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Steuerrecht
21.06.2011
Steuerrecht
BGH: Staatshaftungsanspruch wegen Versagung des Vorsteuerabzugs in der Aufbauphase eines Unternehmens?

Der BGH hatte mit Urteil vom 12.5.2011 – III ZR 59/10 – zu entscheiden, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG gegeben ist, wenn die Finanzbehörden einem Unternehmen in der Aufbauphase den Vorsteuerabzug versagen, weil Ausgangsumsätze bis zum Entscheidungszeitpunkt weder erzielt worden noch überhaupt erzielbar gewesen seien. Das Berufungsgericht hatte einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch verneint: Ein offenkundiger und erheblicher Verstoß gegen die aus der Richtlinie oder ihrer verbindlichen Auslegung durch den Gerichtshof folgenden Grundsätze liege nicht vor. Zwar sei der Einspruchsbescheid objektiv rechtswidrig gewesen, weil die Behandlung der Klägerin als so genannter erfolgloser Unternehmer im Hinblick auf das INZO-Urteil des EuGH (Rs. C-110/94, BB 1996, 940) nicht mit einer an Art. 4 der 6. Mehrwertsteuerrichtlinie orientierten Auslegung des § 2 UStG vereinbar gewesen sei. Der Bescheid beruhe aber tragend auf der Erwägung, es liege ein Missbrauchstatbestand vor. Versage die Richtlinie in Missbrauchsfällen die Anerkennung der Unternehmereigenschaft, werde auch bei rechtswidriger Annahme eines Missbrauchstatbestands ausschließlich das innerstaatliche Recht verletzt. Der III. Zivilsenat hob das Berufungsurteil auf und wies die Sache an das Berufungsgericht zurück: Gehe man davon aus, die Ausgangsbescheide seien rechtswidrig gewesen, erweise sich die Beurteilung, der Verstoß gegen das Unionsrecht sei nicht hinreichend qualifiziert, als rechtsfehlerhaft. Vorliegend sei entscheidungserheblich, ob ein Gewerbetreibender bei bloßen Vorbereitungshandlungen schon dann regelmäßig als zum Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer zu behandeln ist, wenn er nur die Absicht hat, später steuerbare Umsätze zu erzielen, ohne dass es darauf ankommt, ob zu erwarten ist, dass diese Absicht umzusetzen ist. Zum anderen sei relevant, ob ein Ausnahmefall nur dann vorliegt, wenn diese Absicht nur vorgespiegelt ist, tatsächlich jedoch Investitionen dem privaten Vermögen zufließen sollen, oder ob auch sonstige Missbrauchsfälle, die nicht unmittelbar mit der späteren Umsatzsteuerpflicht zusammenhängen, einer Anerkennung als zum Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer entgegenstehen können. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der Rechtsprechung – auch der BFH habe noch nicht alle in diesem Zusammenhang stehenden Fragen als beantwortet angesehen – fehle es an näheren Feststellungen und an einer tatrichterlichen Würdigung, ob die Finanzbehörden hinreichend qualifiziert gegen Art. 4 und Art. 17 der Richtlinie verstoßen haben. Der BGH entschied außerdem, nach dem bisherigen Stand lasse sich das angefochtene Urteil nicht mit der Begründung aufrechterhalten, der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch sei verjährt. Denn die Verjährung eines Amtshaftungs- oder Staatshaftungsanspruchs wegen des Erlasses eines rechtswidrigen Steuerbescheids beginne auch dann mit dessen Bestandskraft, wenn er unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Bemühungen eines Steuerpflichtigen, die Finanzverwaltung zur Anerkennung seiner Unternehmereigenschaft zu bewegen, könnten für sich genommen zwar nicht als Verhandlungen i. S. d. § 203 S. 1 BGB ber einen aus dieser Versagung folgenden Schadensersatzanspruch angesehen werden, wenn dieses Begehren nicht thematisiert worden ist. Beantrage der Steuerpflichtige aber nach § 164 Abs. 2 S. 2 AO vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Änderung eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheids, habe dies für einen auf die Rechtswidrigkeit dieses Bescheids gestützten Schadensersatzanspruch in entsprechender Anwendung von § 209 Abs. 1 BGB a. F. verjährungsunterbrechende bzw. von § 204 Abs. 1 BGB n. F. verjährungshemmende Wirkung.
 
Volltext des Urteils: // BB-ONLINE BBL2011-1619-1 unter www.betriebs-berater.de

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