EuGH: Einlagerung von Waren in ein öffentliches Zolllager mit anschließender Veredelung
EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Paolo Mengozzi vom 22.5.2012 (1) - Rs. C-165/11, Daňové riaditeľstvo Slovenskej republiky gegen Profitube spol. sro
Vorabentscheidungsersuchen des Najvyšší súd Slovenskej republiky, Slowakei
1. Wird ein Erzeugnis in das Gebiet der Union unter Anwendung eines im Zollrecht vorgesehenen Nichterhebungsverfahrens eingeführt, z. B., um verarbeitet und dann wieder in ein Drittland ausgeführt zu werden, erwirbt dieses Erzeugnis nicht den Status einer Gemeinschaftsware. Aus zollrechtlicher Sicht ist daher keine Abgabe zu entrichten. Was geschieht jedoch, wenn dieses Erzeugnis, das sich im Übrigen in einem Zolllager befindet, durch ein Unternehmen in der Union an ein anderes Unternehmen in der Union verkauft wird, wobei es physisch am selben Ort und rechtlich im Nichterhebungsverfahren verbleibt? Unterliegt dieser Verkauf insbesondere der Mehrwertsteuer? Dies ist im Wesentlichen das Problem, das der slowakische Oberste Gerichtshof mit seinen Vorlagefragen dem Gerichtshof unterbreitet hat.
I - Rechtlicher Rahmen
A - Zollrechtliche Bestimmungen
2. Der Begriff „Zollgebiet" der Union ist in Art. 3 des Zollkodex definiert(2). Insbesondere umfasst das Zollgebiet im Sinne dieser Vorschrift das jeweilige Gebiet der Mitgliedstaaten mit Ausnahme der in der Vorschrift ausdrücklich angegebenen Gebiete.
3. Art. 84 des Zollkodex führt die „Nichterhebungsverfahren" auf, zu denen insbesondere das Zolllagerverfahren und die aktive Veredelung nach dem Nichterhebungsverfahren gehören. Diese Verfahren erlauben gemäß den Art. 98 bzw. 114, Nichtgemeinschaftswaren abgabenfrei in das Zollgebiet der Union einzuführen. Das Zolllagerverfahren dient der Lagerung von Waren, das der aktiven Veredelung der Verarbeitung derselben.
4. Nach Art. 98 Abs. 2 des Zollkodex gilt als Zolllager „jeder von den Zollbehörden zugelassene und unter zollamtlicher Überwachung stehende Ort, an dem Waren unter den festgelegten Voraussetzungen gelagert werden können".
B - Das Mehrwertsteuerrecht
5. Zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren maßgebenden Ereignisse, die sich 2005 bis 2006 zutrugen, war die anwendbare Mehrwertsteuerregelung in der Sechsten Richtlinie(3) enthalten.
6. Gemäß Art. 2 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer:
„1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
2. die Einfuhr von Gegenständen".
7. Als „Lieferung eines Gegenstandes" gilt gemäß Art. 5 Abs. 1 „die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen".
8. Art. 3 definiert das Unionsgebiet zum Zweck der Anwendung der Sechsten Richtlinie. Dieses umfasst das jeweilige Gebiet der Mitgliedstaaten mit Ausnahme der in der Vorschrift ausdrücklich angegebenen Gebiete.
9. Art. 16 der Sechsten Richtlinie enthält einige Bestimmungen über Steuerbefreiungen. Insbesondere sieht er in der - durch eine eigentümliche Gesetzgebungstechnik - durch Art. 28c der Sechsten Richtlinie geänderten Fassung(4) Folgendes vor:
„(1) Unbeschadet der übrigen gemeinschaftlichen Steuerbestimmungen können die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der Konsultation nach Artikel 29 Sondermaßnahmen treffen, um folgende Umsätze oder einige von ihnen nicht der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, ...:
...
B. die Lieferungen von Gegenständen,
...
c) die einer Zolllagerregelung oder einer Regelung für den aktiven Veredelungsverkehr unterliegen sollen,
...
D. die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen,
a) die an den in Teil B Buchstaben a) bis d) aufgeführten Orten unter Wahrung eines der dort bezeichneten Sachverhalte durchgeführt werden;
..."
10. Im Wesentlichen ermächtigt Art. 16 der Sechsten Richtlinie somit die Mitgliedstaaten, den Verkauf eines Gegenstands, der einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterliegt und nach dem Verkauf weiterhin diesem Verfahren unterliegt, von der Mehrwertsteuer zu befreien.
II - Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11. Das Ausgangsverfahren betrifft einige Stahlhalbfabrikate (Rollen), die das slowakische Unternehmen Profitube aus der Ukraine eingeführt und in der Slowakei in ein Nichterhebungsverfahren übergeführt hatte. Genauer gesagt wurden die Waren zunächst in das Zolllagerverfahren und dann, um sie zu Formstahl zu verarbeiten, in das Verfahren der aktiven Veredelung übergeführt.
12. Anschließend wurden die Waren, ohne jemals den Ort, an dem sie sich befanden, zu verlassen, von Profitube an ein anderes slowakisches Unternehmen, Mercurius, verkauft und wieder ins Zolllagerverfahren übergeführt.
13. Die slowakischen Steuerbehörden verlangten die Zahlung der Mehrwertsteuer für den Verkauf von Profitube an Mercurius, da sie den Umsatz für die Zwecke der Mehrwertsteuer als eine normale steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen ansahen.
14. Profitube focht die Entscheidung der Steuerbehörden vor Gericht mit der Begründung an, dass die betreffenden Waren im Sinne des Zollrechts nicht als Gemeinschaftswaren angesehen würden und daher auch nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuerregelung fallen dürften.
15. Die Klage der Profitube war in der ersten Instanz vor dem Krajský súd (Regionalgericht) Bratislava erfolgreich, das die Steuerbescheide aufhob. In der zweiten Instanz wurde diese Entscheidung jedoch vom vorlegenden Gericht Najvyšší súd (Oberster Gerichtshof) verworfen, das der Auffassung war, dass der Umsatz der Mehrwertsteuer unterliege.
16. Profitube legte hiergegen Rechtsmittel beim Ústavný súd (Verfassungsgerichtshof) ein, der die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aufhob und das Verfahren an diesen zurückverwies. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs hatte der Oberste Gerichtshof insbesondere verschiedene Vorschriften des slowakischen Rechts nicht angemessen berücksichtigt, denen zufolge das Zollrecht Vorrang vor dem Mehrwertsteuerrecht habe.
17. Daraufhin beschloss der Oberste Gerichtshof, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Findet - in einer Situation, in der in den Jahren 2005 und 2006 in ein im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union belegenes öffentliches Zolllager von einem Importeur dieses Mitgliedstaats Gegenstände mit Herkunft im Hoheitsgebiet eines Staates, der nicht der Europäischen Union angehört (Ukraine), eingeführt und anschließend in diesem Zolllager im Verfahren des aktiven Veredelungsverkehrs im Rahmen des Nichterhebungsverfahrens verarbeitet worden sind, wobei das Enderzeugnis, anstatt im Sinne von Art. 114 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 sofort wieder ausgeführt zu werden, in diesem Lager von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen an ein anderes Unternehmen dieses Mitgliedstaats verkauft worden ist, der es von diesem Zolllager aus nicht in den freien Verkehr übergeführt, sondern erneut einem Zolllagerverfahren unterworfen hat - auf diesen Verkauf von Gegenständen in diesem Zolllager stets und immer das Zollrecht der Gemeinschaft Anwendung, oder hat sich die Rechtslage durch den Verkauf so geändert, dass dieser Umsatz der Regelung der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 unterliegt, d. h., kann für die Zwecke der Mehrwertsteuerregelung im Sinne der Sechsten Richtlinie ein öffentliches Zolllager, das im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegen ist, als Teil des Gebiets der Gemeinschaften, insbesondere des Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats, im Sinne der Begriffsbestimmung in Art. 3 der Sechsten Richtlinie betrachtet werden?
2. Kann die vorstehend dargelegte Situation im Licht der Rechtsprechung zum Rechtsmissbrauch, die der Gerichtshof der Europäischen Union im Zusammenhang mit der Anwendung der Sechsten Richtlinie entwickelt hat (Urteil vom 21. Februar 2006, Halifax, C‑255/02), so beurteilt werden, dass die Rechtsmittelführerin mit der Lieferung der Gegenstände in dem im Hoheitsgebiet der Slowakischen Republik belegenen öffentlichen Zolllager bereits eine entgeltliche Lieferung von Gegenständen im Inland vorgenommen hat?
3. Falls die erste Frage in dem Sinne bejaht wird, dass der betreffende Umsatz der Regelung der Sechsten Richtlinie unterliegt, erfüllt dann dieser Umsatz den Steuertatbestand
a) im Zusammenhang mit der Fälligkeit der Steuer im Sinne von Art. 10 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie, indem eine Lieferung von Gegenständen in einem im Hoheitsgebiet der Slowakischen Republik gelegenen Zolllager stattgefunden hat, oder
b) soweit nach der Einfuhr der Gegenstände aus einem Drittland (Art. 10 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie) oder während deren Verbleib im Zolllager das Zollverfahren mit der Lieferung der eingelagerten Gegenstände an eine andere Person eines Mitgliedstaats abgeschlossen worden ist?
4. Wird den Zielen der Sechsten Richtlinie, die in deren Erwägungsgründen aufgeführt sind, insbesondere den Zielen des GATT (WTO), genügt, wenn eine Lieferung von Gegenständen, die aus einem Drittland in ein Zolllager eingeführt worden sind, sodann dort verarbeitet und an eine andere Person dieses Mitgliedstaats in einem Zolllager verkauft worden sind, das in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft belegen ist, nicht der Mehrwertsteuerregelung in diesem Mitgliedstaat unterworfen wird?
III - Würdigung
A - Zur Mehrwertsteuerpflicht (insbesondere zur ersten und zur dritten Frage)
18. Im Allgemeinen wird die Mehrwertsteuer auf einen Gegenstand bei seiner Einfuhr oder Lieferung geschuldet. Im vorliegenden Fall ist unstreitig keine Einfuhr gegeben, da sich die fraglichen Gegenstände im Zolllagerverfahren befinden. Eine etwaige Pflicht zur Zahlung der Mehrwertsteuer kann sich also nur auf das Vorliegen einer „Lieferung von Gegenständen" im Sinne der Sechsten Richtlinie gründen.
19. Genauer gesagt unterliegt eine Lieferung von Gegenständen im Allgemeinen der Mehrwertsteuer, wenn drei Bedingungen kumulativ erfüllt sind. Gemäß Art. 2 der Sechsten Richtlinie muss es sich erstens um eine entgeltliche Lieferung von Gegenständen handeln; zweitens muss sie von einem Steuerpflichtigen als solchem ausgeführt worden sein.
20. Drittens muss der Umsatz innerhalb des Gebiets der Union, wie es in Art. 3 der Sechsten Richtlinie definiert ist, bewirkt worden sein.
21. Im vorliegenden Fall steht für das vorlegende Gericht außer Frage, dass die ersten beiden Bedingungen erfüllt sind. Daher ist es nicht nötig, auf diese näher einzugehen. Der Verkauf erfolgte durch einen Steuerpflichtigen als solchen gegen Entgelt, und der Verkäufer übertrug dabei dem Erwerber die Befähigung, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen. Die Vorlagefragen sollen dagegen klären, ob auch die dritte Bedingung erfüllt ist. Nach der von der Rechtsmittelführerin im Ausgangsverfahren vertretenen Auffassung kann eine Ware, die dem Nichterhebungsverfahren unterliege und daher im Sinne des Zollrechts keine Gemeinschaftsware geworden sei, für die Zwecke der Mehrwertsteuer nicht als in das Gebiet der Union verbracht angesehen werden. Dagegen sind alle anderen Verfahrensbeteiligten, die im vorliegenden Fall Erklärungen abgegeben haben, der Auffassung, dass der Verkauf der Ware durch Profitube an Mercurius ein normaler wirtschaftlicher Umsatz sei, der der Mehrwertsteuer unterliege.
22. Die vom nationalen Gericht aufgeworfenen Fragen können zusammen behandelt werden, da ihnen ein und dasselbe Problem zugrunde liegt. Kommt man im Übrigen, wie im Folgenden, zu dem Ergebnis, dass die Sechste Richtlinie zur Zahlung der Mehrwertsteuer verpflichtet, erübrigt sich die Beantwortung der zweiten und der vierten Vorlagefrage.
23. Genau dies ist meine Meinung. Es muss Mehrwertsteuer entrichtet werden. Es gibt keine Vorschrift im Unionsrecht, die es erlaubt, den Verkauf von Waren, die einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterliegen - und in diesem verbleiben sollen -, von der Pflicht zur Entrichtung der Mehrwertsteuer auszunehmen.
24. Zunächst ist hervorzuheben, dass im Unionsrecht das Zollrecht und das Mehrwertsteuerrecht zwei grundsätzlich verschiedene Regelungsbereiche darstellen. Das heißt natürlich nicht, dass es keinerlei wechselseitigen Beziehungen zwischen ihnen gibt: Art. 16 der Sechsten Richtlinie regelt, wie dargestellt, z. B. eine Situation, in der sowohl zollrechtliche Bestimmungen als auch mehrwertsteuerrechtliche Bestimmungen zur Anwendung kommen. Klar muss jedoch sein, dass es sich um zwei Normengruppen handelt, die einerseits auf der gleichen hierarchischen Stufe des abgeleiteten Rechts stehen - so dass ein automatischer Vorrang der einen gegenüber der anderen ausgeschlossen ist - und die andererseits völlig unterschiedliche Zwecke verfolgen. Der Umstand, dass ein bestimmter Gegenstand im Zollrecht eine „Vorzugsregelung" genießt, bedeutet nicht, dass er automatisch auch für die Zwecke der Mehrwertsteuer eine Vorzugsbehandlung genießen muss und umgekehrt.
25. Sodann gehört ein Zolllager für die Zwecke der Mehrwertsteuer zweifelsohne zum Gebiet der Union. Die Sechste Richtlinie führt ausdrücklich die Teile des jeweiligen Gebiets der Mitgliedstaaten auf, in denen die Mehrwertsteuerregelung keine Anwendung findet. Die Zolllager gehören nicht dazu. Der Gerichtshof hatte in einer Rechtssache, die einige Berührungspunkte mit der vorliegenden aufweist, bereits Gelegenheit, festzustellen, dass für die Zwecke der Mehrwertsteuer ein Zolllager zum Gebiet der Union gehört(5). Allgemein gesehen zeigt die Rechtsprechung, dass die Vorschriften der Sechsten Richtlinie „mit unbedingter Verbindlichkeit für das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gelten"(6).
26. Folglich ist der Umstand, dass die im vorliegenden Sachverhalt übertragenen Gegenstände sich physisch in einem Zolllager befinden, für die Zwecke der Mehrwertsteuer unerheblich, wie es in diesem Zusammenhang auch unerheblich ist, dass die Gegenstände einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterliegen.
27. Im Übrigen sind die Zolllager auch nach dem Zollrecht Teil des Gebiets der Union. Der Umstand, dass die in ihnen befindlichen Gegenstände einen besonderen Zollstatus genießen können, was mit ihrer leichten Kontrollierbarkeit zusammenhängt, bedeutet keinesfalls, dass es sich um extraterritoriale Gebiete handelt: Sie sind nur, wie Art. 98 Abs. 2 des Zollkodex klarstellt, von den Zollbehörden zugelassene Orte, an denen Waren unter den festgelegten Voraussetzungen gelagert werden können.
28. Daraus folgt, dass ein Verkauf wie der vom Gericht des Ausgangsverfahrens zu prüfende eine Lieferung von Gegenständen innerhalb des Gebiets der Union darstellt, für die Mehrwertsteuer zu entrichten ist.
29. Die Richtigkeit dieser Auslegung wird meiner Auffassung nach unzweifelhaft auch durch Art. 16 der Sechsten Richtlinie bestätigt.
30. Wie bereits dargestellt, sieht diese Vorschrift nämlich vor, dass die Mitgliedstaaten bestimmte Umsätze von der Mehrwertsteuer befreien können, wozu auch die Lieferungen von Gegenständen gehören, die einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterliegen und nach der Übertragung weiterhin in einem solchen verbleiben. Das bedeutet, dass ein Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, einen Verkauf wie den in Rede stehenden nicht der Mehrwertsteuer zu unterwerfen(7). Wenn die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie Umsätze wie den in Rede stehenden von der Mehrwertsteuer befreien können, eine solche Befreiung aber nicht gewähren, steht außer Frage, dass die Mehrwertsteuer entrichtet werden muss. Es ergäbe keinen Sinn, die Möglichkeit einer Mehrwertsteuerbefreiung vorzusehen, wenn die allgemeine Regel nicht die Entrichtung der Abgabe wäre. Mit anderen Worten geht die Sechste Richtlinie davon aus, dass der Verkauf einer Ware, die einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren unterliegt, normalerweise der Mehrwertsteuer unterliegt und von dieser nur befreit sein kann, wenn die Mitgliedstaaten sich für eine solche Befreiung entscheiden.
31. Im vorliegenden Fall wird aus den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen deutlich, dass die Slowakei eine solche Befreiung nicht gewährt: Dies hat die slowakische Regierung ausdrücklich bestätigt. Selbstverständlich obliegt es aber dem nationalen Gericht, festzustellen, ob es innerstaatliche Bestimmungen gibt, die möglicherweise die in Art. 16 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen im nationalen Recht eingeführt haben.
B - Zur zweiten und zur vierten Vorlagefrage
32. Angesichts der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die zentrale Frage des vorlegenden Gerichts erübrigt sich die Prüfung der zweiten und der vierten Frage, die nur für den Fall gestellt sind, dass der Gerichtshof zu dem Ergebnis kommt, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Mehrwertsteuer nicht geschuldet ist.
IV - Ergebnis
33. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Najvyšší súd Slovenskej republiky vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:
Sofern ein Mitgliedstaat nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, eine Befreiung im Sinne von Art. 16 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage vorzusehen, ändert der Umstand, dass ein Verkauf Gegenstände betrifft, die in ein zollrechtliches Nichterhebungsverfahren und/oder ein Zolllagerverfahren übergeführt worden sind, nichts daran, dass dieser Verkauf der Mehrwertsteuer unterliegt.
1 - Originalsprache: Italienisch.
2 - Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der geänderten Fassung.
3 - Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der geänderten Fassung.
4 - Der Teil des Art. 28c, der Art. 16 geändert hat, wurde eingeführt durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG und zur Einführung weiterer Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer - Geltungsbereich bestimmter Steuerbefreiungen und praktische Einzelheiten ihrer Durchführung (ABl. L 102, S. 18).
5 -
Urteil vom 9. Februar 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑305/03, Slg. 2006, I‑1213, Randnr. 40). Der Gerichtshof hat dort festgestellt, dass die Befreiungsmöglichkeiten des Art. 16 der Sechsten Richtlinie „inländische Umsätze" betreffen.
6 - Urteil vom 29. März 2007, Aktiebolaget NN (C‑111/05, Slg. 2006, I‑2697, Randnr. 55).
7 - Es könnten Zweifel angemeldet und geltend gemacht werden, dass die Ausnahme des Art. 16 nur anwendbar sei, wenn im Fall der Lieferung von Gegenständen deren zollrechtlicher Status trotz der Übertragung unverändert bleibe, während die Gegenstände im vorliegenden Fall im Zeitpunkt der Übertragung vom Verfahren der aktiven Veredelung in das Zolllagerverfahren übergegangen seien. Ich bin dennoch der Auffassung, dass eine solche Auslegung nicht richtig wäre und dass der Übergang von einem Nichterhebungsverfahren in ein anderes eine Befreiung nicht ausschließt, sofern der betroffene Mitgliedstaat eine solche vorsieht.