EuGH: Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer
EuGH, Urteil vom 24.6.2017 – C-38/16, Compass Contract Services gegen Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs
ECLI:EU:C:2017:454
Volltext: BB-ONLINE BBL2017-1621-1
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Tenor
Eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens, die bei der Verkürzung der Verjährungsfrist für Anträge auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer und Anträge auf Vorsteuerabzug verschiedene Übergangszeiträume vorsieht, so dass für Anträge, die sich auf zwei Besteuerungszeiträume von drei Monaten beziehen, je nachdem, ob sie die Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer oder den Vorsteuerabzug zum Gegenstand haben, verschiedene Verjährungsfristen gelten, ist mit den Grundsätzen der steuerlichen Neutralität, der Gleichbehandlung und der Effektivität vereinbar.
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der unionsrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, der steuerlichen Neutralität und der Effektivität.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Compass Contract Services Limited (im Folgenden: Compass) und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs (im Folgenden: HMRC‑Commissioners) wegen deren Entscheidung, Compass zu viel entrichtete Mehrwertsteuer nicht zu erstatten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 17 („Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“) der hier anwendbaren Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) bestimmte:
„(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,
b) die Mehrwertsteuer, die für eingeführte Gegenstände geschuldet wird oder entrichtet worden ist;
c) die Mehrwertsteuer, die nach Artikel 5 Absatz 7 Buchstabe a) und Artikel 6 Absatz 3 geschuldet wird.
…“
4 Art. 18 („Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug“) der Sechsten Richtlinie bestimmte:
„(1) Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige
a) über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a) abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen;
b) über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe b) abziehbare Steuer ein die Einfuhr bescheinigendes Dokument besitzen, das ihn als Empfänger oder Importeur ausweist und aus dem sich der geschuldete Steuerbetrag ergibt oder auf Grund dessen seine Berechnung möglich ist;
c) in Bezug auf die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe c) abziehbare Steuer die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Formalitäten erfüllen;
d) bei der Entrichtung der Steuer als Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger im Falle der Anwendung des Artikels 21 Absatz 1 die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllen.
(2) Der Vorsteuerabzug wird vom Steuerpflichtigen global vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er für einen Erklärungszeitraum schuldet, den Betrag der Steuer absetzt, für die das Abzugsrecht entstanden ist und wird nach Absatz 1 während des gleichen Zeitraums ausgeübt.
…
(3) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen und Einzelheiten fest, nach denen einem Steuerpflichtigen gestattet werden kann, einen Abzug vorzunehmen, den er nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorgenommen hat.
(4) Übersteigt der Betrag der zulässigen Abzüge den Betrag der für einen Erklärungszeitraum geschuldeten Steuer, können die Mitgliedstaaten den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder ihn nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten.
…“
Recht des Vereinigten Königreichs
5 Section 25 des Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz 1994) in der hier anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz von 1994) bestimmt:
„…
(2) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieser Section ist der Steuerpflichtige am Ende eines jeden Besteuerungszeitraums befugt, von der von ihm gezahlten Vorsteuer den nach Section 26 zulässigen Betrag gutzuschreiben und dann von der von ihm abzuführenden Mehrwertsteuer abzuziehen.
…
(6) Ein Abzug gemäß (2) und die Auszahlung eines Mehrwertsteuerguthabens setzen voraus, dass in der durch oder auf der Grundlage einer Verordnung vorgesehenen Frist und Form ein entsprechender Antrag gestellt wird. Bei einer Person, die in dem betreffenden Besteuerungszeitraum und davor keine steuerpflichtigen Leistungen erbracht hat, ist die Auszahlung eines Mehrwertsteuerguthabens gegebenenfalls von den von den [HMRC‑]Commissioners für zweckmäßig erachteten Voraussetzungen abhängig zu machen, einschließlich der Voraussetzungen in Bezug auf die Erstattung unter besonderen Umständen.“
6 Section 80 des Gesetzes von 1994 bestimmt:
„Gutschrift oder Erstattung zu viel erklärter oder gezahlter Mehrwertsteuer
…
(4) Die [HMRC-]Commissioners sind bei einem gemäß dieser Section gestellten Antrag nicht verpflichtet,
a) einer Person gemäß (1) oder (1A) Mehrwertsteuer gutzuschreiben oder
b) einer Person gemäß (1B) einen Betrag zu erstatten,
wenn der Antrag mehr als drei Jahre nach dem maßgeblichen Zeitpunkt gestellt wird.“
7 Section 25 des Gesetzes von 1994 ist mit Regulation 29 der hier anwendbaren Value Added Tax Regulations 1995 (Mehrwertsteuerverordnung 1995) durchgeführt worden. In (1) und (1A) ist bestimmt:
„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen von (1A) … muss ein Antrag auf Vorsteuerabzug gemäß Section 25(2) des Gesetzes [von 1994] in der Erklärung gestellt werden, die für den Besteuerungszeitraum abgegeben wird, in dem die Mehrwertsteuer fällig geworden ist, es sei denn, es liegt eine gegenteilige allgemeine oder spezielle Genehmigung oder Anweisung der [HMRC‑]Commissioners vor.
(1A) Die [HMRC-]Commissioners dürfen es einer Person weder gestatten noch diese dazu verpflichten, einen Antrag auf Vorsteuerabzug zu stellen, bei dem dieser mehr als drei Jahre nach dem Zeitpunkt verlangt wird, in dem die Erklärung für den Besteuerungszeitraum, in dem die Mehrwertsteuer fällig geworden ist, abzugeben ist.“
8 Section 121 des Finance Act 2008 (Steuergesetz 2008, im Folgenden: Gesetz von 2008) bestimmt:
„Alte Mehrwertsteueranträge: Verlängerte Fristen
(1) Die Voraussetzung gemäß Section 80(4) des [Gesetzes von 1994], dass ein Antrag gemäß Section 80 des [Gesetzes von 1994] innerhalb von drei Jahren nach dem relevanten Zeitpunkt gestellt werden muss, gilt nicht für Anträge, die sich auf einen Betrag beziehen, der in einem vor dem 4. Dezember 1996 abgeschlossenen Besteuerungszeitraum in Ansatz gebracht oder gezahlt worden ist, sofern sie vor dem 1. April 2009 gestellt worden sind.
(2) Die Voraussetzung gemäß Section 25(6) des [Gesetzes von 1994], dass Anträge auf Vorsteuerabzug in den durch oder auf der Grundlage einer Verordnung vorgesehenen Fristen zu stellen sind, gilt nicht für Anträge auf Abzug von Vorsteuer, die in einem vor dem 1. Mai 1997 abgeschlossenen Besteuerungszeitraum fällig geworden ist und für die der Antragsteller über die erforderlichen Belege verfügte, sofern sie vor dem 1. April 2009 gestellt worden sind.
…
(4) Dieser Artikel gilt als am 19. März 2008 in Kraft getreten.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9 Compass, eine Gesellschaft, die insbesondere Restaurationsleistungen erbringt, verlangt Mehrwertsteuer erstattet, die sie für die mit dem Monat Januar bzw. April 1997 abgeschlossenen Besteuerungszeiträume (Vierteljahre) zu viel entrichtet hat.
10 1996 teilte das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland mit, dass es beabsichtige, seine Rechtsvorschriften im Bereich der Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer zu ändern und die Verjährung entsprechender Ansprüche von sechs auf drei Jahre zu verkürzen. Diese Änderung trat am 4. Dezember 1996 in Kraft. Mit dem Urteil vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C‑62/00, EU:C:2002:435), hat der Gerichtshof entschieden, dass die Grundsätze der Effektivität und des Vertrauensschutzes einer solchen nationalen Regelung entgegenstehen, da diese ohne einen Übergangszeitraum rückwirkend die Frist verkürzt, innerhalb derer zu viel entrichtete Mehrwertsteuer erstattet verlangt werden kann.
11 Der Court of Appeal (England and Wales) (Civil Division) (Berufungsgerichtshof [England und Wales] [Abteilung Zivilsachen], Vereinigtes Königreich) wandte diese Rechtsprechung bei Anträgen auf Vorsteuerabzug an, da das Vereinigte Königreich die Verjährungsfrist auch bei diesen Ansprüchen ab dem 1. Mai 1997 von sechs auf drei Jahre verkürzt hatte. In der Rechtssache Michael Fleming (t/a Bodycraft)/Commissioners ([2006] EWCA Civ 70) entschied er, dass die Verkürzung der Verjährungsfrist ohne Übergangszeitraum erfolgt sei, so dass die Personen, deren Recht auf Vorsteuerabzug vor dem 1. Mai 1997 entstanden sei, befugt sein müssten, Anträge auf Vorsteuerabzug zu stellen, und die neue Verjährungsfrist bei ihnen nicht anzuwenden sei. Das Urteil wurde vom House of Lords am 23. Januar 2008 mit dem Urteil Fleming und Condé Nast/Commissioners ([2008] UKHL 2) bestätigt.
12 Daraufhin veröffentlichten die HMRC‑Commissioners Verwaltungsvorschriften (Business Brief 07/08, [2008] STI 311 [Issue 8]), wonach Mehrwertsteueranträge, die nach Ablauf der neuen Frist von drei Jahren eingereicht werden, „für vor dem 4. Dezember 1996 abgeschlossene Besteuerungszeiträume zu viel entrichtete oder erklärte vereinnahmte Mehrwertsteuer“ oder „Vorsteuer, bei der das Recht auf Abzug in vor dem 1. Mai 1997 abgeschlossenen Besteuerungszeiträumen entstanden ist“, betreffen könnten. Die beiden Daten entsprachen dem Inkrafttreten der neuen um drei Jahre verkürzten Verjährungsfrist für Anträge auf Erstattung zu viel gezahlter Mehrwertsteuer (4. Dezember 1996) und für Anträge auf Vorsteuerabzug (1. Mai 1997). Solche Mehrwertsteueranträge werden nunmehr als „Fleming-Anträge“ bezeichnet. Mit Section 121 des Gesetzes von 2008 wurden die um drei Jahre verkürzten Verjährungsfristen für diese beiden Arten von Anträgen kodifiziert.
13 Der Vorlageentscheidung zufolge entschied der Court of Appeal (England and Wales) (Civil Division) (Berufungsgerichtshof [England und Wales] [Abteilung Zivilsachen]), dass bestimmte Leistungen von Compass bei der Zubereitung kalter Speisen, bei denen diese Gesellschaft die Mehrwertsteuer vereinnahmt und erklärt hatte, nicht mehrwertsteuerpflichtig seien. Für diese Leistungen gelte gemäß der nationalen Regelung als durch Art. 28 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie zugelassenen Ausnahme der Mehrwertsteuersatz null.
14 Entsprechend stellten die HMRC‑Commissioners fest, dass Compass zu viel Mehrwertsteuer entrichtet habe. Im Januar 2008 verlangte Compass die zu viel entrichtete Mehrwertsteuer für die Zeiträume vom 1. April 1973 bis zum 2. Februar 2002 erstattet.
15 Für die Zeiträume zwischen dem 1. April 1973 und dem 31. Oktober 1996 erstatteten die HMRC‑Commissioners die von Compass zu viel entrichtete Mehrwertsteuer. Im Übrigen wiesen sie die Erstattungsanträge wegen Verjährung zurück. Die dreijährige Verjährungsfrist habe am 4. Dezember 1996 für die ab diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Besteuerungszeiträume begonnen und sei zum Zeitpunkt der Erhebung der betreffenden Anträge abgelaufen gewesen. Wie das vorlegende Gericht herausgestellt hat, geht es im Ausgangsverfahren also letztlich um die beiden Besteuerungszeiträume, die nach dem 4. Dezember 1996 und vor dem 1. Mai 1997 geendet haben. Compass bestreitet nämlich nicht, dass die Verjährungsfrist nach dem 1. Mai 1997 rechtswirksam gelaufen ist.
16 Compass hat deshalb beim First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Kammer für Steuersachen], Vereinigtes Königreich) gegen die Entscheidung der HMRC‑Commissioners, die für diese beiden Besteuerungszeiträume zu viel entrichtete Mehrwertsteuer nicht zu erstatten, Klage erhoben. Compass macht geltend, die Ungleichbehandlung eines Antrags auf Erstattung vereinnahmter Mehrwertsteuer, wie sie ihn gestellt habe, und eines Antrags auf Vorsteuerabzug verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Es sei nicht gerechtfertigt, dass ein Steuerpflichtiger für dieselben Besteuerungszeiträume einen Antrag auf Mehrwertsteuerabzug stellen könne, nicht aber einen Antrag auf Erstattung zu viel gezahlter Mehrwertsteuer. Die zeitliche Diskrepanz, die bei der Regelung des Vereinigten Königreichs hinsichtlich des Zeitpunkts des Inkrafttretens der dreijährigen Verjährungsfrist bestehe und zwischen den beiden Arten von Anträgen eine Ungleichbehandlung begründe, sei objektiv nicht gerechtfertigt. Sie sei rein zufällig, was mit der Vorgeschichte der Einführung der Verjährungsfrist zu tun habe.
17 Vor diesem Hintergrund hat das First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Kammer für Steuersachen]) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Führt die unterschiedliche Behandlung von Fleming-Ansprüchen auf Mehrwertsteuer (die für vor dem 4. Dezember 1996 abgelaufene Zeiträume geltend gemacht werden konnten) und Fleming-Ansprüchen auf Vorsteuer (die für vor dem 1. Mai 1997 abgelaufene Zeiträume, d. h. länger als Fleming-Ansprüche auf Mehrwertsteuer, geltend gemacht werden konnten) durch das Vereinigte Königreich zu
a) einem Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und/oder
b) einem Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Neutralität und/oder
c) einem Verstoß gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität und/oder
d) einem Verstoß gegen sonstige einschlägige unionsrechtliche Grundsätze?
2. Wenn Frage 1 a) bis d) in einem Punkt bejaht wird, wie sind Fleming-Ansprüche auf Mehrwertsteuer, die sich auf den Zeitraum vom 4. Dezember 1996 bis 30. April 1997 beziehen, zu behandeln?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
18 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens, die bei der Verkürzung der Verjährungsfrist für Anträge auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer und Anträge auf Vorsteuerabzug verschiedene Übergangszeiträume vorsieht, so dass für Anträge, die sich auf zwei Besteuerungszeiträume von drei Monaten beziehen, je nachdem, ob sie die Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer oder den Vorsteuerabzug zum Gegenstand haben, verschiedene Verjährungsfristen gelten, mit den Grundsätzen der steuerlichen Neutralität, der Gleichbehandlung und der Effektivität vereinbar ist.
19 Der Vorlageentscheidung zufolge gilt für Anträge auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer und Anträge auf Vorsteuerabzug nach Section 80(4) und Section 25(6) (durchgeführt durch Regulation 29[1A] der Mehrwertsteuerverordnung von 1995 in der hier geltenden Fassung) des Gesetzes von 1994, auf die Section 121 des Gesetzes von 2008 verweist, dieselbe Verjährungsfrist von drei Jahren. Hingegen unterscheiden sich diese beiden Arten von Anträgen hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist, wie er sich aus den Übergangszeiträumen ergibt, die durch Section 121 des Gesetzes von 2008, mit dem die Praxis der HMRC‑Commissioners kodifiziert wurde, eingeführt worden sind, um dem Unionsrecht Genüge zu tun (siehe oben, Rn. 10 bis 12). Nach Section 121(1) des Gesetzes von 2008 gilt die Verjährungsfrist von drei Jahren nicht für Anträge auf Erstattung zu viel gezahlter Mehrwertsteuer, die sich auf Beträge beziehen, die für einen vor dem 4. Dezember 1996 abgeschlossenen Besteuerungszeitraum in Ansatz gebracht oder gezahlt worden sind, sofern sie vor dem 1. April 2009 gestellt worden sind. Und nach Section 121(2) des Gesetzes von 2008 gilt die Verjährungsfrist von drei Jahren nicht für Anträge auf Abzug von Vorsteuer, die in einem vor dem 1. Mai 1997 abgeschlossenen Besteuerungszeitraum fällig geworden ist, sofern sie vor dem 1. April 2009 gestellt worden sind.
20 Wie sich weiter aus der Vorlageentscheidung ergibt, ist der Antrag von Compass auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer gemäß Section 121(1) des Gesetzes von 2008 wegen der darin für nach dem 4. Dezember 1996 abgeschlossene Besteuerungszeiträume vorgesehenen Verjährungsfrist von drei Jahren zurückgewiesen worden. Ein Antrag auf Vorsteuerabzug wäre hingegen nicht zurückgewiesen worden. Die für solche Anträge geltende Verjährungsfrist von drei Jahren gilt nämlich nur für nach dem 1. Mai 1997 abgeschlossene Besteuerungszeiträume.
21 Als Erstes ist festzustellen, dass es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nach ständiger Rechtsprechung insbesondere nicht zulässt, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (Urteile vom 3. Mai 2001, Kommission/Frankreich, C‑481/98, EU:C:2001:237, Rn. 22, und vom 10. November 2011, The Rank Group, C‑259/10 et C‑260/10, EU:C:2011:719, Rn. 32).
22 Aus den Akten, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof vorgelegt hat, ist aber nicht ersichtlich, dass die Dienstleistungen von Compass hinsichtlich der Mehrwertsteuer anders behandelt worden wären als gleichartige Dienstleistungen eines Wettbewerbers.
23 Wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, haben die HMRC‑Commissioners die Rechtsvorschriften über die Verjährungsfristen je nach der Art der Ansprüche (Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer/Vorsteuerabzug) auf alle Antragsteller, einschließlich Compass, angewandt.
24 Als Zweites ist zum Grundsatz der Gleichbehandlung festzustellen, dass, während ein Verstoß gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, in dem der Grundsatz der Gleichbehandlung im Mehrwertsteuerbereich zum Ausdruck kommt, nur zwischen konkurrierenden Wirtschaftsteilnehmern in Betracht gezogen werden kann, ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung im Steuerbereich durch andere Arten der Diskriminierung gekennzeichnet sein kann, die Wirtschaftsteilnehmer betreffen, die nicht zwangsläufig miteinander konkurrieren, aber sich trotzdem in einer in anderer Beziehung vergleichbaren Situation befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2008, Marks & Spencer, C‑309/06, EU:C:2008:211, Rn. 49).
25 Die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes durch eine unterschiedliche Behandlung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass die betreffenden Sachverhalte im Hinblick auf alle Merkmale, die sie kennzeichnen, vergleichbar sind (Urteil vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C‑127/07, EU:C:2008:728, Rn. 25). Die Merkmale unterschiedlicher Sachverhalte und somit deren Vergleichbarkeit sind u. a. im Licht des Ziels und des Zwecks der betreffenden Bestimmungen zu bestimmen und zu beurteilen, wobei die Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs zu berücksichtigen sind, dem die in Rede stehende Maßnahme unterfällt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C‑127/07, EU:C:2008:728, Rn. 26, und vom 7. März 2017, RPO, C‑390/15, EU:C:2017:174, Rn. 42).
26 Demnach ist im Hinblick auf die in Section 121 des Gesetzes von 2008 vorgesehenen Verjährungsfristen zu prüfen, ob die Situation eines Wirtschaftsteilnehmers wie Compass, der von den Steuerbehörden zu viel entrichtete Mehrwertsteuer erstattet verlangt, mit der eines anderen Wirtschaftsteilnehmers vergleichbar ist, der bei denselben Behörden einen Vorsteuerabzug beantragt.
27 Insoweit vertritt Compass die Auffassung, die Situation eines Wirtschaftsteilnehmers, der zu viel entrichtete Mehrwertsteuer erstattet verlange, sei mit derjenigen eines Wirtschaftsteilnehmers, der einen Vorsteuerabzug beantrage, insbesondere deshalb vergleichbar, weil beide, wie sich aus dem Urteil vom 10. April 2008, Marks & Spencer (C‑309/06, EU:C:2008:211), ergebe, gegenüber den Steuerbehörden ein Mehrwertsteuerguthaben hätten. Das Vereinigte Königreich und die Europäische Kommission machen hingegen geltend, die beiden Sachverhalte seien nicht vergleichbar, weil die Ansprüche, die den beiden Arten von Anträgen zugrunde lägen, verschiedener Rechtsnatur seien.
28 Bei der Prüfung der Vergleichbarkeit der beiden Sachverhalte ist zu ermitteln, durch welche Merkmale ein Antrag auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer wie der von Compass gekennzeichnet ist. Die Sechste Richtlinie enthält keine Bestimmung über die Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer durch den Aussteller der Rechnung. Es ist unter diesen Umständen grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2000, Schmeink & Cofreth und Strobel, C‑454/98, EU:C:2000:469, Rn. 48 und 49, und Urteil vom 11. April 2013, Rusedespred, C‑138/12, EU:C:2013:233, Rn. 25).
29 Nach ständiger Rechtsprechung stellt das Recht auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben hat, eine Folge und eine Ergänzung der Rechte dar, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen (vgl. u. a. Urteile vom 9. November 1983, San Giorgio, 199/82, EU:C:1983:318, Rn. 12, vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a., C‑397/98 und C‑410/98, EU:C:2001:134, Rn. 84, und vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, Rn. 24). Die Mitgliedstaaten sind also grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zu erstatten (vgl. u. a. Urteile vom 14. Januar 1997, Comateb u. a., C‑192/95 bis C‑218/95, EU:C:1997:12, Rn. 20, und vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a., C‑591/10, EU:C:2012:478, Rn. 24).
30 Dem Antrag auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer liegt also der Anspruch auf Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Beträge zugrunde, der die Folgen der Unvereinbarkeit der Abgabe mit dem Unionsrecht dadurch beheben soll, dass die mit der Abgabe zu Unrecht auferlegte wirtschaftliche Belastung des Wirtschaftsteilnehmers, der sie letztlich tatsächlich getragen hat, neutralisiert wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2011, Danfoss und Sauer-Danfoss, C‑94/10, EU:C:2011:674, Rn. 23).
31 Das charakteristische, grundlegende Merkmal eines solchen Anspruchs auf Erstattung ist demnach eine rechtsgrundlose Zahlung eines Mehrwertsteuerbetrags an die Steuerbehörden durch einen Steuerpflichtigen, die nicht mit dem Unionsrecht in Einklang steht. Dem Anspruch liegt zugrunde, dass die Mehrwertsteuer rechtsgrundlos gezahlt worden ist. Die entsprechende wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen ist deshalb nach den durch das nationale Recht eines jeden Mitgliedstaats in Einklang mit den Grundsätzen der Gleichwertigkeit und der Effektivität festgesetzten Bedingungen zu neutralisieren.
32 Was die Bestimmung der Merkmale angeht, die einen Antrag auf Vorsteuerabzug kennzeichnen, ist festzustellen, dass, während der Anspruch auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer seine Grundlage in den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts hat, wie der Generalanwalt in Nr. 59 seiner Schlussanträge ausgeführt hat (siehe oben, Rn. 29 und 30), das Recht auf Vorsteuerabzug in den Art. 17 ff. der Sechsten Richtlinie geregelt ist.
33 Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, ist das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder gezahlt wurde, ein fundamentaler Grundsatz des durch die Rechtsvorschriften der Union geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. Das Recht auf Vorsteuerabzug ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden (vgl. u. a. Urteile vom 6. Dezember 2012, Bonik, C‑285/11, EU:C:2012:774, Rn. 25 und 26, und vom 22. Juni 2016, Gemeente Woerden, C‑267/15, EU:C:2016:466, Rn. 30 und 31).
34 Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Steuerpflichtige vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet somit die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten grundsätzlich selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (Urteile vom 14. Februar 1985, Rompelman, 268/83, EU:C:1985:74, Rn. 19, vom 6. Juli 2006, Kittel und Recolta Recycling, C‑439/04 und C‑440/04, EU:C:2006:446, Rn. 48, und vom 26. April 2017, Farkas, C‑564/15, EU:C:2017:302, Rn. 43).
35 Der Gerichtshof hat deshalb entschieden, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur für geschuldete Steuern besteht und nicht auf zu Unrecht in Rechnung gestellte und an die Steuerbehörde gezahlte Mehrwertsteuer erstreckt werden kann (Urteile vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken, C‑35/05, EU:C:2007:167, Rn. 23 und 27, und vom 26. April 2017, Farkas, C‑564/15, EU:C:2017:302, Rn. 47).
36 Im Gegensatz zum Anspruch auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer liegt dem Recht auf Vorsteuerabzug, das integraler Bestandteil des durch das gemeinsame Mehrwertsteuersystem eingeführten Mehrwertsteuermechanismus ist, also eine geschuldete Steuer zugrunde.
37 Während der Anspruch auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer dazu dient, eine Situation zu bereinigen, die durch eine Verletzung des Unionsrechts entstanden ist, indem dem Inhaber des Anspruchs ermöglicht wird, eine von ihm zu Unrecht getragene wirtschaftliche Belastung zu neutralisieren, ergibt sich das Recht auf Vorsteuerabzug aus der Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems. Die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer soll vom Steuerpflichtigen im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Tätigkeiten nicht getragen werden. Mit dem Recht auf Vorsteuerabzug wird mithin die Neutralität der steuerlichen Belastung dieser Tätigkeiten gewährleistet.
38 Wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, können für die beiden Ansprüche wegen dieses Unterschieds hinsichtlich der Rechtsnatur und der verfolgten Ziele jeweils eigene Regelungen bestehen, insbesondere was ihren Inhalt und die Voraussetzungen ihrer Ausübung, etwa die Verjährungsfrist und deren Beginn, angeht.
39 Die Situation des Inhabers des Anspruchs auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer und die des Inhabers des Rechts auf Vorsteuerabzug sind also im Rahmen der Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Steuersachen nicht schon deshalb vergleichbar, weil beide gegenüber den Steuerbehörden ein Mehrwertsteuerguthaben haben, wie Compass geltend macht. Es bestehen nämlich sowohl hinsichtlich der Ziele, die mit den jeweiligen rechtlichen Regelungen dieser Ansprüche verfolgt werden, als auch hinsichtlich der Merkmale, die sie kennzeichnen, grundlegende Unterschiede. Deshalb sind die nationalen Steuerbehörden nicht verpflichtet, die Inhaber dieser Rechte bei der Regelung der Verjährung gleich zu behandeln. So sind sie auch nicht verpflichtet, für die Anwendung einer neuen Verjährungsfrist denselben Zeitpunkt vorzusehen.
40 Zum Urteil vom 10. April 2008, Marks & Spencer (C‑309/06, EU:C:2008:211), auf das sich Compass in ihren schriftlichen Erklärungen berufen hat (siehe oben, Rn. 27), ist festzustellen, dass der Gerichtshof in Rn. 50 dieses Urteils zwar entschieden hat, dass der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung in einer Situation anzuwenden ist, in der alle Wirtschaftsteilnehmer Inhaber eines Mehrwertsteuerguthabens sind, dieses Guthaben von den Steuerbehörden erstattet haben wollen und ihr Antrag auf Erstattung unterschiedlich behandelt wird. Die Auslegung des Unionsrechts, die der Gerichtshof in diesem Urteil vorgenommen hat, bezog sich jedoch auf einen Sachverhalt, bei dem alle Wirtschaftsteilnehmer von den Steuerbehörden zu viel entrichtete Mehrwertsteuer erstattet verlangten und geltend machten, dass ihre Anträge auf Erstattung unterschiedlich behandelt worden seien. Wegen der Unterschiede hinsichtlich des Sachverhalts dieses Urteils und des Ausgangsverfahrens, kann die Auslegung, die der Gerichtshof in dem Urteil vom 10. April 2008, Marks & Spencer (C‑309/06, EU:C:2008:211), vorgenommen hat, nicht die Auslegung in Frage stellen, dass der Anspruch auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer und das Recht auf Vorsteuerabzug verschiedener Art sind.
41 Somit ist festzustellen, dass im Zusammenhang mit den Übergangszeiträumen der Verjährung, wie sie in Section 121 des Gesetzes von 2008 vorgesehen sind, um die Effektivität des Anspruchs auf Erstattung zu gewährleisten und dem Unionsrecht Genüge zu tun (siehe oben, Rn. 19), die Situation eines Wirtschaftsteilnehmers wie Compass, der von den nationalen Steuerbehörden die zu viel entrichtete Mehrwertsteuer erstattet verlangt, nicht mit derjenigen eines anderen Wirtschaftsteilnehmers vergleichbar ist, der von den nationalen Steuerbehörden einen Vorsteuerabzug verlangt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht also nicht dem entgegen, dass diese beiden Sachverhalte hinsichtlich der Fristen, wie sie sich aus den Übergangszeiträumen ergeben, unterschiedlich behandelt werden.
42 Was als Drittes die Prüfung der ersten Frage unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Effektivität angeht, ist festzustellen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, auch wenn ihr Ablauf naturgemäß die vollständige oder teilweise Abweisung der erhobenen Klage zur Folge hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juli 1997, Haahr Petroleum, C‑90/94, EU:C:1997:368, Rn. 48, und vom 8. September 2011, Q-Beef und Bosschaert, C‑89/10 und C‑96/10, EU:C:2011:555, Rn. 36). Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine nationale Verjährungsfrist von drei Jahren angemessen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer, C‑62/00, EU:C:2002:435, Rn. 35, und vom 15. April 2010, Barth, C‑542/08, EU:C:2010:193, Rn. 28).
43 Im Übrigen hat der Gerichtshof in Rn. 38 seines Urteils vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C‑62/00, EU:C:2002:435), bereits entschieden, dass der Grundsatz der Effektivität auch nicht dem entgegensteht, dass eine nationale Regelung die Frist verkürzt, innerhalb deren die Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht gezahlten Beträgen gefordert werden kann, unter der Voraussetzung, nicht nur dass die neu festgesetzte Frist angemessen ist, sondern auch, dass die neue Regelung eine Übergangsregelung enthält, die dem Einzelnen eine Frist einräumt, die ausreicht, um nach Erlass der Regelung die Erstattungsansprüche geltend zu machen, die er unter der alten Regelung hätte geltend machen können.
44 Eine Vorschrift wie Section 121 des Gesetzes von 2008, die für die Anwendung der verkürzten Verjährungsfristen für Anträge auf Erstattung zu viel gezahlter Mehrwertsteuer und Anträge auf Vorsteuerabzug Übergangszeiträume vorsieht, erfüllt aber, wie das Vereinigte Königreich in seinen schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, die vom Gerichtshof im Urteil vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C‑62/00, EU:C:2002:435), aufgestellten Voraussetzungen.
45 Daran ändert auch nichts, dass die Übergangszeiträume hinsichtlich des Zeitpunkts, ab dem die neuen verkürzten Verjährungsfristen anwendbar werden, unterschiedlich sind, je nachdem, ob sie die eine oder die andere der Fristen, die sich auf die beiden Arten von Anträgen beziehen, betreffen. Denn die Anwendung dieser Fristen macht die Erstattung der zu viel entrichteten Mehrwertsteuer und den Vorsteuerabzug nicht unmöglich und erschwert ihn auch nicht übermäßig. In dem Fall, um den es im Ausgangsverfahren geht, gilt die Verkürzung der Verjährungsfrist für Anträge auf Erstattung zu viel gezahlter Mehrwertsteuer ab dem 4. Dezember 1996 und für Anträge auf Vorsteuerabzug ab dem 1. Mai 1997 (siehe oben, Rn. 12). Eine solche Verkürzung der Verjährungsfrist, die wegen der Übergangszeiträume keine Rückwirkung hatte, hat es dem Einzelnen, auch Compass, erlaubt, über eine tatsächliche Frist von drei Jahren zu verfügen, um seine Anträge in Bezug auf Zeiträume vor dem 4. Dezember 1996 (Erstattung zu viel gezahlter Mehrwertsteuer) bzw. vor dem 1. Mai 1997 (Vorsteuerabzug) zu stellen. Die Fristen, um die es im Ausgangsverfahren geht, sind also angemessen, so dass der Grundsatz der Effektivität einer solchen Regelung nicht entgegensteht.
46 Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens, die bei der Verkürzung der Verjährungsfrist für Anträge auf Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer und Anträge auf Vorsteuerabzug verschiedene Übergangszeiträume vorsieht, so dass für Anträge, die sich auf zwei Besteuerungszeiträume von drei Monaten beziehen, je nachdem, ob sie die Erstattung zu viel entrichteter Mehrwertsteuer oder den Vorsteuerabzug zum Gegenstand haben, verschiedene Verjährungsfristen gelten, mit den Grundsätzen der steuerlichen Neutralität, der Gleichbehandlung und der Effektivität vereinbar ist.
Zur zweiten Frage
47 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich eine Antwort auf die zweite.