FG Münster: Anwendungszeitpunkt des Förderhöchstbeitrags für Handwerkerleistungen gemäß § 35a EStG
FG Münster: Anwendungszeitpunkt des Förderhöchstbeitrags für Handwerkerleistungen gemäß § 35a EStG
FG Münster, Beschluss vom 11.12.2009 10 V 4132/09 E
Volltext des Beschlusses: siehe Zusatzmaterialien rechts
Das Inkrafttreten der Erhöhung des Höchstbetrags gemäß § 35a Abs. 2 S. 2 EStG nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 des Konjunkturpakets I zum 30.12.2008 führt nicht zur Anwendung des auf 1200 Euro erhöhten Höchstbetrags für Aufwendungen, die im VZ 2008 geleistet und deren zugrunde liegende Leistungen im VZ 2008 erbracht wurden.
Das FG Münster hatte darüber zu entscheiden, ob im Rahmen der Steuerermäßigung des § 35a EStG im Veranlagungszeitraum 2008 für die Inanspruchnahme vom Handwerkerleistungen ein Höchstbetrag i. H. v. 600 Euro oder ein Höchstbetrag i. H. v. 1200 Euro zu berücksichtigen ist. Die zusammen zur ESt veranlagten Kläger hatten im Jahr 2008 für Maler- und Tapezierarbeiten, Dacharbeiten, Heizungs- und Sanitärarbeiten, die Erneuerung von Fenstern sowie die Erneuerung eines Kaminofens einen Betrag i. H. v. insgesamt 4120,66 Euro für Lohnarbeiten und USt aufgewandt. Sie beantragen in ihrer Einkommensteuererklärung daher 20 % dieser Aufwendungen (= 824,20 Euro) als Steuerermäßigung gemäß § 35a Abs. 2 S. 2 EStG zu berücksichtigen und fügten die erforderlichen Nachweise bei. Die Kläger beriefen sich dabei auf Presseberichte wonach die Erhöhung des Höchstbetrags durch das Konjunkturpaket I von 600 Euro auf 1200 Euro bereits für den VZ 2008 anzuwenden sei. Das FA berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 2008 dagegen nur 600 Euro (20 % von 4120,66 Euro = 824,20 Euro, höchstens jedoch 600 Euro) als entsprechende Steuerermäßigung und begründete dies mit dem Überschreiten des Höchstbetrags von 600 Euro. Nachdem im Einspruchsverfahren die Aussetzung der Vollziehung gegen die Begrenzung der Aufwendungen auf den Höchstbetrag vom FA abgelehnt wurde, stellten die Kläger einen entsprechenden Aussetzungsantrag beim FG Münster (§ 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 1 FGO). Das FG Münster sah diesen Antrag mit seinem Beschluss vom 11.12.2009 als unbegründet an, da die Steuerermäßigung nach § 35a EStG für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen im VZ 2008 zu Recht auf einen Höchstbetrag von 600 Euro begrenzt sei. Die Erhöhung des HöchstbetragJahr: 2010 Heft: 8 Seite: 424 von 600 Euro auf 1200 Euro i. R. d. § 35a Abs. 2 S. 2 EStG durch das Konjunkturpaket I (Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmenpakets "Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung" vom 21.12.2008, BGBl. I 2008, 2896) sei erstmals auf Aufwendungen anzuwenden, die im VZ 2009 geleistet und deren zugrunde liegende Leistungen nach dem 31.12.2008 erbracht worden seien. Im Konjunkturpaket I wird u. a. neben der Erhöhung des Höchstbetrags gemäß § 35a Abs. 2 S. 2 EStG von 600 Euro auf 1200 Euro auch geregelt, dass diese Regelung am Tage nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft tritt (Art. 4 Abs. 3 i.V. m. Art. 1 Nr. 3 dieses Gesetzes). Da das Konjunkturpaket I am 29.12.2008 im BGBl. I 2008, 2896 verkündet worden ist, tritt diese Regelung am 30.12.2008 - dem Tag nach der Verkündung dieses Gesetzes - in Kraft. Damit enthält dieses Gesetz eine Regelung zu seinem Inkrafttreten i. S. d. Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG. Art. 1 Nr. 4b des Konjunkturpakets I ändert in diesem Zusammenhang darüber hinaus § 52 Abs. 50b EStG durch Einfügung eines weiteren Satzes dahingehend, dass § 35a in der Fassung des Art. 1 Nr. 3 des Konjunkturpakets I erstmals bei Aufwendungen anzuwenden ist, die im VZ 2009 geleistet und deren zugrunde liegende Leistungen nach dem 31.12.2008 erbracht worden sind. Art. 1 Nr. 4b tritt nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 des Konjunkturpakets I am 1.1.2009 in Kraft. Nach dem Entwurf des Konjunkturpakets I (BT-Drs. 16/10930) sollte die Erhöhung des Höchstbetrags in § 35a Abs. 2 S. 2 EStG ebenfalls erst am 1.1.2009 in Kraft treten. Dies ergibt sich für das FG aus der Begründung des Gesetzentwurfs einerseits daraus, dass Art. 4 des Konjunkturpakets (BT-Drs. 16/10930) keine Sonderregelung für das Inkrafttreten des Art. 1 Nr. 3 enthielt. Eine Sonderregelung zum Inkrafttreten wurde erst auf eine Empfehlung des Finanzausschusses hin (BT-Drs. 16/11171 vom 2.12.2008) in den Entwurf aufgenommen. Hierdurch wollte der Gesetzgeber eine Interessenkollision mit dem Familienförderungsgesetz (Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen vom 22.12.2008, BGBl. I 2008, 2955), mit dem § 35a EStG neu gegliedert und die Steuerermäßigung für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen in § 35a Abs. 3 EStG geregelt wurde, vermeiden. Nach Ansicht des zuständigen Senats führt das Inkrafttreten der Erhöhung des Höchstbetrags gemäß § 35a Abs. 2 S. 2 EStG nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 des Konjunkturpakets I zum 30.12.2008 aber nicht zur Anwendung des auf 1200 Euro erhöhten Höchstbetrags für Aufwendungen, die im VZ 2008 geleistet und deren zugrunde liegende Leistungen im VZ 2008 erbracht wurden. Dies wird damit begründet, dass das Konjunkturpaket I bereits nach seinem Wortlaut widersprüchlich und insoweit nicht eindeutig sei. Es sei deswegen nach seiner Entstehungsgeschichte und seinem Sinn und Zweck auszulegen. Die Auslegung darf zwar nicht mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten und einem nach Wortlaut und Sinn und Zweck eindeutigen Gesetz keinen entgegenstehenden Sinn verleihen sowie der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden. Der Wortlaut allein bildet jedoch keine unüberwindbare Grenze der Auslegung (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 9. Aufl. 2007, Art. 20, Rn. 34 m. w. N.). Der Wortlaut sei nach Ansicht des Senats daher widersprüchlich, weil der Zeitpunkt der Anwendbarkeit des neuen Höchstbetrags von 1200 Euro nicht eindeutig sei. Betrachte man Art. 4 Abs. 3 des Konjunkturpakets I isoliert, trete der Höchstbetrag gemäß Art. 1 Nr. 3 des Konjunkturpakets I am 30.12.2008 in Kraft. Da aber Art. 1 Nr. 4b, der gemäß Art. 4 Abs. 1 des Konjunkturpakets I erst am 1.1.2009 in Kraft tritt, durch die Änderung des § 52 Abs. 50b EStG unmittelbar auf § 35a EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 3 des Konjunkturpakets I Bezug nimmt, sei die Geltung der Neuregelung widersprüchlich. Die Auslegung nach der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck zeigt nach Ansicht des Senats, dass der Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 des Konjunkturpakts I auf einem Redaktionsversehen beruhe, denn der Gesetzgeber habe bei der Einfügung des Art. 4 Abs. 3 übersehen, dass Art. 1 Nr. 4b inhaltlich auf Art. 1 Nr. 3 Bezug nimmt, jedoch gemäß Art. 4 Abs. 1 später in Kraft tritt. Nach der Gesetzesbegründung sollte die Erhöhung des Höchstbetrags von abzugsfähigen Handwerkerleistungen bei Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen aber erst ab dem 1.1.2009 in Kraft treten, um im Handwerk weitere Impulse für die Stärkung und Stabilisierung der Auftragslage zu setzen. Dass diese Stärkung des Handwerks erst zum Ende des Jahres 2008 beschlossen wurde, sei nach Ansicht des Senats ein Indiz dafür, dass der Gesetzgeber diese Impulse zur Stärkung und Stabilisierung der Auftragslage erst für 2009 setzen wollte. Mit einem im Dezember verabschiedeten Gesetz kann die Auftragslage des Handwerks nicht rückwirkend verbessert werden, sondern zwangsläufig nur für die Zukunft. Zudem wollte der Gesetzgeber nach Ansicht des Senats eine Inkrafttretenskollision mit dem Familienleistungsgesetz vom 22.12.2008 verhindern. Er wollte damit aber nicht die Anwendbarkeit des neuen Höchstbetrags von 1200 Euro auf Aufwendungen vorziehen, die im VZ geleistet und deren zugrunde liegenden Leistungen im VZ 2008 erbracht wurden. Lediglich aufgrund eines Redaktionsversehens wurde es unterlassen, neben Art. 1 Nr. 3 auch Art. 1 Nr. 4b des Konjunkturpakets I in Art. 4 Abs. 3 aufzunehmen.
Das FG Münster stellt sich mit seinem Beschluss auf die Seite der ESt-Referatsleiter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder, die ebenfalls die Auffassung vertreten, dass die Verdoppelung des Höchstbetrags nicht für 2008 anwendbar ist und anders lautenden Presseberichten über eine "Panne des Gesetzgebers" unbeachtlich seien. Die vermehrt bei Finanzämtern eingehenden Einsprüche zur Berücksichtigung sollen deswegen - so wie im Streitfall gesehen - als unbegründet zurückgewiesen werden (OFD Koblenz, 17.3.2009 - S 2296b A - St 32 3 und Bestätigung und Kurzinfo 4.8.2009, ESt St 3_2009K030; OFD Münster vom 2.4.2009, ESt 11/2009).
In der Einleitung zum Konjunkturpaket I führt der Gesetzgeber aus, dass es "in Anbetracht der weltweiten Konjunkturabschwächung als Folge der ernsten Krise auf den globalen Finanzmärkten für die Regierung vorrangige Aufgabe sei, Wachstum und Beschäftigung auch weiterhin zu sichern" (BT-Drs. 16/10930, S. 5). In der Gesetzesbegründung heißt es weiter "Um auch für das Handwerk weitere Impulse für die Stärkung und Stabilisierung der Auftragslage zu setzen, wird dieser Höchstbetrag verdoppelt. ... Die Verdoppelung des Höchstbetrags ist erstmals auf den VZ 2009 anzuwenden." (BT-Drs. 16/10930, S. 9 zu Nr. 3). Hieraus lässt sich die Ansicht des Senats zweifelsohne ableiten. Da infolge des Wechsels der Geschäftszuständigkeiten innerhalb des FG Münster für das Hauptsacheverfahren der 7. Senats zuständig sein wird, dürfte die Entscheidung der Hauptsache noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Man wird aber annehmen können, dass in der Sache entsprechend entschieden werden wird, auch wenn die zuständige Berichtserstatterin hierzu noch keine Aussage treffen konnte. Gleichwohl verbleibt den Klägern die Möglichkeit Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, wenn auch die Hauptsache für sie ablehnend entschieden wird. Dies sollte vom Steuerpflichtigen beobachtet werden, um in seinem persönlichen Steuerfall ggf. unter Hinweis auf ein dann beim BFH anhängiges "Musterverfahren" einen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 AO zu beantragen. Bis ein entsprechendes Musterverfahren anhängig ist über die Beantragung eines Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 S. 1 AO bzw. das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 S. 1 AO nachzudenken, da die im Ausgangsverfahren streitige Frage der Erhöhung des Höchstbetrags bereits auch für den VZ 2008 Potential für Masseneinsprüche bietet.