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Steuerrecht
02.02.2023
Steuerrecht
FG Düsseldorf: Auskunftsrecht nach § 15 Abs. 1 DSGVO

FG Düsseldorf, Urteil vom 10.08.2022 – 4 K 879/21 AO

ECLI:DE:FGD:2022:0810.4K879.21AO.00

Volltext BB-Online BBL2023-278-1

 

Sachverhalt

Das beklagte Finanzamt ordnete mit Verfügung vom 21. April 2020 eine Außenprüfung bei der Klägerin an, die sich unter anderem auf die Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2016 bis 2018 beziehen sollte. Nach dem Beginn der Prüfung forderte die Prüferin die Klägerin mit Schreiben vom 26. Oktober 2020 unter anderem auf, Aufträge und Stundenzettel der Arbeitnehmer, Arbeitsnachweise sowie Kostenvoranschläge und Angebote zu übersenden. Diesen Unterlagen komme besondere Bedeutung zu, weil die Klägerin in einer anonymen Anzeige beschuldigt worden sei, Überstunden „schwarz ausbezahlt“ und Erlöse „schwarz vereinnahmt“ zu haben.

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 15. Februar 2021, ihr Akteneinsicht zu gewähren. Der Antrag beziehe sich insbesondere auf den Zugang zu den Informationen und Dokumenten, die in der Betriebsprüfungsakte zu der anonymen Anzeige enthalten seien. Den Antrag stützte sie auf Art. 15 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung – DSGVO).

Das beklagte Finanzamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11. März 2021 ab und führte aus: Der Klägerin könne die von ihr begehrte Auskunft nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) nicht erteilt werden. Die in der Betriebsprüfungsakte vorhandenen Informationen dienten der ordnungsgemäßen Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörde liegenden Aufgaben. Die Erteilung einer Auskunft über diese Informationen könne die Erfüllung dieser Aufgaben gefährden. Bezüglich der anonymen Anzeige bestehe nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO kein Auskunftsanspruch der Klägerin, weil durch eine Erteilung der Auskunft Rechte anderer Personen beeinträchtigt würden. Der Klägerin könne Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten in Form einer Übersicht der Grunddaten und Bescheide erteilt werde, sofern das gewünscht werde.

Die Klägerin trägt mit ihrer Klage vor: Sie habe nach Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO einen Anspruch auf Zugang zu den Informationen und Dokumenten, die im Zusammenhang mit der Außenprüfung verarbeitet worden seien. Dieser Anspruch betreffe insbesondere die in den Akten des beklagten Finanzamts enthaltenen Dokumente und Aktenvermerke zu der anonymen Anzeige. Ein Ausschlussgrund nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO greife nicht ein, weil durch eine Akteneinsicht die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörden liegenden Aufgaben nicht gefährdet werde. Sie habe im Rahmen der Außenprüfung aktiv mitgewirkt. Es bestehe insbesondere nicht die Gefahr, dass sie nach der Gewährung der Akteneinsicht steuerlich bedeutsame Sachverhalte verschleiern könne. Das beklagte Finanzamt habe nicht konkret vorgetragen, inwieweit eine Verschleierung durch sie zu befürchten sei. Das beklagte Finanzamt müsse die Informationen und Unterlagen ohnehin im Rahmen eines späteren finanzgerichtlichen Verfahrens offenlegen. Das beklagte Finanzamt könne sich für die Verweigerung der Akteneinsicht auch nicht auf § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO stützen. Dritter im Sinne dieser Bestimmung könne nicht eine Person sein, die eine anonyme Anzeige erstattet habe. Im Übrigen sei der Schutz des Dritten bereits durch die Anonymität der Anzeige gewahrt.

Die Klägerin beantragt,

1. das beklagte Finanzamt unter Aufhebung seines Bescheids vom 11. März 2021 zu verpflichten, ihr im Wege der Akteneinsicht Zugang zu sämtlichen Dokumenten und Aktenvermerken zu gewähren, die in den die Außenprüfung betreffenden Akten enthalten sind, insbesondere zu den Dokumenten und Aktenvermerken bezüglich der anonymen Anzeige;

2. hilfsweise die Revision zuzulassen.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt es vor: Die Klägerin sei über die sie betreffenden personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung im Rahmen der Außenprüfung seien, informiert gewesen. Die in Art. 15 Abs. 1 DSGVO genannten weiteren Informationen seien der Klägerin gleichfalls bekannt gewesen. Die hiernach zu übermittelnden Informationen könnten dahingehend zusammengefasst werden, dass die personenbezogenen Daten zur Durchführung einer Außenprüfung verarbeitet worden seien, die Daten im Rahmen einer Außenprüfung gemäß § 147 Abs. 6 AO übergeben worden seien, die Daten unter Beachtung des Steuergeheimnisses Angehörigen der Finanzverwaltung offengelegt worden seien, die Daten mindestens für die Dauer der Außenprüfung, längstens bis zur Bestandskraft der darauf ergehenden Bescheide bzw. bis zur Beendigung eines möglichen Rechtsbehelfsverfahrens gespeichert worden seien, der zur Auswertung überlassene Datenträger spätestens nach Bestandskraft der auf Grund der Außenprüfung ergangenen Bescheide an die Steuerpflichtige zurückzugeben und die Daten zu löschen seien. Entscheidungen auf Grund ausschließlich automatisierter Verarbeitung fänden im Rahmen einer Außenprüfung nicht statt. Zu Art. 15 Abs. 1 Buchst. f und g DSGVO könnten keine Informationen gegeben werden.

Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO begründe keinen Anspruch auf Akteneinsicht, sondern nur einen Anspruch auf Auskunft. Der Klägerin sei zudem keine Auskunft über interne Vermerke, Protokolle oder gewechselten Schriftverkehr zu erteilen. Die Einsicht in die anonyme Anzeige habe nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 32a Abs. 2 Nr. 1 AO versagt werden dürfen. Die anonyme Anzeige stelle Kontrollmaterial dar. Die Klägerin könne bei einer Einsichtnahme in dieses Kontrollmaterial ihre weitere Mitwirkung im Rahmen der Außenprüfung an den Wissensstand der Finanzverwaltung anpassen. Der Umstand, dass die Klägerin im Rahmen der laufenden Außenprüfung mitgewirkt habe, ändere nichts an der Möglichkeit, Informationen nur soweit preiszugeben, als sie der Finanzverwaltung ohnehin bekannt seien. Darüber hinaus werde eine Überprüfung des in der anonymen Anzeige geschilderten Sachverhalts durch eine Offenbarung der Anzeige erfahrungsgemäß erschwert. Im Übrigen werde durch das Steuergeheimnis der Name der Person geschützt, welche die anonyme Anzeige erstattet habe. Häufig könne man aus dem Inhalt einer anonymen Anzeige Rückschlüsse auf ihren Verfasser ziehen. Die Pflicht, die dem Steuergeheimnis unterliegenden Daten und Informationen eines Dritten zu schützen, überwiege das Interesse der Klägerin an einer Offenbarung dieser Informationen.

Aus den Gründen

Die Klage ist zulässig.

Der Rechtsweg zu den Finanzgerichten ist im Streitfall nach § 32i Abs. 2 AO eröffnet, soweit sich die Klage der betroffenen Person hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten auf Rechte aus der DSGVO wie nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO stützt.

Statthafte Klageart für die gerichtliche Geltendmachung eines gegen eine Behörde gerichteten Auskunftsanspruchs aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO ist die Verpflichtungsklage. Denn bei der Entscheidung über einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch durch eine Behörde handelt es sich um einen Verwaltungsakt (vgl. Bundesverwaltungsgericht – BVerwG –, Urteil vom 16. September 2020  6 C 10.19, HFR 2021, 419).

Die Klage ist allerdings unbegründet. Der Bescheid vom 11. März 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Das beklagte Finanzamt hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin Akteneinsicht in sämtliche Dokumente und Aktenvermerke zu gewähren, die in den die Außenprüfung betreffenden Akten enthalten sind.

Die DSGVO ist im Streitfall anwendbar, obwohl sich die Außenprüfung neben der Umsatzsteuer auf die nicht harmonisierte Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer bezieht. Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO findet diese Verordnung zwar im Rahmen einer Tätigkeit keine Anwendung, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Gleichwohl folgt aus der Verweisung in § 2a Abs. 3 und 5 AO, dass die Vorschriften der DSGVO entsprechend auch im Rahmen der Tätigkeit der Finanzbehörde im Bereich der nicht harmonisierten Steuern gilt (BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2019  7 C 31.17, NVwZ-RR 2019, 1015 Randnr. 14).

Gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person ein Recht auf Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten. Gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO hat der Verantwortliche der betroffenen Person eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung zu stellen. Das beklagte Finanzamt hat personenbezogene Daten der Klägerin im Rahmen der Außenprüfung verarbeitet. Nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Zur Verarbeitung gehört nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung. Die Prüferin hat die bei der Klägerin erhobenen personenbezogenen Daten erhoben, erfasst, geordnet, gespeichert, ausgelesen sowie verwendet und damit verarbeitet.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage indes keine Auskunft über die sie betreffenden personenbezogenen Daten, die bei der Außenprüfung erhoben worden sind. Die Erteilung einer Auskunft über diese Daten hat das beklagte Finanzamt in seinem Bescheid vom 11. März 2021 angeboten. Die Klägerin ist hierauf nicht mehr eingegangen. Die Klägerin begehrt vielmehr, ihr im Wege der Akteneinsicht Zugang zu sämtlichen Dokumenten und Aktenvermerken zu gewähren, die in den die Außenprüfung betreffenden Akten enthalten sind, insbesondere zu den Dokumenten und Aktenvermerken bezüglich der anonymen Anzeige.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zugang zu den im Rahmen der Außenprüfung von der Finanzverwaltung erzeugten Daten in der Gestalt von Dokumenten und Aktenvermerken. Bereits seinem Wortlaut nach vermittelt Art. 15 Abs. 1 und 3 Satz 1 DSGVO der Klägerin als betroffener Person nur das Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Der Wortlaut entspricht dem Zweck der Regelung, der betroffenen Person ein Auskunftsrecht über ihre personenbezogenen Daten zu geben, das sie in angemessenen Abständen wahrnehmen kann, um sich der Verarbeitung bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit und Richtigkeit überprüfen zu können (63. Erwägungsgrund zur DSGVO). Damit kann sie gegebenenfalls hinsichtlich ihrer personenbezogenen Daten die Berichtigung, die Löschung oder die Einschränkung ihrer Verarbeitung nach den Art. 16 bis 18 DVGO verlangen (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH – Urteil vom 17. Juli 2014 Rs. C-141/12 und C-372/12, ECLI:EU:C:2014:2081 Randnr. 44 zur Richtlinie 95/46/EG). Schlussfolgerungen aus diesen Daten werden von dem Auskunftsrecht nicht erfasst (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 Rs. C-141/12 und C-372/12, ECLI:EU:C:2014:2081, Randnr. 39 f.). Das Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO dient nicht der Schaffung eines Zugangs zu Verwaltungsdokumenten (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 Rs. C-141/12 und C-372/12, ECLI:EU:C:2014:2081, Randnr. 46; BVerwG, Urteil vom 16. September 2020  6 C 10.19, HFR 2021, 419; Finanzgericht – FG – Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Oktober 2021  16 K 5148/20, EFG 2022, 586; FG München, Urteil vom 4. November 2021  15 K 118/20, EFG 2022, 299; FG Münster, Urteil vom 24. Februar 2022  6 K 3515/20, EFG 2022, 820).

Demgemäß hat die Klägerin keinen Anspruch auf Akteneinsicht sowie darauf, dass ihr eine Kopie der Betriebsprüfungsakte zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt wird. Eine besondere Form einer Auskunftserteilung nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO kann zwar auch eine Akteneinsicht sein (vgl. Bundesfinanzhof – BFH –, Beschluss vom 29. August 2019 X S 6/19, BFH/NV 2020, 25). Diese besondere Form der Auskunftserteilung betrifft jedoch nur die Rechtsfolgenseite. Nach § 32d Abs. 1 AO bestimmt die Finanzbehörde die Form, in der Auskunft nach Art. 15 DSGVO erteilt wird, nach pflichtgemäßem Ermessen. Daher ist vorrangig zu prüfen, ob überhaupt ein Anspruch auf Auskunftserteilung in Gestalt der Gewährung einer Akteneinsicht besteht.

Hinsichtlich der Betriebsprüfungsakte scheitert ein Recht der Klägerin auf Akteneinsicht daran, dass in der Akte nicht nur personenbezogene Daten abgeheftet sind. Vielmehr enthält eine Betriebsprüfungsakte naturgemäß eine Vielzahl von Vorarbeiten und Bewertungen des Prüfers. So ergeben sich aus einer Betriebsprüfungsakte insbesondere rechtliche Stellungnahmen, Entscheidungsentwürfe und Berechnungen der Amtsträger sowie Ermittlungsergebnisse, bei denen es sich nicht um personenbezogene Daten der Klägerin handelt (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juli 2021  10 K 3159/20, EFG 2021, 1777). Bei diesen Aktenbestandteilen handelt es sich weder um personenbezogene Daten der Klägerin im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO noch um Informationen im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Buchst. a bis h DSGVO.

Da das Auskunftsrecht nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO nicht der Schaffung eines Zugangs zu Verwaltungsdokumenten dient (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 Rs. C-141/12 und C-372/12, ECLI:EU:C:2014:2081), kann die Klägerin hiernach auch nicht beanspruchen, Einsicht in die Aktenbestandteile zu nehmen, die sich nur auf die anonyme Anzeige beziehen.

Die Klägerin kann auch nicht beanspruchen, dass ihr Zugang zu der anonymen Anzeige selbst verschafft wird. Dieser Zugang könnte der Klägerin gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO durch die Überlassung einer Kopie der anonymen Anzeige verschafft werden. Bei dieser handelt es sich um ein personenbezogenes, die Klägerin betreffendes Datum im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO (vgl. Verwaltungsgericht Aachen, Urteil vom 24. März 2022  8 K 1116/18, juris Randnr. 88 f.).

Der Gewährung einer Akteneinsicht durch die Überlassung einer Kopie der anonymen Anzeige stehen allerdings Rechte Dritter entgegen (Art. 15 Abs. 4 DSGVO). Nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO besteht kein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO, wenn die Daten, ihre Herkunft, ihre Empfänger oder die Tatsache ihrer Verarbeitung nach § 30 AO oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen überwiegender berechtigter Interessen Dritter im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO geheim gehalten werden müssen. Im Streitfall ist die anonyme Anzeige in Anbetracht ihrer Herkunft wegen überwiegender berechtigter Interessen Dritter im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO geheim zu halten. Es ist geklärt, dass der Name eines Anzeigeerstatters gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO dem Steuergeheimnis unterliegt (BFH, Urteil vom 8. Februar 1994 VII R 88/92, BFHE 174, 197). Entsprechendes gilt für die wortgetreue Offenbarung des Inhalts einer anonymen Anzeige, weil der Inhalt einer solchen Anzeige häufig Rückschlüsse auf den Verfasser zulässt (vgl. BFH, Beschluss vom 28. Dezember 2006 VII B 44/03, BFH/NV 2007, 853).

Nach § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist für einen Ausschluss eines Auskunftsanspruchs der betroffenen Person erforderlich, dass das Interesse der betroffenen Person an der Erteilung der Information gegenüber dem durch § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO geschützten Geheimhaltungsinteresse des Anzeigeerstatters zurücktreten muss. Dies erfordert eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragende Interessenabwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Anzeigeerstatters einerseits und dem Auskunftsinteresse des hiervon Betroffenen andererseits (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 32b AO Randnr. 18; vgl. auch Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Dezember 2018  17 Sa 11/18, NZA-RR 2019, 242 – zu Art. 15 Abs. 4 DSGVO). Hierbei handelt es sich um eine gebundene, gerichtlich vollständig überprüfbare Entscheidung der Finanzbehörde (vgl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Mai 2019  15 A 873/18, juris Randnr. 156 – zu § 5 Abs. 1 Satz 1 IFG).

Im Streitfall fällt die nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten der Klägerin aus. Der Anzeigeerstatter hat ein gesetzlich geschütztes (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO) Interesse daran, dass seine Anzeige der Klägerin nicht ohne weiteres zur Verfügung gestellt wird (vgl. BFH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 V B 163/05, BFHE 216, 15). Demgegenüber hat die Klägerin nicht dargelegt, dass ihr Interesse an der Offenbarung der anonymen Anzeige gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Dritten nicht zurückzutreten hat. Die Klägerin hat schriftsätzlich lediglich ausgeführt, der Schutz des Dritten sei bereits durch die Anonymität der Anzeige gewahrt. Dies ist indessen unzutreffend (vgl. BFH, Beschluss vom 28. Dezember 2006 VII B 44/03, BFH/NV 2007, 853). Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, die Klägerin habe ein Interesse an der Offenbarung der anonymen Anzeige, um sich gegen die erhobenen Vorwürfe verteidigen zu können, überwiegt dieses Interesse nicht das Interesse des Anzeigeeerstatters an einer Geheimhaltung der Anzeige. Gegen eine etwaige Änderung der Steuerfestsetzung auf Grund der Außenprüfung kann die Klägerin sich mit den zulässigen Rechtsbehelfen verteidigen (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO; § 40 Abs. 1 FGO). Im Einspruchsverfahren gegen etwaige Steuerbescheide werden der Klägerin gemäß § 364 AO die Unterlagen der Besteuerung offenzulegen sein. Das umfasst neben Beweismitteln auch den Inhalt von Kontrollmaterial (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 364 AO Randnr. 33). In einem finanzgerichtlichen Verfahren wird ihr gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO Einsicht in die dem Gericht vorgelegten Akten zu gewähren sein, was beispielsweise auch die Arbeitsakten der Prüferin umfasst (vgl. BFH, Beschluss vom 25. Oktober 2005 VIII B 174/03, BFH/NV 2006, 749).

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte es grundsätzlich gebieten kann, dass es dem Einzelnen in einem die Festsetzung der Mehrwertsteuer betreffenden Verwaltungsverfahren möglich sein muss, auf Antrag Zugang zu den Informationen und Dokumenten zu erhalten, die in der Verwaltungsakte enthalten sind und die von der Behörde für den Erlass ihrer Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2017 Rs. C-298/16, ECLI:EU:C:2017:843 Randnr. 39). Dies gilt jedoch nur vorbehaltlich unionsrechtlicher oder einzelstaatlicher Rechtsvorschriften, welche dem gebotenen Schutz der Vertraulichkeit dienen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2017 Rs. C-298/16, ECLI:EU:C:2017:843 Randnr. 35 f.). Demgemäß besteht nach Art. 15 Abs. 4 DSGVO kein Anspruch auf den Erhalt einer Kopie nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO, wenn dies Rechte anderer Personen beeinträchtigt. Wie bereits dargelegt, muss im Streitfall das Interesse der Klägerin an einer Offenbarung der anonymen Anzeige gegenüber dem durch § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO geschützten Geheimhaltungsinteresse des Anzeigeerstatters zurücktreten (§ 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).

Dahinstehen kann, ob die Klägerin nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen einen Anspruch auf Akteneinsicht hat, den sie gemäß § 32i Abs. 2 Satz 2 AO im finanzgerichtlichen Verfahren verfolgen könnte. Für einen derartigen Anspruch gilt jedenfalls gemäß § 32e Satz 1 und 2 AO Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO entsprechend. Das bedeutet im Streitfall, dass die Klägerin auch keinen weitergehenden Anspruch auf Akteneinsicht als nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO haben könnte (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 91 AO Randnr. 143).

Nicht zu entscheiden hat der Senat zudem, ob die Klägerin zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Antrag auf Akteneinsicht hat (vgl. hierzu BFH, Beschlüsse vom 10. Februar 2011 VII B 183/10, BFH/NV 2011, 992; vom 5. Dezember 2016 VI B 37/16, ZInsO 2017, 780). Das Gericht ist zwar grundsätzlich verpflichtet, einen Antrag auf Akteneinsicht auf alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen hin zu überprüfen (BFH, Urteil vom 8. Juni 2021 II R 15/20, BFH/NV 2022, 34). Insoweit fehlt es jedoch an dem nach § 44 Abs. 1 FGO erforderlichen Vorverfahren. § 32i Abs. 9 Satz 1 AO gilt gemäß § 32i Abs. 2 Satz 1 AO nur für den vom Kläger auf der Grundlage des Art. 15 DSGVO geltend gemachten Auskunftsanspruch. Wie in den Fällen des § 32i Abs. 9 Satz 2 AO, muss es daher bei dem grundsätzlichen Erfordernis der Durchführung eines Vorverfahrens verbleiben, soweit der Anspruch auf Akteneinsicht auf eine Anspruchsgrundlage gestützt wird, für welche keine gesetzliche Ausnahme von dem Erfordernis der Durchführung eines Vorverfahrens (§ 44 Abs. 1 FGO) vorgesehen ist (vgl. Drüen in Tipke/Kruse AO/FGO, § 32i AO Randnr. 15a). Dies steht in Einklang damit, dass in sogenannten Mischfällen, in denen der Auskunftsanspruch sowohl auf datenschutzrechtliche als auch auf steuerrechtliche Bestimmungen gestützt wird, der Einspruch unbeschadet des § 32i Abs. 9 Satz 1 AO insgesamt statthaft sein soll (vgl. Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 44 FGO Randnr. 61).

Die Klage ist auch nicht gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO zulässig, soweit die Klage einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht umfasst. Insoweit fehlt es bereits an der erforderlichen Zustimmung des beklagten Finanzamts innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift. Die Klageschrift ist dem beklagten Finanzamt am 13. April 2021 zugestellt worden (Bl. 7 GA). Dieses hat mit Schriftsatz vom 12. Mai 2021 (Bl. 9 GA) lediglich um Fristverlängerung für die Übersendung der den Rechtsstreit betreffenden Akten gebeten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

 

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