenn durch den Insolvenzantrag konkursreife Gesellschaften mit beschränktem Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr ferngehalten und so Gläubiger nicht mehr durch das Auftreten solcher Gebilde geschädigt oder gefährdet werden, vgl. BGH, Urteil vom 6.6.1994 II ZR 292/91 , BGHZ 126, 181 (191, 194) [BB 1994, 1657].

 

Indes ist gegen den Weiterbetrieb von Geldspielgeräten auch nach Insolvenzreife nichts zu erinnern: Solange was regelmäßig anzunehmen ist die Erträge aus dem Weiterbetrieb der Geldspielgeräte (Einspielergebnisse) die durch ihn verursachten Aufwendungen (namentlich die durch den Weiterbetrieb anfallende Vergnügungssteuer) übersteigen, liegt ein so wirtschaftlich sinnvoller Weiterbetrieb sogar im Interesse der Insolvenzschuldner, weil die Masse erhöht wird. Die Mittelvorsorgepflicht für diese Steuern gebietet in einer solchen Situation allerdings, wenn die Steuerzahlung nicht auf andere Weise gesichert wird, den Geschäftsbetrieb nur unter Insolvenzbedingungen aufrecht zu erhalten, also nach Stellung eines Insolvenzantrags. Denn dann sind die anfallenden Vergnügungssteuerschulden Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. InsO, vgl. Thole in: Karsten Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 55, Rn. 19, und daher gemäß § 53 InsO aus der Insolvenzmasse vorweg zu berichtigen. Eine Form der Mittelvorsorge hat der Antragsteller augenscheinlich unterlassen, wenn sein Beschwerdevorbringen zutrifft. Allenfalls wird sich die Frage stellen, ob und inwieweit die Antragsgegnerin ein Mitverschulden an der Schadensentstehung trifft, weil sie dem Treiben nicht durch eigenen Insolvenzantrag ein Ende bereitet hat.

Für eine für den Antragsteller eintretende unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte in Folge der Vollziehung des Haftungsbescheids trägt der Antragsteller nichts Substanziiertes vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

 

 

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