EuGH-SA : Factoring in Form des Forderungsverkaufs
GA Rantos, Schlussanträge vom 3.4.2025 – C-232/24 [Kosmiro]; A Oy, Beteiligte: Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö
ECLI:EU:C:2025:246
Volltext BB-Online BB-ONLINE BBL2025-917-2
Schlussanträge
1. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 9 Abs. 1 und Art. 135 Abs. 1 Buchst. b und d der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
sind dahin auszulegen, dass bei Ausübung einer Factoringtätigkeit in Form des Forderungsverkaufs, bei dem der Factor bei einem Kunden nicht fällige Rechnungsforderungen ankauft und dabei das Schuldnerausfallrisiko dieses Kunden übernimmt, zum einen die vom Factor dem Kunden in Rechnung gestellte Provision, die als Prozentsatz jeder der Factoringvereinbarung unterfallenden Rechnungsforderung festgelegt ist, wobei dieser Prozentsatz umso höher ist, je länger das Zahlungsziel der Rechnungen und je schlechter das Rating der betroffenen Forderungen ist, und zum anderen die feste Einrichtungsgebühr, die der Factor dem Kunden für die Einrichtung und das Ingangsetzen des Factoringverfahrens in Rechnung stellt, als Gegenleistung für dieser Richtlinie unterfallende Dienstleistungen anzusehen sind.
2. Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass die von einem Factor im Rahmen einer Factoringtätigkeit in Form eines Forderungsverkaufs wie der in der vorstehenden Ziffer genannten oder im Rahmen einer Factoringtätigkeit in Form der Rechnungsfinanzierung, bei der der Factor einem Kunden in der Weise einen Kredit gewährt, dass die Rechnungsforderungen dieses Kunden als Sicherheit für die vom Factor gewährte Finanzierung dienen, in Rechnung gestellte Finanzierungsprovision oder Einrichtungsgebühr die Gegenleistung für eine einheitliche und unteilbare Leistung der „Einziehung von Forderungen“ darstellen, die gemäß der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme von der Mehrwertsteuerbefreiung der Mehrwertsteuer unterliegt.
3. Die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112 für die „Einziehung von Forderungen“ vorgesehene Ausnahme von der Mehrwertsteuerbefreiung ist unbedingt und hinreichend genau, um unmittelbare Wirkung entfalten zu können, so dass sie vor einem nationalen Gericht geltend gemacht und der Anwendung einer mit ihr unvereinbaren Regelung des innerstaatlichen Rechts entgegengehalten werden kann.
Aus den Gründen
I. Einleitung
1. Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 9 Abs. 1 und Art. 135 Abs. 1 Buchst. b und d der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie)(2).
2. Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der A Oy, einer Gesellschaft finnischen Rechts, und dem Keskusverolautakunta (Zentraler Steuerausschuss, Finnland) über die mehrwertsteuerliche Behandlung verschiedener Provisionen und Gebühren, die diese Gesellschaft im Rahmen des von ihr betriebenen Factorings in Rechnung stellt.
3. Zur Erinnerung: Der Begriff „Factoring“ wird zur Bezeichnung von Finanzdienstleistungen verwendet, die es einem Unternehmen (dem „Kunden“) ermöglichen, Forderungen aus unbezahlten Rechnungen (im Folgenden: Rechnungsforderungen), die es gegenüber seinen Schuldnern (den „Rechnungsschuldnern“) hat, einer Factoringgesellschaft (dem „Factor“) zu übertragen, um eine Vorauszahlung zu erhalten. Im Gegenzug übernimmt der Factor gegen eine Vergütung die Einziehung der Forderungen und bietet je nach vertraglicher Vereinbarung eine Ausfall-Zahlungsgarantie(3). Diese Dienstleistung ermöglicht es dem Kunden somit, seine Liquidität zu verbessern, ohne den Ablauf der den Rechnungsschuldnern eingeräumten Zahlungsfristen abwarten zu müssen(4).
4. Wenngleich sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs hilfreiche Anhaltspunkte für die Behandlung von Factoringdienstleistungen im Hinblick auf die Mehrwertsteuer entnehmen lassen(5), bietet das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen die Gelegenheit, zu klären, ob bestimmte Bestandteile der Vergütung des Factors im Rahmen der Erbringung von Factoringdienstleistungen als Gegenleistung für eine in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie fallende Erbringung von Dienstleistungen anzusehen sind und, falls ja, ob diese Dienstleistungen einen nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie mehrwertsteuerpflichtigen Umsatz der „Einziehung von Forderungen“ oder eine „Gewährung von Krediten“ darstellen, die gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit ist.
II. Rechtlicher Rahmen
A. Unionsrecht
5. In Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„(1) Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt“.
6. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
7. Art. 135 Abs. 1 Buchst. b und d dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
b) die Gewährung und Vermittlung von Krediten und die Verwaltung von Krediten durch die Kreditgeber;
…
d) Umsätze – einschließlich der Vermittlung – im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der Einziehung von Forderungen.“
B. Finnisches Recht
8. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 des Arvonlisäverolaki 1501/1993 (Gesetz Nr. 1501/1993 über die Mehrwertsteuer) vom 30. Dezember 1993 (im Folgenden: MwStG), das die Mehrwertsteuerrichtlinie in finnisches Recht umsetzt, wird für einen in Finnland im Rahmen einer Geschäftstätigkeit erfolgenden Verkauf von Waren oder Dienstleistungen die Mehrwertsteuer an den Staat entrichtet.
9. Nach der Legaldefinition des Art. 18 Abs. 2 MwStG gilt als „Verkauf einer Dienstleistung“ die Ausführung oder sonstige Überlassung einer Dienstleistung gegen Entgelt.
10. Art. 41 MwStG sieht vor, dass der Verkauf einer Finanzdienstleistung nicht der Mehrwertsteuer unterliegt.
11. Nach Art. 42 Abs. 1 Nr. 2 und 3 MwStG gelten zum einen die Gewährung von Krediten und jede sonstige Besorgung von Finanzierungen sowie zum anderen die Verwaltung eines Kredits durch den Kreditgeber als Finanzdienstleistungen.
III. Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
12. A ist eine finnische Gesellschaft, die Finanzdienstleistungen erbringt. Hierzu zählen Factoringleistungen, die den Hauptteil ihrer Tätigkeit bilden.
13. Die Kunden von A sind typischerweise in Branchen tätig, in denen die Umschlagshäufigkeit von Forderungen niedrig ist. Factoringdienstleistungen nehmen sie zum einen mit dem Ziel in Anspruch, unmittelbar, also vor dem Ablauf der Zahlungsfrist der Rechnungen, über die auf die Rechnungsforderungen zu erwartenden Mittel zu verfügen; zum anderen wollen sie sich von Maßnahmen der Forderungseinziehung und des Mahnwesens entlasten. Gegenstand von Factoring sind diejenigen Rechnungsforderungen, die sich aus den von A den Rechnungsschuldnern gestellten Rechnungen ergeben und unbestritten sind.
14. Die Factoringverträge zwischen A und ihren Kunden fallen unter Factoring in Form einer durch Rechnungen besicherten Finanzierung bzw. einer Rechnungsfinanzierung (im Folgenden: Factoring in Form der Verpfändung) oder in Form eines Forderungsverkaufs (im Folgenden: Factoring in Form des Forderungsverkaufs).
15. Beim Factoring in Form der Verpfändung gewährt A als Factor ihrem Kunden eine Finanzierung, indem sie ihm auf der Grundlage der unbezahlten Rechnungsforderungen der Schuldner dieses Kunden bis zur Höhe eines von A je nach Höhe des Risikos der Geschäftstätigkeit dieses Kunden festgelegten Gesamtbetrages einen Kredit gewährt, wobei A das Mahnwesen und die außergerichtliche Eintreibung der verpfändeten Forderungen übernimmt. Dabei werden die Forderungen, die von A ausgewählt werden, nicht im Rechtssinne übertragen, sondern dienen als Sicherheit für die gewährte Finanzierung, so dass zum einen den Rechnungsschuldnern eine Abtretungserklärung über die an A verpfändeten Forderungen übersandt wird, der zufolge sie bei Fälligkeit der Forderung direkt an A leisten müssen; zum anderen bleibt der Kunde im Verhältnis zu den Rechnungsschuldnern Gläubiger und trägt das Risiko von Verlusten wegen des Zahlungsausfalls der Schuldner (6).
16. Beim Factoring in Form des Forderungsverkaufs kauft A nach ihrer Wahl Rechnungsforderungen des Kunden in den Grenzen eines Höchstbetrages an, bis zu dem A sich gegenüber dem jeweiligen Kunden zum Ankauf verpflichtet. Dieser Betrag beruht auf einer von A vorgenommenen Risikoanalyse der Geschäftstätigkeit des Kunden(7). Der Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland), das vorlegende Gericht, führt hierzu aus, dass im Gegensatz zum Factoring in Form der Verpfändung, bei dem das Ausfallrisiko weiterhin vom Kunden getragen wird, beim Factoring in Form des Forderungsverkaufs Forderungen abgetreten werden und somit das Risiko, dass die Rechnungsschuldner nicht oder verspätet zahlen, auf die die Forderungen erwerbende Gesellschaft übergeht.
17. Die Factoringverträge zwischen A und ihren Kunden sehen vor, dass A verschiedene Gebühren und Provisionen erhebt. In seiner Entscheidung zählt das vorlegende Gericht deren neun auf, konzentriert sich jedoch auf die betragsmäßig höchsten, nämlich die Finanzierungsprovision und die Einrichtungsgebühr(8):
– Die Finanzierungsprovision ist eine in Prozent ausgedrückte Gebühr für jede der Vereinbarung unterfallende Rechnungsforderung, die A im Voraus erhält. Die Höhe dieser Provision bemisst sich, gleich ob es sich um Factoring in Form der Verpfändung oder Factoring in Form des Forderungsverkaufs handelt, in derselben Weise nach den Zahlungsbedingungen der Rechnungsforderung; sie ist umso höher, je länger das Zahlungsziel der Rechnung und je schlechter das Rating ist(9);
– Die Einrichtungsgebühr ist ein festes Entgelt, das der Kunde als Gegenleistung für die mit der Einrichtung und dem Ingangsetzen des Factoringverfahrens verbundenen Tätigkeiten, zu denen u. a. die Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Geldwäschevorschriften gehören, an A entrichtet.
18. A beantragte beim Zentralen Steuerausschuss einen Vorbescheid über die mehrwertsteuerliche Behandlung der Provisionen und Gebühren, die sie von ihren Kunden für ihre Factoringtätigkeiten erhält.
19. Der Zentrale Steuerausschuss erteilte A einen Vorbescheid für den Zeitraum vom 25. Oktober 2022 bis zum 31. Dezember 2023. Darin sah er die Provisionen und Gebühren, die A für das Factoring in Form der Verpfändung und für das Factoring in Form des Forderungsverkaufs erhebt, als mehrwertsteuerpflichtig an, soweit sie die Gegenleistung für eine Dienstleistung der Forderungsverwaltung und Forderungseinziehung darstellten(10), und erachtete u. a. die Finanzierungsprovision und die Einrichtungsgebühr (zumindest teilweise) als Gegenleistung für eine mehrwertsteuerfreie Finanzdienstleistung. Soweit A ihren Kunden eine Finanzierung im Rahmen eines kundenbezogenen Limits anbiete, stelle die Finanzierungsprovision wie die anderen Gebühren(11) die Gegenleistung für eine die Gewährung eines Kredits betreffende, nach Art. 41 MwStG von der Mehrwertsteuer befreite Finanzdienstleistung dar. Dahingegen sei die Einrichtungsgebühr in einen mehrwertsteuerpflichtigen Teil und einen mehrwertsteuerfreien Teil aufzuspalten, weil sie die Vergütung für die Einrichtung und das Ingangsetzen des Verfahrens zur Forderungsfinanzierung und somit die Gegenleistung für eine teilweise mehrwertsteuerpflichtige und teilweise mehrwertsteuerfreie Dienstleistung darstelle.
20. Hiergegen legte A beim vorlegenden Gericht einen Rechtsbehelf ein, mit dem sie die teilweise Abänderung des an sie gerichteten Vorbescheids beantragte und vorbrachte, dass sämtliche erhobenen Provisionen und Gebühren der Mehrwertsteuer zu unterwerfen seien und mithin dem Recht auf Vorsteuerabzug unterlägen. Im Einzelnen führte sie aus, dass beim Factoring in Form der Verpfändung die Finanzierungsprovision sowie alle anderen Gebühren, die sie im Rahmen dieses Verfahrens erhalte(12), einschließlich der Einrichtungsgebühr, in vollem Umfang der Mehrwertsteuer unterlägen, da sie eine Gegenleistung für die Dienstleistung der Verwaltung und Einziehung von Rechnungsforderungen oder für andere mehrwertsteuerpflichtige Dienstleistungen darstellten. Beim Factoring in Form des Forderungsverkaufs werde kein Kredit gewährt, daher könne diese Form des Factorings der Gewährung eines Kredits nicht gleichgesetzt werden, denn A kaufe die Rechnungsforderungen von ihren Kunden, so dass zwischen ihr und ihren Kunden kein Schuldverhältnis bestehe. Bei dieser Dienstleistung werde dem Kunden kein Kapital zur Verfügung gestellt, so dass die für diese Dienstleistung in Rechnung gestellten Gebühren in jeder Hinsicht als Gegenleistung für eine mehrwertsteuerpflichtige Dienstleistung anzusehen seien.
21. Dem Verfahren vor dem vorlegenden Gericht trat die Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö (Stelle zur Wahrung der Rechte der Steuerberechtigten, Finnland) zur Unterstützung des Standpunkts des Zentralen Steuerausschusses bei. Sie brachte vor, beim Factoring in Form der Verpfändung handele es sich um ein Instrument, das es dem Kunden ermögliche, von A gegen seine eigenen Rechnungsforderungen einen Kredit zu erhalten, so dass die Finanzierungsprovision und die anderen von A hierfür in Rechnung gestellten Gebühren die Gegenleistung für die Gewährung eines Kredits bildeten; beim Factoring in Form des Forderungsverkaufs stelle die Gebühr für den Ankauf der Rechnungsforderungen demgegenüber die Gegenleistung für eine steuerpflichtige Dienstleistung dar, im Unterschied zur Finanzierungsprovision und den übrigen Gebühren, die die Gegenleistung dafür seien, dass dem Kunden Kapital zur Verfügung gestellt werde, also für eine vom Ankauf der Forderungen getrennt zu betrachtende und von der Mehrwertsteuer befreite Dienstleistung.
22. Das vorlegende Gericht hegt Zweifel, wie die verschiedenen für das Factoring in Form der Verpfändung und das Factoring in Form des Forderungsverkaufs in Rechnung gestellten Gebühren zu behandeln sind(13). Insoweit stellt es klar, dass sein Vorabentscheidungsersuchen als auf die Finanzierungsprovision und die Einrichtungsgebühr beschränkt angesehen werden könne, da die Analyse ihrer mehrwertsteuerlichen Behandlung ausreichend erscheine, um darüber zu entscheiden, wie die anderen Gebühren und Provisionen zu behandeln seien.
23. Daher hat das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Wenn eine Factoringgesellschaft von einem Kunden künftig fällig werdende fakturierte Forderungen in der Weise ankauft, dass das Ausfallrisiko dieser Forderungen vom Kunden auf diese Gesellschaft übergeht (Factoring in Form des Forderungsverkaufs):
a) Ist die von der Gesellschaft für jede der Vereinbarung unterfallende Forderung in Rechnung gestellte, in Prozent ausgedrückte Finanzierungsprovision als ein Berichtigungsposten des Kaufpreises in Verbindung mit dem Kauf der Forderungen bzw. als ein sonstiger Posten außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen, oder
b) sind Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass die Gesellschaft an ihren Kunden gegen die in Nr. 1. a) genannte Finanzierungsprovision eine dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie unterfallende entgeltliche Dienstleistung erbringt?
2. Ist die dem Kunden im Rahmen des Factoring in Form des Forderungsverkaufs in Rechnung gestellte feste Einrichtungsgebühr für Einrichtung und Ingangsetzen des Factoringverfahrens als Gegenleistung für den Verkauf einer dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie unterfallenden Dienstleistung an den Kunden anzusehen?
3. Wenn die in der ersten oder der zweiten Frage genannten, im Rahmen des Factoring in Form des Forderungsverkaufs in Rechnung gestellten Vergütungen als Gegenleistung für die Erbringung einer dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie unterfallenden Dienstleistung anzusehen sind:
a) Sind Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie über die Gewährung von Krediten oder Art. 135 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie über Umsätze im Zahlungsverkehr oder im Geschäft mit Forderungen dahin auszulegen, dass die dem Kunden in Rechnung gestellte Finanzierungsprovision oder die Einrichtungsgebühr als Gegenleistung für den steuerfreien Verkauf einer Dienstleistung anzusehen sind, oder
b) ist Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass es sich um die Gegenleistung für eine als steuerpflichtige Dienstleistung anzusehende Einziehung von Forderungen bzw. um die Gegenleistung für eine sonstige steuerpflichtige Dienstleistung handelt?
4. Wenn eine Factoringgesellschaft ihren Kunden durch Gewährung eines Kredits in der Weise eine Finanzierung gewährt, dass die fakturierten Forderungen des Kunden als Sicherheit für die von der Gesellschaft gewährte Finanzierung dienen (Factoring in Form der Rechnungsfinanzierung):
a) Sind Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie über die Gewährung von Krediten oder Art. 135 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie über Umsätze im Zahlungsverkehr oder im Geschäft mit Forderungen dahin auszulegen, dass die dem Kunden für jede der Vereinbarung unterfallende Forderung in Rechnung gestellte Finanzierungsprovision und die feste Einrichtungsgebühr für Einrichtung und Ingangsetzen der Factoringvereinbarung zumindest teilweise als Gegenleistung für den Verkauf einer steuerfreien Dienstleistung anzusehen sind, oder
b) ist Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass es sich um die Gegenleistung für die als steuerpflichtige Dienstleistung anzusehende Einziehung von Forderungen oder um die Gegenleistung für eine andere steuerpflichtige Dienstleistung handelt?
5. Ist, wenn die im Rahmen des Factoring in Form des Forderungsverkaufs oder des Factoring in Form der Rechnungsfinanzierung in Rechnung gestellte Finanzierungsprovision oder Einrichtungsgebühr aufgrund der dritten oder der vierten Frage in vollem Umfang als Gegenleistung für eine steuerpflichtige Dienstleistung anzusehen ist, die auf der Mehrwertsteuerrichtlinie beruhende Steuerpflichtigkeit der Dienstleistung so klar und uneingeschränkt, dass ihr auf Antrag des Steuerpflichtigen unmittelbare Wirkung zuzuerkennen ist, auch wenn die Steuerbefreiung im nationalen Mehrwertsteuergesetz neben der Gewährung von Krediten die Besorgung sonstiger Finanzierungen umfasst?
24. A, die finnische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht.
IV. Würdigung
A. Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage
25. Mit seiner ersten und seiner zweiten Vorlagefrage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass im Rahmen des Factorings in Form des Forderungsverkaufs, wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die Finanzierungsprovision und die Einrichtungsgebühr, die für eine solche Tätigkeit in Rechnung gestellt werden, als Vergütungsbestandteile anzusehen sind, die die Gegenleistung für Dienstleistungen darstellen, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.
26. Die vom vorlegenden Gericht insoweit geäußerten Zweifel scheinen nicht auf dem Vorbringen der Parteien des Ausgangsverfahrens zu beruhen, die davon ausgehen, dass diese Tätigkeit eindeutig in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt, sondern vielmehr auf seiner Auslegung der Urteile MKG und GFKL(14).
27. Insoweit erinnere ich vorab daran, dass mit der Mehrwertsteuerrichtlinie ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem geschaffen wurde, das insbesondere auf einer einheitlichen Definition der steuerbaren Umsätze beruht(15). Daher unterliegen gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer. Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie definiert zu diesem Zweck als „Steuerpflichtige[n]“, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt. Nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung gelten als „wirtschaftliche Tätigkeit“ alle Tätigkeiten eines Dienstleistenden einschließlich der „Nutzung von … nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen“. Was den Begriff „Nutzung“ im Sinne dieser Bestimmung anbelangt, bezieht sich dieser Begriff entsprechend den Erfordernissen des Grundsatzes der Neutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auf alle Vorgänge, die – ungeachtet ihrer Rechtsform – darauf abzielen, aus dem betreffenden Gegenstand nachhaltig Einnahmen zu erzielen(16). Die Mehrwertsteuerrichtlinie steckt den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer somit sehr weit, denn eine Tätigkeit wird als „wirtschaftlich“ angesehen, wenn sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wird, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt(17).
28. Im Licht dieser Grundsätze werde ich als Erstes prüfen, ob das Factoring in Form des Forderungsverkaufs eine gegen Entgelt erbrachte Dienstleistung im Sinne der vorgenannten Bestimmungen darstellt, die damit in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerrichtlinie fällt.
29. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Factoring als in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallend zu beurteilen ist. Im Urteil MKG, das sog. „echtes“ Factoring betraf – d. h. Factoring, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Factor Forderungen des Kunden ankauft, ohne dass ihm bei Ausfall der Schuldner ein Rückgriffsrecht gegen den Kunden zusteht –, hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass eine solche Tätigkeit unter Geltung der Sechsten Richtlinie(18) eine entgeltliche Dienstleistung darstellt, die in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt. Zur Begründung dieses Ergebnisses hat er u. a. ausgeführt, dass „die Beziehungen zwischen dem Factor und seinem Kunden durch einen Vertrag bestimmt [werden], in dessen Rahmen … gegenseitige Leistungen zwischen den Vertragsparteien ausgetauscht werden“, wobei diese für den Factor konkret darin bestehen, dass er „[den Kunden] von der Einziehung der Forderungen und dem Risiko ihrer Nichterfüllung entlastet“, und für den Kunden darin, als Entgelt für diese Dienstleistung eine Vergütung zu zahlen, die „der Differenz zwischen dem Nennbetrag der dem Factor abgetretenen Forderungen und dem Betrag entspricht, den [dieser] ihm als Preis für die Forderungen zahlt“(19).
30. Obgleich die im Urteil MKG getroffene Entscheidung auf der Auslegung der Sechsten Richtlinie beruht, ist sie meines Erachtens weiterhin anwendbar und lässt sich vollumfänglich auf das Factoring in Form des Forderungsverkaufs wie dasjenige im vorliegenden Fall übertragen, da dieses Factoring im Wesentlichen die gleichen Merkmale aufweist wie das im Urteil MKG in Rede stehende „echte Factoring“. Im Rahmen eines Vertrags über Factoring in Form des Forderungsverkaufs gehen der Factor und sein Kunde nämlich gegenseitige Verpflichtungen ein: der Factor die Verpflichtung, von seinem Kunden die noch nicht fälligen Rechnungsforderungen anzukaufen, um diesen von der Einziehung der Forderungen zu entlasten, wobei der Factor das Ausfallrisiko übernimmt, und der Kunde die Verpflichtung, die verschiedenen im Factoringvertrag festgelegten Gebühren zu entrichten. Die in diesem Vertrag vereinbarten Leistungen sind synallagmatisch, da die Erbringung der Dienstleistungen von A durch die Zahlung der vereinbarten Gebühren durch den Kunden und diese Zahlung durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistungen an die Kunden durch A bedingt ist.
31. Folglich neige ich der Auffassung zu, dass die Dienstleistungen, die von einem Factor aufgrund eines Vertrags über Factoring in Form des Forderungsverkaufs wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erbracht werden, „gegen Entgelt“ erbrachte Dienstleistungen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen.
32. Dieses Ergebnis wird durch das Urteil GFKL, auf das das vorlegende Gericht Bezug nimmt, nicht entkräftet. Zur Erinnerung: Diese Rechtssache betraf den isolierten Verkauf als „zahlungsgestört“ angesehener Forderungen, namentlich Forderungen aus 70 gekündigten und fällig gestellten Darlehensverträgen, die zur Übernahme des Forderungseinzugs und des Ausfallrisikos durch den Käufer führten und deren Ankaufspreis nicht die Vergütung für eine erbrachte Dienstleistung widerspiegelte, sondern den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der übertragenen Forderungen, der unter ihren Nennwert gesunken war. Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der auf eigenes Risiko zahlungsgestörte Forderungen zu einem unter ihrem Nennwert liegenden Preis kauft, keine entgeltliche Dienstleistung erbringt und keine in den Geltungsbereich der Sechsten Richtlinie fallende wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wenn die Differenz zwischen dem Nennwert dieser Forderungen und deren Kaufpreis den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der betreffenden Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Übertragung widerspiegelt(20).
33. Gleichwohl lässt sich kein Vergleich zwischen dem Factoring in Form des Verkaufs nicht fälliger Forderungen wie demjenigen im Ausgangsverfahren und dem Kauf bereits fälliger „zahlungsgestörter“ Forderungen ziehen, um die es in der Rechtssache ging, in der das Urteil GFKL ergangen ist. Vielmehr ist zunächst festzustellen, dass mit diesen Tätigkeiten aus Sicht des Kunden unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Im ersten Fall hat der Kunde das Ziel, unmittelbar über das Kapital zu verfügen, auch wenn seine Forderungen erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig werden, während sich der Kunde im zweiten Fall bereits fälliger Forderungen, die ein gewisses Risiko darstellen, entledigen möchte. Ferner haben die Parteien anders als beim Factoring im Rahmen des Kaufs bereits fälliger Forderungen keine Provision als Vergütung zusätzlich zum Kaufpreis für eine vom Forderungskäufer erbrachte Dienstleistung vereinbart. Anders als beim echten Factoring erhielt der Erwerber der Forderungen vom Veräußerer keine Gegenleistung(21). Zudem berücksichtigte der tatsächliche wirtschaftliche Wert der „zahlungsgestörten“ Forderungen zum Zeitpunkt ihres Kaufs, anders als im vorliegenden Fall, keine Dienstleistungen, die den Forderungsverkäufer von den mit der Einziehung der Rechnungsforderungen verbundenen Lasten und Risiken befreiten. Schließlich scheint das Factoring in Form des Forderungsverkaufs auch nicht mit dem Kauf von Aktiva in Form von Gesellschaftsanteilen vergleichbar zu sein, deren Inhaber die Früchte erhielte(22), da der Factor sich nicht wie ein passiver Inhaber verhält, sondern tatsächlich eine Dienstleistung an seinen Kunden erbringt, die darin besteht, dass er gegen eine Vergütung das Risiko des Ausfalls des Schuldners übernimmt.
34. Nachdem ich festgestellt habe, dass das Factoring in Form des Forderungsverkaufs in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fällt, werde ich als Zweites prüfen, ob trotz der Umstände, die das vorlegende Gericht mitgeteilt hat(23), ein direkter Zusammenhang zwischen dem Factoring und dem in Form der Finanzierungsprovision und der Einrichtungsgebühr erhobenen Gegenwert besteht, womit sich bestätigen ließe, dass sie die Gegenleistung für in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallende Leistungen darstellen.
35. Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht dürfte dies aus meiner Sicht vorliegend der Fall sein.
36. Was zum einen die Finanzierungsprovision anbelangt, kann dem Vorschlag des vorlegenden Gerichts, dass diese Provision als Berichtigungsposten anzusehen sein könnte, mit dem der Kaufpreis einer Forderung an ihren abgezinsten Jetztwert angepasst werden soll, meines Erachtens nicht gefolgt werden. Diese Provision ist eine Gebühr, die für jede angekaufte Rechnungsforderung als Prozentsatz festgelegt wird, wobei dieser Betrag umso höher ist, je länger das Zahlungsziel der Rechnungen und je schlechter das Rating der betroffenen Forderungen ist. Folglich steht dieser Prozentsatz in keiner Verbindung zur Festlegung des Kaufpreises der Forderungen, der vom Nennwert bis zu einem reduzierten Anteil der Forderung reichen kann. Daher scheint diese Provision nicht im Anschluss an eine Beurteilung des wirtschaftlichen Werts der Rechnungsforderung im Zeitpunkt der Übertragung festgelegt zu werden, sondern in direktem Zusammenhang mit der Gegenleistung für die von A erbrachten Dienstleistungen zu stehen. Zudem ergibt sich aus den schriftlichen Erklärungen von A, dass angesichts dessen, dass die abgetretenen Forderungen nicht fällige Forderungen sind, kein Grund für die Annahme bestünde, dass der Nennwert der Forderungen nicht ihrem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert entspricht oder dass dieser Nennwert der Forderung berichtigt werden müsste, damit der für die Forderung gezahlte Preis ihrem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert entspricht, da kein Grund bestehe, davon auszugehen, dass die Rechnungsschuldner ihre noch nicht fälligen Schulden nicht vollständig begleichen würden. Zudem scheint diese Provision – vorbehaltlich einer abschließenden Würdigung, die das vorlegende Gericht vorzunehmen haben wird – im Zusammenhang mit einem langfristigen Dienstleistungsverhältnis zu stehen und A bei ihren Kunden laufende Jahres- und/oder Monatsgebühren zu erheben, so dass die Aussage, A erhalte nach der Übertragung der Forderungen keine Gegenleistung, nicht zuträfe(24).
37. Was zum anderen die Einrichtungsgebühr anbelangt, ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Unterlagen, dass diese Gebühren ein vom Kunden an den Factor entrichtetes festes Entgelt für die mit der Einrichtung des Factoringverfahrens verbundenen Leistungen einschließlich derjenigen zur Einhaltung der Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Geldwäschevorschriften darstellen. Dies bedeutet, dass diese Gebühren, solange der Factoringvertrag in Kraft bleibt, als Gegenleistung für die Verfügbarkeit dieser Dienstleistungen als für das Factoring in Form des Forderungsverkaufs unentbehrlichen Dienstleistungen angesehen werden können. Folglich wird auch die Zahlung ebendieser Gebühren auf der Grundlage eines Vertragsverhältnisses ohne Zusammenhang mit dem Wert der Forderungen oder mit einer Berichtigung dieses Wertes geleistet. Vielmehr scheinen mir die in Rede stehenden Dienstleistungen und die Zahlung der Einrichtungsgebühr derart voneinander abhängig zu sein, dass sie nur unter der Bedingung erbracht werden, dass auch die jeweils andere Leistung erbracht wird.
38. Daher schlage ich vor, die erste und die zweite Frage dahin zu beantworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass beim Factoring in Form des Forderungsverkaufs wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden sowohl die vom Factor für diese Leistungen in Rechnung gestellte Finanzierungsprovision als auch die Einrichtungsgebühr als Gegenleistung für in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Leistungen anzusehen sind.
B. Zur dritten und zur vierten Vorlagefrage
39. Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die ebenfalls zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Finanzierungsprovision oder die Einrichtungsgebühr, die ein Factor im Rahmen von Dienstleistungen des Factorings in Form der Verpfändung oder in Form des Forderungsverkaufs in Rechnung stellt, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die Gegenleistung für die unteilbare Leistung einer nach dieser Bestimmung der Mehrwertsteuer unterliegenden „Einziehung von Forderungen“ darstellen, und, falls dies zu verneinen ist, ob diese beiden Gebühren zumindest teilweise als Gegenleistung für Dienstleistungen anzusehen sind, die als die „Gewährung eines Kredits“ oder „Umsätze … im Zahlungs[…]verkehr [und] im Geschäft mit Forderungen“ betreffende Leistungen gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. b bzw. d dieser Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind.
40. Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass die Zweifel des vorlegenden Gerichts hauptsächlich die Frage betreffen, ob diese beiden Gebühren in ihrer Gesamtheit als Gegenleistung für eine unteilbare Leistung der Einziehung von Forderungen anzusehen sind. Es sei denkbar, dass die Factoringdienstleistung eine Finanzierungsdienstleistung umfasse, die zumindest teilweise die Form einer Gewährung von Krediten annehme, die mit der Dienstleistung der Einziehung von Forderungen weder verbunden noch eine Nebenleistung hiervon sei, so dass diese beiden Leistungen für die Zwecke der Mehrwertsteuer nicht als eine unteilbare Leistung behandelt werden könnten. Darüber hinaus könne es zu einer unterschiedlichen mehrwertsteuerlichen Behandlung der verschiedenen Tätigkeiten der Finanzierung und der Gewährung von Krediten führen, wenn das Factoring als in vollem Umfang mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit beurteilt werde.
41. Vor diesem Hintergrund werde ich mich zunächst der Frage zuwenden, ob das Factoring in Form des Forderungsverkaufs und das Factoring in Form der Verpfändung als Umsätze der „Einziehung von Forderungen“ im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden können, sodann, ob die beiden oben genannten Gebühren die Gegenleistung für eine einheitliche und unteilbare Factoringdienstleistung darstellen und zum Schluss, ob diese Gebühren zumindest teilweise die Gegenleistung für Dienstleistungen der „Gewährung eines Kredits“ oder „im Zahlungsverkehr oder im Geschäft mit Forderungen“ nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. b bzw. d dieser Richtlinie darstellen können.
42. Als Erstes erinnere ich hinsichtlich der Einordnung der Factoringdienstleistungen als „[Umsätze über die] ‚Einziehung von Forderungen‘ im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie daran, dass diese Bestimmung vorsieht, dass die Mitgliedstaaten „Umsätze – einschließlich der Vermittlung – im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der Einziehung von Forderungen“ von der Steuer befreien.
43. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Befreiungen von der Mehrwertsteuer im Sinne von Art. 135 Abs. 1 dieser Richtlinie autonome unionsrechtliche Begriffe, die eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindern sollen. Es ist auch ständige Rechtsprechung, dass die Begriffe, mit denen diese Steuerbefreiungen umschrieben sind, eng auszulegen sind, da diese Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Eine solche Auslegung muss jedoch mit den Zielen im Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht, damit sie den Befreiungen nicht ihre Wirkung nehmen kann(25).
44. Insoweit weise ich darauf hin, dass Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie in seinem Kontext zu betrachten und nach seinem Sinn und Zweck sowie allgemein nach der Systematik dieser Richtlinie auszulegen ist, da diese Richtlinie keine Definition des Begriffs „Einziehung von Forderungen“ enthält(26). Daher ist dieser Begriff als Ausnahme von einer von der Geltung der Mehrwertsteuer abweichenden Bestimmung, die dazu führt, dass die von ihr erfassten Umsätze gemäß der Grundregel, auf der die Mehrwertsteuerrichtlinie beruht, der Besteuerung unterliegen, weit auszulegen(27). Gestützt auf eine solche weite Auslegung hat der Gerichtshof im Urteil MKG entschieden, dass der Begriff „Einziehung von Forderungen“ im Sinne dieser Bestimmung dahin auszulegen ist, dass er sich auf finanzielle Transaktionen bezieht, die darauf gerichtet sind, die Erfüllung einer Geldschuld zu erwirken(28). Soweit vorliegend relevant hat der Gerichtshof dort ausgeführt, dass dieser Begriff dahin auszulegen ist, dass er alle Factoringformen umfasst, denn seiner objektiven Natur nach wird mit dem Factoring im Wesentlichen die Einziehung und Beitreibung von Forderungen bezweckt. Mithin ist das Factoring dem Gerichtshof zufolge – ungeachtet der Modalitäten, nach denen es betrieben wird – lediglich als ein Unterbegriff des allgemeineren Begriffs „Einziehung von Forderungen“ anzusehen(29). Daher war die für die „Einziehung von Forderungen“ vorgesehene Ausnahme von der Mehrwertsteuerbefreiung so zu verstehen, dass sie sowohl das „echte Factoring“ als auch das „unechte Factoring“ umfasste, denn nach Ansicht des Gerichtshofs gibt es keinen Grund, der eine Ungleichbehandlung dieser beiden Factoringarten bei der Mehrwertsteuer rechtfertigen könnte – in beiden Fällen erbringt der Factor dem Kunden entgeltliche Leistungen und übt damit eine wirtschaftliche Tätigkeit aus(30).
45. Diese Überlegungen scheinen mir im vorliegenden Fall vollumfänglich anwendbar zu sein.
46. Zum einen weist das Factoring in Form des Forderungsverkaufs, wie sich aus der Analyse in Nr. 30 der vorliegenden Schlussanträge ergibt, die gleichen Merkmale auf wie das im Urteil MKG in Rede stehende echte Factoring. In jenem Urteil hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass das echte Factoring eine „Einziehung von Forderungen“ im Sinne von de Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt(31). Folglich müsste diese Feststellung auch für das Factoring in Form des Forderungsverkaufs gelten.
47. Zum anderen ist, was das Factoring in Form der Verpfändung anbelangt, festzustellen, dass der einzige Unterschied zwischen dieser Art des Factorings und dem unechten Factoring, um das es im Urteil MKG ging, darin liegt, dass bei Letzterem die Forderungen rechtlich auf den Factor übertragen wurden(32), während beim Factoring in Form der Verpfändung die Forderungen nicht übertragen werden, sondern als Sicherheit für die gewährte Finanzierung dienen(33). Diese beiden Arten des Factorings führen jedoch zum gleichen Ergebnis: der Einziehung von Forderungen, ohne dass der Factor das Risiko des Schuldnerausfalls trägt. Nachdem der Gerichtshof in seinem Urteil MKG der Auffassung war, dass das unechte Factoring ebenfalls unter die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie für die Einziehung von Forderungen vorgesehene Ausnahme fällt(34), müsste auch das Factoring in Form der Verpfändung von dieser Ausnahme umfasst sein.
48. Folglich kann im Wege der Analogie zum Urteil MKG der Schluss gezogen werden, dass die beiden in Rede stehenden Factoringdienstleistungen eine Dienstleistung der Einziehung von Forderungen im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen.
49. Was als Zweites die Frage anbelangt, ob die verschiedenen Leistungen, die im Rahmen einer Factoringdienstleistung angeboten werden, als unteilbar oder getrennt zu betrachten sind, erinnere ich daran, dass der Zentrale Steuerausschuss vorliegend der Ansicht war, dass sich sowohl das Factoring in Form der Verpfändung als auch das Factoring in Form des Forderungsverkaufs aus getrennten und selbstständigen Leistungen zusammensetzen: der „Gewährung von Krediten“, die mehrwertsteuerfrei sei, und der „Einziehung von Forderungen“, die der Mehrwertsteuer unterliege. Aus steuerlicher Sicht sei daher zu prüfen, ob sich die beiden in Rede stehenden Gebühren auf das steuerpflichtige oder auf das steuerfreie Element der Factoringdienstleistungen beziehen.
50. Hierzu weise ich darauf hin, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Fällen, in denen ein Umsatz verschiedene Einzelleistungen und Handlungen umfasst, für die Bestimmung des Umfangs einer Leistung aus mehrwertsteuerlicher Sicht keine Regel mit absoluter Geltung gibt und daher die Gesamtumstände, unter denen der fragliche Umsatz getätigt wird, zu berücksichtigen sind, um zu bestimmen, ob dieser Umsatz für die Zwecke der Mehrwertsteuer zwei oder mehrere getrennte Leistungen oder eine einheitliche Leistung umfasst, wobei grundsätzlich jede Leistung als gesonderte und unabhängige Leistung zu betrachten ist, wie aus Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie hervorgeht(35). Gleichwohl darf in Abweichung von dieser Regel erstens ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstellt, im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Deshalb liegt eine einheitliche Leistung dann vor, wenn mehrere Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre(36). Zweitens sind unter bestimmten Umständen mehrere formal eigenständige Leistungen, die getrennt erbracht werden und damit jede für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnten, als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht voneinander unabhängig sind. Das ist namentlich dann der Fall, wenn ein oder mehrere Teile als die Hauptleistung, andere Teile dagegen als eine oder mehrere Nebenleistungen anzusehen sind, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen(37). Drittens berücksichtigt der Gerichtshof zur Bestimmung, ob ein Umsatz, der mehrere Leistungen umfasst, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer einen einheitlichen Umsatz darstellt, sowohl den wirtschaftlichen Zweck dieses Umsatzes als auch das Interesse der Leistungsempfänger(38).
51. Ob die in Rede stehenden Factoringdienstleistungen eine einheitliche Leistung darstellen, hat zwar das vorlegende Gericht festzustellen, das dazu alle Tatsachenbeurteilungen vorzunehmen hat, der Gerichtshof hat ihm jedoch alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können(39).
52. Insoweit ist vorweg zu betonen, dass Factoringverträge sich allgemein nicht leicht charakterisieren oder einheitlich beschreiben lassen, u. a. weil mindestens drei Hauptfunktionen solcher Verträge unterschieden werden können, nämlich i) die Finanzierungsfunktion, die dem Kunden eine Vorauszahlung auf der Grundlage der übertragenen Forderung ermöglicht; ii) die Funktion der Verwaltung des Rechnungskontos und des Forderungsbestands der Kunden und iii) eine Garantiefunktion zum Schutz gegen Nichtzahlung oder verspätete Zahlung der Schuldner im Rahmen eines Vertrags über echtes Factoring(40). Im vorliegenden Fall beziehen sich die Zweifel des vorlegenden Gerichts allerdings hauptsächlich auf die erste Funktion, d. h. die Finanzierungsfunktion, die allen Verträgen über Factoringdienstleistungen, die Ähnlichkeiten mit Dienstleistungen der „Gewährung von Krediten“ aufweisen, wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, immanent ist.
53. Vor diesem Hintergrund ist meines Erachtens bei der Prüfung zwischen dem Factoring in Form des Forderungsverkaufs und dem Factoring in Form der Verpfändung zu differenzieren.
54. Was zum einen das Factoring in Form des Forderungsverkaufs anbelangt, ist festzustellen, dass diese Form des Factorings definitionsgemäß nicht die Gewährung von Krediten umfasst, da der Kunde zwar über die auf der Grundlage der Rechnungsforderungen gezahlten Geldmittel verfügt, diese Mittel jedoch nicht Gegenstand eines Darlehens sind, sondern eines endgültigen Verkaufs. Demnach umfasst diese Dienstleistung lediglich die Einziehung von Forderungen und die Verwaltung von Rechnungsforderungen einschließlich der damit verbundenen Maßnahmen. Der Kunde zahlt also aufgrund der Endgültigkeit des Forderungsverkaufs die empfangenen Geldmittel nicht zurück und anstelle ihres Kunden erhält A die Zahlung des Rechnungsschuldners. Daher besteht zwischen A und ihrem Kunden kein Kreditverhältnis, denn Letzterer zahlt das ihm zur Verfügung gestellte Kapital nicht zurück. Mit anderen Worten muss A zwar die Finanzierung der Forderungen während des Zeitraums zwischen dem Zeitpunkt, zu dem sie die Forderungen ihres Kunden ankauft, und dem Zeitpunkt, zu dem der Rechnungsschuldner die Rechnung (Forderung) begleicht, sicherstellen, dies bedeutet jedoch nicht, dass sie ihrem Kunden einen Kredit gewährt.
55. Was zum anderen das Factoring in Form der Verpfändung anbelangt, bei dem kein endgültiger Verkauf von Forderungen stattfindet, halte ich es für vorzugswürdig, eine solche Dienstleistung nicht für die Zwecke der mehrwertsteuerlichen Behandlung in ihre verschiedenen Einzelleistungen aufzuspalten.
56. Zunächst stellt das Factoring unstreitig aus Sicht sowohl des Kunden als auch des Factors auf wirtschaftlicher Ebene grundsätzlich eine einzige Leistung dar. Die verschiedenen Dienste, die von einem Factor angeboten werden können, scheinen verbunden zu sein und bilden eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung, die in erster Linie dazu dient, dass der Kunde sich nicht um die Einziehung seiner Forderungen kümmern muss. In Anbetracht dieses wirtschaftlichen Zwecks wäre die Aufspaltung einer solchen Dienstleistung meines Erachtens wirklichkeitsfremd.
57. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die Finanzierungsleistungen und die anderen Leistungen zur Erleichterung der Einziehung von Forderungen zwar theoretisch betrachtet isoliert erbracht werden könnten, diese Umsätze jedoch im vorliegenden Fall nicht voneinander unabhängig erbracht zu werden scheinen. Die Finanzierungsleistung könnte nämlich nicht ohne die Erbringung der anderen Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Einrichtung und dem Ingangsetzen des Factoringverfahrens (die von der Einrichtungsgebühr gedeckt sind) erbracht werden und andersherum bestünde für diese Leistungen ohne eine Finanzierungsleistung kein Grund. In Wirklichkeit besteht die Hauptleistung der Factoringdienstleistungen darin, „[den Kunden] von der Einziehung der Forderungen zu entlasten“(41) und in diesem Sinne muss die Finanzierungsleistung als eine der Nebenleistungen angesehen werden, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Für den Kunden ist die Finanzierung kein Selbstzweck, weil etwa andere Möglichkeiten der Fremdfinanzierung – wie ein Bankkredit – mit potenziell geringeren Kosten bestünden, sondern sie ist das Mittel, um in den Genuss der antizipierten Einziehung der Forderungen zu kommen und seine Liquidität zu verbessern.
58. Außerdem stelle ich fest, dass die wirtschaftliche Realität, wie sie sich grundsätzlich in den in Rede stehenden vertraglichen Vereinbarungen widerspiegelt, ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt. Daher kann die Frage, ob verschiedene Leistungen einen einheitlichen komplexen Umsatz bilden, davon abhängig sein, unter welchen Bedingungen die Vergütung für diese Leistungen fällig wird. Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob die neun Vergütungsarten(42) die Gegenleistung für Leistungen bilden, die vertraglich einen einheitlichen komplexen Umsatz darstellen. Folglich sollte zweckmäßigerweise geprüft werden, ob diese Leistungen im vorliegenden Fall gegen Zahlung einer gesonderten festen Gebühr erbracht werden, unabhängig von jeder Factoringdienstleistung, was ein Hinweis darauf sein könnte, dass diese Leistungen von der Factoringdienstleistung verschieden und von ihr unabhängig sind(43).
59. Schließlich erscheint es mir entgegen dem Vorbringen der finnischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen nicht problematisch, beide Formen des Factorings wie die hier in Rede stehenden in vollem Umfang als mehrwertsteuerpflichtige Dienstleistungen anzusehen. Es ist zwar richtig, dass diese Feststellung bedeuten würde, dass ein Markt existiert, auf dem eine mehrwertsteuerfreie Finanzierung in Form traditioneller Kredite verfügbar wäre und auf dem eine mehrwertsteuerpflichtige Finanzierung in Form des Factorings verfügbar wäre, und dass dies die Erbringer verschiedener Finanzierungsformen jeweils in eine unterschiedliche Lage versetzen würde, so dass lediglich die Erbringer von Factoringdienstleistungen ein Recht auf Vorsteuerabzug hätten, wodurch deren Kunden die in der Factoringdienstleistung enthaltene Steuer abziehen könnten, so dass diese Steuer für die Kunden keine Kosten darstellen würde, doch scheint mir dies eine bewusste Entscheidung des Unionsgesetzgebers gewesen zu sein. Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie unterscheidet nämlich zwischen bestimmten Dienstleistungen, die von der Mehrwertsteuer befreit sind, und anderen Dienstleistungen, die ihr weiterhin unterliegen. Theoretisch wird die Gewährung von Krediten als reiner Finanzumsatz angesehen, der keine Dienstleistung als solche umfasst, und der in der Überlassung von Finanzmitteln besteht, so dass der als Gegenleistung für den Kredit erhaltene Zins eher einem Kapitalertrag als einer Vergütung für eine steuerpflichtige Leistung angesehen wird(44) Ferner hätte eine Besteuerung unter dem Blickwinkel der Neutralität der Mehrwertsteuer inflationistische Wirkung und würde der Finanzierung der Wirtschaft schaden, da der Kreditnehmer die Mehrwertsteuer in der Regel nicht zurückerhalten könnte(45). Im Gegensatz dazu ist die „Einziehung von Forderungen“ insbesondere angesichts dessen nicht befreit, dass es sich aus wirtschaftlicher Sicht um eine Dienstleistung handelt, die einem Gläubiger gegen Provisionen und Gebühren erbracht wird und die daher einen konkreten wirtschaftlichen Mehrwert generiert.(46)
60. Als Drittes und Letztes sowie der Vollständigkeit halber möchte ich die vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Frage beantworten, ob die beiden in Rede stehenden Gebühren im Licht der Urteile Franck und O-Fonds, auf die es verweist, die Gegenleistung für Dienstleistungen der „Gewährung eines Kredits“ im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen. Diese Urteile können meines Erachtens jedoch nicht so ausgelegt werden, dass es gerechtfertigt wäre, Factoringdienstleistungen für die Zwecke der Mehrwertsteuer aufzuspalten.
61. Im Urteil Franck hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Ausdruck „Gewährung und Vermittlung von Krediten“ in Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie weit auszulegen ist, so dass er nicht allein auf Darlehen und Kredite beschränkt werden kann, die von Bank- und Finanzinstituten gewährt werden(47), dass eine solche Gewährung von Krediten u. a. in der Überlassung von Kapital gegen Entgelt besteht und dass ein solches Entgelt andere Formen der Gegenleistung als die Zahlung von Zinsen annehmen kann(48). Eine weite Auslegung dieses Ausdrucks vermag allerdings nicht die Annahme zu begründen, dass im vorliegenden Fall die Vergütung, die A von ihren Kunden erhebt, die Gegenleistung dafür darstellt, dass A die Gewährung eines Kredits zur Verfügung stellte. Dabei darf der tatsächliche Kontext, in dem jenes Urteil ergangen ist und der sich von der vorliegenden Rechtssache in mehrerlei Hinsicht unterscheidet, nicht außer Acht gelassen werden: Im Urteil Franck hatte ein Darlehensnehmer einen Wechsel als Kreditinstrument verwendet, um bei einer zwischengeschalteten Gesellschaft einen Kredit zu erhalten, die den Wechsel an eine Factoringgesellschaft verkauft hatte. Auf diese Weise hatte die zwischengeschaltete Gesellschaft, die kein Finanzinstitut war, dem Darlehensnehmer Geldmittel überlassen, der aufgrund seines schlechten Kreditratings sonst bei Finanzinstituten kein Darlehen hätte aufnehmen können. Die Tatsache, dass eine der hieran beteiligten Gesellschaften eine Factoringgesellschaft war, kam offensichtlich keine Relevanz zu und das Verhältnis zwischen dem Darlehensnehmer und der zwischengeschalteten Gesellschaft konnte auch nicht als „Factoring“ angesehen werden, da der Wechsel von dem Darlehensnehmer nicht auf der Grundlage von Factoringdienstleistungen der zwischengeschalteten Gesellschaft ausgestellt worden war(49). Dagegen ist in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fall nicht ersichtlich, dass dreiseitige vertragliche Beziehungen zwischen A, ihrem Kunden und den Rechnungsschuldnern bestehen, aufgrund derer A dem Kunden durch die Gewährung eines Kredits Geldmittel überlassen hätte. Außerdem müssen die Rechnungsschuldner nicht die Kreditschuld des Kunden gegenüber A tilgen oder die Zinsen des Kunden entrichten, sondern ihre eigenen Schulden aus den Rechnungsforderungen begleichen.
62. Was zum anderen das Urteil O-Fonds anbelangt, hat der Gerichtshof zwar entschieden, dass im Rahmen eines Unterbeteiligungsvertrags, mit dem ein Unterbeteiligter (der Investor) einem Originator (einem nicht standardisierten Verbriefungsfonds) eine Finanzierung als Gegenleistung für zukünftige Einnahmen aus spezifischen Forderungen gewährt, wobei diese Forderungen rechtlich im Eigentum des Originators verbleiben, der Umstand, dass der Unterbeteiligte potenziellen Verlusten ausgesetzt ist und somit das Kreditrisiko trägt, jeder Kreditgewährung inhärent ist, wobei es unerheblich ist, ob sich dieses Risiko aus dem Zahlungsausfall der Schuldner der Forderungen, aus denen die Einnahmen auf ihn übertragen werden, oder aus der Zahlungsunfähigkeit seines unmittelbaren Vertragspartners ergibt.(50) Über die Frage des Eigentums bzw. Nichteigentums an den Forderungen und des Risikomanagements hinaus unterscheidet sich diese Art von Dienstleistung jedoch insofern vom Factoring, als es sich um ein Finanzierungsinstrument handelt, das bei Verbriefungen oder bei strukturierten Finanzierungen verwendet wird, die nicht mittels klassischer Darlehen erfolgen können, und die folglich mit der Gewährung eines Kredits vergleichbar sind, während das Factoring in erster Linie eine Dienstleistung des Forderungsmanagements darstellt. Schließlich genügt allein die Tatsache, dass ein Umsatz mit einem finanziellen Risiko behaftet ist, nicht, um ihn von der Mehrwertsteuer zu befreien. Beispielsweise trägt beim Leasing der Leasinggeber gewisse finanzielle Risiken (z. B. im Fall der Zahlungseinstellung des Leasingnehmers oder einer Wertminderung des Gegenstands), die erbrachte Leistung zählt jedoch zur Vermietung und nicht zu den von der Mehrwertsteuer befreiten Finanzumsätzen.
63. Daher schlage ich vor, die dritte und die vierte Frage dahin zu beantworten, dass Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die von einem Factor im Rahmen von Factoringdienstleistungen in Form der Verpfändung oder des Forderungsverkaufs, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, in Rechnung gestellte Finanzierungsprovision oder Einrichtungsgebühr die Gegenleistung für eine einheitliche und unteilbare Leistung der „Einziehung von Forderungen“ im Sinne dieser Bestimmung darstellen, die gemäß dieser Bestimmung der Mehrwertsteuer unterliegt.
C. Zur fünften Vorlagefrage
64. Mit seiner fünften Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass es die für die „Einziehung von Forderungen“ in Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehene Ausnahme als auf die Factoringdienstleistungen anwendbar anzusehen habe, im Wesentlichen wissen, ob diese Bestimmung als hinreichend genau und unbedingt anzusehen ist, um ihnen unmittelbare Wirkung zuzuerkennen, so dass sie vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können, damit innerstaatliche Regelungen, die mit dieser Bestimmung unvereinbar sind, unangewendet gelassen werden(51).
65. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es in der nationalen Regelung – Art. 42 Abs. 1 Nr. 2 MwStG – heiße, dass nicht lediglich die Gewährung von Krediten, sondern auch „die sonstige Besorgung von Finanzierungen“ als mehrwertsteuerfreie Finanzdienstleistung gelte, während letztere in der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht genannt wird. Wenn jedoch die für die „Einziehung von Forderungen“ vorgesehene Ausnahme von der Mehrwertsteuerbefreiung auf die beiden im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gebühren als Gegenleistung für das Factoring anwendbar sein sollte, könnte das nationale Gesetz nach Ansicht des vorlegenden Gerichts möglicherweise nicht vollkommen richtlinienkonform ausgelegt werden, da der Begriff „sonstige Besorgung von Finanzierungen“ auch das Factoring einschließen könnte. Daher möchte es wissen, ob den Bestimmungen von Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie unmittelbare Wirkung zukommt, so dass sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf diese Bestimmungen berufen kann, damit mit ihnen unvereinbares nationales Recht unangewendet gelassen werde.
66. Insoweit und ohne zur Auslegung des nationalen Rechts, die allein Sache des vorlegenden Gerichts ist, Stellung zu nehmen, erinnere ich daran, dass sich der Einzelne, auch die Mehrwertsteuerpflichtigen(52), nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann, u. a. wenn dieser die Richtlinie unzulänglich umgesetzt hat(53). Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist eine Bestimmung des Unionrechts unbedingt, wenn sie eine Verpflichtung begründet, die weder an eine Bedingung geknüpft ist noch zu ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit einer Maßnahme der Organe der Europäischen Union oder der Mitgliedstaaten bedarf, und hinreichend genau, wenn sie die Verpflichtung in unzweideutigen Worten festlegt(54).
67. In diesem Zusammenhang weise ich erstens, was die Unbedingtheit von Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie anbelangt, darauf hin, dass sich schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt, dass sie den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Befreiung oder Besteuerung der betreffenden Umsätze keinen Gestaltungsspielraum einräumt, da sie es ihnen – anders als im Fall anderer Umsätze, die nach Art. 135 Abs. 1 dieser Richtlinie befreit werden können(55) – nicht gestattet, die Bedingungen und Beschränkungen festzulegen, von denen die Gewährung der Befreiung abhängig gemacht werden kann. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht nämlich zum einen klar hervor, dass die „Einziehung von Forderungen“ in keinem Fall in den Anwendungsbereich der in ebendieser Bestimmung vorgesehenen Mehrwertsteuerbefreiung fällt, und zum anderen, dass diese Ausnahme von der Befreiung weder an eine zusätzliche Bedingung geknüpft ist noch zu ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit einer Maßnahme der Organe der Europäischen Union oder der Mitgliedstaaten bedarf. Dies gilt umso mehr, als der Gerichtshof bestätigt hat, dass die Steuerbefreiungstatbestände unmittelbar anwendbar sind, selbst wenn sie den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Bedingungen ihrer Anwendung einräumen(56).
68. Was zweitens die hinreichende Genauigkeit von Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie anbelangt, wurde der Begriff „Einziehung von Forderungen“ zwar in der Richtlinie nicht definiert, ist jedoch weder vage noch mehrdeutig, und er ist, wie der Gerichtshof aufgezeigt hat, weit auszulegen, so dass sowohl echtes als auch unechtes Factoring hierzu zählen(57). Aus den in den Nrn. 58 bis 62 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Gründen bezieht sich dieser Begriff zudem auf einen Umsatz, der sich von den Umsätzen, die zur Gewährung von Krediten zählen, unterscheidet.
69. Daher schlage ich vor, die fünfte Frage dahin zu beantworten, dass die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Mehrwertsteuerrichtlinie für die „Einziehung von Forderungen“ vorgesehene Ausnahme von der Mehrwertsteuerbefreiung unbedingt und hinreichend genau ist, um unmittelbare Wirkung entfalten zu können, so dass sie vor einem nationalen Gericht geltend gemacht und der Anwendung einer mit ihr unvereinbaren Regelung des innerstaatlichen Rechts entgegengehalten werden kann.
V. Ergebnis
70. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) wie folgt zu beantworten:
1. Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 9 Abs. 1 und Art. 135 Abs. 1 Buchst. b und d der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
sind dahin auszulegen, dass
bei Ausübung einer Factoringtätigkeit in Form des Forderungsverkaufs, bei dem der Factor bei einem Kunden nicht fällige Rechnungsforderungen ankauft und dabei das Schuldnerausfallrisiko dieses Kunden übernimmt, zum einen die vom Factor dem Kunden in Rechnung gestellte Provision, die als Prozentsatz jeder der Factoringvereinbarung unterfallenden Rechnungsforderung festgelegt ist, wobei dieser Prozentsatz umso höher ist, je länger das Zahlungsziel der Rechnungen und je schlechter das Rating der betroffenen Forderungen ist, und zum anderen die feste Einrichtungsgebühr, die der Factor dem Kunden für die Einrichtung und das Ingangsetzen des Factoringverfahrens in Rechnung stellt, als Gegenleistung für dieser Richtlinie unterfallende Dienstleistungen anzusehen sind.
2. Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112
ist dahin auszulegen, dass
die von einem Factor im Rahmen einer Factoringtätigkeit in Form eines Forderungsverkaufs wie der in der vorstehenden Ziffer genannten oder im Rahmen einer Factoringtätigkeit in Form der Rechnungsfinanzierung, bei der der Factor einem Kunden in der Weise einen Kredit gewährt, dass die Rechnungsforderungen dieses Kunden als Sicherheit für die vom Factor gewährte Finanzierung dienen, in Rechnung gestellte Finanzierungsprovision oder Einrichtungsgebühr die Gegenleistung für eine einheitliche und unteilbare Leistung der „Einziehung von Forderungen“ darstellen, die gemäß der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme von der Mehrwertsteuerbefreiung der Mehrwertsteuer unterliegt.
3. Die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2006/112 für die „Einziehung von Forderungen“ vorgesehene Ausnahme von der Mehrwertsteuerbefreiung ist unbedingt und hinreichend genau, um unmittelbare Wirkung entfalten zu können, so dass sie vor einem nationalen Gericht geltend gemacht und der Anwendung einer mit ihr unvereinbaren Regelung des innerstaatlichen Rechts entgegengehalten werden kann.
1 Originalsprache: Französisch.
i Die vorliegende Rechtssache ist mit einem fiktiven Namen bezeichnet, der nicht dem echten Namen eines Verfahrensbeteiligten entspricht.
2 Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
3 Vgl. in diesem Sinne die Beschreibung des Generalanwalts Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring (C-305/01, EU:C:2003:132, Nr. 1), wonach „[e]chtes Factoring … eine Tätigkeit [beschreibt], bei der der Factor Forderungen seiner Kunden ankauft und damit das Risiko übernimmt, dass der Schuldner nicht zahlt. Es unterscheidet sich damit von Vereinbarungen über ‚unechtes Factoring‘, bei denen der Factor ohne eine entsprechende Übernahme des Ausfallrisikos bei der Verwaltung und Eintreibung von Forderungen mitwirkt“. (Hervorhebung nur hier)
4 Das Factoring unterscheidet sich somit von anderen Finanzierungsmethoden, insbesondere dem Bankkredit, insofern, als es hauptsächlich auf der Qualität der Rechnungsforderungen im Hinblick auf die Bonität der Rechnungsschuldner und weniger auf der finanziellen Stabilität des Unternehmens selbst beruht.
5 Vgl. hierzu Urteile vom 26. Juni 2003, MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring (C-305/01, im Folgenden: Urteil MKG, EU:C:2003:377), vom 28. Oktober 2010, Axa UK (C-175/09, im Folgenden: Urteil Axa UK, EU:C:2010:646), vom 27. Oktober 2011, GFKL Financial Services (C-93/10, im Folgenden: Urteil GFKL, EU:C:2011:700), vom 17. Dezember 2020, Franck (C-801/19, im Folgenden: Urteil Franck, EU:C:2020:1049), und vom 6. Oktober 2022, O. Fundusz Inwestycyjny Zamknięty reprezentowany przez O (C-250/21, im Folgenden: Urteil O-Fonds, EU:C:2022:757).
6 Konkret zahlt A bei dieser Art des Factorings dem Kunden nach Maßgabe des vereinbarten Beleihungssatzes einen Teil des Forderungsbetrages abzüglich der ihr zustehenden Gebühr aus, wobei der Beleihungssatz den gesamten Nennwert der Forderungen abdecken oder niedriger sein kann. Der dem Kunden gewährte Kredit verringert sich in dem Maß, in dem A Zahlungen von den Rechnungsschuldnern erlangt. Erhält A innerhalb einer bestimmten Frist, in der Regel innerhalb von 18 Tagen nach Fälligkeit, keine Leistung auf eine dem Kredit zugrunde liegende Rechnungsforderung oder geht sie davon aus, dass die Forderung nicht erfüllt wird, so kann sie die Forderung von der Summe der im Rahmen der Kreditgewährung akzeptierten Forderungen abziehen. Der Finanzierungsvereinbarung zufolge muss der Kunde in diesem Fall eine Zahlung in Höhe der abgezogenen Rechnungsforderung an A bewirken.
7 Im Rahmen dieser Vereinbarung übermittelt der Kunde A Angaben zur Identifizierung der noch nicht fälligen Rechnungsforderungen, die er ihr verkaufen möchte, und A hat das Recht, die Forderungen auszuwählen, deren Abtretung sie akzeptiert. Sobald die Forderung akzeptiert wurde, leistet A an den Kunden nach Maßgabe der Bedingungen des mit diesem geschlossenen Vertrags eine Zahlung für die an sie abgetretenen Forderungen entweder zum gesamten Nennwert der Rechnungsforderung oder zu einem Teil des Nennwerts.
8 Die anderen sieben Gebührenarten sind die folgenden: i) die „Limitgebühr“, die die Vergütung dafür darstellt, dass A ein dem Kunden zur Verfügung stehendes maximales Finanzierungslimit aufrechterhält; ii) die „Monats- oder Jahresgebühr“, die die Vergütung für die laufende Verwaltung der Factoringvereinbarung darstellt; iii) die „Rechnungsbearbeitungsgebühr“, die eine feste Gebühr für jede fakturierte Forderung darstellt und die Kosten deckt, die A für die Übertragung und Verwaltung der Forderungen entstehen; iv) die „jährliche Gebühr für das Kundenportal“, die die Vergütung für die Internetseiten darstellt, die denjenigen Kunden zur Verfügung stehen, die sich für einen Service entschieden haben, der es ermöglicht, finanzierte oder angekaufte Rechnungen einzusehen und u. a. Abrechnungsberichte zu erhalten; v) die „Inkassoprovision“, die von den Rechnungsschuldnern, in manchen Fällen jedoch auch von den Kunden der A entrichtet wird; vi) die „Gebühr für schnelle Zahlung“, die die Vergütung für die den Kunden von A eingeräumte Möglichkeit darstellt, über die Gelder schneller als nach ihrer üblichen Zahlungspraxis zu verfügen, und vii) die „Ratinggebühr“, die die Vergütung für die Erstellung eines Kreditratings zum Zeitpunkt der Begründung einer Kundenbeziehung darstellt, das der Klärung sowohl der Bonität der Kunden der A als auch der Bonität der Rechnungsschuldner dient.
9 Das vorlegende Gericht erklärt, dass es im Rahmen des Factorings in Form der Verpfändung bei einem 100%igen Beleihungssatz z. B. möglich ist, dass A eine Provision in Höhe von 1 % jeder Forderung mit dreißigtägigem Zahlungsziel erhält, wobei A ihrem Kunden für jede an sie verpfändete Forderung mit einem Nennwert von 100 Euro einen Kredit in Höhe von 99 Euro gewährt. In diesem Fall zahlt der Kunde A eine Finanzierungsprovision in Höhe von einem Euro und A erhält den Restbetrag entweder direkt vom Rechnungskunden nach Fälligkeit der verpfändeten Forderung oder letztlich von ihrem Kunden.
10 Nach Auffassung des Zentralen Steuerausschusses waren daher folgende Provisionen und Gebühren mehrwertsteuerpflichtig: i) die Monats- oder Jahresgebühr; ii) die Rechnungsbearbeitungsgebühr; iii) die jährliche Gebühr für das Kundenportal und iv) die Inkassoprovision.
11 Im Einzelnen: i) die Limitgebühr; ii) die Gebühr für schnelle Zahlung; und iii) die Ratinggebühr.
12 Siehe in diesem Sinne Fn. 8 der vorliegenden Schlussanträge. Nach Ansicht von A könnte allenfalls die Limitgebühr als Gegenleistung für eine mehrwertsteuerbefreite Dienstleistung angesehen werden, da sie einen Prozentsatz des dem Kunden zur Verfügung stehenden Finanzierungslimits darstellt.
13 Siehe hierzu die Nrn. 26, 40 und 65 der vorliegenden Schlussanträge.
14 Konkret fragt es sich, welche Schlussfolgerungen aus diesen Urteilen für den vorliegenden Fall in Anbetracht dessen zu ziehen sind, dass die von A in Rechnung gestellte Finanzierungsprovision als Berichtigungsposten angesehen werden könnte, mit dem der Kaufpreis einer Forderung ihrem abgezinsten Jetztwert angepasst wird, wobei diese Frage sich u. a. aufgrund der folgenden Umstände stelle: i) A erhält anders als in der Rechtssache, in der das Urteil MKG ergangen ist, nach dem Forderungsverkauf keine Zinsen oder sonstigen Gegenleistungen mehr von ihrem Kunden , wodurch ein synallagmatisches Rechtsverhältnis nach diesem Verkauf folglich ausgeschlossen ist; ii) es stehen keine fälligen und nicht bezahlten Forderungen in Rede, sondern künftig fällig werdende und iii) es wurde eine bestimmte Vergütung zwischen den Parteien vereinbart, soweit diese direkt im Kaufpreis der Forderungen hätte berücksichtigt werden können.
15 Vgl. Urteil vom 7. November 2024, Lomoco Development u. a. (C-594/23, EU:C:2024:942, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
16 Vgl. Urteil vom 25. Februar 2021, Gmina Wrocław (Umwandlung des Nießbrauchrechts) (C-604/19, EU:C:2021:132, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).
17 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. März 2022, Dyrektor Izby Skarbowej w L. (Verlust des Status eines Pauschallandwirts) (C-697/20, EU:C:2022:210, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
18 Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
19 Vgl. Urteil MKG (Rn. 48 und 49). Im dortigen Fall behielt der Factor eine Factoringgebühr in Höhe von 2 % und eine Delkrederegebühr in Höhe von 1 % des Nennwerts der angekauften Forderungen ein.
20 Vgl. Urteil GFKL (Rn. 26).
21 Vgl. Urteil GFKL (Rn. 21 bis 25). Zwischen dem Nennwert der abgetretenen Forderungen und ihrem Kaufpreis bestand zwar eine Differenz, diese Differenz stellte jedoch keine direkte Vergütung einer vom Käufer der abgetretenen Forderungen erbrachten Dienstleistung dar, sondern spiegelte den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert dieser Forderungen zum Zeitpunkt ihrer Abtretung wider, der darauf zurückzuführen war, dass diese Forderungen zahlungsgestört waren und ein erhöhtes Risiko des Schuldnerausfalls bestand.
22 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Juni 1991, Polysar Investments Netherlands (C-60/90, EU:C:1991:268).
23 Siehe Nr. 26 der vorliegenden Schlussanträge.
24 A betont in ihren schriftlichen Erklärungen, dass sie nach der Übertragung der Forderungen von ihren Kunden Jahres- und/oder Monatsgebühren erhält, die der Kunde als Vergütung für die laufende Verwaltung der Vereinbarung zahlt, und dass die Verträge von A im Allgemeinen langfristige Verträge sind, bei denen die Rechtsbeziehung mit ihren Kunden nicht mit dem Verkauf der Forderungen endet.
25 Vgl. Urteil O-Fonds (Rn. 30 und 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Vgl. Urteil Axa UK (Rn. 29 bis 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Vgl. Urteil MKG (Rn. 58 und 72) und Axa UK (Rn. 30).
28 Vgl. Urteil MKG (Rn. 78), bestätigt durch das Urteil Axa UK (Rn. 31 und 33).
29 Vgl. Urteil MKG (Rn. 77). Die englische und die schwedische Sprachfassung von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Sechsten Richtlinie nannten als solche auf der gleichen Stufe wie die Einziehung von Forderungen auch das Factoring.
30 Vgl. Urteil MKG (Rn. 54, 75 und 76). Dem Gerichtshof zufolge „[würde m]it jeder anderen Auslegung … willkürlich zwischen diesen beiden Factoringarten unterschieden und der betreffende Wirtschaftsteilnehmer … mit der Mehrwertsteuer belastet, ohne ihm zu ermöglichen, diese … als Vorsteuer abzuziehen“.
31 Vgl. Urteil MKG (Rn. 80 und Nr. 2 des Tenors).
32 Vgl. Urteil MKG (Rn. 13).
33 Siehe Nr. 15 der vorliegenden Schlussanträge.
34 Vgl. Urteil MKG (Rn. 54, 75, 76 und 80).
35 Vgl. Urteil vom 4. September 2019, KPC Herning (C-71/18, EU:C:2019:660, Rn. 39).
36 Vgl. Urteil vom 4. März 2021, Frenetikexito (C-581/19, im Folgenden: Urteil Frenetikexito, EU:C:2021:167, Rn. 37 bis 39 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 18. April 2024, Companhia União de Crédito Popular (C-89/23, EU:C:2024:333, Rn. 34 und 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass die Gewährung eines durch ein Pfandrecht besicherten Darlehens und die Versteigerung der verpfändeten Sachen, wenn der Darlehensnehmer seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht fristgerecht nachgekommen ist, getrennte und selbständige Leistungen im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellten, soweit diese Leistungen weder materiell noch formal voneinander abhängig waren.
37 Vgl. Urteil Frenetikexito (Rn. 40 und 42) und vom 17. Oktober 2024, Digital Charging Solutions (C-60/23, im Folgenden: Urteil DCS, EU:C:2024:896, Rn. 46 bis 48).
38 Vgl. Urteil Franck (Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Vgl. Urteile Frenetikexito (Rn. 36) und DCS (Rn. 49).
40 Nach Art. 1 Abs. 2 des am 28. Mai 1988 in Ottawa unterzeichneten Unidroit-Übereinkommens über das internationale Factoring (abrufbar unter der folgenden Adresse: https://www.unidroit.org/fr/instruments/affacturage/convention) bedeutet „Factoring-Vertrag“ einen Vertrag, der zwischen Kunden und Factor geschlossen wird und aufgrund dessen: „a) der [Kunde] an den [Factor] Forderungen abtreten kann oder muss, die aus Warenkaufverträgen zwischen dem [Kunden] und seinen [Rechnungsschuldnern] entstehen, ausgenommen Kaufverträge über Waren, die in erster Linie für den persönlichen Gebrauch oder den Gebrauch in der Familie oder im Haushalt des Kunden gekauft werden; b) [der Factor] mindestens zwei der folgenden Aufgaben zu erfüllen hat: – Finanzierung für den [Kunden], insbesondere Darlehensgewährung und Vorauszahlung; – Buchhaltung bezüglich der Forderungen; – Einziehung von Forderungen; – Schutz gegen Nichtzahlung oder verspätete Zahlung der [Rechnungsschuldner]“. Vgl. auch aus der Lehre Terra, B., und Kajus, J., A guide to the European VAT Directives, IBFD, 2024, S. 702.
41 Siehe Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge.
42 Siehe Fn. 8 der vorliegenden Schlussanträge.
43 Vgl. entsprechend Urteil DCS (Rn. 52 bis 54).
44 Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Oktober 2019, Paulo Nascimento Consulting (C-692/17, EU:C:2019:867, Rn. 38).
45 Vgl. hierzu Urteil vom 10. März 2011, Skandinaviska Enskilda Banken (C-540/09, EU:C:2011:137, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung), wo der Gerichtshof ausgeführt hat, dass mit Mehrwertsteuerbefreiungen bezweckt wird, die Schwierigkeiten, die mit der Bestimmung der Bemessungsgrundlage und der Höhe der abzugsfähigen Mehrwertsteuer verbunden sind, zu beseitigen und eine Erhöhung der Kosten des Verbraucherkredits zu vermeiden. Vgl. aber die Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in ebendieser Rechtssache (C-540/09, EU:C:2010:788, Nr. 22), der ausführt, dass die Gründe, die für die Steuerbefreiung der Finanzgeschäfte maßgebend waren, nicht eindeutig seien, da die Gesetzesmaterialien diese Frage nicht behandelten.
46 Vgl. in diesem Sinne Urteil MKG (Rn. 59 und 50).
47 Vgl. Urteil Franck (Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dem Gerichtshof zufolge wird diese Auslegung nämlich durch das Ziel des durch die Mehrwertsteuerrichtlinie eingeführten gemeinsamen Systems gestützt, durch das vor allem die Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen sichergestellt werden soll.
48 Vgl. Urteil Franck (Rn. 36 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), das auf das Urteil vom 15. Mai 2019, Vega International Car Transport and Logistic (C-235/18, EU:C:2019:412, Rn. 47 und 48), verweist, in dem der Gerichtshof die Vorfinanzierung des Kaufs von Waren gegen einen Zuschlag auf den vom Empfänger dieser Finanzierung zurückgezahlten Betrag als Finanzgeschäft, das der Gewährung eines Kredits ähnlich ist, angesehen hat. Vgl. auch Urteil Companhia União de Crédito Popular (C-89/23, EU:C:2024:333, Rn. 40 und 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), in dem der Gerichtshof die Versteigerung der verpfändeten Sachen nach Ablauf einer Frist von drei Monaten, in der der Darlehensnehmer seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, und die Gewährung eines durch ein Pfandrecht besicherten Darlehens als getrennte und selbständige Leistungen im Sinne von Art. 135 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen hat.
49 Vgl. Urteil Franck (Rn. 13).
50 Vgl. Urteil O-Fonds (Rn. 38).
51 Ich weise darauf hin, dass das vorlegende Gericht im Rahmen seines Ersuchens den Gerichtshof nach der unmittelbaren Wirkung der Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie fragt, nach denen die Umsätze steuerpflichtig sind, ohne jedoch diese Bestimmungen zu benennen. Davon ausgehend, dass die in Bezug genommene Bestimmung Art. 135 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie ist, soweit dieser die „Einziehung von Forderungen“ von der Mehrwertsteuerbefreiung ausschließt, werde ich zur unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung Stellung beziehen.
52 Vgl. Urteil vom 6. November 2003, Dornier (C-45/01, EU:C:2003:595, Rn. 82).
53 Vgl. Urteil vom 26. April 2012, Balkan and Sea Properties (C-621/10 und C-129/11, EU:C:2012:248, Rn. 56 und 57 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
54 Vgl. Urteil vom 10. Dezember 2020, Golfclub Schloss Igling (C-488/18, EU:C:2020:1013, Rn. 27 und 28 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
55 Vgl. beispielsweise Art. 135 Abs. 1 Buchst. g und i der Mehrwertsteuerrichtlinie und Urteil vom 12. September 2024, Chaudfontaine Loisirs (C-73/23, EU:C:2024:734, Rn. 25 und 26 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
56 Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Dornier (C-45/01, EU:C:2003:595, Rn. 80 und 82) und vom 17. Februar 2005, Linneweber und Akritidis (C-453/02 und C-462/02, EU:C:2005:92, Rn. 34 und 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
57 Siehe Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge.