FG Düsseldorf: Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen verfassungsgemäß
FG Düsseldorf, Urteil vom 6.10.2011 - 8 K 3811/09 E
Sachverhalt
Streitig ist, ob § 17 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz -EStG- i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 (Bundesgesetzblatt -BGBl- I 2000, 1433) verfassungsgemäß ist.
Der Kläger ist Gründungsgesellschafter der im Januar 1993 errichteten Fa. A-GmbH mit Sitz in X. Er war zunächst mit 5 % am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt. Im Zuge einer Kapitalerhöhung und der Umwandlung der GmbH in die A-AG im Jahre 2000 erhöhte sich sein Anteil auf 7 %. Nach weiteren Kapitalerhöhungen in den Jahren 2000 und 2001 sank sein Anteil auf 4,9 %. Er hielt 112.000 von 2.274.200 Aktien.
Mit Treuhandvertrag vom 12.06.2003 räumte der Kläger als Treugeber seinem Bruder, dem Mehrheitsaktionär der AG, eine Treuhand an 62.500 Aktien ein, die diesen auch zum Verkauf der Aktien berechtigte. Durch Vertrag vom 05.08.2003 veräußerte der Bruder des Klägers insgesamt 100.000 Aktien zu einem Preis von 30 EUR pro Aktie. Zu diesem Aktienpaket gehörten 13.000 der treuhänderisch für den Kläger gehaltenen Aktien.
Der Kläger erzielte einen Veräußerungserlös von (13.000 x 30 EUR =) 390.000 EUR. Nach Abzug der Anschaffungskosten von 812,50 EUR ergab sich ein Veräußerungsgewinn von 389.187,50 EUR, den der Beklagte im Einkommensteuerbescheid 2003 vom 27.06.2005 unter Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens mit 194.593 EUR als Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S.v. § 17 EStG erfasste.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz -GG- und sei deshalb verfassungswidrig.
Der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Auswahl des Steuergegenstandes und der Bestimmung des Steuersatzes werde im Einkommensteuerrecht begrenzt durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürften eines besonderen sachlichen Grundes.
Gegen diese Grundsätze habe der Gesetzgeber durch Schaffung der 1 %-Schwelle in § 17 Abs. 1 EStG verstoßen. Hierdurch hänge die Frage, ob außerhalb der Spekulationsfrist erzielte Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften steuerpflichtig oder steuerfrei sind, von der Größe des Unternehmens ab, in das man investiert habe. Die Steuerpflicht knüpfe nicht an einen absoluten Betrag des Einkommens an, sondern an den Prozentsatz einer Beteiligung. Das Gebot der Belastungsgleichheit sei verletzt, da ein erzielter Gewinn von mehreren tausend Euro bei einer kleinen Kapitalgesellschaft bereits zu einer Steuerpflicht führe, während derselbe Gewinn bei der Investition in eine große Gesellschaft nicht besteuert werde. Die Steuerlast orientiere sich damit nicht an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen. Wirtschaftlich betrachtet handele es sich bei § 17 Abs. 1 EStG um eine Subventionierung von Investments in Großunternehmen. Dass dies gewollt sei, ergebe sich aber weder aus der Gesetzesbegründung noch aus allgemeinen Aussagen der Politiker, die im Gegenteil immer wieder betont hätten, dass der Mittelstand als sog. Jobmotor besondere Beachtung verdiene.
Der Gesetzgeber habe auch das Gebot der Folgerichtigkeit nicht beachtet. Er habe mit der Neufassung des § 17 Abs. 1 EStG die Besteuerung von Gewinnen aus Beteiligungsveräußerungen nach Ablauf der Spekulationsfrist des § 23 EStG nicht einheitlich und damit nicht folgerichtig verwirklicht. Steuerpflichtige mit gleich hoher Leistungsfähigkeit würden nicht gleich hoch besteuert. Die Änderung des § 17 EStG beruhe allein auf fiskalischen Erwägungen; die Haushaltskonsolidierung sei der alleinige Zweck der Regelung. Ausweislich der Gesetzesbegründung solle die Umgehung des Halbeinkünfteverfahrens verhindert werden. Für die Bevorzugung von Großunternehmen gegenüber mittelständischen Unternehmen gebe es keine Begründung.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 09.03.2011 die Einkommensteuer 2003 auf 70.012 EUR herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält § 17 Abs. 1 EStG für verfassungsgemäß.
Der Beklagte hat am 09.03.2011 einen Änderungsbescheid erlassen, in dem Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S.v. § 17 EStG nur noch mit 142.187 EUR erfasst sind. Nicht mehr erfasst ist der Teil des vom Kläger erzielten Gewinns aus der Aktienveräußerung, der auf den Zeitraum bis zum 26.10.2000, dem Tag der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000, entfällt. Dieser Bescheid ist gem. § 68 Finanzgerichtsordnung -FGO- zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
Aus den Gründen
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 ist verfassungsgemäß; die Vorschrift verstößt entgegen der Ansicht des Klägers nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Es ist allgemein anerkannt und vom Bundesverfassungsgericht -BVerfG- mehrfach bestätigt worden, dass der Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen einen weiten Gestaltungsspielraum hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.12.2008 2 BvL 1/07 u.a., BGBl I 2008, 2888, unter C.I.2.a) der Gründe, m.w.N.; Bundesfinanzhof -BFH-, Beschluss vom 06.04.2009 IX B 204/08, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2009, 1262; BFH, Beschluss vom 13.11.2007 VIII B 35/07, BFH/NV 2008, 220), und nicht gehindert wäre, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des Privatvermögens zu besteuern (zuletzt: BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 2 BvR 748/05 u.a., BGBl I 2010, 1296, unter B.II. der Gründe; ebenso: Beschluss vom 09.07.1969 2 BvL 20/65, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1970, 156, unter C.II.3.d) aa) der Gründe; Beschluss vom 07.10.1969 2 BvL 3/66 u.a., BStBl II 1970, 160, unter C.II.1. der Gründe).
Will der Gesetzgeber eine bestimmte Steuerquelle erschließen, andere hingegen nicht, dann ist der allgemeine Gleichheitssatz solange nicht verletzt, wie die Differenzierung nicht willkürlich ist, sondern auf sachgerechten Erwägungen, insbesondere finanzpolitischer, volkswirtschaftlicher, sozialpolitischer oder steuertechnischer Natur, beruht (BVerfG, Beschluss vom 05.02.2002 2 BvR 305/93 u.a., Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 2002, 3009, unter C.III.1. der Gründe).
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das BVerfG entschieden, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Steuergesetzgeber die Besteuerung von Gewinnen aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften bis einschließlich 1998 von einer Beteiligungsquote von mehr als 25 % am Stammkapital der Gesellschaft abhängig gemacht hat (Beschluss vom 07.10.1969, a.a.O., unter C.II.3. der Gründe; Beschluss vom 20.11.1984 1 BvR 727/82, NJW 1986, 421). Die Nähe einer solchen Beteiligung zur Geschäftsführung der Gesellschaft, die mitunternehmerähnliche Stellung des Gesellschafters, sein möglicher Einfluss auf die Ausschüttungs- und Rücklagenpolitik, verbunden mit der Möglichkeit, die Voraussetzungen für die Entstehung von Veräußerungsgewinnen planmäßig herbeizuführen, wurde als ausreichender sachlicher Grund für die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze angesehen.
Auch die Absenkung der Beteiligungsquote von 25 % auf 10 % durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24.03.1999 ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG als unbedenklich beurteilt worden (vgl. BFH, Urteil vom 01.03.2005 VIII R 92/03, BStBl II 2005, 398, unter II.2.a) der Gründe, m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010, a.a.O., unter B. II. der Gründe). Sie liegt im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums.
Dasselbe gilt für die hier zu beurteilende Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000. Durch diese Regelung wird der grundsätzlich zulässige Weg einer breiteren steuerlichen Erfassung von Wertsteigerungen im Privatvermögen fortgesetzt. In Zusammenhang mit dem ebenfalls im Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 vorgenommenen Systemwechsel vom körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren misst der Gesetzgeber der Besteuerung von Beteiligungseinkünften i.S.v. § 17 EStG eine neue Funktion bei. Die Erfassung von Gewinnen aus Anteilsveräußerungen wird nicht mehr mit der mitunternehmerähnlichen Stellung des wesentlich beteiligten Gesellschafters gerechtfertigt. Stattdessen dient § 17 EStG nunmehr dazu sicherzustellen, dass der zu weniger als 10 % beteiligte Anteilseigner die Halbeinkünftebesteuerung nicht dadurch verhindert, dass er seine Beteiligung vor der Gewinnausschüttung (steuerfrei) veräußert, sich aber dabei die in der Gesellschaft angesammelten Rücklagen vergüten lässt (vgl. Bundestags-Drucksache 14/2683, S. 113, 114; Bundestagsdrucksache 14/3366, S. 118; BFH, Urteil vom 01.03.2005 VIII R 25/02, BStBl II 2005, 436, unter II.2.c). der Gründe). Dies ist ein sachgerechter Grund, der einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ausschließt. Dementsprechend hat der BFH in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Verfassungsmäßigkeit der Herabsetzung der Beteiligungsgrenze von 10 % auf 1 % als nicht ernstlich zweifelhaft angesehen (Beschluss vom 06.04.2009 IX B 204/08, BFH/NV 2009, 1262; zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift s. auch: Gosch, in: Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 17, Rdnr. 2; Rapp, in: Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 17, Rdnr. 6 und 9).
Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass aus der Veräußerung einer Beteiligung von weniger als 1 % ein erheblich höherer Gewinn entstehen kann als bei ihm, und dass ein solcher höherer Gewinn steuerfrei bleibt. Dieses Problem hat indessen auch das BVerfG in den schon zitierten Entscheidungen vom 07.10.1969 und 20.11.1984 erkannt, aber im Hinblick darauf, dass die Anknüpfung der Steuerpflicht an eine Beteiligungsquote sachlich gerechtfertigt ist, als unerheblich angesehen. Es hat dazu ausgeführt, das BVerfG habe nicht zu entscheiden, ob die Heranziehung von solchen Gewinnen auch da, wo die Beteiligungsquote nicht erreicht ist, nur mit Rücksicht auf die Gewinnhöhe angezeigt wäre (Beschluss vom 07.10.1969, a.a.O., unter C.II.3.c) der Gründe); das Gericht habe auch nicht nachzuprüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden habe (Beschluss vom 07.10.1969, a.a.O., unter C.II.2. der Gründe).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen; die Rechtssache ist von grundsätzlicher Bedeutung.