Niedersächsisches FG: Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags
Niedersächsisches FG, Urteil vom 13.9.2012 - 6 K 51/10, Rev eingelegt (Az. BFH I R 75/12)
Leitsatz
Ein schädlicher Beteiligungserwerb liegt nur vor, wenn ein Erwerber im Sinne einer Besitzgrenze zu mehr als 25 % an einer Körperschaft beteiligt ist.
Sachverhalt
Die Klage richtet sich gegen die Verminderung des auf den 31.12.2008 festgestellten körperschaftsteuerlichen Verlustvortrags auf Grund der Anwendung der Verlustabzugsbeschränkung nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG.
Die Klägerin ist eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der X-GmbH, deren Anteile wiederum zu 100 % von der Y-AG gehalten werden. Zwischen X und der Klägerin bestehen seit dem Jahr 2004 ein Ergebnisabführungsvertrag sowie eine körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Organschaft. Das beklagte FA veranlagte die Klägerin seit dem Veranlagungszeitraum 2004 durchgehend als Organgesellschaft der X. Den vororganschaftlichen Verlustvortrag der Klägerin auf den 31.12.2007 stellte das FA mit Bescheid vom 5.5.2009, der unter Vorbehalt der Nachprüfung steht, mit ... Euro fest.
In dem Zeitraum zwischen dem 1.1.2008 und dem ... 2008 erwarb Z rund 8,01 % der Y-Aktien. Am ... 2008 veröffentlichte Z ein öffentliches Übernahmeangebot an alle Aktionäre der Y. Bis zum Ablauf der Angebotsfrist ... wurde das Übernahmeangebot von rund ... % der Aktionäre angenommen ... Das Übernahmeangebot stand unter der aufschiebenden Bedingung erforderlicher kartellrechtlicher Genehmigungen.
Am ... 2008 schlossen Y und Z eine Investorenvereinbarung zum Schutz der Interessen der Y und ihrer Aktionäre, Mitarbeiter und Kunden. In dieser Vereinbarung verpflichtete sich Z unter anderem dazu, ihre Beteiligung an der Y bis ... auf maximal ... % des stimmberechtigten Grundkapitals zu beschränken. Zur Sicherstellung der Einhaltung der aus der Investorenvereinbarung folgenden Höchstbeteiligungsverpflichtung schloss S am ... 2008 Verkaufs- und Weiterveräußerungsverträge mit zwei Banken (folgend: Verkaufsbanken).
Am 18.9.2008 reduzierte Z zunächst ihre Beteiligung an der Y durch Aktienveräußerungen von rund 8,01 % um 0,78 % auf rund 7,23 %. Bis zum 12.12.2008 erwarb Z weitere 16,24 % der Anteile an der Y. Am 22.12.2008 veräußerte Z 7,99 % und am 23.12.2008 weitere 1,95 % der Y-Aktien an die Verkaufsbanken. Am 23.12.2008 erwarb Z weitere 5,92 % der Y-Aktien und hielt somit am 31.12.2008 unter Berücksichtigung einer zwischenzeitlich erfolgten Erhöhung des Grundkapitals der Y 19,16 % der Y-Aktien. Die Verkaufsbanken hielten zu dieser Zeit 9,94 % der Aktien der Y.
Das Übernahmeangebot wurde am ... 2009 durch dingliche Übertragung der Aktien vollzogen. Den veräußernden Aktionären stand vor der dinglichen Übertragung das Stimmrecht aus den Aktien zu; sie konnten die zum Verkauf angebotenen Aktien bis zum Ablauf des ... 2009 über die Börse veräußern. Aufgrund der Verpflichtung aus der Investorenvereinbarung hielt Z nur eine Beteiligung in Höhe von ... % der Aktien der Y. Jeweils ... % der Aktien wurden durch die beiden Verkaufsbanken erworben.
Am 6.7.2009 erteilte der Beklagte der Y eine verbindliche Auskunft dahingehend, dass er Z und die Banken - zumindest im Rahmen eines im Einzelnen bezeichneten Einbringungsvorgangs - nicht als eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen i. S. d. § 8c Abs. 1 S. 3 KStG ansehe.
Am 28.12.2009 erließ das FA einen Bescheid für die Klägerin über Körperschaftsteuer 2008 und Solidaritätszuschlag sowie über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2008. Den verbleibenden Verlustvortrag auf den 31.12.2008 nach § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 10d Abs. 4 EStG stellte das FA mit ... Euro fest. Das FA kürzte den zum 31.12.2007 festgestellten Verlustvortrag um ... Euro unter Hinweis auf § 8c KStG. Sonstige Veränderungen des Verlustvortrags ergaben sich wegen der bestehenden körperschaftsteuerlichen Organschaft nicht.
Das FA vertrat die Auffassung, der vororganschaftliche Verlustvortrag der Klägerin sei auf Grund eines schädlichen Beteiligungserwerbs im Sinne des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG bei der Y durch Z in Höhe von 29,9 % untergegangen. Für die Ermittlung des schädlichen Anteilserwerbs seien alle Erwerbe durch einen Erwerber/Erwerberkreis innerhalb eines Fünfjahreszeitraums zusammenzurechnen; die in diesem Zeitraum erfolgten Anteilsveräußerungen seien nach dem Gesetzeswortlaut nicht gegenzurechnen.
Das FA berücksichtigte somit nur die Anteilserwerbe durch Z, nicht aber die Abgänge, wie folgt:
Sachverhalt/Datum | |
Erwerbe bis zum 16.9.2008 | 8,01 % |
nachfolgende Erwerbe bis zum 22.12.2008 | 16,24 % |
Erwerb am 23.12.2008 | 5,92 % |
Addition sämtlicher Erwerbe | 30,17 % |
schädlicher Beteiligungserwerb unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich erfolgten Kapitalerhöhung | 29,90 % |
Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 25.1.2010 erhobenen Sprungklage, der das FA mit Schriftsatz vom 4.2.2010, eingegangen beim Niedersächsischen FG am 8.2.2010, zugestimmt hat.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, im Jahr 2008 habe kein mittelbarer schädlicher Beteiligungserwerb im Sinne des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG durch Z stattgefunden. Die schädliche Beteiligungsgrenze sei im Streitfall nicht überschritten worden, da Z unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher Weiterveräußerungen zu keinem Zeitpunkt im Jahr 2008 mehr als 25 % der Aktien der Y gehalten habe. Die vom FA vertretene Auffassung, der Tatbestand des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG sei dem Grunde nach bereits dann erfüllt, wenn eine schlichte Zusammenrechnung sämtlicher innerhalb von 5 Jahren durch einen Erwerber vollzogener Anteilserwerbe ergebe, dass in der Summe mehr als 25 % der Aktien auf einen Erwerber übertragen worden sei, sei zwar nach dem Wortlaut der Vorschrift möglich. Diese Auslegung lasse jedoch den Klammerzusatz „schädlicher Beteiligungserwerb" außer Acht. Durch die Bezeichnung „Beteiligungserwerb" anstelle des Begriffs „schädliche Anteilsübertragung" ergebe sich eine über die bloße Anteilsübertragung hinausgehende qualitative Anforderung. Der Begriff der „Beteiligung" impliziere ebenso wie § 271 Abs. 1 S. 1 HGB die Absicht des Erwerbers, eine dauernde Verbindung zu dem anderen Unternehmen herzustellen.
Nach der Gesetzesbegründung solle es für den vollständigen oder teilweisen Wegfall von Verlusten nach § 8c KStG darauf ankommen, „ob ein neuer Anteilseigner maßgebend auf die Geschicke der Kapitalgesellschaft einwirken kann und es so prinzipiell in der Hand hat, die Verwertung der Verluste zu steuern" (BT-Drucks. 16/4841, 34 f.) Überschreite die tatsächlich durch einen Erwerber gehaltene Beteiligung die 25 %-Schwelle nicht, bestehe nach dem gesetzgeberischen Willen kein Raum für einen anteiligen Verlustuntergang. Erfolgten neben Anteilserwerben auch Anteilsabgänge sei darauf abzustellen, ob der Erwerber zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des 5-Jahres-Zeitraums tatsächlich zu mehr als 25 % an der Verlustgesellschaft beteiligt gewesen sei. Sei dies nicht der Fall, habe für den Erwerber nach der gesetzlichen Typisierung zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit bestanden „wesentlich auf die Geschicke der Gesellschaft einzuwirken".
Z und die Verkaufsbanken seien nicht als Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen im Sinne des § 8c Abs. 1 S. 3 KStG anzusehen. Der wesentliche Inhalt der Verkaufsverträge könne nach Angaben der Z wie folgt zusammengefasst werden: Es sei vereinbart worden, dass den Verkaufsbanken sämtliche Rechte aus den ihnen verkauften Aktien zuständen. Die Verkaufsbanken nähmen die Stimmrechte aus den Aktien eigenständig und ohne Berücksichtigung irgendwelcher Interessen der Z ausschließlich in ihrem eigenen Interesse wahr. Es sei ausdrücklich vereinbart worden, dass zwischen Z und den Verkaufsbanken kein Treuhandverhältnis begründet werde. Es bestehe kein Anspruch auf Rückübertragung der Aktien. Die Verkaufsbanken hätten sich darüber hinaus verpflichtet, die an sie veräußerten Aktien bestmöglich und marktschonend, ... weiter zu veräußern. Dabei benötigten sie keinerlei Zustimmung der Z und seien nicht verpflichtet, den Weisungen der Z zu folgen. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses ... seien die Verkaufsbanken berechtigt und verpflichtet, die sich noch in ihrem Eigentum befindlichen Aktien bestmöglich, so schnell wie marktschonend möglich, zu veräußern. Der Kaufpreis für den Erwerb der Aktien durch die Verkaufsbanken entspreche der Summe der Erlöse, die die Verkaufsbanken aus einer Weiterveräußerung erzielten, zzgl. etwaiger bezogener Dividenden abzüglich einer den Verkaufsbanken zu leistenden Vergütung ... sowie etwaiger Kosten oder Steuern.
Die Anwendung des § 8c Abs. 1 S. 3 KStG setze gleichgerichtete Interessen voraus. Die gleichgerichteten Interessen i. S. d. § 8c Abs. 1 S. 3 KStG müssten nach dem Zweck des § 8c KStG - Vermeidung des „strukturierten Erwerbs einer Verlustgesellschaft" - entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung auf die Nutzung der Verluste der Körperschaft gerichtet sein. Die Nutzung der Verluste der Gesellschaften des Y-Konzerns sei - soweit diese Verluste Z und den Verkaufsbanken überhaupt bekannt gewesen seien - jedoch ohne Bedeutung für den Erwerb von Y-Aktien durch Z sowie für den Abschluss der Verkaufsverträge zwischen Z und den Verkaufsbanken und damit den Erwerb von Y-Aktien durch die Verkaufsbanken gewesen. Z als Verkäufer und die Verkaufsbanken als Käufer hätten im Hinblick auf den Erwerb der Y-Aktien jeweils ausschließlich eigene, nicht gleichgerichtete Interessen verfolgt. Z habe ihre Verpflichtungen aus der Investorenvereinbarung erfüllen und damit die Realisierung von Verlusten durch eine Veräußerung der über die vereinbarte Höchstbeteiligungsgrenze hinaus nach dem Übernahmeangebot zu erwerbenden Y-Aktien über die Börse vermeiden wollen. Das Interesse der Verkaufsbanken habe hingegen in der Erzielung einer Vergütung aus der Transaktion gelegen. Eine „Abstimmung" im Hinblick auf eine „einheitliche Willensbildung" oder „gemeinsame Beherrschung" im Hinblick auf die von Z und den Verkaufsbanken jeweils erworbenen Y-Aktien sei nicht erfolgt. Auch die Auffassung der Finanzverwaltung führe im vorliegenden Fall zum gleichen Ergebnis. Entscheidend für die Annahme gleichgerichteter Interessen i. S. d. § 8c Abs. 1 S. 3 KStG sei ein tatsächliches Zusammenwirken der neuen Gesellschafter zur Ausübung der Herrschaftsmacht bei der Körperschaft. Ein solches Zusammenwirken habe nicht vorgelegen.
Zudem bestünden schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf § 8c KStG insgesamt und gegen eine weite Auslegung im Besonderen. Gemessen an den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 9.12.2008 (2 BvL 1/07 u. a., BVerfGE 122, 210 - Pendlerpauschale) sowie vom 17.11.2009 (1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, BB 2010, 870 m. BB-Komm. Balmes - Übergangsregelung zur Körperschaftsteuer) sei eine Anwendung der Vorschrift jedenfalls auf den vorliegenden Fall mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und dem Gleichheitssatz nicht vereinbar. Nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäben erfordere ein Systemwechsel - hier: Durchbrechung des Trennungsprinzips und Abstellen auf das wirtschaftliche Engagement der Anteilseigner - eine Konsequenz und Konsistenz der Regelungsziele und -wirkungen. Unterstelle man das Regelungsziel einer Durchbrechung des Trennungsprinzips bei einem wirtschaftlichen Engagement mit einer Beteiligung von mehr als 25 %, sei eine fehlende Berücksichtigung von Anteilsabgängen vor Erreichen dieser Beteiligungsgrenze weder konsequent noch konsistent.
Kapitalgesellschaften unterlägen als eigenständige Steuersubjekte getrennt von ihren Gesellschaftern der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer. Dieses strenge Trennungsprinzip sei eine grundlegende Belastungsentscheidung des Gesetzgebers. Das Trennungsprinzip habe auch zur Folge, dass eine Verrechnung von Gewinnen und Verlusten zwischen Gesellschafter und Kapitalgesellschaft außerhalb einer Organschaft nicht möglich sei. Wie bei natürlichen Personen entspreche die Verrechnung von Verlusten als Ausprägung des objektiven Nettoprinzips dem Grundsatz der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit. Mit einem Systemwechsel weg vom Trennungsprinzip zum Abstellen auf die wirtschaftliche Identität einer Körperschaft könne § 8c KStG nicht gerechtfertigt werden. Zum einen werde das Trennungsprinzip im Übrigen vollständig beibehalten und insbesondere kein Abzug der Verluste bei den Gesellschaftern zugelassen, zum anderen wäre eine solche neue Belastungsentscheidung nicht folgerichtig umgesetzt: Die Regelung greife nicht, wenn mehr als 25 % der Anteile durch neue Gesellschafter erworben würden, sondern nur, wenn ein Erwerber die 25 %-Grenze für den schädlichen Beteiligungserwerb überschreite. Selbst wenn sämtliche Gesellschafter einer Körperschaft wechselten, bleibe der Verlustvortrag erhalten, wenn die 25 %-Grenze durch keinen der Erwerber überschritten werde. Wenn ein Anteilserwerb die wirtschaftliche Identität verändern würde, müsste allein auf die Anteilsübertragung abgestellt werden. Im Übrigen beziehe § 8c KStG die erwerbenden Gesellschafter nicht folgerichtig ein, weil die Rechtsfolgen die Gesellschaft selbst und damit auch die Gesellschafter treffe, die unverändert beteiligt seien. Mangels eines echten Systemwechsels hin zu einer Transparenz der Gesellschaft stehe § 8c KStG im Widerspruch zur unveränderten Grundentscheidung des Gesetzgebers für das Trennungsprinzip.
Im Streitfall hätten die Anteilserwerbe durch Z an der börsennotierten Y in keinem Zusammenhang mit den Verlusten der Y und ihrer Konzerngesellschaften gestanden. Auch seien seit dem Erwerb keinerlei Maßnahmen zur Nutzung dieser Verluste durch Z erfolgt. Eine sachliche Rechtfertigung für die Anwendung des § 8c KStG sei - unabhängig von der Höhe des Beteiligungserwerbs - nicht gegeben.
Im Hinblick auf den vorliegenden Fall einer börsennotierten Gesellschaft sei zudem darauf hinzuweisen, dass Käufe unterhalb der Meldeschwelle des § 21 WpHG (3 %) der Körperschaft und auch dem für sie zuständigen Finanzamt nicht bekannt würden. Auf Grundlage der Auffassung des Finanzamts wären diese Käufe jedoch zu berücksichtigen, wenn durch mehrfache Käufe innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 % erworben würden, obwohl durch gegenläufige Verkäufe zu keinem Zeitpunkt mehr 25 % gehalten würden. Daran werde deutlich, dass die Auffassung des FA jedenfalls bei börsennotierten Gesellschaften zu einem Vollzugsdefizit führen würde, das wiederum die verfassungsrechtliche Zulässigkeit infrage stelle.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 28.12.2009 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2008 dahingehend zu ändern, dass dieser mit ... Euro festgestellt wird.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Gesetzgeber habe mit § 8c KStG beabsichtigt, eine einfachere und zielgenauere Verlustabzugsbeschränkung für Körperschaften einzuführen. Er habe dazu das streitanfällige Tatbestandsmerkmal „Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens" des § 8 Abs. 4 KStG a. F. aufgegeben. Maßgebliches Kriterium für den Verlustabzug sei künftig ausschließlich der Anteilseignerwechsel. Der Neuregelung des § 8c KStG liege der Gedanke zu Grunde, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners (oder Anteilseignerkreises) ändere. Der Gesetzgeber habe ausschließlich auf eine unmittelbare oder mittelbare Übertragung von mehr als 25 % der Anteile an einer (Verlust-)Kapitalgesellschaft innerhalb eines Zeitraums von 5 Jahren abgestellt, aber nicht gefordert, dass der Erwerber gleichzeitig mehr als 25 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft innehabe.
Die von der Klägerin geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG seien nicht durchgreifend. Der aus dem objektiven Nettoprinzip abgeleitete Grundsatz der Folgerichtigkeit der Umsetzung einer Belastungsentscheidung sei nicht verletzt.
Der Beklagte ist ebenso wie der Klägerin der Ansicht, Z und die Verkaufsbanken seien nicht als Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen i. S. d. § 8c Abs. 1 S. 3 KStG anzusehen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.
Aus den Gründen
Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht einen Teil der Verluste der Klägerin als nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG nicht mehr abziehbar behandelt.
- ► Schädliche Beteiligungsgrenze bei mehreren Anteilsveräußerungen/-erwerben
1. Werden innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 Prozent des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG nicht mehr abziehbar.
a) Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift könnte allein maßgeblich sein, ob innerhalb der o. g. Zeitraums mehr als 25 % der Anteile an einer Gesellschaft an einen Erwerber übertragen werden, unabhängig davon, ob innerhalb dieser Zeit auch Anteilsverkäufe erfolgen. In diesem Sinne (keine Gegenrechnung von Verkäufen) wird § 8c Abs. 1 S. 1 KStG vom Beklagten und einem Teil der Literatur verstanden (so Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, § 8c KStG Rn. 71; ebenso Frotscher in Frotscher/Maas, § 8c KStG Rn. 74d, der allerdings ggf. von einer sachlichen Unbilligkeit i. S. d. § 163 AO ausgeht).
Auch die Finanzverwaltung geht wohl davon aus, dass Anteilserwerbe - unabhängig von zwischenzeitlichen Anteilsveräußerungen - für die Anwendung des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG zu addieren sind. So bestimmt Tz. 16 des BMF-Schreibens vom 4.7.2008 zur Anwendung des § 8c KStG (BStBl. I 2008, 736), alle Erwerbe durch einen Erwerberkreis innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums seien zusammenzufassen. Dabei soll gemäß Tz. 22 dieses BMF-Schreibens die mehrfache Übertragung der nämlichen Anteile „schädlich" sein, soweit sie je Erwerberkreis die Beteiligungsgrenzen des § 8c KStG übersteigt. Während das BMF-Schreiben zu § 8 Abs. 4 KStG a. F. noch die Bestimmung enthielt, die mehrfache Übertragung des nämlichen Anteils werde nur einmal gezählt (BMF-Schreiben vom 16.4.1999, BStBl. I 1999, 455 Tz. 05), fehlt eine vergleichbare Regelung in dem BMF-Schreiben vom 4.7.2008 zur Anwendung des § 8c KStG (BStBl. I 2008, 736).
Folgt man dieser Auffassung, so lägen die Voraussetzungen des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG im Streitfall vor. Z hat im Streitjahr mehr als 25 % der Aktien der Y erworben und einen Teil dieser Anteile wieder veräußert. Da die Klägerin eine 100 %ige Tochtergesellschaft der X ist, die ihrerseits eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Y ist, wurden hierdurch mittelbar auch mehr als 25 % der Anteile an der Klägerin auf Z übertragen.
b) Nach der Gegenauffassung setzt die Anwendung des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG dagegen voraus, dass ein Erwerber oder eine Erwerbergruppe im Sinne einer Besitzgrenze mindestens einmal zu mehr als 25 % an der Körperschaft beteiligt war. Werden zwar - wie im Streitfall - insgesamt mehr als 25 % der Anteile an einer Körperschaft erworben, aber werden infolge zwischenzeitlicher Anteilsveräußerungen zu keinem Zeitpunkt mehr als 25 % der Anteile an einer Gesellschaft gehalten, so ist § 8c Abs. 1 S. 1 KStG nach dieser Auffassung nicht anzuwenden (so Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8c KStG Anm. 23; Zerwas/Fröhlich in Lüdicke/Kempf/Brink, Verluste im Steuerrecht, 2010, S. 207 f.; Möhlenbrock, Ubg. 2008, 595 [603]; Neyer, der Mantelkauf, 2008, S. 89; vgl. auch Roser in Gosch, Komm. zum KStG, 2. Aufl. 2009, § 8c Rn. 38, der nach dem Zweck des § 8c KStG eine auf Dauer angelegte Anteilsübertragung fordert).
- ► § 8c Abs. 1 S. 1 KStG - ggf. entgegen Wortlaut - nur anwendbar, wenn Erwerber(gruppe) mehr als 25% Anteilsbesitz an Körperschaft besitzt
c) Der erkennende Senat schließt sich der letztgenannten Ansicht an, dass § 8c Abs. 1 S. 1 KStG nur dann anzuwenden ist, wenn ein Erwerber oder eine Erwerbergruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr als 25 % der Anteile an einer Körperschaft besitzt.
Für diese Ansicht spricht zum einen, dass nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG ein „schädlicher Beteiligungserwerb" erforderlich ist. Der Wegfall des Verlustvortrags nach dieser Vorschrift wurde damit begründet, dass „ein neuer Anteilseigner maßgebend auf die Geschicke der Kapitalgesellschaft einwirken kann und es so prinzipiell in der Hand hat, die Verwertung der Verluste zu steuern" (BT-Drucks. 16/4841 S. 34 f.). Der Neuregelung des § 8c KStG „liegt der Gedanke zugrunde, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagements eines anderen Anteilseigners (oder Anteilseignerkreises) ändert" (BT-Drucks. 16/4841 S. 76). Ein derartiger Wechsel der Identität einer Gesellschaft liegt jedoch nicht vor, wenn ein Erwerber in einer Vielzahl von Fällen Anteile an einer Gesellschaft an- und verkauft, um hierdurch Kursgewinne an der Börse zu erzielen, auch wenn ein Erwerber innerhalb von 5 Jahren insgesamt mehr als 25 % der Anteile der Gesellschaft erworben (und wieder veräußert) hat. Vielmehr setzt ein Wechsel der wirtschaftlichen Identität einer Körperschaft durch Wechsel des Anteilseigners voraus, dass der Erwerber nicht nur kurzfristig Anteile an- und verkauft, sondern eine dauernde Verbindung zu dem Unternehmen i. S. einer Beteiligung i. S. d. § 271 Abs. 1 S. 1 HGB erstrebt.
- ► Auslegung vermeidet verfassungswidriges strukturelles Vollzugsdefizit
Darüber hinaus vermeidet diese Auslegung auch ein verfassungswidriges strukturelles Vollzugsdefizit. Wären alle Erwerbe innerhalb eines Fünf-Jahreszeitraums - unabhängig von zwischenzeitlichen Anteilsverkäufen - zu addieren, so würde diese Vorschrift auch eine Vielzahl von An- und Verkäufen börsennotierter Anteile erfassen, die jeweils nicht unter die Meldegrenzen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) fallen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass zahlreiche An- und Verkäufe von Aktien börsennotierter Unternehmen durch einen Erwerber (oder Erwerberkreis mit gleich gerichteten Interessen) innerhalb von 5 Jahren dazu führen, dass der Erwerber (bzw. Erwerberkreis) mehr als 25 % der Anteile einer Kapitalgesellschaft erworben (und wieder veräußert) hat, obwohl er zu keinem Zeitpunkt eine nennenswerte Beteiligung an der Gesellschaft gehalten hat. Wäre allein auf die Anzahl der Erwerbe abzustellen, so würde § 8c Abs. 1 S. 1 KStG sogar Erwerbe im sog. Hochfrequenzhandel erfassen, bei dem Anteile innerhalb von Sekundenbruchteilen erworben und wieder veräußert werden. Welcher Erwerber Inhaberpapiere börsennotierter Gesellschaften kurzfristig gehalten und wieder veräußert hat, ist weder für die betroffene Gesellschaft noch für die Finanzverwaltung nachvollziehbar. Ein Abstellen allein auf den Erwerb eines Anteils an einer Körperschaft, bei dem die Beteiligungsgrenze des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG nur durch die Addition einer Vielzahl von Ankäufen ohne Berücksichtigung zwischenzeitlicher Verkäufe überschritten würde, müsste deshalb nach Auffassung des erkennenden Senats zu einem strukturellen Erhebungsdefizit führen, das eine Verfassungswidrigkeit des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG zur Folge hätte (vgl. zur Verfassungswidrigkeit steuerlicher Normen infolge struktureller Vollzugsdefizite BVerfG-Urteile vom 27.6.1991 - 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 - Zinsbesteuerung und vom 9.3.2004 - 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 - Spekulationsgeschäfte). Außerdem entspräche eine derartige Auslegung nicht dem Zweck des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG.
Da sowohl der Gesetzeswortlaut des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG als auch der Zweck dieser Norm eine einschränkende Auslegung dahingehend erlauben, dass diese Vorschrift nur dann anzuwenden ist, wenn ein Erwerber oder eine Erwerbergruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr als 25 % der Anteile an einer Körperschaft besitzt und diese Auslegung zugleich ein verfassungswidriges strukturelles Vollzugsdefizit vermeidet, folgt der erkennende Senat dieser Auslegung des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG.
d) Nach diesen Maßstäben ist § 8c Abs. 1 S. 1 KStG im Streitfall nicht anzuwenden. Z hat bis zum Ende des Streitjahres zu keinem Zeitpunkt mehr als 25 % der Anteile der Y gehalten.
- ► Möglicher Erwerberkreis aufgrund gleichgerichteter Interessen: verbindliche Auskunft
2. Ein schädlicher Beteiligungserwerb liegt auch nicht deshalb vor, weil Z und die Verkaufsbanken als Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen i. S. d. § 8c Abs. 1 S. 3 KStG anzusehen wären.
Der Beklagte hat die zwischen Z und den Verkaufsbanken abgeschlossenen Verträge, die dem erkennenden Senat nicht vorliegen, im Rahmen eines Verfahrens zur Erteilung einer verbindlichen Auskunft unter Beteiligung der vorgesetzten Behörden eingehend geprüft und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass Z und die Verkaufsbanken i. S. d. § 8c Abs. 1 S. 3 KStG nicht mit gleichgerichteten Interessen handelten. Hieran halten die Beteiligten weiterhin fest. Anhaltspunkte dafür, dass diese übereinstimmende Würdigung der Beteiligten unrichtig sein könnte, sind nicht ersichtlich.
§ 8c Abs. 1 S. 1 KStG vorliegend nicht anwendbar
3. Da § 8c Abs. 1 S. 1 KStG aus den o.g. Gründen im Streitfall nicht anzuwenden ist, bedarf es keiner Entscheidung über die Frage, ob der erkennende Senat diese Norm - ebenso wie das FG Hamburg (Vorlagebeschluss vom 4.4.2011 - 2 K 33/10, BB 2011, 1891 m. BB-Komm. Köplin/Sedemund, DStR 2011, 1172, Normenkontrollverfahren 2 BvL 6/11 anhängig) - als mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ansieht.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
6. Die Revision wurde gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da die Frage, ob Anteilsverkäufe bei der Anwendung des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG gegenzurechnen sind, grundsätzliche Bedeutung hat.