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Steuerrecht
07.08.2013
Steuerrecht
FG Düsseldorf: Altverluste beim Systemwechsel zur Abgeltungssteuer

FG Düsseldorf, Urteil vom 6.6.2013 - 12 K 3905/12 F


Sachverhalt


Die auf den 31.12.2008 verbliebenen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften der Kläger wurden mit Bescheid vom 9.6.2010 nach § 10 d Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) für die Kläger gesondert festgestellt. Die Verluste beruhen - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - auf der Veräußerung von Aktien. Im Jahr 2009 veräußerten die Kläger weitere Aktien. Der Kläger erklärte Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien in der Anlage Kap. - als der Regelung in § 20 Abs. 2 EStG unterfallend - in Höhe von 11.824 Euro. Der Kläger erklärte ferner einen - dem Halbeinkünfteverfahren unterfallenden - Veräußerungsverlust aus dem Verkauf weiterer Aktien in Höhe von 21.714 Euro in der Anlage SO. Die Klägerin erklärte in ihrer Anlage SO ebenfalls einen dem Halbeinkünfteverfahren unterfallenden Veräußerungsverlust in Höhe von 14.480 Euro. Im Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung und die Feststellung des auf den 31.12.2009 verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer machten die Kläger geltend, ein Ausgleich der Einkünfte aus den Aktienverkäufen, die § 20 Abs. 2 EStG unterfielen, habe mit den auf den 31.12.2008 festgestellten Altverlusten in der Weise zu erfolgen, dass die unter dem Halbeinkünfteverfahren festgestellten verbliebenen Verluste doppelt zu berücksichtigen seien, weil die Einkünfte nicht mehr nur zur Hälfte, sondern voll der Besteuerung unterlägen. Im Einspruchsverfahren stellte der Beklagte fest, dass auch die vom Kläger als Einkünfte aus § 20 Abs. 2 EStG erklärten Einkünfte aus der Veräußerung von Aktien tatsächlich dem Halbeinkünfteverfahren unterlagen, weil die Aktien vor dem 31.12.2008 erworben und binnen Jahresfrist veräußert worden waren. Entsprechend wurden in dem geänderten Einkommensteuerbescheid vom 30.8.2011 diese Einkünfte nur noch zur Hälfte angesetzt. Zum Verlustausgleich wurde entsprechend weniger von dem auf den 31.12.2008 festgestellten Verlust benötigt, was zu dem für den Kläger im Bescheid vom 30.8.2011 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden vortragsfähigen Verlustes auf den 31.12.2009 entsprechend höher festgestellten vortragsfähigem Verlust führte.


Im Jahr 2010 veräußerten die Kläger weitere Aktien. Der Gewinn des Klägers daraus betrug 23.564 Euro. Der Gewinn der Klägerin daraus betrug 7.714 Euro. Die Kläger beantragten eine Verrechnung mit dem auf den 31.12.2009 festgestellten vortragsfähigen Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften. Der Beklagte verrechnete demgemäß.


Nach erfolglosem Einspruchsverfahren tragen die Kläger zur Begründung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 30.8.2011 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer auf den 31.12.2010 vor:


Der Beklagte habe im Rahmen der Verlustverrechnung des Veranlagungsjahres 2010 die erzielten Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalvermögen derart verrechnet, dass die Gewinne den festgestellten Verlustvortrag 1:1 reduzierten, obwohl die vorgetragenen Verluste nur 50 % der tatsächlichen vormaligen Verluste darstellten. Die Vorgehensweise des Beklagten resultiere daraus, dass im Rahmen des bis zum 31.12.2008 geltenden Halbeinkünfteverfahrens die während der Geltung des Halbeinkünfteverfahrens entstandenen Verluste gemäß § 3c Abs. 2 alter Fassung EStG nur in 50%iger Höhe festgestellt wurden. Da seit der Einführung der sogenannten Abgeltungssteuer allerdings 100 % der Gewinne und nicht mehr lediglich 50 % der Veräußerungsgewinne zu versteuern seien, habe für eine vollständige Berücksichtigung der Verluste eine Umrechnung der nur in halber Höhe festgestellten Verluste stattzufinden. Die Umrechnung der lediglich in 50%iger Höhe festgestellten Verluste habe unter dem Aspekt des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu erfolgen. Denn dieser gebiete, dass wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln sei. Im Bereich des Steuerrechts habe der Gleichheitsgrundsatz seine besondere Ausprägung bekanntlich in Form des Grundsatzes der Steuergerechtigkeit gefunden, wobei die Besteuerung grundsätzlich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten sei. Dies bedeute, dass die Steuerpflichtigen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden müssten. Das gebotene Gleichmaß der Steuerbelastung habe der Gesetzgeber als Grundsatz in § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG in Form des objektiven Nettoprinzips umgesetzt. Der Gesetzgeber müsse sich nach dem Grundsatz der Folgerichtigkeit bei der Ausgestaltung der einzelnen Steuergesetze an das objektive Nettoprinzip halten. Auf die streitgegenständliche Verlustverrechnung bezogen ergebe sich, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Rechtslage bis zum 31.12.2008 Gewinne und Verluste aus Kapitaleinkünften durch die jeweilige nur 50%ige Berücksichtigung im Einklang mit dem objektiven Nettoprinzip gegenüber gestellt hat. Im Rahmen des Systemwechsels auf die Abgeltungssteuer durchbreche der Gesetzgeber nunmehr das objektive Nettoprinzip, indem die Verluste aus der Zeit vor dem 01.01.2009 nur zur Hälfte auf die Gewinne angerechnet werden würden, obwohl die Gewinne voll zu versteuern wären.


Ihre bis zum 31.12.2008 verwirklichten Verluste aus Kapitaleinkünften gingen bei einer vollen Versteuerung ihrer neuen Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalvermögen zur Hälfte verloren. Dieser Verlust führe zugleich zu einem Verstoß gegen das Übermaßverbot, da kapitalanlegende Steuerpflichtige mit Verlustvorträgen aus der Zeit vor dem 01.01.2009 durch die fehlende Möglichkeit einer 100%igen Verlustverrechnung unverhältnismäßig hoch bezüglich ihrer neuen Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalvermögen besteuert würden. Die Systemumstellung auf die Abgeltungssteuer wäre nur folgerichtig gewesen, wenn der Gesetzgeber für die am 31.12.2008 vorhandenen Verluste geregelt hätte, dass diese durch ihre bis zu diesem Zeitpunkt lediglich hälftige Feststellung in Zukunft mit entsprechenden Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalvermögen doppelt verrechnet würden. Zugleich führe die dargestellte Umsetzung des Gesetzgebers zu einer Verletzung des Rückwirkungsverbots, da den aus der Zeit vor dem 01.01.2009 stammenden Verlusten nunmehr im Ergebnis die Hälfte Ihrer einkünftemindernden Wirkung genommen werde. Des Weiteren sei festzuhalten, dass sich der Gesetzgeber in der Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG unpräzise ausgedrückt habe, in dem er dort davon spreche, dass "Verluste ... ausgeglichen werden" können. Denn dem Regelungsgehalt dieser Regelung sei nicht zu entnehmen, dass Verluste aus der Zeit vor dem 01.01.2009 nicht in voller Höhe verrechnet werden können. Sollte der Gesetzgeber dies bezweckt haben, läge ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz vor, da einer Vorschrift ihr konkreter Regelungsgehalt entnommen werden können müsse.


Weiterhin sei anzuführen, dass der Bundesfinanzhof (BFH) im Rahmen seiner Entscheidung (BFH - Urteil vom 19.06.2007, AZ.: VIII R 69/05, BStBl II 2008, 551) bereits festgestellt habe, dass im umgekehrten Fall, also nur der hälftigen Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns, diesem auch nur die Hälfte der korrespondierenden Anschaffungs- oder Herstellungskosten gegenübergestellt werden könne. Hieraus sei im Umkehrschluss abzuleiten, dass auch für die Berücksichtigung der zum 31.12.2008 hälftig festgestellten Verluste nichts anderes gelten könne, sodass auch diese nur mit der Hälfte der nach dem 31.12.2008 erzielten Veräußerungsgewinne verrechnet werden dürften.


Die Kläger beantragen,


den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer auf den 31.12.2010 in Gestalt des Bescheides vom 30.8.2011 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 24.9.2012 dahingehend zu ändern, dass für den Kläger ein verbleibender Verlustvortrag in Höhe von 16.820 Euro und für die Klägerin ein verbleibender Verlustvortrag in Höhe von 20.410 Euro festgestellt wird.


Der Beklagte beantragt,


die Klage abzuweisen.


Zur Begründung trägt er vor:


Der Wechsel vom Halbeinkünfteverfahren zur Abgeltungssteuer sei folgerichtig umgesetzt worden. Da in der Vergangenheit die Gewinne aus Aktiengeschäften nur zu 50 % versteuert worden seien, könnten auch nur 50 % der Verluste berücksichtigt werden. Würden Aktien veräußert, die noch unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens erworben worden seien, würden Veräußerungsverluste bei der Abgeltungssteuer zu 100 % berücksichtigt, obwohl evtl. erfolgte Dividendenausschüttungen der Vorjahre nur zur Hälfte steuerpflichtig gewesen seien. Ein Verstoß von § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG gegen das Bestimmtheitsgebot liege nicht vor, denn für die nach dem Halbeinkünfteverfahren nicht zu berücksichtigenden Verluste habe mangels steuerlicher Relevanz keine Regelung getroffen werden müssen. Eine nachträgliche Erhöhung der Verluste aus der Zeit vor dem 1.1.2010 sei schon deshalb nicht möglich, weil der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges auf den 31.12.2009 bestandskräftig sei.


Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.


Aus den Gründen


II.


Die Klage ist unbegründet.


Der angefochtene Bescheid über die gesonderte Feststellung des auf den 31.12.2010 verbleibenden vortragsfähigen Verlustes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.


Eine Berücksichtigung der auf den 31.12.2009 festgestellten "Altverluste" in doppelter Höhe bei der Veranlagung des Jahres 2010 kommt schon aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Sie ist auch weder aus verfassungsrechtlichen Gründen noch zur folgerichtigen Umsetzung des Wechsels vom Halbeinkünfteverfahren zur Abgeltungssteuer geboten. Die Kläger verkennen das Zusammenspiel der einzelnen Regelungen des Halbeinkünfteverfahrens, das zu den auf den 31.12.2009 festgestellten verbleibenden Verlusten geführt hat.


Nach § 3 Nr. 40 Buchstabe j EStG in der bis zum 31.12.2008 gültigen Fassung war die Hälfte des Veräußerungspreises (= Einnahmen, nicht Einkünfte) steuerfrei, der aus der Veräußerung von Aktien erzielt wurde. Im Gegenzug waren gem. § 3 c Abs. 2 Satz 1 EStG die mit diesen steuerfreien Einnahmen zusammenhängenden Betriebsausgaben/Werbungskosten ebenfalls zur Hälfte nicht abziehbar. § 3 c Abs. 2 Satz 1EStG ist eine spezielle Ausprägung des in § 3 c EStG verankerten allgemeinen Grundsatzes des Einkommensteuergesetzes, wonach die mit steuerfreien Einnahmen zusammenhängenden Ausgaben im Umfang der Steuerbefreiung nicht abgezogen werden dürfen.


Es wäre nicht folgerichtig, diese nichtabziehbaren Aufwendungen in späteren Jahren doch wieder zu berücksichtigen, denn der zu ihrer Nichtabziehbarkeit führende Zusammenhang mit den steuerfrei erzielten Einnahmen - die im übrigen auch steuerfrei bleiben - besteht unverändert fort. Zudem träte durch die von den Klägern gewünschte Handhabung eine - vom Zufall gesteuerte - Ungleichbehandlung der Anschaffungskosten ein: Die mit steuerfreien Veräußerungspreisen zusammenhängenden, nicht abziehbaren Anschaffungskosten blieben unberücksichtigt, wenn ein aus dem Aktiengeschäft resultierender Verlust im Entstehungsjahr, für das das Halbeinkünfteverfahren anzuwenden war, ausgeglichen werden konnte. Die nicht abziehbaren Anschaffungskosten wären hingegen nachträglich zu berücksichtigen, wenn ein aus dem Aktiengeschäft entstandener Verlust vorgetragen werden musste. Allein die Tatsache, dass ein verbleibender vortragsfähiger Verlust aus privaten Veräußerungsgeschäften festzustellen war, kann aber nicht dazu führen, dass abweichend von § 3 c EStG die nicht abziehbaren Betriebsausgaben zu abziehbaren gemacht werden.


Die folgerichtige Umsetzung des Systemwechsel vom Halbeinkünfteverfahren zur Abgeltungssteuer erfordert nur, die mit den nun voll steuerpflichtigen Einnahmen (Veräußerungserlösen) zusammenhängenden Anschaffungskosten ebenfalls in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen. Dieses Prinzip hat der Gesetzgeber umgesetzt, denn wenn die Kläger Aktien unter Geltung der Abgeltungssteuer veräußern, sind die Anschaffungskosten in vollem Umfang abziehbar, und zwar auch dann, wenn die Aktien vor dem 31.12.2008 unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens angeschafft wurden.


Der Beklagte hat auch nicht, selbst wenn bei den Klägern möglicherweise der Eindruck entstanden sein sollte, im Jahr 2009 die auf den 31.12.2008 festgestellten vortragsfähigen Verluste im Verhältnis 1: 2 zur Minderung der Einkünfte aus Kapitalvermögen verwendet. Die Erhöhung des verbleibenden vortragsfähigen Verlustes auf den 31.12.2009 bzw. der geringere Verzehr des auf den Schluss des Vorjahres (31.12.2008) festgestellten Verlustes im Verlaufe des Einspruchsverfahrens beruhen darauf, dass der Beklagte die steuerpflichtigen Einnahmen vermindert hat. Der Kläger hatte Veräußerungsgewinne aus Aktiengeschäften nach § 20 Abs. 2 EStG erklärt, die grundsätzlich gem. § 20 Abs. 2 EStG bei Anwendung der Abgeltungssteuer in voller Höhe anzusetzen gewesen wären. Bei Überprüfung der Bescheide für das Jahr 2009 hat sich aber herausgestellt, dass es sich um Aktien handelte, die vor dem 31.12.2008 angeschafft und innerhalb Jahresfrist veräußert worden waren.


Gem. § 52 a (11) Satz 3 EStG ist § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der ab dem 1.1.2009 geltenden Neufassung aber nur auf Veräußerungsgeschäfte anzuwenden, bei denen die Wirtschaftsgüter nach dem 31.12.2008 angeschafft wurden, ansonsten gilt die alte Fassung weiter. Gem. § 52 a (3) Satz 2 EStG ist - wenn die alte Fassung von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. EStG weiter anzuwenden ist - auch § 3 Nr. 40 EStG in der alten Fassung weiter anzuwenden. Entsprechend hat der Beklagte bei der Veranlagung des Jahres 2009 die Einnahmen der innerhalb der Jahresfrist veräußerten Altaktien (= Anschaffung vor dem 31.12.2008) nur zur Hälfte erfasst; entsprechend hat sich auch der zum Ausgleich verbrauchte Verlust aus den Vorjahren vermindert und der auf den 31.12.2009 festzustellende vortragsfähige Verlust erhöht.


Dieser Mechanismus greift für die im Jahr 2010 getätigten Aktiengeschäfte nicht mehr.


Aus dem vorstehend Gesagten ergibt sich, dass der von den Klägern behaupteten Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip nicht vorliegt, weil dieses Prinzip sicher nicht (!) verlangt, auch die mit steuerfreien Einnahmen zusammenhängenden Ausgaben zum steuermindernden Abzug zuzulassen. Es liegt ferner kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 GG) vor, denn wie oben aufgezeigt wurde, folgt die unterschiedliche Behandlung der Anschaffungskosten aus den Unterschieden des jeweiligen Besteuerungssystems. Es bedurfte auch keiner Übergangsregelung zur Behandlung der Altverluste, weil die nicht ausgeglichenen abziehbaren Betriebsausgaben/Werbungskosten auch unter Geltung der Abgeltungssteuer abziehbar blieben.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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