FG Münster: Anfechtung einer Grundstücksübertragung nach AnfG bei Zurückbehalt eines Wohnrechts
FG Münster, Urteil vom 6.6.2014 – 14 K 687/10 AO
Sachverhalt
Streitig ist die Rechtmäßigkeit von zwei Duldungsbescheiden.
Die Kläger sind die Söhne von Frau U 3, geborene A 1 (im Folgenden kurz U 3). U 3 schuldete dem Land Nordrhein-Westfalen Steuern und steuerliche Nebenleistungen i.H.v. X € (Stand 16.07.2008). Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um Einkommensteuer 1999 bis 2003, Lohnsteuer 2003 und Umsatzsteuer 1999 bis 2004. Alle Forderungen beruhen auf einer bei U 3 durchgeführten Außenprüfung (Prüfungsbericht vom 15.01.2007) und waren im Jahr 2007 fällig.
U 3 war zu Beginn des Jahres 2007 Eigentümerin des Grundstücks A-Straße 1 in L. Das Grundstück war in der Vergangenheit bereits mehrfach innerhalb der Familie der U 3 übertragen worden, und zwar wie folgt:
Mit notariellem Vertrag vom 14.04.1977 (Notar C in L, Bl. 30 ff. der Gerichtsakte -GA-) erwarb Herr A 2 (A 2), der Vater von U 3 und Großvater der Kläger, das Eigentum an dem Grundstück A-Straße 1 von den Eheleuten E 1 und E 2 für X DM. Der Kaufpreis war zum Teil in Form einer Unterhaltsrente zu erbringen (347,59 DM/Monat ab dem 01.01.1977 bis zum Tode des Längstlebenden). Außerdem erhielten die Veräußerer ein unentgeltliches Wohnrecht an der Wohnung im Dachgeschoß. Sowohl das Wohnrecht als auch die Reallast wurden in der Abt. II des Grundbuchs eingetragen (lfd. Nr. 1 und 2). Herr E 1 ist inzwischen verstorben.
Am 28.02.1995 wurde zugunsten von Herrn U 4 (U 4), dem Ehemann vom U 3 und Schwiegersohn des A 2, unter Bezugnahme auf eine Bewilligung vom 20.02.1995 (UrkNr 13/95 des Notars R in D) eine Grundschuld über 160.000 DM nebst 6 % Zinsen im Grundbuch eingetragen.
Mit notariellem Vertrag vom 19.05.1996 (Notar T in V, UrkNr 40/1996, Bl. 36 ff. GA) verkaufte A 2, der – wie schon bei Erwerb des Grundstücks – im Nachbarhaus A-Straße 3 wohnte, das Grundstück A-Straße 1 an U 4 für X DM. Die zu diesem Zeitpunkt in Abt. III des Grundbuchs eingetragenen Grundpfandrechte wurden mit Ausnahme der zugunsten von U 4 eingetragenen Grundschuld über 160.000 DM gelöscht; letztere sowie die in Abt. II eingetragenen Belastungen wurden von U 4 ausdrücklich übernommen.
Mit notariellem Vertrag vom 11.06.1999 (Notar T in V, UrkNr 115/1999, Bl. 43 ff. GA) übertrug U 4 das Eigentum an dem Grundstück auf seine Ehefrau U 3. Als Gegenleistung übernahm U 3 die in Abt. III Nr. 1 und 2 zugunsten die Volksbank L eingetragenen Grundschulden über X DM und X DM einschließlich der zugrundeliegenden Darlehen, deren Valutastand mit ca. X DM bzw. X DM angegeben wurde. Die Erwerberin U 3 übernahm auch die zugunsten U 4 eingetragene Grundschuld über 160.000 DM – insoweit allerdings ohne Übernahme etwaiger zugrundeliegender Forderungen – sowie die in Abt. II eingetragenen Rechte. Außerdem verpflichtete sich U 3, U 4 von den Verpflichtungen aus Abt. II lfd. Nr. 2 freizustellen und an die dortigen Berechtigten– d.h. an die Eheleute E – ab dem 01.06.1996 eine dauernde Last i.H.v. 300 DM zu zahlen.
Mit notariellem Vertrag vom 16.06.2007 (Rechtsanwalt und Notar T in V, UrkNr 148/2007) übertrug U 3 das Eigentum an dem Grundstück A-Straße 1 in L zu je 1/2 auf die Kläger. Das Grundstück war zu diesem Zeitpunkt ausweislich des Grundbuches u.a. wie folgt belastet:
Abt. II
lfd. Nr. 1 zu BV 7: Unentgeltliches Wohnungsrecht für E 2
lfd. Nr. 2 zu BV 7: Reallast bestehend in der Verpflichtung zur Entrichtung einer Geldrente für E 2
(lfd. Nr. 3 ...)
Abt. III
lfd. Nr. 1: X € Grundschuld für die Dresdner Bank AG in O
lfd. Nr. 2: X € Grundschuld für die Dresdner Bank AG in O
lfd. Nr. 3: 81.806,70 € Grundschuld für U 4
lfd. Nr. 4: X € Grundschuld für die Dresdner Bank AG in O
Die Erwerber übernahmen „die in Abt. III unter lfd. Nr. 1-4 eingetragenen Grundpfandrechte in Höhe von X € mit den zu Grunde liegenden Darlehen in Höhe der Valutenstände“ und verpflichteten sich als Gesamtschuldner, „die den Grundschulden zu Grunde liegenden Darlehen nebst Zinsen und Nebenleistungen zu tilgen“. Darüber hinaus übernahmen die Erwerber die Rechte in Abt. II zur weiteren Duldung und Verpflichtung. Die Belastung aus der Reallast wurde mit 329,13 € pro Monat angegeben. Die Veräußerin U 3 behielt für sich und ihren Ehemann U 4 ein lebenslängliches Wohnungsrecht gemäß § 1093 BGB an der Erdgeschoss-Etage vor. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde von den Vertragsbeteiligten mit 160.000 € angegeben und der Jahreswert des Wohnungsrechts mit 5.760 €.
Nach Mitteilung des Notars belief sich der Valutenstand der den Grundschulden (Abt. III Nr. 1, 2 und 4) zu Grunde liegenden Bankdarlehen nach Mitteilung der Dresdner Bank zum 01.08.2007 auf 68.525,49 €. Die Eigentumsübertragung wurde am 18.07.2007 im Grundbuch eingetragen.
Nach Anhörung der Kläger erließ der Beklagte gegenüber jedem Kläger am 16.07.2008 einen gesonderten Duldungsbescheid, mit dem er die Übertragung des Grundstücks unter Bezugnahme auf die Steuerschulden der U 3, die in einer Anlage zum Bescheid einzeln aufgeführt sind, nach § 3 Abs. 2 AnfG anfechtete. Er führte aus, dass der jeweilige Kläger die Zwangsvollstreckung in das Grundstück wegen eines Betrages von 54.833 € zu dulden habe. Den Anfechtungsanspruch ermittelte der Beklagte wie folgt:
Wert des übertragenen Grundstücks 160.000 €
abzüglich Grundschulden Dresdner Bank 68.525 €
abzüglich Wert des Wohnrechtes (E) 17.914 €
abzüglich Wert der Reallast (E) 18.728 €
Anfechtungsanspruch 54.833 €
Hiergegen haben beide Kläger – vertreten durch den Rechtsanwalt T als Bevollmächtigten – Einspruch eingelegt. Sie sind der Auffassung, dass insgesamt eine entgeltliche Leistung vorliege. Als weitere Gegenleistung sei zu berücksichtigen, dass U 3 für sich und ihren Ehemann ein Wohnungsrecht vorbehalten habe. Außerdem sei zu beachten, dass sie – die Kläger – ausweislich § 2 des notariellen Vertrages sämtliche Rechte in Abt. III des Grundbuchs übernommen hätten, und damit auch das Recht in Abt. III Nr. 3. Hierbei handele es sich um eine Grundschuld zu Gunsten von U 4, die schon am 28.02.1995 in das Grundbuch eingetragen worden sei. Die Grundschuld über 160.000 DM (81.806,70 €) valutiere noch in voller Höhe. Ohnehin komme es bei einer Grundschuld – anders als bei einer Hypothek – nicht darauf an, ob die Grundschuld eine Forderung sichere und wie hoch diese Forderung noch valutiere. Der Grundschuldinhaber könne die Grundschuld vielmehr geltend machen, ohne sich auf irgendein anderes Rechtsverhältnis stützen zu müssen. Er könne die Grundschuld auch durch Weiterverkauf wirtschaftlich verwerten. Deshalb sei kein Wertvergleich vorzunehmen oder die Werthaltigkeit der Grundschuld nachzuweisen. Die Grundschuld sei ein abstraktes Recht und belaufe sich – wie aus der Grundbucheintragung ersichtlich – auf 160.000 DM. Stehe das Recht im Grundbuch und sei es übernommen worden, dann sei es auch als Gegenleistung anzurechnen.
Außerdem fehle es an einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin U 3. U 3 habe das Objekt 1999 erworben und sei insgesamt acht Jahre lang Eigentümerin gewesen. In dieser Zeit habe der Beklagte keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Schuldnerin vorgenommen. Es scheine seitens des Beklagten versäumt worden zu sein, eine entsprechende Sicherung in das Grundbuch eintragen zu lassen. Jedenfalls liege bei der Schuldnerin kein auf den Erfolg einer Gläubigerbenachteiligung gerichteter Wille vor. Zumindest aber fehle es an einer Kenntnis des anderen Teils von einer möglichen Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners, da die Kläger nicht einmal gewusst hätten, dass Steuerschulden bestünden.
Der Beklagte wies die Einsprüche mit gesonderten Einspruchsentscheidungen vom 26.01.2010 als unbegründet zurück. Er wies dabei darauf hin, dass ein Erwerber durch die Übernahme einer Grundschuld nur insoweit belastet sei, wie durch die Grundschuld Forderungen abgesichert seien. Hierzu hätten die Kläger keine Nachweise erbracht. Nicht gefolgt werden könne den Klägern auch darin, dass bei der Bemessung des Wertersatzanspruches das gegenüber der Veräußerin und ihrem Ehemann eingeräumte lebenslängliche, dinglich gesicherte Wohnrecht zu ihren Gunsten berücksichtigt werden müsse. Durch Einräumung des Wohnrechts sei, anders als bei Zahlung eines Kaufpreises, nichts in das Vermögen des Vollstreckungsschuldners geflossen, was ersatzweise zumindest kurzfristig Gegenstand des Zugriffs der Gläubiger hätte sein können. Durch die Anfechtung solle die Zugriffslage wiederhergestellt werden, die ohne die angefochtene Rechtshandlung der Schuldnerin für den Gläubiger bestanden hätte.
Die Kläger haben – jeweils gesondert – gegen den an sie gerichteten Duldungsbescheid Klage erhoben und zwar unter den Az. 11 K 690/10 AO und 11 K 687/10 AO. Die Verfahren wurden mit Beschluss vom 08.04.2010 unter dem gemeinsamen Az. 11 K 687/10 AO (jetzt 14 K 687/10 AO) verbunden.
Die Kläger wiederholen im Klageverfahren ihren Vortrag, dass der Beklagte bei der Berechnung des Anfechtungsanspruchs zu Unrecht die in Abt. III Nr. 3 des Grundbuchs eingetragene Grundschuld i.H.v. 160.000 DM nicht berücksichtigt habe. Die Grundschuld sei im Jahr 1995 zugunsten des U 4 eingetragen worden, weil U 4 dem damaligen Eigentümer A 2 zu verschiedenen Zeitpunkten finanzielle Mittel zu Verfügung gestellt und Angst gehabt habe, im Falle einer Trennung oder Scheidung von seiner Ehefrau von deren Eltern auf die Straße gesetzt zu werden. Hinsichtlich der Einzelheiten zu den einzelnen Zahlungsvorgängen verweist der Senat auf die diesbezüglichen Ausführungen des Prozessbevollmächtigten der Kläger in dessen Schriftsatz vom 09.06.2010.
Eine Rückzahlung der hingegebenen Gelder, für die es wegen des verwandtschaftlichen Verhältnisses keine Quittungen oder Belege gegeben habe, sei noch nicht erfolgt. Die Grundschuld valutiere noch in voller Höhe zuzüglich der Zinsen. Die Rückzahlung sei seitens des Berechtigten allerdings nicht gefordert worden, wiederum wegen der familiären Verhältnisse.
Wenn der Berechtigte U 4 die Grundschuld, die während der Zeit seiner Eigentümerstellung zu einer Eigentümergrundschuld geworden sei, habe löschen lassen wollen, dann habe er dies tun können. Das sei jedoch nicht geschehen. Auch bei der Übergabe an seine Frau sei es nicht zu einer Löschung der Grundschuld gekommen. Bei der Übertragung an die Kläger sei die Grundschuld ebenfalls bestehen geblieben, d.h. der Berechtigte U 4 habe auf seine Forderung nicht verzichtet, unabhängig von der Tatsache, dass er sie hätte geltend machen können. Diese Grundschuld nebst Zinsen habe bei der Ermittlung des Anfechtungsanspruchs Berücksichtigung finden müssen. Bei eingetragenen 81.806,70 € (160.000 DM) und bei einer Verzinsung von 6 % errechne sich auf den 16.06.2007 (Beurkundung des Vertrages) ein Betrag von 142.809 €.
Im Übrigen werde weiter die Ansicht vertreten, dass die Wohnungsrechte für die Veräußerin U 3 und deren Ehemann Berücksichtigung hätten finden müssen, und dass die Anfechtung schon daran scheitere, dass sie – die Kläger – von einer möglichen Gläubigerbenachteiligungsabsicht ihrer Mutter keine Kenntnis gehabt hätten. Sie hätten nicht einmal gewusst, dass Steuerschulden bestünden. Im Falle eines kongruenten Deckungsgeschäftes bestünden erhöhte Anforderungen an Darlegung und Beweis eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes. Zu fordern sei dabei ein unlauteres Handeln des Schuldners in der Absicht, seine übrigen Gläubiger zu schädigen und zwar im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung. Dies sei hier nicht gegeben.
Der Kläger zu 1) beantragt,
den an ihn gerichteten Duldungsbescheid vom 16.07.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.01.2010 aufzuheben.
Der Kläger zu 2) beantragt,
den an ihn gerichteten Duldungsbescheid vom 16.07.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.01.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er erhält die angefochtenen Duldungsbescheide weiterhin für rechtmäßig. Zwar hätten die Kläger im Klageverfahren erstmalig eine betragsmäßige Zusammenstellung der nach ihren Ausführungen maßgeblichen Geldzuwendungen vorgelegt, jedoch keine Nachweise für die vorgetragenen Sachverhalte erbracht. Die Kläger würden von darlehnsweise hingegebenen Geldern sprechen. Vereinbarungen über Tilgung, Laufzeit und Verzinsung seien jedoch nicht getroffen worden.
Er, der Beklagte, gehe davon aus, dass die Grundschuld nach dem notariellen Erwerbsvorgang vom 19.05.1996 nicht mehr werthaltig gewesen sei. Hierfür spreche auch, dass bei der Weiterveräußerung des Grundstücks am 11.06.1999 von U 4 an U 3 etwaige Forderungen, die der in Abt. 3 Nr. 3 für U 4 eingetragenen Grundschuld zugrunde lagen, nicht Bestandteil der Gegenleistung gewesen seien.
Außerdem halte er daran fest, dass das zugunsten von U 3 und U 4 bestellte Wohnrecht im Rahmen der Überprüfung einer wertausschöpfenden Belastung nicht berücksichtigt werden dürfe. In der mündlichen Verhandlung vertrat der Vertreter des Beklagten diesbezüglich die Auffassung, dass eine Anfechtung (auch) der Wohnrechtsbestellung nicht erforderlich sei, weil der notarielle Vertrag vom 16.06.2007 eindeutig gläubigerbenachteiligend sei und schon aus diesem Grund keinen Bestand haben könne bzw. dürfe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die vorgelegten Steuerakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.06.2014 Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Duldungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.
Nach § 191 Abs. 1 AO kann derjenige, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Dazu zählen auch die Fälle, in denen einem Gläubiger zur Befriedigung seiner Forderungen das zur Verfügung gestellt werden muss, was durch anfechtbare Rechtshandlungen aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist. Gleiches gilt, wenn der Anfechtungsgegner den in anfechtbarer Weise aus dem Schuldnervermögen ausgeschiedenen Gegenstand nicht in Natur zurückgewähren kann und wenn er deshalb verpflichtet ist, Wertersatz zu leisten (§ 11 Abs. 1 AnfG).
Die Entscheidung über die Inanspruchnahme nach § 191 Abs. 1 AO ist zweigliedrig (st. Rspr. des BFH, vgl. u.a. Urteil vom 13.06.1997 - VII R 96/96, BFH/NV 1998, 4). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es durch Duldungsbescheid in Anspruch nehmen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung erfüllt sind. Hierbei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung – vgl. § 5 AO – des Finanzamts an, ob und ggf. wen es als Duldungsverpflichteten in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler (Ermessensfehlgebrauch bzw. Ermessensüberschreitung) überprüfbar (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 11.03.2004 – VII R 52/02, BStBl. II 2004, 579 unter II 1a m.w.N.).
Das Anfechtungsgesetz gilt für Rechtshandlungen eines Schuldners, die seine Gläubiger benachteiligen (§ 1 AnfG). Zur Anfechtung ist jeder Gläubiger berechtigt, der einen vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat und dessen Forderung fällig ist, wenn die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht zu einer vollständigen Befriedigung des Gläubigers geführt hat oder wenn anzunehmen ist, dass sie nicht dazu führen würde (§ 2 AnfG). Gem. § 3 Abs. 2 AnfG ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138 der Insolvenzordnung) geschlossener entgeltlicher Vertrag anfechtbar, durch den seine Gläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor der Anfechtung geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.
Zwar handelt es sich bei Übertragung des Eigentums durch die Schuldnerin U 3 auf die Kläger um eine grundsätzlich der Anfechtung zugängliche Rechtshandlung i.S.d. § 1 Abs. 1 AnfG, da ein Gegenstand mit dinglicher Wirkung aus dem Vermögen der Schuldnerin U 3 weggegeben wurde. Jedoch fehlt es an einer Gläubigerbenachteiligung.
Eine objektive Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 1 Abs. 1 AnfG ist anzunehmen, wenn durch die anfechtbare Rechtshandlung die Befriedigungsmöglichkeit des Gläubigers aus dem Schuldnervermögen verschlechtert wird, d.h. ganz oder teilweise wegfällt, erschwert oder bloß verzögert wird. Dabei kommt es nicht auf die Verminderung des Schuldnervermögens insgesamt an, sondern auf die Erschwerung der Vollstreckungsmöglichkeit in den konkreten Gegenstand. Eine Gläubigerbenachteiligung liegt bei der Übertragung von Grundvermögen deshalb nicht vor, wenn das Grundstück wertausschöpfend belastend ist und eine Zwangsversteigerung nicht zu einer – auch nur teilweisen – Befriedigung des Gläubigers geführt hätte. Ob eine wertausschöpfende Belastung gegeben ist, hängt zunächst davon ab, welchen Erlös ein Grundstück bei einer Zwangsversteigerung abzüglich der Versteigerungskosten voraussichtlich erbringen wird. Diesem Wert sind die im Grundbuch eingetragenen vorrangigen Rechte gegenüberzustellen. Dabei kommt es bei Grundpfandrechten nicht auf ihren nominellen Wert, sondern auf die tatsächliche Höhe derjenigen Forderungen ab, welche durch die eingetragenen Grundpfandrechte gesichert werden (BGH, Urteil vom 20.10.2005 – IX ZR 276/02, ZInsO 2006, 151).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der objektiven Gläubigerbenachteiligung ist bei einer Anfechtung nach § 3 Abs. 2 AnfG der Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts (BGH, Urteil vom 19.05.2009 – IX ZR 129/06, ZInsO 2009, 1249). Bei mehraktigen Rechtsgeschäften ist dabei gem. § 8 Abs. 1 AnfG der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Rechtswirkung des Rechtsgeschäfts ausgelöst wird. Bei Grundstücksübertragungen ist dies der Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch. Allerdings kann gem. § 8 Abs. 2 AnfG ein früherer Zeitpunkt erheblich sein, wenn zwar die Eintragung noch nicht erfolgt ist, aber die übrigen Voraussetzungen für das Wirksamwerden des Rechtsgeschäfts erfüllt sind, die Willenserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden ist und der andere Teil den Antrag auf Eintragung der Rechtsänderung gestellt hat. Ob diese Voraussetzungen im Streitfall vorliegen, kann allerdings letztlich dahingestellt bleiben. Denn es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Wert des Grundstücks zwischen der Stellung des Antrags auf Auflassung am 16.06.2007 und der schon einen Monat später am 18.07.2007 erfolgten Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch geändert hat.
Eine Beweisaufnahme darüber, welcher Erlös bei einer im Juni bzw. Juli 2007 durchgeführten Zwangsversteigerung voraussichtlich erzielt worden wäre, ist entbehrlich. Denn selbst dann, wenn man statt auf den Zwangsversteigerungswert sogar auf den – regelmäßig deutlich höheren – Verkehrswert abstellen würde, der in § 5 des notariellen Vertrags vom 16.06.2007 (UrkNr 148/2007) mit 160.000 € angegeben und dessen Höhe vom Beklagten nicht bestritten wurde, liegt bereits eine wertausschöpfende Belastung vor.
Zunächst sind die zu Gunsten der Dresdner Bank bestehenden Grundschulden zum Abzug zu bringen. Dabei ist nicht die Höhe der dinglichen Belastung als solche, sondern die Höhe der durch die Grundpfandrechte noch gesicherten Forderungen maßgebend. Denn im Umfang des nicht mehr valutierten Teils stehen Hypotheken dem Grundstückseigentümer als Eigentümergrundschulden zu, und im Falle der Belastung durch Grundschulden hat er einen entsprechenden Rückgewähranspruch gegen die Gläubiger. Diese Rechte kann ein anderer Gläubiger pfänden und sich überweisen lassen (BGH, Urt. v. 24.09.1996 – IX ZR 190/95, ZIP 1996, 1907, 1908). Bezogen auf den Streitfall bedeutet das, dass der Valutastand aus den den Grundschulden zugrunde liegenden Bankdarlehen zum Abzug zu bringen ist (Stand: 68.525,49 € zum 01.08.2007).
Zum Abzug zu bringen sind zudem die zugunsten von Frau E 2 eingetragenen Rechte (Wohnrecht/Reallast), deren Werte von den Beteiligten übereinstimmend mit 17.914 € (Wohnrecht) bzw. 18.728 € (Reallast) angegeben werden.
Darüber hinaus ist aber auch das zugunsten von U 3 und U 4 eingetragene Wohnrecht wertmindernd zu berücksichtigen. Insoweit ist zu beachten, dass es sich bei der Bestellung eines Wohnrechts zu eigenen oder fremden Gunsten ebenfalls um eine Rechtshandlung i.S.d. § 1 AnfG handelt, die ein Gläubiger eigenständig anfechten kann und – sofern er diese nicht gegen sich gelten lassen will – auch eigenständig anfechten muss. Zwar gibt ein Vollstreckungsschuldner bei Bestellung eines Wohnrechts zu eigenen Gunsten keine Rechte auf oder weg. Er beeinträchtigt dadurch aber schon vor Übergang des Grundeigentums den Zugriff auf seine Vermögenswerte. Diese Vermögenslage muss der Vollstreckungsschuldner, der in diesen Fällen gleichzeitig auch der Anfechtungsgegner ist, bei erfolgreicher Anfechtung zu Gunsten des Fiskus nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AnfG wieder herstellen (vgl. BFH, Urteil vom 30.03.2010 – VII R 22/09, BStBl II 2011, 327).
Dafür, dass der Beklagte die mit notariellem Vertrag vom 16.06.2007 (UrkNr 148/2007) zugunsten von U 3 und U 4 erfolgte Wohnrechtsbestellung gegenüber U 3 bzw. U 4 gesondert angefochten hat, ist nichts ersichtlich. Die mit den hier angefochtenen Duldungsbescheiden vom 16.07.2008 erklärte Anfechtung reichte insoweit schon deshalb nicht aus, weil sich diese Bescheide nicht gegen U 3 bzw. U 4 richteten. Abgesehen davon wurde mit diesen Bescheiden ausweislich ihres Tenors auch nur die Rechtshandlung „Übertragung des Eigentums“ angefochten, nicht aber (auch) die Rechtshandlung „Wohnrechtsbestellung“. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist eine gesonderte Anfechtung der Wohnrechtsbestellung auch nicht deshalb entbehrlich, weil der notarielle Vertrag vom 16.06.2007 „eindeutig gläubigerbenachteiligend“ sei. Denn allein der Wille, Gläubiger zu benachteiligen, macht einen Vertrag nicht nichtig, sondern vielmehr hat der Gesetzgeber genau für diese Fälle – nämlich gläubigerbenachteiligende Handlungen – die Möglichkeit geschaffen, die Rechts-handlung nach dem Anfechtungsgesetz anzufechten. Nur die Gläubiger, die von dieser Anfechtungsmöglichkeit (wirksam) Gebrauch machen, haben Anspruch auf Wiederherstellung der Vollstreckungslage, die ohne die benachteiligende Rechts-handlung bestand. Alle anderen Gläubiger müssen dagegen die Rechtshandlung gegen sich gelten lassen.
Bezogen auf den Streitfall bedeutet das, dass der Beklagte das Wohnrecht selbst dann, wenn sich das Grundstück noch im Eigentum der U 3 befinden würde und der Beklagte dort in das Grundstück vollstrecken würde, mangels gesonderter Anfechtung der Wohnrechtsbestellung gegen sich gelten lassen müsste, d.h. er es hinnehmen müsste, dass das Wohnrecht in das geringste Gebot aufgenommen wird oder die Wohnrechtsinhaber – d.h. U 3 und U 4 – aus dem Veräußerungserlös vorrangig befriedigt werden. Ist aber das Wohnrecht schon bei einer Vollstreckung in das Vermögen des Vollstreckungsschuldners wertmindernd zu berücksichtigen, dann kann im Rahmen der Anfechtung des Eigentumsübergangs gegenüber dem Rechtsnachfolger nichts anderes gelten. Gegenstand der hier zu beurteilenden Anfechtung ist die Eigentumsübertragung auf die Kläger und die Kläger haben lediglich das Eigentum an dem bereits mit dem Wohnrecht belasteten Grundstück erhalten.
Sofern für die Berechnung des Werts des Wohnrechts auf § 14 Abs. 1 BewG abgestellt wird, beläuft sich der Wert auf 89.435 €. Gem. § 14 Abs. 1 BewG ist der Kapitalwert von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen mit dem Vielfachen des Jahreswerts nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzusetzen. Der Vervielfältiger beträgt gem. Anlage 1 des BMF-Schreibens vom 17.03.2009 zu § 14 Abs. 1 BewG (BStBl. I 2009, 474) für Bewertungsstichtage vom 01.01.2007 bis 31.10.2007 bei Frauen, die wie U 3 am Bewertungsstichtag das 50. Lebensjahr vollendet haben, 15,527. Multipliziert man diesen Wert mit dem in § 5 des notariellen Vertrags vom 16.06.2007 (UrkNr 148/2007) angegebenen Jahreswert des Wohnrechts i.H.v. 5.760 €, den der Beklagte nicht bestritten hat, ergibt sich ein Kapitalwert von 89.435 €. Für U 4, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, ergibt sich ausgehend von einem Vervielfältiger von 13,598 ein Kapitalwert von 78.324,48 €. Da ein gemeinsames Wohnrecht für U 3 und U 4 begründet worden ist, ist allerdings nur der höhere Kapitalwert, d.h. hier 89.435 €, zu berücksichtigen.
Stellt man bei der Berechnung des Werts des Wohnrechts dagegen – so wie dies z.B. das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 19.02.2003 – 1 WF 217/02, FamRZ 2004, 198 getan hat – auf die Lebenserwartung ab und nimmt eine Abzinsung mit einem Zinssatz von 5 % vor, dann beläuft sich der Wert des Wohnrechts ausgehend von einer durchschnittlichen Lebenserwartung der U 3 von 33,6 Jahren (s. Sterbetafel 2005/2007 des Statistischen Bundesamts) auf 92.838 €.
Welche Berechnungsmethode letztlich anzuwenden ist, bedarf keiner Entscheidung, da in beiden Fällen eine wertausschöpfende Belastung vorliegt. Denn die von den Klägern übernommenen Grundstücke waren zumindest mit folgenden Positionen belastet:
Grundschulden Dresdner Bank 68.525 €
Wohnrecht E 2 17.914 €
Reallast E 2 18.728 €
Wohnrecht U 3 mindestens 89.435 €
Summe 194.602 €
Da die o.g. Belastungen bereits deutlich über dem Verkehrswert von 160.000 € – und damit erst recht über dem Zwangsversteigerungswert – liegen, bedarf es ebenfalls keiner Ausführungen mehr dazu, ob – und falls ja in welcher Höhe – auch die zu Gunsten von U 4 eingetragene Grundschuld über nominell 81.806,70 € als weitere Belastung zu berücksichtigen ist. Auch ohne Berücksichtigung dieser Grundschuld ist eine Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 1 AnfG wegen Vorliegens einer wertausschöpfenden Belastung zu verneinen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision wurde gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zwecks Fortbildung des Rechts zugelassen.
Wir sind stets um Qualität bemüht. Deshalb wird Ihr Beitrag erst nach kurzer Prüfung durch unsere Redaktion sichtbar sein.
Ihre E-Mail-Adresse wird niemals veröffentlicht oder verteilt. Benötigte Felder sind mit * markiert