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Steuerrecht
10.11.2022
Steuerrecht
EuGH: Beihilfe des Großherzogtums Luxemburg – Beschluss, mit dem die Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und rechtswidrig erklärt und ihre Rückforderung angeordnet wird – Steuervorbescheid (‚tax ruling‘)

– Selektiver Charakter – Fremdvergleichsgrundsatz – anwendbares nationales Recht

EuGH, Urteil vom 8.11.2022 – (verb. Rs.) C‑885/19 P und C‑898/19 P, Fiat Chrysler Finance Europe/Irland; andere Verfahrensbeteiligte: Großherzogtum Luxemburg, Europäische Kommission

ECLI:EU:C:2022:859

Volltext BB-Online BBL2022-2646-1

Tenor

1. Die Rechtssachen C 885/19 P und C 898/19 P werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

2. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 24. September 2019, Luxemburg und Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission (T 755/15 und T 759/15, EU:T:2019:670), wird aufgehoben.

3.Der Beschluss (EU) 2016/2326 der Kommission vom 21. Oktober 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat wird für nichtig erklärt.

4. Das Rechtsmittel in der Rechtssache C 885/19 P ist in der Hauptsache erledigt.

5. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten in der Rechtssache C 885/19 P.

6. Die Europäische Kommission trägt die Kosten des Rechtsmittels in der Rechtssache C 898/19 P.

7. Die Europäische Kommission trägt die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug.

Aus den Gründen

1          Mit ihren Rechtsmitteln beantragen die Fiat Chrysler Finance Europe, vormals Fiat Finance and Trade Ltd (im Folgenden: FFT) (C‑885/19 P), und Irland (C‑898/19 P) jeweils die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 24. September 2019, Luxemburg und Fiat Chrysler Finance Europe/Kommission (T‑755/15 und T‑759/15, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2019:670), mit dem ihre Klagen auf Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2016/2326 der Kommission vom 21. Oktober 2015 über die staatliche Beihilfe SA.38375 (2014/C ex 2014/NN) Luxemburgs zugunsten von Fiat (ABl. 2016, L 351, S. 1, im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen wurden.

I.          Vorgeschichte des Rechtsstreits

2          Für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens lässt sich die Vorgeschichte des Rechtsstreits, wie sie in den Rn. 1 bis 46 des angefochtenen Urteils dargestellt ist, wie folgt zusammenfassen.

A.         Zu dem FFT von den luxemburgischen Steuerbehörden gewährten Steuervorbescheid

3          Am 14. März 2012 richtete der Steuerberater von FFT ein Schreiben an die luxemburgischen Steuerbehörden, um die Genehmigung einer Vereinbarung über Verrechnungspreise zu beantragen.

4          Am 3. September 2012 erließen die luxemburgischen Steuerbehörden einen Steuervorbescheid zugunsten von FFT (im Folgenden: fraglicher Steuervorbescheid). Dieser Bescheid war in einem Schreiben enthalten, in dem darauf hingewiesen wurde, dass, „was das Schreiben vom 14. März 2012 über die Finanzierungstätigkeiten von FFT innerhalb des Konzerns anbelangt, bestätigt wird, dass die Verrechnungspreis-Analyse in Übereinstimmung mit dem Rundschreiben 164/2 vom 28. Januar 2011 durchgeführt wurde und mit dem Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang steht“.

B.         Zum Verwaltungsverfahren vor der Kommission

5          Am 19. Juni 2013 übermittelte die Europäische Kommission dem Großherzogtum Luxemburg ein erstes Auskunftsersuchen, in dem sie um detaillierte Informationen über die Praxis des Landes im Bereich der Steuervorbescheide ersuchte. Auf dieses erste Auskunftsersuchen folgte ein umfangreicher Schriftwechsel zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und der Kommission, bis diese am 24. März 2014 einen Beschluss erließ, mit dem dem Großherzogtum Luxemburg aufgegeben wurde, ihr Informationen zu übermitteln.

6          Am 11. Juni 2014 leitete die Kommission das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV in Bezug auf den fraglichen Steuervorbescheid ein.

C.         Zum streitigen Beschluss

7          Am 21. Oktober 2015 erließ die Kommission den streitigen Beschluss.

1.         Beschreibung des fraglichen Steuervorbescheids durch die Kommission

8          In Abschnitt 2 („Beschreibung der Maßnahme“) des streitigen Beschlusses beschrieb die Kommission erstens FFT, Begünstigte des fraglichen Steuervorbescheids, die zur Fiat/Chrysler-Automobilgruppe (im Folgenden: Fiat/Chrysler-Gruppe) gehörte. Sie wies darauf hin, dass FFT in Europa (ausgenommen Italien) niedergelassenen Unternehmen dieser Gruppe Treasury-Dienstleistungen und Finanzierungen zur Verfügung stelle und dass sie ihre Tätigkeiten von Luxemburg aus betreibe, wo sich ihre Hauptniederlassung befinde. FFT sei insbesondere in folgenden Bereichen tätig: Marktfinanzierungen und Liquiditätsanlagen, Beziehungen zu Finanzmarktteilnehmern, Finanzkoordinierungs- und Beratungsdienste für die Gesellschaften der Gruppe, Cash-Management-Dienste für die Unternehmen der Gruppe, kurzfristige und mittelfristige gruppeninterne Finanzierung und Koordinierung mit den anderen Finanzierungsgesellschaften (Erwägungsgründe 34 bis 51 des streitigen Beschlusses).

9          Der fragliche Steuervorbescheid sei im Anschluss zum einen an ein Schreiben des Steuerberaters von FFT an die luxemburgische Steuerverwaltung vom 14. März 2012, das einen Antrag auf Genehmigung einer Vereinbarung über Verrechnungspreise enthalten habe, und zum anderen an einen Bericht über die Verrechnungspreisgestaltung einschließlich einer vom Steuerberater zur Unterstützung des Antrags von FFT auf Erlass eines Steuervorbescheids über Verrechnungspreise erstellten Analyse der Verrechnungspreise (im Folgenden: Verrechnungspreis-Bericht) ergangen (Erwägungsgründe 9, 53 und 54 des streitigen Beschlusses).

10        Die Kommission beschrieb den fraglichen Steuervorbescheid als Billigung einer Methode, nach der die Gewinne innerhalb der Fiat/Chrysler-Gruppe FFT zugewiesen würden und auf deren Grundlage es FFT möglich sei, ihre an das Großherzogtum Luxemburg zu entrichtende Körperschaftsteuer auf Jahresbasis zu bestimmen. Der Steuervorbescheid sei für die Dauer von fünf Jahren, vom Steuerjahr 2012 bis zum Steuerjahr 2016, bindend gewesen (Erwägungsgründe 52 und 54 des streitigen Beschlusses).

2.         Beschreibung der luxemburgischen Vorschriften und der OECD-Leitlinien für Verrechnungspreise

11        Die Kommission führte aus, dass der fragliche Steuervorbescheid auf der Grundlage von Art. 164 Abs. 3 des luxemburgischen Code des impôts sur les revenus (im Folgenden: Einkommensteuergesetz) und des Circulaire L.I.R. no° 164/2 du directeur des contributions luxembourgeoises (Rundschreiben zum Einkommensteuergesetz Nr. 164/2 des Direktors der Verwaltung für direkte Steuern [im Folgenden: Rundschreiben Nr. 164/2]) vom 28. Januar 2011 verabschiedet worden sei. Zum einen werde mit diesem Artikel der Fremdvergleichsgrundsatz im luxemburgischen Steuerrecht verankert, nach dem Transaktionen zwischen Unternehmen ein und derselben Gruppe (im Folgenden: integrierte Unternehmen) so vergütet werden sollten, wie es bei unabhängigen Unternehmen der Fall sei, die unter vergleichbaren Umständen zu Marktbedingungen Geschäfte abschlössen (im Folgenden: nicht integrierte oder eigenständige Unternehmen). Zum anderen werde im Rundschreiben Nr. 164/2 u. a. erläutert, wie eine „Arm's length-Vergütung“ (fremdvergleichskonforme Vergütung) insbesondere bei Gruppenfinanzierungsgesellschaften zu bestimmen sei (Erwägungsgründe 74 bis 83 des streitigen Beschlusses).

12        Ferner legte die Kommission die im Bereich der Verrechnungspreise für multinationale Unternehmen und Steuerverwaltungen geltenden Grundsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dar, die vom OECD-Ausschuss für Steuerfragen angenommen worden waren (im Folgenden: OECD-Leitlinien). Die Verrechnungspreise bezögen sich auf Preise, die für geschäftliche Transaktionen zwischen verschiedenen Einheiten derselben Unternehmensgruppe berechnet würden. Um zu vermeiden, dass multinationale Unternehmen einen finanziellen Anreiz hätten, Gebieten, in denen ihre Gewinne am höchsten besteuert würden, möglichst wenig Gewinn zuzuweisen, sollten Steuerverwaltungen Verrechnungspreise zwischen integrierten Unternehmen nur dann akzeptieren, wenn die Transaktionen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz so vergütet würden, als ob sie zwischen eigenständigen Unternehmen in vergleichbaren Situationen zu Marktbedingungen ausgehandelt worden wären (Erwägungsgründe 84 bis 87 des streitigen Beschlusses.

13        Die Kommission wies zudem darauf hin, dass die OECD-Leitlinien fünf Methoden vorsähen, um in Bezug auf Transaktionen und die Gewinnverteilung zwischen integrierten Unternehmen eine Annäherung an die Preisgestaltung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu erreichen. Im vorliegenden Fall seien jedoch nur zwei dieser Methoden relevant, nämlich die Preisvergleichsmethode und die geschäftsvorfallbezogene Nettogewinnmethode (Erwägungsgründe 88 und 89 des streitigen Beschlusses).

3.         Würdigung des fraglichen Steuervorbescheids

14        In Abschnitt 7 (Erwägungsgründe 185 bis 347) des streitigen Beschlusses legte die Kommission dar, warum der fragliche Steuervorbescheid ihrer Ansicht nach alle Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfülle, um als staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung eingestuft zu werden.

15        Speziell zur Voraussetzung eines selektiven Vorteils führte die Kommission aus, dass der fragliche Steuervorbescheid FFT dadurch einen solchen Vorteil verschaffe, dass er eine Verringerung der von FFT in Luxemburg zu entrichtenden Steuern bewirke, da er von den Steuern abweiche, die FFT unter dem allgemeinen Steuersystem hätte entrichten müssen (190. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses). Zu dieser Schlussfolgerung gelangte sie nach Durchführung einer gleichzeitigen Prüfung des Vorteils und der Selektivität, die anhand der drei Schritte aufgebaut war, die der Gerichtshof zur Bestimmung, ob eine bestimmte steuerliche Maßnahme als selektiv einzustufen ist, festgelegt hatte (192. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses und Rn. 119 des angefochtenen Urteils).

16        Zum ersten Schritt der Bestimmung des Bezugssystems stellte die Kommission fest, dass es sich dabei im vorliegenden Fall um das allgemeine luxemburgische Körperschaftsteuersystem handele, dessen Ziel in der Besteuerung der Gewinne aller in Luxemburg ansässigen Unternehmen bestehe. Dieses allgemeine System werde auf inländische Unternehmen und auf ausländische, in Luxemburg ansässige Unternehmen einschließlich der luxemburgischen Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen angewandt. Der Unterschied bei der Berechnung der steuerpflichtigen Gewinne von nicht integrierten Unternehmen bzw. von integrierten Unternehmen wirke sich nicht auf die Zielsetzung des luxemburgischen Körperschaftsteuersystems aus, das darauf abziele, die Gewinne aller in Luxemburg ansässigen Unternehmen zu besteuern, unabhängig davon, ob es sich um integrierte oder nicht integrierte Unternehmen handele. Im Hinblick auf das immanente Ziel dieses Systems befänden sich beide Typen von Unternehmen in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation. Die Kommission wies das gesamte Vorbringen des Großherzogtums Luxemburg und von FFT, wonach Art. 164 des Einkommensteuergesetzes oder das Rundschreiben Nr. 164/2 das relevante Bezugssystem darstelle, sowie ihr Vorbringen, das für die Bewertung der Selektivität des fraglichen Steuervorbescheids zu betrachtende Bezugssystem sollte nur Unternehmen einschließen, die Verrechnungspreisvorschriften unterlägen, zurück (Erwägungsgründe 193 bis 215 des streitigen Beschlusses).

17        Zum zweiten Schritt führte die Kommission aus, dass die Frage, ob eine Steuermaßnahme eine Abweichung vom Bezugssystem darstelle, in der Regel mit der Feststellung eines Vorteils, der dem Begünstigten durch diese Maßnahme gewährt werde, einhergehe. Wenn eine Steuermaßnahme zu einer ungerechtfertigten Verringerung der Steuerverbindlichkeit eines Begünstigten führe, der ohne diese Maßnahme unter dem Bezugssystem höhere Steuern entrichten müsste, stelle diese Verringerung sowohl den durch die Steuermaßnahme gewährten Vorteil als auch die Abweichung vom Bezugssystem dar. Außerdem ermögliche die Feststellung des wirtschaftlichen Vorteils nach der Rechtsprechung bei Einzelbeihilfen grundsätzlich eine Annahme der Selektivität (Erwägungsgründe 216 bis 218 des streitigen Beschlusses).

18        Zur Bestimmung des Vorteils führte die Kommission im Wesentlichen aus, dass eine Steuermaßnahme, die ein einer Gruppe angehörendes Unternehmen dazu veranlasse, Verrechnungspreise zu berechnen, die nicht denen entsprächen, die unter freien Wettbewerbsbedingungen berechnet würden, d. h. Preisen, die von unabhängigen Unternehmen unter vergleichbaren Umständen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz ausgehandelt würden, diesem Unternehmen einen Vorteil verschaffe, da sie eine Verringerung seiner Steuerbemessungsgrundlage und damit der in Anwendung des allgemeinen Körperschaftsteuersystems zu entrichtenden Steuer bewirke. So habe der Gerichtshof in der Rechtssache, in der das Urteil vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416), ergangen sei, den Fremdvergleichsgrundsatz, d. h. „[den] Grundsatz, dem zufolge Transaktionen zwischen Unternehmen derselben Gruppe so vergütet werden sollten, als ob sie zwischen unabhängigen Unternehmen unter vergleichbaren Bedingungen unter freien Wettbewerbsbedingungen ausgehandelt worden wären“, als Bezugskriterium für die Feststellung anerkannt, ob ein Unternehmen der Gruppe infolge einer steuerlichen Maßnahme, die seine Verrechnungspreise und damit seine Steuerbemessungsgrundlage bestimme, einen Vorteil im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV erlange. Daher müsse die Kommission vorliegend prüfen, ob die von der luxemburgischen Steuerbehörde durch den fraglichen Steuervorbescheid gebilligte Methode für die Bestimmung der steuerpflichtigen Gewinne von FFT in Luxemburg von einer Methode abweiche, die zu einer verlässlichen Annäherung an ein marktbasiertes Ergebnis führe und somit dem Fremdvergleichsgrundsatz entspreche. In einem solchen Fall sei davon auszugehen, dass der fragliche Steuervorbescheid FFT einen selektiven Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV gewähre (Erwägungsgründe 222 bis 227 des streitigen Beschlusses).

19        Die Kommission vertrat daher die Auffassung, dass der Fremdvergleichsgrundsatz notwendigerweise einen festen Bestandteil der Prüfung von den integrierten Unternehmen gewährten steuerlichen Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 1 AEUV bilde, und zwar unabhängig davon, ob ein Mitgliedstaat diesen Grundsatz in seinem nationalen Rechtssystem verankert habe. In Erwiderung auf das Vorbringen des Großherzogtums Luxemburg im Verwaltungsverfahren erläuterte die Kommission, dass sie nicht geprüft habe, ob der fragliche Steuervorbescheid mit dem in Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes bzw. im Rundschreiben Nr. 164/2 definierten Fremdvergleichsgrundsatz im Einklang stehe, sondern dass sie versucht habe, festzustellen, ob die luxemburgische Steuerbehörde FFT einen selektiven Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV gewährt habe (Erwägungsgründe 228 bis 231 des streitigen Beschlusses).

20        In Anbetracht dieser Erwägungen und aus den in den Erwägungsgründen 241 bis 301 des streitigen Beschlusses dargelegten Gründen war die Kommission der Ansicht, dass bestimmte methodologische Entscheidungen, die das Großherzogtum Luxemburg gebilligt habe und die der Analyse der Verrechnungspreise im fraglichen Steuervorbescheid zugrunde lägen, zu einer Verringerung der Körperschaftsteuer geführt hätten, die eigenständige Unternehmen hätten entrichten müssen (Erwägungsgründe 234 bis 240 des streitigen Beschlusses).

21        Hilfsweise führte die Kommission aus, dass der fragliche Steuervorbescheid auf jeden Fall einen selektiven Vorteil gewähre, und zwar auch bei Zugrundelegung eines vom Großherzogtum Luxemburg und von FFT geltend gemachten begrenzteren Bezugssystems, das aus Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes und dem Rundschreiben Nr. 164/2 bestehe, mit denen der Fremdvergleichsgrundsatz im luxemburgischen Steuerrecht verankert werde (Erwägungsgründe 315 bis 317 des streitigen Beschlusses). Die Kommission trat ferner dem Vorbringen von FFT entgegen, wonach sie, um zu beweisen, dass FFT infolge des fraglichen Steuervorbescheids eine selektive Behandlung zu ihren Gunsten zuteilgeworden sei, diesen Steuervorbescheid mit der Verwaltungspraxis der luxemburgischen Steuerverwaltung auf der Grundlage des Rundschreibens hätte vergleichen müssen, insbesondere mit den Steuervorbescheiden, die anderen Finanzierungs- und Treasury-Unternehmen gewährt worden seien und die das Großherzogtum Luxemburg ihr als repräsentative Stichprobe seiner Praxis im Bereich der Steuervorbescheide übermittelt habe (Erwägungsgründe 318 bis 336 des streitigen Beschlusses).

22        Im dritten Schritt ihrer Analyse wies die Kommission darauf hin, dass weder das Großherzogtum Luxemburg noch FFT Gründe angeführt hätten, die die Vorzugsbehandlung von FFT infolge des fraglichen Steuervorbescheids gerechtfertigt hätten, und kein Grund festzustellen gewesen sei, bei dem hätte anerkannt werden können, dass er unmittelbar auf den Grundprinzipien des Bezugsrahmens beruht habe oder dass er das Ergebnis von dem System inhärenten Mechanismen sei, die für das Funktionieren und die Wirksamkeit dieses Systems erforderlich seien (Erwägungsgründe 337 und 338 des streitigen Beschlusses).

23        In Anbetracht dieser Erwägungen zog die Kommission somit den Schluss, dass der fragliche Steuervorbescheid FFT einen selektiven Vorteil verschafft habe, da er dazu geführt habe, dass FFT nach dem allgemeinen luxemburgischen Körperschaftsteuersystem, hilfsweise nach dem Steuersystem für integrierte Unternehmen, weniger Steuern habe zahlen müssen als nicht integrierte Unternehmen (Erwägungsgründe 339 und 340 des streitigen Beschlusses). Begünstigte dieses Vorteils sei die Fiat/Chrysler-Gruppe als Ganzes gewesen, da FFT eine wirtschaftliche Einheit mit den anderen Einheiten dieser Gruppe bilde. Eine Verringerung der von FFT zu entrichtenden Steuern habe zwangsläufig zu einer Verringerung der Preise für von FFT vergebene gruppeninterne Darlehen geführt (Erwägungsgründe 341 bis 345 des streitigen Beschlusses).

24        Art. 1 des streitigen Beschlusses lautet:

„Der [fragliche] Steuervorbescheid zugunsten von [FFT], welcher es dem genannten Unternehmen ermöglicht, seine Steuerverpflichtungen in Luxemburg auf jährlicher Basis für einen Zeitraum von fünf Jahren zu bestimmen, stellt eine Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 AEUV dar, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist und [vom Großherzogtum] Luxemburg unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV rechtswidrig durchgeführt worden ist.“

II.         Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

25        Mit Klageschriften, die am 29. und 30. Dezember 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhoben FFT (Rechtssache T‑759/15) und das Großherzogtum Luxemburg (Rechtssache T‑755/15) Klagen auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.

26        Mit Beschluss des Präsidenten der Siebten erweiterten Kammer des Gerichts vom 18. Juli 2016 wurde Irland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge von FFT und des Großherzogtums Luxemburg zugelassen.

27        Mit Beschluss des Präsidenten der Siebten erweiterten Kammer des Gerichts vom 27. April 2018 wurden die Rechtssachen T‑755/15 und T‑759/15 nach Anhörung der Parteien zu gemeinsamem mündlichen Verfahren verbunden.

28        FFT und das Großherzogtum Luxemburg stützten ihre Klagen im Wesentlichen auf fünf Gruppen von Klagegründen:

–          Die erste Gruppe betraf einen Verstoß gegen die Art. 4 und 5 EUV sowie Art. 114 AEUV, soweit die Beurteilung der Kommission zu einer verschleierten steuerlichen Harmonisierung führe (dritter Teil des ersten Klagegrundes in der Rechtssache T‑755/15).

–          Die zweite Gruppe betraf einen Verstoß gegen Art. 107 AEUV, gegen die Begründungspflicht nach Art. 296 AEUV sowie die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, soweit die Kommission davon ausgegangen sei, dass der fragliche Steuervorbescheid insbesondere deshalb einen Vorteil gewähre, weil er nicht im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz stehe (zweiter Teil des ersten Klagegrundes und erster Teil des zweiten Klagegrundes in der Rechtssache T‑755/15, zweite und dritte Rüge des ersten Teils des ersten Klagegrundes, erster Teil des zweiten Klagegrundes, dritter Klagegrund und vierter Klagegrund in der Rechtssache T‑759/15).

–          Die dritte Gruppe betraf einen Verstoß gegen Art. 107 AEUV, soweit die Kommission die Selektivität dieses Vorteils festgestellt habe (erster Teil des ersten Klagegrundes in der Rechtssache T‑755/15 und erste Rüge des ersten Teils des ersten Klagegrundes in der Rechtssache T‑759/15).

–          Die vierte Gruppe betraf einen Verstoß gegen Art. 107 AEUV und die Begründungspflicht nach Art. 296 AEUV, soweit die Kommission festgestellt habe, dass die fragliche Maßnahme den Wettbewerb beschränke und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten verfälsche (zweiter Teil des zweiten Klagegrundes in der Rechtssache T‑755/15 und zweiter Teil des ersten und des zweiten Klagegrundes in der Rechtssache T‑759/15).

–          Die fünfte Gruppe betraf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und die Verletzung der Verteidigungsrechte, soweit die Kommission die Rückforderung der fraglichen Beihilfe angeordnet habe (dritter Klagegrund in der Rechtssache T‑759/15).

29        Nachdem das Gericht die Rechtssachen T‑755/15 und T‑759/15 zu gemeinsamer Entscheidung verbunden hatte, wies es alle diese Klagegründe und damit die Klagen in den beiden Rechtssachen insgesamt zurück.

30        Zur zweiten Gruppe von Klagegründen, insbesondere denjenigen, mit denen die fehlerhafte Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Kontrolle staatlicher Beihilfen gerügt wurde, führte das Gericht zunächst aus, dass die Preise für gruppeninterne Transaktionen im Kontext der Bestimmung der steuerlichen Situation eines integrierten Unternehmens nicht unter Marktbedingungen festgelegt würden. Um festzustellen, ob ein Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliege, könne die Kommission bei der Prüfung einer steuerlichen Maßnahme, die einem solchen integrierten Unternehmen gewährt werde, die Steuerbelastung, die sich für dieses Unternehmen aus der Anwendung dieser steuerlichen Maßnahme ergebe, mit der Steuerbelastung, die sich für ein Unternehmen in einer vergleichbaren tatsächlichen Situation, das seine Tätigkeiten unter Marktbedingungen ausübt, aus der Anwendung der normalen Steuervorschriften des nationalen Rechts ergebe, vergleichen, wenn im nationalen Steuerrecht für die Zwecke der Körperschaftsteuerpflicht nicht zwischen integrierten „Unternehmen“ und nicht integrierten „Unternehmen“ unterschieden und damit beabsichtigt werde, den Gewinn aus der wirtschaftlichen Tätigkeit eines solchen integrierten Unternehmens so zu besteuern, als ob er aus zu Marktpreisen getätigten Transaktionen stammte (Rn. 140 und 141 des angefochtenen Urteils).

31        In diesem Zusammenhang hob das Gericht hervor, dass der Fremdvergleichsgrundsatz ein „Instrument“ oder, wie die Kommission im 225. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses festgestellt habe, ein „Bezugskriterium“ sei, das eine Prüfung der Frage ermögliche, ob die von den nationalen Behörden gebilligten Preise für gruppeninterne Transaktionen den Preisen, die unter Marktbedingungen vereinbart worden wären, entsprächen, um festzustellen, ob ein integriertes Unternehmen infolge einer steuerlichen Maßnahme, die seine Verrechnungspreise bestimme, einen Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV erlange (Rn. 143 des angefochtenen Urteils).

32        Das Gericht wies sodann darauf hin, dass der fragliche Steuervorbescheid im vorliegenden Fall die Ermittlung der steuerpflichtigen Gewinne von FFT nach dem Einkommensteuergesetz betreffe, das zum Ziel habe, den Gewinn aus der wirtschaftlichen Tätigkeit dieses integrierten „Unternehmens“ so zu besteuern, als ob er aus zu Marktpreisen getätigten Transaktionen stammte. Auf dieser Grundlage vertrat es die Auffassung, dass die Kommission den steuerpflichtigen Gewinn von FFT, der sich aus der Anwendung des fraglichen Steuervorbescheids ergeben habe, mit dem steuerpflichtigen Gewinn habe vergleichen dürfen, der sich für ein Unternehmen in einer vergleichbaren tatsächlichen Situation, das seine Tätigkeiten unter Marktbedingungen ausübe, aus der Anwendung der normalen Steuervorschriften des luxemburgischen Rechts ergeben habe (Rn. 145 und 148 des angefochtenen Urteils). In diesem Zusammenhang stellte es klar, dass der Kommission nicht vorgeworfen werden könne, eine Methode zur Bestimmung der Preise verwendet zu haben, die sie für geeignet halte, wobei sie jedoch ihre methodische Wahl begründen müsse (Rn. 146 des angefochtenen Urteils).

33        Schließlich wies das Gericht das Vorbringen des Großherzogtums Luxemburg und von FFT zurück, mit dem diese Schlussfolgerung in Frage gestellt werden sollte.

34        Erstens stellte das Gericht zu dem Vorbringen, die Kommission habe im streitigen Beschluss weder eine Rechtsgrundlage für ihren Fremdvergleichsgrundsatz angegeben noch seinen Inhalt beschrieben, fest, dass die Kommission ausgeführt habe, dass der Fremdvergleichsgrundsatz zum einen notwendigerweise einen festen Bestandteil der Prüfung von den Unternehmen einer Gruppe gewährten steuerlichen Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 1 AEUV bilde und zum anderen ein allgemeiner Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der Besteuerung sei, der in den Anwendungsbereich dieses Artikels falle (Rn. 150 und 151 des angefochtenen Urteils). Zum Inhalt des Fremdvergleichsgrundsatzes führte das Gericht aus, dass es sich ausweislich des streitigen Beschlusses um ein Instrument handele, mit dem sich überprüfen lasse, ob gruppeninterne Transaktionen so vergütet würden, als ob sie zwischen eigenständigen Unternehmen ausgehandelt worden wären (Rn. 155 des angefochtenen Urteils).

35        Zweitens sah das Gericht das Vorbringen, der im streitigen Beschluss angewandte Fremdvergleichsgrundsatz spiele im luxemburgischen Steuerrecht keine Rolle und gestatte der Kommission daher letztlich eine verschleierte Harmonisierung im Bereich der direkten Besteuerung unter Verstoß gegen die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten, als unbegründet an, da die Anwendung dieses Grundsatzes zulässig gewesen sei, weil integrierte und eigenständige Unternehmen nach den luxemburgischen Steuervorschriften gleich besteuert würden. Folglich habe die Kommission durch die Anwendung dieses Kriteriums im vorliegenden Fall ihre Befugnisse nicht überschritten (Rn. 156 bis 158 des angefochtenen Urteils).

36        Drittens führte das Gericht zu dem Vorbringen, die Kommission habe im streitigen Beschluss zu Unrecht festgestellt, dass im Bereich der Besteuerung ein allgemeiner Grundsatz der Gleichbehandlung bestehe, aus, dass diese Formulierung der Kommission nicht aus ihrem Kontext gerissen und dahin ausgelegt werden dürfe, dass die Kommission einen Grundsatz der steuerlichen Gleichbehandlung, der Art. 107 Abs. 1 AEUV inhärent sei, anerkannt habe (Rn. 160 und 161 des angefochtenen Urteils).

III. Anträge der Verfahrensbeteiligten

A.         Rechtssache C‑885/19 P

37        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt FFT,

–          das angefochtene Urteil aufzuheben;

–          den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären oder hilfsweise, wenn der Gerichtshof nicht abschließend entscheiden kann, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen;

–          der Kommission die im Rechtsmittelverfahren und im Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosten aufzuerlegen.

38        Die Kommission beantragt,

–          das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–          FFT die Kosten aufzuerlegen.

39        Irland beantragt,

–          das angefochtene Urteil aufzuheben;

–          den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären;

–          der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

B.         Rechtssache C‑898/19 P

40        Mit seinem Rechtsmittel beantragt Irland,

–          das angefochtene Urteil aufzuheben;

–          den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären;

–          der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

41        Die Kommission beantragt,

–          das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–          Irland die Kosten aufzuerlegen.

42        FFT beantragt,

–          dem Rechtsmittel stattzugeben und

–          die Kommission zu verurteilen, ihre mit der Rechtsmittelbeantwortung und ihrer späteren Beteiligung am Rechtsmittelverfahren verbundenen Kosten zu tragen.

43        Das Großherzogtum Luxemburg beantragt,

–          den Anträgen Irlands stattzugeben;

–          das angefochtene Urteil aufzuheben;

–          den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären;

–          der Kommission die ihm entstandenen Kosten aufzuerlegen.

IV.        Verfahren vor dem Gerichtshof

44        Am 9. März 2020 hat der Präsident des Gerichtshofs die Parteien aufgefordert, zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen C‑885/19 P und C‑898/19 P zu gemeinsamem weiteren Verfahren Stellung zu nehmen.

45        Mit Schreiben vom 16. März 2020 haben FFT, Irland, die Kommission und das Großherzogtum Luxemburg dem Gerichtshof mitgeteilt, dass sie gegen die Verbindung dieser Rechtssachen keine Einwände hätten. Mit Schreiben vom 14. April 2020 hat die Kommission allerdings mitgeteilt, dass sie nach Prüfung des Inhalts der von den Rechtsmittelführern eingereichten Schriftsätze der Ansicht sei, dass es nicht angebracht sei, die beiden Rechtssachen zu gemeinsamem weiteren Verfahren zu verbinden.

46        Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. April 2020 ist den Parteien mitgeteilt worden, dass die Rechtssachen in diesem Stadium des Verfahrens nicht zu verbinden sind.

V.         Zu den Rechtsmitteln

47        Da die vorliegenden Rechtssachen miteinander in Zusammenhang stehen, sind sie gemäß Art. 54 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden.

A.         Zum Rechtsmittel in der Rechtssache C‑898/19 P

48        Zur Stützung seines Rechtsmittels in der Rechtssache C‑898/19 P, das zuerst zu prüfen ist, macht Irland, dem sich das Großherzogtum Luxemburg und FFT anschließen, fünf Rechtsmittelgründe geltend.

49        Mit dem ersten Rechtsmittelgrund, der aus acht Teilen besteht, trägt Irland vor, dass das Gericht bei seinem Ansatz bezüglich der von der Kommission im streitigen Beschluss vorgenommenen Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes einen Rechtsfehler und einen Fehler bei der Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV begangen habe. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund rügt Irland, dem Gericht sei bei der Prüfung der Selektivität des fraglichen Steuervorbescheids ein Fehler unterlaufen. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen die Begründungspflicht und mit dem vierten Rechtsmittelgrund ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit geltend gemacht. Mit dem fünften Rechtsmittelgrund wird schließlich ein Verstoß gegen die Art. 4 und 5 EUV sowie gegen Art. 114 AEUV gerügt, da die Vorschriften über staatliche Beihilfen im vorliegenden Fall zur Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über die direkte Besteuerung genutzt worden seien.

50        Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel teilweise für unzulässig zu erklären. Jedenfalls seien die Rechtsmittelgründe aber als unbegründet zurückzuweisen.

1.         Zur Zulässigkeit

51        Die Kommission macht geltend, dass das Rechtsmittel teilweise unzulässig sei. Das Vorbringen Irlands im Rahmen des ersten und des dritten bis fünften Rechtsmittelgrundes ziele in erster Linie darauf ab, den streitigen Beschluss, die allgemeine Praxis der Kommission bei Steuervorbescheiden und bestimmte Dokumente der Kommission, in denen ihr Ansatz bezüglich dieser Steuervorbescheide beschrieben werde, nicht aber bestimmte Randnummern des angefochtenen Urteils in Frage zu stellen.

52        Aus Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie Art. 168 Abs. 1 Buchst. d und Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung geht hervor, dass ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss; andernfalls ist das Rechtsmittel oder der betreffende Rechtsmittelgrund unzulässig (Urteil vom 23. November 2021, Rat/Hamas, C‑833/19 P, EU:C:2021:950, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53        Im vorliegenden Fall bezeichnet das Rechtsmittel in jedem seiner Rechtsmittelgründe hinreichend genau die beanstandeten Randnummern des angefochtenen Urteils und legt die Gründe dar, aus denen diese Randnummern nach Ansicht Irlands mit einem Begründungsmangel und Rechtsfehlern behaftet sein sollen, so dass der Gerichtshof seine Rechtmäßigkeitskontrolle durchführen kann. Im Einzelnen ergibt sich, wie die Kommission einräumt, aus den Schriftsätzen Irlands, dass sich seine Rechtsmittelgründe ausdrücklich gegen die Erwägungen des Gerichts richten, die insbesondere in den Rn. 113, 140 bis 142, 145, 147, 149, 150 bis 152, 161 und 180 bis 184 des angefochtenen Urteils enthalten sind.

54        Folglich ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit eines Teils des Rechtsmittels zurückzuweisen.

2.         Zur Begründetheit

55        Zunächst sind der fünfte und der sechste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes sowie der fünfte Rechtsmittelgrund zu prüfen.

a)         Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

56        Mit dem fünften Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht Irland geltend, dass der Bezugsrahmen, anhand dessen die Frage zu prüfen sei, ob ein selektiver Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliege, auf dem fraglichen nationalen Steuersystem beruhen müsse und nicht auf einem hypothetischen Steuersystem. Der Fremdvergleichsgrundsatz könne zur Prüfung dieser Frage in einer Situation wie der vorliegenden nur dann angewandt werden, wenn er in der nationalen Steuerregelung, die die „normale“ Besteuerung darstelle, verankert worden sei. Stelle sich nämlich die Frage, ob eine Maßnahme von der „normalen“ Steuerregelung abweiche, seien die Vorschriften zu berücksichtigen, die im betreffenden Mitgliedstaat konkret angewandt würden, nicht aber systemfremde oder hypothetische Vorschriften. Dies habe das Gericht hier nicht beachtet, als es in den Rn. 141 und 145 des angefochtenen Urteils gebilligt habe, dass die Kommission den Fremdvergleichsgrundsatz auf der Grundlage des vermeintlichen Ziels des luxemburgischen Steuerrechts angewandt habe. Das Gericht habe damit die spezifischen Vorschriften des nationalen Rechts außer Acht gelassen, die auf integrierte Unternehmen im Rahmen der Ausarbeitung von Steuervorbescheiden, mit denen die Steuerverwaltung eines Mitgliedstaats auf Antrag eines integrierten Unternehmens zu den für dieses geltenden Verrechnungspreisen Stellung nehme, Anwendung fänden.

57        Mit dem sechsten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes beanstandet Irland, dass das Gericht in Rn. 142 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass die Kommission im streitigen Beschluss zu Recht auf das Urteil vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416), Bezug genommen habe. Dieses Urteil stütze nicht die Schlussfolgerung der Kommission, dass sich der Fremdvergleichsgrundsatz unabhängig davon, ob er im nationalen Recht verankert worden sei oder nicht, aus Art. 107 Abs. 1 AEUV ergebe. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen sei, habe der Gerichtshof die Abweichung vom Fremdvergleichsgrundsatz vielmehr nur deshalb als relevant erachtet, weil dieser in dem in Rede stehenden nationalen Recht, nämlich dem belgischen Recht, verankert worden sei.

58        Mit dem fünften Rechtsmittelgrund, der gegen die Rn. 100 bis 117 des angefochtenen Urteils gerichtet ist, rügt Irland, dass das Gericht sein Vorbringen zurückgewiesen habe, wonach der streitige Beschluss darauf hinauslaufe, unter Verletzung der Art. 3 bis 5 EUV und des Art. 114 AEUV eine gegen den Grundsatz der Zuständigkeitsverteilung verstoßende verschleierte Harmonisierung zu verankern. Die Kommission habe sich im streitigen Beschluss auf Vorschriften berufen, die nicht Teil der nationalen Steuerregelung seien, und dabei die anwendbaren Bestimmungen dieser Regelung außer Acht gelassen. Würde die Kommission in der vorliegenden Rechtssache obsiegen, gälte der Fremdvergleichsgrundsatz, wie er von ihr entwickelt worden sei, für alle Mitgliedstaaten unabhängig davon, was in ihrem eigenen Steuerrecht vorgesehen sei.

59        Die Kommission macht geltend, dass das Vorbringen Irlands, das zum großen Teil auf einem falschen und verzerrten Verständnis des angefochtenen Urteils beruhe, ins Leere gehe und jedenfalls unbegründet sei.

60        Erstens trägt die Kommission zum fünften Teil des ersten Rechtsmittelgrundes vor, dass dieses Vorbringen Irlands, soweit es sich gegen die Feststellungen des Gerichts in Rn. 145 des angefochtenen Urteils richte, wonach zum einen integrierte und eigenständige Unternehmen in Luxemburg nach dem Einkommensteuergesetz hinsichtlich der Körperschaftsteuer gleich besteuert würden und zum anderen das luxemburgische Recht das Ziel habe, den Gewinn aus der wirtschaftlichen Tätigkeit eines solchen integrierten Unternehmens so zu besteuern, als ob er aus zu Marktpreisen getätigten Transaktionen stammte, letztlich darauf hinauslaufe, Tatsachenfeststellungen in Frage zu stellen, die nicht Gegenstand einer Überprüfung im Rahmen eines Rechtsmittels sein könnten.

61        Jedenfalls komme es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob im Steuerrecht und im Gesellschaftsrecht häufig zwischen eigenständigen Unternehmen und Gruppenunternehmen unterschieden werde, sondern darauf, ob dort bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns im Rahmen des allgemeinen Körperschaftsteuersystems zwischen diesen Unternehmen unterschieden werde. Wie das Gericht in Rn. 145 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt habe, treffe das luxemburgische Einkommensteuergesetz keine solche Unterscheidung. Das Gericht habe daher zu Recht festgestellt, dass die luxemburgischen Steuervorschriften das Ziel hätten, den Gewinn aus der wirtschaftlichen Tätigkeit eines solchen integrierten Unternehmens so zu besteuern, als ob er aus zu Marktpreisen getätigten Transaktionen stammte.

62        Zweitens trägt die Kommission zur sechsten Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes Irlands vor, das Gericht habe sich zu Recht auf das Urteil vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416), gestützt, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass, wenn das Steuersystem eines Mitgliedstaats Unternehmen, die einer Gruppe angehörten, und eigenständige Unternehmen hinsichtlich der Körperschaftsteuer gleich behandele, eine Maßnahme im Bereich der Verrechnungspreise, die es einem Gruppenunternehmen ermögliche, seine gruppeninternen Transaktionen auf einem Niveau zu bewerten, das unter dem fremdvergleichskonformen Niveau liege, einen Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verschaffe.

63        Das Bezugskriterium, das der Gerichtshof in den Rn. 95 und 96 dieses Urteils für die Feststellung des Vorliegens eines Vorteils angewandt habe, sei genau das, welches die Kommission in Abschnitt 7.2.2.1 des streitigen Beschlusses dargelegt und das Gericht in den Rn. 141 und 145 des angefochtenen Urteils gebilligt habe, nämlich die Behandlung der eigenständigen Unternehmen im Rahmen der allgemeinen Steuervorschriften. Es stehe außer Zweifel, dass der Gerichtshof damit im Urteil vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416), den Fremdvergleichsgrundsatz angewandt habe. Auch wenn der Grundsatz in diesem Urteil nicht ausdrücklich erwähnt werde, lasse die Verwendung der Worte „sich in freiem Wettbewerb betätigt“ in Rn. 95 des Urteils und „Verrechnungspreise“ in Rn. 96 des Urteils keinen Raum für eine andere Auslegung.

64        Drittens führt die Kommission zum fünften Rechtsmittelgrund aus, dass sie den fraglichen Steuervorbescheid sehr wohl anhand des allgemeinen luxemburgischen Körperschaftsteuersystems geprüft habe. Sollte das angefochtene Urteil in Bezug auf die Feststellung des Vorliegens eines selektiven Vorteils bestätigt werden, bedeute dies lediglich, dass bei Mitgliedstaaten, die Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen nach ihren normalen Vorschriften besteuerten, als ob es sich um gesonderte Einheiten handele, nicht allein deshalb keine beihilferechtliche Kontrolle ihrer Steuervorbescheide erfolge, weil die objektiven Kriterien für die Gewinnzuweisung an diese Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften in ihrem Steuerrecht nicht ausdrücklich kodifiziert seien.

b)         Würdigung durch den Gerichtshof

1)         Einleitende Hinweise

65        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Bereichen, die nicht unionsrechtlich harmonisiert sind, nicht vom Anwendungsbereich der Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Kontrolle staatlicher Beihilfen ausgenommen. Die Mitgliedstaaten dürfen daher keine steuerliche Maßnahme erlassen, die eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe darstellen kann (Urteil vom 16. März 2021, Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

66        Insoweit ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Einstufung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verlangt, dass alle nachstehend genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil verschafft werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Urteil vom 6. Oktober 2021, World Duty Free Group und Spanien/Kommission, C‑51/19 P und C‑64/19 P, EU:C:2021:793, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67        Die Voraussetzung des selektiven Vorteils erfordert die Feststellung, ob die in Rede stehende nationale Maßnahme im Rahmen einer konkreten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die der Sache nach als diskriminierend eingestuft werden kann (Urteil vom 16. März 2021, Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68        Zur Einstufung einer nationalen steuerlichen Maßnahme als „selektiv“ muss die Kommission in einem ersten Schritt das Bezugssystem, d. h. die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende „normale“ Steuerregelung, ermitteln und in einem zweiten Schritt dartun, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme von diesem Bezugssystem insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dem Bezugssystem verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden. Maßnahmen, die eine Unterscheidung zwischen Unternehmen, die sich im Hinblick auf das mit der in Rede stehenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, einführen und damit a priori selektiv sind, fallen jedoch dann nicht unter den Begriff „staatliche Beihilfe“, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, World Duty Free Group und Spanien/Kommission, C‑51/19 P und C‑64/19 P, EU:C:2021:793, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

69        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Bestimmung des Bezugsrahmens im Fall von steuerlichen Maßnahmen eine besondere Bedeutung zukommt, da das Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV nur in Bezug auf eine sogenannte „normale“ Besteuerung festgestellt werden kann. Somit hängt die Bestimmung aller Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, von der vorherigen Definition der rechtlichen Regelung ab, im Hinblick auf deren Ziel gegebenenfalls die Vergleichbarkeit der jeweiligen tatsächlichen und rechtlichen Situation der durch die fragliche Maßnahme begünstigten Unternehmen und der durch sie nicht begünstigten Unternehmen zu prüfen ist (Urteil vom 6. Oktober 2021, World Duty Free Group und Spanien/Kommission, C‑51/19 P und C‑64/19 P, EU:C:2021:793, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

70        Gleichwohl ist klarzustellen, dass die Regelungstechnik nicht entscheidend für die Feststellung der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme sein kann, so dass es nicht immer erforderlich ist, dass diese von einer allgemeinen oder normalen Steuerregelung abweicht. Wie sich nämlich u. a. aus Rn. 101 des Urteils vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich (C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732), ergibt, kann selbst eine nicht formal abweichende Maßnahme, die auf an sich allgemeinen Kriterien beruht, selektiv sein, wenn sie faktisch zu einer unterschiedlichen Behandlung von Unternehmen führt, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Steuerregelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2018, A‑Brauerei, C‑374/17, EU:C:2018:1024, Rn. 32 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

71        Bei der Beurteilung der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme kommt es daher darauf an, dass das in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine Steuersystem oder Bezugssystem im Beschluss der Kommission zutreffend bestimmt und von dem mit einer gegen diese Bestimmung gerichteten Rüge befassten Gericht untersucht wird. Da die Bestimmung des Bezugssystems den Ausgangspunkt für die vergleichende Prüfung darstellt, die im Zusammenhang mit der Beurteilung der Selektivität zu erfolgen hat, führt ein bei dieser Bestimmung begangener Fehler zwangsläufig dazu, dass die gesamte Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Selektivität mit einem Mangel behaftet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, World Duty Free Group und Spanien/Kommission, C‑51/19 P und C‑64/19 P, EU:C:2021:793, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72        In diesem Zusammenhang ist erstens darauf hinzuweisen, dass sich die Bestimmung des Bezugsrahmens, die nach einer kontradiktorischen Erörterung mit dem betreffenden Mitgliedstaat erfolgen muss, aus einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Zusammenhangs und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften ergeben muss (Urteil vom 6. Oktober 2021, World Duty Free Group und Spanien/Kommission, C‑51/19 P und C‑64/19 P, EU:C:2021:793, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73        Zweitens ist es außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, der betreffende Mitgliedstaat, der in Wahrnehmung seiner eigenen Zuständigkeiten im Bereich der direkten Steuern aufgrund seiner Steuerautonomie die grundlegenden Merkmale der Steuer bestimmt, die grundsätzlich das „normale“ Bezugssystem oder die „normale“ Steuerregelung definieren, anhand deren die Voraussetzung der Selektivität zu prüfen ist. Dies gilt insbesondere für die Festlegung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und des Steuertatbestands (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. März 2021, Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 38 und 39, sowie vom 16. März 2021, Kommission/Ungarn, C‑596/19 P, EU:C:2021:202, Rn. 44 und 45).

74        Daraus folgt, dass bei der Bestimmung des Bezugssystems im Bereich der direkten Steuern nur das im betreffenden Mitgliedstaat anwendbare nationale Recht zu berücksichtigen ist. Diese Bestimmung ist wiederum eine unerlässliche Voraussetzung für die Beurteilung nicht nur der Frage, ob ein Vorteil vorliegt, sondern auch der Frage, ob dieser selektiv ist.

75        Im vorliegenden Fall wirft das in den Rn. 56 bis 58 des vorliegenden Urteils zusammengefasste Vorbringen Irlands die Frage auf, ob das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es das von der Kommission im streitigen Beschluss herangezogene Bezugssystem aus den in den Rn. 30 bis 36 des angefochtenen Urteils angeführten Gründen bestätigt hat.

76        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission im 228. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses festgestellt hat, dass der Fremdvergleichsgrundsatz notwendigerweise einen festen Bestandteil ihrer Prüfung von den Unternehmen einer Gruppe gewährten steuerlichen Maßnahmen auf der Grundlage des Art. 107 Abs. 1 AEUV bilde, unabhängig davon, ob ein Mitgliedstaat diesen Grundsatz in seinem nationalen Rechtssystem verankert habe oder nicht.

77        In diesem 228. Erwägungsgrund hat die Kommission erläutert, dass der Fremdvergleichsgrundsatz angewandt werde, um festzustellen, ob die steuerpflichtigen Gewinne eines einer Gruppe zugehörenden Unternehmens für die Zwecke der Berechnung der Körperschaftsteuer auf der Grundlage einer Methode berechnet worden seien, die mit den Marktbedingungen vergleichbar sei, so dass das jeweilige Unternehmen im Rahmen des allgemeinen Körperschaftsteuersystems gegenüber nicht integrierten Unternehmen, deren steuerpflichtiger Gewinn vom Markt bestimmt werde, keine Vorzugsbehandlung erfahre.

78        Ferner ergibt sich aus der Systematik des streitigen Beschlusses, insbesondere aus der Analyse des Bezugssystems in seinen Erwägungsgründen 193 bis 209, dass die Kommission berücksichtigt hat, dass das allgemeine luxemburgische Körperschaftsteuersystem nicht zwischen integrierten Unternehmen und nicht integrierten Unternehmen unterscheidet, da es zum Ziel hat, alle gebietsansässigen Unternehmen zu besteuern.

79        In Anbetracht dieser Erwägungen hat das Gericht in Rn. 161 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass die Feststellung im 228. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses, wonach der Fremdvergleichsgrundsatz ein allgemeiner Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der Besteuerung sei, der in den Anwendungsbereich von Art. 107 Abs. 1 AEUV falle, nicht aus ihrem Kontext gerissen und dahin ausgelegt werden dürfe, dass die Kommission das Bestehen eines allgemeinen Grundsatzes der steuerlichen Gleichbehandlung, der Art. 107 Abs. 1 AEUV inhärent sei, festgestellt hätte.

80        Wie sich aus Rn. 141 des angefochtenen Urteils ergibt, hat das Gericht festgestellt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz Anwendung finde, wenn im einschlägigen nationalen Steuerrecht für die Zwecke der Körperschaftsteuerpflicht nicht zwischen integrierten und nicht integrierten „Unternehmen“ unterschieden werde, da in einem solchen Fall mit diesem Steuerrecht beabsichtigt werde, den Gewinn aus der wirtschaftlichen Tätigkeit eines solchen integrierten „Unternehmens“ so zu besteuern, als ob er aus zu Marktpreisen getätigten Transaktionen stammte. Nach der Ermittlung dieser Rechtsgrundlage für den Fremdvergleichsgrundsatz hat das Gericht in Rn. 145 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen die Auffassung vertreten, dass dieser Grundsatz im vorliegenden Fall anwendbar sei, da das luxemburgische Einkommensteuergesetz das Ziel habe, integrierte und unabhängige Unternehmen hinsichtlich der Körperschaftsteuer gleich zu besteuern.

2)         Zur Frage, ob die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende „normale“ Steuerregelung rechtsfehlerhaft bestimmt wurde

81        Vorab ist das Vorbringen der Kommission zurückzuweisen, wonach der Rechtsmittelführer mit seinen Rügen in Wirklichkeit die insbesondere in Rn. 145 des angefochtenen Urteils enthaltenen Feststellungen des Gerichts zum anwendbaren nationalen Recht angreife, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht Gegenstand einer Überprüfung im Rahmen eines Rechtsmittels sein könnten.

82        Zwar kann der Gerichtshof, wenn er im Rahmen eines Rechtsmittels Beurteilungen des nationalen Rechts durch das Gericht prüft, die im Bereich des Beihilferechts Tatsachenwürdigungen darstellen, nur prüfen, ob dieses Recht verfälscht wurde (Urteil vom 28. Juni 2018, Andres [Insolvenz Heitkamp BauHolding]/Kommission, C‑203/16 P, EU:C:2018:505, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

83        Im vorliegenden Fall will Irland mit seinem Vorbringen jedoch nicht die vom Gericht vorgenommene Auslegung des nationalen Rechts in Frage stellen, sondern ersucht den Gerichtshof um Klärung der Frage, ob sich das Gericht rechtsfehlerfrei die Abgrenzung des maßgeblichen Bezugsrahmens als entscheidendes Kriterium für die Prüfung der Selektivität des Vorteils zu eigen gemacht hat, ohne die spezifischen Vorschriften des luxemburgischen Rechts über die für integrierte Unternehmen geltenden Verrechnungspreise zu berücksichtigen.

84        Irland wendet sich nämlich nur gegen die vom Gericht vorgenommene Anwendung des rechtlichen Kriteriums, anhand dessen festzustellen ist, ob ein Steuervorbescheid wie der fragliche einen selektiven Vorteil gewährt.

85        Die Frage, ob das Gericht das einschlägige Bezugssystem angemessen abgegrenzt und damit ein rechtliches Kriterium wie den Fremdvergleichsgrundsatz richtig angewandt hat, ist jedoch eine Rechtsfrage, die Gegenstand einer Überprüfung durch den Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren sein kann. Vorbringen, mit dem die Wahl des Bezugssystems im ersten Schritt der Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils in Frage gestellt wird, ist zulässig, da diese Prüfung auf einer rechtlichen Qualifizierung des nationalen Rechts auf der Grundlage einer unionsrechtlichen Vorschrift beruht (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Juni 2018, Andres [Insolvenz Heitkamp BauHolding]/Kommission, C‑203/16 P, EU:C:2018:505, Rn. 80 und 81).

86        Zur Begründetheit des Vorbringens Irlands ist darauf hinzuweisen, dass FFT und das Großherzogtum Luxemburg, wie sich im Wesentlichen aus dem 210. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses ergibt, vor der Kommission geltend gemacht haben, dass das Bezugssystem ausschließlich Gruppenunternehmen, ja sogar nur solche, die Finanzierungstätigkeiten ausführten, im Sinne von Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes umfassen sollte, so dass der fragliche Steuervorbescheid mit den der Kommission am 15. Januar 2014 übermittelten Steuervorbescheiden zu vergleichen sei, die den Zeitraum 2010–2013 und 21 andere Steuerpflichtige beträfen. Da die FFT gewährte Behandlung mit Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes, dem Rundschreiben Nr. 164/2 und der einschlägigen Verwaltungspraxis in Einklang stehe, sei durch diesen Steuervorbescheid kein selektiver Vorteil gewährt worden.

87        Die Kommission hat in den Erwägungsgründen 211 bis 215 des streitigen Beschlusses allerdings die Auffassung vertreten, dass diese speziellen Vorschriften bei der Bestimmung des maßgeblichen Bezugssystems nicht zu berücksichtigen seien, weil dies der Zielsetzung des allgemeinen luxemburgischen Körperschaftsteuersystems, das sie bereits in den Erwägungsgründen 193 bis 209 des streitigen Beschlusses als Bezugssystem bestimmt habe, zuwiderliefe. Im vorliegenden Fall bestehe die Zielsetzung dieses Systems in der Besteuerung der Gewinne aller unter die luxemburgische Steuerhoheit fallenden Unternehmen, unabhängig davon, ob es sich bei diesen Unternehmen um integrierte oder nicht integrierte Unternehmen handele (Erwägungsgründe 198 und 212 des streitigen Beschlusses).

88        Die Kommission hat ausgeführt, dass sie nicht prüfen werde, ob der fragliche Steuervorbescheid mit dem in Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes bzw. im Rundschreiben Nr. 164/2 definierten Fremdvergleichsgrundsatz in Einklang stehe (229. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses). Wenn nämlich aufgezeigt werden könne, dass die Methode, die von der luxemburgischen Steuerverwaltung mit diesem Steuervorbescheid für die Bestimmung der steuerpflichtigen Gewinne von FFT in Luxemburg genehmigt worden sei, von einer Methode abweiche, die zu einer verlässlichen Annäherung an ein marktbasiertes und damit fremdvergleichskonformes Ergebnis führe, verschaffe der Steuervorbescheid FFT einen selektiven Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV (231. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses).

89        Aus den Rn. 149 bis 151 des angefochtenen Urteils geht hervor, dass das Gericht die Methode der Kommission bestätigt hat, die im Wesentlichen darin bestand, davon auszugehen, dass bei einem Steuersystem, das zum Ziel hat, die Gewinne aller gebietsansässigen – integrierten oder nicht integrierten – Unternehmen zu besteuern, die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen der Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV unabhängig davon gerechtfertigt ist, ob dieser Grundsatz im nationalen Recht verankert ist.

90        Es ist daher zu prüfen, ob das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es den Ansatz der Kommission gebilligt hat, der im Wesentlichen darin bestand, diesen Grundsatz, wie er in Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes vorgesehen und in dem sich darauf beziehenden Rundschreiben Nr. 164/2 konkretisiert ist, im Rahmen der Prüfung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV, insbesondere bei der Definition des Bezugssystems zur Feststellung, ob der fragliche Steuervorbescheid dem Begünstigten einen selektiven Vorteil verschafft, nicht zu berücksichtigen.

91        Die Kommission hat, indem sie die Relevanz von Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes und des Rundschreibens Nr. 164/2 verneint hat, einen anderen Fremdvergleichsgrundsatz angewandt, als den im luxemburgischen Recht festgelegten. Sie hat sich somit darauf beschränkt, in der Zielsetzung des allgemeinen luxemburgischen Körperschaftsteuersystems den abstrakten Ausdruck dieses Grundsatzes zu identifizieren und den fraglichen Steuervorbescheid zu prüfen, ohne die Art und Weise zu berücksichtigen, in der dieser Grundsatz insbesondere in Bezug auf integrierte Unternehmen im nationalen Recht konkret verankert ist.

92        Mit der Bestätigung dieses Ansatzes hat das Gericht die Anforderung nicht berücksichtigt, die sich aus der in den Rn. 68 bis 74 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, nämlich dass die Kommission für die Feststellung, ob eine steuerliche Maßnahme einem Unternehmen einen selektiven Vorteil verschafft hat, nach einer objektiven Prüfung des Inhalts, des Aufbaus und der konkreten Wirkungen der nach dem nationalen Recht dieses Staates anwendbaren Vorschriften einen Vergleich mit dem im betreffenden Mitgliedstaat normalerweise geltenden Steuersystem vorzunehmen hat. Es hat damit Art. 107 Abs. 1 AEUV rechtsfehlerhaft angewandt.

93        Zwar zielt, wie alle Verfahrensbeteiligten anerkennen, das auf Unternehmen in Luxemburg anwendbare nationale Recht im Bereich der Besteuerung integrierter Unternehmen darauf ab, zu einer verlässlichen Annäherung an den Marktpreis zu gelangen. Doch auch wenn dieses Ziel allgemein dem des Fremdvergleichsgrundsatzes entspricht, ändert dies nichts daran, dass die konkreten Modalitäten der Anwendung dieses Grundsatzes mangels einer Harmonisierung im Unionsrecht im nationalen Recht festgelegt werden und bei der Bestimmung des Bezugsrahmens für die Feststellung des Vorliegens eines selektiven Vorteils zu berücksichtigen sind.

94        Außerdem hat das Gericht dadurch, dass es in Rn. 113 des angefochtenen Urteils anerkannt hat, dass sich die Kommission auf Vorschriften berufen könne, die nicht zum luxemburgischen Recht gehörten, obwohl es in Rn. 112 dieses Urteils darauf hingewiesen hat, dass die Kommission bei diesem Stand der Entwicklung des Unionsrechts nicht befugt sei, unter Außerachtlassung der nationalen Steuervorschriften eigenständig die sogenannte „normale“ Besteuerung eines integrierten Unternehmens zu bestimmen, die Vorschriften des AEU-Vertrags über den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern durch die Europäische Union, insbesondere Art. 114 Abs. 2 und Art. 115 AEUV, verkannt. Die Autonomie eines Mitgliedstaats im Bereich der direkten Steuern, wie sie in der in Rn. 73 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung anerkannt worden ist, lässt sich nämlich nicht in vollem Umfang gewährleisten, wenn die Prüfung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV bei Fehlen derartiger Angleichungsmaßnahmen nicht ausschließlich auf den vom Gesetzgeber des betreffenden Mitgliedstaats festgelegten normalen Steuervorschriften beruht.

95        Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass mangels einer entsprechenden Harmonisierung die etwaige Festlegung der Methoden und Kriterien, anhand deren sich ein „fremdvergleichskonformes“ Ergebnis feststellen lässt, in das Ermessen der Mitgliedstaaten fällt. Obwohl die Mitgliedstaaten der OECD anerkennen, dass es nützlich sein kann, auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückzugreifen, um die die Gewinne von Unternehmen korrekt verschiedenen Ländern zuzuordnen, bestehen zwischen diesen Staaten erhebliche Unterschiede bei der Anwendung der Verrechnungspreismethoden im Einzelnen. Wie die Kommission im 88. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses selbst ausgeführt hat, sehen die OECD-Leitlinien mehrere Methoden vor, um in Bezug auf Transaktionen und die Gewinnverteilung zwischen Unternehmen einer Gruppe eine Annäherung an die Preisgestaltung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz zu erreichen.

96        Selbst wenn im Bereich der internationalen Besteuerung ein gewisser Konsens dahin bestehen sollte, dass Transaktionen zwischen wirtschaftlich verbundenen Unternehmen, insbesondere gruppeninterne Transaktionen, zu steuerlichen Zwecken so zu beurteilen sind, als ob sie zwischen wirtschaftlich unabhängigen Unternehmen vorgenommen würden, und sich daher zahlreiche nationale, in Steuersachen zuständige Behörden bei der Bildung und Kontrolle der Verrechnungspreise an den OECD-Leitlinien orientieren, sind – unbeschadet der Ausführungen in den Rn. 120 bis 122 des vorliegenden Urteils – nur die nationalen Bestimmungen relevant, wenn zu prüfen ist, ob bestimmte Transaktionen anhand des Fremdvergleichsgrundsatzes zu untersuchen sind, und gegebenenfalls, ob Verrechnungspreise, die die Grundlage für die Bemessung des von einem Steuerpflichtigen zu versteuernden Einkommens und seiner Verteilung zwischen den betreffenden Staaten bilden, von einem fremdvergleichskonformen Ergebnis abweichen. Bei der Prüfung der Frage, ob ein selektiver Steuervorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt, und der Feststellung, welche Steuerbelastung ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, dürfen daher Parameter und Regeln, die außerhalb des fraglichen nationalen Steuersystems liegen, nicht berücksichtigt werden, es sei denn, das nationale Steuersystem bezieht sich ausdrücklich darauf.

97        Dies ist Ausdruck des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, der als allgemeiner Rechtsgrundsatz Teil der Unionsrechtsordnung ist und gebietet, dass jede Pflicht zur Entrichtung einer Steuer sowie alle wesentlichen Elemente, die die materiell-rechtlichen Aspekte der Steuer ausmachen, gesetzlich vorgesehen ist, da der Steuerpflichtige in der Lage sein muss, die Höhe der geschuldeten Steuer vorherzusehen und zu berechnen und den Fälligkeitszeitpunkt der Steuer zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2019, Związek Gmin Zagłębia Miedziowego, C‑566/17, EU:C:2019:390, Rn. 39).

98        Zweitens hat das Großherzogtum Luxemburg in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass abgesehen davon, dass die OECD-Leitlinien für die Mitgliedstaaten dieser Organisation nicht verbindlich seien, das Rundschreiben Nr. 164/2 zur Auslegung von Art. 164 Abs. 3 des Einkommenssteuergesetzes spezifische Regeln für die Berechnung der Verrechnungspreise bei Gruppenfinanzierungsgesellschaften wie FFT vorsehe, die implizierten, dass bei der Berechnung dieser Preise Tätigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmensbeteiligungen nicht berücksichtigt würden. Der 79. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses, der zu dessen Abschnitt 2.3.2 gehört und eine Beschreibung des Inhalts dieses Rundschreibens enthält, bestätigt, dass dieser Mitgliedstaat spezifische Regeln für die Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Vergütung bei solchen Gesellschaften vorgesehen hat und dass diese Regeln der Kommission im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Kenntnis gebracht worden waren.

99        Bei der Prüfung des Bezugssystems und damit des Vorliegens eines FFT gewährten selektiven Vorteils durch die Kommission, wie sie vom Gericht gebilligt worden ist, wurden diese normativen Entscheidungen, mit denen die Tragweite des Fremdvergleichsgrundsatzes und seine Umsetzung im luxemburgischen Recht geklärt werden sollen, jedoch nicht berücksichtigt.

100       Auf eine Frage in der mündlichen Verhandlung hat die Kommission erklärt, dass die luxemburgische Steuerverwaltung im fraglichen Steuervorbescheid die Regeln, die sie in Bezug auf den Fremdvergleichsgrundsatz und die Berechnung der Verrechnungspreise normalerweise anwende, „fehlerhaft angewandt“ habe. Es ist jedoch festzustellen, dass die Kommission im streitigen Beschluss, wie vom Gericht bestätigt, jede Prüfung der Art und Weise der Auslegung und Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes, wie er im Wesentlichen in Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes verankert ist, abgelehnt hat.

101       Das Gericht hat diese Analyse in Rn. 146 des angefochtenen Urteils ausdrücklich bestätigt, als es ausgeführt hat, dass der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, eine Verrechnungspreismethode verwendet zu haben, die sie als im vorliegenden Fall geeignet ansehe, um die Höhe der Verrechnungspreise für eine Transaktion oder für mehrere eng verbundene Transaktionen, die Teil der beanstandeten Maßnahme seien, zu prüfen, sowie in Rn. 147 dieses Urteils, wo es betont hat, dass die OECD-Leitlinien, an denen sich die Kommission orientiert habe, „auf wichtigen Arbeiten von Gruppen renommierter Experten beruhen“, „den internationalen Konsens zu Verrechnungspreisen widerspiegeln“ und „sicherlich praktische Bedeutung für die Auslegung von die Verrechnungspreise betreffenden Fragen haben“.

102       Drittens bestätigt das Urteil vom 22. Juni 2006, Belgien und Forum 187/Kommission (C‑182/03 und C‑217/03, EU:C:2006:416), entgegen den Ausführungen des Gerichts in Rn. 142 des angefochtenen Urteils nicht den Standpunkt, dass der Fremdvergleichsgrundsatz unabhängig davon, ob und in welcher Weise er im nationalen Steuerrecht verankert ist, anwendbar ist, wenn dieses Recht darauf abzielt, integrierte und eigenständige Unternehmen gleich zu besteuern.

103       In diesem Urteil hat der Gerichtshof nämlich festgestellt, dass ein Mitgliedstaat, wenn er entschieden hat, in seinem nationalen Recht eine Methode zur Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns integrierter Unternehmen zu verankern, die der „Cost-plus“-Methode der OECD entspricht und somit bezweckt, diese Unternehmen auf einer Grundlage zu besteuern, die mit derjenigen vergleichbar ist, die sich aus der sonst anwendbaren Regelung ergäbe, den integrierten Unternehmen dann einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft, wenn er in diese Methode Vorschriften einbezieht, die eine Minderung der von diesen Unternehmen nach dieser Regelung normalerweise zu tragenden Steuerbelastung bewirken.

104       Der Gerichtshof hat in dem besagten Urteil somit im Hinblick auf die Besteuerungsregeln des einschlägigen nationalen Rechts, d. h. des belgischen Rechts, die einen Mechanismus der Gewinnbesteuerung nach einer „Cost-plus“-Methode der OECD vorsahen, entschieden, dass auf den Fremdvergleichsgrundsatz zurückzugreifen sei. Daher lässt sich aus diesem Urteil nicht ableiten, dass der Gerichtshof einen eigenständigen Fremdvergleichsgrundsatz aufstellen wollte, der unabhängig von seiner Verankerung im nationalen Recht bei der Prüfung steuerlicher Maßnahmen im Rahmen der Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV gilt.

105       Aus alledem ergibt sich, dass die Gründe des angefochtenen Urteils, die sich auf die Prüfung der Erwägungen beziehen, die die Kommission im Zusammenhang mit ihrer in erster Linie vertretenen Auffassung angestellt hat, nämlich dass der fragliche Steuervorbescheid von dem in den Rn. 17 bis 20 des vorliegenden Urteils angeführten allgemeinen luxemburgischen Körperschaftsteuersystem abweiche, insoweit rechtsfehlerhaft sind, als das Gericht den Ansatz der Kommission gebilligt hat, der im Wesentlichen darin bestand, den Fremdvergleichsgrundsatz, wie er in Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes vorgesehen und in dem sich darauf beziehenden Rundschreiben Nr. 164/2 konkretisiert ist, im Rahmen der Prüfung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV bei der Definition des Bezugssystems zur Feststellung, ob der fragliche Steuervorbescheid dem Begünstigten einen selektiven Vorteil verschafft, nicht zu berücksichtigen.

106       Es ist jedoch zu prüfen, ob der dem Gericht unterlaufene Rechtsfehler zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen kann.

107       Die Kommission hat vorgetragen, dass etwaige Rechtsfehler in den Rn. 125 bis 286 des angefochtenen Urteils nicht zu dessen Aufhebung führen könnten, wenn die vom Gericht in den Rn. 290 bis 299 des angefochtenen Urteils vorgenommene Analyse bestätigt werden sollte.

108       Daher gehe das Rechtsmittel ins Leere, da, selbst wenn einer der geltend gemachten Rechtsmittelgründe für begründet erklärt würde, dies nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen könne. Der streitige Beschluss enthalte nämlich eine auf Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes und auf das Rundschreiben Nr. 164/2 gestützte, hilfsweise angeführte Begründung, deren Bestätigung durch das Gericht von Irland nicht beanstandet werde.

109       Insoweit ist festzustellen, dass das Gericht mit den Ausführungen in den Rn. 290 bis 299 des angefochtenen Urteils die „hilfsweise“ angeführte Begründung der Kommission in den Erwägungsgründen 315 bis 317 des streitigen Beschlusses, wonach der fragliche Steuervorbescheid von dem durch Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes und das Rundschreiben Nr. 164/2 gebildeten Bezugssystem abweiche, im Wesentlichen bestätigt hat.

110       Zwar hat Irland die in dieser Passage des angefochtenen Urteils enthaltenen Erwägungen nicht unmittelbar in Frage gestellt, doch lässt sich, anders als die Kommission geltend macht, nicht vertreten, dass das Rechtsmittel ins Leere geht, weil sich das Vorbringen Irlands nicht auf den Tenor des angefochtenen Urteils auswirken kann.

111       Wie der Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, enthalten die Ausführungen in den Rn. 290 bis 299 des angefochtenen Urteils nämlich keine Analyse, die von derjenigen, die sich aus dem Bezugssystem ergibt, das die Kommission im Zusammenhang mit ihrer in erster Linie vertretenen Auffassung herangezogen hat, abtrennbar und unabhängig ist und die damit den Fehler, mit dem dieses System behaftet ist, nicht heilen kann. Zwar hat die Kommission im 317. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses festgestellt, dass der fragliche Steuervorbescheid dazu führe, dass die Steuerverbindlichkeit von FFT geringer sei, „als sie es bei korrekter Anwendung des in [Art. 164 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes] dargelegten Fremdvergleichsgrundsatzes gewesen wäre“. Sie hat jedoch, wie vom Gericht in Rn. 294 des angefochtenen Urteils ausgeführt, hinsichtlich dieser korrekten Anwendung in vollem Umfang auf die Prüfung des auf dem allgemeinen luxemburgischen Körperschaftsteuersystem beruhenden Bezugssystems verwiesen, die sie im Zusammenhang mit ihrer in erster Linie vertretenen Auffassung vorgenommen hatte.

112       Daraus folgt, dass die Erwägungen, auf die sich die Kommission hilfsweise gestützt hat, den Fehler, den sie bei der Bestimmung des Bezugssystems begangen hat, das die Grundlage ihrer Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils hätte bilden müssen, nur scheinbar berichtigen. Unter diesen Umständen wirkt sich der Rechtsfehler, der dem Gericht bei seiner Analyse der Erwägungen der Kommission zum Bezugssystem, die diese im Zusammenhang mit ihrer in erster Linie vertretenen Auffassung angestellt hat, unterlaufen ist, auch auf die vom Gericht vorgenommene Analyse der im streitigen Beschluss zu diesem Aspekt hilfsweise angeführten Begründung aus.

113       Nach alledem ist dem fünften und dem sechsten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes sowie dem fünften Rechtsmittelgrund stattzugeben und das angefochtene Urteil somit aufzuheben, ohne dass über die anderen Teile des ersten Rechtsmittelgrundes und über die anderen Rechtsmittelgründe entschieden zu werden braucht.

B.         Zum Rechtsmittel in der Rechtssache C‑885/19 P

114       In Anbetracht der Aufhebung des angefochtenen Urteils braucht über das Rechtsmittel von FFT nicht mehr entschieden zu werden.

VI.        Zu den Klagen vor dem Gericht

115       Hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf, so kann er gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

116       Dies ist hier der Fall, da die mit den Klagen auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses geltend gemachten Klagegründe vor dem Gericht kontradiktorisch erörtert wurden und ihre Prüfung keine weitere prozessleitende Maßnahme oder eine Beweisaufnahme erfordert.

117       Insoweit genügt der Hinweis, dass der streitige Beschluss aus den in den Rn. 81 bis 112 des vorliegenden Urteils genannten Gründen für nichtig zu erklären ist, weil die Kommission rechtsfehlerhaft das Vorliegen eines selektiven Vorteils anhand eines Bezugsrahmens festgestellt hat, der einen Fremdvergleichsgrundsatz umfasst, der sich nicht aus einer umfassenden Prüfung des einschlägigen nationalen Steuerrechts nach einer entsprechenden kontradiktorischen Erörterung mit dem betreffenden Mitgliedstaat ergibt, und damit auch gegen die Bestimmungen des AEU‑Vertrags über den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern durch die Europäische Union, insbesondere Art. 114 Abs. 2 und Art. 115 AEUV, verstoßen hat.

118       Wie sich aus der in Rn. 71 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, schlägt ein solcher Fehler bei der Bestimmung der nach dem einschlägigen nationalen Recht tatsächlich anwendbaren Vorschriften und folglich bei der Ermittlung der „normalen“ Besteuerung, anhand deren der fragliche Steuervorbescheid zu beurteilen war, zwangsläufig auf alle Erwägungen zum Vorliegen eines selektiven Vorteils durch.

119       Dies schließt jedoch nicht aus, dass Maßnahmen der direkten Besteuerung wie von den Mitgliedstaaten erlassene Steuervorbescheide als staatliche Beihilfen eingestuft werden können, sofern alle in Rn. 66 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt sind.

120       Wie in Rn. 65 des vorliegenden Urteils ausgeführt, sind Maßnahmen der Mitgliedstaaten in Bereichen, die nicht unionsrechtlich harmonisiert sind, nämlich nicht vom Anwendungsbereich der Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Kontrolle staatlicher Beihilfen ausgenommen.

121       Die Mitgliedstaaten müssen ihre Zuständigkeit im Bereich der direkten Steuern somit im Einklang mit dem Unionsrecht ausüben, insbesondere im Einklang mit den durch den AEU-Vertrag eingeführten Vorschriften über staatliche Beihilfen. Sie müssen daher bei der Ausübung dieser Zuständigkeit davon absehen, Maßnahmen zu erlassen, die mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 AEUV darstellen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. September 2021, Kommission/Belgien und Magnetrol International, C‑337/19 P, EU:C:2021:741, Rn. 161 und 162 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

122       Insbesondere muss die Kommission, nachdem sie festgestellt hat, dass sich ein Mitgliedstaat dafür entschieden hat, den Fremdvergleichsgrundsatz anzuwenden, um die Verrechnungspreise integrierter Unternehmen zu ermitteln, gemäß der in Rn. 70 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung in der Lage sein, nachzuweisen, dass die im nationalen Recht hierfür vorgesehenen Parameter offensichtlich im Widerspruch zu dem mit dem nationalen Steuersystem verfolgten Ziel einer nicht diskriminierenden Besteuerung aller gebietsansässigen – integrierten oder nicht integrierten –Unternehmen stehen, da sie dazu führen, dass die Verrechnungspreise bei integrierten Unternehmen oder bestimmten integrierten Unternehmen wie Finanzierungsgesellschaften im Verhältnis zu Marktpreisen für vergleichbare Transaktionen nicht integrierter Unternehmen systematisch unterbewertet werden.

123       Im vorliegenden Fall hat die Kommission jedoch, wie in Rn. 105 des vorliegenden Urteils festgestellt, im streitigen Beschluss keine solche Prüfung vorgenommen, da ihr Prüfungsschema nicht alle einschlägigen Vorschriften zur Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes im luxemburgischen Recht umfasste.

124       Nach alledem ist dem ersten und dem dritten Teil des ersten Klagegrundes des Großherzogtums Luxemburg in der Rechtssache T‑755/15 sowie der ersten Rüge des ersten Klagegrundes von FFT in der Rechtssache T‑759/15 stattzugeben. Folglich ist der streitige Beschluss für nichtig erklären, ohne dass die anderen Klagegründe geprüft zu werden brauchen.

VII. Zu den Kosten

125       Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

126       Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

127       Da im vorliegenden Fall Irland mit seinem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑898/19 P obsiegt hat, sind der Kommission entsprechend seinem Antrag neben ihren eigenen Kosten die Irland entstandenen Kosten aufzuerlegen.

128       In Bezug auf das Rechtsmittel in der Rechtssache C‑885/19 P entscheidet der Gerichtshof nach Art. 149 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 190 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, über die Kosten, wenn er die Hauptsache für erledigt erklärt. Nach Art. 142 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, entscheidet der Gerichtshof in diesem Fall über die Kosten nach freiem Ermessen. Vorliegend ist zu entscheiden, dass jede Partei ihre eigenen Kosten im Zusammenhang mit dem Rechtsmittel in der Rechtssache C‑885/19 P trägt.

129       Im Übrigen trägt die Kommission, da den Klagen vor dem Gericht stattgegeben wird, die gesamten Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

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