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Steuerrecht
16.08.2012
Steuerrecht
FG Münster: Betriebsaufgabe durch Übertragung von im Rahmen einer Betriebsaufspaltung verpachteten Vermögens im Wege der vorweggenommenen Erbfolge

FG Münster, Urteil vom 16.6.2011 - 3 K 3521/08 E

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten, ob die Einkommensteuerfestsetzung 2002 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geändert werden und dabei ein Betriebsaufgabegewinn gemäß § 16 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) steuererhöhend erfasst werden durfte.

Die Kläger sind verheiratet und wurden für das Streitjahr 2002 zusammen zur Ein­kommensteuer veranlagt.

Der Kläger war Alleininhaber der Einzelfirma „M-Werk C Nachfolger A 2 eK" in E. Das Vermögen der Firma bestand im Wesentlichen aus dem Grundbesitz A-Straße 1 in E und den Anteilen an der „M-Werk C GmbH", deren alleiniger Anteilseigner wiederum der Kläger war. Die Einzelfirma des Klägers überließ der GmbH den Grundbesitz A-Straße 1 für deren betriebliche Zwecke.

Mit notarieller Vereinbarung vom 30.12.2002 (Notar I in E, UR-Nr. X/0000) übertrug der Kläger seinem Sohn seine GmbH-Beteiligung und das Einzelunternehmen mit allen Aktiva und Passiva im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Bzgl. der Übertragung des Einzelunternehmens behielt sich der Kläger auf Lebensdauer das unentgeltliche Nießbrauchrecht, insbesondere am Grundbesitz vor.

Für den Fall, dass der Sohn den Gesellschaftsanteil bzw. das Einzelunternehmen und den Grundbesitz ohne schriftliche Zustimmung des Klägers ganz oder teilweise ver­äußerte oder belastete, stand dem Kläger ein Rücktrittsrecht zu. Zu den Vereinba­rungen im Einzelnen wird auf die Kopie des Übertragungsvertrages in der Vertragsakte Bezug genommen.

Seit dem 16.01.2003 ist der Sohn des Klägers als Geschäftsführer der GmbH bestellt (vgl. Blatt 90 bis 92 der Gerichtsakte). Ausweislich der Kopie über die Änderung des Pachtvertrages über das Grundstück A-Straße 1 trat der Kläger noch in 2005 als Geschäftsführer der GmbH auf.

Am 30.07.2004 reichten die Kläger die Steuererklärung 2002 beim Finanzamt ein. Beigefügt war die Bilanz des Einzelunternehmens, in der unter der Rubrik „Erläuterung der rechtlichen Verhältnisse" auf den Übertragungsvertrag vom 30.12.2002 hingewie­sen wurde (vgl. Blatt 18 der Bilanzakte).

Mit Bescheid vom 27.04.2004 setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2002 erklä­rungsgemäß fest. Die Veranlagung erfolgte bis auf die maschinell gesetzten Vorläufig­keiten endgültig.

Auf Aufforderung des Beklagten übersandten die Kläger am 12.04.2005 den Über­tragungsvertrag vom 30.12.2002 zu den Finanzamtsakten. Mit Schreiben vom 13.04.2005 äußerte der Beklagte die Auffassung, dass die Veranlagung 2002 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern und der Betriebsaufgabegewinn aufgrund der Über­tragung vom 30.12.2002 steuerlich zu erfassen sei. Zu den Einzelheiten wird auf die Kopie des Schreibens (Blatt 38 der Prüferhandakte) Bezug genommen. Aus einem Aktenvermerk vom 14.06.2005 ergibt sich die Rechtsauffassung, dass ein Betriebsaufgabegewinn nicht zu besteuern sei (vgl. Blatt 33/34 der Prüferhandakte).

Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 2002 bis 2004 gelangte der Betriebs­prüfer zu der Auffassung, dass die Übertragung vom 30.12.2002 als Betriebsaufgabe zu bewerten und die aufgedeckten stillen Reserven gemäß § 16 Abs. 3 EStG der Besteuerung zu unterwerfen seien. Zu den Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungs­bericht vom 05.11.2007, Tz 2.4 und Tz 2.7 Bezug genommen.

In diesem Zusammenhang bat der Betriebsprüfer den Klägervertreter mit Schreiben vom 02.05.2007 (Blatt 172 ff. der Prüferhandakte) um Erläuterung, ob nach dem Übertragungsvertrag die Verbindlichkeiten gegenüber der Bank, den Lieferanten und der GmbH ebenfalls übergegangen sein sollten, sowie um Vorlage der entsprechenden Zustimmungserklärungen der Gläubiger. Der Klägervertreter legte dazu eine Stellungnahme des beurkundenden Notars vor, auf die hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen wird (Blatt 183 der Prüferhandakte). Zustimmungserklärungen der Gläubiger wurden weder in Beantwortung des Schreibens vom 02.05.2007 noch später vorgelegt.

Entsprechend den Feststellungen der Betriebsprüfung erließ der Beklagte am 22.02.2008 einen Einkommensteueränderungsbescheid 2002, in dem er einen von der Betriebsprüfung ermittelten Aufgabegewinn in Höhe von X Euro erfasste.

Gegen diese Festsetzung wandten sich die Kläger mit Einspruch vom 08.03.2008. Sie vertraten die Auffassung, die Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommen­steuerfestsetzung gemäß § 173 AO hätten nicht vorgelegen. So sei mit Abgabe der Einkommensteuererklärung 2002 und der zugehörigen Gewinnermittlung ausdrücklich auf den Übertragungsvertrag hingewiesen worden. Darüber hinaus habe der Beklagte die im Schreiben vom 13.04.2005 angekündigte Änderung nicht vorgenommen. Deshalb sei davon auszugehen, dass der Beklagte die im Schreiben der Klägerseite vom 07.06.2005 geäußerte Rechtsauffassung teile. Für eine weitere Neubeurteilung des Sachverhalts durch die Betriebsprüfung sei deshalb kein Raum mehr gewesen.

Durch Bescheid vom 06.08.2008 änderte der Beklagte die Einkommensteuerfest­setzung 2002 aus hier nicht streitigen Gründen.

Den Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 15.08.2008 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass entgegen der Auf­fassung der Kläger eine neue Tatsache deshalb vorgelegen habe, weil mit Einreichung des Vertragstextes am 12.05.2005 erstmals bekannt geworden sei, dass die Übertra­gung vom Kläger auf seinen Sohn unter Nießbrauchvorbehalt stattgefunden habe. Der Kläger könne sich insoweit nicht auf einen Ermittlungsfehler des Beklagten berufen, da er selber den Sachverhalt nicht in vollem Umfang offen gelegt habe. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung (Blatt 111 bis 116 der Einkommen­steuerakte) Bezug genommen.

Mit ihrer Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Nichtberücksichtigung eines Aufgabegewinns bei der Einkommensteuerfestsetzung 2002 weiter. Sie halten an ihrer Auffassung fest, dass eine Änderung der Steuerfestsetzung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht zulässig gewesen sei. Darüber hinaus sei der Beklagte aber auch nicht berechtigt gewesen, aufgrund der Übertragung gemäß notariellem Vertrag vom 30.12.2002 von einer Betriebsaufgabe seitens des Klägers unter Aufdeckung der stillen Reserven auszugehen. Denn die Betriebsaufspaltung bestehe beim Sohn des Klägers unverändert fort. Es fehle weder an einer personellen noch an einer sachlichen Verflechtung. Trotz des vorbehaltenen Nießbrauchs sei der Kläger nicht als wirt­schaftlicher Eigentümer des Einzelunternehmens anzusehen. Auch habe sich der Kläger keinen Unternehmensnießbrauch, sondern lediglich einen Ertragsnießbrauch vorbehalten, da ausweislich des notariellen Vertrages vom 30.12.2002 die GmbH-Beteiligung nicht vom Nießbrauch umfasst gewesen sei. Schließlich habe der Sohn des Klägers in seiner Stellung als Eigentümer die ausreichende Unternehmerinitiative entfalten können. Da er seit 2003 die Aufstellung, Prüfung und Feststellung der Jahresabschlüsse übernommen habe, habe der Kläger keinen Einfluss mehr auf das Besitzunternehmen. Aufgrund der langjährigen Vermietung des Grundbesitzes sei faktisch die Ausübung von Unternehmerinitiative seitens des Klägers nicht mehr gege­ben. Im Übrigen trage der Kläger auch keinerlei Unternehmerrisiko, da er an den stillen Reserven nicht mehr beteiligt sei.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid vom 06.08.2008 in der Fassung der Einspruchs­entscheidung vom 15.08.2008 zu ändern und einen Aufgabegewinn in Höhe von X Euro nicht mehr anzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, soweit ein geringerer Aufgabegewinn als X Euro begehrt wird.

Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf seine Einspruchsentscheidung. Er verweist darüber hinaus darauf, dass der Kläger noch im Jahr 2005 eine Änderungs­vereinbarung bzgl. der Pachthöhe für den Grundbesitz sowohl als Nießbraucher als auch als Geschäftsführer der C GmbH unterzeichnet habe (vgl. Blatt 209 der Prüferhandakte).

Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 25.02.2010 erörtert. Zu den Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins (Blatt 65 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

Der Senat hat am 18.11.2010 mündlich verhandelt und die Sache vertagt. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Die Kläger haben zur Ermittlung des Verkehrswertes des Grundbesitzes A-Straße 1 ein Gutachten des Diplom-Ingenieurs N aus G vorgelegt, das den Verkehrswert des Grundbesitzes mit X Euro beziffert.

Zur Ermittlung des Verkehrswertes der Anteile an der C GmbH haben die Kläger eine Unternehmenswertermittlung der R GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgelegt, nach der sich ein negativer Unternehmenswert ergibt.

Zu den Einzelheiten wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Gutachten Bezug genommen.

Der Senat hat am 16.06.2011 erneut mündlich verhandelt. Zu den Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift hingewiesen.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Bescheid und die Ein­spruchsentscheidung sind rechtswidrig, soweit der Beklagte einen über X Euro hinausgehenden Aufgabegewinn angesetzt hat, und verletzen die Kläger insoweit in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Darüber hinaus ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden.

Der Beklagte war berechtigt, den angefochtenen Bescheid gestützt auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu erlassen.

Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tat­sachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Nachträglich bekannt werden Tatsachen, die nach abschließender Zeichnung der Veranlagung bekannt werden. Vorliegend sind Tatsachen nachträglich bekannt geworden, da dem Beklagten erst durch Einreichung des Übertragungsvertrages am 12.05.2005, und damit nach der endgültigen Veranlagung vom 27.08.2004, bekannt wurde, dass die Übertragung vom 30.12.2002 unter Nießbrauchsvorbehalt erfolgte. Dabei geht die Rechtsauffassung der Kläger fehl, dass eine Änderung im Rahmen der Betriebsprüfung nicht mehr habe erfolgen dürfen, weil das Vorhandensein des Nieß­brauchsvorbehalts dem Beklagten bereits seit 2005 bekannt war. Denn wann der Beklagte von einer grundsätzlich vorliegenden Änderungsbefugnis innerhalb der Fest­setzungsfrist Gebrauch macht, obliegt seiner freien Entscheidung. Deshalb konnte der Beklagte ohne Weiteres eine etwaige Steueränderung bis zum Abschluss der geplanten Betriebsprüfung zurückstellen. Verwirkung liegt nicht vor.

Auch kann nach Auffassung des Senats auf Basis der vom Beklagten angeführten Rechtsprechung nicht von einem Ermittlungsfehler des Beklagten ausgegangen werden mit der Folge, dass eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO unterbleiben müsste. Denn allein mit dem Hinweis auf den Übertragungsvertrag in der Gewinnermittlung für das Jahr 2002 haben die Kläger nicht alle steuerlich relevanten Sachverhaltsdetails offengelegt. Dabei musste der Beklagte Steuererklärungen der Kläger, die überdies von einem steuerlichen Berater gefertigt waren, nicht mit Misstrauen begegnen.

Der Beklagte ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger mit der Über­tragung vom 30.12.2002 seinen im Wege einer Betriebsaufspaltung geführten Einzelbetrieb aufgegeben hat. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Finanzgerichts Niedersachen im Urteil vom 20.06.2007 (2 K 562/05, EFG 2007, 1584) auch für den vorliegenden Fall in vollem Umfang an. Denn auch der Kläger hat mit der Übertragung der Anteile an der GmbH und des Betriebsgrundstücks auf seinen Sohn unter Vorbehalt des Nießbrauchs die für eine Betriebsaufspaltung notwendige personelle Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsunternehmen gelöst. Aufgrund des Nießbrauchs kann der Sohn des Klägers insbesondere nicht die Geschäfte des täglichen Lebens in Bezug auf den Grundbesitz ausüben. Abgesehen davon ist er in der Verfügungsbefugnis über den Grundbesitz aufgrund der Regelungen unter III. Ziffer 5 des Übertragungsvertrages wesentlich eingeschränkt.

Der Beklagte hat der Besteuerung aber einen überhöhten Aufgabegewinn zugrunde gelegt. Abweichend von den Ermittlungen der Betriebsprüfung ist für die Berechnung des Aufgabegewinns nunmehr der vom Gutachter N mit X Euro ermittelte Grundstückswert, den beide Beteiligte akzeptiert haben, zugrunde zu legen.

Die Anteile an der GmbH sind - wie bereits von der Betriebsprüfung - mit dem Wert des Kapitalkontos in Höhe von X Euro anzusetzen. Denn das Kapitalkonto repräsentiert die in der GmbH vorhandenen, an die Gesellschafter auskehrbaren Werte der Gesellschaft. Nach Abzug der Buchwerte (X Euro für den Grundbesitz; X Euro für die Anteile an der GmbH) verbleibt ein Betrag von X Euro, von dem der Senat zur Ermittlung des anzusetzenden Aufgabegewinns mit Einverständnis der Beteiligten einen Abschlag von X Euro zur Abgeltung aller mit der Wertermittlung verbundenen Unwägbarkeiten vornimmt und den anzusetzenden Aufgabegewinn auf X Euro bestimmt.

In diesem Zusammenhang folgt der Senat nicht der Auffassung der Klägerseite, dass für die Wertbestimmung Besitz- und Betriebsunternehmen „konsolidiert" zu betrachten und die im Besitzunternehmen vorhandenen Verbindlichkeiten gegenüber Banken und Lieferanten sowie gegenüber der GmbH bei der Ermittlung des Aufgabegewinns mindernd zu berücksichtigen seien. Eine konsolidierte Betrachtungsweise, wie sie im Rahmen der Unternehmenswertermittlung vorgenommen wurde, widerspricht dem Grundsatz der Einzelbewertung.

Im Übrigen sind die Verbindlichkeiten unabhängig davon, ob sie zivilrechtlich wirksam vom Kläger auf seinen Sohn übergegangen sind, im Rahmen der Beendigung der Betriebsaufspaltung und damit bei der Aufgabe des Betriebsunternehmens des Klägers wie auch der Grundbesitz und die GmbH-Anteile in das Privatvermögen des Klägers überführt worden. Das hat zur Folge, dass für die Ermittlung des Aufgabegewinns gem. § 16 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 EStG auf der einen Seite als Veräußerungspreis gem. § 16 Abs. 3 Satz 7 EStG der gemeine Wert der Verbindlichkeiten, der vorliegend dem Nennwert entspricht, anzusetzen und dieser Wert gleichzeitig als Buchwert im Sinne des § 16 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen ist, was im Ergebnis dazu führt, dass sich die Entnahme der Verbindlichkeiten des Einzelunternehmens auf die Ermittlung des Aufgabegewinns nicht auswirkt (vgl. Schmidt/Wacker EStG 30. Auflage 2011, § 16 R 314 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 137 Satz 1 FGO. Die Kläger haben erstmals im Klageverfahren die bei der Ermittlung des Aufgabegewinns anzusetzenden Werte beanstandet und dazu durch Vorlage der Gutachten weiter vorgetragen.

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