BFH: Behandlung der durch einen Rechtsanwalt veruntreuten Fremdgelder in der Einnahmenüberschussrechnung
BFH, Urteil vom 16.12.2014 — VIII R 19/12
Volltext: //BB-ONLINE BBL2015-1686-1
unter www.betriebs-berater.de
Amtliche Leitsätze
1. Verwendet ein Rechtsanwalt Fremdgelder, die er in fremdem Namen und für fremde Rechnung beigetrieben hat, für eigene Zwecke, verlieren diese nicht die Eigenschaft als durchlaufende Posten und sind im Rahmen der Einnahmenüberschussrechnung nicht in die Gewinnermittlung einzubeziehen.
2. Veruntreute Fremdgelder stellen auch dann keine steuerbaren Einnahmen für die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit oder der Einkünfte aus Gewerbebetrieb dar, wenn der Rechtsanwalt diese kontinuierlich und planmäßig über mehrere Jahre hinweg einsetzt, um Betriebsausgaben oder Kosten der privaten Lebensführung zu bestreiten.
Sachverhalt
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1996 bis 2005 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Er ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG).
Ein bedeutender Mandant des Klägers war P. Für diese Verrechnungsstelle übernahm der Kläger die Beitreibung ärztlicher Honorare gegenüber säumigen Patienten. Er forderte bei den Patienten neben dem Rechnungsbetrag des jeweiligen Arztes sowohl sein Anwaltshonorar gegenüber P als auch seine Auslagen an.
Zahlungen der Patienten wurden auf den Geschäftskonten des Klägers vereinnahmt. Anderkonten für Fremdgelder führte er nicht.
Der Kläger verbuchte eingehende Zahlungen der Patienten zunächst als Erstattung seiner Auslagen auf seinem Auslagenkonto und als Zahlungen auf das Anwaltshonorar auf seinem Erlöskonto. Die darüber hinaus eingehenden und an P weiterzuleitenden Fremdgelder verbuchte der Kläger in der Weise, dass er eine Gegenbuchung auf einem internen Verbindlichkeitskonto P (Konto 55601) "im Haben" vornahm. Tatsächlich an P weitergeleitete Fremdgelder wurden auf diesem Konto "im Soll" gebucht. Im Streitjahr 2005 buchte der Kläger eingehende Fremdgelder, die nicht P betrafen, auf zwei weiteren als "Fremdgelder" bezeichneten Buchhaltungskonten (Konto 57601 und Konto 58801). Hierbei handelt es sich um Beträge zum 31. Dezember 2005 in Höhe von 1.302,99 EUR (Konto 57601) und 10.000 EUR (Konto 58801).
Zwischen P und dem Kläger bestand die mündliche Abrede, dass der Kläger beigetriebene Geldbeträge erst dann an P weiterzuleiten habe, wenn sie entweder vollständig eingegangen seien oder --sofern die Patienten die Forderungen nur teilweise beglichen--, wenn eine weitere Beitreibung endgültig aussichtslos war.
Im Rahmen einer Außenprüfung, die zunächst für die Streitjahre 2003 bis 2005 durchgeführt wurde, traf die Prüferin die Feststellung, die eingegangenen und an P weiterzuleitenden Fremdgelder hätten Minusbestände auf den betrieblichen Bankkonten des Klägers verringert. Auf dem Verbindlichkeitenkonto P seien in den Streitjahren gleichzeitig die Fremdgelder, die der Kläger als an P weiterzuleitende Beträge verbucht habe, stetig angestiegen. Diese "Bestandsveränderungen" auf dem Verbindlichkeitenkonto P (als Saldo aus den an P in den Streitjahren ausgekehrten Beträgen und den noch an P weiterzuleitenden Fremdgeldern) zeige, dass der Kläger die Fremdgelder verwendet habe, um hieraus Betriebsausgaben und Lebenshaltungskosten zu bestreiten.
Die Außenprüferin behandelte die Bestandsveränderungen auf dem Fremdverbindlichkeitskonto P sowie die Erhöhungen auf den beiden weiteren Fremdgeldkonten im Streitjahr 2005 als nicht erklärte Betriebseinnahmen des Klägers. Dem Kläger wurden daraufhin am 15. November 2007 die Erweiterung der Prüfung auf die Streitjahre 1996 bis 2002 und die Einleitung des Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben. Die Prüferin ging in den Streitjahren von weiteren Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit in Höhe von 14.759,83 DM (1996), 5.128,93 DM (1997), 52.333,40 DM (1998), 47.993,16 DM (1999), 36.356,98 DM (2000), 20.202,55 DM (2001), 3.990,99 EUR (2002), 28.850,82 EUR (2003), 32.640,05 EUR (2004) und 40.264 EUR (2005) aus.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) folgte dem und erließ am 22. April 2008 geänderte Einkommensteuerbescheide für alle Streitjahre. Es stützte die Änderungen für die Jahre 1996 bis 2000 auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und für die Jahre 2001 bis 2005 auf § 164 Abs. 2 AO. Da der Kläger den Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung in den Streitjahren erfüllt habe, ging das FA von einer verlängerten Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für die Streitjahre 1996 bis 2001 aus. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) stellte auf Grundlage eines beigezogenen Sachverständigengutachtens aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren fest, der Kläger habe von den beizutreibenden Arztrechnungen der Jahre 1997 bis 2010 insgesamt 1 612 Fälle endgültig erledigt und diese Akten weggelegt. Er habe in diesen Verfahren 86.647,78 EUR an Patientengeldern vereinnahmt und hiervon 86.169,65 EUR an P tatsächlich weitergeleitet (nicht weitergeleiteter Differenzbetrag 478,13 EUR). Weitere 821 Beitreibungen aus den Jahren 1994 bis 2005 seien aus Sicht des Klägers "noch in Bearbeitung" gewesen. Aus diesen Verfahren habe er 235.773,17 EUR auf seinem Geschäftskonto vereinnahmt, hiervon 22.079,34 EUR an P weitergeleitet und 213.693,83 EUR einbehalten. Ein kalenderjahrbezogener Abgleich der Geldeingänge in Bezug auf die beizutreibenden Forderungen der Ärzte war nach Auffassung des FG anhand des Gutachtens jedoch nicht möglich, da der Sachverständige die Zahlungseingänge und die nicht an P weitergeleiteten Beträge auftragsbezogen ermittelt hatte. Die zunächst im Namen von P vereinnahmten Fremdgelder seien keine durchlaufenden Posten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG und damit als Betriebseinnahmen in die Gewinnermittlung der Streitjahre einzubeziehen. Das FG schätzte die vom Kläger abredewidrig einbehaltenen und für eigene Zwecke verbrauchten Fremdgelder auf 90 % der vom FA angesetzten Mehreinkünfte nach der Außenprüfung. Die Entscheidung des FG vom 29. Februar 2012 1 K 1342/09 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 1328 veröffentlicht.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung des § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG und von § 169 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 370 AO durch das FG. Der Kläger sei in den Streitjahren zwar zur Weiterleitung der Fremdgelder verpflichtet gewesen. Er habe diese jedoch bei Vereinnahmung zutreffend als durchlaufende Posten außerhalb der Gewinnermittlung behandelt und erst nachträglich veruntreut. Er habe auch nicht vorsätzlich Steuern verkürzt. Ein Vorsatz hinsichtlich der Untreue sei nicht einem Vorsatz der Steuerhinterziehung gleichzusetzen.
Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 1996 bis 2001 (jeweils vom 22. April 2008) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2009 aufzuheben sowie die Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2005 (jeweils vom 22. April 2008) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Juni 2009 in der Weise zu ändern, dass die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit ohne die vom FA als Betriebseinnahmen behandelten Fremdgelder angesetzt werden.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA verteidigt die Vorentscheidung. Die Voraussetzungen für die Behandlung der Fremdgelder als durchlaufende Posten seien jeweils in dem Moment entfallen, in dem der Kläger fällige Beträge bewusst nicht an P weitergeleitet habe. In diesem Zeitpunkt seien die Beträge als Betriebseinnahmen zu erfassen. Der Kläger habe schon bei Vereinnahmung der Fremdgelder auf seinem Geschäftskonto gegen seine anwaltlichen Pflichten aus § 43a Abs. 5 der Bundesrechtsanwaltsordnung verstoßen. Er habe bewusst keine Fremdgeldkonten geführt, um die zufließenden Beträge von den übrigen betrieblichen Zahlungseingängen zu separieren, sondern habe die eingehenden Gelder mit deren Zufluss "wie eigenes Geld" behandelt und verbraucht. Dies führe zu steuerpflichtigen Betriebseinnahmen in Höhe der veruntreuten Beträge im Rahmen der selbständigen Tätigkeit.
Der Kläger habe die Einkommensteuer in den Streitjahren auch vorsätzlich verkürzt. Er habe über alle Streitjahre hinweg Geldbeträge veruntreut, indem er die beigetriebenen Fremdgelder auf seinen betrieblichen Bankkonten zur Deckung von Minusbeträgen vereinnahmt und von diesen Konten zur Bestreitung seiner Ausgaben verwendet habe. Als Rechtsanwalt sei dem Kläger die Strafbarkeit seiner Handlungen bewusst gewesen.
Während des Revisionsverfahrens hat der Senat mit Beschluss vom 17. Oktober 2012 VIII S 16/12 (BFH/NV 2013, 32) einem Antrag der Kläger auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer für die Streitjahre stattgegeben.
Aus den Gründen
16 II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
17 1. Der Kläger hat die im Namen von P und die im Streitjahr 2005 zugunsten anderer Mandanten vereinnahmten Fremdgelder im Zeitpunkt des Zuflusses zu Recht als durchlaufende Posten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG behandelt.
18 a) Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG scheiden Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben bei der Gewinnermittlung im Wege der Einnahmenüberschussrechnung aus, die im Namen und für Rechnung eines anderen vereinnahmt und verausgabt werden (durchlaufende Posten).
19 aa) Voraussetzung eines zufließenden Geldbetrags als durchlaufender Posten ist die Verklammerung von Einnahme und Ausgabe zu einem einheitlichen Vorgang, d.h. es müssen beide Geldbewegungen, die Vereinnahmung und Verausgabung, in fremdem Namen und für fremde Rechnung geschehen (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Dezember 1975 IV R 12/72, BFHE 118, 307, BStBl II 1976, 370, unter 2.; vom 20. Juli 1982 VIII R 143/77, BFHE 136, 262, BStBl II 1983, 196; in BFH/NV 2013, 32, unter Rz 15; vom 15. Mai 2008 IV R 25/07, BFHE 221, 169, BStBl II 2008, 715, unter II.3.). Hierfür ist notwendig und ausreichend, dass zwischen dem Zahlungsverpflichteten und dem Steuerpflichtigen unmittelbare, nach außen erkennbare Rechtsbeziehungen bestehen und sich der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Vereinnahmung dem Grunde und der Höhe nach zur Weiterleitung des eingehenden Betrags an den Berechtigten verpflichtet hat (Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 4 EStG Rz 612).
20 bb) Fremdgelder, die als durchlaufende Posten in das Eigentum des Steuerpflichtigen --hier durch Vereinnahmung auf einem allgemeinen Kanzleikonto des Klägers-- gelangen und zu deren Weitergabe dieser schuldrechtlich verpflichtet ist, sind Betriebseinnahmen und werden auch bei der Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung Bestandteil des Betriebsvermögens des Steuerpflichtigen (noch offengelassen im Senatsurteil in BFHE 136, 262, BStBl II 1983, 196, unter II.1.; siehe nunmehr Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 32, unter Rz 23 bis 25; Bode in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 4 Rz 140; Schmidt/Heinicke, EStG, 34. Aufl., § 4 Rz 388; zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich siehe BFH-Urteil vom 4. November 2004 III R 5/03, BFHE 208, 162, BStBl II 2005, 277, unter II.2.a).
21 cc) Betriebseinnahmen i.S. des § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG sind jedoch bei der Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung kraft gesetzlicher Anordnung in § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht als gewinnerhöhende Einnahmen oder gewinnmindernde Ausgaben zu erfassen (siehe dazu auch BFH-Urteil vom 15. Mai 1974 I R 255/71, BFHE 112, 381, BStBl II 1974, 518, zur Nichtberücksichtigung durchlaufender Posten im Rahmen eines Übergangsgewinns beim Wechsel zum Bestandsvergleich). Denn bei Betriebseinnahmen und -ausgaben i.S. des § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG, die den Gewinn beeinflussen, muss es sich um wirtschaftlich endgültige Geldzu- und -abgänge handeln (vgl. BFH-Urteile vom 18. Juli 1968 I 224/65, BFHE 93, 233, BStBl II 1968, 737, nach dem eine erhaltene Zahlung mit der Verpflichtung, sie an einen Dritten weiterzuleiten, "wirtschaftlich" nicht in das Betriebsvermögen gelangt und deshalb nicht als Betriebseinnahme anzusehen ist; vom 19. Februar 1975 I R 154/73, BFHE 115, 129, BStBl II 1975, 441; in BFHE 118, 307, BStBl II 1976, 370, unter 2., zur fehlenden Einnahmenqualität der von Mandanten an einen Rechtsanwalt erstatteten Gerichtskostenvorschüsse, und in BFHE 136, 262, BStBl II 1983, 196, unter II.1.).
22 b) Fremdgelder, die der Steuerpflichtige in fremdem Namen und für fremde Rechnung auf Grundlage einer Inkassovollmacht --wie der Kläger-- vereinnahmt hat, sind auch dann als durchlaufende Posten zu behandeln, die den Gewinn nicht beeinflussen, wenn der Steuerpflichtige diese Gelder bewusst nicht auf einem Anderkonto, sondern auf seinem betrieblichen Geschäftskonto vereinnahmt, um dessen Minussalden auszugleichen, oder wenn er bereits bei der Vereinnahmung beabsichtigt, diese Beträge für eigene Zwecke zu verbrauchen. Auch wenn die aufgrund der Inkassovollmacht für fremde Rechnung vereinnahmten Gelder abredewidrig oder mit Erlaubnis des Berechtigten dem Kassenbestand hinzugefügt oder auf Konten des Steuerpflichtigen überwiesen werden, wird der Steuerpflichtige zwar verfügungsbefugt, bleibt aber schuldrechtlich verpflichtet, den Gegenwert herauszugeben (siehe BFH-Urteile in BFHE 112, 381, BStBl II 1974, 518; in BFHE 221, 169, BStBl II 2008, 715, unter II.3.). Die Weitergabeverpflichtung entfällt im Hinblick auf das Fremdgeld nicht dadurch, dass der Steuerpflichtige von vornherein beabsichtigt, das Fremdgeld nicht auszukehren oder nach dessen Zufluss den Entschluss fasst, dieses für eigene Zwecke zu verwenden, sodass auch in diesen Fällen das Fremdgeld nicht als steuerpflichtige Betriebseinnahme zu behandeln ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 221, 169, BStBl II 2008, 715, unter II.3.e).
23 c) Die dem Kläger in den Streitjahren zugeflossenen Fremdgelder, die er mit Eigenmitteln auf seinen Geschäftskonten vermischt und für eigene Zwecke verwendet hat, sind danach im Streitfall als durchlaufende Posten und nicht als steuerpflichtige Betriebseinnahmen zu behandeln (siehe auch bereits Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 32, unter Rz 15).
24 aa) Der Kläger zog im Auftrag von P auf der Grundlage seiner Inkassovollmacht nach außen für die Patienten erkennbar --und im Streitjahr 2005 für andere Mandanten-- fremde Forderungen ein. Er hatte mit P die Abrede getroffen, zugeflossene Fremdgelder seien erst an P weiterzuleiten, wenn die zugrunde liegenden Forderungen vollständig beigetrieben oder endgültig ausgefallen seien. Damit sollten dem Kläger als dem von seinen Mandanten Beauftragten bis zur Fälligkeit seiner Herausgabeverpflichtung die vereinnahmten Fremdgelder zur Verfügung stehen (siehe zu den Vertragsbeziehungen zwischen Inkassounternehmer und dem Berechtigten auch das BFH-Urteil in BFHE 221, 169, BStBl II 2008, 715, unter II.3.c). Dies genügt den oben unter II.1.a und b dargelegten Anforderungen für die Behandlung der zugeflossenen Fremdgelder als durchlaufende Posten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG.
25 bb) Zudem hat das FG festgestellt, der Kläger sei bei 1612 übernommenen Beitreibungen für P seiner Weiterleitungsverpflichtung bis auf einen geringen Betrag nachgekommen und habe bei 821 Beitreibungen für P Fremdgelder bei Fälligkeit absichtlich nicht an P weitergeleitet. Nach den weiteren Feststellungen des FG wollte der Kläger die zufließenden Fremdgelder schon bei deren Zufluss mit eigenen Mitteln auf dem betrieblichen Kanzleikonto vermischen und hat die auszukehrenden Fremdgelder lediglich durch deren internen Ausweis auf dem Verbindlichkeitenkonto P (sowie im Streitjahr 2005 auf den weiteren Fremdgeldverbindlichkeitskonten) von seinen Eigenmitteln der Höhe nach abgegrenzt. Die Absicht des Klägers, das Fremdgeld mit eigenen Mitteln auf den Kanzleikonten zu vermischen und das Fremdgeld in großem Umfang für eigene Zwecke zu verwenden, sowie der Verbrauch des Fremdgelds für eigene Zwecke stellen dessen Behandlung als durchlaufender Posten jedoch nicht in Frage, denn der Kläger blieb ungeachtet dessen zur Weiterleitung der Fremdgelder an P und die sonstigen Berechtigten verpflichtet (siehe hierzu oben unter II.1.b).
26 2. Entgegen der Auffassung des FG und des FA führt auch die widerrechtliche Verwendung der Fremdgelder durch den Kläger für eigene Zwecke für sich betrachtet nicht zu steuerbaren Einkünften in Höhe der veruntreuten Beträge.
27 a) Allerdings hat sich der Kläger der Fremdgelder, die er an P und seine weiteren Mandanten auszukehren hatte, widerrechtlich bemächtigt. Er hat --was vom FG festgestellt und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist-- auf das beigetriebene Fremdgeld zugegriffen und dieses zur Finanzierung des eigenen Lebensstandards und von Betriebsausgaben verbraucht. Im Zeitpunkt der Außenprüfung (nach den Streitjahren) verfügte er nicht mehr über ausreichende Liquidität, um seine Auskehrungsverpflichtungen gegenüber P und den übrigen Mandaten erfüllen zu können. Seine betrieblichen Konten wiesen zu diesem Zeitpunkt Minusbeträge aus (siehe schon Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 32, unter Rz 20 f.). Indem der Kläger das weiterzuleitende Fremdgeld für eigene betriebliche und private Zwecke verbraucht hat, hat er jeweils den Tatbestand der Untreue (§ 266 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs --StGB--) verwirklicht, da aufgrund des kompensationslosen Mittelabflusses ein endgültiger Vermögensnachteil zulasten von P und im Streitjahr 2005 der Berechtigten der weiteren Fremdgelder eintrat (zur Strafbarkeit des Verbrauchs von Fremdgeldern durch einen Rechtsanwalt für eigene betriebliche und private Zwecke siehe Schmidt, Neue Zeitschrift für Strafrecht --NStZ-- 2013, 498, 499 mit Hinweis auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 20. März 2008 1 StR 488/07, NStZ 2008, 457, dort unter 1.).
28 b) Gleichwohl hat der Kläger die veruntreuten Fremdgelder entgegen der Auffassung des FG und des FA nicht als Betriebseinnahmen im Rahmen der Einkünfteerzielung als Rechtsanwalt, sondern außerhalb des Tatbestands der Einkünfteerzielung durch privat veranlasste Straftaten erlangt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH und des BGH führen Geldbeträge, derer der Steuerpflichtige sich im Rahmen einer Untreue bemächtigt, nicht zu steuerbaren Einkünften, da dieser Zufluss nicht mit der Einkünfteerzielung im Zusammenhang steht (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 13. November 2012 VI R 38/11, BFHE 239, 403, BStBl II 2013, 929, unter Rz 15; vom 14. Dezember 2000 IV R 16/00, BFHE 194, 151, BStBl II 2001, 238, unter 3.c., zu unberechtigten Entnahmen eines Gesellschafters aus dem Gesellschaftsvermögen; vom 20. Dezember 1994 IX R 122/92, BFHE 177, 50, BStBl II 1995, 534, unter 2.; vom 20. Juli 1994 I B 11/94, BFH/NV 1995, 198, unter II.6.c aa; vom 19. März 1987 IV R 140/84, BFH/NV 1987, 577, unter 1.a; BGH-Beschluss vom 20. Februar 1990 3 StR 10/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1990, 521). Die auf diese Weise erlangten Beträge stellen keine Gegenleistungen für eine Leistung des Klägers im Rahmen des freiberuflichen Betriebs dar (siehe hierzu HHR/ Musil, § 2 EStG Rz 80, Stichwort "Unterschlagung"; Kirchhof in Kirchhof, a.a.O., § 2 Rz 55 f.).
29 Dem Revisionsvortrag des FA ist auch nicht darin zu folgen, dass die zweckentfremdeten Fremdgelder wegen einer fortgesetzten Untreue des Klägers zu Einkünften aus selbständiger Arbeit oder aus Gewebebetrieb (§ 15 Abs. 2 EStG) führen. Die Rechtsprechung hat von den vorstehend dargelegten Grundsätzen, veruntreute Geldbeträge führten nicht zu steuerbaren Einnahmen, zwar bestimmte Sachverhalte abgegrenzt. Hierzu gehören etwa Fälle, in denen steuerbare Einnahmen, die einer Personengesellschaft zustehen, aber auf das Konto eines Mitunternehmers umgeleitet werden (siehe BFH-Urteile vom 8. Juni 2000 IV R 39/99, BFHE 192, 494, BStBl II 2000, 670; vom 22. Juni 2006 IV R 56/04, BFHE 214, 226, BStBl II 2006, 838), oder in denen ein leitender Bankangestellter (Leiter der Wertpapierabteilung) seine Vertrauensstellung ausnutzt und Eigengeschäfte im Namen der Bank tätigt (BFH-Urteil vom 3. Juli 1991 X R 163-164/87, BFHE 164, 556, BStBl II 1991, 802). Beide Fallkonstellationen sind mit dem Streitfall jedoch nicht vergleichbar, da es entweder um die Veruntreuung steuerbarer Einkünfte ging, die dem eigentlich Berechtigten entzogen wurden oder um Einkünfte, die der Steuerpflichtige durch verbotene Anlagegeschäfte erzielt hat. Im Streitfall bemächtigte der Kläger sich jedoch liquider Mittel aus seinem Betriebsvermögen, über die er verfügen konnte, die ihm aber gerade nicht als Gegenleistungen für seine freiberufliche Tätigkeit oder im Rahmen einer gewerblichen Betätigung zugeflossen sind.
30 c) Unerheblich ist schließlich, ob der Kläger mit den Fremdgeldern betriebliche oder private Aufwendungen bestritten hat. Wie bereits oben unter II.1.a bb erläutert, sind die als durchlaufende Posten vereinnahmten Fremdgelder Bestandteil des Betriebsvermögens des Klägers geworden. Die Verausgabung der Mittel für private und betriebliche Ausgaben beruhte jeweils auf dem privat gefassten Beschluss des Klägers, die Mittel zu veruntreuen. Mit der Verausgabung des Fremdgelds für eigene Zwecke hat der Kläger die Beträge jeweils aus dem Betriebsvermögen entnommen. Soweit er Betriebsausgaben hieraus gezahlt hat, hat er die Mittel eine logische Sekunde nach der Entnahme wieder in das Betriebsvermögen eingelegt. An der bei summarischer Betrachtung in den Blick genommenen abweichenden Differenzierung im Senatsbeschluss in BFH/NV 2013, 32 (dort Rz 26 und 29) je nach Verwendung der Fremdgelder für die private Lebensführung oder für Betriebsausgaben hält der Senat nicht fest.
31 3. Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die vereinnahmten Fremdgelder haben im Streitfall aufgrund der Untreue des Klägers den Charakter durchlaufender Posten nicht nachträglich verloren, so dass sie als unbeachtliche Betriebseinnahmen gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht in die Gewinnermittlung einzubeziehen sind (siehe oben unter II.1.b). Zudem hat der Kläger keine Einkünfte erzielt, indem er die Fremdgelder in strafbarer Weise für Betriebsausgaben oder die private Lebensführung verwendet hat (siehe oben unter II.2.b). Der Kläger hat somit in allen Streitjahren nicht in der vom FA angenommenen Höhe Einkünfte erzielt und die Einkommensteuer nicht verkürzt. Daher fehlt es in den Streitjahren 1996 bis 2001 sowohl an den Voraussetzungen einer verlängerten Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) als auch an nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Die nach der Außenprüfung ergangenen geänderten Bescheide dieser Streitjahre sind aufzuheben. In den Streitjahren 2002 bis 2005 sind die Einkommensteuerbescheide wie vom Kläger beantragt zu ändern, da er die ihm im Rahmen der Außenprüfung zugerechneten Mehreinkünfte aus seiner freiberuflichen Tätigkeit nicht erzielt hat. Die Berechnung der sich hieraus ergebenden Einkommensteuer in den Streitjahren wird dem FA übertragen.
32 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.