EuGH : Erstattung der Quellensteuer an gebietsansässige Dividendenempfänger mit einem negativen Ergebnis am Ende des Steuerjahres, in dem die Dividenden bezogen wurden (spanisches Vorabentscheidungsersuchen)
EuGH, Urteil vom 19.12.2024 – C-601/23, Credit Suisse Securities (Europe) Ltd gegen Diputación Foral de Bizkaia
ECLI:EU:C:2024:1048
Volltext:BB-ONLINE BBL2025-149-1
Tenor
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer in einem Mitgliedstaat geltenden Regelung entgegensteht, nach der auf Dividenden, die von einer in einem steuerlich autonomen Gebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Gesellschaft ausgeschüttet werden, eine Quellensteuer erhoben wird, die, wenn die Dividenden von einer gebietsansässigen Gesellschaft bezogen werden, die in diesem steuerlich autonomen Gebiet der Körperschaftsteuer unterliegt, als Vorauszahlung auf die Körperschaftsteuer gilt und vollständig erstattet wird, wenn diese Gesellschaft das betreffende Steuerjahr mit einem Verlust abschließt, während keine Erstattung vorgesehen ist, wenn die Dividenden von einer gebietsfremden Gesellschaft in gleicher Situation bezogen werden.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Credit Suisse Securities (Europe) Ltd und der Diputación Foral de Bizkaia (Regionalregierung von Bizkaia, Spanien) wegen deren Ablehnung des Antrags von Credit Suisse Securities (Europe) auf Erstattung der Quellensteuer auf die im Jahr 2017 an sie ausgeschütteten Dividenden.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
3 Das am 14. März 2013 in London unterzeichnete Abkommen zwischen dem Königreich Spanien und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (im Folgenden: spanisch-britisches Abkommen) bestimmt in Art. 10:
„1. Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, können im anderen Staat besteuert werden.
2. Diese Dividenden können jedoch
a) auch in dem Vertragsstaat, in dem die die Dividenden zahlende Gesellschaft ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden; die Steuer darf aber, wenn der Nutzungsberechtigte der Dividenden im anderen Vertragsstaat ansässig ist, nicht übersteigen:
(i) 10 vom Hundert des Bruttobetrags der Dividenden …
…“
4 Art. 22 Abs. 2 dieses Abkommens sieht vor:
„Im Rahmen der Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs über die Anrechnung der in einem Gebiet außerhalb des Vereinigten Königreichs zu zahlenden Steuer auf die Steuer des Vereinigten Königreichs oder, je nach Fall, über die Befreiung einer Dividende oder der Gewinne einer Betriebsstätte, die aus einem Gebiet außerhalb des Vereinigten Königreichs stammen, von der Steuer des Vereinigten Königreichs (jedoch unbeschadet der allgemeinen Grundsätze)
a) wird die nach dem Recht des Königreichs Spanien und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen auf Gewinne, Einkünfte oder steuerpflichtige Veräußerungsgewinne aus Quellen innerhalb des Königreichs Spanien unmittelbar oder im Abzugsweg zu zahlende spanische Steuer (bei Dividenden aber nicht die Steuer auf Gewinne, aus denen die Dividenden gezahlt worden sind) auf die britischen Steuern angerechnet, die anhand der Gewinne, Einkünfte oder steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne berechnet werden, die der Berechnung der spanischen Steuer dienen;
b) sind die Dividenden, die von einer im Königreich Spanien ansässigen Gesellschaft an eine im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft gezahlt werden, von der Steuer des Vereinigten Königreichs befreit, wenn die Befreiung anwendbar ist und die Voraussetzungen für die Befreiung nach dem Recht des Vereinigten Königreichs erfüllt sind;
…“
Unionsrecht
5 Art. 63 Abs. 1 AEUV bestimmt:
„Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.“
6 Art. 65 AEUV sieht vor:
„(1) Artikel 63 berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten,
a) die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln,
…
(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen und Verfahren dürfen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 63 darstellen.
…“
Spanisches Recht
Regionalgesetz 11/2013
7 Die Norma Foral del Impuesto sobre Sociedades 11/2013 (Regionalgesetz 11/2013 über die Körperschaftsteuer) vom 5. Dezember 2013 (Boletín Oficial de Bizkaia Nr. 238 vom 13. Dezember 2013, im Folgenden: Regionalgesetz 11/2013) bestimmt in Art. 68:
„1. Von der Steuerschuld werden abgezogen:
a) Quellensteuern mit Ausnahme von solchen auf Einkünfte, die gemäß den Bestimmungen … dieses Regionalgesetzes nicht in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen sind.
…
2. Übersteigt der Gesamtbetrag dieser Posten die tatsächliche Steuerschuld, erstattet die Steuerverwaltung den Überschuss von Amts wegen.
…“
8 Art. 130 Abs. 1 des Regionalgesetzes 11/2013 sieht vor:
„Körperschaften …, die dieser Steuer unterliegende Einkünfte zahlen, sind verpflichtet, den durch Verordnung bestimmten Betrag im Wege der Vorauszahlung einzubehalten oder als Abschlag zu zahlen und ihn in den festgelegten Fällen und Formen an die [Hacienda Foral de Bizkaia (Regionale Finanzbehörde Bizkaia)] … abzuführen.“
Regionalgesetz 12/2013
9 Die Norma Foral 12/2013 del Impuesto sobre la Renta de no Residentes (Regionalgesetz 12/2013 über die Steuer auf das Einkommen Gebietsfremder) vom 5. Dezember 2013 (Boletín Oficial de Bizkaia Nr. 238 vom 13. Dezember 2013, im Folgenden: Regionalgesetz 12/2013) bestimmt in Art. 1:
„1. Die Steuer auf das Einkommen Gebietsfremder ist eine direkte Steuer auf:
a) Einkünfte, die von natürlichen oder juristischen Personen in Bizkaia [(Spanien)] im Sinne dieses Regionalgesetzes erzielt werden, die nicht im spanischen Hoheitsgebiet ansässig sind und dort keine Betriebsstätte haben.
…
2. Die Vorschriften dieses Regionalgesetzes gelten für:
a) natürliche oder juristische Personen, die nicht im spanischen Hoheitsgebiet ansässig sind und dort keine Betriebsstätte haben, aber in der historischen Provinz Bizkaia im Einklang mit Art. 13 des vorliegenden Regionalgesetzes Einkünfte erzielen.
…“
10 Art. 13 Abs. 2 dieses Gesetzes sieht vor:
„Folgende im Hoheitsgebiet von Bizkaia erzielte oder erwirtschaftete Einkünfte gelten als ohne Betriebsstätte erzielte Einkünfte:
…
g) Dividenden und sonstige Einkünfte aus der Beteiligung am Eigenkapital von in Bizkaia steuerlich ansässigen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie Einkünfte aus der Beteiligung am Eigenkapital privater Körperschaften in dem in Abs. 4 dieses Artikels genannten Umfang.
…“
11 In Art. 25 Abs. 1 des Regionalgesetzes 12/2013 heißt es:
„Der Steuerbetrag ergibt sich aus der Anwendung der folgenden Steuersätze auf die gemäß dem vorstehenden Artikel ermittelte Steuerbemessungsgrundlage:
a) allgemein: 24 %. Der Steuersatz beträgt jedoch 19 % für Steuerpflichtige, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums ansässig sind, mit dem ein wirksamer Austausch von Steuerinformationen besteht …
…“
12 Art. 31 dieses Gesetzes bestimmt:
„1. Zur Einbehaltung der Quellensteuer und zur Vorauszahlung in Bezug auf die dieser Steuer unterliegenden Einkünfte, die sie zahlen, sind verpflichtet
a) Körperschaften, die im spanischen Hoheitsgebiet ansässig sind, einschließlich Körperschaften, für die die Zurechnungsregelung gilt.
…
2. Die dieser Verpflichtung unterliegenden Körperschaften müssen eine Quellensteuer einbehalten oder einen Betrag im Voraus [zahlen], der dem entspricht, der sich aus der Anwendung der Bestimmungen ergibt, die dieses Regionalgesetz zur Festsetzung der von Steuerpflichtigen ohne Betriebsstätte geschuldeten Steuer vorsieht, oder der Bestimmungen, die in einem anwendbaren Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorgesehen sind …
…
3. Die Körperschaften, die zur Einbehaltung der Quellensteuer oder zur Vorauszahlung verpflichtet sind, verpflichten sich, die Zahlung an die regionale Finanzbehörde [Bizkaia] zu leisten, ohne dass die Nichterfüllung dieser Verpflichtung sie von der Zahlungspflicht befreien kann. …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
13 Credit Suisse Securities (Europe) ist eine Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich, die keine Betriebsstätte in Spanien hat. Sie erhielt im Jahr 2017 von einer Gesellschaft mit Sitz in Bizkaia 2 763 848,73 Euro an Dividenden, auf die nach dem Regionalgesetz 12/2013 Quellensteuer erhoben wurde. Die Quellensteuer wurde zunächst auf 19 % festgesetzt, d. h. auf den gleichen Satz wie für Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, und schließlich auf der Grundlage des spanisch-britischen Abkommens auf 10 % gesenkt.
14 Am 10. Februar 2021 beantragte Credit Suisse Securities (Europe) bei der regionalen Finanzbehörde von Bizkaia die Berichtigung der Selbstveranlagungen, die von der Gesellschaft eingereicht worden waren, die die Dividenden ausgeschüttet und den Quellensteuerabzug vorgenommen hatte, und die Erstattung der Quellensteuer, weil es sich um eine Überzahlung handele.
15 Mit Bescheid vom 15. Februar 2021 lehnte die regionale Finanzbehörde Bizkaia den Antrag ab.
16 Am 18. März 2021 legte Credit Suisse Securities (Europe) Einspruch beim Tribunal Económico-Administrativo Foral de Bizkaia (Rechtsbehelfsbehörde in Verwaltungssachen Bizkaia, Spanien) ein, das diesen mit Bescheid vom 23. Februar 2022 zurückwies.
17 Credit Suisse Securities (Europe) erhob verwaltungsgerichtliche Klage beim vorlegenden Gericht, dem Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht des Baskenlands, Spanien).
18 Sie macht geltend, dass sie im Steuerjahr 2017 Verluste erlitten habe und daher den als Quellensteuer erhobenen Betrag nicht in ihrem Ansässigkeitsstaat durch Anrechnung auf eine in diesem Staat zu zahlende Steuer habe zurückerhalten können. Unter solchen Umständen führe die Anwendung des Regionalgesetzes 11/2013 zu einer diskriminierenden Behandlung. Die Quellensteuer, die in Anwendung dieses Regionalgesetzes bei einer gebietsfremden Gesellschaft erhoben werde, sei nämlich als endgültige Steuer ohne Erstattungsmechanismus im Fall von Verlusten dieser Gesellschaft ausgestaltet, während es sich für eine gebietsansässige Gesellschaft, die in Bizkaia der Körperschaftsteuer unterliege, um eine Vorauszahlung auf diese Steuer handele, die nur dann zu einer tatsächlichen Besteuerung führe, wenn die Gesellschaft für das betreffende Steuerjahr eine positive Bemessungsgrundlage habe. Sei diese negativ, werde die Quellensteuer erstattet.
19 Credit Suisse Securities (Europe) ist daher der Auffassung, dass sie die Kapitalverkehrsfreiheit nicht in vollem Umfang ausüben könne, und beruft sich insoweit auf die Urteile vom 22. November 2018, Sofina u. a. (C‑575/17, EU:C:2018:943), sowie vom 16. Juni 2022, ACC Silicones (C‑572/20, EU:C:2022:469).
20 Das spanisch-britische Abkommen lasse eine Verrechnung der einbehaltenen Quellensteuer in einer Verlustsituation nicht zu, da nach Art. 22 Abs. 2 des Abkommens ein Abzug der Quellensteuer nur erfolgen könne, wenn steuerpflichtige Gewinne oder Einkünfte vorlägen. Das Vereinigte Königreich sei nicht verpflichtet, die in Spanien einbehaltene Quellensteuer zu erstatten, und gewähre nur im Fall einer positiven Steuerschuld eine Steuergutschrift. Auch in den Folgejahren könne eine solche Gutschrift nicht erfolgen.
21 Die Regionalregierung von Bizkaia tritt diesem Vorbringen entgegen.
22 Das vorlegende Gericht führt aus, dass bei der Ausschüttung von Dividenden durch eine in Bizkaia steuerlich ansässige Gesellschaft sowohl die gebietsansässigen als auch die gebietsfremden Empfängergesellschaften einer Quellensteuer unterlägen, und zwar zum gleichen Steuersatz. Die Regelung der Körperschaftsteuer gewähre einer gebietsansässigen Empfängergesellschaft, die in Bizkaia körperschaftsteuerpflichtig sei, jedoch eine vollständige Erstattung der Quellensteuer, wenn das betreffende Steuerjahr mit einem Verlust abgeschlossen worden sei, während die Quellensteuer bei gebietsfremden Gesellschaften nur hypothetisch durch etwaige Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgeglichen werde. Im vorliegenden Fall sei ein solcher Ausgleich nach dem spanisch-britischen Abkommen für im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaften nicht möglich.
23 Da das Tribunal Superior de Justicia del País Vasco (Obergericht des Baskenlands) Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Steuerregelung mit dem freien Kapitalverkehr hegt, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 63 AEUV dahin auszulegen, dass es dieser Vorschrift zuwiderläuft, dass das Königreich Spanien und insbesondere die steuerlich autonome historische Provinz Bizkaia auf Gebietsfremde zwar den gleichen Steuersatz wie auf Gebietsansässige anwenden, Gebietsfremden jedoch die bei der Ausschüttung von Dividenden durch ein gebietsansässiges Unternehmen einbehaltene Quellensteuer – die diese nach dem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht neutralisieren können – nicht erstatten, während diese Quellensteuer Gebietsansässigen, die in dem Geschäftsjahr auch Verluste haben, vollständig erstattet wird?
Zur Zulässigkeit
24 Die deutsche Regierung hat Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, da es an materiellen Feststellungen zu den Verlusten fehle, die Credit Suisse Securities (Europe) in ihrem Ansässigkeitsstaat, dem Vereinigten Königreich, erlitten haben soll.
25 Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten nationalen Gerichts, die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung und die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen, für die eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt. Der Gerichtshof ist folglich grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegte Frage zu befinden, wenn sie die Auslegung oder die Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts betrifft, es sei denn, dass die erbetene Auslegung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, dass das Problem hypothetischer Natur ist oder dass der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der Frage erforderlich sind (Urteil vom 22. Februar 2024, Unedic, C‑125/23, EU:C:2024:163, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Im vorliegenden Fall ist der Vorlageentscheidung zu entnehmen, dass Credit Suisse Securities (Europe) nach eigenen Angaben, die von der Regionalregierung von Bizkaia und dem vorlegenden Gericht nicht bestritten werden, in dem Geschäftsjahr, in dem die Quellensteuer einbehalten wurde, Steuerverluste erlitten hat, denn die Steuererklärung, die sie für dieses Jahr in ihrem Ansässigkeitsstaat, dem Vereinigten Königreich, erstellt hatte, wies eine negative Steuerbemessungsgrundlage aus.
27 Somit ist nicht offensichtlich, dass die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung von Art. 63 AEUV in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das Problem hypothetischer Natur ist.
28 Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher zulässig.
Zur Vorlagefrage
9 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer in einem Mitgliedstaat geltenden Regelung entgegensteht, nach der auf Dividenden, die von einer in einem steuerlich autonomen Gebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Gesellschaft ausgeschüttet werden, eine Quellensteuer erhoben wird, die, wenn die Dividenden von einer gebietsansässigen Gesellschaft bezogen werden, die in diesem steuerlich autonomen Gebiet der Körperschaftsteuer unterliegt, als Vorauszahlung auf die Körperschaftsteuer gilt und vollständig erstattet wird, wenn diese Gesellschaft das betreffende Steuerjahr mit einem Verlust abschließt, während keine Erstattung vorgesehen ist, wenn die Dividenden von einer gebietsfremden Gesellschaft in gleicher Situation bezogen werden.
Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV
30 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehören zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Insbesondere kann eine ungünstigere Behandlung von Dividenden, die an gebietsfremde Gesellschaften gezahlt werden, als von Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften gezahlt werden, durch einen Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaften davon abhalten, im erstgenannten Mitgliedstaat zu investieren, und stellt damit eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die grundsätzlich nach Art. 63 AEUV verboten ist (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 24 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
32 Nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung unterliegen Gesellschaften, die an einer in Bizkaia ansässigen Gesellschaft beteiligt sind, hinsichtlich der an sie ausgeschütteten Dividenden zwei unterschiedlichen Steuerregelungen, je nachdem, ob sie gebietsansässig oder gebietsfremd sind.
33 Der Vorlageentscheidung ist nämlich zu entnehmen, dass auf die Dividenden, die eine in Bizkaia steuerlich ansässige Gesellschaft an gebietsfremde Gesellschaften ausschüttet, nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Regionalgesetzes 12/2013 eine Quellensteuer von 19 % des Bruttobetrags erhoben wird, wobei dieser Satz aber durch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung reduziert werden kann, und zwar unabhängig von den Finanzergebnissen der gebietsfremden Gesellschaften. Im vorliegenden Fall wurden auf die von Credit Suisse Securities (Europe) bezogenen Dividenden auf der Grundlage eines solchen Abkommens, und zwar des spanisch-britischen Abkommens, 10 % Quellensteuer erhoben.
34 Zwar werden auch auf Dividenden, die eine in Bizkaia ansässige Gesellschaft an eine andere gebietsansässige Gesellschaft ausschüttet, die sich ansonsten in der gleichen Situation wie Credit Suisse Securities (Europe) befindet, eine Quellensteuer von 19 % des Bruttobetrags erhoben, doch gilt diese Quellensteuer als Vorauszahlung auf die in Bizkaia geltende Körperschaftsteuer. Erleidet eine solche gebietsansässige Gesellschaft am Ende des betreffenden Steuerjahrs Verluste und ist daher keine Körperschaftsteuer zu zahlen, wird die als Vorauszahlung auf die Dividenden erhobene Quellensteuer erstattet, während dies nicht vorgesehen ist, wenn die Quellensteuer auf Dividenden erhoben wird, die an gebietsfremde Gesellschaften ausgeschüttet werden.
35 Die Regelung, die für die Besteuerung von Dividenden gilt, die eine in der historischen Provinz Bizkaia steuerlich ansässige Gesellschaft ausschüttet, kann einer in diesem Gebiet der Körperschaftsteuer unterliegenden gebietsansässigen Gesellschaft somit im Vergleich zu einer gebietsfremden Gesellschaft einen Vorteil verschaffen, wenn diese Gesellschaften ein Steuerjahr mit einem Verlust beenden (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 28).
36 Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob hinsichtlich der von der gebietsansässigen Gesellschaft bezogenen Dividenden eine solche Erstattung zu einer vollständigen Steuerbefreiung dieser Dividenden führt oder ob, wie sich aus den Akten, die dem Gerichtshof vorliegen, zu ergeben scheint, die Einbeziehung dieser Dividenden zu 50 % in die Steuerbemessungsgrundlage der gebietsansässigen Gesellschaft den Betrag der Verluste, die von den positiven Einkünften späterer Geschäftsjahre abgezogen werden können, verringert und damit einen Steueraufschub für die Dividenden bewirkt.
37 Jedenfalls stellt es erstens eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, wenn ein solcher Vorteil bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt nicht gewährt wird, wohl aber bei einem äquivalenten innerstaatlichen Sachverhalt (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Zweitens muss die Beurteilung des Vorliegens einer etwaigen ungünstigeren Behandlung der an gebietsfremde Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden für jedes Steuerjahr gesondert vorgenommen werden (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 30 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Da die Dividenden, die von einer gebietsfremden Gesellschaft bezogen werden, bei ihrer Ausschüttung besteuert werden, ist bei einem Vergleich der auf solchen Dividenden ruhenden Steuerlast mit der Steuerlast der an eine in Bizkaia steuerpflichtige gebietsansässige Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden auf das Steuerjahr ihrer Ausschüttung abzustellen (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 31).
40 Im vorliegenden Fall wäre diese Steuerlast für die gebietsansässige Gesellschaft aber gleich null, wenn sie ein solches Steuerjahr mit einem Verlust beendet.
41 Drittens wird ein etwaiger Aufschub der Besteuerung dieser Dividenden zu einer endgültigen Steuerbefreiung, wenn die gebietsansässige Gesellschaft vor der Einstellung ihrer Tätigkeit keinen Gewinn mehr erzielt (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 33).
42 Folglich kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung gebietsansässigen Gesellschaften, die Verluste erleiden, einen Vorteil verschaffen, da sich daraus zumindest ein Liquiditätsvorteil oder sogar eine Steuerbefreiung ergibt, während gebietsfremde Gesellschaften unabhängig von ihrem Ergebnis unmittelbar und endgültig besteuert werden (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 34).
43 Die Regionalregierung von Bizkaia und die spanische Regierung weisen insoweit darauf hin, dass auf Dividenden, die an eine gebietsfremde Gesellschaft wie Credit Suisse Securities (Europe) ausgeschüttet würden, nach Art. 25 Abs. 1 Buchst. a des Regionalgesetzes 12/2013 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 Buchst. a Ziff. i des spanisch-britischen Abkommens eine Steuer von 10 % erhoben werde, während auf Dividenden, die an eine gebietsansässige Gesellschaft ausgeschüttet würden, in dem Umfang, in dem die Dividenden in die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer einbezogen würden, eine Steuer von 28 % erhoben werde.
44 Ein solcher Umstand vermag aber die ungünstigere Behandlung von Dividenden, die an eine gebietsfremde Gesellschaft ausgeschüttet werden, nicht zu beseitigen.
45 Zum einen kann nämlich eine steuerliche Benachteiligung, die gegen eine Grundfreiheit verstößt, nicht aufgrund des etwaigen Bestehens anderer Vorteile als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen werden (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 38 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
46 Zum anderen kommt der von der Regionalregierung von Bizkaia angeführte ungünstigere Steuersatz bei den an eine gebietsansässige Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden jedenfalls nicht zum Tragen, wenn diese Dividenden von der Steuer befreit sind, weil die gebietsansässige Gesellschaft ihre Tätigkeit einstellt, ohne in den Geschäftsjahren nach dem Bezug der Dividenden Gewinn erzielt zu haben. Der Umstand, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats Gebietsfremde benachteiligt, kann aber nicht dadurch ausgeglichen werden, dass diese Regelung möglicherweise in anderen Situationen Gebietsfremde im Vergleich zu Gebietsansässigen nicht beeinträchtigt (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 39 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
47 Zudem ist eine solche unterschiedliche steuerliche Behandlung der Dividenden je nach dem Ort des Sitzes der begünstigten Gesellschaften geeignet, gebietsfremde Gesellschaften von Investitionen in Gesellschaften, die in Bizkaia ansässig sind, abzuhalten.
48 Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung stellt somit eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die grundsätzlich nach Art. 63 Abs. 1 AEUV verboten ist.
49 Zu prüfen ist jedoch, ob diese Beschränkung nach den Bestimmungen des AEU-Vertrags gerechtfertigt sein kann.
Zum Vorliegen einer Rechtfertigung der Beschränkung im Sinne von Art. 65 AEUV
50 Nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV berührt Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln.
51 Diese Bestimmung ist als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen. Sie kann somit nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Mitgliedstaat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne Weiteres mit dem AEU-Vertrag vereinbar wäre. Die in Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV vorgesehene Ausnahme wird nämlich ihrerseits durch Abs. 3 dieses Artikels eingeschränkt; danach dürfen die in Abs. 1 genannten nationalen Vorschriften „weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 63 [AEUV] darstellen“ (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 45 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV zulässigen Ungleichbehandlungen müssen daher von den durch Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotenen Diskriminierungen unterschieden werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine nationale Steuerregelung aber nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr vereinbar angesehen werden, wenn die sich aus ihr ergebende Ungleichbehandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Zur Vergleichbarkeit der in Rede stehenden Situationen
53 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nähert sich die Situation der gebietsfremden Steuerpflichtigen derjenigen der gebietsansässigen Steuerpflichtigen an, sobald ein Staat einseitig oder im Wege eines Abkommens nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Steuerpflichtigen hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, der Einkommensteuer unterwirft (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
54 Die Regionalregierung von Bizkaia sowie die spanische und die deutsche Regierung verweisen u. a. auf die Urteile vom 15. Mai 1997, Futura Participations und Singer (C‑250/95, EU:C:1997:239), vom 15. Februar 2007, Centro Equestre da Lezíria Grande (C‑345/04, EU:C:2007:96), und vom 17. September 2015, Miljoen u. a. (C‑10/14, C‑14/14 et C‑17/14, EU:C:2015:608), aus denen sie ableiten, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit dem Territorialitätsprinzip vereinbar sei und dass sich gebietsfremde Gesellschaften nicht in einer Situation befänden, die objektiv mit der von gebietsansässigen Gesellschaften vergleichbar sei.
55 Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die aus diesen Urteilen hervorgegangene Rechtsprechung bereits im Rahmen des Verfahrens geltend gemacht worden war, in dem das Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a. (C‑575/17, EU:C:2018:943), ergangen ist. In diesem hat der Gerichtshof aber auf der Grundlage der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung festgestellt, dass objektiv vergleichbare Situationen vorlagen. Eine solche Beurteilung gilt auch für die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Situationen gebietsansässiger und gebietsfremder Gesellschaften.
56 Mithin betrifft die Ungleichbehandlung, die sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung ergibt, objektiv vergleichbare Situationen.
Zum Rechtfertigungsgrund der Effizienz der Steuerbeitreibung
57 Die Regionalregierung von Bizkaia macht geltend, dass eine sofort beitreibbare Steuerpflicht einer gebietsfremden Gesellschaft, die Dividenden beziehe, in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten stehe, da das Risiko der Nichtzahlung der Steuer durch diese Gesellschaft, die zudem nicht über eine Betriebsstätte verfüge, mit der Zeit zunehme, da es keine echte und dauerhafte Verbindung der Gesellschaft mit dem Land der Einkommensquelle gebe.
58 Damit trägt die Regionalregierung von Bizkaia in Wirklichkeit vor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Beschränkung des freien Kapitalverkehrs durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, die Beitreibung der Steuer zu gewährleisten.
59 Nach gefestigter Rechtsprechung stellt die Notwendigkeit, eine effiziente Beitreibung der Steuer zu gewährleisten, ein legitimes Ziel dar, das eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen kann, vorausgesetzt, die Anwendung dieser Beschränkung ist geeignet, die Verwirklichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und geht nicht über das hinaus, was hierfür erforderlich ist (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 67 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
60 Darüber hinaus hat der Gerichtshof entschieden, dass das Verfahren des Steuerabzugs an der Quelle ein legitimes und geeignetes Mittel darstellt, um die steuerliche Erfassung der Einkünfte einer außerhalb des Besteuerungsstaats ansässigen Person sicherzustellen (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 68 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
61 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Beschränkung des freien Kapitalverkehrs, die sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung ergibt, darin besteht, dass bei gebietsfremden Gesellschaften, die Verluste erleiden, anders als bei defizitären gebietsansässigen Gesellschaften, die in Bizkaia steuerpflichtig sind, weder die Quellensteuer erstattet noch gegebenenfalls die Besteuerung aufgeschoben wird (siehe Rn. 42 des vorliegenden Urteils).
62 Würde auch gebietsfremden Gesellschaften eine solche Behandlung gewährt und zugleich zwangsläufig diese Beschränkung beseitigt, würde dies die Verwirklichung des Ziels der effizienten Beitreibung der Steuer, die diese Gesellschaften im Fall des Bezugs von Dividenden von einer in Bizkaia ansässigen Gesellschaft schulden, nicht in Frage stellen (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 70).
63 Erstens stellt nämlich die Regelung für die Erstattung der Quellensteuer im Fall eines Verlusts ihrer Natur nach eine Abweichung vom Grundsatz der Besteuerung im Steuerjahr der Dividendenausschüttung dar, so dass sie nicht auf die Mehrzahl der Gesellschaften, die Dividenden beziehen, angewandt werden kann, sondern nur auf diejenigen, die Verluste erleiden (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 71).
64 Zweitens ist hervorzuheben, dass die gebietsfremden Gesellschaften die relevanten Angaben liefern müssten, die den Steuerbehörden des Besteuerungsmitgliedstaats die Feststellung ermöglichen, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Erstattung der Quellensteuer erfüllt sind (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 72).
65 Drittens ist unter Berücksichtigung der Erwägungen des Gerichtshofs in den Rn. 74 bis 76 des Urteils vom 22. November 2018, Sofina u. a. (C‑575/17, EU:C:2018:943), festzustellen, dass die zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten bestehenden Mechanismen zur gegenseitigen Unterstützung ausreichen, um den Quellenmitgliedstaat in die Lage zu versetzen, die Richtigkeit der Angaben der gebietsfremden Gesellschaften, die eine Erstattung der Quellensteuer begehren, zu überprüfen (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 73).
66 Würde der mit der Erstattung der Quellensteuer und dem etwaigen Aufschub der Besteuerung verbundene Vorteil auch gebietsfremden defizitären Gesellschaften gewährt, würde dies folglich zur Beseitigung jeder Beschränkung des freien Kapitalverkehrs führen, ohne dabei der Verwirklichung des Ziels entgegenzustehen, das mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung verfolgt wird (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 77).
67 Unter diesen Umständen kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung nicht mit der Effizienz der Steuerbeitreibung gerechtfertigt werden.
Zum Rechtfertigungsgrund der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Vermeidung der Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung
68 Die deutsche Regierung macht geltend, dass das Königreich Spanien nach dem spanisch-britischen Abkommen zwar befugt sei, die von gebietsansässigen Gesellschaften an im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden zu besteuern, dass die wirtschaftliche Tätigkeit der letztgenannten Gesellschaften im Übrigen aber der Besteuerungsbefugnis des Vereinigten Königreichs unterliege. Somit diene die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung der Wahrung der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis, da die Verluste einer gebietsfremden Gesellschaft, die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den Dividenden stünden, die eine gebietsansässige Gesellschaft an sie ausgeschüttet habe, aus wirtschaftlichen Tätigkeiten stammten, die der Besteuerungshoheit ihres Ansässigkeitsstaats unterlägen, in dem diese Verluste zum Abzug gebracht werden könnten. Eine zusätzliche Berücksichtigung bei der Besteuerung der Dividenden in Spanien würde daher einen doppelten Verlustabzug bewirken, der der getroffenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse widerspräche.
69 Auch die spanische Regierung ist der Ansicht, dass im vorliegenden Fall die Verluste von Credit Suisse Securities (Europe), wenn deren Antrag stattgegeben würde, mehrfach genutzt würden.
70 Insoweit hat der Gerichtshof anerkannt, dass die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten ein legitimes Ziel darstellt und dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung von Maßnahmen der Union zur Vereinheitlichung oder Harmonisierung befugt bleiben, die Kriterien für die Aufteilung ihrer Besteuerungsbefugnis vertraglich oder einseitig festzulegen (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
71 Eine solche Rechtfertigung kommt u. a. in Betracht, wenn mit der in Rede stehenden Regelung Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Besteuerungszuständigkeit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 57 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
72 Der Gerichtshof hat zudem entschieden, dass die Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung ein legitimes Ziel darstellt, das eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock, C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
73 Im vorliegenden Fall werden nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung die an eine gebietsfremde Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden mittels einer Quellensteuer zu einem Satz besteuert, der in einem Abkommen zur Beseitigung der Doppelbesteuerung festgelegt ist, wobei die Quellensteuer nicht erstattet wird, wenn diese Gesellschaft ein Verlustjahr hat, während einer gebietsansässigen Gesellschaft in der gleichen Situation eine solche Erstattung und ein Aufschub der Besteuerung der bezogenen Dividenden gewährt wird.
74 Allerdings kann sich zum einen ein Mitgliedstaat, wenn er sich dafür entschieden hat, in bestimmten Situationen gebietsansässige Gesellschaften nicht hinsichtlich Dividenden inländischer Herkunft zu besteuern, nicht auf die Notwendigkeit einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten berufen, um die Besteuerung gebietsfremder Gesellschaften mit solchen Einkünften zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2024, Keva u. a., C‑39/23, EU:C:2024:648, Rn. 73 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
75 Zum anderen würde der etwaige Aufschub der Besteuerung der von einer defizitären gebietsfremden Gesellschaft bezogenen Dividenden nicht bedeuten, dass die steuerlich autonome historische Provinz Bizkaia auf ihr Recht zur Besteuerung in ihrem Hoheitsgebiet erzielter Einkünfte verzichten müsste. Die von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden würden nämlich besteuert, sobald die gebietsfremde Gesellschaft in einem späteren Geschäftsjahr Gewinn erzielt, wie dies – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – bei einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine ähnliche Entwicklung durchläuft, der Fall ist (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 59).
76 Außerdem kann der Verlust von Steuereinnahmen im Zusammenhang mit der Besteuerung der von gebietsfremden Gesellschaften bezogenen Dividenden im Fall eines Verlustjahrs nicht die unmittelbare und endgültige Besteuerung der von diesen Gesellschaften in einem solchen Fall bezogenen Dividenden rechtfertigen, während solche Verluste hingenommen werden, wenn in Bizkaia besteuerte gebietsansässige Gesellschaften betroffen sind (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C‑575/17, EU:C:2018:943, Rn. 63).
77 Zur Vermeidung der Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung ist hinzuzufügen, dass jedenfalls die gebietsfremden Gesellschaften die relevanten Angaben liefern müssen, die den Steuerbehörden des Besteuerungsmitgliedstaats die Feststellung ermöglichen, dass die Voraussetzungen für einen Steueraufschub erfüllt sind.
78 Mithin lässt sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung nicht mit der Notwendigkeit rechtfertigen, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und die Gefahr einer doppelten Verlustberücksichtigung zu vermeiden.
Zum Rechtfertigungsgrund der Wahrung der Kohärenz des Steuersystems
79 Die Regionalregierung von Bizkaia sowie die spanische und die deutsche Regierung tragen vor, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende der Wahrung der Kohärenz des nationalen Steuersystems diene, da die Nichtberücksichtigung von Verlusten, die eine gebietsfremde Gesellschaft außerhalb des Quellenmitgliedstaats erlitten habe, in diesem Mitgliedstaat einer spiegelbildlichen Logik folge und das Pendant zur Nichtbesteuerung der wirtschaftlichen Tätigkeiten sei, aus denen diese Verluste herrührten.
80 Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Argument, das auf die Notwendigkeit, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren, gestützt wird, nur dann Erfolg haben, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht (Urteil vom 21. Dezember 2023, Cofidis, C‑340/22, EU:C:2023:1019, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
81 Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall die in Bizkaia der Körperschaftsteuer unterliegenden gebietsansässigen Gesellschaften, die sich in einer Verlustsituation befinden und denen die Quellensteuer auf bezogene Dividenden erstattet wird, nicht als Ausgleich für diese Erstattung einer bestimmten steuerlichen Belastung unterliegen. Selbst wenn die gebietsansässigen Gesellschaften verpflichtet wären, diese Dividenden zu 50 % in ihre Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer einzubeziehen, hätten sie in einer Verlustsituation zumindest einen Liquiditätsvorteil oder es würde ihnen sogar eine Steuerbefreiung gewährt, wenn sie ihre Geschäftstätigkeit einstellen, bevor wieder ein positives Ergebnis erzielt wird.
82 Somit kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren.
83 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer in einem Mitgliedstaat geltenden Regelung entgegensteht, nach der auf Dividenden, die von einer in einem steuerlich autonomen Gebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Gesellschaft ausgeschüttet werden, eine Quellensteuer erhoben wird, die, wenn die Dividenden von einer gebietsansässigen Gesellschaft bezogen werden, die in diesem steuerlich autonomen Gebiet der Körperschaftsteuer unterliegt, als Vorauszahlung auf die Körperschaftsteuer gilt und vollständig erstattet wird, wenn diese Gesellschaft das betreffende Steuerjahr mit einem Verlust abschließt, während keine Erstattung vorgesehen ist, wenn die Dividenden von einer gebietsfremden Gesellschaft in gleicher Situation bezogen werden.
Kosten
84 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.