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Steuerrecht
28.04.2022
Steuerrecht
FG Niedersachsen: Dem Steuerpflichtigen steht grundsätzlich ein Anspruch auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren zu; die DSGVO findet auch auf direkte Steuern Anwendung

FG Niedersachsen, Urteil vom 18.3.2022 – 7 K 11127/18

ECLI:DE:FGNI:2022:0318.7K11127.18.00

Volltext BB-Online BBL2022-979-5

Amtliche Leitsätze

1. Aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und dem nunmehr in Art. 41 II lit. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) ausdrücklich verankerten Recht auf Gehör folgt grundsätzlich ein Akteneinsichtsrecht, welches die Finanzbehörde mit dem Schutz Dritter und ihrem Ermittlungsinteresse sowie ihrem Verwaltungsaufwand abzuwägen hat.

2.Die Bestandskraft des Steuerbescheides steht dem Akteneinsichtsrecht hierbei nicht grundsätzlich entgegen.

3. Die DSGVO ist im Bereich der Steuerverwaltung auch bei der Verwaltung der direkten Steuern anwendbar.

4. Dem Steuerpflichtigen steht ein Anspruch auf Auskunft nach Art. 15 DSGVO zu. Die konkrete Ausgestaltung liegt im Ermessen der Finanzbehörde.

5. Die Gewährung von Akteneinsicht kann sich als die zweckmäßigste Form der Auskunftserteilung erweisen.

Revision zugelassen

Art 15 EUV 2016/679, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 3 GG

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darum, ob die Kläger einen Anspruch auf Akteneinsicht in die für sie beim Beklagten für das Jahr 2015 geführte Einkommensteuerakte und ob sie insoweit einen Anspruch auf Auskunftserteilung nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) haben.

Die Einkommensteuererklärung 2015 wurde von der Steuerberatung X (früherer Steuerberater) für die Kläger eingereicht. Der Bescheid wurde an den früheren Steuerberater bekanntgegeben und ist bestandskräftig.

Mit Schriftsatz vom 10. April 2018 beantragten die Kläger bei dem Beklagten Akteneinsicht in ihre Einkommensteuerakte. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 4. Mai 2018 ab. Den Einspruch der Kläger hiergegen wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2018 als unbegründet zurück.

Die Abgabenordnung (AO) enthalte, anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) und § 147 der Strafprozessordnung (StPO), für welche das Verwaltungsverfahren einen Anspruch auf Gewährung von Einsicht in die Verfahrens- und Ermittlungsakten vorsehe, keine derartige Regelung im steuerlichen Verwaltungsverfahren. Ein solches Einsichtsrecht sei weder aus § 91 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) und dem hierzu ergangenen AO-Anwendungserlass (AEAO) der Verwaltung Nr. 4 noch aus § 364 AO und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten. Der Steuerpflichtige habe jedoch ein Recht darauf, dass die Finanzbehörde über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht während eines Verwaltungsverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen entscheide.

Der Steuerpflichtige müsse im Rahmen seines Antrags auf Akteneinsicht sein berechtigtes Interesse darlegen, wobei sein Gesuch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gegenstand des steuerlichen Verfahrens stehen müsse.

Ein berechtigtes Interesse könne bei einem Beraterwechsel vorliegen, soweit nur im Wege der Akteneinsicht Besteuerungsvorgänge nachvollzogen oder durch Fotokopie wichtiger Unterlagen die Grundlagen für die Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten erfüllt werden könnten.

Vorliegend sei der frühere Steuerberater für die Einkommensteuerveranlagung 2015 einschließlich der Entgegennahme der Bescheiderteilung bevollmächtigt gewesen. Für die Änderungen der Höhe des Gewinns hinsichtlich der selbständigen Tätigkeit der Ehefrau im Vergleich zum erklärten Gewinn sei dem damaligen Bevollmächtigten zuvor rechtliches Gehör gewährt worden, was auch den Klägern gegenüber wirke. Die diesbezüglichen Abweichungen seien im Erläuterungsteil des Einkommensteuerbescheides 2015 dem Grunde und der Höhe nach derart detailliert dargelegt, dass dieser Besteuerungsvorgang bereits aus dem Erläuterungsteil nachvollzogen werden könne. Einer Akteneinsichtnahme bedürfe es insoweit nicht.

Des Weiteren könne aufgrund der Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte nur für das Einkommensteuerverfahren 2015 von den Klägern bevollmächtigt worden und dies zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, in welchem bereits Bestandskraft hinsichtlich des Einkommensteuerbescheides 2015 vom 19. Februar 2018 eingetreten gewesen sei und eine andere Steuerberaterin als der Prozessbevollmächtigte zur Erstellung der Einkommensteuererklärung 2016 seitens der Kläger beauftragt worden sei, nicht davon ausgegangen werden, dass der Antrag auf Akteneinsichtnahme in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gegenstand des steuerlichen Verfahrens gestellt worden sei, um einen Besteuerungsvorgang nachvollziehen zu können. Ansonsten hätte der Prozessbevollmächtigte zur Erstellung der Einkommensteuererklärung 2016 seitens der Kläger beauftragt werden müssen, um durch die begehrte Akteneinsichtnahme gegebenenfalls Rückschlüsse aus den gekürzten Betriebsausgaben des Jahres 2015 für Folgejahre ziehen zu können.

Eine Einsicht in die Steuerakten zum Zwecke der Prüfung, ob Regressmöglichkeiten (welcher Art auch immer) bestehen würden, komme nicht in Frage, da es an einem inneren Zusammenhang mit dem Verwaltungsverfahren und damit an einem berechtigten Interesse der Kläger fehle.

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen sei aufgrund der bereits eingetretenen Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides 2015 vom 19. Februar 2018 vorliegend eine Ermessensreduzierung gen Null gegeben. Die Ausübung der Ermessensentscheidung hinsichtlich des vorliegenden Antrages auf Akteneinsicht sei aufgrund der Bestandskraft derart eingeschränkt, dass nur eine Ablehnung des Antrages auf Akteneinsicht in Betracht komme. § 91 Abs. 1 AO sehe vor, dass vor Erlass eines Verwaltungsaktes, der in die Rechte eines Steuerpflichtigen eingreife, diesem Gelegenheit gegeben werde, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Da der zugrundeliegende Einkommensteuerbescheid 2015 bereits bestandskräftig sei, komme eine Anhörung der Kläger nach dem Zeitpunkt der Bestandskraft nicht mehr in Betracht. Dem Antrag auf Akteneinsicht als Ausfluss des Anhörungsrechtes könne daher nicht stattgegeben werden.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Klage vom 29. Mai 2018.

Unter dem 23. September 2019 beantragten die Kläger beim Beklagten unter Berufung auf Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 2 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) die Einsicht in dieselbe Einkommensteuerakte. Das Beklagte lehnte auch diesen Antrag mit Bescheid vom 9. Oktober 2019 mit Hinweis auf das Steuergeheimnis Dritter sowie auf den Ausnahmetatbestand des § 32c Abs. 1 Nr. 3a AO ab.

Hiergegen haben die Kläger gesondert unter dem 11. November 2019 Klage erhoben. Das Verfahren war bei dem 12. Senat unter dem Aktenzeichen 12 K 213/19 anhängig.

Mit Urteil vom 28. Januar 2020 hat der 12. Senat die Klage abgewiesen, da weder die DSGVO noch § 2a AO unmittelbar oder analog einen Anspruch auf Akteneinsicht verleihen würden.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Juni 2021, der als Urteil wirkt (Aktenzeichen II R 15/20) hat der Bundesfinanzhof (BFH) das Urteil 12 K 213/19 aufgehoben und an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Durch Präsidiumsbeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 11. Januar 2022 wurde der 7. Senat für das Klageverfahren mit dem seinerzeitigen Aktenzeichen 12 K 213/19 (2. Rechtsgang) für zuständig erklärt. Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 7 K 20/22 geführt.

Mit Beschluss vom 21. Februar 2022 hat der Senat die Verfahren 7 K 11127/18 und 7 K 20/22 verbunden; die Verfahren werden unter dem Aktenzeichen 7 K 11127/18 fortgeführt.

In der Sache machen die Kläger geltend, dass beabsichtigt sei, den früheren Steuerberater gegebenenfalls auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen. Voraussetzung hierfür sei, dass im Rahmen der Steuerfestsetzung Fehler gemacht worden seien. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung seien offenbar Rückfragen aufgetreten, die der frühere Steuerberater nur unzureichend beantwortet habe. Dies sei jedenfalls dem Erläuterungstext des Bescheides zu entnehmen. Es sei unerheblich, ob dem früheren Steuerberater seinerzeit rechtliches Gehör gewährt worden sei. Für die Kläger sei entscheidend, den Besteuerungsvorgang aktuell nachvollziehen zu können.

Der Beklagte müsse im Rahmen der Ausübung des Ermessens nach § 5 AO die Interessen der Finanzverwaltung einerseits und die berechtigten Belange des Steuerpflichtigen andererseits gegeneinander abwägen. Auf Beklagtenseite sei damit im Wesentlichen das Interesse der Finanzverwaltung an einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang zu berücksichtigen. Insofern sei nicht ansatzweise ersichtlich, dass der ordnungsgemäße Geschäftsgang der Beklagten durch die Akteneinsicht der Kläger gestört werden würde, bzw. die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung beeinträchtigt wäre. Dies werde bezeichnenderweise nicht einmal von Beklagtenseite behauptet. Nach § 78 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bestehe für finanzgerichtliche Verfahren ohnehin ein Anspruch auf Akteneinsicht und es sei nicht sinnvoll, den Beteiligten wegen seines Akteneinsichtsgesuches in den Steuerprozess zu treiben.

Den Klägern stehe weiterhin ein Anspruch auf Akteneinsicht nach Art. 15 Abs. 1 Halbsatz 2, Abs. 2 DSGVO zu. Denn ab dem 25. Mai 2018 bestehe für alle Steuerpflichtigen grundsätzlich ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht nach der DSGVO bei der Finanzbehörde. Es sei unerheblich, dass das Akteneinsichtsrecht nicht ausdrücklich in der DSGVO geregelt worden sei. Ein solcher Anspruch ergebe sich aus der Vorschrift selber, wonach ein Auskunftsanspruch über sämtliche verarbeiteten personenbezogenen Daten existiere. Auch sei der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO nicht nach Art. 2 Abs. 2 DSGVO ausgeschlossen. Zwar gelte die Verordnung grundsätzlich nur für die Verarbeitung personenbezogener Daten im Anwendungsbereich des Unionsrechts, was bei nicht harmonisierten Steuern wie der Einkommen- oder Körperschaftsteuer zweifelhaft sei. Jedoch solle die DSGVO nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder zugunsten der Betroffenen entgegen der Gesetzeslage für sämtliche Steuerarten anwendbar sein. Dies lasse sich dem entsprechenden BMF-Schreiben vom 12. Januar 2018, BStBl. I 2018, 185 (Rz. 3 und 22) entnehmen. Darüber hinaus bestehe ein Anspruch der Kläger auf Informationszugang aus der Selbstbindung der Verwaltung. Hierbei handele es sich auch nicht um eine Ermessensentscheidung der jeweiligen Finanzbehörde.

Der Beklagte könne sich auch nicht auf Ausnahmetatbestände berufen. Es stelle sich bereits die Frage, welche „Daten“ des früheren Steuerberaters im Streitfall zu schützen seien. Denn es handele sich bei dieser Kanzlei um die ehemaligen Steuerberater der Kläger, die insofern auch lediglich die Daten der Kläger, nicht jedoch ihre eigenen Steuerdaten übermittelt hätten. Die Berufung auf das Steuergeheimnis in § 30 AO gehe überdies fehl, weil es sich bei Geheimhaltungsvorschriften gerade nicht um die Regelung über den Zugang zu amtlichen Informationen handele, sondern um eine Regelung zu dessen Begrenzung. Über einen Anspruch des Steuerpflichtigen gegenüber der Finanzbehörde auf Mitteilung der über ihn gespeicherten Daten besage diese Vorschrift nichts. Auch würden die personenbezogenen Daten der Kläger selbstverständlich nicht ausschließlich aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften gespeichert. Denn der Einkommensteuerbescheid 2015 sei nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig ergangen, sodass vorliegend nicht ausschließlich Aufbewahrungsvorschriften entsprochen werde. In diesem Zusammenhang komme es auch nicht entscheidend darauf an, ob der Einkommensteuerbescheid 2015 vom 19. Februar 2018 bereits bestandskräftig gewesen sei, als die Kläger einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt hätten. Denn insoweit bestehe unter anderem eine Korrekturmöglichkeit bzw. –verpflichtung nach § 153 AO. Hierzu sei allerdings ebenfalls Einsicht in die Einkommensteuerakte erforderlich.

Die Kläger beantragen (sinngemäß),

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 4. Mai 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2018 und des Ablehnungsbescheids vom 9. Oktober 2019 den Beklagten zu verpflichten, ihnen Einsicht in die Einkommensteuerakte des Veranlagungszeitraums 2015 zu gewähren und den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO zu erfüllen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Verweis auf die Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2018 und den Ablehnungsbescheid vom 9. Oktober 2019 trägt der Beklagte ergänzend vor, dass der Einkommensteuerbescheid 2015 bereits vor der Antragstellung auf Akteneinsicht bestandskräftig geworden sei. Zudem trage die Vertreterin der Kläger vor, dass die Akteneinsicht ausschließlich begehrt werde, um gegebenenfalls Schadenersatzansprüche gegen den vormaligen Steuerberater geltend machen zu können. Der Antrag auf Akteneinsicht stehe somit nicht unmittelbar in Zusammenhang mit dem Gegenstand eines steuerlichen Verfahrens, weshalb eine Akteneinsichtnahme nicht in Betracht komme. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht scheitere bereits daran, dass das Verwaltungsverfahren mit der bestandskräftigen Steuerfestsetzung abgeschlossen sei. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Beklagte seinem Interesse an einer grundsätzlich bestehenden Geheimhaltung der Akten während des Verwaltungsverfahrens den Vorrang gegenüber dem Interesse des Steuerpflichtigen an der Beschaffung von Erkenntnissen für einen Regressprozess eingeräumt habe. Ebenso wie beim Anspruch nach § 364 AO gehe es auch bei dem Akteneinsichtsrecht um die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs der Verfahrensbeteiligten. Nach Abschluss des Verfahrens fehle es dem für dieses Verfahren erforderlichen Interesse an der Kenntnis der Unterlagen. Aus der bestehenden abgabenrechtlichen "Sonderverbindung" resultiere keine Treuepflicht zur Unterstützung verfahrensfremder Zwecke.

Auch aus der seit dem 25. Mai 2018 gültigen DSGVO ergebe sich vorliegend kein Anspruch der Kläger auf Akteneinsicht. Insoweit greife zunächst der Ausnahmetatbestand nach Art. 23 Abs. 1 Buchstabe i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 30 AO, da Daten dritter Personen, vorliegend die Daten des früheren Steuerberaters nach § 30 AO zu schützen seien. Im Falle der Geltendmachung von Regressansprüchen gegen den früheren Steuerberater durch die Kläger werde dieser zu einem Dritten i.S.d. § 30 AO. Dementsprechend unterlägen die Daten des früheren Steuerberaters dem Steuergeheimnis nach § 30 AO.

Darüber hinaus greife auch der Ausnahmetatbestand des § 32c Abs. 1 Nr. 3a AO im Streitfall, da die personenbezogenen Daten in Form der streitbefangenen Unterlagen aufgrund der bereits eingetretenen Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides 2015 nur deshalb gespeichert (bzw. aufbewahrt) würden, weil sie aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht (bzw. vernichtet) werden dürften.

Der Bevollmächtigte hat am 21. Juni 2018 Akteneinsicht beim Beklagten genommen. Die Akteneinsicht wurde nicht hinsichtlich des vollständigen Akteninhalts für das Jahr 2015 gewährt. Dem Bevollmächtigten wurde lediglich der Akteninhalt ab dem Zeitpunkt des Antrages auf Akteneinsicht (Eingang beim Finanzamt am 11.04.2018) vorgelegt.

Der Beklagte hat dem Gericht ebenfalls nur die Akte ab dem Zeitpunkt des Antrages auf Akteneinsicht übersandt.

Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens wird auf den Inhalt der dem Gericht vorgelegten Akten, der gewechselten Schriftsätze, auch zum (vormaligen) Aktenzeichen 7 K 20/22 und zum Inhalt der Akte des Verfahrens zum Aktenzeichen 12 K 213/19 Bezug genommen.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die mündliche Verhandlung verzichtet.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 4. Mai 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 2018 und der Ablehnungsbescheid vom 9. Oktober 2019 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

I. Der Beklagte hat ermessensfehlerhaft den Akteneinsichtsantrag vom 10. April 2018 abgelehnt.

Die AO enthält - anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des VwVfG und § 147 StPO - keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Der Gesetzgeber hat ein allgemeines Akteneinsichtsrecht im Steuerverwaltungsverfahren für nicht praktikabel gehalten, weil diesem Gesichtspunkte des Schutzes Dritter und das Ermittlungsinteresse der Finanzbehörden sowie der Verwaltungsaufwand der Finanzbehörde entgegenstünden, die vor jeder Akteneinsicht zu prüfen hätte, ob ein Geheimhaltungsinteresse Dritter beeinträchtigt sein könnte und dann das gesamte Kontrollmaterial, behördeninterne Vermerke und Anweisungen und Ähnliches aus den Akten zu entfernen hätte (BT-Drucks 7/4292, S. 24 f.).

Ein solches allgemeines Einsichtsrecht ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH weder aus § 91 Abs. 1 AO noch aus § 364 AO abzuleiten.

Gleichwohl geht der BFH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter jedenfalls ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zusteht, weil die Behörde nicht gehindert sei, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren (BFH Urteile vom 6. August 1965, VI 349/63 U, BStBl. III 1965, 675 und vom 7. Mai 1985, VII R 25/82, BStBl. II 1985, 571 sowie BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 1993, VIII B 121/92, BFH/NV 1994, 311; vom 26. Mai 1995, VI B 91/94, BFH/NV 1995, 1004 und vom 8. Juni 1995, IX B 168/94, BFH/NV 1996, 64). Grundlage dieses Anspruchs ist das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. BFH-Urteile vom 19. März 2013, II R 17/11, BStBl. II 2013, 639, und vom 5. Oktober 2006, VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243).

Der Anspruch des Einsichtssuchenden auf fehlerfreie Ermessensentscheidung ist gewahrt, wenn die Behörde im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat (BFH-Beschluss vom 04. Juni 2003, VII B 138/01, BStBl. II 2003, 790).

Das Gericht kann eine solche behördliche Ermessensentscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 102 FGO nur daraufhin überprüfen, ob die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat, die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder dieses Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt hat (BFH-Urteil vom 6. November 2012, VII R 72/11, BStBl. II 2013, 141).

Der Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Stapperfend in Gräber, Kommentar zur FGO, 9. Auflage 2019, § 102 Rz 13 m.w.N.); vorliegend der Erlass der Einspruchsentscheidung am 25. Mai 2018, als Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens.

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat der Beklagte die begehrte Akteneinsicht zu Unrecht angelehnt.

Gemäß Artikel 99 Nr. 2 DSGVO gilt die DSGVO ab dem 25. Mai 2018. Dies ist auch der Tag der letzten Verwaltungsentscheidung. In der Einspruchsentscheidung hat der Beklagte die Regelungen der DSGVO nicht berücksichtigt. Deren Regelungen waren jedoch bei der Ausübung des Ermessens in die Ermessenserwägungen mit einzubeziehen. Ob ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht, ist „unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten“ zu prüfen (so die Ausführungen des BFH im Gerichtsbescheid bzw. Urteil vom 8. Juni 2021 II R 15/20 zur Entscheidung im vorliegenden Verfahren 12 K 213/19). Der Beklagte hat insoweit sein Ermessen nicht in dem gebotenen Umfang ausgeübt. Die Einspruchsentscheidung ist daher bereits aus diesem Grund ermessensfehlerhaft.

Weiterhin hat der Beklagte auch im Übrigen ermessensfehlerhaft entschieden. In seiner Ermessensentscheidung hat er die Interessen der Kläger gegen seine Interessen abzuwägen.

Aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und dem nunmehr in Art. 41 II lit. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) ausdrücklich verankerten Recht auf Gehör (Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO, Rn. 1, 27) folgt grundsätzlich ein Akteneinsichtsrecht, welches die Finanzbehörde mit dem Schutz Dritter und ihrem Ermittlungsinteresse sowie ihrem Verwaltungsaufwand abzuwägen hat (BTDrucks 7/4292, S. 24 f.).

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Rechtsgüter steht dem Steuerpflichtigen zur Überzeugung des Senats daher ein grundsätzliches Recht auf Akteneinsicht zu. Sein Interesse an der Akteneinsicht dokumentiert der Steuerpflichtige bereits dadurch, dass er ein Akteneinsichtsgesuch an die Finanzbehörde richtet. Etwas Anderes gilt bei erkennbar missbräuchlich gestellten Akteneinsichtsgesuchen.

Eine ausreichende Abwägung mit den Interessen der Finanzbehörde hat der Beklagte nicht vorgenommen. Auch deshalb ist die Entscheidung ermessensfehlerhaft.

Zur Überzeugung des Senats ist das Akteneinsichtsrecht vorliegend nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Verwaltungsverfahren des entsprechenden Veranlagungszeitraums bereits rechtskräftig abgeschlossen war und die Kläger den früheren Steuerberater in Regress nehmen wollten. Diese außersteuerlichen Motive der Kläger mögen den für den Beklagten zumutbaren Verwaltungsaufwand für die Akteneinsicht reduzieren, jedoch hat der Beklagte vorliegend nicht ausgeführt, welchen konkreten Aufwand die Akteneinsicht verursachen würde. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass das vorliegende Rechtsbehelfsverfahren bereits insgesamt deutlich mehr Verwaltungsaufwand verursacht hat, als die Einsichtnahme in die Verwaltungsakte verursacht hätte. Ferner muss berücksichtigt werden, dass der Beklagte durch die Ablehnung des Akteneinsichtsgesuchs die Kläger und nicht zuletzt sich selbst in das finanzgerichtliche Verfahren gedrängt hat.

Weiterhin hat der Beklagte übersehen, dass nicht nur außersteuerliche Motive für die Akteneinsicht vorlagen. Die Kläger haben vorgetragen, dass Ihnen keine Informationen aus dem Veranlagungsverfahren vorliegen, da diese von dem früheren Steuerberater nicht an sie weitergeleitet worden seien. Unabhängig von der Bestandskraft des – gemäß § 165 AO teilweise vorläufigen - Bescheides verpflichtet § 153 Abs. 1 AO den Steuerpflichtigen, wenn er nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen.

Ob die durch den früheren Steuerberater für sie abgegebene Steuererklärung richtig war, können die Kläger nur von dem früheren Steuerberater oder dem Beklagten in Erfahrung bringen. Um diese Information von Seiten des früheren Steuerberaters zu erlangen, sind die Kläger auf den Zivilrechtsweg (Auskunfts- oder Schadensersatzklage) angewiesen. Die Kläger auf ein zivilrechtliches Verfahren zu verweisen, um steuerrechtliche Verpflichtungen zu erfüllen, ist ermessensfehlerhaft, zumal dieser Weg erhebliche Kosten verursacht. Zudem tragen die Kläger gerade vor, dass sie die Informationen aus der Akteneinsicht benötigen würden, um ein solches zivilrechtliches Verfahren führen zu können.

Zur Überzeugung des Senats steht dem Akteneinsichtsgesuch auch das Steuergeheimnis nicht entgegen. Gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO verletzt ein Amtsträger das Steuergeheimnis u.a., wenn er personenbezogene Daten eines anderen, die ihm u.a. in einem Verwaltungsverfahren – hier: dem Einkommensteuerveranlagungsverfahren - bekannt geworden sind (geschützte Daten), unbefugt offenbart oder verwertet.

Der Beklagte trägt vor, das Steuergeheimnis in Bezug auf den früheren Steuerberater könnte im Fall der Akteneinsicht der Kläger verletzt werden. Diese Würdigung ist unzutreffend. Die Kläger haben zutreffend vorgetragen, dass die Akte nur die vom früheren Steuerberater in ihrem Namen eingereichten Angaben und Unterlagen und Erklärungen beinhalten kann, nicht dagegen persönliche Daten des Steuerberaters selbst. Der Beklagte hat dazu nichts darlegt und in seine Ermessenentscheidung einbezogen. Es für den Senat nicht ersichtlich, wie das Steuergeheimnis des früheren Steuerberaters betroffen sein könnte, da dieser lediglich als Bevollmächtigter der Kläger gehandelt hat. In Bezug auf die für sie eingereichten Angaben und Unterlagen und Erklärungen sind die Kläger keine anderen Personen.

Der Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass seine Ermittlungsinteressen betroffen sein könnten. Denkbar wäre allenfalls, dass sich Kontrollmitteilungen in den Akten befinden könnten. Diese hätte der Beklagte jedoch leicht ausheften können. Etwas Anderes hat der Beklagte nicht dargelegt.

Unter Abwägung sämtlicher in die Ermessensentscheidung einzubeziehender Rechtsgüter ist der Senat davon überzeugt, dass im vorliegenden Streitfall das Ermessen des Beklagten auf Null dahingehend reduziert ist, dass den Klägern Akteneinsicht in die für sie für das Jahr 2015 geführte Einkommensteuerakte zu gewähren ist.

II. Die Kläger haben einen Anspruch auf Auskunft aus Art 15 DSGVO.

Nach Art 15 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf folgende Informationen: die Verarbeitungszwecke; die Kategorien personenbezogener Daten, die verarbeitet werden; die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen; falls möglich die geplante Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden, oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer; das Bestehen eines Rechts auf Berichtigung oder Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten oder auf Einschränkung der Verarbeitung durch den Verantwortlichen oder eines Widerspruchsrechts gegen diese Verarbeitung; das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde; wenn die personenbezogenen Daten nicht bei der betroffenen Person erhoben werden, alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten; das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und – zumindest in diesen Fällen – aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person.

Die Einkommensteuer ist eine direkte Steuer. Die DSGVO ist zur Überzeugung des Senats im Bereich der Steuerverwaltung auch bei der Verwaltung der direkten Steuern anwendbar.

Die DSGVO gilt als EU-Verordnung gem. Art. 288 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat der Union, ohne dass es einer weiteren Umsetzung durch nationales Recht bedarf (vgl. auch FG Sachsen, Urteil vom 08. Mai 2019, 5 K 337/19, EFG 2020, 661; Gerichtsbescheid des FG München vom 23. Juli 2021, 15 K 81/20, EFG 2021, 1789).

Nach Art. 1 Abs. 2 DSGVO schützt die Verordnung die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten.

Der sachliche Anwendungsbereich ist gemäß Art. 2 Abs. 2 DSGVO u.a. mit Blick auf die Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingeschränkt. Danach findet die Verordnung gemäß Art. 2 Abs. 2 a DSGVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt oder gemäß Art. 2 Absatz 2 d DSGVO auf die Datenverarbeitung durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Welche Tätigkeiten aus dem Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen sein sollen, weil sie nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen (Art. 2 Abs. 2 a DSGVO), führt der Verordnungsgeber nicht explizit aus. In den Erwägungsgründen nennt er beispielhaft die nationale Sicherheit und Datenverarbeitung im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Der Bundesgesetzgeber hat jedoch die Geltung der DSGVO durch Verweisung in § 2a AO angeordnet. Er ist bei der Normierung des § 2a AO bzw. der §§ 29b, 29c und 32a ff. AO (eingefügt durch Art. 17 des Gesetzes vom 17. Juli 2017, BGBl. I 2017, 2541) von folgendem Verständnis ausgegangen (BT-Drs. 18/12611, Seite 74):

„Die Regelungen der AO sollen an das Recht der Europäischen Union, im Besonderen der [DSGVO] angepasst werden. Dabei sollen aufgrund der Regelungsaufträge der [DSGVO] die bereits bestehenden Vorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten an die Regelungen und Begriffsbestimmungen dieser Verordnung angepasst bzw. neue bereichsspezifische Regelungen in enger Anlehnung an das neue Bundesdatenschutzgesetz geschaffen werden. Zugleich sollen auf Grundlage des Art. 23 der [DSGVO] bereichsspezifische Einschränkungen der betroffenen Rechte bestimmt werden, damit die Finanzbehörden weiterhin ihrem Verfassungsauftrag nachkommen können, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben und Steuerverkürzungen aufzudecken.“

In der Gesetzesbegründung zu § 2a Abs. 3 AO wird weiter ausgeführt:

„Abs. 3 stellt klar, dass die unmittelbar anzuwendenden europarechtlichen Regelungen über den Schutz personenbezogener Daten natürlicher Personen, insbesondere die [DSGVO], den Regelungen der AO und der Steuergesetze vorgehen, soweit diese den Mitgliedstaaten keine Regelungsaufträge erteilen oder Regelungsbefugnisse einräumen und dementsprechende nationale Regelungen getroffen worden sind.“

Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass der bereichsspezifische Datenschutz im Bereich des gesamten Steuerrechts durch die AO und die dieser vorgehende DSGVO geregelt sein soll, allerdings im Bereich der Einzelsteuergesetze gegebenenfalls für deren Bereich modifiziert. Nach dem eindeutigen Wortlaut hat der Gesetzgeber keine Einschränkung dahingehend beabsichtigt, dass die Regelungen der AO bzw. der DSGVO lediglich im Bereich der harmonisierten Steuern und nicht auch im Bereich der direkten Steuern gelten sollten.

Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BVerwG (EuGH-Vorlage vom 04. Juli 2019, 7 C 31/17, HFR 2019, 919):

"Mit den Ergänzungen der Abgabenordnung verfolgt der Gesetzgeber - wie sich insbesondere aus § 2a Abs. 3 und 5 AO ergibt - das Ziel, über den unmittelbaren Anwendungsbereich der [DSGVO] hinaus dem allgemeinen Grundsatz der Abgabenordnung entsprechend einheitliche verfahrensrechtliche Regelungen - die regelmäßig zugleich Regelungen über die Verarbeitung personenbezogener Daten darstellen - für alle vom Steuer- und Steuerverfahrensrecht Betroffenen ungeachtet ihrer Rechtsform vorzusehen (vgl. BT-Drs. 18/12611, S. 76). Anhaltspunkte dafür, dass dieses Regelungsziel sich auf unionsrechtlich determinierte Steuern beschränkt, sind nicht ersichtlich. Eine nach Steuerschuldnern und Steuerarten differenzierende Verarbeitung der Daten wäre im Übrigen - wie die Vertreter des für die Novellierung der Abgabenordnung federführend zuständigen Bundesministeriums der Finanzen in der mündlichen Verhandlung erläutert haben - auch technisch nicht zu realisieren. [...] Vor diesem Hintergrund kommt eine "gespaltene" Auslegung der Neuregelungen in der Abgabenordnung für dem Unionsrecht unterfallende Sachverhalte einerseits und diesem nicht unterfallende Sachverhalte andererseits nicht in Betracht."

Auch die Finanzverwaltung geht von einer Anwendbarkeit der DSGVO bei den direkten Steuern aus (BMF-Schreiben vom 12. Januar 2018, BStBl. I 2018, 185).

Zur Überzeugung des Senats ist die DSGVO im Bereich der Steuerverwaltung auch bei der Verwaltung der direkten Steuern anwendbar (Gerichtsbescheid des FG München vom 23. Juli 2021, 15 K 81/20, EFG 2021, 1789; FG Saarland, Beschluss vom 03.04.2019, 2 K 1002/16, EFG 2019, 1217; FG Sachsen, Urteil vom 08.05.2019, 5 K 337/19 EFG 2020, 661; FG Köln, Urteil vom 18.09.2019, 2 K 312/19, EFG 2020, 413; a.A. FG Niedersachsen, Urteil vom 28.01.2020, 12 K 213/19, EFG 2020, 665).

Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO ist somit eröffnet.

Der Anwendungsbereich ist auch nicht nach Art. 23 Abs. 1 Buchstabe i DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 2 AO i.V.m. § 30 AO beschränkt, da entgegen der Auffassung des Beklagten keine Daten dritter Personen betroffen sind. Jedenfalls ist zur Überzeugung des Senats der frühere Steuerberater kein Dritter, dessen Daten nach § 30 AO zu schützen wären.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus § 32c Abs. 1 Nr. 3a AO nach dem ein Recht auf Auskunft nicht besteht, wenn die Daten nur deshalb gespeichert werden, weil sie aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungsvorschriften nicht gelöscht werden dürfen. Bei dem Einkommensteuerbescheid 2015 ist zwar Bestandskraft eingetreten, jedoch ist dieser nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufig. Der Bescheid muss daher schon deshalb aufbewahrt werden, um zukünftig die entsprechenden Änderungen umsetzen zu können.

Den Klägern steht somit ein Auskunftsrecht nach Art 15 DSGVO zu.

Die Erfüllung dieses Anspruchs („Ob“ der Auskunftserteilung) steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde (Drüen in Tipke/Kruse, § 32c AO, Rn. 12a).

Vorschriften zur Form enthält die DSGVO insbesondere in Art. 15 Absatz 3 und Art. 12 Abs. 1 DSGVO. Aus diesen ergibt sich jedoch nicht, dass ausschließlich ein Akteneinsichtsrecht zur Erfüllung des Auskunftsanspruchs in Betracht kommt. Andererseits dürfen dem Steuerpflichtigen bei der Wahrnehmung seiner Rechte auch keine Steine in den Weg gelegt werden, und das Verfahren der Auskunftsgewähr sollte einfach, effektiv und nutzbringend ausgestaltend werden. Immerhin verpflichtet Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO zur Auskunft „in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form“. Das sog. Erleichterungsgebot des Art. 12 Abs. 2 Satz 1 DSGVO fordert zudem die Erleichterung der Wahrnehmung der Rechte durch den Verantwortlichen, so dass sich je nach den Umständen des Einzelfalls - stets unter Wahrung des Steuergeheimnisses - ein Akteneinsichtsrecht als die zweckmäßigste Form der Auskunftserteilung erweisen kann (BMF v. 13.1.2020, BStBl. I 2020, 143 Tz. 32).

Nach § 32d AO bestimmt die Finanzbehörde das Verfahren, insbesondere die Form der Information oder der Auskunftserteilung, nach pflichtgemäßem Ermessen.

Wie und in welchem Umfang die Auskunftserteilung zu erfolgen hat, ist umstritten. Teilweise wird angenommen, dass sich aus Art. 15 DSGVO selber ein (gebundener) Anspruch auf Akteneinsicht ergibt (dafür Haverkamp/Meinert, AO-StB 2019, 276; Bareither/Großmann/Uterhark, BB 2019, 1111; Wulf/Bertrand, Stbg 2019, 400 ff.; Hildebrand/Leyva, Ubg 2020, 109: wünschenswert, Norstedt/Paßberger, SAM 2020, 99; Lampe, PStR 2020, 207; wohl auch FG Saarland v. 3. April 2019, 2 K 1002/16, EFG 2019, 1217; Haupt, DStR 2019, 2115: einschränkendes Akteneinsichtsrecht; dagegen Poschenrieder, DStR 2020, 21 ff.; Tibor, FR 2020, 558 ff.; von Armansperg, DStR 2021, 453; Drüen in Tipke/Kruse, § 32c AO, Rn. 12a; Gercke in Koenig, 4. Aufl. 2021, AO § 32c Rn. 2).

Der Senat lässt es dahinstehen ob der Beklagte den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO durch vollständige Akteneinsicht zu erfüllen hat, da sich der Anspruch auf Akteneinsicht bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. dem Prozessgrundrecht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und dem nunmehr in Art. 41 II lit. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) ausdrücklich verankerten Recht auf Gehör ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen.

 

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