EuGH: Freier Dienstleistungsverkehr
EuGH, Urteil vom 29.9.2011 - C-387/10
Tenor
1. Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG und Art. 36 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 verstoßen, dass sie Vorschriften erlassen und beibehalten hat, nach denen nur inländische Kreditinstitute oder inländische Wirtschaftstreuhänder als steuerliche Vertreter von Investment- oder Immobilienfonds bestellt werden können.
2. Die Republik Österreich trägt die Kosten.
Aus den Gründen
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Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG und Art. 36 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass sie Vorschriften erlassen und beibehalten hat, nach denen nur inländische Kreditinstitute oder inländische Wirtschaftstreuhänder als steuerliche Vertreter von Investment- oder Immobilienfonds bestellt werden können.
Nationales Recht
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Das Bundesgesetz über Kapitalanlagefonds (Investmentfondsgesetz, BGBl. 532/1993) in seiner auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: InvFG) regelt die Tätigkeiten von Kapitalanlagefonds und Kapitalanlagegesellschaften. § 1 dieses Gesetzes definiert den Begriff des Kapitalanlagefonds als ein „aus Wertpapieren und/oder Geldmarktinstrumenten und/oder anderen ... liquiden Finanzanlagen bestehendes Sondervermögen, das in gleiche, in Wertpapieren verkörperte Anteile zerfällt, im Miteigentum der Anteilinhaber steht und nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gebildet wird".
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Nach § 40 Abs. 1 InvFG sind die Ausschüttungen eines Kapitalanlagefonds an die Anteilinhaber bei diesen steuerpflichtige Einnahmen. § 40 Abs. 2 InvFG bestimmt außerdem Folgendes:
„1. Insoweit eine tatsächliche Ausschüttung des im Sinne des Abs. 1 verrechneten Jahresertrages einschließlich der verrechneten Substanzgewinne unterbleibt, gelten mit der Auszahlung der Kapitalertragsteuer ... sämtliche nicht ausgeschütteten Gewinne des abgelaufenen Geschäftsjahres an die Anteilinhaber in dem aus dem Anteilsrecht sich ergebenem Ausmaß als ausgeschüttet (ausschüttungsgleiche Erträge). Nicht als ausgeschüttet gelten Substanzgewinne bei in einem Betriebsvermögen gehaltenen Anteilscheinen. ...
2. Die ausschüttungsgleichen Erträge sind unter Anschluss der notwendigen Unterlagen nachzuweisen. Der Nachweis ist im Wege eines steuerlichen Vertreters zu erbringen. Steuerlicher Vertreter ist ein inländisches Kreditinstitut oder ein inländischer Wirtschaftstreuhänder. Die Kapitalertragsteuer auf die direkt oder indirekt vereinnahmten Zinserträge ... sind durch die Kapitalanlagegesellschaft auf täglicher Basis ... zu veröffentlichen. Die Kapitalertragsteuer auf die ausgeschütteten Jahresgewinne sowie auf die ausschüttungsgleichen Erträge im Sinne der Z 1 sind im Zuflusszeitpunkt durch die Kapitalanlagegesellschaft ... zu veröffentlichen. Erfolgt der Nachweis der ausschüttungsgleichen Erträge nicht durch den steuerlichen Vertreter, kann der Anteilinhaber die Besteuerungsgrundlagen in gleichartiger Form im Veranlagungswege selbst nachweisen. Das Erfordernis des steuerlichen Vertreters entfällt bei Nachweis durch ein inländisches Kreditinstitut für einen von ihm selbst verwalteten inländischen Kapitalanlagefonds. ...
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Das Bundesgesetz über Immobilienfonds (Immobilien-Investmentfondsgesetz, BGBl. I, Nr. 80/2003) in seiner auf den vorliegenden Rechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: ImmoInvFG) definiert in seinem § 1 Abs. 1 den Begriff des Immobilienfonds als „ein überwiegend aus [Immobilien] bestehendes Sondervermögen, das in gleiche, in Wertpapieren verkörperte Anteile zerfällt und nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gebildet wird".
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Nach § 40 Abs. 1 des ImmoInvFG sind Gewinnausschüttungen eines Immobilienfonds beim Anteilsinhaber steuerpflichtige Einnahmen. § 40 Abs. 2 dieses Gesetzes sieht außerdem Folgendes vor:
„1. Insoweit eine tatsächliche Ausschüttung des Jahresgewinnes unterbleibt, gelten mit der Auszahlung der Kapitalertragsteuer ... sämtliche nicht ausgeschütteten Gewinne des abgelaufenen Geschäftsjahres an die Anteilinhaber in dem aus dem Anteilsrecht sich ergebenem Ausmaß als ausgeschüttet (ausschüttungsgleiche Erträge). Wird diese Auszahlung nicht innerhalb von vier Monaten nach Ende des Geschäftsjahres vorgenommen, gelten die nicht ausgeschütteten Jahresgewinne nach Ablauf dieser Frist als ausgeschüttet. ...
2. Die ausschüttungsgleichen Erträge sind durch einen steuerlichen Vertreter den Abgabenbehörden unter Anschluss der notwendigen Unterlagen nachzuweisen. Als steuerlicher Vertreter können inländische Kreditinstitute oder inländische Wirtschaftstreuhänder bestellt werden. Die Kapitalertragsteuer auf die direkt oder indirekt dem Fonds zuzurechnenden Gewinne ... sind durch die Kapitalanlagegesellschaft für Immobilien auf täglicher Basis ... zu veröffentlichen. Die Kapitalertragsteuer auf die ausgeschütteten Jahresgewinne sowie auf die ausschüttungsgleichen Erträge im Sinne der Z 1 sind im Zuflusszeitpunkt durch die Kapitalanlagegesellschaft für Immobilien ... zu veröffentlichen. Erfolgt der Nachweis der ausschüttungsgleichen Erträge nicht durch den steuerlichen Vertreter, kann der Anteilinhaber die Besteuerungsgrundlagen in gleichartiger Form im Veranlagungswege selbst nachweisen. Das Erfordernis des steuerlichen Vertreters entfällt bei Nachweis durch ein inländisches Kreditinstitut für einen von ihm selbst verwalteten inländischen Immobilienfonds. ..."
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Die Investmentfondsrichtlinien vom 17. Oktober 2008, die vom Bundesministerium für Finanzen erlassen wurden, geben die Rechtsauffassung dieses Ministeriums zur Besteuerung von Anteilscheinen an in- und ausländischen Kapitalanlagefonds sowie Immobilienfonds wieder. Diese Richtlinien sind dem Bundesministerium für Finanzen zufolge als Zusammenfassung des für Anteilscheine an Kapitalanlage- und Immobilienfonds zu beachtenden Abgabenrechts und damit als Auslegungsbehelf und Nachschlagewerk für die Praxis anzusehen.
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In den Randziffern 49, 50 und 293 dieser Richtlinien heißt es:
„49. Der Nachweis der ausschüttungsgleichen Erträge ist grundsätzlich nicht vom Anteilinhaber selbst, sondern von einem steuerlichen Vertreter des Fonds zu führen. ... Fehlt ein gültiger Nachweis des steuerlichen Vertreters, sind die steuerpflichtigen, nicht ausgeschütteten Erträge ... zu schätzen.
50. Als steuerlicher Vertreter sind gemäß § 40 Abs. 2 Z 2 zweiter Satz InvFG ... und § 40 Abs. 2 Z 2 zweiter Satz ImmoInvFG nur inländische Kreditinstitute oder inländische Wirtschaftstreuhänder zugelassen. Es handelt sich dabei um Vertreter sui generis, die nicht Vertreter im Sinne [der Bundesabgabenordnung] sind. ...
...
293. Vom Rechtsträger des Fonds ist ein steuerlicher Vertreter gegenüber dem Bundesministerium für Finanzen zu bestellen, dem der Nachweis der ausschüttungsgleichen Erträge obliegt. Als steuerlicher Vertreter kann ein inländisches Kreditinstitut oder ein inländischer Wirtschaftstreuhänder bestellt werden ..."
Sachverhalt und Vorverfahren
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Am 1. Dezember 2008 leitete die Kommission mit einem an die Republik Österreich gerichteten Aufforderungsschreiben, in dem sie rügte, dass nur inländische Kreditinstitute und inländische Wirtschaftstreuhänder als steuerliche Vertreter von Investment- und Immobilienfonds bestellt werden können, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen diesen Mitgliedstaat ein. Sie vertrat in diesem Schreiben die Auffassung, dass die gerügte Beschränkung mit Art. 49 EG und Art. 36 des EWR-Abkommens unvereinbar sei.
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In ihrer Antwort vom 30. Januar 2009 wies die Republik Österreich die Beanstandungen der Kommission zurück. Sie machte im Wesentlichen geltend, dass sowohl Kreditinstitute aus anderen Mitgliedstaaten, die über Zweigstellen in der Republik Österreich verfügten, als auch alle Wirtschaftstreuhänder, die von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch machten, als steuerliche Vertreter auftreten könnten. Ferner sei es, um einen hinreichenden Qualitätsstandard hinsichtlich der notwendigen Kenntnisse der österreichischen Steuervorschriften zu gewährleisten und der Komplexität der Erstellung des in Rede stehenden steuerlichen Nachweises Rechnung zu tragen, erforderlich, nur bestimmte Institutionen und Personen als steuerliche Vertreter anzuerkennen.
Am 15. Mai 2009 leitete die Kommission der Republik Österreich eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu. Sie hielt an den im Aufforderungsschreiben erhobenen Rügen fest und forderte die Republik Österreich auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Stellungnahme nachzukommen. Mit Schreiben vom 15. Juli 2009 wiederholte die Republik Österreich ihre Auffassung, dass die streitigen Vorschriften mit dem Unionsrecht vereinbar seien. Unter diesen Umständen hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.
Zur Klage
Vorbringen der Parteien
Die Kommission macht geltend, dass § 40 Abs. 2 Z 2 Satz 3 InvFG und § 40 Abs. 2 Z 2 Satz 2 ImmoInvFG, gegen den Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit verstießen, soweit sie bestimmten, dass als steuerlicher Vertreter nur ein inländisches Kreditinstitut oder ein inländischer Wirtschaftstreuhänder bestellt werden dürfe. Diese Voraussetzung bedinge nämlich, dass als steuerlicher Vertreter nur eine in Österreich niedergelassene juristische oder natürliche Person bestellt werden könne, nicht jedoch eine Person, die diese Dienstleistung grenzüberschreitend ohne Niederlassung in Österreich erbringe.
In der vorliegenden Klage gehe es nicht um die Anforderungen, die ein Mitgliedstaat an diejenigen stellen dürfe, die sich in seinem Hoheitsgebiet als Kreditinstitut oder Wirtschaftstreuhänder niederlassen wollten. Der Streitgegenstand beschränke sich auf die Frage, ob eine Niederlassung im Inland zur Voraussetzung für ein Auftreten als steuerlicher Vertreter gemäß § 40 Abs. 2 Z 2 Satz 3 InvFG und in § 40 Abs. 2 Z 2 Satz 2 ImmoInvFG gemacht werden könne.
Hinsichtlich einer möglichen Rechtfertigung der streitigen Bestimmungen vertritt die Kommission die Auffassung, dass die in Rede stehende Voraussetzung, nämlich das Erfordernis, dass das Kreditinstitut oder der Wirtschaftstreuhänder im Inland niedergelassen sein müsse, nichts mit der Qualität betreffenden Leistungen oder mit der fachlichen Eignung des Kreditinstituts oder Wirtschaftstreuhänders zu tun habe.
Die Republik Österreich weist darauf hin, dass der Begriff des „inländischen Kreditinstituts" einen Sitz oder eine Zweigniederlassung im Inland voraussetze. Mangels einer Legaldefinition des „inländischen Wirtschaftstreuhänders" im InvFG und im ImmoInvFG sei dem Begriff jenes Verständnis beizumessen, das sich aus dem Wirtschaftstreuhandberufsgesetz ergebe.
Was Letzteren betreffe, sei Voraussetzung zur Erbringung von „vorübergehenden und gelegentlichen Dienstleistungen", dass der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) oder der Schweiz niedergelassene Wirtschaftstreuhänder seine Berufsqualifikation in einem dieser Staaten erworben habe und die Staatsangehörigkeit eines von ihnen besitze. Die Erbringung des Nachweises der ausschüttungsgleichen Erträge gemäß § 40 Abs. 2 Z 2 Satz 3 InvFG oder § 40 Abs. 2 Z 2 Satz 2 ImmoInvFG sei jedoch keine solche vorübergehende und gelegentliche Dienstleistung.
Der Begriff „inländisch" sei außerdem in dem gleichen Sinne zu verstehen wie der entsprechende Begriff in der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. L 375, S. 3) und in der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. L 302, S. 32). Da diese beiden Richtlinien einen satzungsgemäßen Sitz im Inland voraussetzten, stellten die in der vorliegenden Rechtssache streitigen Bestimmungen eine mit den Bestimmungen dieser Richtlinien konforme Umsetzung dar.
Die Ausübung des Berufs des Wirtschaftstreuhänders erfordere spezifische Kenntnisse des einzelstaatlichen Steuerrechts. So werde von denjenigen, die eine Wirtschaftstreuhandniederlassung in Österreich einrichten wollten, eine Eignungsprüfung in Bezug auf diese Kenntnisse vorgeschrieben. Zudem unterlägen Wirtschaftstreuhänder einer laufenden Fortbildungsverpflichtung und Qualitätskontrollen.
Die Einschaltung des steuerlichen Vertreters garantiere außerdem einen hohen Qualitätsstandard und unterscheide den von solchen Fachleuten erbrachten Nachweis von dem, den die Anteilinhaber selbst erbrächten. Angesichts der Komplexität der Erstellung des steuerlichen Nachweises vereinfache die Bestellung eines steuerlichen Vertreters darüber hinaus sowohl den Anlegern als auch der Finanzverwaltung ihre Aufgaben.
Schließlich sei die streitige Voraussetzung einer Niederlassung im Inland Ausfluss des Verbraucherschutzes, da den Anlegern dadurch in Bezug auf die Kenntnisse des steuerlichen Vertreters im nationalen Recht eine gesteigerte Vertrauenswürdigkeit vermittelt werde.
Würdigung durch den Gerichtshof
Zur Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit
Art. 49 EG steht jeder nationalen Regelung entgegen, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten im Ergebnis gegenüber der Leistung von Diensten, die ausschließlich innerhalb eines Mitgliedstaats erfolgt, erschwert (vgl. Urteile vom 8. September 2005, Mobistar und Belgacom Mobile, C‑544/03 und C‑545/03, Slg. 2005, I‑7723, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 18. Juli 2007, Kommission/Italien, C‑134/05, Slg. 2007, I‑6251, Randnr. 70).
Der Gerichtshof hat u. a. entschieden, dass das Erfordernis, dass ein Einzelner oder ein Unternehmen seine Geschäftsniederlassung in dem Mitgliedstaat haben muss, in dem die Dienstleistung erbracht wird, dem freien Dienstleistungsverkehr geradewegs zuwiderläuft, da es die Erbringung von Dienstleistungen in diesem Staat durch einen in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer unmöglich macht (vgl. Urteile vom 9. März 2000, Kommission/Belgien, C‑355/98, Slg. 2000, I‑1221, Randnr. 27, sowie Kommission/Italien, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat insoweit hervorgehoben, dass das Erfordernis einer festen Niederlassung oder einer Präsenz im Inland praktisch die Negation dieser Freiheit ist. Dieses Erfordernis hat zur Folge, dass dem Art. 49 EG, der gerade die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit einer Person beseitigen soll, die nicht in dem Staat niedergelassen ist, in dem die Dienstleistung erbracht werden soll, jede praktische Wirksamkeit genommen wird. (vgl. Urteile vom 9. Juli 1997, Parodi, C‑222/95, Slg. 1997, I‑3899, Randnr. 31, und vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz, C‑452/04, Slg. 2006, I‑9521, Randnr. 46).
Was § 40 Abs. 2 Z 2 Satz 3 InvFG und § 40 Abs. 2 Z 2 Satz 2 ImmoInvFG betrifft, denen zufolge nur inländische Kreditinstitute oder inländische Wirtschaftstreuhänder als steuerliche Vertreter von Investment- oder Immobilienfonds bestellt werden können, so bedeutet der Begriff „inländisch", dass nur eine Person, die in Österreich niedergelassen oder zumindest in diesem Mitgliedstaat präsent ist, als steuerlicher Vertreter bestellt werden kann. Die Republik Österreich bestreitet im Übrigen nicht, dass dem Begriff „inländisch" diese Bedeutung zukommt. Demzufolge hindern diese Bestimmungen eine Person daran, die Aufgabe des steuerlichen Vertreters in Österreich grenzüberschreitend wahrzunehmen.
Zum Vorbringen der Republik Österreich, dass der österreichische Gesetzgeber mit dem Begriff „inländisch" die Richtlinien 85/611 und 2009/65 habe umsetzen wollen, genügt die Feststellung, dass diese Richtlinien die Niederlassungsvoraussetzungen in Bezug auf bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren und für deren Vermarktung betreffen, diese Voraussetzungen jedoch nichts mit dem Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits, nämlich die Erbringung des Nachweises der ausschüttungsgleichen Erträge für die Festsetzung der auf den Ertrag geschuldeten Steuer, zu tun haben.
Ein solches Niederlassungserfordernis stellt infolgedessen eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.
Zur geltend gemachten Rechtfertigung
Die somit festgestellte Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs kann nur dann durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, wenn die betreffende Maßnahme zum Schutz der Belange, die sie gewährleisten soll, erforderlich ist, und auch nur insoweit, als diese Ziele nicht mit weniger einschränkenden Maßnahmen erreicht werden können (vgl. Urteil Kommission/Italien, Randnr. 45).
Zum Vorliegen eines solchen zwingenden Grundes des Allgemeininteresses trägt die österreichische Regierung im Wesentlichen vor, dass die streitigen nationalen Rechtsvorschriften ein angemessenes Niveau der Fachkompetenz in dem betreffenden Bereich gewährleisten sollten.
Das Erfordernis der inländischen Präsenz hat jedoch nichts mit dem geltend gemachten Interesse, d. h. der Gewährleistung der Qualität der betreffenden Leistungen, zu tun. Denn die Tatsache, dass der steuerliche Vertreter, der den Nachweis der ausschüttungsgleichen Erträge erbringt, in Österreich niedergelassen ist, gewährleistet nicht, dass dieser über eine besondere Fachkompetenz im österreichischen Steuerrecht verfügt. Ebenso wenig kann aus der Tatsache, dass der Betreffende in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, der Schluss gezogen werden, dass dieser nicht über die genannte Kompetenz verfügt.
Zu der auf den Verbraucherschutz gestützten Argumentation genügt - wie zum Vorbringen bezüglich der Qualität der in Rede stehenden Dienstleistungen - die Feststellung, dass die Vertrauenswürdigkeit von Fachleuten, was deren Spezialkenntnisse im nationalen Steuerrecht betrifft, nicht durch die bloße Tatsache in Frage gestellt werden kann, dass diese Fachleute nicht in Österreich niedergelassen sind.
Darüber hinaus belegt der Umstand, dass der Steuerpflichtige nach den streitigen nationalen Rechtsvorschriften den Nachweis der ausschüttungsgleichen Erträge auch selbst erbringen kann, dass der von der Republik Österreich angeführte Grund des Allgemeininteresses nicht tragfähig ist. Die Republik Österreich hat im Übrigen vorgetragen, dass sich jeder Steuerpflichtige für diesen Nachweis eines professionellen Dienstleisters seiner Wahl bedienen könne.
Demzufolge vermag der von der Republik Österreich angeführte Grund, dass gewährleistet sein müsse, dass der steuerliche Vertreter für die Aufgabe des Nachweises der ausschüttungsgleichen Erträge über besondere Fachkompetenzen im österreichischen Steuerrecht verfügt, nicht die fragliche Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu rechtfertigen.
Da die Bestimmungen von Art. 36 des EWR-Abkommens von gleicher Art und Tragweite sind wie die im Wesentlichen identischen Bestimmungen des Art. 49 EG, lassen sich die voranstehenden Erwägungen unter Umständen wie denen des vorliegenden Verfahrens auf den genannten Art. 36 übertragen.
Nach alledem verstoßen die streitigen nationalen Rechtsvorschriften gegen den in Art. 49 EG und Art. 36 des EWR-Abkommens verankerten Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit.
Folglich ist festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 EG und Art. 36 des EWR-Abkommens verstoßen hat, dass sie Vorschriften erlassen und beibehalten hat, nach denen nur inländische Kreditinstitute oder inländische Wirtschaftstreuhänder als steuerliche Vertreter von Investment- oder Immobilienfonds bestellt werden können.
Kosten
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Republik Österreich mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.