BFH: Erstattung der Steuerzahlung für einen Verdienstausfallschaden ist einkommensteuerpflichtig
BFH, Urteil vom 15.10.2024 – IX R 5/23
ECLI:DE:BFH:2024:U.151024.IXR5.23.0
Volltext:BB-ONLINE BBL2025-85-2
Amtliche Leitsätze
1. Der einem Steuerpflichtigen zu gewährende Ersatz eines Verdienstausfallschadens führt auch in Höhe der hierauf entfallenden Einkommensteuer zu steuerbaren Einkünften gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG).
2. Die erst in einem späteren Veranlagungszeitraum vom Schädiger erstattete Steuerlast auf den Verdienstausfallschaden hat zur Folge, dass keine für eine tarifermäßigte Besteuerung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG erforderliche Zusammenballung von Einkünften vorliegt.
3. Der Ersatz eines Verdienstausfallschadens stellt keine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG dar.
Sachverhalt
Streitig sind die Reichweite der Steuerbarkeit von Schadenersatz wegen Verdienstausfalls sowie die Anwendung einer tarifermäßigten Besteuerung.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten, die für die Streitjahre 2017 und 2018 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Die Klägerin war nichtselbständig tätig. Sie wurde infolge eines medizinischen Behandlungsfehlers erwerbsunfähig. Ihren Verdienstausfallschaden erhält sie von einer Versicherung (V) des Schädigers ersetzt. Nach längerer Unklarheit über Grund und Höhe der Einstandspflicht verständigten sich V und die Klägerin, dass der Schaden "nach der modifizierten Nettolohntheorie abgerechnet" wird. Demzufolge sollte zunächst der ausgefallene Nettoverdienst gezahlt und später die tatsächlich angefallene Einkommensteuer erstattet werden.
In beiden Streitjahren leistete V einen Nettoersatz des Verdienstausfalls von jeweils 21.395,28 €. Über dessen einkommensteuerliche Behandlung als Einkünfte gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) besteht kein Streit.
Im Jahr 2017 erstattete V darüber hinaus die durch ein Gutachten ermittelte Steuerlast des für die Jahre 1997 bis 2015 gezahlten Verdienstausfalls (insgesamt 59.956,19 €), ebenso die Steuerlast des Jahres 2016 (6.160,40 €). Ferner zahlte V 4.600 € zur Abgeltung eines (fiktiven) 13. Monatsgehalts für die Jahre 1997 bis 2017. Im Streitjahr 2018 erstattete V die Steuerlast für die im Vorjahr gezahlten Entschädigungen (38.511,16 €).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) erfasste in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre auch die vorgenannten Zahlungen der V als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage, die für das Streitjahr 2017 nur durch die Klägerin und für das Streitjahr 2018 durch beide Kläger erhoben worden war, mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 836 veröffentlichtem Urteil ab.
Mit ihrer Revision machen die Klägerin (für das Streitjahr 2017) sowie beide Kläger (für das Streitjahr 2018) geltend, das FG habe § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu weit ausgelegt. Die Erstattungen durch V ersetzten keine Einnahmen, sondern Ausgaben in Form eines Steuerschadens. Hilfsweise bringt die Klägerin für das Streitjahr 2017 vor, die den Zeitraum der Jahre 1997 bis 2015 abdeckende Erstattung der Steuerlast sowie die Zahlung eines fiktiven 13. Monatsgehalts für die Jahre 1997 bis 2017 seien nach § 34 EStG ermäßigt zu besteuern. Schließlich führen die Kläger einen Sachaufklärungsmangel des FG an.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil hinsichtlich der Einkommensteuer für 2017 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 31.08.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.12.2020 dahingehend zu ändern, dass Zahlungen der V von insgesamt 66.116,59 € nicht besteuert werden, hilfsweise für Zahlungen von 64.556,19 € die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG zu gewähren.
Beide Kläger beantragen (sinngemäß),
das angefochtene Urteil hinsichtlich der Einkommensteuer für 2018 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 10.10.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.12.2020 dahingehend zu ändern, dass die Zahlung der V von 38.511,16 € nicht besteuert wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Aus den Gründen
11 II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
12 Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die der Klägerin in den Streitjahren 2017 und 2018 zugeflossenen Zahlungen der V steuerbar sind (dazu unter 1.). Frei von Rechtsfehlern hat es auch eine tarifermäßigte Besteuerung für das Streitjahr 2017 abgelehnt (unter 2.). Ein Sachaufklärungsmangel liegt nicht vor (unter 3.).
13 1. Die Erstattung der Steuerlasten für den in den Vorjahren geleisteten Ersatz des Verdienstausfalls ist nach § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbar.
14 a) Zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG gehören auch Entschädigungen, die gewährt worden sind als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG).
15 Bei den Einnahmen, deren Ausfall ersetzt werden soll, muss es sich um steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen handeln; sie müssen ‑‑hypothetisch, aber auch eindeutig‑‑ einer bestimmten Einkunftsart (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG) unterfallen (Senatsurteil vom 26.05.2020 - IX R 15/19, BFHE 269, 94, BStBl II 2021, 901, Rz 11).
16 Erfasst werden dem Wortlaut folgend nur Entschädigungen, die Einnahmen ersetzen, nicht aber solche, die Ausgaben ausgleichen (Senatsurteil vom 11.07.2017 - IX R 28/16, BFHE 259, 272, BStBl II 2018, 86, Rz 20). Unschädlich ist es, wenn der Ersatz von dritter Seite, zum Beispiel von einer Versicherung des Schädigers geleistet wird, sofern der Dritte dem Geschädigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist (Senatsurteil vom 26.05.2020 - IX R 15/19, BFHE 269, 94, BStBl II 2021, 901, Rz 13).
17 Die Entschädigung muss unmittelbar durch den Verlust von steuerbaren Einnahmen bedingt und dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen. Der erforderliche unmittelbare Zusammenhang ist anhand der gesamten Umstände festzustellen (Senatsurteil vom 26.05.2020 - IX R 15/19, BFHE 269, 94, BStBl II 2021, 901, Rz 12).
18 Die gegebenenfalls erforderliche Auslegung der Entschädigungsvereinbarung gehört zu den tatsächlichen, den Bundesfinanzhof (BFH) als Revisionsgericht grundsätzlich bindenden Feststellungen gemäß § 118 Abs. 2 FGO (Senatsurteil vom 18.10.2011 - IX R 58/10, BFHE 235, 423, BStBl II 2012, 286, Rz 14).
19 b) Ist der Schädiger oder dessen Versicherer dem Geschädigten zum Ersatz dessen Verdienstausfalls verpflichtet, erstreckt sich die Ersatzpflicht auch auf die hierauf entfallende Steuer (dazu unter aa). Dies hat steuerrechtlich zur Folge, dass nicht nur der gezahlte Ausfall des Nettoverdienstes, sondern ebenso die vom Schädiger erstattete Steuerlast als nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerbare Entschädigung zu behandeln ist (unter bb). Ein nicht steuerbarer Ausgabenersatz liegt insoweit nicht vor (unter cc).
20 aa) Im Fall einer Personenschädigung hat der Schädiger neben dem körperlichen Integritätsschaden auch den gesamten auf dem schädigenden Ereignis beruhenden Verdienstausfallschaden zu ersetzen (§ 249 Abs. 1, § 252 Satz 1 sowie § 842, § 843 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ‑‑BGB‑‑). Jener Schaden umfasst bei einem abhängig Beschäftigten sowohl den entgangenen Nettoverdienst als auch die hierauf entfallende Einkommensteuer (Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 08.06.2021 - VI ZR 924/20, Rz 9). Dies ist deshalb der Fall, da der Geschädigte für den empfangenen Ersatz des Verdienstausfalls Einkommensteuer zu entrichten hat. Bliebe der Schadenersatz auf den Nettoverdienst beschränkt, stünde der Geschädigte, gerade weil die Einkommensteuer aus dem erwirtschafteten Einkommen herrührt, vermögensmäßig schlechter als ohne das schädigende Ereignis (vgl. auch BGH-Urteil vom 08.06.2021 - VI ZR 924/20, Rz 17, m.w.N.). Die Ansicht der Kläger, der Verdienstausfallschaden und die hierauf lastende Steuer seien zivilrechtlich getrennt voneinander zu beurteilen, trifft daher nicht zu. Es handelt sich vielmehr um zwei unmittelbar miteinander im Zusammenhang stehende Positionen eines Verdienstausfallschadens im Sinne von §§ 842, 843 Abs. 1 BGB.
21 Die Rechtspraxis hat für den Ersatz dieses Schadens abhängig Beschäftigter ‑‑wie die Vorinstanz zutreffend herausgestellt hat‑‑ zwei Berechnungsmethoden entwickelt. Nach der Bruttolohnmethode ist Maßstab für die Schadensberechnung der entgangene Bruttoverdienst des Geschädigten; Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sind somit von vornherein enthalten. Dagegen stellt nach der (modifizierten) Nettolohnmethode der ersatzpflichtige Schaden das fiktive Nettoeinkommen des Geschädigten zuzüglich aller seiner aus dem Schadenereignis folgenden weiteren Nachteile einschließlich der auf die Schadenersatzleistung geschuldeten Steuer dar (BGH-Urteil vom 08.06.2021 - VI ZR 924/20, Rz 18, m.w.N.). Beide Berechnungsmethoden stehen gleichberechtigt nebeneinander (vgl. BGH-Urteil vom 15.11.1994 - VI ZR 194/93, BGHZ 127, 391, unter II.1.a) und führen ‑‑richtig angewandt‑‑ zu gleichen Ergebnissen (BGH-Urteil vom 08.06.2021 - VI ZR 924/20, Rz 18).
22 bb) An diese zivilrechtliche Ausgangslage anknüpfend ist die vom Schädiger erbrachte Erstattung der Steuerlast als Einnahmenersatz im Sinne von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG zu werten. Die Erstattung beruht unmittelbar auf dem Verlust steuerbarer Einnahmen. Es handelt sich nicht um eine gesondert zu beurteilende Schadensposition im Sinne der vom Senat in seiner Entscheidung vom 11.07.2017 - IX R 28/16 (BFHE 259, 272, BStBl II 2018, 86, Rz 24) erwähnten Art.
23 Ohne die erlittene Schädigung wäre der Geschädigte im Stande gewesen, Einnahmen zu erzielen und aus seinem Bruttoverdienst die Steuer zu entrichten. Demnach tritt nicht nur der "netto" gezahlte Verdienstausfall, sondern gleichsam der zivilrechtlich verpflichtende Ersatz der hierauf entfallenden Steuer an die Stelle weggefallener Einnahmen (zutreffend Brandis/Heuermann/Heuermann, § 24 EStG Rz 33; List, Versicherungsrecht ‑‑VersR‑‑ 2018, 700, 702; a.A. [allerdings ohne Begründung] Horn in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 24 EStG Rz 38). Diese Rechtsfolge tritt unabhängig davon ein, ob der Verdienstausfallschaden nach Maßgabe der Bruttolohnmethode oder ‑‑hinsichtlich des Ersatzes der Steuerlast zeitlich gestreckt‑‑ nach der modifizierten Nettolohnmethode berechnet wird.
24 cc) Die Erstattung der auf dem Ersatz des Verdienstausfalls lastenden Steuer stellt keine Ausgabenentschädigung dar. Es handelt sich nicht um den Ersatz eines echten Steuerschadens.
25 Voraussetzung hierfür wäre eine Vermeidbarkeit des Schadens. Dies hat der BFH unter anderem angenommen für den Fall, dass ein Steuerberater (BFH-Urteil vom 18.06.1998 - IV R 61/97, BFHE 186, 363, BStBl II 1998, 621) oder ein Arbeitgeber (BFH-Urteil vom 25.04.2018 - VI R 34/16, BFHE 261, 313, BStBl II 2018, 600) für eine überhöhte Einkommensteuerfestsetzung Schadenersatz an den Mandanten beziehungsweise Arbeitnehmer zu leisten hatte. Begründet wurde dies damit, dass Schadenersatz, der wegen einer überhöhten Steuerfestsetzung zu leisten ist, dem Ausgleich einer Vermögenseinbuße dient, die nicht in der Erwerbs-, sondern in der Privatsphäre eingetreten ist (BFH-Urteil vom 25.04.2018 - VI R 34/16, BFHE 261, 313, BStBl II 2018, 600, Rz 16, m.w.N.).
26 Dieser Rechtsgrundsatz ist auf den Ersatz eines Verdienstausfallschadens nicht übertragbar. Mit der Erstattung der auf den Schaden entfallenden Steuer ersetzt der Schädiger keinen vermeidbaren Steuerschaden des Geschädigten, sondern die ‑‑rechtmäßige‑‑ Steuerfolge aus dem Ersatz des Nettoverdienstausfalls. Abweichendes kann im Einzelfall nur gelten, wenn festgestellt wird, dass der Schädiger Steuern in einem Umfang erstattet, die den Betrag, die der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis auf seine weggefallenen steuerbaren Einnahmen hätte zahlen müssen, übersteigt.
27 c) Nach diesen Maßstäben sind im Streitfall nicht nur die laufenden Nettozahlungen für den Ersatz des Verdienstausfalls, sondern ebenso die der Klägerin in den Streitjahren zugeflossenen Erstattungen der Steuerlast steuerbar nach § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.
28 aa) V war als Versicherer des Schädigers gegenüber der Klägerin aufgrund eines medizinischen Behandlungsfehlers zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet. Die Ersatzpflicht umfasste den Verdienstausfall der Klägerin, den sie deshalb erlitt, weil sie wegen des schadensauslösenden Ereignisses ihrer bisherigen Arbeitnehmertätigkeit nicht mehr nachgehen konnte. Die gesamten Leistungen der V sind an die Stelle weggefallener Einnahmen getreten und unmittelbare Folge des schädigenden Ereignisses. Dies gilt sowohl für die auf dem Nettoverdienstausfallschaden lastende Einkommensteuer (einschließlich Zuschlagsteuern) als auch für die Erstattung derjenigen Steuer, die anfiel, weil V zuvor Steuer auf den gezahlten Verdienstausfall an die Klägerin erstattet hatte (ebenso Brandis/Heuermann/Heuermann, § 24 EStG Rz 33; Bodden in Korn, § 2 EStG Rz 51.6). Sämtliche erstatteten Steuerzahlungen wären auch ohne den medizinischen Behandlungsfehler angefallen, da ein hypothetischer Verdienst der Klägerin gleichsam der Einkommensteuer unterlegen hätte.
29 bb) Das FG hat bindend festgestellt, dass V und die Klägerin eine Nettoberechnung des Verdienstausfallschadens vereinbart hatten. Dies ist zwischen den Beteiligten im Kern auch nicht streitig, ergibt sich zudem aus dem vom FG festgestellten Bestätigungsschreiben der V vom 24.04.2006 ("… nach der modifizierten Nettolohntheorie abgerechnet …") und rechtfertigt sich schließlich aus dem Umstand, dass V die auf den gezahlten Verdienstausfall lastende Steuer in den Streitjahren ‑‑wenn auch mit erheblicher zeitlicher Verzögerung‑‑ tatsächlich erstattete. Anhaltspunkte dafür, dass jene Erstattungen eine andere Ursache oder einen anderen Zweck hatten, als den Verdienstausfall der Klägerin zu kompensieren, hat das FG nicht festgestellt und wurde von den Klägern auch nicht behauptet. Ebenso wenig hat die Vorinstanz festgestellt, dass V Steuern erstattet hatte, die den Betrag, den die Klägerin ohne das schädigende Ereignis hätte zahlen müssen, überstiegen.
30 cc) Dass die Vertragsbeteiligten ‑‑wie die Kläger anführen‑‑ die Steuerlast als vom Nettoverdienstausfall zu separierende "Schadensposition" angesehen haben sollen, ist für den Senat in Anbetracht der klaren tatsächlichen und zivilrechtlichen Umstände nicht nachvollziehbar. Es handelt sich im Übrigen um eine nicht bindende rechtliche Einschätzung.
31 d) Die weiteren Einwendungen der Kläger greifen nicht durch.
32 aa) Unzutreffend ist die Annahme, die Erstattung der Steuerlast habe die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht erhöht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Klägerin war verpflichtet, die auf der Zahlung des (Netto-)Verdienstausfalls lastende Steuer zu erbringen. Aus diesem Grund sind die streitigen Zahlungen der V auch kein durchlaufender Posten im Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG. Die Klägerin hat die Erstattungen weder in fremdem Namen und für fremde Rechnung vereinnahmt noch zuvor die Steuerzahlungen in fremdem Namen und für fremde Rechnung geleistet. Sie war insoweit unmittelbar selbst berechtigt und verpflichtet.
33 bb) Das Abzugsverbot für gezahlte Einkommensteuer gemäß § 12 Nr. 3 EStG begründet die von den Klägern vertretene Ansicht nicht. Zwar belegt die Norm, dass die Einkommensteuer als Personensteuer nicht der Erwerbs-, sondern der steuerrechtlich irrelevanten Vermögenssphäre zuzuordnen ist. Dies lässt allerdings nicht den Schluss zu, dass sich ‑‑umgekehrt betrachtet‑‑ jede Erstattung von Einkommensteuer durch einen Dritten außerhalb der Erwerbssphäre vollzieht. Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass dies nur der Fall ist, wenn die Erstattung dem Zweck dient, eine dem Steuerpflichtigen entstandene vermeidbare steuerliche Mehrbelastung auszugleichen (BFH-Urteile vom 18.06.1998 - IV R 61/97, BFHE 186, 363, BStBl II 1998, 621, unter 3. und vom 25.04.2018 - VI R 34/16, BFHE 261, 313, BStBl II 2018, 600, Rz 16 ff.; siehe auch oben II.1.b cc). Im Streitfall liegen die Dinge anders. Nicht die (erstattete) Steuer ist der Schaden, sondern der schädigungsbedingte Verdienstausfall der Klägerin.
34 cc) Die "Permanentbesteuerung" infolge des jährlichen Ersatzes der Steuerzahlung des Vorjahres ändert daran nichts. Im Übrigen hat das FG zu Recht darauf hingewiesen, dass die steuerrechtliche Beurteilung an die Wahl des Geschädigten und Schädigers, den Verdienstausfall entweder nach der Bruttolohn- oder aber der modifizierten Nettolohnmethode zu bestimmen, lediglich anknüpft. Während bei einer Bruttoberechnung der Verdienstausfallschaden und die darauf entfallende Steuer vom Schädiger in einem Zuge zu ersetzen sind und der Geschädigte die Besteuerungsfolgen hieraus wirtschaftlich selbst zu tragen hat, folgt die Nettoberechnung einem stufenweise ‑‑zeitlich gestreckt‑‑ gezahlten Schadenersatz. Trotz des beachtlichen Verwaltungsaufwands, der durch den langfristigen jährlichen Ausgleich der jeweiligen Steuerlast entsteht, wäre eine nur aus diesem Grund anzuordnende Steuerfreistellung nicht hinnehmbar. Es entstünde ein nicht aufzulösender Widerspruch zur Bruttolohnmethode, bei der ‑‑anders als die Kläger meinen‑‑ der in einem Akt ausgezahlte Gesamtbetrag der Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerbar gewesen wäre.
35 2. Die Revision der Klägerin für das Streitjahr 2017 hat auch im Hilfsvorbringen keinen Erfolg.
36 Das FG hat im Ergebnis zu Recht eine tarifermäßigte Besteuerung gemäß § 34 Abs. 1 EStG für die im Streitjahr 2017 zugeflossene Zahlung zur Erstattung der Steuerlast der Jahre 1997 bis 2015 (59.956,19 €) sowie für die Zahlung eines fiktiven 13. Monatsgehalts für die Jahre 1997 bis 2017 (4.600 €) abgelehnt. Es liegen weder außerordentliche Einkünfte nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG (dazu unter a) noch solche nach Nr. 4 der Vorschrift (unter b) vor.
37 a) Die Zahlungen der V unterfallen nicht § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG.
38 aa) Hiernach kommen als außerordentliche Einkünfte zwar Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Voraussetzung für eine die Tarifermäßigung rechtfertigende Außerordentlichkeit ist allerdings, dass die Entschädigung in Gänze in einem Veranlagungszeitraum erbracht wird und dass durch die Zusammenballung von Einkünften eine erhöhte steuerliche Belastung entsteht (vgl. statt vieler BFH-Urteile vom 15.12.2022 - VI R 19/21, Rz 14 sowie vom 13.03.2018 - IX R 16/17, BFHE 261, 258, BStBl II 2018, 709, Rz 10, jeweils m.w.N.). Keine Zusammenballung in diesem Sinne liegt typischerweise vor, wenn eine Entschädigung in zwei oder mehr verschiedenen Veranlagungszeiträumen gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und sich ein Progressionsnachteil ergibt (z.B. Senatsurteil vom 08.04.2014 - IX R 28/13, Rz 12).
39 Ausnahmen vom Erfordernis der Zusammenballung von Einkünften sind nur in eng begrenzten Konstellationen gerechtfertigt, weil sich ansonsten außerordentliche und nicht begünstigte Einkünfte kaum noch unterscheiden ließen (BFH-Urteil vom 15.12.2022 - VI R 19/21, Rz 16 f.). Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn mehrere Teilzahlungen sich eindeutig als Haupt- und Nebenleistung darstellen und die Nebenleistung nur geringfügig ‑‑das heißt regelmäßig nicht mehr als 10 % der Hauptleistung‑‑ ist oder wenn aus Gründen der sozialen Fürsorge eine Entschädigungszusatzleistung für eine Übergangszeit gewährt wird (BFH-Urteil vom 15.12.2022 - VI R 19/21, Rz 18 f. und 26, m.w.N.).
40 Mehrere Zahlungen sind als einheitliche Entschädigung zu beurteilen, wenn sie zum Ausgleich für dasselbe Schadensereignis gezahlt werden (Senatsurteil vom 08.04.2014 - IX R 28/13, Rz 13). Dies gilt insbesondere dann, wenn dem Anspruch auf die Entschädigung (nur) eine Rechtsgrundlage mit einer Schadensposition zugrunde liegt (List, VersR 2018, 700, 701). Eine Aufspaltung der Entschädigung in mehrere, getrennt nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu behandelnde Teile widerspräche dem Normzweck, nur außerordentliche Progressionsnachteile abzumildern.
41 bb) Nach diesen Rechtsgrundsätzen liegen im Streitfall keine als außerordentlich im Sinne von § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG zu qualifizierenden Entschädigungen vor.
42 Das FG hat zu Recht die in Teilakten erbrachten Zahlungen der V als einheitliche Entschädigung aufgrund des schadensauslösenden Ereignisses (medizinischer Behandlungsfehler) beurteilt. Die Zahlungen der V flossen und fließen der Klägerin in mehreren Veranlagungszeiträumen zu. Die übrigen vergangenen und zukünftigen Zahlungen sind im Verhältnis zur streitigen Steuererstattung und zum fiktiven 13. Monatsgehalt nicht lediglich geringfügig. Bereits der laufende jährliche Nettoverdienstausfall betrug in den Streitjahren 21.395,28 €.
43 Der Streitsachverhalt rechtfertigt keine bisher nicht anerkannte ‑‑weitere‑‑ Ausnahme. Eine solche ist, anders als die Klägerin meint, nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten. Die Klägerin profitiert durch die zeitlich gestreckten Zahlungen von Progressionsvorteilen.
44 b) Die von V im Streitjahr 2017 bezogenen Zahlungen stellen auch keine außerordentlichen Einkünfte gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG dar.
45 aa) Der Wortlaut dieses ‑‑vom FG nicht geprüften‑‑ Tatbestands ist nicht erfüllt.
46 § 34 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 1 EStG setzt Vergütungen für eine mehrjährige Tätigkeit voraus. Tätigkeit im Sinne der Vorschrift ist jedes zur Erzielung von Einkünften gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG dienende Verhalten (BFH-Urteil vom 23.10.2013 - X R 3/12, BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 70, m.w.N.). Zwischen der Tätigkeit und der Vergütung muss ein Gegenseitigkeitsverhältnis bestehen ("für"). Die geschuldete Tätigkeit muss Rechtsgrund für die Vergütung (Gegenleistung) sein. Dies ist dann nicht der Fall, wenn eine Vergütung für die Nichtausübung einer Tätigkeit gewährt wird (zutreffend HHR/Horn, § 34 EStG Rz 62).
47 Im Streitfall bezog und bezieht die Klägerin den Ersatz ihres Verdienstausfallschadens nur deshalb, weil sie infolge des Schadensereignisses nicht mehr im Stande ist, eine Tätigkeit auszuüben. Rechtsgrund für die Vergütung ist somit keine Tätigkeit der Klägerin, sondern eine zivilrechtliche Schadenshaftung.
48 bb) Für eine über den Wortlaut der Norm hinausgehende teleologische Erweiterung des Tatbestands besteht kein Bedürfnis. Soweit die Klägerin auf die Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG in Fällen von Arbeitslohnnachzahlungen für mehrjährige Tätigkeiten (vgl. BFH-Urteil vom 02.12.2021 - VI R 23/19, BFHE 275, 144, BStBl II 2022, 442) Bezug nimmt, fehlt es an einer Vergleichbarkeit zum hier vorliegenden Fall (a.A. aber Bergan, Deutsches Steuerrecht kurzgefaßt 2023, 159). Während der progressionserhöhende geballte Zufluss von Arbeitslohn für eine mehrjährige Tätigkeit keinem anderen Tarifermäßigungstatbestand als § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zugeordnet werden kann, unterfällt die vorliegend im Streit stehende Entschädigung grundsätzlich der Nr. 2 der Vorschrift. Die oben genannten, besonderen Anforderungen an die Außerordentlichkeit von Entschädigungen im Sinne von § 24 Nr. 1 EStG wären entwertet, würde man die im Kern auf Arbeitnehmer zugeschnittene Großzügigkeit der Auslegung von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG (vgl. BFH-Entscheidungen vom 07.05.2015 - VI R 44/13, BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, Rz 15 sowie vom 19.08.2019 - X B 155/18, Rz 12) auf Entschädigungskonstellationen übertragen.
49 3. Der von den Klägern benannte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das FG hat nicht gegen seine Pflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) zu erheben. Die Mitwirkungspflicht der Beteiligten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt die Amtsermittlungspflicht. Das FG muss keine fernliegenden Erwägungen anstellen (BFH-Beschluss vom 20.09.2022 - VI B 1/22, Rz 4).
50 Eine Anhörung der Klägerin und eine Einvernahme eines Vertreters der V zum Zweck der Entschädigungsvereinbarung waren nach diesen Maßstäben nicht angezeigt. Anhaltspunkte für einen von der festgestellten Vereinbarung abweichenden Inhalt sind nicht im Ansatz erkennbar. Beweisanträge wurden nicht gestellt. Die Kläger haben weder dargelegt noch sind anhand der Feststellungen des FG irgendwelche Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass mit den Zahlungen der V ein anderer als die Kompensation des Erwerbsschadens der Klägerin bestehender Zweck verfolgt wurde. Die von der Klägerin erwartete Sachaufklärung, ob die Beteiligten der Entschädigungsvereinbarung die Erstattung der Steuerlast rechtlich als eigenständig anzusehende Schadensposition werteten, war mangels Entscheidungserheblichkeit entbehrlich.
51 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
52 Für die zum Kostenfestsetzungsverfahren gehörende Entscheidung über den von den Klägern im Revisionsverfahren gestellten Antrag, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das außergerichtliche Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist das FG zuständig (BFH-Urteil vom 31.01.2024 - X R 7/22, Rz 40).