FG Münster: Betriebsaufgabe eines insolventen Einzelunternehmers
FG Münster, Urteil vom 8.4.2011 - 12 K 4487/07 F
Sachverhalt
I. Im Rahmen der gesonderten Feststellung des Gewinns für 1998 ist streitig, ob der Kläger (Kl.) schon in diesem Veranlagungszeitraum einen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 16 Einkommensteuergesetz (EStG) erzielt hat.
Der Kl. war Inhaber der Einzelfirma L , die Sport- und Gymnastikgeräte herstellte. Der Gewinn aus dieser Einzelfirma wurde vom Beklagten (Bekl.) nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) gesondert festgestellt, da sich die Geschäftsleitung und Betriebsstätte auf dem Betriebsgrundstück in E, A-Straße 1 befand. Der Kl. war zudem alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Y 1 E Vertriebs-GmbH, die ihren Betrieb ebenfalls in dem vorgenannten Objekt ausgeübte. Mit notariellem Vertrag vom 01.11.1997 gründete der Kl. die Y 2 Vertriebs-GmbH und vermietete ihr ab dem 01.12.1997 das Betriebsgrundstück zunächst auf 6 Jahre. Wirtschaftlicher Hintergrund der Neugründung war die absehbare Zahlungsunfähigkeit der beiden existierenden Unternehmen nach angedrohter Kündigung der Kredite durch den Hauptgläubiger, die Stadtsparkasse E, die bereits im Dezember 1997 sämtliche Kredite fällig stellte.
Im Streitjahr 1998 meldete die Y 1 E Vertriebs-GmbH Konkurs an. Das Konkursverfahren wurde durch gerichtlichen Beschluss vom 13.11.1998 mangels Masse abgewiesen.
Am 23.01.1998 stellte die Stadtsparkasse E einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Kl. Trotz Masseunzulänglichkeit eröffnete das Amtsgericht E mit Beschluss vom 14.05.1998 das Konkursverfahren über das Vermögen des Kl., weil die Sparkasse E zuvor einen Vorschuss in Höhe von 80.000 DM für die voraussichtlichen Verfahrenskosten (§ 58 Konkursordnung - KO -) gezahlt hatte. Nach Feststellungen des Konkursverwalters wurden die Lieferanten ab März 1998 gebeten, an die im November 1997 neu gegründete Y 2 Vertriebs-GmbH zu liefern und zu berechnen. Auch die Personalkosten wurden ab Mai 1998 von der neugegründeten Y 2 Vertriebs-GmbH übernommen. Von den vormals 50 Mitarbeitern waren nur noch 8 beim Einzelunternehmen beschäftigt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht des Konkursverwalters N vom 24.07.1998 im Konkursverfahren des Amtsgerichtes E, Az. 1 bzw. 2, dessen Akten beigezogen wurden, verwiesen. Außerdem wurden in 1998 sämtliche sicherungsübereigneten beweglichen und unbeweglichen Inventargegenstände von der Sicherungsgläubigerin, der Stadtsparkasse E, der neugegründeten Y 2 Vertriebs-GmbH übergeben, die seit dem faktisch den Betrieb der in Konkurs geratenen beiden Firmen fortführte.
Wegen der schwierigen Situation am Markt für Gewerbeimmobilien im Raume E ließ sich das bebaute Betriebsgrundstück A-Straße 1, E zunächst nicht veräußern. Auf Betreiben der Hauptgläubigerin des Gemeinschuldners, der Stadtsparkasse E, wurde noch in 1998 die Zwangsverwaltung bezüglich dieses Grundstückes angeordnet. Auch die weiteren Verwertungsbemühungen der Sparkasse E bezüglich dieses Grundstückes gestalteten sich schwierig (vgl. Stellungnahmen des Konkursverwalters vom 11.03., 19.08.1999 und 18.02., 12.09.2000, Bl. 270, 277, 295, 312, 329 Konkursakte). Einen Antrag auf Zwangsversteigerung des Grundstücks (AG E, Az.: 3) nahm die Stadtsparkasse E in 2001 zurück. Im gleichen Jahr gab der Konkursverwalter dieses Grundstück aus dem Massebeschlag frei, weil auf Grund der dinglichen Belastungen nicht mit einem Überschuss zu Gunsten der Masse bei der Verwertung zu rechnen war.
Das Konkursverfahren wurde in 2003 ohne Quote beendet. Die Sparkasse E erhielt am 29.07.2004 eine vollstreckbare Ausfertigung aus der Konkurstabelle in Höhe von 30.209.271,86 DM (15.445.755,44 €) zum Zwecke der Zwangsvollstreckung gegen den Kl.
Das bebaute Betriebsgrundstück A-Straße 1 wurde im Jahre 2006 an die Firma H GmbH für 900.000 € verkauft.
Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des Gewinns für 1998 vom 10.03.2005 stellte der Bekl. einen Veräußerungsgewinn nach § 16 EStG in Höhe von - zunächst - 3.409.889 DM für die vormalige Einzelfirma des Kl. fest.
Auf Grund des dagegen am 22.03.2005 vom Kl. eingelegten Einspruches, wies der Bekl. darauf hin, dass der Veräußerungsgewinn wegen gescheiterten Vergleiches mit der Stadtsparkasse E noch zu erhöhen sei. Auf diesen am 24.07.2002 zwischen dem Kl. und der Stadtsparkasse E geschlossenen Vergleich leistete der Kl. nur bis Oktober 2003 Raten. Daraufhin kündigte die Stadtsparkasse E den Vergleich auf.
In der Einspruchsentscheidung (EE) vom 18.09.2007, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, erhöhte der Bekl. den Aufgabegewinn wegen des nicht vollständig durchgeführten Vergleichs auf 4.457.979,00 DM. Die Höhe des Aufgabegewinns ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Mit der am 19.10.2007 erhobenen Klage trägt der Kl. vor, dass ein Betriebsaufgabegewinn noch nicht in 1998 zu erfassen sei.
Eine Betriebsaufgabe habe er in 1998 nicht erklärt.
Da er insolvent geworden sei und gegen ihn das Konkursverfahren eröffnet worden sei, läge eine Betriebsaufgabe nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH) erst mit der Veräußerung der letzten wesentlichen Betriebsgrundlage vor (BFH-Urteil vom 19.01.1993 VIII R 128/84, BStBl II 1993, 594). Das Grundstück A-Straße 1 stelle aber eine wesentliche Betriebsgrundlage dar, die erst im Jahre 2006 veräußert worden sei. Durch die Zwangsverwaltung in 1998 habe das Grundstück nicht seine Eigenschaft als wesentliche Betriebsgrundlage verloren.
Auch wenn sich der Veräußerungs-/ Aufgabezeitraum von 1998 bis 2006 hingezogen habe, sei es sachgerecht, von einer begünstigten Betriebsaufgabe im Sinne der §§ 16, 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG auszugehen, weil die Zwangsverwaltung Grundlage für die lange Dauer der Abwicklung gewesen sei.
Der Kl. beantragt,
unter Abänderung des Bescheides über die gesonderte Feststellung vom 10.03.2005 und der EE vom 18.09.2007 den Gewinn auf 0,00 DM/€ festzustellen,
hilfsweise, im Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Da der Kl. nach den Feststellungen des Konkursverwalters sowohl extern als auch intern alle Vorkehrungen getroffen habe, die Tätigkeit der beiden insolventen Unternehmungen in die im November 1997 neu gegründete Y 2 Vertriebs-GmbH zu überführen, liege eine Betriebsaufgabe bereits im Jahre 1998 vor. Zudem habe schon auf Grund der Konkurseröffnung im Jahre 1998 festgestanden, dass der Kl. in dem insolventen Einzelunternehmen kein verwertbares Vermögen mehr besessen habe, so dass eine - spätere - identitätswahrende Fortführung des Betriebes nicht möglich gewesen sei.
Der Senat hat am 08.04.2011 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Aus den Gründen
II. Die Klage ist nicht begründet.
Zu Recht ist der Bekl. schon im Streitjahr 1998 von einer Aufgabe der Einzelfirma L durch den Kl. ausgegangen.
Ein Gewerbebetrieb ist eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinne zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, die weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung selbstständiger Arbeit anzusehen ist und den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet, § 15 Abs. 2 EStG. Stellt ein Gewerbetreibender seine werbende Tätigkeit ein und wickelt den Betrieb durch Veräußerung der Betriebsgrundlagen ab, so gehören die dabei erzielten Gewinne ebenfalls zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören auch Gewinne die erzielt werden bei der Veräußerung oder Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebes, § 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG. Dabei liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine Aufgabe des ganzen Gewerbebetriebes vor, wenn auf Grund eines Entschlusses des Steuerpflichten, den Betrieb aufzugeben, die bisher in diesem Betrieb entfaltete gewerbliche Tätigkeit endgültig eingestellt wird, alle wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang, d.h. innerhalb kurzer Zeit (maximal in zwei Veranlagungszeiträumen), entweder insgesamt klar und eindeutig, äußerlich erkennbar in das Privatvermögen überführt bzw. anderen betriebsfremden Zwecken zugeführt oder insgesamt einzeln an verschiedene Erwerber veräußert oder teilweise veräußert und teilweise in das Privatvermögen überführt werden und dadurch der Betrieb als selbstständiger Organismus des Wirtschaftslebens zu bestehen aufhört. Unerheblich ist dabei, ob der Betrieb freiwillig oder zwangsweise eingestellt wird (Schmidt/Wacker EStG Kommentar 29. Aufl., EStG § 16 Rd. 173, m.w.N. zur Rechtsp.). Eine Betriebsunterbrechung und damit keine Betriebsaufgabe ist anzunehmen, wenn nach den äußerlich erkennbaren Umständen - z.B. weil die zurückbehaltenen, nicht grundlegend umgestalteten und weiterhin gebrauchstauglichen Wirtschaftsgüter jederzeit die Wieder-aufnahme des Betriebs gestatten - wahrscheinlich ist, dass die werbende Tätigkeit innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes, dessen Länge sich nach den Umständen des Einzelfalles bestimmt, in gleichartiger oder ähnlicher Weise wieder aufgenommen wird, so dass der stillgelegte und der wieder aufgenommene Betrieb wirtschaftlich identisch sind, oder der Betrieb alsbald ohne Aufgabe verpachtet wird (Schmidt/Wacker, a.a.O. EStG § 16 Rz. 181, m.w.N. zur Rechtspr.). Dabei wird in der jüngeren Rechtsprechung des BFH davon ausgegangen, dass bis zur Abgabe einer Aufgabe-Erklärung durch den Steuerpflichtigen in der Regel eine Betriebsunterbrechung vorliegt, wenn und solange - bezogen auf den Betriebszustand vor Einstellung der werbenden Tätigkeit - die Möglichkeit zur Wiederaufnahme der gewerblichen Tätigkeit besteht. Fehlt es an letzterem, ist grundsätzlich eine Betriebsaufgabe gegeben (Schmidt-Wacker, a.a.O., EStG § 16 Rz. 182, m.w.N. zur Rechtsp.).
Vorliegend hat der Bekl. diese Rechtsprechungsgrundsätze zutreffend angewandt und eine Betriebsaufgabe im Streitjahr 1998 angenommen, da schon in diesem Jahr feststand, dass eine Wideraufnahme der nämlichen gewerblichen Tätigkeit nicht mehr möglich ist.
Nach Feststellungen des Konkursverwalters hatte die Einzelfirma L im Mai 1998 ihre aktive werbende Tätigkeit eingestellt. Diese Tätigkeit wurde von der zuvor im November 1997 vom Kl. gegründeten Y 2 Vertriebs- GmbH fortgeführt. Diese GmbH hatte nämlich zuvor sämtliche sicherungsübereigneten beweglichen und unbeweglichen Inventargegenstände des Einzelunternehmens von der Sicherungsgläubigerin, der Stadtsparkasse E, erhalten. Außerdem hatte der Kl. zu diesem Zwecke die Lieferanten angewiesen, nunmehr diese GmbH anstelle seines bisherigen Einzelunternehmens zu beliefern. Auch wurden die Personalkosten des bisherigen Einzelunternehmens ab etwa Mai 1998 von der neu gegründeten Y 2 Vertriebs-GmbH übernommen. Auf Grund des im Mai 1998 eröffneten Konkursverfahrens über das Vermögen des Kl. stand schon in zu diesem Zeitpunkt fest, dass das Einzelunternehmen nicht mehr als Gewerbebetrieb fortzuführen war. Denn das Konkursverfahren wurde trotz Massenunzulänglichkeit nur eröffnet, weil die Sparkasse E als Hauptgemeingläubiger bereit war, den Verfahrenskostenvorschuss zu zahlen. Dementsprechend wurde in der ersten Gläubigerversammlung im August 1998 festgestellt, dass das Einzelunternehmen geschlossen ist und geschlossen bleibt. Auch stand schon zu diesem Zeitpunkt fest, dass weder die bevorrechtigten noch die nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger eine Quote erhalten würden. Dem Konkursverwalter wurde die Genehmigung erteilt, das Betriebsgrundstück A-Straße 1 freihändig zu verkaufen.
Somit stand schon im Streitjahr 1998 objektiv fest, dass die Einzelfirma L keine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der eingestellten gewerblichen Tätigkeit hatte.
Der Kl. wollte und hat auch Anfang 1998 die Einzelfirma aufgegeben.
Auf Grund seiner eingeleiteten Maßnahmen, wie die Gründung der Y 2 Vertriebs GmbH als Auffang-GmbH und wirtschaftlichen Ingangsetzung derselben, hat er nach außen zu erkennen gegeben, dass er keine Wiederaufnahme der gewerblichen Tätigkeit des Einzelunternehmens L anstrebte. In einem solchen Fall ist für eine Betriebsaufgabe keine besondere Aufgabeerklärung mehr notwendig, denn die Betriebsaufgabe ist ein tatsächlicher Vorgang und kein reiner Willensakt. Sie kann daher auch nicht durch Erklärung zurückgezogen werden (BFH-Urteil vom 28.09.1995 IV R 39/94, BStBl. II 1996, 276).
Zu Unrecht meint der Kl. unter Hinweis auf die BFH-Urteile vom 19.01.1993 VIII R 128/84, BStBl. II 1993, 594; vom 19.03.2002 VIII R 57/99, BStBl II, 2002, 662 und vom 01.07.2003 VIII R 24/01, BStBl II. 2003, 757, dass erst mit der Veräußerung des - vormaligen - Betriebsgrundstückes A-Straße 1 in 2006 eine Betriebsaufgabe gegeben sei. Die vorgenannten Urteile betreffen nicht vergleichbare Sachverhalte. Im erst-genannten Urteil ging es um die Frage, wann ein Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft aus dem "Wegfall" seines positiven Kapitalkontos einen Aufgabeverlust i.S.d. § 16 EStG erzielt, wenn die Personenhandelsgesellschaft in Konkurs fällt. In diesem Urteil hat der BFH ausgeführt, dass der Gewerbebetrieb der KG unabhängig von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder der Beendigung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG mit der Veräußerung der wesentlichen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens aufhört zu bestehen. Die beiden letztgenannten Urteile betreffen Sonderfälle der Betriebsaufspaltung und enthalten schon aus diesem Grund keine allgemeinen, auch für diesen Streitfall maßgebenden Rechtsgrundsätze.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Revision war nicht zuzulassen.
Eine Abweichung von der BFH-Rechtsprechung liegt nicht vor. Die Annahme einer konkludenten Betriebsaufgabeerklärung stellt keine Abweichung von der BFH-Rechtsprechung dar.
Ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i. S. d. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist wegen der Besonderheiten im Sachverhalt nicht gegeben. Die Grundsätze zur Betriebsaufgabe sind höchstrichterlich geklärt.