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Steuerrecht
30.04.2025
Steuerrecht
FG Berlin-Brandenburg: Bei Steuerhinterziehung irisches Insolvenzverfahren wirkungslos

FG Berlin-Brandenburg, Gerichtsbescheid vom 19.2.2025 – 16 K 16133/24

ECLI:DE:FGBEBB:2025:0219.16K16133.24.00

Volltext der Entscheidung://BB-ONLINE BBL2025-1060-1

Amtlicher Leitsatz

Die einer Restschuldbefreiung vergleichbare Wirkung eines in Irland durchlaufenen Insolvenzverfahrens tritt für Steuerforderungen im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung, wegen der der Schuldner rechtskräftig verurteilt worden ist, nicht ein, weil sie gegen den deutschen ordre public verstößt.

Sachverhalt

Streitig ist der Abrechnungsbescheid vom 25.04.2024. In diesem Bescheid lehnte der Beklagte die Anerkennung eines in der Republik Irland durchlaufenden Insolvenzverfahrens in Bezug auf die auf einer Steuerhinterziehung des Klägers beruhenden Steuerverbindlichkeiten ab. Auf den Bescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22.07.2024 wird Bezug genommen.

Der Kläger hatte vor Erlass des Abrechnungsbescheids zunächst im Verfahren 16 K 16094/23 Klage erhoben. Hintergrund dieses Verfahrens war, dass der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland erhebliche Steuerschulden aus den Veranlagungszeiträumen 2009 bis 2012 hatte, in deren Zusammenhang er wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden war. Das Landgericht C… hatte den Kläger mit Urteil vom xx.xx.2013 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen Steuerhinterziehung mit einem Steuerschaden i. H. v. 6.489.556 Euro verurteilt. Dieses Urteil ist seit dem xx.xx.2013 rechtskräftig. Der Kläger übersiedelte nach seinen vom Beklagten nicht bestrittenen Angaben in der Folge in die Republik Irland. Über das Vermögen des Klägers wurde in der Republik Irland ein Insolvenzverfahren eröffnet und mit beglaubigter Bestätigung zum 18.10.2021 die Zahlungsunfähigkeit erklärt. Nach Verfahrensabschluss erhielt der Kläger mit dem certificate of discharge from bankruptcy vom xx.xx.2022 (Anlage 1 zum Schriftsatz des Klägers vom 30.09.2024 im vorliegenden Verfahren) die Bestätigung, dass er mit Ablauf des xx.xx.2022 aus dem Verfahren entlassen ist.

Das irische Insolvenzverfahren hat zur Folge, dass die Forderungen nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. Europäisches Justizportal - Insolvenz/Bankrott Irland, https://e-justice.europa.eu/content_insolvency-447-IE-de.do?clang=de). Ausnahmen im irischen Recht für Steuerforderungen, die im Zusammenhang mit einer Steuerhinterziehung stehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Der Kläger hatte in dem vorgenannten finanzgerichtlichen Verfahren beantragt, festzustellen, dass nach seiner registrierten Zahlungsunfähigkeit am xx.xx.2021 und erfolgtem discharge from bankruptcy die Einleitung und/oder Fortführung vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen der Finanzverwaltung, insbesondere durch den Beklagten unter anderem durch Einforderung von Drittschuldnererklärungen und Übermittlung von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen nach dem xx.xx.2022 unzulässig sei, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, einen Abrechnungsbescheid zu erlassen und darin festzustellen, dass die Forderungen des Finanzamts allesamt erloschen sind.

Die Klage hatte insgesamt keinen Erfolg. Das Gericht urteilte insoweit hinsichtlich der begehrten Feststellung, dass die Klage bereits unzulässig sei. Denn es stehe vorliegend mit der Möglichkeit, einen Abrechnungsbescheid im Sinne des § 218 Abgabenordnung – AO – zu beantragen, nach durchlaufenem entsprechendem Einspruchsverfahren eine andere Klageart zur Verfügung (Subsidiaritätsregelung des § 41 Abs. 2 S. 1 FGO – Finanzgerichtsordnung –).

Da das Erlöschen der Forderungen nach irischem Recht in einem Abrechnungsbescheid feststellbar sei, sei auch die Möglichkeit gegeben, diesen nach einem entsprechenden außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren mit einer anderen Klageart als der Feststellungsklage anzugreifen, was zur Unzulässigkeit der seinerzeitigen Feststellungsklage führe. Der Hilfsantrag hinsichtlich einer Verpflichtung des Beklagten, einen Abrechnungsbescheid zu erlassen, hatte ebenfalls keinen Erfolg. Der Antrag sei insoweit nicht als Untätigkeitsklage zulässig. Wegen der weiteren Einzelheiten des Urteils vom 17.04.2024 wird auf das den Beteiligten bekannte Urteil verwiesen. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Nichtzulassungsbeschwerde wird beim BFH unter dem Aktenzeichen VII B 77/24 geführt.

Im Anschluss an das Urteil vom 17.04.2024 erließ der Beklagte den Abrechnungsbescheid vom 25.04.2024 und nach Einspruch hiergegen die Einspruchsentscheidung vom 22.07.2024, wogegen sich der Kläger mit der vorliegenden, am 26.08.2024 erhobenen Klage (der 25.08.2024 war ein Sonntag) wendet.

Der Kläger macht nunmehr geltend, dass im Ergebnis weiterhin die Klärung der Reichweite der rechtswirksam erfolgten Insolvenzentlastung aufgrund des im europäischen Mitgliedsstaat Irland durchgeführten Verfahrens erfolgen müsse, nachdem ein Ausschluss oder eine Begrenzung analog der Regelung nach Maßgabe von § 302 Insolvenzordnung – InsO – nicht bestehe und die Forderungen der Finanzverwaltung im Insolvenzverfahren ordnungsgemäß angemeldet worden seien. Durch Eröffnung des Verfahrens und Feststellung des Bankrotts seien die Forderungen der Finanzverwaltung nicht mehr durchsetzbar und unterlägen nach dem Verfahrensabschluss einem dauerhaften Vollstreckungshindernis.

Die Thematik sei u.a. auch beim Bundesverfassungsgericht sowie dem Bundesfinanzhof anhängig und habe grundsätzliche Bedeutung auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung, nachdem eine Vielzahl von Finanzämtern in vergleichbaren Fallkonstellationen antragsgemäß die Erledigung erklärt hätten.

Wie bereits im vorangegangenen Verfahren zum Aktenzeichen 16 K 16094/23 – dessen Beiziehung er anrege, zumal das Urteil vom 17.04.2024 noch keine Rechtskraft entfalte – sei darauf hinzuweisen, dass er das Insolvenzverfahren im Europäischen Mitgliedsstaat Irland ordnungsgemäß durchlaufen und Entlastung gemäß Certificate of Discharge from Bankruptcy vom xx.xx.2022 erhalten habe. Als Nachweis verweise er auf die Anlagen zur Klageschrift und zu seinen Schriftsätzen. Im Insolvenzverfahren seien auch die Forderungen des Beklagten, welche im Abrechnungsbescheid aufgeführt seien, angemeldet worden. Sie seien vom High Court durch Feststellung der Bankruptcy am xx.xx.2021 geprüft und durch die verfahrensabschließende Entscheidung des Insolvency Service of Ireland (ISI) zum xx.xx.2022 für erledigt erklärt worden. Er verweise auf die Bestätigung des Notariats B… .

In Folge der Verpflichtung zur wechselseitigen Anerkennung ausländischer Entscheidungen nach Maßgabe der EUInsVO bestehe nunmehr nicht nur ein dauerhaftes Vollstreckungshindernis, sondern der angefochtene und zur Überprüfung gestellte Abrechnungsbescheid vom 25.04.2024 sei rechtsfehlerhaft, nachdem damit offene Betragsforderungen in Höhe von 24.708.950,70 Euro resultierend u.a. aus Steuerlasten der Veranlagungszeiträumen 2009-2011 festgestellt worden seien.

Mit der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2024 habe der Beklagte die Auffassung bekräftigt, die Forderungen seien nicht von der Insolvenzentlastung umfasst.

Zur Begründung habe der Beklagte ausschließlich auf das Recht nach Art. 33 EUInsVO verwiesen, wonach die Anerkennung in Ausnahmefällen versagt werden könne. Eine solche Konstellation sei nach Auffassung des Beklagten vorliegend gegeben gewesen, nachdem der Kläger vom Landgericht C… verurteilt worden sei. Dieser Ansicht könne jedoch nicht gefolgt werden, da bei unterstellter Anwendungsmöglichkeit von Art. 33 EUInsVO der Vorrang europäischen Rechts faktisch unterlaufen werde.

Die gesetzgeberischen Regelungen seien in Kenntnis zum möglichen Vorliegen strafbaren Verhaltens ergangen. Infolgedessen komme gerade die parlamentarische Intention zum Ausdruck, bei strafrechtlicher Sanktionierung keinen Rückschluss oder gar ein zu berücksichtigendes Anwendungshindernis bei anderweitigen Verfahren und Gerichtsentscheidungen zu implementieren. Die Trennung der Gewalten und eine gerichtliche Unabhängigkeit sollten gerade dazu beitragen, die Interessen des Betroffenen hinreichend zu wahren.

Würde aus einem Strafurteil betreffend eine Körperverletzung vollautomatisch eine zivilrechtlich durchzusetzende Schadensersatz- und/oder Schmerzensgeldforderung erwachsen, was nicht der Fall sei, wären Folgeprozesse obsolet.

Auch zeige sich eine argumentative Divergenz dahingehend, dass vorliegend nicht auf eine qualitative Begebenheit, sondern unzulässiger Weise das quantitative Ausmaß einer Steuerlastenschätzung zur Forderungslegitimation bemüht werde. Es habe ausweislich der Angaben des Beklagten eine bewährungsfähige Strafe erhalten, was unter Berücksichtigung der angeblich bestehenden Steuerlast und daraus resultierender Säumniszuschläge keine Kongruenz aufweise. Zugleich solle aber gerade der Forderungsbetrag über 6.489.556 Euro so herausragend sein, dass eine Abweichung vom grundsätzlich gesetzlich vorgesehenen Verfahrensverlauf einer Anerkennung der Insolvenzentlastung zwingend geboten sei. Damit wäre aber zugleich die Bewertung der Wirtschaftsstrafkammer als unhaltbar ausgewiesen, welche durch die Bewilligung der Bewährung gerade zum Ausdruck gebracht habe, dass ein strafrechtsrelevantes Verhalten unter Berücksichtigung einer positiven Sozialprognose nicht zur Erforderlichkeit einer Inhaftierung führen könne.

Mit anderen Worten müsse es dem Beklagten verwehrt bleiben, ein und denselben Umstand jeweils zur Argumentation des avisierten Ergebnisses heranzuziehen, was ein widerstreitendes Verhalten darstelle. Entweder die Verurteilung durch das Landgericht C… sei maßgeblich, dann müsse auch die Entscheidung des High Court zur Insolvenzentlastung anerkannt werden. Oder das Ergebnis des Insolvenzverfahrens werde in Frage gestellt, dann könne auch nicht auf das Resultat des strafrechtlichen Verfahrens abgestellt werden.

In diesem Zusammenhang dürfe auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass sowohl die Steuerforderungen, als auch das Strafverfahren im Insolvenzverfahren bekannt gewesen und vor erfolgter Insolvenzentlastung geprüft und berücksichtigt worden seien. Es stehe weder dem Beklagten noch der Gerichtsbarkeit frei, im Nachgang eine abweichende Entscheidung zu treffen, ohne damit zugleich rechtsstaatliche Grundsätze nachhaltig zu tangieren. Denn bei Aberkennung der Insolvenzentlastung betreffend die hier zur Klärung stehenden Forderungen der Finanzverwaltung würde zugleich die Wirksamkeit der Entscheidung des High Court und das gesamte insolvenzrechtliche Verfahren eines europäischen Mitgliedsstaates angezweifelt und

in Abrede gestellt.

Mit Blick auf den Wortlaut von Art. 33 EUInsVO sei auch anzumerken, dass lediglich das Verfahren und eine im Anschluss ggf. vorzunehmende Vollstreckung, nicht jedoch die verfahrensabschließende Entscheidung und ein daraus resultierendes Vollstreckungshindernis zur Disposition gestellt werde. Insoweit bestehe explizit nur die Möglichkeit, ein eröffnetes Insolvenzverfahren nicht anzuerkennen. Ein solches sei vorliegend aber bereits abgeschlossen. Weiterhin solle ermöglicht werden, die Vollstreckung einer in einem Insolvenzverfahren ergangene Entscheidung zu verweigern, nicht jedoch diese durchzuführen. Für die, von dem Beklagten avisierte Forderungsdurchsetzung bestehe auch nach Maßgabe von Artikel 33 EUInsVO praktisch kein Raum.

Hinzu trete die Problematik, dass zahlreiche Finanzämter in vom Klägervertreter geführten Verfahren die Insolvenzentlastung anerkannt hätten, obgleich vermögensrechtliche Verfahren mit Strafurteilen dem Insolvenzverfahren vorangegangen seien. Zwar gebe es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht, aber sehr wohl im Recht.

Da eine dem § 302 InsO vergleichbare Regelung im ausländischen Insolvenzrecht nicht bestehe und dem ordre-public-Einwand aus den benannten Gründen nicht gefolgt werden könne, sei Klage mit dem Begehren geboten, unter Aufhebung des Abrechnungsbescheids festzustellen, dass die vom Beklagten als offen ausgewiesenen Forderungen nicht (mehr) bestehe.

Vorliegend bedürfe es – wie in den vom Klägervertreter geführten weiteren Verfahren ebenfalls – der Klärung der Rechtsfrage, wie ein Ausnahmefall zur Anwendungseröffnung ausgestaltet sein müsse und ob unter Berücksichtigung dieser Beurteilungskriterien ein solcher vorliege oder die bestätigte Insolvenzentlastung den im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Zahlungsbeträgen entgegenstehe.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 25.04.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2024  festzustellen, dass durch erfolgte Insolvenzentlastung gemäß Certificate Discharge  from  Bankruptcy  vom xx.xx.2022 die durch Abrechnungsbescheid  ausgewiesene Forderung in Höhe von 24.708.950,70 EUR nicht besteht sowie di  Steuerschuld erloschen und die Einleitung und/oder Fortführung  vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen der Finanzverwaltung, insbesondere durch den Beklagten u.a. durch Einforderung von Drittschuldnererklärungen und Übermittlung von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen nach dem xx.xx.2022 unzulässig ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass die Klageschrift gegenüber der Einspruchsentscheidung keine neuen Tatsachen enthalte, die geeignet seien, seine bisherige Entscheidung zu ändern. Er berufe sich auf seine Einspruchsentscheidung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Akten des Beklagten verwiesen.

Die Gerichtsakten 16 K 16094/23 lagen dem Senat in elektronischer Form (Kopie) vor.

Aus den Gründen

 

1. Feststellungsbegehren unzulässig

Die Klage ist hinsichtlich der begehrten Feststellung, dass durch erfolgte Insolvenzentlastung gemäß Certificate Discharge from Bankruptcy vom xx.xx.2022 die durch Abrechnungsbescheid ausgewiesene Forderung in Höhe von 24.708.950,70 Euro nicht bestehe, sowie die Steuerschuld erloschen und die Einleitung und/oder Fortführung vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen der Finanzverwaltung, insbesondere durch den Beklagten u.a. durch Einforderung von Drittschuldnererklärungen und Übermittlung von Pfändungs- und Einziehungsverfügungen nach dem xx.xx.2022 unzulässig sei, unzulässig. Denn insoweit besteht Rechtschutz durch die Möglichkeit den Abrechnungsbescheid als solchen anzufechten und im Wege der Anfechtungsklage das Erlöschen der Steuerverbindlichkeiten im Abrechnungsbescheid zu erreichen. Auch hier hat der Kläger (wiederum) die Subsidiarität der Feststellungsklage übersehen (§ 41 Abs. 2 S. 1 FGO). Ob die Feststellungsklage auch unzulässig ist wegen doppelter Rechtshängigkeit, da die erste Feststellungsklage noch beim BFH anhängig ist, mag dahinstehen.

 

2. Klage hinsichtlich Abrechnungsbescheid unbegründet

Die Klage ist hinsichtlich der begehrten Aufhebung des Bescheids vom 25.04.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.07.2024, die vom Gericht rechtsschutzwahrend als Anfechtungsklage dahin ausgelegt wird, dass in dem Abrechnungsbescheid von dem Erlöschen der Steuerverbindlichkeiten ausgegangen werden soll, unbegründet.

Denn der Beklagte hat zu Recht auf den ordre-public-Vorbehalt abgestellt.

Nach dem ordre public ist eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist (vgl. Art. 33 EUInsVO aber auch Art. 6 EGBGB).

Nach Art. 33 EUInsVO kann sich jeder Mitgliedstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist.

Rechtsstaatlichen Bedenken kann nach der Rechtsprechung gegebenenfalls mit einer entsprechenden Anwendung des kollisionsrechtlichen ordre public begegnet werden, dem zufolge eine Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts -insbesondere mit den Grundrechten- unvereinbar ist (s. Art. 6 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch) (vgl. BFH, Urteil vom 14. November 2018 – I R 81/16 –, BFHE 263, 108, BStBl II 2019, 390).

Eine Anwendung des ordre-public-Vorbehalts gemäß Art. 33 EUInsVO kommt in Betracht, wenn das Ergebnis der Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Grundsatz verstößt und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats steht. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln. Hierauf hat der Beklagte zutreffend hingewiesen.

Gemäß § 302 InsO werden von der Erteilung der Restschuldbefreiung nicht berührt:

1. Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, oder aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist; der Gläubiger hat die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Absatz 2 anzumelden;

2. Geldstrafen und die diesen in § 39 Abs. 1 Nr. 3 gleichgestellten Verbindlichkeiten des Schuldners;

3. Verbindlichkeiten aus zinslosen Darlehen, die dem Schuldner zur Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens gewährt wurden.

Zivilgerichte haben die Anwendung des ordre-public-Vorbehalts teilweise bejaht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. August 2013 – I-22 U 37/13 –, Rz. 57 juris).

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass ein Verstoß gegen den deutschen ordre public nur ausnahmsweise anzunehmen sei. Der ordre public sei als Ausnahme von der Regel (Anerkennung) strikt und eng auszulegen. Erforderlich sei eine offensichtliche Verletzung wesentlicher Grundsätze des deutschen Rechts. Das sei eine doppelte Hürde. Denn nur „einfache“ Abweichungen vom deutschen Recht reichten nicht. Es genüge nicht, wenn ein hypothetischer deutscher Richter infolge Anwendung zwingenden deutschen Rechts anders entschieden hätte, als es das erststaatliche Gericht tatsächlich getan hat. Der ordre public dürfe kein schnell zur Hand befindliches Mittel sein, um zu ahnden, dass im Erststaat die Regeln, die ein Gericht im Zweitstaat angewendet hätte, nicht hundertprozentig gelten würden. Er dürfe kein Mittel sein, um jede beliebige deutsch-zweitstaatliche Vorstellung durchzusetzen. Die Ergebnisse des Verfahrens im Erststaat seien erst dann nicht mehr zu respektieren, wenn sie aus deutscher Sicht unerträglich seien und es für ein deutsches Gericht schlechterdings nicht hinnehmbar sei, sie auf das Inland zu erstreckten und ihnen im Inland Wirkung zu verleihen.

Der Steuerschuldner, der eine Steuerhinterziehung begangen hat, solle zwar aus seiner Auflehnung gegen die deutsche Rechtsordnung keine Früchte ziehen können. Indes hafte diese Auflehnung nicht der Restschuldbefreiung als solcher an, sondern vielmehr früherem, anderweitigem Verhalten des Schuldners. Bei einer deutschen Restschuldbefreiung lasse der deutsche Gesetzgeber seine Missbilligung auch auf die Restschuldbefreiung durchschlagen. Gegen eine ordre public-Qualität des § 302 Nr. 1 Var. 3 InsO wird ins Feld geführt, dass die Materialien keine herausragende Wertigkeit belegten. Insbesondere werde aber eingewandt, der Gerechtigkeitsgehalt dieser Ausnahme von der Restschuldbefreiung sei zweifelhaft (vgl. Mankowski in: Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2020, § 343 Anerkennung, Juris, dort insbesondere Rn. 104, 106, 108 und insbesondere Rn. 165-169 und dort insbesondere Rn. 169 zur Restschuldbefreiung).

Der Senat folgt dieser Auffassung jedoch nicht, sondern stützt sich maßgeblich auf die Änderung durch den Gesetzgeber im Jahr 2013.

Die frühere Fassung der InsO, ohne Versagung der Restschuldbefreiung für Steuerhinterzieher, galt 15 Jahre, von 1999 bis 2014. Der BFH hat im Jahr 2008 entschieden (BFH, Urteil vom 19. August 2008 – VII R 6/07 –, BFHE 222, 199, BStBl II 2008, 947), dass Steuerhinterziehung die Restschuldbefreiung (nach a. F.) nicht ausschließe.

Der BFH hatte dort ausgeführt, dass Deliktsforderungen nach § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem entsprechenden Schutzgesetz und § 826 BGB als Verbindlichkeiten i.S. des § 302 Nr. 1 InsO anzusehen seien. Eine Steuerhinterziehung als solche begründe jedoch keinen deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Wie der BFH bereits zum Begriff der Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S. von § 850f Abs. 2 ZPO entschieden habe, seien Steuer- und Haftungsansprüche eigenständige, dem öffentlichen Recht zugehörige Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO), die sowohl nach ihrer Entstehung als auch nach ihrem Inhalt und ihrer Durchsetzung eigenen, von den zivilrechtlichen Deliktsansprüchen unterschiedlichen Regeln unterlägen und deshalb keine Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung darstellten. Selbst wenn der Steueranspruch auf eine vorsätzliche Nichtentrichtung der Steuer bzw. auf eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO zurückzuführen sein sollte, beruhe er nicht auf einer unerlaubten Handlung des Steuerschuldners, sondern auf der Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestandes, an den das Gesetz eine Zahlungspflicht knüpfe (§ 38 AO). Der Umstand, dass Steuerhinterziehung nicht erlaubt und insbesondere aus Präventions- und Sanktionsgründen mit Strafe bedroht sei, vermöge an der rechtlichen Qualifizierung des Steueranspruchs als solchem nichts zu ändern. Auch das überwiegende insolvenzrechtliche Schrifttum schließe auf Steuerhinterziehung zurückzuführende Steuerforderungen vom Anwendungsbereich des § 302 Nr. 1 InSO aus (statt vieler Vallender in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12. Aufl., § 302 Rz 12, m.w.N.; Landfermann in Heidelberger Kommentar zur InsO, § 302 Rz 6; Wimmer in Frankfurter Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 302 Rz 11; a.A. Hess, Insolvenzrecht, § 302 Rz 17).

Der Gesetzgeber hat im Jahr 2013 daraufhin das Gesetz geändert. In den Gesetzesmaterialien heißt es (Drs 467/12 S. 48/49):

Desweiteren können künftig auch Verbindlichkeiten des Schuldners aus dem Steuerschuldverhältnis von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sein, sofern der Schuldner wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist und die entsprechende Forderung von den Steuerbehörden unter Angabe des Rechtsgrundes nach § 174 Absatz 2 InsO zur Tabelle angemeldet wurde. Unbeachtlich ist, zu welchem Zeitpunkt die Verurteilung erfolgt. Damit bleibt die insolvenzrechtliche Nachhaftung insbesondere für hinterzogene Steuern bestehen. Der Unrechtsgehalt der genannten Straftaten rechtfertigt es, die in diesem Zusammenhang bestehenden Verbindlichkeiten des Schuldners dem unbegrenzten Nachforderungsrecht des Fiskus zu unterwerfen. Demgegenüber sollen gewöhnliche Steuerrückstände des Schuldners oder andere Geldforderungen der Steuerbehörden – wie etwa Zwangsgelder – weiterhin von der Restschuldbefreiung erfasst werden. Um dem Gericht zu ersparen, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer solchen Straftat feststellen zu müssen, wird eine rechtskräftige Verurteilung vorausgesetzt.

Strafbare Handlungen werden damit nach dem deutschen Insolvenzrecht gerade nicht von einer Restschuldbefreiung erfasst und der Gesetzgeber hat - wenn auch spät - auf die Rechtsprechung des BFH reagiert. Damit hat der Gesetzgeber bei feststehender Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung die Schuldbefreiung versagt und damit die Rechtslage hergestellt, die nach Auffassung der Finanzverwaltung ohnehin von Anfang an bestand. Dies ist Ausdruck einer grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers, Steuerhinterzieher nicht auch noch mit einer Schuldbefreiung zu belohnen (vgl. Cranshaw, jurisPR-InsR 8/2024 Anm. 5). In Hinblick auf den generalpräventiven Charakter der Norm wertet der Senat diese Regelung als grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers.

Der Grundgedanke dieser Regelung ist, dass ein Straftäter sich der steuerrechtlichen Verantwortung gerade nicht durch ein Insolvenzverfahren entziehen können soll. Vorliegend wurde der Kläger unstreitig wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe verurteilt. Dass die Forderung höher ist als der im Strafverfahren ausgewiesene Betrag, führt nicht zur Rechtswidrigkeit. Denn auch steuerliche Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO, die nicht im Strafbefehl bzw. im Urteil enthalten sind, werden von § 302 Nr. 1 InsO erfasst (vgl. BFH Urteil in BFHE 262, 208, BStBl II 2019, 19, Rz 28; BGH-Urteil in HFR 2021, 99, Rz 33; anderer Ansicht Pape, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht -ZInsO- 2021, 221, 230; Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 14.12.2018 - 7 U 58/17, ZInsO 2019, 797).

Irrelevant ist auch, dass die gegenwärtige Fassung der Insolvenzordnung 2013 noch nicht in Kraft war, da es für die Anwendbarkeit des orde public auf die jetzige Fassung ankommt, mit der der Gesetzgeber gerade auch die Vorteile im Zusammenhang mit einer Steuerstraftat erfassen wolle. Gerade die Neuregelung zeigt die grundlegende Intention des Gesetzgebers.

Fernliegend ist der Gedanke, dass die Anerkennung von der konkreten Auswirkung der Steuerhinterziehung im Strafverfahren abhängen sollte. Der nicht hinzunehmende Wertungswiderspruch liegt nicht erst dann vor, wenn der Täter einer Steuerhinterziehung zu einer nicht mehr zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt wird. Für eine derartige Differenzierung fehlt im Gesetz jeder Anhaltspunkt.

Da die Klage schon aufgrund des Eingreifens des ordre public unbegründet ist, erübrigt sich eine Prüfung, ob der Kläger überhaupt wenigstens zeitweise tatsächlich in Irland ansässig war oder sich die Zuständigkeit des irischen Insolvenzgerichts durch einen Scheinwohnsitz erschlichen hat.

 

3. Revisionszulassung

Anders als der erkennende Senat hält das Sächsisches Finanzgericht (vgl. Urteil vom 12. April 2023 – 4 K 796/20 –, juris) das Erlöschen von auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Steuerverbindlichkeiten durch das Durchlaufen eines Insolvenzverfahrens im europäischem Ausland grundsätzlich für möglich und hat dies bei dem dortigen Fall nur aufgrund einer Besonderheit des französischen Rechts verneint. Da die Rechtslage insoweit ungeklärt ist und ersichtlich für eine Vielzahl von Fällen von Bedeutung ist, hat der Senat durch Gerichtsbescheid mit Revisionszulassung entschieden, um eine möglichst schnelle höchstrichterliche Klärung der Rechtsfrage zu ermöglichen. Dabei weist der Senat daraufhin, dass die vom Kläger vorgetragene Anerkennung durch andere Finanzämter durch den Kläger auch nicht ansatzweise belegt worden ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.

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