FG Köln: Abgabenordnung: Anspruch auf Verrechnungsstundung
FG Köln, Urteil vom 29.9.2016 – 10 K 2772/15
Volltext: BB-Online BBL2016-3030-5
Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob und ggfs. in welchem Umfang die Klägerin Anspruch auf Verrechnungsstundung hat.
Die Klägerin war in den Jahren 2011 und 2012 als Bauträgerin tätig. In diesem Zusammenhang errichtete sie Bauwerke, um diese später weiter zu veräußern. Im Rahmen des § 13b UStG führte sie für die Veranlagungszeiträume 2011 und 2012 die mit diesen Umsätzen im Zusammenhang stehende Umsatzsteuer (für die Bauleistung) an die Finanzverwaltung ab, da sie davon ausging, diese Umsatzsteuer zu schulden.
Die Klägerin schuldet ohne Berücksichtigung der Körperschaftsteuererklärung 2014 unstreitig Körperschaftsteuer 2013 in Höhe von 33.552,97 €.
Mit Schreiben vom 14. Februar 2014 beantragte die Klägerin die Erstattung der Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume 2011 und 2012 i.H.v. 35.395,86 €. Der Beklagte forderte daraufhin diverse Unterlagen an, aus denen sich unter anderem ergeben sollte, welche Firmen im Zusammenhang mit dem Umsatzsteueranspruch als leistende Unternehmen aufgetreten waren. Die Klägerin reichte die erforderlichen Unterlagen mit Schreiben vom 24. April 2014 ein. Substantiierte Einwendungen gegen die Höhe des Umsatzsteuererstattungsbetrags hat der Beklagte nicht erhoben. Der noch für eine Verrechnungsstundung zur Verfügung stehende Betrag ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Der Beklagte schrieb daraufhin 27 Firmen, die an die Klägerin Bauleistungen erbracht hatten, mit der Frage an, ob diese von einer Forderungsabtretung der ihnen gegenüber der Klägerin zustehenden Umsatzsteueransprüche zugunsten der Finanzbehörde Gebrauch machen wollten. Von den angeschriebenen Firmen meldeten sich einige zurück, von denen wiederum einige ihre Umsatzsteueransprüche gegenüber der Klägerin an den Beklagten abtraten.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 15. Juni 2015 Verrechnungsstundung der festgesetzten, nachzuzahlenden Körperschaftsteuer 2013 mit dem von ihr berechneten Guthaben aus der zu ändernden Umsatzsteuer 2011 und 2012 in Höhe von insgesamt 35.395,86 €. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 6. Juli 2015 ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass mögliche Gegenansprüche erst dann hinreichend konkretisiert und im Stundungsverfahren zu berücksichtigen seien, wenn die Berechnungsgrundlagen (im vorliegenden Fall die Abtretungen der Bauleister) bei ihm eingereicht und somit nachprüfbar seien.
Den gegen den Ablehnungsbescheid eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15. September 2015, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, zurück.
Mit der Klage trägt die Klägerin vor:
Für den beantragten Erstattungsanspruch sei sie unstreitig nicht Steuerschuldnerin. Die Auffassung des Beklagten, der Gegenanspruch sei nicht hinreichend konkretisiert, treffe nicht zu. Der Beklagte verweise zu Unrecht darauf, dass der streitige Gegenanspruch abhängig von der Entscheidung sei, ob die einzelnen Bauleister von einer Abtretung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche ihr gegenüber auf Zahlung der Umsatzsteuer nach § 27 Abs. 19 UStG Gebrauch machten. Ein solcher Inhalt lasse sich der Vorschrift nicht entnehmen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 6. Juli 2015 und der Einspruchsentscheidung vom 15. September 2015 zu verpflichten, zusätzlich zu der mit Verfügung vom 18.3.2016/13.7.2016 gewährten Verrechnungsstundung einen weiteren Betrag in Höhe von 4.374,30 € zu stunden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ergänzend zur Einspruchsentscheidung führt er aus:
Hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Umsatzsteuererstattungsanspruchs stünden derzeit 12.056,20 € für eine Verrechnungsstundung zur Verfügung. Diesen Betrag stundete der Beklagte mit Verfügung vom 18.3.2016/13.7.2016.
Bis zum Tag der mündlichen Verhandlung haben Bauleister ihre Ansprüche gegenüber der Klägerin in Höhe von 17.715,73 € an den Beklagten abgetreten. Die Klägerin führt hierzu aus, dass ihr bis heute keine einzige Abtretung angezeigt worden sei.
Aus den Gründen
Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet.
Die Verfügung des Beklagten, mit der er eine Verrechnungsstundung der Körperschaftsteuer 2013 ablehnt, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten, vgl. § 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–.
Nach § 222 Satz 1 der Abgabenordnung – AO – können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint.
Grundsätzlich steht die Entscheidung, ob Steueransprüche zu stunden sind, im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Das Finanzgericht kann nur überprüfen, ob die Behörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Allerdings reduziert sich das Ermessen der Finanzbehörde auf null, wenn der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Stundung hat. Dies ist u. a. dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderung der Finanzbehörde einen zumindest gleich hohen Gegenanspruch gegenüber der Behörde hat. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass es gegen Treu und Glauben verstößt, etwas zu fordern, was sogleich zurückgewährt werden muss.
Im Streitfall hat die Klägerin, was auch vom Beklagten nicht bestritten wird, einen Umsatzsteuererstattungsanspruch wegen zu hoher Umsatzsteuerzahlungen in den Jahren 2011 und 2012.
Gegen diesen Anspruch kann der Beklagte mit Gegenansprüchen aufrechnen, die ihm aus abgetretenem Recht gegenüber der Klägerin zustehen. Ob der Beklagte überhaupt nach § 27 Abs. 19 UStG Gegenansprüche gegenüber der Klägerin hat (kritisch hierzu LG Düsseldorf, Urteil vom 5.2.2016 – 33 O 86/15, juris), kann der Senat offenlassen, da die Klägerin insoweit ihr Klagebegehren eingeschränkt hat.
Die Weigerung des Beklagten, der Klägerin unter Hinweis auf § 27 Abs. 19 UStG die überzahlte Umsatzsteuer 2011 und 2012 zu erstatten, ist nicht nachvollziehbar. Die Vorschrift betrifft einzig und allein das Verhältnis der Finanzbehörde zu den Bauleistern als den richtigen Steuerschuldnern. Der Beklagte gibt für seine Auffassung, diese Vorschrift hätte irgendetwas mit dem Steuerrechtsverhältnis zwischen ihm und der Klägerin zu tun, keine Begründung ab.
Die Ausführungen des Bundesfinanzhofs im Beschluss vom 27. Januar 2016 – V B 87/15, Rz. 25 zur gegebenenfalls doppelten Berichtigung nach § 17 UStG sind zu allgemein und vage gehalten, um den Umsatzsteuererstattungsanspruch der Klägerin so ernsthaft infrage zu stellen, dass er für eine Verrechnungsstundung nicht zur Verfügung steht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Der Senat lässt im Hinblick auf den vorgenannten BFH-Beschluss gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.