R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Steuerrecht
21.11.2024
Steuerrecht
FG Münster: Betriebsausgabenabzug für steuerfreie Photovoltaikanlagen auch 2022 möglich

FG Münster, Beschluss vom 21.10.2024 – 1 V 1757/24 E

ECLI:DE:FGMS:2024:1021.1V1757.24E.00

Volltext BB-Online BBL2024-2774-5

Nicht Amtliche Leitsätze

1. § 52 Abs. 4 S. 2 EStG stellt ab dem Steuerjahr 2022 zugeflossenen Einnahmen aus der Photovoltaikanlage steuerfrei und betrifft damit nur die Einnahmenseite.

2. Die Regelung enthält kein Verbot des Abzugs von Betriebsausgaben und stellt auch nicht auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Einnahmen und Aus-gaben ab, was zur Folge hat, dass nach-laufende Betriebsausgaben, die im Zusammenhang mit steuerpflichtigen Ein-nahmen aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage in früheren Jahren stehen, aber erst 2022 abfließen, als Betriebsaus-gaben abzugsfähig sind.

 

Aus den Gründen

I. Die Beteiligten streiten in der Hauptsache über die Anerkennung von Betriebsausgaben aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage für das Streitjahr 2022.

Der Antragsteller erzielte bis einschließlich 2021 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage auf seinem privaten Einfamilienhaus. Seinen Gewinn ermittelte er durch Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Für das Streitjahr 2022 machte der Antragsteller einen Verlust in Höhe von insgesamt xxx € geltend, der sich aus den auf diesen Betrieb entfallenden Steuerberatungskosten für 2020 und 2021 (jeweils xxx €) sowie aus Umsatzsteuernachzahlungen für 2020 (xxx €) und für 2021 (xxx €) zusammensetzt.

Der Antragsgegner lehnte die Berücksichtigung dieses Verlustes im Einkommensteuerbescheid für 2022 vom 13.8.2024 unter Hinweis auf die ab 2022 geltende Steuerbefreiung der Photovoltaikanlage gemäß § 3 Nr. 72 EStG ab.

Hiergegen legte der Antragsteller fristgerecht Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung verwies er darauf, dass Betriebsausgaben nach § 3c Abs. 1 EStG dann vom Abzug ausgeschlossen seien, wenn sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stünden. Vorliegend bestehe jedoch kein solcher Zusammenhang. Die Ausgaben für die früheren Jahre wären vielmehr auch ohne Erzielung steuerfreier Einnahmen angefallen. Ein rein zeitlicher Zusammenhang sei für die Anwendung von § 3c Abs. 1 EStG irrelevant.

Mit Bescheid vom 19.8.2024 lehnte der Antragsgegner den Aussetzungsantrag ab. Zur Begründung verwies er auf das BMF-Schreiben vom 17.7.2023 (BStBl. I 2023, 1494, Tz. 21 und 29). Danach seien Betriebsausgaben ab 2022 auch dann nicht abzugsfähig, wenn sie ursächlich aus früheren steuerpflichtigen Jahren stammten. Die zeitliche Zuordnung der Betriebsausgaben erfolge allein nach der Art der Gewinnermittlung und damit im Streitfall nach dem Zu- und Abflussprinzip. Eine andere Abgrenzung sei nicht möglich. Da § 3 Nr. 72 EStG Einnahmen ab 2022 unabhängig vom Eintritt einer wirtschaftlichen Änderung steuerfrei stelle, komme auch für Zwecke des § 3c Abs. 1 EStG eine echte wirtschaftliche Abgrenzung nicht in Betracht. Wegen der Steuerfreistellung der Einnahmen nach Zufluss könnten auch wirtschaftlich früheren Jahren zuzurechnende Einnahmen, die erst im Jahr 2022 zufließen, steuerfrei sein.

Daraufhin hat der Antragsteller einen gerichtlichen Aussetzungsantrag gestellt. Er führt ergänzend aus, dass auch das vom Antragsgegner zitierte BMF-Schreiben auf das Belastungsprinzip abstelle, indem es in Tz. 21 auch Ausgaben im Zusammenhang mit einem zukünftigen Betrieb als nicht abzugsfähig ansehe. Eine wirtschaftliche Zuordnung der Betriebsausgaben sei vorliegend möglich, da sie eindeutig steuerpflichtigen Betriebseinnahmen zugeordnet werden könnten. Dem stehe auch Tz. 29 des BMF Schreibens nicht entgegen, da hierin (ebenso wie in § 3 Nr. 72 EStG) nur die zeitliche Zuordnung von Einnahmen und Entnahmen, nicht aber von Ausgaben, geregelt werde.

Der Antragsteller beantragt,

die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 2022 vom 13.8.2024 ab Fälligkeit bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung i.H.v. xxx € auszusetzen,

hilfsweise, gegen die Entscheidung des Finanzgerichts die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt ergänzend vor, dass nicht sämtliche Ausgaben mit wirtschaftlichem Zusammenhang zu Einnahmen der Jahre 2021 und früher mit Einnahmen im Zusammenhang stünden, die steuerpflichtig waren. In der besonderen Konstellation der Anwendung von § 3c Abs. 1 EStG in den Fällen des § 3 Nr. 72 EStG seien daher typisierend die zeitlichen Zuordnungsregelungen von Tz. 29 des BMF-Schreibens auf die Betriebsausgaben zu übertragen. § 3c Abs. 1 EStG verlange nicht, dass die steuerfreien Einnahmen bereits zugeflossen sind. Deshalb hindere die Vorschrift den Betriebsausgabenabzug auch dann, wenn die betreffenden Einnahmen nicht im selben Veranlagungszeitraum wie die Aufwendungen entstehen, sondern erst in späteren Veranlagungszeiträumen zufließen oder zu erwarten sind.

Das Einspruchsverfahren ist noch beim Antragsgegner anhängig.

II. 1. Der Antrag ist zulässig und begründet.

a)                  Bedenken gegen die Zulässigkeit des gerichtlichen Aussetzungsantrags bestehen nicht. Insbesondere hat der Antragsgegner zuvor einen bei ihm gestellten Aussetzungsantrag, wie von § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gefordert, abgelehnt.

b)      Der Antrag ist vollumfänglich begründet.

aa)              Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO soll eine Aussetzung der Vollziehung auf einen entsprechenden Antrag hin erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Beschlüsse vom 21.5.2010 IV B 88/09, BFH/NV 2010, 1613; vom 26.4.2010 V B 3/10, BFH/NV 2010, 1664 und vom 29.7.2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449). Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Aussetzung sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 15.4.2010 IV B 105/09, BFH/NV 2010, 1345). Es muss jedoch eine nicht fernliegende, weil ernstliche Möglichkeit bestehen, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren obsiegen wird (vgl. BFH-Beschluss vom 29.10.2009 III B 233/08, BFH/NV 2010, 683). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 6.5.2008 IV B 151/07, BFH/NV 2008, 1452).

bb)              Bei Anwendung der vorgenannten Grundsätze bestehen im Rahmen der summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 2022, soweit der Antragsgegner den vom Antragsteller geltend gemachten Verlust aus Gewerbebetrieb i.H.v. xxx € nicht anerkannt hat.

(1)               Der Antragsteller hat bis einschließlich 2021 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage erzielt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass diese Photovoltaikanlage die Voraussetzungen der durch das Jahressteuergesetz 2022 vom 16.12.2022 (BGBl. I 2022, 2294) eingeführten Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 72 Buchst. a) EStG erfüllt. Da diese Regelung gemäß § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG für Einnahmen und Entnahmen anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2021 erzielt oder getätigt werden, sind alle Einnahmen des Antragstellers aus der Photovoltaikanlage ab dem Streitjahr 2022 steuerfrei.

(2)               Hieraus folgt entgegen der Auffassung des Antragsgegners jedoch nicht, dass der Abzug für sämtliche ab 2022 abfließende Betriebsausgaben ausgeschlossen ist. Weder § 3 Nr. 72 noch § 52 Abs. 4 Satz 28 EStG enthalten Aussagen zum Betriebsausgabenabzug. Vielmehr wird in diesen Vorschriften ausschließlich die Einnahmenseite geregelt.

(3)               Für den Abzug der Betriebsausgaben ist vielmehr § 3c Abs. 1 EStG einschlägig. Nach dieser Vorschrift dürfen Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Die vorliegend streitigen Betriebsausgaben (Steuerberatungskosten sowie Umsatzsteuernachzahlungen für 2020 und 2021) stehen allerdings nicht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen.

(a)               Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne von § 3c Abs. 1 EStG ist anzunehmen, wenn die Ausgaben und die steuerfreien Einnahmen durch dasselbe Ereignis veranlasst sind (BFH-Urteile vom 28.5.1998 X R 32/97, BStBl. II 1998, 565 und vom 29.8.2017 VIII R 17/13, BStBl. II 2018, 408, Rn. 34). Das Erfordernis eines unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs ist auf solche Aufwendungen bezogen, die nach ihrer Entstehung oder Zweckbestimmung mit den steuerfreien Einnahmen in einem unlösbaren Zusammenhang stehen, d.h. ohne diese nicht angefallen wären. Danach setzt die Anwendung des § 3c Abs. 1 EStG voraus, dass Bezüge und Aufwendungen konkret einander zuzuordnen sind, d.h. zueinander in einer erkennbaren und abgrenzbaren Beziehung stehen (BFH-Urteil vom 29.8.2017 VIII R 17/13, BStBl. II 2018, 408, Rn. 35 m.w.N.). Der Annahme eines unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die betreffenden Ausgaben und Einnahmen unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen zuzuordnen sind. Dies bedeutet, dass (periodenübergreifend) auch künftige steuerfreie Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit Ausgaben stehen können; insoweit kommt es auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Ausgaben und Einnahmen nicht an (BFH-Urteile vom 13.12.2012 IV R 51/09, BStBl. II 2013, 203, Rn. 26 m.w.N. und vom 20.9.2006 I R 59/05, BStBl. II 2007, 756).

Im Streitfall ist bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich, dass die geltend gemachten Ausgaben und die steuerfreien Einnahmen durch dasselbe Ereignis ausgelöst wurden. Die Ausgaben wurden durch den Betrieb der Photovoltaikanlage in den Jahren 2020 und 2021 und gerade nicht durch die erst ab 2022 erzielten steuerfreien Einnahmen ausgelöst. Auch ohne die Erzielung der steuerfreien Einnahmen ab 2022 wären die streitigen Ausgaben entstanden. Danach liegt überhaupt kein Zusammenhang zwischen den Ausgaben und steuerfreien Einnahmen, geschweige denn ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang, vor.

(b)               Dass die Ausgaben erst im Streitjahr 2022 abgeflossen sind und damit im Rahmen der Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 aufgrund des hierfür nach § 11 Abs. 2 EStG geltenden Abflussprinzips erst in diesem Jahr steuerlich Berücksichtigung finden können, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Der Annahme eines unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die betreffenden Ausgaben und Einnahmen unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen zuzuordnen sind. Dies bedeutet, dass (periodenübergreifend) auch künftige steuerfreie Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit Ausgaben stehen können; insoweit kommt es auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Ausgaben und Einnahmen nicht an (BFH-Urteile vom 13.12.2012 IV R 51/09, BStBl. II 2013, 203, Rn. 26 m.w.N. und vom 20.9.2006 I R 59/05, BStBl. II 2007, 756). Daraus folgt umgekehrt auch, dass Ausgaben, die mit früher erzielten steuerpflichtigen Einnahmen im Zusammenhang stehen, nicht dem Abzugsverbot nach § 3c Abs. 1 EStG unterfallen.

(4)               Das vom Antragsgegner angeführte Argument, wonach Einnahmen aus einer Photovoltaikanlage, die erst im Jahr 2022 zufließen, obwohl sie wirtschaftlich zu einem früheren Zeitraum gehören, steuerfrei sind, während bei Betriebsausgaben eine wirtschaftliche Zuordnung, vorgenommen wird, kann nicht dazu führen, dass die gesetzliche Regelung des § 3c Abs. 1 EStG nicht angewendet werden darf. Hierfür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

(5)               Auch die Regelungen im BMF-Schreiben vom 17.7.2023 (BStBl. I 2023, 1494) stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Vielmehr stellt Tz. 21 des BMF-Schreibens unter Verweis auf die einschlägige BFH-Rechtsprechung auf den wirtschaftlichen Zusammenhang und gerade nicht auf den zeitlichen Zusammenhang ab. Tz. 29 des BMF Schreibens enthält keinerlei Regelungen zum Betriebsausgabenabzug, sondern bezieht sich nur auf die gesetzliche Regelung zur zeitlichen Anwendung, die ausschließlich die Einnahmenseite betrifft.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

stats