BVerfG: Verlängerung der Spekulationsfrist bei Grundstücksveräußerungsgeschäften teilweise verfassungswidrig
Das BVerfG hat mit Beschluss vom 7.7.2010 - 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 - entschieden: § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG i. V. m. § 52 Abs. 39 S. 1 EStG i. d. F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ist wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig. Nach § 52 Abs. 39 S. 1 EStG galt die neue Spekulationsfrist von zehn Jahren (zuvor: zwei Jahre) bei Grundstücksveräußerungen erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber - rückwirkend - auch bereits erworbene Grundstücke ein, sofern der Vertrag über die Veräußerung erst im Jahr 1999 (oder später) geschlossen wurde. Eine grundsätzlich unzulässige „echte" Rückwirkung, bei der die gesetzlichen Rechtsfolgen schon vor dem Zeitpunkt der Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände eintreten sollen („Rückbewirkung von Rechtsfolgen"), liege nicht vor. Denn die verlängerte Veräußerungsfrist kommt erst ab dem im Zeitpunkt der Änderung noch laufenden Veranlagungszeitraum zur Anwendung, d. h. für Veräußerungserlöse, die ab dem 1.1.1999 zugeflossen sind. Es liege aber eine „unechte" Rückwirkung vor, soweit das Grundstück im Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung am 31.3.1999 bereits erworben war, weil die Anwendung der verlängerten Veräußerungsfrist insoweit an einen zurückliegenden Sachverhalt anknüpft. Das sei zwar nicht grundsätzlich unzulässig, mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes aber nur vereinbar, wenn die Rückanknüpfung zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Damit sei die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist nur teilweise vereinbar.
Die Verlängerung der Veräußerungsfrist auf zehn Jahre als solche ist dagegen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Anwendung der verlängerten Spekulationsfrist verstosse aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit ein im Zeitpunkt der Verkündung bereits eingetretener Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen wird, der nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert worden ist oder zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können, weil die alte Spekulationsfrist bereits abgelaufen war. Insoweit war bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist nachträglich entwertet wird. Diese führt zudem zu einer Ungleichbehandlung, die unter dem Gesichtspunkt der Lastengleichheit einer erhöhten Rechtfertigung bedarf, wenn die alte Frist - wie in den Ausgangsverfahren - bereits bis zum Ende des Jahres 1998 abgelaufen war. Denn bei denjenigen Steuerpflichtigen, die ihr Grundstück noch im Jahr 1998 veräußerten, bleiben die bis dahin erzielten Wertsteigerungen steuerfrei.
Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, bestünden nicht.(PM BVerfG vom 19.8.2010)