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Steuerrecht
15.06.2015
Steuerrecht
KOM: Kommission fordert von Estland und Polen Übermittlung fehlender Informationen über Steuerpraktiken und von 15 Mitgliedstaaten Vorlage von Steuervorbescheiden

Die Europäische Kommission hat Estland und Polen aufgefordert, innerhalb eines Monats der Kommission die verlangten Informationen über ihre Vorgehensweise bei Steuervorbescheiden zu übermitteln. Beide Länder haben sich bislang geweigert den vorherigen Auskunftsersuchen der Kommission vollständig nachzukommen. Sollte eines der beiden Länder die fehlenden Informationen nicht innerhalb eines Monats übermitteln, kann die Kommission jenes vor dem Gerichtshof der Union verklagen.

Die Kommission sandte die vorherigen Auskunftsersuchen an Estland und Polen im Kontext der Ausweitung ihrer beihilferechtlichen Untersuchung der nationalen Verfahren für Steuervorbescheide auf alle EU-Mitgliedstaaten im Dezember 2014. Diese Untersuchung soll Klarheit darüber bringen, ob gewisse Steuervorbescheide möglicherweise staatliche Beihilfen darstellen können, und der Kommission die Möglichkeit bieten, sich über die einschlägigen Verfahren aller Mitgliedstaaten eine fundierte Meinung zu bilden. Außer Estland und Polen haben alle EU-Mitgliedstaaten mit der Kommission kooperiert und sämtliche für die beihilferechtliche Untersuchung angeforderten Informationen übermittelt. Auf der Grundlage der erhaltenen Informationen wird die Kommission heute Anfragen an 15 Mitgliedstaaten senden für eine erhebliche Anzahl an konkreten Steuervorbescheiden. Die Anfrage dieser Steuervorbescheide sagt noch nichts darüber aus, ob in den betreffenden Fällen beihilferechtliche Untersuchungen eingeleitet werden.

Die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin, Margrethe Vestager, erklärte hierzu: „Wir verschaffen uns gerade ein Gesamtbild davon, wie Steuervorbescheide in der EU in der Praxis gehandhabt werden. Manchmal mussten wir zwei- oder mehrmals Informationen bei den Mitgliedstaaten anfordern. Einige Teile für dieses Puzzle fehlen uns noch immer. Einen vollständigen Überblick bekommen wir erst, wenn wir auch über sämtliche Informationen von Estland und Polen verfügen. Auf der Grundlage der bislang eingegangenen Informationen werde ich heute bereits bei 15 Mitgliedstaaten Steuervorbescheide anfordern. Wir werden diese sorgfältig prüfen, um festzustellen, ob Mitgliedstaaten mit Hilfe von Steuervorbescheiden einzelnen Unternehmen selektive Steuervergünstigungen gewähren und damit gegen die EU-Beihilfevorschriften verstoßen.“

Steuervorbescheide sind Schreiben der Steuerbehörden, die an ein bestimmtes Unternehmen gerichtet sind und eine konkrete Steuerangelegenheit betreffen. An sich ist dies beihilferechtlich nicht problematisch. Wenn jedoch einzelnen Unternehmen oder Unternehmensgruppen in einem Mitgliedstaat durch Steuervorbescheide ein selektiver Vorteil verschafft wird, hat dies Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zur Folge und verstößt gegen EU-Beihilfevorschriften.

Estland und Polen haben es bislang versäumt, die Auskunftsersuchen der Kommission ordnungsgemäß zu beantworten. Unter Berufung auf das Steuergeheimnis und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit übermittelten sie lediglich allgemeine Informationen und weigerten sich, einen detaillierten Überblick über die von 2010 bis 2013 erteilten Steuervorbescheide zu geben.

Die Kommission ist jedoch befugt, alle Informationen anzufordern, die sie im Rahmen eines Beihilfeverfahrens als notwendig erachtet, und die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Auskunftsersuchen zu beantworten. Vertrauliche Steuerdaten bleiben dabei angemessen geschützt, denn die Kommission ist selbst an Datenschutzvorschriften gebunden.

 

Hintergrund

Die Kommission untersucht seit Juni 2013, wie die Mitgliedstaaten in der Praxis bei Steuervorbescheiden vorgehen. Im Dezember 2014 weitete sie diese Untersuchung auf alle Mitgliedstaaten aus. Heute werden Steuervorbescheide von Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Litauen, Österreich, Portugal, Rumänien, Schweden, der Slowakei, Spanien, der Tschechischen Republik und Ungarn angefordert. Aus Irland, Luxemburg, Malta, den Niederlanden dem Vereinigten Königreich und Zypern, hat die Kommission bereits solche Vorbescheide angefordert. Ausgehend von den erhaltenen Informationen sieht die Kommission derzeit keinen Anlass, auch von Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Lettland und Slowenien Steuervorbescheide anzufordern.

Im März 2014 richtete die Kommission zwei Anordnungen zur Auskunftserteilung an Luxemburg, um die angeforderten Informationen über die Regelungen für Steuervorbescheide und Steuerregelungen zu Rechten des geistigen Eigentums zu erhalten. Luxemburg erkannte die beihilferechtliche Untersuchungsbefugnis der Kommission im Dezember 2014 an und übermittelte sämtliche fehlenden Informationen über die allgemeine Vorgehensweise bei Steuervorbescheiden.

Die Kommission führt derzeit fünf eingehende Untersuchungen zu Steuervorbescheiden wegen beihilferechtlicher Bedenken durch. Im Juni 2014 leitete die Kommission eingehende Prüfungen ein, die Steuervorbescheide Irlands (für Apple), der Niederlande (für Starbucks) und Luxemburgs (für Fiat Finance & Trade) betrafen. Im Oktober 2014 wurde eine Untersuchung eingeleitet, bei der es um einen Steuervorbescheid von Luxemburg für Amazon ging. In diesen Fällen wird geprüft, ob die Steuervorbescheide den betreffenden Unternehmen einen selektiven Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern verschaffen, was gegen die EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen verstoßen würde. Erst kürzlich, im Februar 2015, hat die Kommission auch eine eingehende Prüfung einer belgischen Steuerregelung eingeleitet, durch die Konzernunternehmen auf der Grundlage der Steuervorbescheide zu „Mehrgewinn“ in Belgien erheblich weniger Körperschaftsteuer zahlen müssen.

Die Bemühungen der Kommission um größere Transparenz im Bereich der Steuervorbescheide sind Teil ihrer Agenda zur Bekämpfung der Steuervermeidung und des schädlichen Steuerwettbewerbs. Ihr Vorschlag vom März 2015, für Steuervorbescheide einen automatischen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten einzuführen, erhielt auf der informellen Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen in Riga die Unterstützung der Finanzminister, und die diesbezüglichen technischen Verhandlungen im Rat kommen voran. Der Vorschlag soll am 1. Januar 2016 in Kraft treten. Am 17. Juni wird die Kommission zudem einen Aktionsplan für eine gerechtere, effizientere und transparentere Unternehmensbesteuerung in der EU verabschieden. Der Plan wird Maßnahmen zur Bekämpfung der Steuervermeidung im Bereich der Unternehmenssteuer und zur Förderung einer wachstumsfreundlichen Besteuerung im Binnenmarkt enthalten (siehe auch Orientierungsaussprache im Kollegium der Kommissionsmitglieder).

 

Hintergrundinformationen zum Verfahren

Die Verfahrensverordnung für den Beihilfebereich berechtigt die Kommission, alle Informationen anzufordern, die sie im Rahmen eines beihilferechtlichen Prüfverfahrens für notwendig erachtet, also z. B. auch Informationen, die zeigen, ob Steuerpraktiken eines Mitgliedstaats bestimmte Unternehmen begünstigen. Nach der Mitteilung der Kommission zum Berufsgeheimnis, können die Mitgliedstaaten ihre Weigerung, von der Kommission angeforderte Informationen zu erteilen, nicht durch Berufung auf das Berufsgeheimnis rechtfertigen.

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