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Steuerrecht
08.08.2019
Steuerrecht
FG Düsseldorf: Ausschluss von der Zollaussetzung unabhängig von Umfang, Bedeutung oder Funktion der verschiedenen Warenbestandteile

FG Düsseldorf, Urteil vom 12.6.20194 K 754/18 Z

ECLI:DE:FGD:2019:0612.4K754.18Z.00

 

Volltext:BB-ONLINE BBL2019-1878-3

 

Sachverhalt

Die Klägerin führte aus Drittländern Verbundfolien aus Kunststoff ein, die sie unter der Unterposition 3921 19 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) mit dem Taric-Zusatzcode 91 0 als mikroporöse Polypropylenfolien mit einer Dicke von nicht mehr als 100 µm zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr anmeldete. Dabei nahm sie die seinerzeit für derartige Waren nach der Verordnung (EU) Nr. 1387/2013 (VO Nr. 1387/2013) des Rates vom 17. Dezember 2013 zur Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche und gewerbliche Waren und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1344/2011 (ABl. EU Nr. L 354/201) geltende Zollaussetzung in Anspruch. Das Hauptzollamt X hatte der Klägerin drei verbindliche Zolltarifauskünfte jeweils vom 10. Juli 2013 erteilt, mit der die Verbundfolien in die Unterposition 3921 19 00 KN mit dem Taric-Zusatzcode 91 0 eingereiht worden waren.

In der verbindlichen Zolltarifauskunft DE …… wurde die Ware als transparente, bunt bedruckte Kunststofffolie mit einer Dicke von etwa 55 µm bestehend aus einer Polypropylenfolie mit einer Dicke von 20 µm, einem Zwei-Komponenten-Kleber aus Polyurethan und einer weiteren Polypropylenfolie mit einer Dicke von 20 µm beschrieben.

In der verbindlichen Zolltarifauskunft DE …… wurde die Ware als einseitig bunt bedruckte Kunststofffolie mit einer Dicke von etwa 58 µm bestehend aus einer Polypropylenfolie mit einer Dicke von 30 µm, einem Zwei-Komponenten-Kleber aus Polyurethan und einer weiteren weiß geschäumten Polypropylenfolie mit einer Dicke von 28 bis 30 µm beschrieben.

In der verbindlichen Zolltarifauskunft DE …… wurde die Ware als einseitig bunt bedruckte sowie auf der Rückseite silberfarbige Kunststofffolie mit einer Dicke von etwa 55 µm bestehend aus einer Polypropylenfolie mit einer Dicke von 15 µm, einem Zwei-Komponenten-Kleber aus Polyurethan und einer weiteren weiß geschäumten Polypropylenfolie mit einer Dicke von 25 µm sowie einer Metallisierung aus Polyester beschrieben.

Mit Art. 1 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2015/982 (VO 2015/982) des Rates vom 23. Juni 2015 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1387/2013 zur Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche und gewerbliche Waren (ABl. EU Nr. L 159/5) wurde Art. 1 VO Nr. 1387/2013 dergestalt geändert, dass ein Absatz mit folgender Regelung hinzugefügt wurde: „Absatz 1 gilt nicht für Gemische, Zubereitungen oder aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren, die die in Anhang I aufgeführten Waren enthalten“.

Die Klägerin meldete in dem Zeitraum vom 3. Juli 2015 bis zum 30. Dezember 2016 in 143 Fällen die in den drei verbindlichen Zolltarifauskünften beschriebenen Verbundfolien unter der Unterposition 3921 19 00 KN mit dem Taric-Zusatzcode 91 zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Dabei nahm sie die Zollaussetzung nach der VO Nr. 1387/2013 in Anspruch. Bezüglich ihrer Zollanmeldungen vom 21. Januar, 21. März, 1. November und 5. Dezember 2016 fand eine Überprüfung der zu den Anmeldungen gehörenden Unterlagen durch die Zollstelle statt. Hinsichtlich ihrer Zollanmeldungen vom 3. Juli 2015 und 9. September 2016 fand jeweils eine Beschau der eingeführten Waren durch die Zollstellen statt. Die am 3. Juli 2015 angemeldeten Waren wurden vom Bildungs- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung (BWiZ) untersucht und der Unterposition 3921 19 00 KN mit dem Taric-Zusatzcode 91 zugewiesen.

Das Hauptzollamt X teilte der Klägerin mit einem Schreiben vom 21. März 2016 mit, dass die ihr erteilten drei verbindlichen Zolltarifauskünfte vom 10. Juli 2013 mit Ablauf des 30. Juni 2015 ungültig geworden seien. Zur Begründung verwies es auf Art. 1 Nr. 1 VO 2015/982. Die Klägerin wandte sich daraufhin mit einer elektronischen Nachricht vom 29. März 2016 an die Generalzolldirektion - Zentrale Auskunft - in Y. Dabei verwies sie darauf, dass nach dem Elektronischen Zolltarif der Zollverwaltung (EZT) für Waren der Codenummer 3921 1900 91 0 eine autonome Zollaussetzung vorgesehen sei. Die Generalzolldirektion teilte der Klägerin mit einer elektronischen Nachricht vom 4. April 2016 mit, die Ungültigerklärung einer verbindlichen Zolltarifauskunft bedeute nicht automatisch, dass eine entsprechende „Zolltarifnummer“ nicht mehr anwendbar sei. Da sich der Wortlaut der „Tarifnummer“ in der Verordnung (EU) 2015/2449 (VO 2015/2449) des Rates vom 14. Dezember 2015 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1387/2013 zur Aussetzung der autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für bestimmte landwirtschaftliche und gewerbliche Waren (ABl. EU Nr. L 345/11) nicht geändert habe, könne die Klägerin die Nummer weiter verwenden, auch ohne eine konkrete verbindliche Zolltarifauskunft dafür zu haben. Falls sich die Folie verändert haben sollte, werde die Beantragung einer neuen verbindlichen Zolltarifauskunft empfohlen. Soweit die Antwort fachliche Ausführungen enthalte, seien diese aus rechtlichen Gründen unverbindlich.

Im Anschluss an eine Außenprüfung (Prüfungsbericht vom 6. Juli 2017) gelangte das beklagte Hauptzollamt zu der Auffassung, dass die Klägerin für die Verbundfolien die Zollaussetzung nach der VO Nr. 1387/2013 nicht habe in Anspruch nehmen dürfen, weil es sich um aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren gehandelt habe. Es erhob deshalb mit zwei Bescheiden vom 24. August 2017 von der Klägerin für die von ihr in dem Zeitraum vom 3. Juli 2015 bis zum 30. Dezember 2016 abgegebenen Zollanmeldungen insgesamt 331.115,31 € Zoll nach.

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor: Sie habe die Verbundfolien unter dem zutreffenden Taric-Code angemeldet. Bei den Verbundfolien habe es sich nicht um aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren gehandelt. Die Folien hätten keine unterschiedliche chemische Zusammensetzung aufgewiesen. Der Klebstoff sei kein Bestandteil der Waren gewesen, weil der Verpackungszweck auch ohne ihn erfüllt worden sei. Dem Klebstoff sei keine tragende Bedeutung zugekommen. Der Anteil des Klebstoffs an der Gesamtware habe weniger als 3 % betragen. Die Folien und der Klebstoff hätten auch keine unterschiedlichen Funktionen erfüllt. Die Einfügung des Abs. 2 zu Art. 1 VO Nr. 1387/2013 durch die VO 2015/982 habe nur der Klarstellung gedient. Durch diese Neuregelung seien die ihr erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte daher nicht ungültig geworden. Das BWiZ habe noch nach dem Inkrafttreten der VO 2015/982 im Oktober 2015 in einem Einreihungsgutachten die Tarifierung der Verbundfolien bestätigt. Anlass für die Überprüfung sei gerade die VO 2015/982 gewesen. Darüber hinaus habe ihr die Generalzolldirektion mitgeteilt, dass sie die ihr erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte weiterhin habe verwenden dürfen. Ihr sei erst Anfang des Jahres 2017 die angebliche Ungültigkeit der verbindlichen Zolltarifauskünfte mitgeteilt worden. Sie könne sich deshalb auf Vertrauensschutz berufen.

Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 19. Februar 2018 zurück und führte aus: Die Klägerin habe für die Verbundfolien die Zollaussetzung nach der VO Nr. 1387/2013 nicht in Anspruch nehmen dürfen, weil es sich um aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren gehandelt habe. Die Lage mit Klebstoff aus Polyurethan habe schon wegen ihres Umfangs nicht vernachlässigt werden dürfen. Eine flächendeckende Verklebung der beiden Folien sei wegen des Farbdrucks aus Gründen der Lebensmittelverträglichkeit erforderlich gewesen. Die Schicht aus Klebstoff sei deshalb von entscheidender Bedeutung für die Herstellung der Verbundfolien gewesen. Darüber hinaus habe eine der drei Folien noch eine Verbindung mit einer Polyesterlage und einer Metallisierung aufgewiesen. Mit der Einfügung des Abs. 2 zu Art. 1 VO Nr. 1387/2013 durch die VO 2015/982 sei die Rechtslage geändert worden, um sicherzustellen, dass zukünftig nur noch Waren in den Genuss der Zollaussetzung gekommen seien, für welche diese gedacht gewesen sei. Daher seien die der Klägerin erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte mit dem Inkrafttreten der VO 2015/982 ungültig geworden, ohne dass sich die Klägerin auf Vertrauensschutz berufen könne. Im Hinblick auf die sechs Überprüfungen der Zollanmeldungen der Klägerin könne zwar ein Irrtum der Zollbehörden angenommen werden. Der Irrtum habe von der Klägerin jedoch erkannt werden können. Anhand einer Lektüre des Amtsblatts der Europäischen Union hätte sie leicht erkennen können, dass die Zollaussetzung nicht mehr für zusammengesetzte Waren gegolten habe. Aus diesem Grund komme es nicht mehr darauf an, dass sich mehrere Zollbeamte geirrt hätten. Die Abfertigungsbeamten hätten zudem nur die Übereinstimmung der angemeldeten Waren mit den in den verbindlichen Zolltarifauskünften beschriebenen Waren überprüft. Die Klägerin sei seit vielen Jahren im Einfuhrgeschäft tätig gewesen und habe über längere Zeit gezielt die Zollaussetzungen in Anspruch genommen. Für sie sei eine Änderung der Zollaussetzungen vorhersehbar gewesen. Ihr hätte bekannt sein müssen, dass es regelmäßig zweimal jährlich zu Änderungen der Zollaussetzungen komme. In der von ihr bei der Generalzolldirektion eingeholten Auskunft sei nicht auf die Auswirkungen der VO 2015/982 eingegangen worden.

Die Klägerin trägt mit der von ihr erhobenen Klage vor: Bei den Verbundfolien habe es sich nicht um aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren gehandelt. Der Klebstoff sei für die Folien nicht gleichwertig gewesen. Für die Verpackungsfunktion sei allein das Polypropylen entscheidend gewesen. Der Klebstoff und die Farbe hätten zudem nur eine Dicke von etwa 5 µm gehabt. Sie seien deshalb als relativ unbedeutend anzusehen. Sie könne sich jedenfalls auf Vertrauensschutz berufen. Es habe sich um eine schwierige Rechtsfrage gehandelt. Ihr seien mehrfach vermeintlich unzutreffende Auskünfte erteilt worden. Die ihr von der Generalzolldirektion erteilte Auskunft sei eindeutig gewesen. Das beklagte Hauptzollamt habe zudem im Einspruchsverfahren mit Verfügung vom 4. Oktober 2017 Aussetzung der Vollziehung gewährt und damit zum Ausdruck gebracht, dass die Rechtslage komplex gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

- 1. die beiden Einfuhrabgabenbescheide vom 24. August 2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 2018 aufzuheben;

- 2. hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das beklagte Hauptzollamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung. Darüber hinaus trägt es vor: Für die Frage, ob es sich bei den Verbundfolien um aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren gehandelt habe, könne es nicht darauf ankommen, ob der Klebstoff aus Polyurethan von tragender Bedeutung und gleichwertig wie die Folien aus Polypropylen gewesen sei. Die Untersuchung einer vergleichbaren Verbundfolie habe eine Dicke der Polyurethanschicht von 3,82 µm ergeben, was 6,76 % der gesamten Dicke der Ware entsprochen habe.

Aus den Gründen

Die Klage ist unbegründet.

Die Einfuhrabgabenbescheide vom 24. August 2017 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Februar 2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Hauptzollamt hat zu Recht die von der Klägerin zu entrichtenden Einfuhrabgabenbeträge festgesetzt und ihr mit den beiden Bescheiden mitgeteilt (Art. 101 Abs. 1, 102 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union - Unionszollkodex - UZK -).

Für die fraglichen Verbundfolien der Unterposition 3921 19 00 KN, die für das Jahr 2015 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1101/2014 der Kommission vom 16. Oktober 2014 (ABl. EU Nr. L 312/1) und für das Jahr 2016 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1754 der Kommission vom 6. Oktober 2015 (ABl. EU Nr. L 285/1) anzuwenden ist, war ein vertragsmäßiger Zollsatz von 6,5 % vorgesehen.

Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf die Gewährung einer Zollaussetzung nach Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1387/2013, die ab dem 1. Juli 2015 in der Fassung der VO 2015/982, ab dem 1. Januar 2016 in der Fassung der Verordnung der VO 2015/2449 und ab dem 1. Juli 2016 in der Fassung der Verordnung (EU) 2016/1051 des Rates vom 24. Juni 2016 (ABl. EU Nr. L 173/5) anzuwenden ist. Nach Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1387/2013 gilt die Zollaussetzung für die in Anhang I aufgeführten Waren nicht für Gemische, Zubereitungen oder aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren, welche die in Anhang I aufgeführten Waren enthalten. Vorschriften über Zollaussetzungen sind entsprechend ihrem Wortlaut eng auszulegen, so dass sie nicht über ihren Wortlaut hinaus auf Erzeugnisse angewandt werden dürfen, die von ihnen nicht erfasst sind (Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - EuGH -, Urteile vom 12. Dezember 1996 Rs. C-47/95 bis C-50/95 , C-60/95 , C-81/95 , C-92/95 und C-148/95 , Slg. 1996, I-6579, Randnr. 20 sowie vom 3. Dezember 1998 Rs. C-247/97, Slg. 1998, I-8095 Randnr. 23).

Ausgehend von dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1387/2013 konnte die Klägern die Zollaussetzung nicht beanspruchen. Bei den in Rede stehenden Verbundfolien handelte es sich um aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren. Hinsichtlich der in der verbindlichen Zolltarifauskunft DE …… beschriebenen Verbundfolien gilt dies schon deshalb, weil diese neben den beiden Polypropylenfolien und dem Zwei-Komponenten-Kleber aus Polyurethan eine Metallisierung aus Polyester aufwiesen. Unbeschadet dessen wiesen sämtliche Verbundfolien jeweils einen Zwei-Komponenten-Kleber aus Polyurethan auf, der eine Dicke von unstreitig zumindest etwa 5 µm hatte. Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1387/2013 kommt es für den Ausschluss von der Zollaussetzung nicht auf den Umfang, die Bedeutung oder die Funktion der verschiedenen Bestandteile einer Ware an. Die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur 3 Buchstabe b und c sind auf Taric-Ebene für die Feststellung, ob eine Ware unter eine Zollaussetzung fällt, nicht anzuwenden (Erläuterungen zur KN zu AV 3 Randnr. 177.0).

Das beklagte Hauptzollamt war nicht gemäß Art. 102 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchstabe b UZK gehindert, die Zollschuldbeträge der Klägerin mit den angefochtenen Einfuhrabgabenbescheiden mitzuteilen. Dabei kann zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass sich die Bindungswirkung der ihr erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte gemäß Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Zollkodex - ZK -) und ab dem 1. Mai 2016 gemäß Art. 252 Satz 1 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28. Juli 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (ABl. EU Nr. L 343/1) i.V.m. Art. 33 Abs. 2 Buchstabe a UZK auch auf die Frage bezog, ob für die Verbundfolien die Zollaussetzung nach Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1387/2013 in Anspruch genommen werden konnte. Wäre dies so gewesen, so ist diese Bindungswirkung jedenfalls ab dem 1. Juli 2015 entfallen. Die der Klägerin erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte wären dann jedenfalls mit dem Beginn der Anwendbarkeit der VO 2015/982 am 1. Juli 2015 gemäß Art. 12 Abs. 5 Buchstabe a Unterabs. 1 Ziff. i ZK ungültig geworden, weil sie dem mit dieser Verordnung gesetzten Recht nicht mehr entsprochen hätten. Die letztgenannte Bestimmung bezieht sich auf alle Verordnungen, welche die Einreihung von Waren berühren oder festlegen (EuGH, Urteil vom 14. April 2011 Rs. C-288/09 und C-289/09, Slg. 2011, I-2851 Randnr. 99). Mit Art. 1 Nr. 1 VO 2015/982 wurde Art. 1 VO Nr. 1387/2013 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2015 (Art. 2 Satz 2 VO 2015/982) dergestalt geändert, dass die in Art. 1 Abs. 1 VO Nr. 1387/2013 vorgesehene Zollaussetzung nicht mehr für Gemische, Zubereitungen oder aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren, welche die in Anhang I aufgeführten Waren enthalten gilt. Dahinstehen kann, ob mit dieser Neuregelung lediglich eine Klarstellung erfolgen sollte, wie dies der 6. Erwägungsgrund zur VO 2015/982 nahezulegen scheint. Die Erwägungsgründe eines Rechtsakts der Europäischen Union sind jedenfalls rechtlich unverbindlich und können weder herangezogen werden, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinn auszulegen, der ihrem Wortlaut widerspricht (EuGH, Urteil vom 2. April 2009 Rs. C-134/08, Slg. 2009, I-2875 Randnr. 16). Da die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 6 ZK nicht vorliegen, kann sich die Klägerin hinsichtlich der ihr erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte nicht auf Vertrauensschutz berufen (vgl. EuGH, Urteil vom 14. April 2011 Rs. C-288/09 und C-289/09, Slg. 2011, I-2851 Randnr. 111).

Die Klägerin kann sich gegenüber der Mitteilung der Zollschuldbeträge nicht mit Erfolg auf Art. 220 Abs. 2 Buchstabe b Unterabs. 1 ZK berufen. Dabei scheidet eine Anwendung dieser Bestimmung von vornherein hinsichtlich der Zollschuldbeträge aus, die gemäß Art. 77 Abs. 1 Buchstabe a und Abs. 2 UZK ab dem 1. Mai 2016 (Art. 288 Abs. 2 UZK) entstanden sind. Da es sich bei Art. 220 Abs. 2 Buchstabe a Unterabs. 1 ZK um eine materiell-rechtliche Vorschrift handelt, ist hinsichtlich der ab dem 1. Mai 2016 entstandenen Zollschuldbeträge Art. 119 Abs. 1 UZK anzuwenden (BFH, Beschluss vom 24. Juli 2017 VII B 165/16, BFH/NV 2017, 1637). Ein möglicher Anspruch auf eine Erstattung oder den Erlass der Einfuhrabgabenbeträge könnte die Rechtmäßigkeit der Abgabenbescheide vom 24. August 2017 nicht in Frage stellen, weil ein solcher Anspruch mit einer Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) zu verfolgen wäre.

Zugunsten der Klägerin kann für den Zeitraum bis zum 30. April 2016 von Irrtümern der Zollbehörden im Sinne des Art. 220 Abs. 2 Buchstabe b Unterabs. 1 ZK ausgegangen werden. Diese sind darin zu erblicken, dass die Zollbehörden ihre Zollanmeldungen in einer Vielzahl von Fällen unbeanstandet angenommen haben und teilweise nach einer Überprüfung der Anmeldungen sowie durchgeführten Beschauen die Zollaussetzung nach der VO Nr. 1387/2013 gewährt haben. Dabei haben die Zollbehörden sich offensichtlich nur von den der Klägerin erteilten verbindlichen Zolltarifauskünften leiten lassen und die Bestimmung des Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1387/2013, die mit Art. 1 Nr. 1 VO 2015/982 eingefügt worden ist, übersehen.

Die der Klägerin erteilte und ausdrücklich als rechtlich unverbindlich bezeichnete Auskunft der Generalzolldirektion vom 4. April 2016 stellt demgegenüber keinen Irrtum der Zollbehörde im Sinne des Art. 220 Abs. 2 Buchstabe b Unterabs. 1 ZK dar. Denn diese Auskunft war für die Nichterhebung der Zollschuldbeträge nicht ursächlich („auf Grund eines Irrtums der Zollbehörden“), weil diese Behörde nicht für die Erhebung der Einfuhrabgaben zuständig war (vgl. BFH, Beschlüsse vom 22. November 1994 VII B 140/94, BFHE 176, 170 sowie vom 4. November 2003 VII R 23/02, BFH/NV 2004, 840).

Nach Überzeugung des Senats hätte die Klägerin die Irrtümer der Zollbehörden vernünftigerweise erkennen können. Die Erkennbarkeit eines Irrtums der zuständigen Zollbehörden ist unter Berücksichtigung seiner Art, der Berufserfahrung des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers und der von ihm aufgewandten Sorgfalt zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 26. März 2015 Rs. C-7/14 P, ECLI:EU:C:2015:205 Randnr. 56). Die Art des Irrtums ist anhand des Komplexitätsgrades der betreffenden Regelung sowie der Länge des Zeitraums, in dem die Behörden in ihrem Irrtum verharrten, zu beurteilen (EuGH, Urteil vom 26. März 2015 Rs. C-7/14 P, ECLI:EU:C:2015:205 Randnr. 57). Ein Zollschuldner kann nicht einwenden, dass von ihm keine weiter gehenden Kenntnisse verlangt werden könnten, als von einem sich irrenden Zollbeamten. Denn andernfalls würde allein schon das Vorliegen eines Irrtums einer Zollbehörde einer Nacherhebung entgegenstehen (EuGH, Urteil vom 26. Juni 1990 Rs. C-64/89, Slg 1990, I-2535 Randnr. 17). Gegen eine Erkennbarkeit eines Irrtums der zuständigen Behörde für den Zollschuldner kann es sprechen, wenn die Behörde wiederholt und über einen längeren Zeitraum unzutreffend gehandelt hat (EuGH, Urteile vom 26. Juni 1990 Rs. C-64/89, Slg. 1990, I-2535 Randnr. 20 sowie vom 14. Mai 1996 Rs. C-153/94 und C-204/94, Slg. 1996, I-2465 Randnr. 104). Von der Erkennbarkeit eines Irrtums ist allerdings bei einem gewerbsmäßigen Einführer auszugehen, wenn dieser sich durch eine Lektüre der einschlägigen Amtsblätter der Europäischen Union Gewissheit über das auf seine Geschäfte anwendbare Unionsrecht hätte verschaffen können (EuGH, Urteile vom 28. Juni 1990 Rs. C-80/89, Slg. 1990, I-2659 Randnr. 14 sowie vom 26. November 1998 Rs. C-370/96 Slg. 1998, I-7711 Randnr. 26). Anderes kann nur dann gelten, wenn der Irrtum der Zollbehörden auch bei einer Lektüre des Amtsblatts der Europäischen Union nicht hätte erkannt werden können, weil die veröffentlichten Rechtsvorschriften unklar sind und zu Zweifeln Anlass geben (BFH, Urteil vom 19. Juni 2013 VII R 31/12, BFH/NV 2013, 1651).

Bei der Klägerin handelt es sich unzweifelhaft um eine gewerbsmäßige Einführerin, die jahrelang eine Zollaussetzung für Verbundfolien in Anspruch genommen hat. Es oblag ihr daher, sich durch eine Lektüre der einschlägigen Amtsblätter der Europäischen Union Gewissheit über das auf ihre Geschäfte anwendbare Unionsrecht zu verschaffen. Aus Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 1387/2013 ergab sich, dass die Kommission die Zollaussetzungen jederzeit überprüfen konnte. Eine solche Überprüfung hatte nach Art. 2 Abs. 2 VO Nr. 1387/2013 in dem in Anhang I festgelegten Jahr zu erfolgen. Die Klägerin musste mithin damit rechnen, dass die Vorschriften über die von ihr in Anspruch genommene Zollaussetzung für Verbundfolien sich jederzeit ändern konnten. Auf die Lektüre der Veröffentlichungen im EZT durfte sie sich dabei nicht beschränken, weil es sich bei dem EZT nur um eine unverbindliche Zusammenstellung der für die Berechnung der Einfuhrabgaben maßgeblichen Faktoren handelt (vgl. EuGH, Urteil vom 28. Juni 1990 Rs. C-80/89, Slg. 1990, I-2659 Randnr. 13 f.).

Der Irrtum der Zollbehörden hätte von der Klägerin auch bei einer Lektüre des Amtsblatts der Europäischen Union erkannt werden können. Die dort veröffentlichten Rechtsvorschriften waren nicht unklar. Vielmehr ergab sich aus Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1387/2013, der mit Art. 1 Nr. 1 VO 2015/982 eingefügt worden ist, dass die Zollaussetzungen nicht für Gemische, Zubereitungen oder aus verschiedenen Bestandteilen bestehende Waren gelten sollten. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung kam es nicht darauf an, welchen Umfang, welche Bedeutung und welche Funktion die verschiedenen Bestandteile für die gesamte Ware hatten. Die Klägerin hätte daher als erfahrene Einführerin zumindest diese Regelung zur Kenntnis nehmen und konkret der Frage nachgehen müssen, ob ihr - was nahelag - die von ihr Anspruch genommene Zollaussetzung nicht mehr zustand. Die Auskunft der Generalzolldirektion vom 4. April 2016 ging auf diese Frage nicht ein und wurde zudem als rechtlich unverbindlich bezeichnet. Der Umstand, dass das beklagte Hauptzollamt die Vollziehung der angefochtenen Einfuhrabgabenbescheide im Einspruchsverfahren mit Verfügung vom 4. Oktober 2017 ausgesetzt hat (Bl. 137 der Rechtsbehelfsakte), begründet nicht die Annahme, dass die Rechtslage komplex war. Aus der Begründung dieser Verfügung (dort Seite 2) ergibt sich, dass das beklagte Hauptzollamt nicht die Auslegung des Art. 1 Abs. 2 VO Nr. 1387/2013 als schwierig bezeichnet hat. Das beklagte Hauptzollamt sah es vielmehr als erforderlich an, im Einspruchsverfahren der Frage näher nachzugehen, ob der Irrtum der Zollbehörden für die Klägerin im Hinblick auf die ihr erteilten Auskünfte erkennbar war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

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