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Steuerrecht
09.05.2019
Steuerrecht
EuGH: Erstattung einer Dividendensteuer (hier: Beihilferegelung) – Regelung, die auf Gesellschaften mit Sitz außerhalb des betreffenden Mitgliedstaats ausgeweitet wurde

EuGH, Urteil vom 2.5.2019C-598/17, A-Fonds gegen Inspecteur van de Belastingdienst

ECLI:EU:C:2019:352

Volltext:BB-ONLINE BBL2019-1109-1

Tenor

Die Art. 107 und 108 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht die Vereinbarkeit eines Sitzerfordernisses wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV, nicht beurteilen darf, falls die betreffende Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer eine Beihilferegelung darstellt.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 107 und 108 AEUV.

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A-Fonds und dem Inspecteur van de Belastingdienst (Beamter der niederländischen Finanzverwaltung, im Folgenden: Inspecteur) wegen Erstattung von der niederländischen Finanzverwaltung einbehaltener Dividendensteuer.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Nach Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. 1999, L 83, S. 1) sind „neue Beihilfen“ „alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen“.

4          Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9) sieht Bestimmungen vor, die mit den in der vorstehenden Randnummer genannten identisch sind.

5          Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission vom 21. April 2004 zur Durchführung der Verordnung Nr. 659/1999 (ABl. 2004, L 140, S. 1) sieht vor:

„Für den Zweck von Artikel 1 Buchstabe c) der Verordnung … Nr. 659/1999 ist die Änderung einer bestehenden Beihilfe jede Änderung, außer einer Änderung rein formaler oder verwaltungstechnischer Art, die keinen Einfluss auf die Würdigung der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem Gemeinsamen Markt haben kann. Eine Erhöhung der Ausgangsmittel für eine bestehende Beihilfe bis zu 20 % wird jedoch nicht als Änderung einer bestehenden Beihilfe angesehen.“

Niederländisches Recht

Die Wet Vpb 1969

6          Die Wet op de vennootschapsbelasting (Körperschaftsteuergesetz) vom 8. Oktober 1969 in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Wet Vpb 1969) sieht in ihrem Art. 2 Abs. 1 Buchst. f und g Folgendes vor:

„Folgende Einrichtungen mit Sitz in den Niederlanden unterliegen der Steuer als nationale Steuerpflichtige:

f) Investmentfonds;

g) die in Abs. 3 genannten, von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betriebenen Einrichtungen.“

7          Art. 2 Abs. 3 der Wet Vpb 1969 enthält eine Liste mit Unternehmen, die in bestimmten Wirtschaftssektoren tätig sind.

8          Einrichtungen, bei denen ausschließlich niederländische juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar Anteilseigner, Gesellschafter oder Mitglied sind, sowie Einrichtungen, deren Vorstand ausschließlich von niederländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar ernannt und abberufen wird und deren Vermögen im Fall einer Abwicklung ausschließlich niederländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zur Verfügung gestellt wird, „unterliegen“ gemäß Art. 2 Abs. 7 der Wet Vpb 1969 „der Steuer nur, soweit sie ein Unternehmen im Sinne von Abs. 3 betreiben“.

Die Wet DB 1965

9          Die Wet op de dividendbelasting (Gesetz über die Dividendensteuer) von 1965 (im Folgenden: Wet DB 1965) wurde in dem Zeitraum, zu dem sich der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt ereignete, mehrfach geändert.

10        In der vom vorlegenden Gericht wiedergegebenen ab dem 11. Juli 2008 geltenden Fassung der Wet DB 1965 bestimmt Art. 1 Abs. 1:

„Unter der Bezeichnung ‚Dividendensteuer‘ wird eine direkte Steuer von denjenigen erhoben, die – unmittelbar oder mittels Wertpapieren – Anspruch haben auf Erträge aus Anteilen …“

11        In derselben Fassung der Wet DB 1965 regelt deren Art. 10 wie folgt, nach welchen Modalitäten diese Steuer zu erstatten ist:

„(1) Einer in den Niederlanden ansässigen juristischen Person, die nicht körperschaftsteuerpflichtig ist, wird auf ihren Antrag durch eine einspruchsfähige Entscheidung des Inspecteur die zu ihren Lasten innerhalb eines Kalenderjahrs einbehaltene Dividendensteuer erstattet, sofern diese sich auf mehr als 23 Euro belief.

(3) Abs. 1 findet entsprechende Anwendung auf eine in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässige Körperschaft, die dort keiner Ertragssteuer unterliegt und auch in den Niederlanden nicht körperschaftsteuerpflichtig gewesen wäre, wenn sie dort ihren Sitz gehabt hätte. Satz 1 findet keine Anwendung auf Körperschaften, die eine den Anlagegesellschaften im Sinne von Art. 6a oder Art. 28 der [Wet Vpb 1969] vergleichbare Aufgabe erfüllen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12        A-Fonds ist ein Spezial-Sondervermögen (Investmentfonds deutschen Rechts ohne eigene Rechtspersönlichkeit) mit Sitz in Deutschland.

13        Solche Fonds sind von der Körperschaftsteuer und von der Gewerbesteuer befreit. Die in diese Fonds investierenden Anleger gelten als entsprechend den von ihnen gehaltenen Anteilen an den Einkünften beteiligt. Für diese Einkünfte sind die Anleger entsprechend ihrem persönlichen Steuerstatus nach deutschem Steuerrecht steuerpflichtig.

14        Alle Anteile von A-Fonds werden seit dessen Gründung von BBB gehalten.

15        BBB ist eine deutsche Anstalt des öffentlichen Rechts, die Rechtspersönlichkeit besitzt und aus einem Zusammenschluss deutscher Gemeinden besteht, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Sie betreibt Bankgeschäfte, jedoch nicht ausschließlich mit Gewinnerzielungsabsicht. Außerdem ist sie mit der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe betraut. BBB verwendet somit einen Teil ihrer Einkünfte zur Förderung sozialer, kultureller, sportlicher, wissenschaftlicher oder bildungsbezogener Aktivitäten in dem Bundesland, in dem sie tätig ist.

16        BBB unterliegt in Deutschland der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer. Weiter geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass die an BBB ausgeschütteten Dividenden zu 95 % von der deutschen Kapitalertragsteuer befreit sind und BBB die in den Niederlanden erhobene Dividendensteuer nicht anrechnen kann, weil ihre Beteiligung an A-Fonds im Anlagebuch bilanziert ist.

17        In der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit hielt BBB über A-Fonds Aktien an niederländischen Gesellschaften, die der Wet DB 1965 unterlagen. Die niederländische Dividendensteuer wurde für die Steuerjahre 2002/2003 bis 2007/2008 auf die aus dieser Beteiligung ausgeschütteten Dividenden erhoben.

18        BBB stellte mehrere auf Art. 10 Abs. 1 der Wet DB 1965 gestützte Anträge auf Erstattung dieser Steuer beim Inspecteur, der diese Anträge jedoch allesamt ablehnte.

19        Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, ging der Inspecteur jedenfalls für die Steuerjahre, die den Zeitraum zwischen dem 1. November 2002 und dem 31. Oktober 2008 betreffen, davon aus, dass BBB keine solche Erstattung beanspruchen könne, weil sie keinen Sitz in den Niederlanden habe.

20        A-Fonds erhob bei der Rechtbank Zeeland-West Brabant te Breda (Gericht erster Instanz Zeeland-West Brabant in Breda, Niederlande) Klagen auf Nichtigerklärung der Bescheide, mit denen die Erstattung abgelehnt wurde; diese Klagen wurden jedoch mit einem Urteil vom 6. Mai 2014 als unbegründet abgewiesen, weil die Situation von A-Fonds nicht mit der einer Einrichtung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 der Wet DB 1965 vergleichbar sei.

21        Gegen dieses Urteil legte A-Fonds beim Gerechtshof ’s-Hertogenbosch (Berufungsgericht Herzogenbusch, Niederlande) Berufung ein.

22        Dieser geht davon aus, dass sowohl die von A-Fonds an den Inspecteur gerichteten Erstattungsanträge als auch die von ihm erhobenen Klagen im Namen von BBB erfolgt seien.

23        Die Bescheide, mit denen der Inspecteur die von BBB beanspruchte Erstattung der Dividendensteuer abgelehnt habe, weil sie ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich der Niederlande habe, verstießen gegen den freien Kapitalverkehr.

24        Die Dividenden auf Investitionen juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Sitz in den Niederlanden, die gemäß der Wet Vpb 1969 nicht der Körperschaftsteuer unterlägen, weil diese nur Tätigkeiten ausübten, die nicht in Art. 2 Abs. 3 der Wet Vpb 1969 aufgeführt seien, unterlägen in den Niederlanden grundsätzlich der Dividendensteuer. Diese werde allerdings gemäß Art. 10 Abs. 1 der Wet DB 1965 später erstattet.

25        Folglich stelle es eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, wenn BBB die Erstattung der Dividendensteuer nach dieser Vorschrift nicht für sich beanspruchen könne, obwohl sie Tätigkeiten ausübe, die denen der in den Niederlanden nicht körperschaftsteuerpflichtigen niederländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts vergleichbar seien.

26        Daher sei BBB eine Erstattung in Höhe des Betrages zu gewähren, den eine juristische Person des öffentlichen Rechts mit Sitz in den Niederlanden, die dort nicht der Körperschaftsteuer unterliege, nach Art. 10 Abs. 1 der Wet BD 1965 erhalte.

27        Das vorlegende Gericht möchte jedoch wissen, ob eine solche Erstattung mit dem Beihilferecht der Union vereinbar wäre.

28        Es geht davon aus, dass die Erstattung der Dividendensteuer nach Art. 10 Abs. 1 der Wet DB 1965 im Ausgangsverfahren untrennbar mit der sich aus Art. 2 Abs. 3 der Wet Vpb 1969 ergebenden Befreiung öffentlicher Unternehmen von der Körperschaftsteuer verbunden sei, in der die Europäische Kommission in ihrem Beschluss (C[2013] 2372 final) vom 2. Mai 2013 eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare bestehende Beihilferegelung gesehen habe, und dass sie daher ebenfalls eine bestehende Beihilferegelung darstelle.

29        In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es als Änderung einer bestehenden Beihilfe und somit eine neue Beihilfe im Sinne von Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 anzusehen ist, wenn dem Erstattungsantrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens aufgrund von Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV, stattgegeben wird.

30        Wäre dies der Fall, stelle sich die Frage, ob es eine Entscheidung erlassen könne, mit der einem solchen Antrag stattgegeben werde, und insbesondere, ob es erforderlich sei, diese Entscheidung der Kommission gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV mitzuteilen.

31        Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es sich hier um einen „Präzedenzfall“ handele und dem Inspecteur bereits knapp 1 000 vergleichbare Erstattungsanträge vorlägen.

32        Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof ’s-Hertogenbosch (Berufungsgericht Herzogenbusch) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist die Ausweitung desAnwendungsbereichs einer bestehenden Beihilferegelung infolge der erfolgreichen Berufung eines Steuerpflichtigen auf die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV) eine als Änderung einer bestehenden Beihilfe aufzufassende neue Beihilfemaßnahme?

2. Falls ja, schließt es die Ausübung der Aufgaben des nationalen Gerichts gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV aus, dass dem Steuerpflichtigen eine Steuervergünstigung gewährt wird, auf die der Steuerpflichtige gemäß Art. 56 EG (jetzt Art. 63 AEUV) Anspruch erhebt, oder muss eine beabsichtigte gerichtliche Entscheidung über die Gewährung dieser Vergünstigung bei der Kommission angemeldet werden, oder muss das nationale Gericht angesichts der ihm gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV zugewiesenen Überwachungsaufgabe irgendeine andere Handlung vornehmen oder Maßnahme treffen?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

33        Die Kommission hält das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, weil das Ersuchen nicht die tatsächlichen und rechtlichen Angaben enthalte, die erforderlich seien, um dem Gerichtshof eine sachdienliche Beantwortung der Vorlagefragen zu ermöglichen.

34        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die beiden Fragen des vorlegenden Gerichts von der Annahme ausgehen, dass es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer um eine bestehende Beihilferegelung handelt.

35        Das vorlegende Gericht stützt sich bei seiner Analyse insbesondere darauf, dass die Erstattung nach Art. 10 Abs. 1 der Wet DB 1965 im Ausgangsverfahren untrennbar mit der nach Art. 2 der Wet Vpb 1969 für juristische Personen des öffentlichen Rechts vorgesehenen Befreiung von der Körperschaftsteuer verbunden ist, in der die Kommission in ihrem Beschluss C(2013) 2372 final eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare bestehende Beihilferegelung sah.

36        Allerdings ist festzustellen, dass – und darauf weist die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen auch selbst hin – dieser Beschluss ausschließlich die Regelung über die Befreiung juristischer Personen des öffentlichen Rechts von der Körperschaftsteuer nach der Wet Vpb 1969 betrifft, nicht aber die Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer nach Art. 10 Abs. 1 der Wet DB 1965.

37        Im Übrigen sind die Anwendungsbereiche der beiden Regelungen auch nicht identisch, da der weiter gefasste Anwendungsbereich der zweiten Regelung alle von der Körperschaftsteuer befreiten niederländischen Unternehmen betrifft.

38        Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Feststellung der Kommission, dass es sich bei der Regelung über die Befreiung niederländischer Unternehmen des öffentlichen Rechts von der Körperschaftsteuer nach Art. 2 der Wet Vpb 1969 um eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare bestehende Beihilferegelung handele, entsprechend auch für die Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer nach Art. 10 Abs. 1 der Wet DB 1965 gilt.

39        Gleichwohl lässt sich, worauf das vorlegende Gericht übrigens hinweist, nicht leugnen, dass in dem besonderen Fall, bei dem die Erstattung der Dividendensteuer einem niederländischen Unternehmen des öffentlichen Rechts gewährt wird, weil es nach Art. 2 der Wet Vpb 1969 von der Körperschaftsteuer befreit ist, diese Erstattung sich als die unmittelbare und mit der Gewährung einer staatlichen Beihilfe untrennbar verbundene Folge darstellt und daher auch als eine staatliche Beihilfe angesehen werden könnte.

40        Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die in Rede stehende Rechtsvorschrift als staatliche Beihilfe zu qualifizieren ist und es dem nationalen Gericht obliegt, dies zu prüfen, um die Beachtung von Art. 108 Abs. 3 AEUV sicherzustellen, ist somit davon auszugehen, dass die Antworten auf die Vorlagefragen für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts über den Ausgangsrechtsstreit sachdienlich sind und dass dabei von der Annahme auszugehen ist, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer eine Beihilferegelung darstellt.

Zu den Vorlagefragen

41        Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht um die Auslegung von Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt Art. 63 Abs. 1 AUEV ersucht, der alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verbietet und dessen Verletzung es für gegeben hält. Aus dem Vorlagebeschluss geht nämlich hervor, dass diese Verletzung eine Folge dessen sei, dass die niederländische Rechtsvorschrift die Erstattung der Dividendensteuer von der Voraussetzung eines Sitzes in den Niederlanden abhängig mache.

42        Ebenfalls zu betonen ist, dass die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 659/1999, auf die das vorlegende Gericht Bezug nimmt, mit identischem Wortlaut in der Verordnung 2015/1589 enthalten sind, die an die Stelle der erstgenannten Verordnung getreten ist. Somit ist es nicht notwendig, die zeitliche Anwendbarkeit dieser beiden Verordnungen auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu bestimmen.

43        Nach alledem ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, wissen möchte, ob das Unionsrecht dem entgegensteht, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats, um sicherzustellen, dass Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV, beachtet wird, einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat die Inanspruchnahme einer staatlichen Beihilferegelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, mit der Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer geschaffene zugesteht. Insbesondere möchte das vorlegende Gericht wissen, ob dann, wenn eine solche Beihilferegelung als bestehende Regelung anzusehen ist, die Entscheidung, mit der die Inanspruchnahme dieser Regelung zugestanden wird, eine neue Beihilfe im Sinne von Art. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 darstellen würde, die es der Kommission gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV mitteilen müsste.

44        In Bezug auf die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist, worauf dieses im Übrigen selbst hinweist, zunächst festzustellen, ob das Unionsrecht dem entgegensteht, dass das vorlegende Gericht davon ausgeht, für die Prüfung der Vereinbarkeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sitzerfordernisses mit dem freien Kapitalverkehr zuständig zu sein, oder ob diese Prüfung unter die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission zur Beurteilung der Vereinbarkeit einer Beihilferegelung mit dem Binnenmarkt fällt.

45        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs fallen den nationalen Gerichten und der Kommission gemäß dem vom Vertrag geschaffenen System der Kontrolle staatlicher Beihilfen einander ergänzende aber unterschiedliche Rollen zu (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juli 1996 SFEI u. a., C-39/94, EU:C:1996:285, Rn. 41, sowie vom 15. September 2016, PGE, C-574/14, EU:C:2016:686, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46        Während für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Binnenmarkt ausschließlich die Kommission zuständig ist, die dabei der Kontrolle der Unionsgerichte unterliegt, wachen die nationalen Gerichte über die Wahrung der Rechte des Einzelnen bei Verstößen gegen die nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV bestehende Verpflichtung, staatliche Beihilfen der Kommission im Voraus zu melden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Dezember 2011, Residex Capital IV, C-275/10, EU:C:2011:814, Rn. 27). Wird eine solche Verletzung von einem Einzelnen geltend gemacht und von den nationalen Gerichten festgestellt, so müssen diese entsprechend ihrem nationalen Recht daraus alle Konsequenzen ziehen, ohne dass sich jedoch aus ihren Entscheidungen eine Beurteilung der Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Binnenmarkt ergäbe, für die die Kommission – unter der Kontrolle des Gerichtshofs – ausschließlich zuständig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2002, Nygård, C-234/99, EU:C:2002:244, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47        Weiter geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass ein nationales Gericht für die Beurteilung der Vereinbarkeit der Modalitäten einer Beihilferegelung mit denjenigen Vertragsbestimmungen, die unmittelbare Wirkung haben und nicht die staatlichen Beihilfen betreffen, nur befugt ist, wenn dies isoliert möglich ist, diese Modalitäten also zwar zu dieser Regelung gehören, zur Verwirklichung ihres Zweckes oder zu ihrem Funktionieren aber nicht unerlässlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. März 1977, Iannelli & Volpi, 74/76, EU:C:1977:51, Rn. 14, und vom 23. April 2002, Nygård, C-234/99, EU:C:2002:244, Rn. 57).

48        Dagegen können die Modalitäten einer Beihilfe derart untrennbar mit dem Zweck der Beihilfe selbst verbunden sein, dass es nicht möglich ist, sie für sich allein zu beurteilen, so dass ihre Auswirkung auf die Vereinbarkeit oder die Unvereinbarkeit der Beihilfe insgesamt zwangsläufig nach dem Verfahren des Art. 108 AEUV zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 1977, Iannelli & Volpi, 74/76, EU:C:1977:51, Rn. 14).

49        Im vorliegenden Fall trifft dies zu auf ein Sitzerfordernis, wie es die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer vorsieht, jedoch nur, wenn man annimmt, dass es sich dabei um eine Beihilferegelung handelt, da diese Voraussetzung untrennbar mit dem eigentlichen Zweck der fraglichen Befreiungsmaßnahmen verbunden zu sein scheint, der darin besteht, nur inländische Unternehmen zu begünstigen.

50        Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass im Ausgangsverfahren eine solche Prüfung zwangsläufig – und sei es nur mittelbar – zur Folge hätte, dass das in Art. 2 der Wet Vpb 1969 für die Befreiung von der Körperschaftsteuer für öffentliche Unternehmen vorgesehene Sitzerfordernis, das eine notwendige Voraussetzung für das Erreichen des Zwecks und für das Funktionieren dieser Beihilferegelung ist, in Frage gestellt würde.

51        Ersichtlich ist es daher nicht möglich, diese Voraussetzung, die sich für das Erreichen des Ziels und das Funktionieren einer Beihilferegelung als erforderlich erweist, zu isolieren, ohne die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Kommission und den nationalen Gerichten auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen zu beeinträchtigen.

52        Folglich ist davon auszugehen, dass das Unionsrecht dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht die Vereinbarkeit eines Sitzerfordernisses wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit dem freien Kapitalverkehr in einem Fall beurteilen darf, in dem die betreffende Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer eine Beihilferegelung darstellt.

53        Daraus folgt, dass ein nationales Gericht erst recht nicht die Konsequenzen aus einer etwaigen Verletzung des freien Kapitalverkehrs durch dieses Sitzerfordernis ziehen darf, indem es die Erstattung dieser Steuer zuspricht, und dass die in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angesprochene Frage daher keiner Beantwortung bedarf.

54        Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 107 und 108 AEUV dahin auszulegen sind, dass ein nationales Gericht die Vereinbarkeit eines Sitzerfordernisses wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV, nicht beurteilen darf, falls die betreffende Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer eine Beihilferegelung darstellt.

Kosten

55        Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

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