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Steuerrecht
02.12.2021
Steuerrecht
FG München: Anwendbarkeit der DSGVO im Bereich der direkten Steuern

FG München, Gerichtsbescheid vom 23.7.2021 – 15 K 81/20

Volltext des Gerichtsbescheids://BB-ONLINE BBL2021-2913-1

Nicht Amtliche Leitsätze

1. Im Bereich der Steuerverwaltung ist auch bei der Verwaltung der direkten Steuern die DSGVO anwendbar.

2. Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Finanzbehörden (hier: Landesamt für Steuern im Bereich der Dienst- und Fachaufsicht in Steuersachen) sind die DSGVO und die im Zusammenhang stehenden Datenschutzvorschriften u. a. der AO zu beachten.

3. Sachverhaltsangaben die im Rahmen eines Dienst- und Fachaufsichtbeschwerdeverfahrens in dem Vorlagebericht/Stellungnahme der Ausgangsbehörde bekannt werden sind personenbezogene Daten des Betroffenen im Sinne der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO).

4. Ob der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2016/679 (DSGVO) auch insoweit eröffnet ist, dass die im Streitfall vorliegende Akte mit Schriftstücken oder die in den Schriftstücken enthaltenen personenbezogenen Daten das Kriterium einer (vorgesehenen) Speicherung in einem Dateisystem (Art. 2 Abs. 1 DSGVO) erfüllen, kann der Senat im Streitfall dahingestellt sein lassen.

5. Auf Grundlage der DSGVO kann auf Grundlage des Auskunftsanspruchs die Einsicht in ein konkretes Dokument nicht gefordert werden, selbst wenn die in den Schriftstücken enthaltenen personenbezogenen Daten das Kriterium einer (vorgesehenen) Speicherung in einem Dateisystem (Art. 2 Abs. 1 DSGVO) erfüllen und ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO dem Grunde nach angenommen wird.

EUV 2016/679 Art. 15; BDSG § 1 Abs. 8; AO § 2a Abs. 1, § 32i

Sachverhalt

Streitig ist, ob aufgrund Art. 15 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eine Verpflichtung besteht, dem Betroffenen den im Rahmen eines Dienst- und Fachaufsichts-Beschwerdeverfahrens der Beschwerdebehörde übersandten Vorlagebericht der Ausgangsbehörde in Kopie zu überlassen oder im Rahmen einer Akteneinsicht inhaltlich zur Kenntnis zu geben.

Die Kläger werden beim Finanzamt A besteuert. Mit der dortigen Bearbeitung unzufrieden zeigten sie dem beklagten Landesamt für Steuern - Landesamt - mit Schreiben vom 16.10.2019 die Sachbehandlung an, über die sie mit dem Finanzamt A uneins waren, und erhoben den Vorwurf der Willkür und unrechtmäßigen Bereicherung.

Das Landesamt prüfte die Sachbehandlung und teilte den Klägern das Ergebnis der Überprüfung mit Schreiben vom 08.11.2019 mit, das der Klägerin bei ihrer persönlichen Vorsprache am 12.11.2019 ausgehändigt wurde. In dem Schreiben stellte das Landesamt den wesentlichen Ablauf des Verfahrens vor dem Finanzamt A detailliert dar und kam zu dem Ergebnis, dass das Finanzamt A die Bearbeitung nicht verzögert habe und daher der Vorwurf der Willkür und unrechtmäßigen Bereicherung nicht zutreffe. Anlässlich dieser Vorsprache beantragte die Klägerin, den Vorlagebericht des Finanzamts A an das Landesamt in Kopie ausgehändigt zu erhalten.

In zwei Schreiben vom 13.11.2019 und 16.11.2019 wiederholten die Kläger ihren Antrag auf Überlassung einer Kopie des Schreibens des Finanzamts und erhoben den Vorwurf, dieses habe dem Landesamt den tatsächlichen Sachstand bzw. die Vorfälle nicht richtig übermittelt. Außerdem stellten die Kläger den Sachverhalt aus ihrer Sicht dar. Sie wiederholten ihren Vorwurf der Amtswillkür und der absichtlichen Schikane seitens des Finanzamts A. Darüber hinaus äußerten sie ihre Absicht, eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten.

Nach Prüfung lehnte das Landesamt mit Schreiben vom 09.12.2019 den auf das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes gestützten Antrag auf Übersendung einer Kopie des Vorlageberichts des Finanzamts ab. Hilfsweise legte das Landesamt den Antrag als Auskunftsantrag im Sinne des Art. 15 DSGVO aus. Auch in dieser Auslegung vermochte das Landesamt dem Antrag nicht stattzugeben. Es stützte sich dabei darauf, dass von der Auskunftsverpflichtung interne Vorgänge nicht umfasst seien. Auch bestehe in einem außergerichtlichen Verfahren in Steuersachen kein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht. Bei der Prüfung, ob Akteneinsicht im Rahmen einer Ermessensentscheidung gewährt werde, seien die Belange der betroffenen Person und der Behörde gegeneinander abzuwägen. Dabei dürfe einbezogen werden, ob ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht substantiiert dargelegt oder erkennbar sei. Ein solches bestehe im Streitfall jedoch nicht. Bei einer Dienstaufsichtsbeschwerde hätten die Beschwerdeführer nur ein Recht auf Entgegennahme der Dienstaufsichtsbeschwerde, ihre sachliche Prüfung sowie ihre Bescheidung. Ein Anspruch auf Erledigung im Sinne des Petenten bestehe nicht.

Mit ihrer Klage vom 13.01.2020 (Eingang bei Gericht) verfolgen die Kläger ihr Ziel weiter. Sie tragen vor, dass die Ablehnung der Auskunft mit der Interessenabwägung zugunsten der Behörde begründet worden sei, obwohl dem Landesamt bekannt geworden sei, dass die Behörde in ihrer Stellungnahme ihre Pflichten verletzt habe, in dem diese bewusst unkorrekten Daten und Informationen an die überprüfende Behörde weitergeleitet habe. Eine Interessenabwägung könne nur bei Angemessenheit vorgenommen werden, jedoch nicht, wenn andere Rechtsprinzipien dadurch verletzt würden.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Landesamt zu verpflichten, Einsicht in die Stellungnahme des Finanzamts A zur Beschwerde zu gewähren bzw. eine Kopie des Schreibens herauszugeben.

Das Landesamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bestehe kein Recht auf Akteneinsicht aus Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO. Erst recht bestehe kein Anspruch auf Aushändigung bestimmter Dokumente aus der Akte. Dies gelte insbesondere für interne Vermerke.

Darüber hinaus sei das Auskunftsrecht nach § 32c Abgabenordnung (AO) ausgeschlossen. Der Sachverhalt, den das Finanzamt A in seiner Stellungnahme vom 05.11.2019 dargestellt habe, sei bereits in der Beantwortung der Beschwerde vom 08.11.2019 im Wesentlichen wiedergegeben worden. Eine Verpflichtung zur nochmaligen Auskunft über diese Informationen bestehe nicht. Das Landesamt verweist hierzu auf Art. 23 Abs. 1 e DSGVO i.V.m. § 32c Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 32b Abs. 1 AO in Verbindung mit Art. 14 Abs. 5 a DSGVO. Art. 15 DSGVO finde keine Anwendung, soweit die betroffene Person bereits über diese Daten verfüge.

Darüber hinaus enthalte die Stellungnahme des Finanzamtes A auch Daten Dritter, weshalb deren Rechte eine Auskunftserteilung entgegenstünden (das Landesamt verweist insoweit auf Art. 15 Abs. 4 DSGVO sowie Art. 23 Absatz 1 i DSGVO i.V.m. § § 32c Abs. 1 Nr. 1, 32b Abs. 1 Nr. 2 AO).

Eine Akteneinsicht nach Maßgabe pflichtgemäßen Ermessens habe das Landesamt in der Entscheidung vom 09.12.2019 zu Recht verweigert.

Die Übersendung der Akten an das Gericht verweigert das Landesamt unter Verweis auf die Rechtsprechung des BFH mit der Begründung, dass damit die dem Gericht zur Entscheidung vorliegende Hauptsache vorweggenommen würde. Dies entspreche nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 78 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Mit Schreiben vom 12.03.2020 und 18.05.2020 wies das Gericht die Kläger darauf hin, dass die Entscheidung darüber, ob die Verweigerung der Aktenvorlage im gerichtlichen Verfahren rechtmäßig sei, nach § 86 Abs. 3 FGO ausschließlich dem BFH zustehe und regte an, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

Aus den Gründen

 

II. 1. Die Klage ist zulässig.

Der Rechtsweg zu den Finanzgerichten ist im Streitfall nach § 32i Abs. 2 AO eröffnet, soweit sich die Klage der betroffenen Person gegen das Landesamt als Finanzbehörde (§ 6 Abs. 2 Nr. 4a AO) hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten auf Rechte aus der DSGVO (hier: Art. 15 Abs. 1 DSGVO) stützt.

Statthafte Klageart für die gerichtliche Geltendmachung eines gegen eine Behörde gerichteten Auskunftsanspruchs aus Art. 15 Abs. 1 der DSGVO ist die Verpflichtungsklage. Denn bei der Entscheidung über einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch durch eine Behörde handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Der Erteilung der Auskunft geht eine behördliche Entscheidung voraus, die auf der Grundlage eines gesetzlichen Prüfprogramms zu treffen ist und bei der die Behörde besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen wie Begründungs- oder Anhörungspflichten zu beachten hat. Daher geht der Auskunftserteilung durch eine Behörde auf der Grundlage des Art. 15 Abs. 1 DSGVO stets eine Prüfung möglicher Ausschluss- und Beschränkungstatbestände voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.09.2020 - 6 C 10/19 -, Rn. 12, HFR 2021, 419).

 

2. Die Klage ist nicht begründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch aus der DSGVO auf die mit der Klage begehrte Einsichtnahme oder Übersendung einer Kopie des Vorlageberichts des Finanzamtes.

Die DSGVO ist anwendbar auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Finanzbehörden, und zwar nach Auffassung des erkennenden Senats auch, soweit die Verarbeitung im Bereich der direkten Steuern stattfindet (sogleich a). Sie ist ferner anwendbar auf die Datenverarbeitung durch das beklagte Landesamt für Steuern im Beschwerdeverfahren (b). Das Klagebegehren der Kläger hat auch personenbezogene Daten zum Inhalt, so dass der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO insoweit eröffnet ist (c). Ob der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO im Streitfall auch mit Blick auf das Erfordernis der (ggf. beabsichtigten) Speicherung der Daten in einem Dateisystem eröffnet ist, kann im Streitfall dahingestellt bleiben (d), da selbst dann, wenn dies bejaht und ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO dem Grunde nach angenommen würde, aus diesem Auskunftsanspruch nicht die Einsicht in ein konkretes Dokument gefordert werden kann (e). Einen etwaigen Auskunftsanspruch hat das Landesamt durch die Mitteilung der den Sachverhalt der Beschwerde darstellenden Informationen bereits erfüllt (f).

 

a. Anwendbarkeit der DSGVO auf die Datenverarbeitung auch im Bereich direkter Steuern Die DSGVO ist im Bereich der Steuerverwaltung auch bei der Verwaltung der direkten Steuern anwendbar.

 

aa. Als EU-Verordnung gilt die DSGVO gem. Art. 288 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat der Union, ohne dass es einer weiteren Umsetzung durch nationales Recht bedarf (vgl. auch FG Sachsen, Urteil vom 08.05.2019 - 5 K 337/19 -, EFG 2020, 661, Rn. 12).

Nach Art. 1 DSGVO schützt die Verordnung die Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen und insbesondere deren Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Nach dem Willen des EU-Verordnungsgebers leitet sich der grundsätzlich umfassende Wirkungsbereich der Verordnung direkt aus Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) sowie Art. 16 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ab (vergleiche Erwägungsgründe zur DSGVO [Erw] 1, 2). Sie soll „zur Vollendung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts … beitragen (Erw 2). Damit nimmt der Verordnungsgeber die zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten geteilte Kompetenz des Art. 4 Abs. 2 j AEUV für sich in Anspruch.

 

bb. Diesen grundsätzlich umfassend gesehenen Wirkungsbereich schränkt der Verordnungsgeber in Art. 2 Abs. 2 DSGVO u.a. mit Blick auf die Kompetenzen der Mitgliedstaaten ein. Danach findet die Verordnung etwa keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt (Art. 2 Abs. 2 a DSGVO) oder auf die Datenverarbeitung durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit (Art. 2 Absatz 2 d DSGVO).

Welche Tätigkeiten aus dem Geltungsbereich der Verordnung ausgenommen sein sollen, weil sie nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen (Art. 2 Abs. 2 a DSGVO), führt der Verordnungsgeber nicht explizit aus. In den Erwägungsgründen nennt er beispielhaft die nationale Sicherheit und Datenverarbeitung im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Tätigkeit, die im Streitfall im Raume steht, ist die Datenverarbeitung im Rahmen einer Beschwerde im Bereich der Verwaltung direkter Steuern. Da die Verwaltungstätigkeit selbst immanent in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten fällt, kann nur darauf abgestellt werden, ob die verwalteten Steuern in die Kompetenz der Union fallen. Das ist im Grunde für die nicht harmonisierten direkten Steuern zu verneinen (Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 166. Lieferung 05.2021, § 2a AO, Rn. 6, m.w.N.). Andererseits beansprucht der EuGH eine Kompetenz für die Prüfung, ob Vorschriften der Mitgliedsstaaten im Bereich der direkten Steuern gegen Unionsrecht oder etwa die Grundfreiheiten verstoßen. Der BFH erkennt diese Kompetenz an (vgl. z.B. BFH, EuGH-Vorlage vom 06.11.2019 - I R 32/18 -, BFHE 269, 205, BStBl II 2021, 68, Rn. 21 [BB 2020, 2719]; Urteil vom 20.04.1988 - I R 219/82 -, BFHE 154, 38, BStBl II 1990, 701, Rn. 21 [BB 1988, 2097 Ls]), so dass sich durchaus die Frage stellt, ob für die Anwendung des Art. 2 Abs. 2 a DSGVO davon gesprochen werden kann, dass die direkten Steuern nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen. Dies zumal sich die DSGVO auf die geteilte Kompetenz des ARt. 4 Abs. 2 j AEUV stützt (vgl. bereits oben und Erw. 2).

Demgemäß sind die Antworten auf die Frage der Anwendbarkeit der DSGVO im Bereich der direkten Steuern kontrovers (vgl. zum Streitstand Drüen in: Tipke/Kruse, AO/FGO, 166. Lieferung 05.2021, § 2a AO, Rn. 6).

 

cc. Allerdings kann der Senat die Frage der unmittelbaren Geltung der DSGVO kraft Rechtssetzungsakt der Union im Ergebnis dahingestellt sein lassen, da der Bundesgesetzgeber ihre Geltung zumindest durch Verweisung in § 2a AO angeordnet hat. Durch die Verweisung werden die Texte, auf die Bezug genommen wird (Bezugsnormen und andere Bezugstexte) zu einem Bestandteil der verweisenden Regelung (Ausgangsnorm) (Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Handbuch der Rechtsförmlichkeiten, 3. Aufl. 2008, Teil B, 4.1, Rn. 2018, zit. nach http://hdr.bmj.de/page_b.4.html, Aufruf vom 16.07.2021).

Der deutsche Gesetzgeber ist bei der Normierung des § 2a AO bzw. der §§ 29b, 29c und 32a ff. AO (eingefügt durch Art. 17 des Gesetzes vom 17.07.2017, BGBl I 2017, 2541) von folgendem Verständnis ausgegangen (BT-Drs. 18/12611, Seite 74): „Die Regelungen der AO sollen an das Recht der Europäischen Union, im Besonderen der [DSGVO] angepasst werden. Dabei sollen aufgrund der Regelungsaufträge der [DSGVO] die bereits bestehenden Vorschriften über die Verarbeitung personenbezogener Daten an die Regelungen und Begriffsbestimmungen dieser Verordnung angepasst bzw. neue bereichsspezifische Regelungen in enger Anlehnung an das neue Bundesdatenschutzgesetz geschaffen werden. Zugleich sollen auf Grundlage des Art. 23 der [DSGVO] bereichsspezifische Einschränkungen der betroffenen Rechte bestimmt werden, damit die Finanzbehörden weiterhin ihrem Verfassungsauftrag nachkommen können, die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben und Steuerverkürzungen aufzudecken.“ In der Gesetzesbegründung zu § 2a Abs. 3 AO wird weiter ausgeführt: „Abs. 3 stellt klar, dass die unmittelbar anzuwendenden europarechtlichen Regelungen über den Schutz personenbezogener Daten natürlicher Personen, insbesondere die [DSGVO], den Regelungen der AO und der Steuergesetze vorgehen, soweit diese den Mitgliedstaaten keine Regelungsaufträge erteilen oder Regelungsbefugnisse einräumen und dementsprechende nationale Regelungen getroffen worden sind.“

In dieser Begründung drückt sich der unbedingte Wille des Bundesgesetzgebers deutlich aus, dass der bereichsspezifische Datenschutz im Bereich des gesamten Steuerrechts durch die AO und die dieser vorgehende DSGVO geregelt sein soll, allerdings im Bereich der Einzelsteuergesetze gegebenenfalls für deren Bereich modifiziert. Es lässt sich nach Ansicht des erkennenden Senats weder aus der Gesetzesbegründung, noch aus dem Gesetzeswortlaut des § 2a AO herauslesen, dass die Regelungen der AO bzw. der DSGVO lediglich im Bereich der harmonisierten Steuern und nicht auch im Bereich der direkten Steuern gelten sollten.

Die Gesetzesbegründung zu § 2a Abs. 5 AO bekräftigt das vorstehend gefundene Ergebnis. Der Gesetzgeber ist mit dieser Vorschrift bestrebt, den Anwendungsbereich der DSGVO auch auf Fälle auszuweiten, in denen sie nach Erwägungsgrund 27 zur DSGVO an sich nicht gilt. Dies entspreche dem allgemeinen Grundsatz der AO, dass verfahrensrechtliche Regelungen - die regelmäßig zugleich Regelungen über die Verarbeitung personenbezogener Daten darstellen - für alle vom Steuer- und Steuerverfahrensrecht Betroffenen ungeachtet ihrer Rechtsform grundsätzlich gleichermaßen gelten.

Der unbedingte Wille des Gesetzgebers zur Geltung der Europäischen Datenschutzregeln drückt sich darüber hinaus in der generalklauselartigen Vorschrift des § 1 Abs. 8 BDSG aus, wonach die DSGVO und die Teile 1 und 2 BDSG entsprechende Anwendung finden, soweit nicht im BDSG bzw. im bereichsspezifischen Gesetz - hier der AO - Abweichendes geregelt ist.

Nach dem Vorstehenden ist also davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber von der unmittelbaren Geltung der DSGVO für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Finanzbehörden ausgeht (§ 2a Abs. 1 AO). Der Verweis auf dieselbe dürfte somit als deklarativer Verweis gedacht gewesen sein. Nach Auffassung des erkennenden Senats schließt dies jedoch nicht eine Auslegung als konstitutiven Verweis aus. Der Gesetzgeber wollte die Geltung der DSGVO - modifiziert durch eigene Regelungen u.a. in der AO - für die gesamte Tätigkeit der Finanzbehörden - ohne eine je nach Steuerart differenzierte Handhabung. Anderenfalls hätte er dies in § 2a Abs. 1 AO anders formuliert.

Diese Sicht entspricht auch der Rspr. des BVerwG (EuGH-Vorlage vom 04.07.2019 - 7 C 31/17 -, Rn. 14, juris), das folgendes ausführt: „Mit den Ergänzungen der Abgabenordnung verfolgt der Gesetzgeber - wie sich insbesondere aus § 2a Abs. 3 und 5 AO ergibt - das Ziel, über den unmittelbaren Anwendungsbereich der [DSGVO] hinaus dem allgemeinen Grundsatz der Abgabenordnung entsprechend einheitliche verfahrensrechtliche Regelungen - die regelmäßig zugleich Regelungen über die Verarbeitung personenbezogener Daten darstellen - für alle vom Steuer- und Steuerverfahrensrecht Betroffenen ungeachtet ihrer Rechtsform vorzusehen (vgl. BT-Drs. 18/12611, S. 76). Anhaltspunkte dafür, dass dieses Regelungsziel sich auf unionsrechtlich determinierte Steuern beschränkt, sind nicht ersichtlich. Eine nach Steuerschuldnern und Steuerarten differenzierende Verarbeitung der Daten wäre im Übrigen - wie die Vertreter des für die Novellierung der Abgabenordnung federführend zuständigen Bundesministeriums der Finanzen in der mündlichen Verhandlung erläutert haben - auch technisch nicht zu realisieren. […] Vor diesem Hintergrund kommt eine „gespaltene“ Auslegung der Neuregelungen in der Abgabenordnung für dem Unionsrecht unterfallende Sachverhalte einerseits und diesem nicht unterfallende Sachverhalte andererseits nicht in Betracht.“

Nach alledem geht der erkennende Senat von der zumindest inhaltlichen Geltung der DSGVO für die gesamte Daten verarbeitende Tätigkeit der Finanzbehörden aus (wie hier, jedoch nur in summarischer Würdigung FG Saarland, Beschluss vom 03.04.2019 - 2 K 1002/16 -, EFG 2019, 1217; ohne Problemerörterung FG Sachsen, Urteil vom 08.05.2019 - 5 K 337/19 -, EFG 2020, 661; ohne Problemerörterung FG Köln, Urteil vom 18.09.2019 - 2 K 312/19 -, EFG 2020, 413; a.A. unter Verweis auf die Literatur FG Niedersachsen, Urteil vom 28.01.2020 - 12 K 213/19 -, EFG 2020, 665).

 

dd) Die BMF-Schreiben vom 12.01.2018, BStBl I 2018, 185 (ersetzt durch BMF-Schreiben vom 13.01.2020 IV A 3-S 0130/19/10017:004, 2019/1129406) geben die vorstehend begründete Rechtsauffassung wieder, so dass festgehalten werden kann, dass auch die Finanzverwaltung von der Geltung der DSGVO im Bereich der Steuerverwaltung ausgeht.

 

b. Die DSGVO und die im Zusammenhang stehenden Datenvorschriften u.a. der AO finden Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch das beklagte Landesamt.

Die Datenschutzvorschriften der Abgabenordnung, der Steuergesetze und der DSGVO gelten nach § 2a Abs. 1 AO für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Finanzbehörden. Beim Landesamt für Steuern handelt es sich um eine solche (§ 6 Abs. 2 Nr. 4a AO), so dass diese Vorschriften auch auf das Dienst- oder Fachaufsichtsverfahren vor dem Landesamt Anwendung finden, jedenfalls, soweit es sich - wie im Streitfall - um die Aufsicht in Steuersachen handelt.

 

c. Der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO ist im Streitfall insoweit eröffnet, als die Verarbeitung personenbezogener Daten zu beurteilen ist. Auch bei in unstrukturierten Volltexten enthaltenen Angaben mit Bezug zur Person der Kläger handelt es sich unter den Umständen des Streitfalls um personenbezogene Daten.

 

aa. (1) Die DSGVO gilt für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen (Art. 2 Abs. 1 DSGVO).

§ 2a Abs. 5 AO ordnet die entsprechende Geltung der DSGVO auf verstorbene natürliche Personen und Körperschaften, rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Personenvereinigungen oder Vermögensmassen an.

 

(2) Personenbezogene Daten sind nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Nach der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 oder der Vorgängernorm der DSGVO, der RL 95/46/EG, sind dies alle Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person. Aus der unterschiedlichen Begrifflichkeit „beziehen“ statt „über“ ergibt sich kein wesentlich unterschiedlicher Bedeutungsgehalt. Personenbezogene Daten sind demnach Einzelangaben (so ausdrücklich § 3 Abs. 1 BDSG alte Fassung), also nicht etwa Akten oder Aktensammlungen (so Erw. 15 zur DSGVO).

 

(3) Der Begriff der „Personenbezogenen Daten“ wird vom zur Auslegung berufenen EuGH (vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage 7 C 31/17, a.a.O.) weit ausgelegt, so dass auch etwa die Antworten des Prüfungsteilnehmers auf Prüfungsfragen und die Korrekturanmerkungen des Prüfers (nicht aber die Prüfungsfragen selbst) personenbezogene Daten darstellen können (EuGH, Urteil vom 20.12.2017 - C-434/16 -, Rn. 34, juris; vgl. hierzu auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27.04.2020 - 20 K 6392/18 -, Rn. 140, juris). In seiner zur RL 95/46/EG ergangenen Entscheidung leitet er dies aus den zwei Zielrichtungen der Richtlinie ab: Einmal fänden die in ihr vorgesehenen Schutzprinzipien ihren Niederschlag in den Pflichten, die den für die Verarbeitung Verantwortlichen obliegen; diese Pflichten beträfen insbesondere die Datenqualität, die technische Sicherheit, die Meldung bei der Kontrollstelle und die Voraussetzungen, unter denen eine Verarbeitung vorgenommen werden könne. Zum anderen kämen sie zum Ausdruck in den Rechten der Personen, deren Daten Gegenstand von Verarbeitungen sind, über diese informiert zu werden, Zugang zu den Daten zu erhalten, ihre Berichtigung verlangen bzw. unter gewissen Voraussetzungen Widerspruch gegen die Verarbeitung einlegen zu können (ebenda, Rn. 48).

 

(4) Der EuGH arbeitet in einer weiteren zur RL 95/46/EG ergangenen Entscheidung vom 17.07.2014 - C-141/12 und C-372/12 -, CR 2015, 103, den Unterschied zwischen personenbezogenen Daten und den Dokumenten heraus, die u.a. personenbezogene Daten enthalten. In den dem Vorabentscheidungsersuchen zugrundeliegenden Verfahren begehrten die Antragsteller Einsicht in eine sog. „Entwurfsschrift“, die Daten über den Verfahrensbeteiligten, aber auch eine rechtliche Analyse enthielt. Der EuGH stellt klar, dass auch in dieser Entwurfsschrift enthaltenen Daten, die die Tatsachengrundlage für die in der Entwurfsschrift ebenfalls enthaltene rechtliche Analyse darstellen, personenbezogene Daten des Verfahrensbeteiligten sind. Er bejaht insoweit ein Auskunftsrecht. Dagegen verneint er ein Auskunftsrecht hinsichtlich der rechtlichen Analyse. Diese könne nicht Gegenstand einer Nachprüfung durch den Antragsteller und einer Berichtigung sein. Würde das Auskunftsrecht auf diese rechtliche Analyse ausgedehnt, so würde dies in Wirklichkeit nicht dem Ziel der Richtlinie dienen, den Schutz der Privatsphäre dieses Antragstellers bei der Verarbeitung von ihn betreffenden Daten zu gewährleisten, sondern dem Ziel, ihm ein Recht auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten zu sichern, auf das die RL 95/46 jedoch nicht gerichtet sei (EuGH, ebenda, Rn. 46).

Auch stellt der EuGH klar, dass die Richtlinie es den Mitgliedsstaaten überlasse, festzulegen, in welcher konkreten Form die Auskunft zu erteilen sei, soweit sie der betroffenen Person ermögliche, von den sie betreffenden personenbezogenen Daten Kenntnis zu erlangen und zu prüfen, ob sie richtig seien und der Richtlinie gemäß verarbeitet würden, so dass sie gegebenenfalls die ihr in der Richtlinie verliehenen Rechte ausüben könne (EuGH, ebenda, Rn. 57). Zur Wahrung des Auskunftsrechts genüge es, wenn der Antragsteller eine vollständige Übersicht über die in der Entwurfsschrift wiedergegebenen Daten - also auch solche personenbezogenen Daten, die in der rechtlichen Analyse enthalten sind, in verständlicher Form erhalte (EuGH, ebenda, Rn. 59). Soweit mit dieser Auskunft das mit dem Auskunftsrecht angestrebte Ziel erreicht werden könne, stehe der betroffenen Person weder aus dem Auskunftsrecht noch aus Art. 2 Abs. 2 der Charta das Recht zu, eine Kopie des Dokuments oder der Originaldatei, in der diese Daten enthalten sind, zu erhalten. Damit die betroffene Person keinen Zugang zu anderen Informationen als den sie betreffenden personenbezogenen Daten erhalte, könne sie eine Kopie des Dokuments oder der Originaldatei erhalten, in denen diese anderen Informationen unkenntlich gemacht worden seien (EuGH, ebenda, Rn. 58).

 

bb. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze sind die im Vorlagebericht des Finanzamts enthaltenen Sachverhaltsangaben als personenbezogene Daten zu beurteilen.

Zwar können Zweifel bestehen, ob nicht oder wenig strukturierten Texte, die eine Vielzahl von Einzelangaben in freier sprachlicher Beschreibung enthalten, als „Daten“ angesehen werden können, solange sie nicht in Einzelangaben strukturiert wurden, also in entsprechend strukturierte geordnete Paare bestehend aus „Kategorie“ und „Wert“ bzw. Feldbezeichner und Feldinhalt extrahiert worden sind - etwa indem sie in ein Formular in strukturiert und separiert übertragen wurden.

Nach der weiten Auslegung des Begriffs „Daten“ durch den EuGH ist es jedoch unerheblich, welchen formalen Strukturierungsgrad die in einem Text enthaltenen Einzelangaben haben. Es genügt nach der oben zitierten Rspr. des EuGH für das Vorliegen von „Daten“, dass in einem Text in fortlaufender, nicht weiter strukturierter Sprache Sachverhalte geschildert sind, die den Klägern zugeordnet - und damit personenbezogen - sind.

Von einer Zuordnung auf die Kläger ist auszugehen, da das Gericht davon ausgeht, dass die Akte, die die Schriftstücke mit den Sachverhaltsschilderungen enthält, unter dem Namen der Kläger geführt wird und somit die enthaltenen Schriftstücke in Bezug zu den Klägern setzen.

 

d. Ob der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO auch insoweit eröffnet ist, dass die im Streitfall vorliegende Akte mit Schriftstücken oder die in den Schriftstücken enthaltenen personenbezogenen Daten das Kriterium einer (vorgesehenen) Speicherung in einem Dateisystem (Art. 2 Abs. 1 DSGVO) erfüllen, kann der Senat im Streitfall dahingestellt sein lassen.

 

e. Selbst wenn letzteres bejaht würde, der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO auch insoweit eröffnet wäre und damit ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO dem Grunde nach bejaht würde, könnte aus diesem Auskunftsanspruch nicht die Einsicht in ein konkretes Dokument beansprucht werden, das in der Akte der Verwaltung enthalten ist.

Wie der EuGH ausführt, dient ein solches Begehr in Wirklichkeit nicht dem Ziel der Richtlinie - gleiches gilt für die insoweit inhaltsgleiche DSGVO -, den Schutz der Privatsphäre der Kläger bei der Verarbeitung von sie betreffenden Daten zu gewährleisten. Vielmehr versuchen die Kläger, den Auskunftsanspruch zweckwidrig zu nutzen, um Zugang zu einem Verwaltungsdokument zu erlangen. Ein solcher Zugang mag sich aus anderen Rechten der Kläger ergeben, aus Art. 15 DSGVO - nur hierauf stützt sich die Klage und nur insoweit besteht die Entscheidungskompetenz des erkennenden Senats - ergibt er sich nicht.

Der EuGH bejaht zwar sehr weitgehend das Vorliegen personenbezogener Daten auch insoweit, als sich diese in unstrukturiertem Text befinden. Andererseits grenzt er klar den Inhalt des Textes von dem diesen enthaltenden Dokument ab. Im Streitfall geht es den Klägern gerade nicht um Kenntnis der inhaltlichen Sachverhalte - diese wurden ihnen in der Mitteilung über die aufsichtliche Prüfung bereits mitgeteilt - sondern um den Einblick in den Vorlagebericht als solchen.

 

f. Ein etwaiger Auskunftsanspruch wurde durch das Landesamt mit der Mitteilung vom 08.11.2019 über das Ergebnis der aufsichtlichen Prüfung bereits erfüllt, so dass die Kläger jedenfalls derzeit kein Interesse an einer neuerlichen Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten geltend machen können. Wie aus dem weiteren Schreiben der Kläger vom 13.11.2019 (Blatt 14 der Klageakte) ersichtlich, hat die Auskunft die Kläger auch in die Lage versetzt, dem Beklagten ihrerseits die aus ihrer Sicht unrichtigen Sachverhaltsaspekte mitzuteilen und so vermeintlich falsch aufgenommenen Sachverhaltsangaben entgegenzutreten.

 

g. Nach alledem ist die Klage unbegründet. Dahingestellt bleiben kann daher, ob die vom Beklagten angeführten Einschränkungen des Auskunftsrechts im Streitfall eingreifen.

 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

 

4. Es erscheint als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90 a FGO).

 

5. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zugelassen, da der Frage nach dem Umfang des Auskunftsrechts im Bereich der Steuerverwaltung nach der Einführung der DSGVO im Jahr 2018 grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist. Darüber hinaus erscheint angesichts der oben zitierten widerstreitenden Entscheidungen der Finanzgerichte zum Anwendungsbereich der DSGVO im Bereich der direkten Steuern die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

 

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