Vorzieheffekt: Furcht vor Erbschaftsteuerreform hat viele Minderjährige zu Multimillionären gemacht
Es war der Blick auf die bevorstehende Erbschaftsteuerreform, die Familienunternehmer handeln ließ: Aus Furcht vor dem Wegfall von Steuerbegünstigungen haben viele ihre Firmen an die nächste Generation verschenkt - auch an Minderjährige. In erster Linie haben sogar Kinder unter 14 Jahren von diesen Schenkungen profitiert. Das ergibt sich aus einer Studie, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am 8.9.2016 veröffentlicht hat.
Das DIW hat für diese Studie Zahlen der Erbschaft- und Schenkungssteuerstatistik ausgewertet. Von insgesamt 144 Milliarden Euro steuerfreien Unternehmensübertragungen der festsetzungsjahre 2011 und 2014, für die Altersangaben vorliegen, gingen 37 Milliarden Euro an Minderjährige. 29,4 Milliarden Euro davon haben nach Angaben der Studien-Autoren 90 Kinder im Alter von unter 14 Jahren erhalten, denen jeweils Vermögen von mindestens 20 Millionen Euro übertragen worden sei - im Schnitt also 327 Millionen Euro pro Kind.
BVerfG hatte Verschonungsregeln gekippt
Ende 2014 hatte das BVerfG die Verschonungsregeln für Firmenerben gekippt, weil sie in den Augen der Richter zu großzügig waren. Bis Ende Juni 2016 sollten schärfere Vorgaben ins Gesetz aufgenommen werden - jedoch ist eine Einigung zwischen Bund und Ländern gescheitert. Ein großer Streitpunkt sind insbesondere Steuerbegünstigungen für große Unternehmensvermögen.
So hatte der Bundesrat den Gesetzentwurf Anfang Juli abgelehnt und den Vermittlungsausschuss angerufen, der am heutigen Donnerstag (08.09.2016) erstmals über die Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer berät.
Gelingt bis Ende September keine Lösung, wird sich das BVerfG erneut mit der Steuer befassen, da der Gesetzgeber die Frist zur Neuregelung verstreichen ließ. Dann könnten alle Privilegien fallen. Hingegen plant der nun zur Debatte stehende Gesetzentwurf bei hohen Unternehmensübertragungen laut DIW "allenfalls moderate Mehrbelastungen". Es könnten sogar durch neue Begünstigungen Entlastungen gegenüber dem bisherigen Recht eintreten, heißt es in der Studie. "Weil die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der Neuregelung somit recht großzügig ausgelegt wurden, gibt es verfassungsrechtliche Bedenken", heißt es beim DIW.
Hohe Vorzieheffekte bei Unternehmensübertragungen
Das Aufkommen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer dürfte daher längerfristig kaum steigen, sondern gegebenenfalls sogar zurückgehen. Zuletzt lagen die Einnahmen, die allein den Ländern zustehen, bei nur gut fünf Milliarden Euro im Jahr.
In den vergangenen Jahren hat es laut DIW hohe Vorzieheffekte bei Unternehmensübertragungen gegeben. 2012 seien steuerfreie Übertragungen von Firmenvermögen auf 40 Milliarden Euro gestiegen, 2014 auf 66 Milliarden Euro. 2015 seien es 57 Milliarden gewesen - jeweils ein Großteil davon Schenkungen.
Die steuerpflichtigen Erwerbe nach Begünstigungen und Freibeträgen hätten sich hingegen nur minimal verändert. Steuerausfälle durch die Begünstigungen von Firmenübertragungen schätzt das DIW für die Jahre 2011 bis 2014 auf gut 40 Milliarden Euro. für 2015 rechnet es mit zusätzlichen 13 Milliarden.
"So günstig wie jetzt wird es nie wieder"
Der starke Anstieg der steuerfreien Unternehmensübertragungen dürfte sowohl auf "Nachholeffekte der Reform des Jahres 2009", als auch auf "Vorzieheffekte im Hinblick auf erwartete Einschränkungen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts" zurückzuführen sein, schreibt das
DIW. Offenbar hätten viele Unternehmerfamilien die günstigen erbschaftsteuerlichen Rahmenbedingungen seit dem Jahr 2009 genutzt, um Firmen oder Firmenanteile vorab auch an die sehr junge Generation weiterzugeben.
Spätestens seit 2012, also seit das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht begonnen hat, sei damit zu rechnen gewesen, dass die bisher geltenden Begünstigungen nicht dauerhaft Bestand haben könnten. Die DIW-Studien-Aztiren schließen daraus: "Daher handelten wohl viele nach dem Motto 'So günstig wie jetzt wird es nie wieder'."
(PM DIW vom 08.09.2016; Studie DIW abrufbar unter www.diw.de)