FG Köln: Einkommensteuerschuld aufgrund gegen den Willen des Insolvenzverwalters ausgeübter selbstständiger Tätigkeit des Schuldners
FG Köln, Urteil vom 19.1.2011 - 7 K 3529/07
Sachverhalt
In der Sache ist streitig, ob Einkommensteuerschulden als Masseforderungen anzusehen sind.
Der Kläger klagt als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Beigeladenen. Auf Antrag des Beklagten wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beigeladenen mit Beschluss des Amtsgerichts A (Insolvenzgericht) vom 01.07.2002 eröffnet (Az.: ...). Der Beigeladene war bis zu diesem Zeitpunkt als Arzt tätig und erzielte hieraus Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Nach Insolvenzeröffnung führte der Beigeladene zunächst den Praxisbetrieb im Einvernehmen mit dem Kläger fort. Weil die Insolvenzgläubiger und auch der Insolvenzverwalter vermuteten, dass der Beigeladene laufende Einnahmen aus Privathonoraren seiner Patienten verschwieg, beschloss die Gläubigerversammlung mit Beschluss vom 29.01.2003, den Praxisbetrieb zu schließen, falls nicht bis zum 07.02.2003 die Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Kläger ausgeglichen werde. Da dies nicht erfolgte, wurde der Beschluss vom Kläger ab dem 08.02.2003 umgesetzt. Das Personal des Insolvenzschuldners wurde freigestellt und die Praxisräume wurden gekündigt. Der Kläger ließ sich zudem mit Hilfe eines Gerichtsvollziehers in die Räumlichkeiten einweisen. Die Patienten wurden, soweit deren Adressen bekannt waren, von der Praxiseinstellung unterrichtet. Der Beigeladene nahm die Praxisräume allerdings wieder in Besitz. Er erwirkte beim Insolvenzgericht mit Beschluss vom 15.04.2003 ein Pfändungsverbot hinsichtlich der in den Praxisräumen befindlichen Gegenstände (§ 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). In dem Beschluss ist ausgeführt, dass es dem Schuldner auch in einem Insolvenzverfahren unbenommen bleibe, selbst zu entscheiden, wie er seine Arbeitskraft einsetzen wolle, da diese nicht zur Insolvenzmasse gehöre.
In der Folgezeit führte der Beigeladene den Praxisbetrieb fort, rechnete mit den privat krankenversicherten Patienten direkt ab und vereinnahmte gegen den Widerstand des Klägers weiterhin die Honorare, ohne ihm deren Höhe mitzuteilen. Hinsichtlich der gesetzlich krankenversicherten Patienten rechnete der Beigeladene mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ab. Diese zahlte die Arzthonorare aber nicht an den Beigeladenen, sondern an den Kläger als Insolvenzverwalter, der die Beträge für die Insolvenzmasse auf dem Insolvenzanderkonto vereinnahmte. Vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2003 vereinnahmte der Beigeladene Privathonorare in Höhe von 95.307,92 EUR, während der Kläger (Insolvenzverwalter) 31.000,00 EUR für Leistungen bei gesetzlich Versicherten für die Insolvenzmasse vereinnahmte. Im Jahr 2004 vereinnahmten der Beigeladene 73.779,32 EUR und der Kläger 86.966,11 EUR. Betriebsausgaben sind im Jahr 2003 in Höhe von 70.142 € angefallen, die im Wesentlichen vom Beigeladenen aus den vereinnahmten Privathonoraren getragen wurden. Nach einer Summen- und Saldenliste des Insolvenzverwalters, die der Prozessbevollmächtigte des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung zu den Akten gegeben hat, sind im Rahmen des Insolvenzverfahrens bis zum 31.12.2010 Honorare des Beigeladenen in Höhe von ca. 1.000.000 EUR für die Insolvenzmasse vereinnahmt worden.
Nachdem der Kläger sich geweigert hatte, dem Beigeladenen für die Führung der Arztpraxis einen monatlichen Betrag zu überlassen, weil dieser weiterhin gesetzeswidrig die anfallenden Privathonorare für sich vereinnahme, wurden aufgrund eines am 31.05.2006 erfolgten informellen Gesprächs des Insolvenzrichters mit dem Kläger und dem Beigeladenen ab dem 01.06.2006 sämtliche Zahlungen der KV B, der Privatpatienten sowie aus den vom Beigeladenen erstellten Arztgutachten an den Kläger abgeführt. Nach Maßgabe des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 06.11.2006 (...) wurden notwendige Aufwendungen zur Führung der Arztpraxis in Höhe von 8.057,10 EUR monatlich als nachgewiesen angesehen. Diese wurden rückwirkend ab dem 01.06.2006, zunächst unter Berücksichtigung von Verrechnungen in verminderter Höhe und ab Oktober 2006 in voller Höhe, vom Kläger an den Beigeladenen ausgezahlt. Zusätzlich erhielt der Beigeladene aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts A vom 12.03.2007 (...) einen Monatsbetrag für den Unterhalt für sich und seine Familie in Höhe von 2.464,49 EUR, worin - entsprechend dem Antrag des Beigeladenen - 1.117,00 EUR für die Beiträge zur Ärzteversorgung enthalten waren. Diese hat der Beigeladene aber nicht entsprechend weitergeleitet.
Nachdem der Beigeladene für die Jahre 2003 und 2004 Einkommensteuererklärungen nebst vorläufiger Gewinnermittlungen eingereicht hatte, ließ der Beklagte diese durch den Kläger auf Vollständigkeit prüfen. Der Kläger hatte sich im Rahmen des Gesprächs beim Insolvenzgericht am 31.05.2006 u.a. auch dahingehend mit dem Beigeladenen geeinigt, dass dieser ihm alle Kontoauszüge überließ, auf denen die Geldeingänge der zurückliegenden 4 Jahre erfasst waren.
Am 17.11.2006 reichte der Kläger schließlich eine eigene, überarbeitete Gewinnermittlung für die Einkünfte des Beigeladenen aus selbständiger Arbeit ein, aus der sich für das Streitjahr 2003 ein Gewinn aus der Arztpraxis in Höhe von 90.758,76 € ergab.
Auf der Basis dieser Gewinnermittlung erließ der Beklagte am 21.12.2006 den Einkommensteuerbescheid 2003, in dem er antragsgemäß eine Zusammenveranlagung des Beigeladenen mit seiner Ehefrau durchführte und die Steuer auf 22.230 € festsetzte. Dabei erhöhte er den vom Kläger erklärten Gewinn um 3.681 € auf 94.439 €. Die Gewinnerhöhung ergab sich daraus, dass der Beklagte gemäß § 7g Abs. 5 EStG einen Zuschlag in Höhe von 3.681 € für eine aufgelöste 7g-Rücklage in Höhe von 30.678 € ansetzte. Zwischen den Beteiligten besteht in tatsächlicher Hinsicht Einigkeit darüber, dass von dem vom Beklagten angesetzten Gewinn ein Betrag in Höhe von 9.832 € (= 38/365 von 94.439 €) auf den Zeitraum vom 1.1.2003 bis 8.2.2003 entfällt, in dem der Beigeladene noch mit Genehmigung des Klägers freiberuflich als Arzt tätig war. Ansonsten erzielten der Beigeladene und seine Ehefrau keine eigenen positiven Einkünfte. Die Abweichungen von der Erklärung wurden in dem Einkommensteuerbescheid erläutert. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger und die Ehefrau des Beigeladenen die Nachzahlungsbeträge als Gesamtschuldner im Sinne von § 44 Abs. 1 AO schuldeten. Eine Bescheidausfertigung wurde der Ehefrau des Beigeladenen bekanntgegeben. Eine Ausfertigung des Bescheids, mit welcher die Einkommensteuer auf die Einkünfte des Beigeladenen aus selbständiger Tätigkeit als Masseschulden geltend gemacht wurde, wurde dem Kläger als Insolvenzverwalter übersandt.
Den gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch hat der Beklagte als unbegründet zurückgewiesen (Einspruchsentscheidung vom 28.08.2007).
Die hiergegen erhobene Klage begründet der Kläger damit, dass es sich bei den Einkommensteuerverbindlichkeiten, die im Zeitraum nach der Praxisstilllegung entstanden sind, nicht um Masseverbindlichkeiten handele.
Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO seien Masseverbindlichkeiten Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet würden. Verwalten im Sinne dieser Vorschrift setze stets ein willensgesteuertes Tun des Insolvenzverwalters voraus. Für die Frage, ob Steuerverbindlichkeiten aus der Masse zu bezahlen seien, komme es nicht entscheidend darauf an, ob die Steuerverbindlichkeiten Neuerwerb betreffen, der für die Insolvenzmasse vereinnahmt worden sei. Maßgeblich sei vielmehr, ob der Neuerwerb auf eine Handlung beziehungsweise auf ein willensgesteuertes Tun des Insolvenzverwalters zurückzuführen sei. Da eine durch den Willen des Insolvenzverwalters vermittelte Fortführung der Arztpraxis im Streitfall nach dem 8.2.2003 nicht mehr erfolgt sei, habe insoweit weder eine Handlung des Insolvenzverwalters noch eine Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgelegen. Schon deshalb könnten die Steuerverbindlichkeiten, die für die selbständige Tätigkeit des Beigeladenen ab dem 8.2.2003 entstanden seien, keine Masseverbindlichkeiten im Sinne dieser Vorschrift sein. Die von ihm - dem Kläger - verwaltete Insolvenzmasse könne nur insoweit für Steuermasseforderungen aufkommen, als für Rechnung der Masse eine Betriebsfortführung erfolgt und die Fortführung mit Wissen und Willen des Insolvenzverwalters betrieben worden sei. Dies sei in der insolvenzrechtlichen Literatur auch für die 2. Alternative des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ("in anderer Weise") anerkannt. Eine Masseschuld könne ohne ausdrückliche Ermächtigung zur Verpflichtung seitens des Insolvenzverwalters nicht entstehen. Der Schuldner könne die Insolvenzmasse nicht verpflichten (Daniel Maier, Die Insolvenz des Rechtsanwalts, 1. Aufl. 2008, S. 153 ff.). Daher wäre es widersprüchlich, auch Steuern von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO umfasst zu sehen, die nicht durch Verwaltung und Verwertung durch den Insolvenzverwalter, sondern durch eigenmächtiges Handeln des Schuldners entstanden seien. Ohne Ermächtigung des Verwalters dürfe der Schuldner die Masse weder verwalten noch verwerten oder verteilen.
Für die Richtigkeit dieser Überlegung spreche auch der Umstand, dass er - der Kläger - nicht sämtliche in der Steuererklärung 2003 erfassten Einkünfte auch tatsächlich erhalten habe, weil der Schuldner die von ihm erzielten Einkünfte nicht der Masse zugeleitet habe. Dies führe dazu, dass die Insolvenzgläubiger durch den Steuerbescheid nunmehr auch noch für Einkünfte Steuern zahlen sollen, die sie tatsächlich überhaupt nicht vereinnahmt hätten.
Soweit der Beklagte die Auffassung vertrete, dass die willentliche Vereinnahmung von Geldern eine Verwaltung der Insolvenzmasse im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstelle und deshalb im Bereich der Einkommensteuer zu Masseverbindlichkeiten führe, könne dem nicht gefolgt werden. Diese Vorschrift knüpfe ersichtlich nicht an die Vereinnahmung von Geldern an, sondern an die Ausführung von Geschäften. Vorliegend habe der Schuldner außerhalb des Insolvenzverfahrens Gewinne erzielt. Er sei als Insolvenzverwalter an den zugrundeliegenden Leistungen nicht beteiligt gewesen. Die Vereinnahmung der Arzthonorare, die von der Kassenärztlichen Vereinigung bezahlt worden seien, stelle auch keine konkludente Zustimmung zur Betriebsfortführung vor. Der Umstand, dass Einnahmen zur Insolvenzmasse einzuziehen seien, weil sie Neuerwerb darstellten, lasse nicht den Schluss zu, dass die aus der außerinsolvenzlichen Tätigkeit herrührenden Steuerschulden damit Masseverbindlichkeiten seien. Zur Vereinnahmung der Entgelte sei der Insolvenzverwalter nämlich gem. § 35 Alt.2 InsO i.d. Fassung des Streitjahres verpflichtet gewesen.
Der mit Wirkung zum 1.7.2007 durch das Insolvenzvereinfachungsgesetz vom 13. April 2007 (BGBl I 2007, 509) neu eingefügte Absatz 2 des § 35 InsO habe keinesfalls nur klarstellende Funktion. Hierzu werde insbesondere auf das Urteil des VG Niedersachsen vom 20.1.2010 (5 A 2615/08, ZinsO 2010, 917) verwiesen. Vertragsverhältnisse und damit auch Geschäftsbetriebe hätten vor der Einführung dieser Regelung nicht freigegeben werden können. Nach früherem und nach heutigem Recht stünden dem Schuldner zur Wahrnehmung der eigenen Arbeitskraft und der nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit die Pfändungsvorschriften gemäß §§ 811 ff., 850 ff. ZPO zur Seite. Die vom Beklagten angestellten verfassungsrechtlichen Überlegungen in Bezug auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs. 1 GG) zur Belastungsgleichheit und zur Gleichheit bei der Durchsetzung der Steuererhebung gingen daher ins Leere.
Der Kläger hatte zunächst beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 21.12.2006 aufzuheben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat er den Klageantrag eingeschränkt, soweit in dem Bescheid Einnahmen des Beigeladenen aus selbständiger Tätigkeit vom 1.1.2003 bis zum 8.2.2003 enthalten seien.
Der Kläger beantragt zuletzt,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28.8.2007 den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 21.12.2006 ihm gegenüber dahingehend zu ändern, dass nur noch ein Gewinn in Höhe von 9.832 € aus der selbständigen Tätigkeit des Beigeladenen vom 1.1.2003 bis zum 8.2.2003 der Besteuerung zugrundegelegt wird,
im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
Er bezieht sich auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend verweist er u.a. auf das BFH-Urteil vom 18.5.2010 (X R 60/08, BFH/NV 2010, 1685). Darin habe der BFH ausgeführt, dass zu den kraft Gesetzes entstehenden Masseverbindlichkeiten vor allem auch Steuerforderungen/ -verbindlichkeiten zählten, die nach Verfahrenseröffnung entstanden seien. Hierzu zählten nach Auffassung des BFH auch die Einkommensteuer, die aus fortbestehenden oder neu begründeten Arbeitsverhältnissen entstehe. Übe der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtige er, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, habe der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehöre und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten (§ 35 Abs. 2 Sätze 1 und 2 InsO i.d. F. des Insolvenzvereinfachungsgesetz vom 13.4.2007 BGBl I 2007, 509). Der BFH habe in dieser Entscheidung zudem festgestellt, dass Einkommensteuerschulden, die sich aus "echten" Gewinnen einer Personengesellschaft ergäben, unstreitig Masseverbindlichkeiten seien, weil der gegen die Gesellschaft gerichtete Gewinnanspruch unmittelbar der Insolvenzmasse zugute komme. Entsprechend müsse auch die Einkommensteuerschuld, die aus einer freiberuflichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners resultiere, "kraft Gesetzes" Masseverbindlichkeit werden, soweit die Tätigkeit zu einem Neuerwerb führe und die Masse vermehre. Neben den Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) seien gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auch die Verbindlichkeiten Masseverbindlichkeiten, die (1.) durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder (2.) in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet würden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Das Gesetz sehe also ausdrücklich vor, dass Masseverbindlichkeiten nicht nur durch Handlungen des Insolvenzverwalters entstehen könnten.
Der BFH habe in dem o.g. Urteil letztlich auch deutlich gemacht, dass die Regelung in § 35 Abs. 2 InsO i.d.F. des Insolvenzvereinfachungsgesetzes vom 13. April 2007 (BGBl I 2007, 509), wonach der Insolvenzverwalter dem Schuldner gegenüber zu erklären habe, ob Vermögen aus dessen selbstständiger Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehöre und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten, wenn der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit ausübe oder beabsichtige, lediglich klarstellende Funktion habe. Diese Grundsätze seien deshalb wie in dem vom BFH entschiedenen Fall auch im Streitfall anzuwenden, obwohl das Insolvenzverfahren vor 2007 eröffnet worden sei. Diese Auffassung entspreche auch der Gesetzesbegründung zum Insolvenzvereinfachungsgesetz, wonach dem neu eingefügten § 35 Abs. 2 InsO nur klarstellende Funktion zukomme.
Im Übrigen gebiete auch der allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art 3 Abs. 1 GG eine Klageabweisung. Es lasse sich nämlich kein sachliches Unterscheidungsmerkmal finden, das eine Ungleichbehandlung von Insolvenzschuldnern, die ihren Neuerwerb als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen und Insolvenzschuldnern, die ihren Neuerwerb mit selbständiger Tätigkeit erarbeiten, rechtfertige.
Der Insolvenzschuldner wurde auf Antrag des Beklagten mit Beschluss vom 26.3.2010 gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO zu dem Verfahren beigeladen.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen,
im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
Er macht geltend, es handele sich bei den im Verlaufe des Insolvenzverfahrens durch die Fortführung der Arztpraxis entstandenen Forderungen Dritter gegen ihn um sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO. In der Vermehrung der Masse liege eine Verwaltung der Insolvenzmasse. Davon sei jedenfalls bei einer Praxisfortführung, die Gewinne abwerfe, auszugehen. Dies ergebe sich sowohl aus Art. 12 Abs. 1 GG als auch aus der Gesetzesbegründung zum Insolvenzvereinfachungsgesetz. Er teile insoweit die Auffassung des Beklagten, wonach die Neuregelung in § 35 Abs. 2 InsO durch das Insolvenzvereinfachungsgesetzes lediglich klarstellende Funktion habe. Der Kläger habe als Insolvenzverwalter bis zum 31.12.2010 Honorare in Höhe von mehr als einer 1.000.000 € vereinnahmt. Bei den Honoraren handele es sich um Neuerwerb, der in die Insolvenzmasse falle, auch wenn die Betriebsführung vom Kläger nicht genehmigt worden sei. Dem Insolvenzschuldner von seinen Honoraren nichts zu belassen, ihn aber gleichwohl zur Zahlung von Einkommenssteuer zu verpflichten, sei unbillig. Das gelte jedenfalls für den Zeitraum bis zum 31.05.2006, in welchem ihm vom Verwalter keine Mittel überlassen worden seien, um die Praxiskosten zu bestreiten. Privatliquidationen würden nur ca. 15 % Prozent seines Umsatzes ausmachen, während sich die Praxiskosten auf 60 bis 75 % des Umsatzes beliefen. Der Kläger habe aber 85 % des Umsatzes an sich gezogen.
Aus den Gründen
Die Klage ist mit dem zuletzt gestellten Antrag in vollem Umfang begründet.
Der dem Kläger gegenüber ergangene Einkommensteuerbescheid 2003 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als die Einkommensteuer, die auf den Gewinn aus selbständiger Arbeit des Beigeladenen ab dem 8.2.2007 in Höhe von 84.606 € entfällt, als Masseverbindlichkeit geltend gemacht worden ist. Denn insoweit liegt keine Masseverbindlichkeit vor.
Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten solche Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) zu gehören. Die auf den vom Beigeladenen ab dem 8.2.2007 erzielten Gewinnen beruhende Einkommensteuer ist weder durch Handlungen des Klägers als Insolvenzverwalter begründet worden noch in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse.
1. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO - eine durch eine Handlung des Insolvenzverwalters begründete Masseverbindlichkeit - liegen nicht vor, weil der Insolvenzverwalter dem Schuldner die Fortführung der Praxis ab dem 8.2.2007 mit allem Nachdruck verweigert hatte. Er hat versucht, mit Zustimmung des Gläubigerausschusses die Praxis des Beigeladenen und damit dessen ärztliche Tätigkeit einzustellen. Der Beigeladene hat sich daran allerdings nicht gehalten, so dass die auf seiner Tätigkeit beruhende Einkommensteuer von ihm und nicht vom Kläger begründet worden ist.
2. Die Einkommensteuer 2003 ist, soweit sie auf den Zeitraum ab dem 8.2.2003 entfällt, auch nicht in anderer Weise (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse als Masseverbindlichkeit begründet worden.
Nach dem Wortlaut der Vorschrift müsste der Anspruch auf eine - wie auch immer geartete - Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein (vgl. BFH-Urteil vom 21.7.2009 VII R 49/08, BStBl II 2010, 13; Braun/Bäuerle, Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2007, § 55 Rz. 15). Hieran fehlt es im Streitfall.
Der Beigeladene hat seine Gewinne, auf denen der streitige Einkommensteueranspruch des Beklagten beruht, mit der Praxiseinrichtung erzielt, die vom Insolvenzgericht als nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar angesehen worden ist. Damit gehörte die Praxiseinrichtung nach § 36 InsO aber nicht zur Insolvenzmasse, so dass ihre Verwaltung bzw. Verwertung nicht zu Masseverbindlichkeiten führen kann. Der Beigeladene hat diese Gewinne zwar nicht nur mit der unpfändbaren Praxiseinrichtung, sondern auch mit seiner Arbeitskraft erzielt. Aber auch die Arbeitskraft gehört nach allgemeiner Auffassung nicht zur Insolvenzmasse (vgl. BFH-Urteil vom 21.7.2009 VII R 49/08, BStBl II 2010, 13; Beschluss des BGH vom 18. Dezember 2008 IX ZB 249/07, Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 2009, 204, unter II.2.b aa(3)). Dies gilt unabhängig davon, dass die daraus fließenden Einnahmen als sog. Neuerwerb (§ 35 Abs. 1 2. Halbsatz InsO; vgl. BFH-Urteile vom 18.5.2010 X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114, und vom 21. Juli 2009 VII R 49/08, BStBl II 2010, 13; BGH-Urteil vom 20.03.2003 IX ZB 388/02, DB 2003, 1507) in die Insolvenzmasse fließen.
Voraussetzung für die Begründung einer Masseverbindlichkeit "auf andere Weise" im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt 2 InsO wäre daher im Streitfall, dass der Insolvenzverwalter sich zumindest mit der Fortführung der Praxis einverstanden erklärt hätte (vgl. Urteil des VG Niedersachsen vom 20.1.2010, 5 A 2615/08, ZinsO 2010, 917; für Beiträge ausdrücklich Jarchow, Hamburger Kommentar für Insolvenzrecht, 2. A. 2007, § 55 Rdnr. 8; Tetzlaff, InsO 2005, 393, 396: lehnt sogar Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht ab; Onusseit, ZVI, 2009, 353, 356; Pape, NZI 2005, 141, 145; ders. in ZinsO 2002, 917, 920). Neben dem Wortlaut der Regelung ergibt sich dies auch rechtssystematisch daraus, dass die weiteren Regelbeispiele des § 55 Abs. 1 Nr. 1, Alt. 2 - Verwertung, Verteilung - ebenfalls (nur) durch den Insolvenzverwalter in Ausführung der Beschlüsse der Gläubigerversammlung bewirkt werden können. Uhlenbruck (InsO, Komm., 12. A., 2003, § 55, Rdnr. 27 ff) zählt zu den "in anderer Weise" entstandenen Masseverbindlichkeiten alle Verbindlichkeiten, die durch die Insolvenzverwaltung ausgelöst werden, z. B. Begleichung öffentlicher Lasten (Rdnr. 28), Aufwendungen für Massesicherungen, z. B. Prämie aus einer Feuerversicherung für Gebäude (Rdnr. 29), Aufwendungen für Beseitigung von Umweltlasten, Steuerschulden der Insolvenzverwaltung (Rdnr. 37), Hausbewirtschaftungskosten bei Wohnungseigentum (Rdnr. 38), gesetzliche Ansprüche aus Gefährdungshaftung (Rdnr. 42), Ansprüche, die aus Unterlassungen des Insolvenzverwalters entstehen, wenn eine Pflicht zum Handeln bestand (Rdnr. 44). All diese Beispiele zeigen, dass auch die "in anderer Weise" begründeten Verbindlichkeiten nur dann Masseverbindlichkeiten sind, wenn sie in einer irgendwie gearteten Weise auf die Verwaltung durch den Insolvenzverwalter zurückzuführen sind (so auch BFH-Urteil vom 21.7.2009 VII R 49/08, BStBl II 2010, 13; Urteil des VG Niedersachsen vom 20.1.2010, 5 A 2615/08, ZinsO 2010, 917).
Nach der im Streitjahr maßgeblichen Rechtslage erfüllt die (bloße) Duldung der selbstständigen Tätigkeit nicht das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse i. S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO (vgl. BFH-Urteile vom 18.5.2010 X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114, und vom 21. Juli 2009 VII R 49/08, BStBl II 2010, 13). Die Regelung in § 35 Abs. 2 InsO i.d.F. des Insolvenzvereinfachungsgesetzes vom 13. April 2007 (BGBl I 2007, 509, InsVereinfG), wonach der Insolvenzverwalter dem Schuldner gegenüber zu erklären habe, ob Vermögen aus dessen selbstständiger Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehöre und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten, wenn der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit ausübe, gilt erst für Insolvenzverfahren, die nach dem 30.6.2007 eröffnet wurden. Zwar konnte der Insolvenzverwalter schon vor Inkrafttreten des InsVereinfG aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach pflichtgemäßem Ermessen (§§ 80, 60 InsO) mit dem Schuldner vereinbaren, dass er ihm die für die Fortführung dieser Tätigkeit erforderlichen Mittel aus der bereits vorhandenen Insolvenzmasse oder aus den zukünftigen, gleichfalls zur Masse gehörigen Einkünften zur Verfügung stellt (vgl. BGH-Beschlüsse vom 30.9.2010 IX ZR 236/09, juris; vom 20. März 2003 IX ZB 388/02, ZInsO 2003, 413, NJW 2003, 2167). Entgegen der Ansicht des Beklagten hat § 35 Abs. 2 InsO i.d.F. des InsVereinfG allerdings nicht nur die bis dahin schon geltende Rechtslage klargestellt. Bis zum Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1.7.2007 war nämlich nur die Freigabe eines zur Masse gehörenden Gegenstandes möglich. Eine Erklärung des Verwalters dazu, ob Vermögen aus der selbständigen Tätigkeit des Schuldners zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können, war nicht vorgesehen und hätte keine unmittelbaren rechtlichen Wirkungen gezeitigt. Daraus, dass sie im Streitfall - vor Inkrafttreten des InsVereinfG - unterblieben ist, lassen sich deshalb auch keine rechtlichen Schlussfolgerungen ziehen (vgl. BGH-Beschluss vom 30.9.2010 IX ZR 236/09, juris). Da keine Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters gesetzlich geregelt war, konnte in dem bloßen Unterlassen solcher Vereinbarungen keine Verwaltungsmaßnahme liegen, die eine Masseverbindlichkeit entstehen ließ (vgl. BFH-Urteil vom 21.7.2009 VII R 49/08, BStBl II 2010, 13).
Eine andere Beurteilung ergibt sich insoweit nach Auffassung des Senats auch nicht aus der BFH-Entscheidung vom 18.5.2010 (X R 60/08, BFH/NV 2010, 1685). Der BFH hat zwar in diesem Urteil § 35 Abs. 2 InsO i.d.F. des InsVereinfG zitiert, obwohl das Insolvenzverfahren in dem zu entscheidenden Fall bereits 2003 eröffnet worden war und die Vorschrift daher nicht zur Anwendung kam. Gleichwohl lässt sich hieraus nicht ableiten, dass er dieser Regelung entgegen der zivilrechtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH-Beschluss vom 30.9.2010 IX ZR 236/09, juris) lediglich klarstellende Funktion beimisst (gegen eine nur klarstellende Regelung wohl auch FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.2.2010 2 K 90/08, EFG 2010, 883). Eine entsprechende Aussage des BFH findet sich in der Entscheidung nicht. Außerdem war diese Frage in dem vom BFH entschiedenen Fall auch nicht entscheidungserheblich. Das Urteil betraf nämlich einen Sachverhalt, bei dem es um die Zuordnung von Ertragsteuern ging, die auf einer Beteiligung des Schuldners an einer GbR beruhten, wobei diese Beteiligung unstreitig zur Insolvenzmasse gehörte. Für diese Konstellation folgerte der BFH, dass die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Steuerverbindlichkeit "in anderer Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse" begründet worden sei, weil sie ihre Ursache in der (zur Masse gehörenden) Beteiligung des Steuerpflichtigen an der GbR und der daraus resultierenden Teilhabe an deren Ergebnissen gehabt habe. Eine Aussage in Bezug auf den Streitfall, in dem die Honoraransprüche mit der Arbeitskraft des Beigeladenen und den nicht zur Insolvenzmasse gehörenden Praxisgegenständen erarbeitet wurden, lässt sich hieraus nicht ableiten. Im Übrigen hat der X. BFH-Senat in seiner Entscheidung in dem Verfahren X R 11/09 (BFH/NV 2010, 2114) - ebenfalls am 18.5.2010 - die Ausführungen des VII. BFH-Senats im Urteil vom 21.7.2009 (VII R 49/08, BStBl II 2010, 13) bestätigt, wonach selbst im Fall der (wissentlichen) Duldung der Geschäftsführertätigkeit durch den Insolvenzverwalter das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt.2 InsO nicht erfüllt ist.
Vor diesem Hintergrund lässt sich im Streitfall in Bezug auf die selbständige Tätigkeit des Beigeladenen und der daraus resultierenden Einkommensteuerschulden keine Verwaltungsmaßnahme des Klägers feststellen. Der Kläger hatte aufgrund der Entscheidung des Insolvenzgerichts keine Möglichkeit, die selbständige Tätigkeit des Beigeladenen zu unterbinden oder sonst zu beeinflussen. Der Beigeladene hat den Betrieb seiner Arztpraxis gegen den Willen des Insolvenzverwalters und des Gläubigerausschusses fortgesetzt.
Dass der Kläger in Bezug auf die Leistungen gegenüber Kassenpatienten einen erheblichen Teil der Vergütungsansprüche durch die Zahlungen der kassenärztlichen Vereinigung einziehen konnte, ändert an dieser Beurteilung nichts.
Die Einbeziehung der Einnahmen in die Insolvenzmasse rechtfertigte nämlich vor Inkrafttreten der im Streitfall noch nicht einschlägigen Regelung in § 35 Abs. 2 InsO i.d.F. des InsVereinfG nicht die vom Beklagten vertretene Gesamtbetrachtung der aus "dem Arbeitseinsatz" des Insolvenzschuldners resultierenden Ansprüche und Verbindlichkeiten (vgl. BFH-Urteil vom 21.7.2009 VII R 49/08, BStBl II 2010, 13; FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.2.2010 2 K 90/08, EFG 2010, 883; Urteil des OLG Köln vom 2.12.2009 11 U 85/09, juris;). Für Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit hat der BGH in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass es in vollem Umfang und nicht lediglich in Höhe des nach Abzug der Ausgaben verbleibenden Gewinns zur Insolvenzmasse gehört (vgl. BGH-Beschluss vom 18. Mai 2004 IX ZB 189/03, ZInsO 2004, 739, m.w.N.; BFH-Urteil vom 21.7.2009 VII R 49/08, BStBl II 2010, 13). Nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage können daher Verbindlichkeiten, die aus der selbstständigen Tätigkeit erwachsen sind, und damit auch Steuerschulden, sofern sie bei der Gewinnermittlung überhaupt berücksichtigt werden könnten, die Insolvenzmasse nicht mindern. Eine Bereicherung der Masse wäre vielmehr dadurch zu vermeiden gewesen, dass der Schuldner (Beigeladene) zur Deckung der durch seine Tätigkeit anfallenden Aufwendungen eine Erhöhung des pfändungsfreien Betrages nach § 850 i ZPO erwirkt hätte (vgl. Urteil des OLG Köln vom 2.12.2009 11 U 85/09, juris, m.w.N.).
Zu der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage wurde zwar auch die Ansicht vertreten, dass im Falle der Freigabe einer selbständigen Tätigkeit die vom Schuldner begründeten Schulden als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO anzuerkennen seien (so Schumacher in: Frankfurter Kommentar zur InsO, 5. Aufl., § 55 Rdn. 20 ff.). Dies hätte aber u.a. vorausgesetzt, dass der Insolvenzverwalter die aus dieser Tätigkeit fließenden Einnahmen vollständig zur Masse gezogen hätte (vgl. Urteil des OLG Köln vom 2.12.2009 11 U 85/09, juris, m.w.N.). Der Beigeladene hat in dem streitgegenständlichen Zeitraum dem Kläger als Insolvenzverwalter die Praxiseinahmen nicht abgeliefert und es diesem auch nicht ermöglicht, die Leistungen der Kassenpatienten ordnungsgemäß abzurechnen, mit der Folge, dass dieser nicht vollständig in den Besitz der entsprechenden Zahlungen gekommen ist. Auch wenn der Kläger Zahlungen der Kassenärztlichen Vereinigung einziehen konnte, ist davon auszugehen, dass aufgrund des Verhaltens des Beigeladenen in dem Streitjahr nicht sämtliche massezugehörigen Einnahmen zur Masse gelangt sind. Erst seit Juni 2006 fließen alle Zahlungen an den Kläger. In einem solchen Fall eigenmächtigen und unkooperativen Verhaltens des Schuldners kann eine Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht gerechtfertigt sein (so auch Urteil des OLG Köln vom 2.12.2009 11 U 85/09, juris, m.w.N.).
In diesem Sinne hat auch der BFH in seinem Urteil vom 18.5.2010 (X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114) zu der im Streitfall einschlägigen Rechtslage entschieden, dass die durch eine neue gewerbliche Tätigkeit des Insolvenzschuldners entstandene Ertragsteuer keine "in anderer Weise" nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründete Masseverbindlichkeit darstellt, wenn der Schuldner eine Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausübt und wenn die entsprechenden Erträge tatsächlich nicht zur Masse gelangen.
§ 35 InsO, wonach die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit des Beigeladenen unabhängig von der Billigung dieser Tätigkeit zur Insolvenzmasse zählen, definiert im Übrigen nur den Begriff der Insolvenzmasse. Ob eine Verbindlichkeit Masseverbindlichkeit ist, beurteilt sich ausschließlich nach § 55 InsO (vgl. BFH-Urteil vom 18.5.2010 X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114). Hieraus ergibt sich aber gerade nicht, dass bei Einnahmen, die nach § 35 InsO zur Insolvenzmasse zählen, die daraus resultierende Einkommensteuerschuld automatisch zur Masseverbindlichkeit wird.
Als Ergänzung hierzu regelt § 80 InsO die alleinige Herrschaftsbefugnis des Insolvenzverwalters über die Insolvenzmasse. § 81 InsO bestimmt, dass Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens absolut unwirksam sind (hierzu Braun/Kroth, InsO, 3. Aufl. 2007, § 81 Rn. 7). Hieraus leitet der Senat ab, dass es nicht in der Rechtsmacht des Schuldners stehen kann, am Insolvenzverwalter vorbei die Insolvenzmasse zu belasten. Dies gilt jedenfalls für den vorliegend zu beurteilenden Fall, dass der Kläger als Insolvenzverwalter nicht schuldhaft untätig geblieben ist, nachdem er die Aktivitäten des an der Insolvenzmasse vorbei tätigen Schuldners erkannt hat. Denn dies würde letztlich dazu führen, dass gerade der Schuldner für die ihm nicht mehr zugängliche Insolvenzmasse unkontrolliert weitere Schulden anhäufen könnte; bei diesem Verständnis des § 55 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. InsO würde der Zweck des Insolvenzverfahrens - die gleichmäßige Verteilung des Schuldnervermögens unter staatlicher Aufsicht und sachkundiger Begleitung durch einen Insolvenzverwalter - unterlaufen.
Eine "Mitverwaltung" der Insolvenzmasse durch den Insolvenzschuldner, wie der Beigeladene sie für rechtlich möglich erachtet und für sein Handeln beansprucht, widerspricht grundlegenden Prinzipien des Insolvenzrechts. Die Insolvenzmasse ist zwar kein rechtsfähiges Gebilde; der Gemeinschuldner ist rechtlich (weiterhin) Schuldner der Masseverbindlichkeiten, doch ist seine Schuldnerstellung vermittelt durch den Verwalter als Repräsentant der Masse, welche nach außen (allein) durch den Verwalter in Erscheinung tritt (Becker, Insolvenzrecht, 2. A., 2008, Rdnr. 273). Nicht dem Gemeinschuldner, sondern nur dem Insolvenzverwalter steht während des Insolvenzverfahrens das Recht auf Verwaltung des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens des Schuldners gemäß §§ 80, 81,148 InsO zu (Urteil des VG Niedersachsen vom 20.1.2010, 5 A 2615/08, ZinsO 2010, 917).
Zwar fällt die Arbeitskraft des Insolvenzschuldners unstreitig nicht in die Insolvenzmasse und damit auch nicht unter den Insolvenzbeschlag nach § 80 InsO. Der Schuldner kann vom Insolvenzverwalter nicht daran gehindert werden, außerhalb des Insolvenzverfahrens und außerhalb der Masse weiterhin unternehmerisch tätig zu werden (Becker, a.a.O., Rdnr. 197). Zu diesem Zwecke war dem Beigeladenen auf seine Erinnerung hin folgerichtig die Rumpfausstattung seiner Praxis gemäß § 36 Abs. 1 InsO i. V. m. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO vom Amtsgericht A zur weiteren Nutzung zugestanden worden (B. v 15.04.2003 - ... -, NJW-RR 2003, 987-989 und -juris-). Damit war aber keine - auch keine stillschweigende - Genehmigung des Insolvenzverwalters zur Praxisfortführung verbunden in dem Sinne, dass der Schuldner fortan Verbindlichkeiten für die Insolvenzmasse begründen konnte. Vielmehr stand der Praxisfortführung weiterhin der ausdrückliche und eindeutige Beschluss der Gläubigerversammlung vom 29.01.2003 über die Einstellung des Praxisbetriebes und die Verweigerungshaltung des Insolvenzverwalters im Hinblick auf die Genehmigung der Praxisfortführung entgegen.
Der Grundsatz, dass die Arbeitskraft des Insolvenzschuldners nicht in die Insolvenzmasse fällt und damit auch nicht dem Insolvenzbeschlag nach § 80 InsO unterliegt, andererseits aber der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, dessen aus der Arbeitskraft herrührende Einkünfte vollständig zur Insolvenzmasse zu ziehen, lässt sich nur auf den ersten Blick nicht miteinander in Einklang bringen. Dem Insolvenzschuldner wird dadurch die nachinsolvenzliche Betätigung nicht unmöglich gemacht. Er ist "nur" gehalten, rechtzeitig und ausreichend Anträge nach §§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, 850a, 850i ZPO an das Insolvenzgericht auf Pfandfreistellung zu stellen. Das ist zwar umständlich, aber nicht unmöglich (Onusseit, a.a.O., 356). Er kann beantragen, dass ihm von seinem durch Vergütungsansprüche gegen Dritte erzielten Einkünften ein pfandfreier Anteil belassen wird (BGH, B. v. 20.03.2003, a.a.O., vgl. auch Leits. 3; B. v. 05.04.2006, a.a.O., insb. auch Leits. 3). Zudem hat er die Möglichkeit, gemäß § 100 InsO zu beantragen, dass die Gläubigerversammlung aus der Insolvenzmasse Unterhalt für ihn und seine Familie gewährt.
Soweit sich der Beigeladene für seine abweichende Rechtsauffassung auf Art. 12 Abs. 1 GG und auf die Gesetzesbegründung zum Insolvenzvereinfachungsgesetz vom 13.04.2007 (a.a.O.) beruft, ergibt sich hieraus keine andere Beurteilung (vgl. auch Urteil des OLG Köln vom 2.12.2009 11 U 85/09, juris).
Die von ihm zitierten Sätze der Gesetzesbegründung lauten (BT-Drs. 16/3227, 17):
"Der Insolvenzverwalter hat abzuwägen, ob der Behalt des Neuerwerbs in der Masse für diese vorteilhaft ist. In diesem Falle hat er alle mit dem Neuerwerb in Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten zu erfüllen."
Damit ist, wie in dem Absatz zuvor erläutert, lediglich gemeint, dass der Verwalter prüfen muss, ob er die Fortführung der Tätigkeit duldet. Die diesem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachlage, nämlich dass der Weiterbetrieb gegen seinen Willen erfolgt, ist nicht Gegenstand der Begründung des Gesetzesentwurfs (vgl. Urteil des VG Niedersachsen vom 20.1.2010, 5 A 2615/08, ZinsO 2010, 917). Zudem hat der Bundesrat den Ausführungen der Bundesregierung, wonach die Neuregelung lediglich klarstellende Funktion habe, auch widersprochen (BT-Drs. 16/3227, 24). Die von ihm vorgeschlagene klarstellende Regelung: "Verbindlichkeiten aus einer nicht nach § 35 Abs. 2 aus der Masse freigegebenen selbstständigen Erwerbstätigkeit des Schuldners während des laufenden Insolvenzverfahrens sind Masseverbindlichkeiten", hat die Bundesregierung im Übrigen mit folgender Begründung abgelehnt (BT-Drs. 16/3227, 27): "Zudem qualifiziert Satz 3 die durch den Schuldner begründeten Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten um. Dies entspricht nicht der Systematik des Gesetzes: Masseverbindlichkeiten entstehen im Insolvenzverfahren kraft Gesetzes (§ 54 InsO) oder werden durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter bzw. die Verwaltung oder Bereicherung der Masse begründet (§ 55 InsO). Der Schuldner selbst kann wegen des Entzugs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 InsO keine Masseverbindlichkeiten begründen." Das entspricht der vom erkennenden Senat vertretenen Rechtsauffassung.
Art. 12 Abs. 1 GG ist schon deshalb nicht verletzt, weil dem Insolvenzschuldner - wie ausgeführt - die außerinsolvenzliche Verwendung seiner Arbeitskraft mit unpfändbaren Gegenständen (§ 36 Abs. 1 InsO) unter Pfandfreistellung der laufenden Betriebskosten und Pfandfreistellung seines Unterhalts möglich ist (vgl. Urteil des VG Niedersachsen vom 20.1.2010, 5 A 2615/08, ZinsO 2010, 917).
Auch der vom Beklagten geltend gemachte Verstoß gegen Art 3 GG liegt nicht vor, weil durch die Auslegung des § 55 InsO, wie sie der erkennende Senat im Anschluss an die höchstrichterliche Zivil- und Finanzgerichtsrechtsprechung vornimmt, nicht dazu führt, dass vergleichbare Sachverhalte ungleich behandelt werden (vgl. insoweit auch das Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 24.2.2010 2 K 90/08, EFG 2010, 883, wonach auch die durch eine nach Insolvenzeröffnung ausgeübte nichtselbständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners begründete Einkommensteuerverbindlichkeiten keine Masseverbindlichkeiten darstellen).
Der Senat hat gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten die Ermittlung des Steuerbetrages übertragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Der Kläger war zwar mit seinem zuletzt in der mündlichen Verhandlung gestellten - eingeschränkten - Antrag in vollem Umfang erfolgreich. Ihm waren aber gleichwohl ein Teil der Kosten aufzuerlegen, weil er mit dem ursprünglichen Antrag nur zum Teil obsiegt hätte. Der Senat berücksichtigt dies bei der einheitlichen Kostenentscheidung und sieht davon ab, im Hinblick auf die Streitwertminderung im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Kosten für verschiedene Zeitabschnitte getrennt in unterschiedlichen Quoten zu verteilen.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren der unterliegenden Partei nach § 139 Abs. 4 FGO nicht aufzuerlegen, weil der Beigeladene lediglich einen formalen Klageabweisungsantrag gestellt hat, der keine zusätzlichen Kosten verursacht hat und damit für den Beigeladenen nicht mit einem Prozesskostenrisiko gemäß § 135 Abs. 3 FGO verbunden war (vgl. BFH-Urteil vom 8.11.200o (I R 1/00, BStBl II 2001, 769, m.w.N.)
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr.10, 711 S.1 ZPO.
Die Revisionszulassung folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.