FG Berlin-Brandenburg: Gestaltungsmissbrauch bei Gestaltung im sog. Bulle-Bär-Modell (gegenläufige Zertifikate)
FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.12.2024 – 8 V 8129/24
ECLI:DE:FGBEBB:2024:1212.8V8129.24.00
Volltext BB-Online BBL2025-342-4
Amtlicher Leitsatz
Eine nicht berücksichtigungsfähige missbräuchliche Gestaltung liegt vor, wenn eine „orchestrierte Zertifikatsgestaltung“ gezielt gewählt wird, um in einer Kapitalgesellschaft einen hohen Verlust zu erzeugen und diesen durch eine Verschmelzung auf eine Kommanditgesellschaft bei einer natürlichen Person ausgleichsfähig zu gestalten, obgleich keine außensteuerlichen Gründe für den Erwerb von Anteilen an der Kapitalgesellschaft und deren Verschmelzung auf die Kommanditgesellschaft bestehen.
Der Anwendungsbereich von § 2 Abs. 5 UmwStG (i. d. F. des AbzStEntModG) erfasst rückwirkend die konkrete Gestaltung. Das Gericht konnte die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung offenlassen, weil ohnehin nach summarischer Prüfung ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO anzunehmen ist, soweit in der betroffenen Kommanditgesellschaft ein weiteres Geschäft/Projekt nach summarischer Prüfung nur zum Schein (§ 41 AO) begründet wurde. Bei der Prüfung des Gestaltungsmissbrauchs ist dann keine weitergehende Befassung mit einer angemessenen (alternativen) Gestaltung notwendig, wenn die Gestaltung offensichtlich nur der Begründung von ausgleichsfähigen Verlusten dient und der Steuerpflichtige insoweit ein „Verlustgestaltungsprodukt“ eines Dienstleisters erwirbt, der die gesamte Gestaltung initiiert hat.
§ 42 AO, § 2 Abs 5 UmwStG, § 27 Abs 16 S 1 UmwStG
Sachverhalt
Streitig ist, ob auf die Antragstellerin durch eine Verschmelzung ein Verlust des Rückwirkungszeitraums übergegangen ist.
Die Antragstellerin wurde am 08. August 2014 gegründet. Komplementärin der Antragstellerin ist die B… GmbH; alleiniger Kommanditist mit einer gezeichneten Einlage von 10.000.000 € und einer Pflichteinlage von 5.000 € Herr C…. Gesellschaftszweck war ausweislich des Gesellschaftsvertrages die Erbringung von Beratungsleistungen, Vermittlung von Geschäftsanteilen ohne § 34c Gewerbeordnung (GewO), Software Consulting, Vertrieb und Entwicklung.
Herr C… ist zudem Immobilienentwickler und -investor und war im Streitzeitraum 2014 und 2015 Geschäftsführer mehrerer Immobilienunternehmen sowie einer Beratungsfirma, die sich auf den An- und Verkauf von Unternehmen, Unternehmensbeteiligungen und -anteilen und Immobilien spezialisiert hatte.
Die im Jahr 2010 gegründete D… UG, die wie ihre in demselben Jahr gegründete Schwestergesellschaft E… UG, mit 1.000 € Stammkapital von der F… GmbH (HRB …) gehalten wurde, gründete am 05. August 2014 mit einem Stammkapital von ebenfalls 1.000 € die G… UG. Geschäftsführer waren in den genannten Gesellschaften jeweils Herr H… und Herr I…, beide hauptberuflich bei der J… Gruppe tätig. Gegenstand der G… UG war der An- und Verkauf von Unternehmensbeteiligungen und Kapitalanlageprodukten aller Art ausschließlich auf eigene Rechnung und eigenes Risiko unter Ausnahme von genehmigungspflichtigen Geschäften.
Die D… UG veräußerte mit notariellem Kaufvertrag vom 16. September 2014 sämtliche Anteile der G… UG an die E… UG. Mit Gesellschafterbeschluss vom gleichen Tage beschloss die E… UG als alleinige Gesellschafterin der G… UG, den Betrag von 10.000.000,00 € in die freie Rücklage der G… UG einzuzahlen. In demselben Beschluss wurde der G… UG sodann gestattet, 10 Stück des Zertifikats „… BULL Certificate on Dax Performance …“ (im Weiteren: „Bull-Zertifikat“) bei der K… SA (im Weiteren: „Bank“) zu erwerben.
Die Details der Zertifikate stellen sich wie folgt dar:
Die Bank emittierte am 23. September 2014 Bull-Zertifikate (Internationale Wertpapierkennnummer [ISIN] …). Den Zertifikaten lagen die im Rahmen der Antragstellung als Anlage 13 (BI. 164 ff. d. eGerichtsakte) vorgelegten Emissionsbedingungen („Indicative Terms“) zugrunde, auf die im Einzelnen Bezug genommen wird.
Der Nominalwert eines jeden Zertifikats betrug 1.000.000,00 €. Fälligkeitstag war der 13. März 2015.
Basiswert der Bull-Zertifikate war der „Dax Index Future GXH5 (März 2015)“. Die Wertentwicklung hing zunächst davon ab, ob der Referenzwert am 7. Oktober 2014 („Valuation Date 1“) eine bestimmte Barriere („Barrier 1“: 98 % des Referenzwertes am 23. September 2014) zwischen 9.00 Uhr und 9.30 Uhr unterschritten oder berührt/überschritten hat. Der weiteren Wertentwicklung der Zertifikate lag dann die Annahme eines steigenden „Dax Index Future GXH5 (März 2015)“ in der Zeit („Observation Period“) zwischen dem 21. Oktober 2014 („Valuation Date 2“) und 10. März 2015 („Valuation Date 3“) unter Bezugnahme auf einen Korridor von 98 % des Referenzwertes am 23. September 2014 („Barrier 1“) und 92 % des Referenzwertes vom 21. Oktober 2014 („Barrier 2“) zugrunde.
Bei Fälligkeit am 13. März 2015 erhielt der Inhaber eines Zertifikats entweder
- wenn der Basiswertpreis zwischen 9.00 und 9.30 Uhr (MEZ) am 7. Oktober 2014 („Valuation Date 1“) unterhalb von „Barrier 1“ gehandelt wurde und zu keinem Zeitpunkt während der Beobachtungsphase („Observation Period“) jemals bei oder unterhalb von „Barrier 2“ gehandelt wurde einen Betrag von 50.000,00 € pro Zertifikat vervielfacht mit der 10-fachen prozentualen Preisänderung des Durchschnittswertes des Referenzwertes am 10. März 2015 („Valuation Date 3“) zwischen 14.00 Uhr und 15.00 Uhr im Verhältnis zum Durchschnittswert des Referenzwertes am 21. Oktober 2014 („Valuation Date 2“) zwischen 14.00 Uhr und 15.00 Uhr;
- wenn der Basiswertpreis zwischen 9.00 und 9.30 Uhr am 7. Oktober 2014 („Valuation Date 1“) unterhalb von „Barrier 1“ gehandelt wurde und zu irgendeinem Zeitpunkt während der Beobachtungsphase bei oder unterhalb von „Barrier 2“ gehandelt wurde einen Betrag von 1,00 € pro Zertifikat;
- 1.930.000,00 €, wenn der Basiswertpreis zu keinem Zeitpunkt zwischen 9.00 und 9.30 Uhr am 7. Oktober 2014 („Valuation Date 1“) unterhalb von „Barrier 1“ gehandelt wurde.
Für die G… UG wurde bei der Bank ein Girokonto geführt. Ausweislich eines Kontoauszugs vom 30. September 2024 kam es am 22. September 2024 zu einer Gutschrift von 10.000.000 € auf dem Girokonto „Im Auftrag von E… UG“. Ausweislich einer weiteren Abrechnung der Bank vom 30. September 2014 erwarb die G… UG am 23. September 2014 insgesamt zehn (10) der vorgenannten Zertifikate zum außerbörslichen Kurs von jeweils 1.000.000 €. Die Zertifikate wurden auf dem Depotkonto der G… UG (Depotnummer …) gebucht.
Gleichzeitig wurden von einer anderen Tochtergesellschaft der E… UG die gegenläufigen Zertifikate (im Weiteren: „Bear-Zertifikat“) für ebenfalls 10.000.000,00 € erworben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben des Finanzamtes L… vom 26. September 2017 Bezug genommen (Bp-Arbeitsbogen, Band II).
Am 7. Oktober 2014 („Valuation Date 1“) erreichten die Referenzwerte der Bull-Zertifikate die „Barrier 1“ nicht.
Am 17. September 2014 erwarb die G… UG von dem Einzelunternehmer M… aus N… (firmierend als O…) ein Produktkonzept zu einem Kaufpreis von 5.000 €. Nach der Präambel und Nr. 7 des Vertrags (Wettbewerbsverbot) war Gegenstand der Entwicklung ein Sprachlerngerät; nach Nr. 1 des Vertrags (Gegenstand der Entwicklung) war ein Übersetzungsgerät Entwicklungsgegenstand und sollte u.a. Produktdesign, technische Daten sowie Bau- und Bestandteile umfassen. Das in der Entwicklung enthaltene IP, einschließlich etwaiger Gebrauchsmuster und Patente sei aber bislang ungeschützt oder zum Schutz angemeldet. Im Vertrag wird auf einen Eigentumsübergang nach Zahlung und die Herausgabe von Unterlagen nach einer Anlage zum Vertrag eingegangen.
Mit notariellem Vertrag vom 14. Oktober 2014 veräußerte die E… UG sämtliche Anteile an der G… UG an die Antragstellerin. Der Kaufpreis betrug 717.500,00 €. Mit Verschmelzungsvertrag vom 15. Oktober 2014 wurde die G… UG auf die Antragstellerin verschmolzen. Die Verschmelzung erfolgte rückwirkend auf den 05. August 2014 unter Zugrundelegung der auf diesen Tag erstellten Eröffnungsbilanz der G… UG.
Am 22. Oktober 2014 erwarb die Antragstellerin insgesamt 150 Put-Optionen mit einem Ausübungspreis von jeweils 8.500,00 € zu einem Kaufpreis von insgesamt 113.580,00 €.
Die Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister der Antragstellerin erfolgte am 03. November 2014.
Am 04. November 2014 veräußerte die Antragstellerin die 10 Zertifikate zu einem Ausführungskurs von jeweils 72.666,21 € und erzielte damit einen Verkaufserlös in Höhe von 726.662,10 €. Gleichzeitig verkaufte sie die 150 Put-Optionen zu einem Gesamtverkaufspreis von 36.730 €.
Für die Weiterentwicklung des Produktkonzepts „Übersetzungsgerät“ beauftragte die Antragstellerin in den Jahren 2014 bis 2016 Unternehmen mit der Erstellung von Businesskonzepten sowie der Entwicklung eines Prototyps eines solchen Geräts. Ein Verkauf kam indes nicht zustande. Im Jahr 2014 leistete die Antragstellerin 8.600 € an den als „P…“ firmierenden Herrn Q… aus R… (Schweiz) für „Beratungs- und Strukturleistungen“. Wegen der Einzelheiten wird auf die von der Antragstellerin eingereichten Rechnungen, E-Mailverkehr sowie Konzepte und Fotografien Bezug genommen (BI. 179 – 214 d. eGerichtsakte).
In der beim Antragsgegner eingereichten Feststellungserklärung 2014 erklärte die Antragstellerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von -9.368.104,01 €, die sie wie folgt ermittelte:
Betriebsvermögen (BV) am Ende
-84.592,60 €
abzgl. BV am Anfang
- €
zzgl. Entnahmen
abzgl. Einlagen
10.010.000,00 €
Gewinn §§ 4,5 EStG
-10.094.592,60 €
darin enthaltener nicht abziehbarer
Übernahmeverlust
722.892,44 €
nichtabziehbare Betriebsausgaben
148,05 €
Haftungsvergütung
2.975,00 €
Sonderbetriebseinnahmen Zinsen
473,10 €
Einkünfte
-9.368.104,01 €
Für das Jahr 2015 erklärte die Antragstellerin Einkünfte aus Gewerbetrieb in Höhe von -26.054,41 €.
Der Antragsgegner folgte den Erklärungen und stellte mit Bescheiden über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) für die Jahre 2014 und 2015 die Verluste unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abgabenordnung (AO) fest.
In der Zeit von Oktober 2017 bis April 2023 fand bei der Antragstellerin eine Außenprüfung für die Streitjahre statt, deren Ergebnisse im Betriebsprüfungsbericht vom 08. November 2023 zusammengefasst wurden. Der Betriebsprüfer ging davon aus, dass die Antragstellerin im Jahr 2014 lediglich Einkünfte in Höhe von -71.641,11 € erzielt habe. Dem lag unter anderem die Rechtsauffassung zugrunde, dass den steuerlichen Folgen der Anteilsübertragung und der sich anschließenden Verschmelzung nach § 42 AO die Anerkennung zu versagen sei, da keine nachvollziehbaren außersteuerlichen Gründe für das gewählte Modell erkennbar seien. Dieses diene einzig und allein dazu, bei der Antragstellerin einen wirtschaftlich nicht erlittenen Verlust geltend machen zu können, um hierdurch dem Kommanditisten einen steuerlichen Vorteil zu verschaffen. Die steuerliche Rückwirkungsfunktion werde in missbräuchlicher Art und Weise dazu verwandt, künstlich Verluste zu schaffen und im Ergebnis an Dritte zu verkaufen. Aufwendungen für das Produktkonzept „Übersetzungsgerät“ ließ der Betriebsprüfer im Jahr 2014 in Höhe von 13.600 € und im Jahr 2015 in Höhe von 29.005 € nicht zum Abzug zu und behandelte diese Beträge als Entnahmen.
Mit Änderungsbescheiden vom 29. Februar 2024 änderte der Antragsgegner die Feststellungen für 2014 und 2015 entsprechend des Ergebnisses der Außenprüfung. Hiermit stellte er nun Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. -71.641,11 € (2014) und 3.558,59 € (2015) fest, wovon 2.500 € jeweils auf die Komplementärin und -74.141,11 € (2014) und 1.058,59 € (2015) auf den Kommanditisten C… entfielen. Die Änderungen stützte der Antragsgegner jeweils auf § 164 Abs. 2 AO; den Vorbehalt der Nachprüfung hob er jeweils zugleich auf. Verrechenbare Verluste nach § 15a Abs. 4 EStG stellte der Antragsgegner nicht fest, mithin waren die Verluste des Herrn C… für 2014 ausgleichsfähig.
Hiergegen legte die Antragstellerin fristgerecht Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15. August 2024 ab.
Über den Einspruch hat der Antragsgegner noch nicht entschieden.
Mit gerichtlichem Aussetzungsantrag vom 05. September 2024 verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter. Sie führt aus, die durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (AbzStEntModG) vom 02. Juni 2021 (BGBl I 2021, 1259) in Kraft getretene Verlustausgleichs- und -verrechnungsbeschränkung des § 2 Abs. 5 Umwandlungssteuergesetz (UmwStG) sei tatbestandlich zwar einschlägig. Diese stehe der steuerlichen Geltendmachung des Verlustes jedoch nicht entgegen, da eine rückwirkende Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht komme.
Die in § 27 Abs. 16 Satz 2 UmwStG gesetzlich angeordnete rückwirkende Geltung von § 2 Abs. 5 Satz 1 UmwStG auf alle offenen Fälle begründe eine echte Rückwirkung. Eine solche sei grundsätzlich unzulässig. Eine ausnahmsweise Rechtfertigung der echten Rückwirkung sei im Streitfall nicht gegeben. Von den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten anerkannten Fallgruppen einer zulässigerweise echten Rückwirkung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2021,2 BvL 8/19, BVerfGE 156, 354-415) vermöge keine die Rückwirkung des § 27 Abs. 16 Satz 2 UmwStG auf all offenen Jahre zu rechtfertigen. Die Antragstellerin habe im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen werde, nicht mit einer Änderung der gesetzlichen Regelung rechnen müssen, sondern habe vielmehr auf deren Fortbestand vertrauen dürfen. Zum Zeitpunkt des Entstehens der Verluste sowie insgesamt im Jahr 2014 hätten keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass der Gesetzgeber beabsichtige, die Regelungen zur Verlustzurechnung und -nutzung nach § 2 UmwStG in Zukunft zu ändern, so dass die Gesetzesänderung im maßgeblichen Zeitpunkt nicht vorhersehbar gewesen sei. Die Rechtslage sei zudem nicht unklar und verworren gewesen. Das ursprüngliche einfache Recht sei auch nicht in einer Art und Weise systemwidrig und unbillig, dass dies die durch § 27 Abs. 16 Satz 2 UmwStG angeordnete echte Rückwirkung rechtfertigen könnte. Überragende Belange des Gemeinwohls, die eine echte Rückwirkung ausnahmsweise rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. Die Schließung von Besteuerungslücken sei kein hinreichender Rechtfertigungsgrund für eine das Vertrauen in die Rechtssicherheit untergrabende Rückwirkung. Vielmehr müsse die belastende (echt) rückwirkende Norm unabdingbar sein, um den jeweiligen im Einzelfall bestehenden zwingenden Gründen des Gemeinwohls „Rechnung tragen zu können“. Diese Ausnahme sei daher als Auffangtatbestand anzusehen, die nur in extremen Ausnahmefällen Anwendung finden könne. Insbesondere könne die rückwirkende Gesetzesänderung nicht mit (rein) fiskalischen Interessen des Staates gerechtfertigt werden, da dann jedwede rückwirkende Änderung von Steuergesetzen zulässig wäre und der Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen im Ergebnis leerliefe. Dies erkenne auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich an (vgl. BVerfG vom 7.7.2010, 2 BvL 14/02, BStBl. II 2011, 76). Ein besonderer, die Rechtssicherheit durchbrechender Ausnahmefall werde im Übrigen auch vom Gesetzgeber selbst nicht reklamiert. Dieser habe mit § 2 Abs. 5 UmwStG vielmehr lediglich ein finanzielles Risiko für die Zukunft ausschließen wollen. Auch der sogenannte Bagatellvorbehalt vermöge die echte Rückwirkung nicht zu rechtfertigen. Alleine bei der Antragstellerin bzw. bei deren Kommanditisten versage die Rückbewirkung von Rechtsfolgen die Anerkennung eines Verlustes in Millionenhöhe und die damit verbundenen günstigen Steuerfolgen. Der daraus entstehende wirtschaftliche Nachteil wäre in besonderem Maße erheblich. Sonstige Rechtfertigungsgründe für eine echte Rückwirkung seien nicht ersichtlich.
Im Übrigen seien auch die Voraussetzungen des § 42 AO nicht erfüllt. Es bestehe keine Pflicht, stets die steuerlich ungünstige Gestaltung zu wählen. Sie, die Antragstellerin, habe daher das Recht, ihre Angelegenheiten so einzurichten, dass möglichst wenige Steuern zu zahlen seien. Vorliegend fehle es an einer unangemessenen Gestaltung, außerdem nehme sie auch keinen nicht vorgesehenen Steuervorteil in Anspruch. Unangemessen sei nicht mit ungewöhnlich gleichzusetzen. Eine Gestaltung, die überhaupt keinen wirtschaftlichen Zweck verfolge, liege beispielsweise vor, wenn durch mehrere Geschäfte, die sich steuerlich ausglichen, lediglich ein steuerlicher Vorteil erzielt werden solle. Die Unangemessenheit könne daher nur im Vergleich zu alternativen Gestaltungen beurteilt werden, die zu demselben wirtschaftlichen Ergebnis führten.
Bei der Antragstellerin lägen indes weder gegenläufige Rechtsgeschäfte noch wirtschaftliche Sinnlosigkeit vor. Ein steuerlicher Gestaltungsmissbrauch sei ausschließlich aus Sicht des jeweils betroffenen Steuerpflichtigen zu beurteilen. Beurteilungsgegenstand seien daher die rechtlichen Gestaltungen auf der Ebene der Antragstellerin, die mittels der Veräußerung der Verlust-Zertifikate einen Veräußerungsverlust und damit einen steuerlichen Vorteil erzielt habe. Etwaige auf Ebene der die Anteile an der Bull- und Bear- Kapitalgesellschaften haltenden Obergesellschaft, der J…, verwirklichte Sachverhalte seien bei der Prüfung eines Gestaltungsmissbrauchs gänzlich außer Betracht zulassen.
Im Vermögen der G… UG hätten sich mit den „Verlust-Zertifikaten" und der Geschäftschance „Sprachlerngerät" Wirtschaftsgüter befunden, welche als „Risiko-Investment" hohe unternehmerische Chancen aufwiesen. Die Anteile an der G… UG seien vor allem auch wegen des Produktkonzepts für das Sprachlerngerätgerät erworben worden. Dass es sich hierbei nicht, wie vom Antragsgegner eingewandt, um eine Nebelkerze handele, zeige die umfassende Weiterentwicklungstätigkeit der Antragstellerin beziehungsweise des Herrn C… als einzigem Kommanditisten. Nach dem Vorstellungsbild von Herrn C… sollte ein im Verkauf günstiger und mit Blick auf die Hardware kleiner sog. WAV-Player hergestellt werden. WAV leite sich aus dem englischen Wort „wave“ ab und bezeichne ein Dateiformat für unkomprimierte Audiodateien. Zudem stelle die Veräußerung der Verlustzertifikate eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung für die Antragstellerin dar, da dadurch ein den Kaufpreis für die Anteile an der G… UG übersteigender Veräußerungspreis erzielt worden sei. Im Übrigen habe die Wertentwicklung sowohl der Verlust-Zertifikate als auch der Geschäftschance „Sprachlerngerät“ weder von der Antragstellerin noch von ihrem Kommanditisten persönlich vorhergesehen werden können.
Die Antragstellerin habe keinerlei gesetzlich nicht vorgesehene Steuervergünstigungen in Anspruch genommen. Vielmehr seien die erlangten Vorteile, soweit solche vorlägen, auf Systembrüche und die fehlende Abstimmung des materiellen Rechts zurückzuführen. Mit der rückbeziehenden Verschmelzung habe die Antragstellerin gegen keine durch das Gesetz vorgegebenen Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer gesetzlich vorgesehenen Regelung im Umwandlungssteuergesetz Gebrauch gemacht. Der steuerliche Vorteil der Übernahme stiller Lasten durch die Übernehmerin sei daher im Gesetz ebenso angelegt wie die steuerlichen Nachteile der Übernahme etwaiger im Rückwirkungszeitraum gebildeter Reserven.
Zudem werde die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „unangemessene Gestaltung“ durch die Wertungen des Gesetzgebers begrenzt. Diese Wertungen kämen anhand der speziellen Regelungen von § 8c Körperschaftsteuergesetz (KStG), § 10a Gewerbesteuergesetz (GewStG), § 15 Abs. 4 EStG und §§ 2 und 4 UmwStG zum Ausdruck. Der Gesetzgeber habe durch diese Vorschriften die generelle Handhabung von Verlusten einer Körperschaft geregelt und die aus seiner Sicht als unangemessen angesehenen Vorschriften sanktioniert. Der Umstand, dass der Gesetzgeber die Verlustnutzung nur für diese genannten Fälle ausgeschlossen habe, lasse auf seinen Willen schließen, die Annahme eines Missbrauchs auch darauf beschränken zu wollen.
Zwar liege der Gestaltungsmaßnahme eine präzise geplante und hinsichtlich ihres sachlichen und zeitlichen Ablaufs gleichsam „orchestrierte" Abfolge von einzelnen steuerlichen Verfahrensschritten zu Grunde. Diese Aneinanderreihung der einzelnen Schritte allein führe angesichts des Fehlens einer unangemessenen Gestaltung und der Inanspruchnahme eines gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils indes nicht zu einem Gestaltungsmissbrauch.
Die steuerliche Anerkennung des Verlustes sei steuersystematisch auch sachgerecht. Der steuerliche Gestaltungshintergrund bestehe bei einer Gesamtschau nicht etwa in einem steuersystematischen Defizit auf Ebene der Antragstellerin (Erwerberin), sondern vielmehr aus einem steuersystematischen Defizit, welches in Gestalt der steuerlichen Berücksichtigung des Veräußerungsverlustes gemäß § 8b Abs. 7 KStG auf der Ebene des Veräußerers der Geschäftsanteile der UG bestehe.
Die Antragstellerin beantragt,
1) die Vollziehung des Bescheides vom 29. Februar 2024 für 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes in der Weise ausgesetzt wird, dass vorläufig
- als Einkünfte aus Gewerbebetrieb anstelle von Einkünften i.H. von -71.641,11 € ein Verlust i.H. -9.368.579,01 €
- anstelle von laufenden Einkünften (nach Quote verteilt) i.H. von -74.141,11 € negative laufende Einkünfte i.H. von -9.371.079,01 €
festgestellt werden;
2) die Vollziehung des Bescheides vom 29. Februar 2024 für 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes in der Weise ausgesetzt wird, dass vorläufig die nach Anwendung des § 15a EStG im Folgebescheid für den Kommanditisten Herrn C… anzusetzenden, laufenden steuerpflichtigen Einkünfte anstelle von -74.141,11 € i.H. von -9.371.079,01 € festgestellt werden und die Kapitalkontenentwicklung jeweils entsprechend wie erklärt angesetzt wird;
3) die Vollziehung des Bescheides vom 29. Februar 2024 für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes in der Weise ausgesetzt wird, dass vorläufig
- als Einkünfte aus Gewerbebetrieb anstelle von Einkünften i.H. von 3.558,59 € ein Verlust i.H. von -26.054,41 und
- anstelle von laufenden Einkünften (nach Quote verteilt) i.H. von -509,38 € negative laufende Einkünfte i.H. von -30.597,38 festgestellt werden
4) die Vollziehung des Bescheides vom 29. Februar 2024 für 2015 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes in der Weise ausgesetzt wird, dass vorläufig die nach Anwendung des § 15a EStG im Folgebescheid für den Kommanditisten Herrn C… anzusetzenden, laufenden steuerpflichtigen Einkünfte anstelle von 1.058,59 € i.H. von -29.029,41 € festgestellt werden und die Kapitalkontenentwicklung jeweils entsprechend wie erklärt angesetzt wird.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Begründend führt er aus, es liege ein Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO vor. Die Antragstellerin begehre die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten, die sie bei wirtschaftlicher Betrachtung objektiv nicht getragen habe. Die Antragstellerin bzw. ihre Mitunternehmer hätten selbst nur Aufwendungen in Höhe von 722.729,63 € (Anschaffungskosten der Anteile an der G… UG) getragen und begehrten die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten in Höhe von 9.273.337,90 €. Selbst wenn man nur den Eingangssteuersatz in Höhe von 14% zu Grunde legen würde, entspräche dies einer Steuerersparnis in Höhe von 1.298.267,30 €, mithin nahezu dem Doppelten der von der Antragstellerin insoweit tatsächlich getragenen Aufwendungen. Dieses nur nach Ansicht der Antragstellerin materiell-rechtlich zutreffende Ergebnis werde dadurch erreicht, dass dieser aufgrund der gesetzlichen Rückbeziehung die Verluste aus dem Verkauf der Zertifikate zugerechnet würden, obgleich sie die Verluste wirtschaftlich nicht getragen habe, weil die dazu verwandten aus der Einlage stammenden Mittel von einer anderen Person aufgewandt worden seien.
Die Antragstellerin sei das Investment erst zu einem Zeitpunkt eingegangen, zu dem bereits festgestanden habe, dass die Zertifikate eine erhebliche Wertminderung erfahren hätten. Da nach der sorgfältig geplanten Gestaltung von vornherein die rückwirkende Verschmelzung und die Übernahme des Vermögens geplant gewesen sei, sei nicht ersichtlich, warum der Übernahme der Anteile an der G… UG eine wirtschaftliche Bedeutung beigemessen werden solle.
Nach Aktenlage sei der Erwerb der Verluste und die daraus resultierende Steuerersparnis der eigentliche wirtschaftliche Zweck der von den Beteiligten nur zu diesem Zweck konstruierten Gestaltung. Die Antragstellerin spreche insoweit selbst von einer präzise geplanten und hinsichtlich ihres sachlichen und zeitlichen Ablaufs gleichsam „orchestrierten" Abfolge von einzelnen Schritten, was deutlich den Fokus des Handelns der Antragstellerin zeige, nämlich die Geltendmachung des wirtschaftlich nicht getragenen Verlustes. Auch die eigentliche Konstruktion der Zertifikate erwecke den Eindruck, passgenau für den mit der Gestaltung bezweckten Verkauf bzw. Kauf von Verlusten geschaffen worden zu sein.
Ein echtes wirtschaftliches Ziel der gewählten Gestaltung habe daher überhaupt nicht existiert. Das gewählte Gestaltungsmodell diente einzig dazu, einen wirtschaftlich nicht erlittenen Verlust bei der Personengesellschaft geltend zu machen, um diesen mit anderen Einkünften zu verrechnen. Daran vermöge auch der Umstand nicht zu ändern, dass die Zertifikate in einer späteren Phase nach dem Erwerb der G… UG wieder an der Wertentwicklung des Basiswertes teilnähmen und die G… UG zudem ein Produktkonzept für ein „Sprachlerngerät“ erworben habe. Die tatsächlich bestehenden positiven Wertentwicklungsmöglichkeiten der Zertifikate seien allenfalls dazu geeignet, die entstehenden Verluste geringfügig zu mindern. Der durch Wertentwicklung mögliche Gewinn betrage nur einen Bruchteil der eigentlich erstrebten Steuerersparnis und sei daher zu vernachlässigen, so dass ihr bei wirtschaftlicher Betrachtung keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu komme. Die Wertaufholungsmöglichkeit der Zertifikate wie auch die Geschäftschancen aus dem Sprachlerngerät stellten bei objektiver Betrachtung nur „Nebelkerzen" dar, um den Anschein zu erwecken, dass die Gestaltung nicht nur der Erzielung des ungerechtfertigten Steuervorteils diene, sondern tatsächlich einen wirtschaftlichen Hintergrund habe. Diesen Möglichkeiten könne bei objektiver Betrachtung daher kein (eigener) wirtschaftlicher Gehalt der gewählten Gestaltung beigemessen werden.
Der im Gesetz nicht vorgesehene Steuervorteil bestehe vorliegend nicht nur aus der bloßen Übernahme von stillen Lasten, sondern vielmehr daraus, dass die Antragstellerin bzw. deren Gesellschafter durch diese Lasten wirtschaftlich nicht belastet seien, da die Mittel im Rückwirkungszeitraum von einer fremden Person zugeführt worden seien. Somit sollten bei der Antragstellerin entgegen dem Nettoprinzip Verluste berücksichtigt werden, mit denen der Steuerpflichtigen wirtschaftlich überhaupt nicht belastet sei.
Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Antragstellerin dargelegten einschränkenden Vorschriften für die Verlustnutzung nahelegen würden, dass die vorliegende erst durch die Einführung des § 2 Abs. 5 UmwStG geregelte Nutzung als angemessen zu beurteilen sei. Diese, die Verlustnutzung begrenzenden Vorschriften, seien teilweise nur eingefügt worden, um gewisse steuerplanerische Gestaltungen zu unterbinden und zwar nachdem diese Gestaltungen bekannt geworden seien. Die benannten Vorschriften ließen daher keine Rückschlüsse darauf zu, dass der Gesetzgeber alle übrigen Gestaltungen zur Verlustnutzung als angemessene Gestaltungen billige. Dies zeige sich vorliegend im Übrigen auch durch die Einfügung des § 2 Abs. 5 UmwStG. Die Gesetzesbegründung (vgl. Drucksache 19/27632, S. 65 f.) zeige deutlich, dass der Gesetzgeber die vorliegende Gestaltung eben nicht als angemessen ansehe und nur zur Absicherung des finanziellen Risikos für die öffentlichen Haushalte die Vorschrift des § 2 UmwStG wie zuvor um den Abs. 4 als Reaktion auf andere Gestaltungen nunmehr um den Abs. 5 ergänzt habe.
Eine solche Übertragung von Verlusten stehe im Widerspruch zu den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen (Subjektsteuerprinzip, Prinzip der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit) sowie dem Sinn und Zweck des Umwandlungssteuergesetzes, welches darauf abziele, betrieblich sinnvolle Umstrukturierungen nicht durch steuerliche Belastungen zu behindern, nicht aber Steuerlast einzelner auf Kosten der Allgemeinheit durch Verrechnung mit künstlichen Verlusten zu minimieren.
Die vorliegende Gestaltung sei unangemessen im Sinne von § 42 AO. Kern des Modells sei die zeitgleiche Schaffung gegenläufiger Zertifikate. Aufgrund dieser Gegenläufigkeit entstünden insgesamt sowohl ein Verlust als auch ein Gewinn, die sich gegenseitig ausglichen. Ein wirtschaftlicher Hintergrund sei, abgesehen von dem Verkauf von nicht erwirtschafteten Verlusten, nicht erkennbar. Die Gestaltung sei wirtschaftlich sinnlos.
Anders als im Fall des BFH vom 08.05.2024 (Az. VIII R 28/20), in dem der Steuerpflichtige selbst zwei gegenläufige Zertifikate erworben und auch selbst die Gewinne und Verluste aus den Investitionen getragen habe, sei vorliegend indes die Konstellation gegeben, dass die Antragstellerin das Investment erst zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, zu dem die Entstehung eines erheblichen Verlustes bereits festgestanden habe und die Verluste durch missbräuchliche Anwendung des Umwandlungssteuerrechts vom Steuerpflichtigen erworben werden sollten, ohne diese Verluste jedoch wirtschaftlich zu tragen. Die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin bzw. deren Mitunternehmer werde durch die Umsetzung des Sachverhalts gerade nicht vermindert. Der entstehende Steuervorteil resultiere nicht aus der Vereinfachungsreglung des § 2 UmwStG, sondern aus dem von allen Beteiligten auf den beabsichtigten Steuervorteil abgestimmten Sachverhalt ohne tatsächliche wirtschaftliche Belastung der Antragstellerin und ihrer Mitunternehmer.
Im vorliegenden Streitfall hätten die Anbietergesellschaft und die Antragstellerin als Kundengesellschaft auf der Grundlage eines vorgefassten Plans gehandelt, da die Teilschritte zeit- und wertmäßiger Abstimmung bedurft hätten. Die vorliegende Gestaltung habe keinen außersteuerlichen Grund. Alleiniger Grund für die Gestaltung sei nach Aktenlage die Erlangung eines mit der Einschränkung der Leistungsfähigkeit nicht im Einklang stehenden Steuervorteils. Auch in der Literatur werde die vorliegende Gestaltung als Gestaltungsmissbrauch angesehen (Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 2 UmwStG Rz. 148; Schön, FR 2023, 439445).
Der verwirklichte Sachverhalt sei daher rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 42 AO. Rechtsfolge sei die Verhinderung des Umgehungserfolges durch eine Neutralisierung der Umgehung. Die tatsächliche Gestaltung werde für steuerliche Zwecke durch die angemessene Gestaltung ersetzt.
Zu Recht habe die Betriebsprüfung die aus dem Verkauf der Zertifikate resultierenden Verluste daher unberücksichtigt gelassen.
Darüber hinaus stehe der Berücksichtigung dieser Verluste auch die Vorschrift des § 2 Abs. 5 UmwStG entgegen. Unstreitig sei insoweit, dass die dort normierten Voraussetzungen im Streitfall erfüllt seien, so dass die geltend gemachten Verluste unter Anwendung des § 2 Abs. 5 UmwStG keine Berücksichtigung finden dürften. Zu Unrecht gehe die Antragstellerin davon aus, dass die vom Gesetzgeber geregelte Rückwirkung eine verfassungswidrige echte Rückwirkung darstelle. Da die vorliegende Steuergestaltung wegen eines Missbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO ohnehin nicht anzuerkennen sei, liege auch keine Rückwirkung vor.
Aus den Gründen
II. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO ist erfüllt, denn der Antragsgegner hat Anträge auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt.
2. Der Antrag ist aber unbegründet.
a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes u. a. dann ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO). Derartige Zweifel sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen bewirken (Bundesfinanzhof -BFH-, Beschluss vom 13. Juli 1994, I B 53/94, Bundessteuerblatt -BStBl.- II 1995, 65) oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (BFH, Beschluss vom 12. November 1992, XI B 69/92, BStBl. II 1993, 263, m.w.N., ständige Rechtsprechung). Es muss die ernsthafte Möglichkeit bestehen, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegt. Dabei ist aber nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechenden Gründe überwiegen (Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl. 2019, § 69 Rn. 160, m.w.N.). Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast mit der Folge, dass die Beteiligten entscheidungserhebliche Einwendungen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten darlegen und ggf. glaubhaft machen müssen (BFH, Beschluss vom 26. August 2004, V B 243/03, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2005, 255). Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist ein summarisches Verfahren, in dem wegen der grundsätzlichen Eilbedürftigkeit nur auf Basis des vorliegenden Akteninhalts und aufgrund präsenter Beweismittel entschieden wird. Der das finanzgerichtliche Verfahren ansonsten beherrschende Untersuchungsgrundsatz wird insoweit eingeschränkt (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 122).
b) Der Verlustberücksichtigung stehen die Sonderregelung des § 2 Abs. 5 UmwStG und der Einwand des Missbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten des § 42 AO entgegen. Das Gericht hat nach diesen Maßstäben keine ernstlichen Zweifel daran, dass insbesondere der Erwerb der G… UG, die Zertifikatsgestaltung sowie die Verschmelzung auf die Antragstellerin missbräuchlich waren, weil sie ausschließlich dazu dienten, einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil zu erlangen. Nach den präsenten Beweismitteln kann das Gericht auch nicht erkennen, dass das Geschäft mit dem Übersetzungs- bzw. Sprachlernprodukt überhaupt wie dargelegt umgesetzt wurde. Vielmehr ist selbst nach summarischer Prüfung dem Antragsgegner darin zu folgen, dass dieses Geschäft nur der Verschleierung der missbräuchlichen Gestaltung diente, um mehr als lediglich die Verschmelzung in der Antragstellerin verbuchen zu können.
aa) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG sind das Einkommen und das Vermögen der übertragenden Körperschaft (hier: G… UG) sowie des übernehmenden Rechtsträgers (hier: Antragstellerin) so zu ermitteln, als ob das Vermögen der Körperschaft mit Ablauf des Stichtages der Bilanz, die dem Vermögensübergang zugrunde liegt (steuerlicher Übertragungsstichtag), ganz oder teilweise auf den übernehmenden Rechtsträger übergegangen wäre. Die Norm enthält eine Fiktion, wonach bezogen auf die übertragende Körperschaft sowie den übernehmenden Rechtsträger die Einkommens- und Vermögensermittlung so vorzunehmen ist, als wäre die Übertragung des betreffenden Vermögens von der übertragenden Körperschaft auf den übernehmenden Rechtsträger bereits mit Ablauf des vorangegangenen steuerlichen Übertragungsstichtages erfolgt. Für steuerliche Zwecke wird danach unabhängig vom Zeitpunkt des zivilrechtlichen Vermögensübergangs auf den übernehmenden Rechtsträger – nämlich dem Zeitpunkt der Eintragung in das Handelsregister, § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG – ein Übertragungsstichtag fingiert, bei dem es sich um den Stichtag der der Umwandlung zugrundeliegenden Bilanz als steuerlich maßgeblicher Übertragungsstichtag handelt (st. Rspr., vgl. BFH, Urteil vom 17. Januar 2018, I R 27/16, BStBl II 2018, 449).
Im Streitfall wird diese allgemeine Rechtsfolge der Verschmelzung (hier: fiktive Anschaffung der Bull-Zertifikate bereits durch die Antragstellerin) durch § 2 Abs. 5 UmwStG verhindert. Nach dessen Satz 1 wird die Rechtsfolge des § 2 Abs. 1 UmwStG (hier: Ausgleich oder sonstige Verrechnung negativer Einkünfte beim übernehmenden Rechtsträger) unbeschadet anderer Vorschriften unzulässig – und damit verhindert –, als die negativen Einkünfte auf der Veräußerung oder der Bewertung von Finanzinstrumenten oder Anteilen an einer Körperschaft beruhen. § 2 Abs. 5 Satz 2 UmwStG dehnt die Rechtsfolge des § 2 Abs. 5 Satz 1 UmwStG auf Veräußerungstatbestände aus, die in die Zeit nach dem Rückwirkungszeitraum bis zu dem in § 2 Abs. 5 Satz 4 UmwStG genannten Zeitpunkt, also bis zum Ablauf des nach der Umwandlung endenden Gewinnermittlungszeitraums fallen. Dies ist im Streitfall gegeben, denn die Antragstellerin erzielte Verluste aus der Veräußerung von Finanzinstrumenten am 04. November 2014 i.H.v. -9.350.187,90 €:
Anschaffungskosten Bull-Zertifikat
- 10.000.000,00 €
Anschaffungskosten Put-Option
- 113.580,00 €
Verkaufserlös Bull-Zertifikat
726.662,10 €
Verkaufserlös Put-Option
36.730,00 €
Ergebnis
- 9.350.187,90 €
Die Rückausnahme des § 2 Abs. 5 Satz 6 UmwStG greift nicht ein, weil die Antragstellerin nicht nachweisen kann, dass die Verrechnung negativer Einkünfte kein Haupt- oder Nebenzweck der Umwandlung war.
Der Gesetzgeber will mit der Escapeklausel sicherstellen, dass der Vereinfachungseffekt der Rückwirkung weitgehend erhalten bleibt und nur offensichtlich missbräuchliche Gestaltungen bekämpft werden (Eberhardt in Bordewin/Brandt, § 2 UmwStG Rz. 70). Die Formulierung „Haupt- oder Nebenzweck“ soll zum Ausdruck bringen, dass es unerheblich ist, welche Bedeutungsschwere der Verlustrealisierung bei der Umwandlungsentscheidung zugrunde lag. Die Verrechnung negativer Einkünfte soll deshalb jedenfalls dann Haupt- oder Nebenzweck der Umwandlung sein, wenn die stillen Lasten zu einem hohen Anteil auf den erfassten Finanzinstrumenten beruht(Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 2 UmwStG Rz. 148).
Das Gericht kann offenlassen, ob eine Beweisführung in Zweifelsfällen überhaupt möglich ist, denn der Streitfall ist hinsichtlich des Verlustes aus den Bull-Zertifikaten durch offensichtlichen Gestaltungsmissbrauch gekennzeichnet. Die Antragstellerin hat die Anteile an der G… UG am 14. Oktober 2014 nämlich für 717.500 € erworben, obgleich das Vermögen der G… UG nur aus den 10 Bull-Zertifikaten sowie der völlig unklaren Geschäftschance Sprachlerncomputer (dazu auch unter dd) bestand. Nach Ablauf des 07. Oktober 2014 (Valuation Date 1) stand fest, dass die Zertifikate verlustbehaftet waren und am 13. März 2015 kein Gewinn erzielt werden konnte, weil am „Valuation Date 1“ der Dax Index Future GXH5 unterhalb von „Barrier 1“ gehandelt wurde und der Wert der Zertifikate sich nur nach „redemption amount a“ richtete. Zugleich waren bis zum 14. Oktober 2014 nachweislich lediglich 5.000 € für das Konzept Sprachlerncomputer verausgabt worden. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte für eine Weiterentwicklung und Wertsteigerung in erheblichem Umfang im Zeitraum vom 17. September 2014 (Erwerb von Herrn M…) bis zum 14. Oktober 2014. Bereits aus dem Verhältnis der Beträge wird nach summarischer Prüfung ersichtlich, dass die Antragstellerin die Anteile an der G… UG lediglich wegen der Zertifikate und der möglichen Verlustberücksichtigung erworben hatte.
Dies gilt nach summarischer Prüfung auch für den Verlust aus der Put-Option (76.850,00 €), denn insoweit lagen Zeichnung (22. Oktober 2014) und Ausübung zwar nach dem Erwerb der Anteile an der G… UG, die Anschaffung der Put-Option erfolgte aber in Ansehung der bereits am 15. Oktober 2014 beschlossenen (rückwirkenden) Verschmelzung.
bb) Das Gericht kann offenlassen, ob § 2 Abs. 5 UmwStG rückwirkend auf den Streitfall anwendbar ist, denn zumindest liegt eine missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO vor.
§ 2 Abs. 5 UmwStG ist nach dem materiellen Recht auf den Streitfall anwendbar. Zwar gilt die Norm gem. § 27 Abs. 16 Satz 1 UmwStG erstmals für Umwandlungen nach dem 20. November 2020, allerdings sieht der Gesetzgeber nach § 27 Abs. 16 Satz 2 UmwStG darüber hinaus eine Anwendung auch in anderen offenen Fällen vor, in denen die äußeren Umstände darauf schließen lassen, dass die Verrechnung übergehender stiller Lasten wesentlicher Zweck der Umwandlung oder Einbringung war und der Steuerpflichtige dies nicht widerlegen kann. Auch insoweit lassen die äußeren Umstände schon nach summarischer Prüfung darauf schließen, dass das gewählte Modell den wesentlichen Zweck hatte, steuerliche Verluste zu generieren und diese entgeltlich zu veräußern. Letztlich stellt dies auch die Bevollmächtigte nicht in Abrede, soweit sie in der Antragsbegründung die orchestrierte Zertifikatsgestaltung als unproblematisch darstellt, weil – nach ihrer Auffassung – nicht auf andere Steuerpflichtige abgestellt werden könne (hier: die gegenläufige Kapitalgesellschaft, die einen entsprechenden Zertifikatsgewinn erzielt). Auch wenn in der Literatur verfassungsrechtliche Zweifel an der hier vorliegenden echten Rückwirkung erhoben werden (statt vieler Lebelt in Widmann/Mayer, § 2 UmwStG Rz. 254; Dötsch/Werner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 2 UmwStG Rz. 152) bestehen im konkreten Streitfall zumindest Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin und Herrn C… kein Vertrauensschutz zu gewährleisten sein dürfte.
Da aber selbst der Gesetzgeber in seiner Begründung (BT-Drucks 19/27632, 65 f.) davon ausgeht, dass eine entsprechende Gestaltung bereits mit der schon im Streitjahr geltenden Rechtslage nicht zu vereinbaren war, kann das Gericht die verfassungsrechtlichen Zweifel dahinstehen lassen, da insoweit der Gesetzesbegründung und dem Antragsgegner zu folgen ist, als die Gestaltung schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unberücksichtigt bleibt. Soweit in der Gesetzesbegründung Anhaltspunkte für ein innentheoretisches Verständnis von Missbrauchsvermeidung zu entnehmen sind (zur Unterscheidung von Innen- und Außentheorie vgl. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 42 AO Rz. 196 ff.), da dort hinsichtlich Verlustübertragungen auf den Widerspruch zu allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen (Subjektsteuerprinzip, Prinzip der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit) sowie dem Sinn und Zweck des Umwandlungssteuergesetzes (betrieblich sinnvolle Umstrukturierungen nicht durch steuerliche Belastungen zu behindern) Bezug genommen wird, kann das Gericht auch dahinstehen lassen, ob sich Innentheorie (eine besondere Rechtsfigur der Steuerumgehung ist nicht notwendig, weil der Rechtsanwender schon bei der teleologischen Anwendung des Rechts missbräuchliche Gestaltungen nicht unter den Tatbestand fasst) und Außentheorie (diese sieht in § 42 AO einen selbständigen, zu dem Einzelsteuergesetz hinzutretenden Besteuerungstatbestand mit eigenen Tatbestandsmerkmalen) ausschließen, denn nach beiden Betrachtungsweisen liegt ein Missbrauch vor.
cc) Nach § 42 Abs. 1 AO kann das Steuergesetz durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht umgangen werden (Satz 1). Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (Satz 2). Andernfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (Satz 3). Nach der Rechtsprechung des BFH ist das Verhältnis einzelsteuergesetzlicher Umgehungsverhinderungsregelungen gegenüber der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsklausel dergestalt geregelt, dass einzelsteuergesetzliche Vorschriften die Anwendung des § 42 AO nur dann verdrängen, wenn sie tatbestandlich einschlägig sind. Für eine gesetzestechnisch begründete „automatische“ Abschirmwirkung der einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschrift ist danach kein Raum. Allerdings müssen bei der Prüfung des Vorliegens eines Missbrauchs im Sinne des § 42 Abs. 2 AO diejenigen Wertungen des Gesetzgebers, die den von ihm geschaffenen einzelsteuergesetzlichen Umgehungsverhinderungsvorschriften zugrunde liegen, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Rahmen der Auslegung berücksichtigt werden (vgl. zuletzt BFH, Urteil vom 07. Februar 2024, I R 8/19, BFH/NV 2024, 759).
Das Gericht geht davon aus, dass die tatbestandliche Einschlägigkeit der einfachgesetzlichen Regelung erfordert, dass das Gesetz selbst wirksam ist und nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen, wie bei einer verfassungsrechtlich unzulässigen echten Rückwirkung, unanwendbar bleiben muss. Soweit eine speziellere Norm unwirksam ist, kann sie die allgemeine Norm nicht verdrängen. Für den Fall der Unwirksamkeit ist diese Norm als schlicht nicht existent anzusehen. Deshalb kann für Zwecke des Eilrechtsschutzes auch dahinstehen, ob § 2 Abs. 5 Satz 1 UmwStG rückwirkend anzuwenden ist oder ob sich das gleiche Ergebnis nicht aus der allgemeinen Norm ergibt, wenn die Rechtsfolge identisch ist.
Im Streitfall liegt auch ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO vor. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann das Steuergesetz nicht durch einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts umgangen werden. Der Steueranspruch entsteht nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO im Falle eines Missbrauchs so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Ein Missbrauch liegt gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nach § 42 Abs. 2 Satz 2 AO nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind. Ein Gestaltungsmissbrauch, durch den der Steueranspruch so entsteht, wie er bei einer der den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht, ist nach der Rechtsprechung nur gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist. Danach setzt § 42 AO voraus, dass eine unangemessene rechtliche Gestaltung vorliegt, die einen Steuervorteil verschafft, der nicht durch außersteuerliche Gründe gerechtfertigt werden kann. Eine rechtliche Gestaltung ist unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll. Allein das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine Gestaltung nicht unangemessen (BFH, Urteil vom 21. August 2012, VIII R 32/09, BStBl II 2013, 16; BFH-Urteil vom 18. Dezember 2013, I R 25/12, BFH/NV 2014, 904). Die von der Rechtsprechung zu § 42 AO a.F. entwickelten Indizien, wonach eine angemessene Gestaltung tendenziell eher einfach, zweckmäßig, übersichtlich und ökonomisch, eine unangemessene Gestaltung hingegen eher unwirtschaftlich, umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, überflüssig, ineffektiv oder widersinnig erscheint, sind auch weiterhin heranzuziehen, weil sie als umschreibende Begriffe Indizfunktion haben (vgl. statt vieler Stöber in Gosch, § 42 AO Rz. 74).
Die Gestaltung liegt in der Ausnutzung der Rückwirkungsfiktion des § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG. Der Telos der Norm liegt darin, dass die zivilrechtlich wirksame Rückbeziehung auf einen noch vor dem Eintritt der zivilrechtlichen Wirksamkeit liegenden Zeitpunkt steuerlich nachvollzogen wird, mithin der Wille der Beteiligten, die im Rückwirkungszeitraum erzielten Geschäftsergebnisse dem übernehmenden Rechtsträger zu überlassen, berücksichtigt wird. Die Regelung will durch eine Rückwirkung bei Umwandlungen Klarheit durch zeitliche Abschichtung schaffen, soweit Rechtsgeschäfte zwischen dem Stichtag und der zivilrechtlichen Wirksamkeit durch Eintragung im Handelsregister – auf die die Beteiligten Rechtsträger keinen unmittelbaren zeitlichen Einfluss haben – klar und vorhersehbar zugeordnet werden. Im Streitfall diente die Rückwirkung auf den Tag der Gründung der G… UG aber allein der vollständigen Zurechnung der angelegten Verluste auf die Antragstellerin. Es lagen keine außersteuerlichen Gründe dafür vor, die G… UG rückwirkend auf die Antragstellerin zu verschmelzen. Der Erwerb der G… UG diente nämlich ganz allein der steuerlichen Verlustübertragung, wobei diese Verluste zudem selbst gezielt und bewusst durch gegenläufige Geschäfte ausgelöst wurden. Bereits aus der Gestaltung des Bull-Zertfikates ergibt sich das Motiv der Verlustgenerierung. Bei Umsetzung des sog. Bulle-Bär-Modells werden in der Verlustgesellschaft sowie der Gewinngesellschaft künstlich gegenläufige Ergebnisse erzeugt. Im Ergebnis entsteht ein Steuervorteil dadurch, dass durch zeitlich und wertmäßig abgestimmtes Handeln der Verlust der ersten Besteuerungsebene steuerlich berücksichtigt wird, der Gewinn jedoch nicht. Die Gewinne/Verluste der zweiten Besteuerungsebene im steuerlichen Rückwirkungszeitraum beeinflussen die erste Besteuerungsebene bei Anteilsveräußerung und anschließender Aufwärtsverschmelzung, bei ausschließlicher Aufwärtsverschmelzung beeinflussen sie diese hingegen nicht (ausführlicher zum Modell vgl. Schön, FR 2023, 439, 443). Die Bedingungen des Zertifikats waren im Einzelnen nicht auf eine Anlage oder ein Risikogeschäft gerichtet, sondern allein auf die Verlustgenerierung zum Zweck des Handels. Der Streitfall unterscheidet sich damit ganz ausdrücklich von allgemeinen Verschmelzungsproblemen, wie bei einer Verschmelzung einer Gewinngesellschaft auf eine Gesellschaft mit Verlustvorträgen, wenn diese Folge unternehmerischen (nicht erfolgreichen) Handelns waren. Die Verluste der G… UG wurden ganz bewusst erzeugt, auch wenn zu Beginn nicht sicher war, welche der beteiligten Gesellschaften die Gewinn- und welche die Verlustgesellschaft werden würde. Es bestehen auch vom Antragsgegner hinreichend vorgetragene Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin bzw. Herr C… gerade nicht nur spekulative Geschäfte verwirklichen wollten, denn die Geschäfte wurden noch von den vorherigen Geschäftsführern der J… Gruppe geschlossen.
Letztlich besteht auch keine angemessene alternative rechtliche Gestaltung, da die Gestaltung allein dazu diente das Trennungsprinzip (bei Kapitalgesellschaften) sowie die Rückwirkungsfiktion des UmwStG zu missbrauchen. Selbst wenn es Herrn C… wirklich um das Sprachlernprojekt gegangen wäre (dazu aber unter dd), wäre die rechtlich angemessene Gestaltung gerade nicht gewesen, eine mit Verlusten belastete Gesellschaft zu erwerben, sondern von dieser das unveränderte Asset (Projekt) zu erwerben, so wie es die G… UG selbst nur wenige Wochen vorher erworben hatte. Dafür spricht letztlich auch der Kaufpreis der Anteile (717.500 €), der ersichtlich auf den noch vorhandenen Wert der Zertifikate (Verkaufserlös drei Wochen später: 726.662,10 €) ausgerichtet war.
Dies stand zudem in einem offensichtlichen Missverhältnis zum erreichbaren ausgleichsfähigen Verlust (9.273.337,90 €), der sich nur einstellte, weil der Kommanditist C… bei der Antragstellerin eine erheblich überschießende Außenhaftung ohne bzw. selbst steuerbare Risikotragung einging. Der tatsächlich geleisteten Einlage von 5.000 € standen weitere 9.995.000 € (10.000.000 € abzgl. 5.000 €) nur gezeichnete Einlagen gegenüber, deren Einforderung durch die Geschäftsführung der Antragstellerin konzeptionell nicht in Rede stand, weil die Antragstellerin insoweit kein weiteres Verlustrisiko ohne Geschäftsgegenstand hatte. Jedenfalls ergaben sich im Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile der G… UG und der Verschmelzung auf die Antragstellerin keine sichtbaren Risiken aus dem Geschäft zum „Sprachlerngerät“ (siehe dd).
Entsprechend wäre das Ergebnis auch nach der Innentheorie allein durch Auslegung des UmwStG zu begründen. Im Streitfall kann § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwStG teleologisch dahingehend reduziert angewendet werden, dass entgegen der normativen Rückwirkungsfiktion kein Vermögensübergang für steuerliche Zwecke zum Übertragungsstichtag anerkannt wird. Wie vom Gesetzgeber selbst in der Begründung (BT-Drucks 19/27632, 65 f.) ausgeführt, widerspricht eine Annahme der Rückwirkungsmöglichkeiten dem allgemeinen Telos des UmwStG, denn das UmwStG durchbricht zur Ermöglichung betrieblich sinnvoller Umstrukturierungen Rückwirkung und Buchwertfortführung. Damit steht die Norm (innentheoretisch) selbst unter Missbrauchsvorbehalt. Die Rückwirkungsfiktion dient nicht dazu, künstlich erzeugte Verluste ohne Minderung der individuellen Leistungsfähigkeit für Zwecke der Einkommensteuer ausgleichsfähig zu erhalten.
dd) Nach summarischer Prüfung der vorgelegten Unterlagen, handelt es sich bei den geschäftlichen Aktivitäten rund um das Produktkonzept „Sprachlerngerät“ lediglich um ein Scheingeschäft, das gem. § 41 Abs. 2 Satz 1 AO unbeachtlich ist.
Das Gericht hat im einstweiligen Rechtsschutz allein aufgrund präsenter Beweismittel zu entscheiden. Darauf war die anwaltlich vertretene Antragstellerin auch nicht gesondert hinzuweisen. Aus den vorgelegten Unterlagen ist aber nicht ansatzweise ersichtlich, für welche Entwicklung bzw. Chance i.E. Herr C… als Investor (Kommanditist der Antragstellerin) hier Gelder investiert haben will. Sämtliche vorgelegten Unterlagen sind oberflächlich, allgemein und nach jeder Betrachtungsweise nicht als – wie von der Antragstellerin behauptet – zukunftweisende und gewinnträchtige Entwicklung zu betrachten.
Nach summarischer Prüfung kann dem Kaufvertrag vom 17. September 2014 schon kein konkreter Gegenstand entnommen werden, den die Antragstellerin hier zu 5.000 € aktiviert hat. Der durch den Vertrag vorgeblich übertragene Gegenstand bestand in einem „Produktkonzept“, welches widersprüchlich im Vertrag als Sprachlern- bzw. auch als Übersetzungsgerät bezeichnet wurde. Die weiteren Angaben im Vertrag sind ohne Konkretisierung nicht nachvollziehbar, denn was konkret durch den Veräußerer schon erstellt, programmiert bzw. konzeptioniert wurde, wird aus den Unterlagen nicht ersichtlich.
Aus den weiteren vorgelegten Unterlagen ergibt sich ebenfalls nichts Konkretes. Nach summarischer Prüfung der vorgelegten Unterlagen sollen zwar umfangreiche Beratungen und Konzeptionierungen erfolgt sein; die Antragstellerin hat hierzu aber jeweils nur Rechnungen vorgelegt, gerade aber nicht die Arbeitsergebnisse. Ein Herr Q… soll im Jahr 2014 eine „Beratungs- und Strukturleistung“ bzw. „Beratung“ pauschal für 8.500 € geleistet haben. Aus den vorgelegten Unterlagen ist weder ein Auftrag, noch ein Leistungsnachweis oder sonst etwas ersichtlich. Entsprechend soll Herr Q… im Februar 2015 weitere „Beratung“ für „Konzeptionsleistung“ zum Gegenwert von 9.500 € erbracht haben, ohne dass ein Produkt vorgelegt wurde oder sonst eine Qualifikation des Herrn Q… dargelegt wurde. Die S… GmbH soll im April 2015 sodann eine Konzepterstellung und ein Pflichtenheft für 2.665 € erstellt und im Oktober 2016 für 8.400 € ein „proof of concept Vokabeltrainer“ erstellt haben, wobei auch hier dem Gericht nichts vorgelegt worden ist. Im Juni 2015 soll sodann Herr T… aus U… für 1.000 € eine „Markt Recherche“ erbracht haben; auch insoweit hat die Antragstellerin dem Gericht keine Ergebnisse vorgelegt, für die Herr T… vergütet worden sein soll. Tatsächlich wird Herr T… auf der Internetseite des Herrn C… am 17. September 2015 als Urheber von Fotos für Umbaumaßnahmen eines Projekts des Herrn C… ausgewiesen. Auch insoweit ist die Qualifikation des Herrn T… für eine Marktrecherche nicht ersichtlich. Eine Agentur für Persönlichkeitsentwicklung (V…) soll ab 2015 ebenfalls Beratungs- und Konzepterstellung geleistet haben (5.700 € abgerechnet im Zeitraum Juli bis September 2015), auch insoweit hat die Antragstellerin keine Nachweise vorgelegt. Zudem hat die Antragstellerin E-Mail-Korrespondenz aus dem Jahr 2016 des Herrn V… vorgelegt nach der er sich für die Antragstellerin nach Soundchips erkundigt haben soll, wobei hier auch von einem „AVI / MP3 Player“ sowie von „AVI Chip“ und „MP3 Chip“ die Rede ist. Soweit ein Gespräch mit einem Einkaufsleiter des Herstellers MEDION vorgetragen wird, hat die Antragstellerin lediglich eine ausgedruckte E-Mail des Herrn V… vorgelegt, nach der er mit dem Einkaufsleiter „…“ sprechen wolle. Frau W… soll im März 2015 ein Unternehmenskonzept für 2.500 € erstellt haben. Zwar liegt dem Gericht ein von Frau W… erstelltes Dokument vom 19. Oktober 2014 vor (Bp-Arbeitsbogen, Band I). Hierbei handelt es sich jedoch ausweislich des Deckblatts nicht um ein Unternehmenskonzept, sondern vielmehr um eine „Teaching Note“ zum Thema „Sprachen lernen im Jahr 2014+“. Eine solche Lehrnotiz ist ein Dokument, das einen Unterrichtsfall begleitet, um potenziellen Lehrenden zu helfen, einen Einblick in den Fall zu erhalten und eine bessere Nutzung des Falles zu erreichen. Die Chancen und Risiken einer Markteinführung des Sprachlerngeräts werden in Frau W…s Dokument weder konkret noch individuell für die Antragstellerin bewertet. Die als Anlage 27 und 28 vorgelegten Unterlagen mit abgebildeten „Geräten“ sind ohne jegliche technische Angabe und lassen nur die Größe und das Gewicht erkennen. Die Antragstellerin hat hierzu lediglich ausgeführt, dass es sich um eine Produktbeschreibung handeln sollte (Antrag vom 29. Mai 2014, S. 13). Bei der abgebildeten Platine (schwarz/weiß Foto auf Blatt 213 d. eGerichtsakte) handelt es sich um einen Einplatinen-Mikrocontroller „xxx yyy zzz…“ des Herstellers xxx …, wie aus dem auf der Platine angebrachten Aufdruck „zzz“ ersichtlich wird. Der lediglich behauptete Zusammenhang mit dem „chinesischen Hersteller“ bei offenkundiger Beschriftung des Controllers durch einen US-amerikanischen Hersteller lässt – mangels Vorlage der vermeintlich erstellten Konzepte und sonstigen Unterlagen – nur den Schluss zu, dass sämtliche vorgelegten Unterlagen lediglich zum Schein erstellt wurden, um gerade – insoweit ist dem Antragsgegner zu folgen – von dem Zertifikats-Verlustgeschäft abzulenken.
Insoweit kann das Gericht bei summarischer Prüfung sogar offenlassen, ob im Jahr 2014 überhaupt noch ein Markt für die hier konzeptionierte externe Hardware (Übersetzungsgeräte bzw. Sprachlerngeräte) bestanden haben soll, soweit bspw. für übliche Smartphones bereits Ende 2013 entsprechende Apps (bspw. Duolingo) auf dem Markt waren. Das Gericht weist zudem darauf hin, dass der Microcontroller xxx yyy zzz … schon nach der Produktbeschreibung des Herstellers nur über einen Prozessor mit 16MHz und 28K Flash-Speicher verfügt, mithin für die vorgegebene Verarbeitung von Tondateien weder im Format MP3 noch WAV ausreichend gewesen sein dürfte. Die Antragstellerin hat aber die Möglichkeit im Einspruchsverfahren weitergehende Unterlagen vorzulegen, insbesondere konkrete Angaben zur Programmierung, bspw. durch Vorlage des im Jahr 2014 vorhandenen Codes, um diesen durch sachverständige Programmierer untersuchen zu können, durch Vorlage der abgebildeten Hardware, um diese durch sachverständige Informatiker zu untersuchen und insbesondere durch Vorlage der in Rechnung gestellten Konzepte sowie der Anlage zum Kaufvertrag vom 17. September 2014.
3. Der Senat hat die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen. Die Rechtsfrage, ob § 42 AO in seinem Anwendungsbereich durch die rückwirkende Inkraftsetzung des § 2 Abs. 5 UmwStG verdrängt sein könnte, hat grundsätzliche Bedeutung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.