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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
27.10.2022
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Münster: Zur Verfassungsmäßigkeit des Gewinnzuschlags nach § 6b Abs. 7 EStG i. H. v. jährlich 6 %

FG Münster, Urteil vom 24.8.2022 – 7 K 3764/19 E

ECLI:DE:FGMS:2022:0824.7K3764.19E.00

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2022-2542-1

Leitsatz (des Kommentators)

Der Gewinnzuschlag in Höhe von 6 % p. a. gem. § 6b Abs. 7 EStG, der entsteht, wenn der Steuerpflichtige einen Veräußerungsgewinn gem. § 6b Abs. 1 S. 2 EStG in eine Rücklage gem. § 6b Abs. 3 S. 1 EStG eingestellt und mangels Ersatzbeschaffung in der Reinvestitionsfrist gewinnerhöhend aufzulösen hatte, ist dem Grunde und der Höhe nach verfassungskonform. Eine Gleichbehandlung des Gewinnzuschlags mit der Vollverzinsung gem. § 233a Abs. 1a AO ist nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG geboten.

EStG § 6b Abs. 7; AO §§ 233a Abs. 1, 1a, 238; GG Art. 3 Abs. 1

Sachverhalt

Streitig ist, ob die Höhe des Gewinnzuschlags nach § 6b Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes – EStG – verfassungsgemäß ist.

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach einem abweichenden Wirtschaftsjahr (01.07. bis 30.06.).

In dem land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögen des Klägers befand sich ein Grundstück mit einer Größe von 65.100 qm. Von diesem Grundstück veräußerte er eine Teilfläche (ca. 30.100 qm) an M T zu einem Kaufpreis von 145.500 EUR. Die Kaufpreiszahlung sollte durch die Stadt U erfolgen, welche zu diesem Preis ein Grundstück von M T erworben hatte. Besitz, Nutzen und Lasten sowie alle Gefahren sollten am Tage der Kaufpreiszahlung übergehen (vgl. notarieller Vertrag vom 28.03.2011, UR-Nr. 000/2011, Notar N in U, vgl. Sonderakte Grund und Boden). Der Kaufpreis wurde am 27.06.2011 in Höhe von 45.500 EUR und am 07.10.2011 in Höhe von 100.000 EUR gezahlt (vgl. Anlage zum Jahresabschluss 2011/2012 in der Sonderakte Grund und Boden).

Der Kläger bildete für das Wirtschaftsjahr 2011/2012 eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG in Höhe von 64.698,67 EUR (vgl. Jahresabschluss 2011/2012). Eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung E führte zu einer Erhöhung der Rücklage auf einen Betrag von 66.648,99 EUR, da der Prüfer von einem geringeren Buchwert des veräußerten Grundstücks und damit von einem höheren Veräußerungsgewinn ausging (vgl. Prüfungsbericht vom 27.03.2014 Tz. 2.2 und 2.5 sowie Anlage 1 Seite 2, Bl. 57 ff. der Gerichtsakte, sowie Überwachungsbogen in der Bilanzakte 2015/2016).

Die Stadt T bescheinigte mit Schreiben vom 22.12.2017, dass der Grunderwerb durch notariellen Vertrag vom 28.03.2011 zum Zwecke der Vorbereitung oder Durchführung von städtebaulichen Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahmen (Erweiterung eines Sportgeländes) erfolgt sei. Es sei gelungen, eine direkt an das bisherige Sportplatzgelände angrenzende Fläche von M T zu erwerben, und zwar unter der Voraussetzung, dass der Kläger ihm eine Ackerfläche überträgt (vgl. Bl. 78 f. der Gerichtsakte).

Der Kläger löste die Rücklage in den Wirtschaftsjahren 2014/2015, 2015/2016 und 2016/2017 in Höhe von jeweils 22.216,33 EUR auf. Als Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG setzte er für das Wirtschaftsjahr 2014/2015 einen Betrag in Höhe von 3.998,94 EUR (entspricht 18 % von 22.216,33 EUR), für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 einen Betrag in Höhe von 2.665,96 EUR (entspricht 12 % von 22.216,33 EUR) und für das Wirtschaftsjahr 2016/2017 einen Betrag in Höhe von 1.332,97 EUR (entspricht 6 % von 22.216,33 EUR) an (vgl. Überwachungsbogen in der Bilanzakte 2015/2016, Jahresabschlüsse zum 30.06.2015, 30.06.2016 und 30.06.2017, Bl. 14 der Gerichtsakte).

Im Rahmen der Einkommensteuer für 2015 berücksichtigte der Beklagte zunächst Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 40.537 EUR und dabei erklärungsgemäß – jeweils hälftig – Gewinnzuschläge in Höhe von 3.998,94 EUR für das Wirtschaftsjahr 2014/2015 und in Höhe von 2.665,96 EUR für das Wirtschaftsjahr 2015/2016. Die Steuerfestsetzung erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 05.02.2019). Sodann änderte er die Steuerfestsetzung für 2015 und setzte den Gewinnzuschlag für die aufgelöste Rücklage im Wirtschaftsjahr 2015/2016 in Höhe von 5.331,84 EUR (entspricht 24 % von 22.216 EUR) an. Dies führte zu einer Erhöhung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft für 2015 um 1.333 EUR auf einen Gesamtbetrag von 41.870 EUR (Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 25.06.2019, Überwachungsbogen in der Bilanzakte 2015/2016).

Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung für 2016 berücksichtigte der Beklagte Gewinnzuschläge für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 in Höhe von 5.331,92 EUR (entspricht 24 % von 22.216,33 EUR) und für das Wirtschaftsjahr 2016/2017 in Höhe von 6.665,10 EUR (entspricht 30 % von 22.217 EUR). Er setzte die Zuschläge jeweils hälftig für das Jahr 2016 an; damit ergaben sich für 2016 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft in Höhe von 49.181 EUR (Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 25.06.2019, Überwachungsbogen in der Bilanzakte 2015/2016). Aus hier nicht streitbefangenen Gründen änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung für 2016 mit Einkommensteuerbescheid vom 25.07.2019.

Mit den gegen die Einkommensteuerfestsetzungen für 2015 und 2016 gerichteten Einsprüchen wendeten sich die Kläger gegen die Höhe der Gewinnzuschläge und baten, die Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des § 238 Abs. 1 Satz  1 der Abgabenordnung – AO – abzuwarten.

Der Beklagte lehnte ein Ruhen des Verfahrens ab und wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 11.11.2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er an, § 6b Abs. 7 EStG regele eine Gewinnerhöhung um 6 % des aufgelösten Rücklagenbetrages für jedes Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden habe. Ein Ruhen des Verfahrens scheide aus, da der Gewinnzuschlag keine Verzinsung im Sinne des § 238 AO sei.

Mit der dagegen gerichteten Klage machen die Kläger geltend, dass die Höhe des Gewinnzuschlags nach § 6b Abs. 7 EStG verfassungswidrig sei. Die Erwägungen, welche der Bundesfinanzhof – BFH – zur Verfassungswidrigkeit der Zinsen nach §§ 233a, 238 AO (BFH-Beschlüsse vom 25.04.2018 IX B 21/18, BStBl II 2018, 415 [BB 2018, 1444 m. BB-Komm. Heinmüller, StB 2018, 209 Ls] und vom 03.09.2018 VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279) und das Finanzgericht Hamburg zur Verfassungswidrigkeit der Abzinsung von Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG (FG Hamburg Beschluss vom 31.01.2019 2 V 112/18, EFG  2019, 525) angestellt hätten, seien auf § 6b Abs. 7 EStG übertragbar. Auch bei dem dort geregelten Gewinnzuschlag in Höhe von 6 % p.a. handele es sich um eine Verzinsung. Angesichts der dauerhaften Niedrigzinsphase sei allenfalls eine Verzinsung von 3 % p.a. gerechtfertigt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass § 6b Abs. 7 EStG einen Gewinnzuschlag und keine Verzinsung regele. Der Zuschlag solle zwar auch den faktischen Zinsvorteil einer Steuerstundung ausgleichen, stelle aber keine Verzinsung dar (Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6b EStG Rn. 149).

Aus den Gründen

Unbegründetheit der Klage

Die Klage ist unbegründet. Die Einkommensteuerbescheide für 2015 vom 25.06.2019 und für 2016 vom 25.07.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.11.2019 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Die von dem Beklagten angesetzten Gewinnzuschläge entsprechen den Vorgaben des § 6b Abs. 7 EStG (dazu I.). Die Höhe des Gewinnzuschlags ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (dazu II.).

Gewinn war um die Gewinnzuschläge zu erhöhen

I. Der Gewinn des Klägers war um die vom Beklagten angesetzten Gewinnzuschläge zu erhöhen (§ 6b Abs. 7 EStG).

Zweck des § 6b EStG: Übertragung der stillen Reserven auf ein Reinvestitionsgut

1. § 6b EStG dient dem Zweck, die aufgrund bestimmter Veräußerungsvorgänge aufgedeckten stillen Reserven steuerrechtlich nicht sofort zu erfassen, sondern sie auf ein Reinvestitionsgut zu übertragen (BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl II 2020, 635 [BB 2019, 2735 m. BB-Komm. Kubik, StB 2019, 361 Ls]).

Nach § 6b Abs. 1 Satz 1 EStG kann der Steuerpflichtige, der ein dort genanntes Wirtschaftsgut seines Anlagevermögens – z.B. Grund und Boden – veräußert, im Wirtschaftsjahr der Veräußerung von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in § 6b Abs. 1 Satz 2 EStG bezeichneten Wirtschaftsgüter einen Betrag bis zur Höhe des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns abziehen. Soweit er diesen Betrag nicht abzieht, kann er im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden (§ 6b Abs. 3 Satz 1 EStG). Nach § 6b Abs. 3 Satz 2 EStG kann der Steuerpflichtige bis zur Höhe der Rücklage von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in § 6b Abs. 1 Satz 2 EStG bezeichneten Wirtschaftsgüter, die in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt worden sind, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung einen Betrag abziehen. Die Rücklage ist in Höhe des abgezogenen Betrags gewinnerhöhend aufzulösen (§ 6b Abs. 3 Satz 4 EStG).

Ist eine Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie grundsätzlich in diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen (§ 6b Abs. 3 Satz 5 HS. 1 EStG). Werden Anlagegüter zum Zweck der Vorbereitung oder Durchführung von städtebaulichen Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahmen an einen der in § 6b Abs. 8 Satz 2 EStG bezeichneten Erwerber – insbesondere an eine Gebietskörperschaft – übertragen, so gilt eine um drei Jahre verlängerte Reinvestitionsfrist (§ 6b Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 EStG). Diese Voraussetzungen sind durch eine Bescheinigung einer nach Landesrecht zuständige Behörde nachzuweisen (§ 6b Abs. 9 EStG). Der Bescheinigung kommt die Eigenschaft eines Grundlagenbescheides zu (vgl. Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24.07.2001 3 V 15/01, EFG 2001, 1358; Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6b EStG Rn. 155).

Der Steuerpflichtige ist während des Laufs der Reinvestitionsfrist befugt, die Rücklage ganz oder teilweise gewinnerhöhend aufzulösen oder auf ein anderes Reinvestitionsgut ganz oder teilweise zu übertragen (BFH-Urteil vom 29.04.2020 XI R 39/18, BStBl II 2021, 517 [BB 2020, 2159 m. BB-Komm. Weiss]).

Soweit eine nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildete Rücklage gewinnerhöhend aufgelöst wird, ohne dass ein entsprechender Betrag nach § 6b Absatz 3 EStG abgezogen wird, ist der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten Rücklagenbetrags zu erhöhen (§ 6b Abs. 7 EStG). Das Wirtschaftsjahr der Veräußerung stellt kein volles Wirtschaftsjahr dar (Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.09.1991 10 K 77/87, EFG 1992, 178; Loschelder in Schmidt, EStG, § 6b Rn. 88).

Gewinnzuschläge im Streitfall sind nicht zu beanstanden

2. Nach diesen Maßstäben sind die von dem Beklagten angesetzten Gewinnzuschläge in Höhe von 3.998,94 EUR (18 %) für das Wirtschaftsjahr 2014/2015, in Höhe von 5.331,84 EUR (24 %) für das Wirtschaftsjahr 2015/2016 und in Höhe von 6.665,10 EUR (30 %) für das Wirtschaftsjahr 2016/2017 nicht zu beanstanden.

Denn Kläger hat die im Wirtschaftsjahr 2011/2012 gebildete Rücklage in den Wirtschaftsjahren 2014/2015, 2015/2016 und 2016/2017 in Höhe von jeweils22.216,33 EUR aufgelöst. Ein Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines anderen Wirtschaftsgutes ist nicht erfolgt. Damit hat die Rücklage mit Ablauf des Wirtschaftsjahres 2014/2015 drei volle Wirtschaftsjahre (18 %), mit Ablauf des Wirtschaftsjahres 2015/2016 vier volle Wirtschaftsjahre (24 %) und mit Ablauf des Wirtschaftsjahres 2016/2017 fünf volle Wirtschaftsjahre (30 %) bestanden.

Eine vollständige Auflösung der Rücklage bereits am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres (Wirtschaftsjahr 2015/2016) war nicht erforderlich, da im Streitfall die um drei Jahre verlängerte Reinvestitionsfrist nach § 6b Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 EStG zu Anwendung kam. Denn die Stadt T hat mit Schreiben vom 22.12.2017 bestätigt, dass der notarielle Vertrag vom 28.03.2011 zum Zwecke der Vorbereitung oder Durchführung von städtebaulichen Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahmen abgeschlossen worden ist. Das Schreiben entfaltet als Bescheinigung i. S. v. § 6b Abs. 9 EStG Bindungswirkung im Sinne eines Grundlagenbescheids. Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die bescheinigten Umstände und deren Qualifikation als städtebauliche Sanierungs- oder Entwicklungsmaßnahme i. S. v. § 6b Abs. 8 EStG, so dass eine weitergehende Überprüfung insoweit weder durch das Finanzamt noch im nachfolgenden finanzgerichtlichen Verfahren durch das Finanzgericht erfolgen kann (vgl. dazu auch Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6b EStG Rn. 155).

Höhe des Gewinnzuschlags ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden

II. Die Höhe des Gewinnzuschlags ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. § 6b Abs. 7 EStG verstößt nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG –. Der Senat sieht keine Veranlassung, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht – BVerfG – gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG die Frage vorzulegen, ob § 6b Abs. 7 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Zwar führt § 6b Abs. 7 EStG zu einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen, die Anlagegüter veräußern (dazu 1.). Gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz erweist sich diese Ungleichbehandlung aber als verfassungsgemäß (dazu 2.). Auch im Hinblick auf die Neuregelung zur Höhe der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen in § 238 Abs. 1a EStG ergibt sich kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (dazu 3.).

Zwar führt § 6b Abs. 7 EStG zu einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen, die Anlagegüter veräußern

1. Steuerpflichtige, die eine nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildete Rücklage gewinnerhöhend auflösen, ohne einen entsprechenden Betrag nach § 6b Abs. 3 EStG von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Ersatzwirtschaftsgutes abzuziehen, werden durch den nach § 6b Abs. 7 EStG anzusetzenden Gewinnzuschlag gegenüber Steuerpflichtigen, die eine Rücklage nicht gebildet haben, und gegenüber Steuerpflichtigen, die nach Bildung einer Rücklage einen Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Ersatzwirtschaftsgutes vorgenommen haben, ungleich behandelt (dazu a). Diese Ungleichbehandlung wird nicht durch Ausgleichsmechanismen an anderer Stelle beseitigt (dazu b).

Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen

a) § 6b Abs. 7 EStG führt zu einer Ungleichbehandlung, da der Gewinnzuschlag nicht bei allen Steuerpflichtigen, die Anlagegüter veräußern, anzusetzen ist. Der Ansatz des Gewinnzuschlags setzt voraus, dass der Steuerpflichtige erstens eine gewinnmindernde Rücklage nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG gebildet und zweitens bei der gewinnerhöhenden Auflösung der Rücklage keinen Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Ersatzwirtschaftsgutes vorgenommen hat.

Die verfassungsrechtlich relevante Ungleichheit liegt damit in einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung der durch den Gewinnzuschlag belasteten Steuerpflichtigen gegenüber Steuerpflichtigen, bei denen ein solcher Zuschlag nicht zu berücksichtigen ist, durch die typisierende Annahme eines durch eine spätere Besteuerung des Veräußerungsvorgangs entstandenen potentiellen Liquiditätsvorteils in Höhe von jährlich 6 %. Insoweit beanstanden die Kläger die ungerechtfertigte Benachteiligung der gewinnzuschlagsbelasteten Steuerpflichtigen, weil der bei ihnen potentiell entstehende Vorteil, der durch den Gewinnzuschlag abgeschöpft werden soll, mit dem jährlichen Zuschlag von 6 % nicht mehr realitätsgerecht bemessen sei.

Keine vollständige Kompensation durch Ausgleichsmechanismen

b) Die Ungleichbehandlung wird nicht durch Ausgleichsmechanismen an anderer Stelle wieder vollständig kompensiert (vgl. dazu BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rn. 106 ff.). Insbesondere wirken sich die auf den Gewinnzuschlag entfallende Mehrsteuern nicht steuermindernd aus (vgl. § 12 Nr. 3 EStG).

Gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz erweist sich diese Ungleichbehandlung aber als verfassungsgemäß

2. Gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz erweist sich die Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die Anlagegüter veräußern, als verfassungsgemäß.

Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach folgenden Grundsätzen:

a) Liegt eine Ungleichbehandlung vor, so hat die weitere Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs nach folgenden Grundsätzen zu erfolgen (vgl. auch Eichberger, Der Gleichheitssatz im Steuerrecht, in: 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918-2018, Festschrift für den Bundesfinanzhof, Seite 501 ff.):

Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe

aa) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282,Rn. 110 f.).

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für Einzelne verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rn. 110 f.).

Grundsatz der Lastengleichheit

bb) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der Lastengleichheit. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Der Gleichheitssatz belässt dem Gesetzgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich indessen ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands). Demgemäß bedürfen sie eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag. Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund mit dem Ausmaß der Abweichung und ihrer Bedeutung für die Verteilung der Steuerlast insgesamt (BVerfG-Urteil vom 10.04.2018 1 BvL 11/14, BVerfGE 148, Rn. 96 [BB 2018, 852 Ls, StB 2018, 124 Ls]). Der Steuergesetzgeber darf aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung typisieren und dabei die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen, wenn die daraus erwachsenden Vorteile im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen, er sich realitätsgerecht am typischen Fall orientiert und ein vernünftiger, einleuchtender Grund vorhanden ist (BVerfG-Urteil vom 10.04.2018 1 BvL 11/14, BVerfGE 148, Rn. 136 [BB 2018, 852 Ls, StB 2018, 124 Ls]).

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geltend diese Grundsätze auch bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von steuerrechtlichen Verzinsungstatbeständen. Dabei geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass eine gesetzliche Zinssatztypisierung, die sich evident von realitätsgerechten Verzinsungen am Markt entfernt, den gleichheitsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (BFH-Urteil vom 09.07.2019X R 7/17, BStBl II 2020, 635, Rn. 34 [BB 2019, 2735 m. BB-Komm. Kubik, StB 2019, 361 Ls] zu dem Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG bis zum Jahr 2009; bestätigt durch BFH-Urteil vom 29.04.2020 XI R 39/18, BStBl. 2021, 517 [BB 2020, 2159 m. BB-Komm. Weiss]; vgl. auch BFH-Urteil vom 22.05.2019 X R 19/17, BStBl II 2019, 795, Rn. 71 [StB 2019, 321 Ls, BB 2019, 2804 Ls m. BB-Komm. Mihm] zu dem Abzinsungssatz von 5,5 % für unverzinsliche Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG für das Jahr 2010; BFH-Urteil vom 14.07.2020 VIII R 3/17, BStBl II 2020, 813, Rn. 41 [BB 2020, 2389 Ls] zu dem Zinssatz von 5,5 % für die Bestimmung des Barwerts von Rentenforderungen nach § 13 Abs. 1 BewG für das Jahr 2013; BFH-Beschluss vom 25.04.2018 IX B 21/18, BStBl II 2018, 415, Rn. 18 [BB 2018, 1444 m. BB-Komm. Heinmüller, StB 2018, 209 Ls] zu Nachzahlungszinsen von monatlich 0,5 % nach §§ 233a, 238 AO für Verzinsungszeiträume ab 2015; vgl. auch FG Köln, Vorlagebeschluss vom 12.10.2017 10 K 977/17, EFG 2018, 287, Rn. 65 zum Rechnungszinsfuß von 6 % zur Ermittlung von Pensionsrückstellungen für das Jahr 2015).

Bereichsspezifische Konkretisierungen für das Steuerrecht kommen bei der Vollverzinsung nach §§ 233a, 238 AO nicht zum Tragen

cc) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommen die bereichsspezifischen Konkretisierungen für das Steuerrecht bei der Vollverzinsung nach §§ 233a, 238 AO nicht zum Tragen, da es sich bei Nachzahlungszinsen nicht um eine Steuer, sondern um steuerliche Nebenleistungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AO – also um Geldleistungspflichten, die neben einer Steuer entstehen – handelt. Demnach richtet sich die Verfassungsmäßigkeit der §§ 233a, 238 AO nach einer strengen Verhältnismäßigkeitsanforderung. Zinsen bedürfen zur Wahrung der Belastungsgleichheit eines über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrundes, der eine deutliche Unterscheidung gegenüber der Steuer ermöglicht.

Allerdings geht auch das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass der Gesetzgeber bei der Auswahl des Zinsgegenstands und der Bemessung des Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und sich dabei in erheblichem Umfang von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und-erhebung leiten lassen darf. Begrenzt wird sein Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum dadurch, dass die von ihm geschaffenen Zinsregelungen grundsätzlich in der Lage sein müssen, den mit ihnen verfolgten Belastungsgrund realitätsgerecht abzubilden. Werden Zinsen als steuerliche Nebenleistungen allein zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben, bedeutet dies, dass die Differenzierung nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen werden muss, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Zins abgegolten werden soll. Dabei kann verfassungsrechtlich lediglich überprüft werden, ob der Zinssatz evident unzureichend ist, den Vorteil realitätsgerecht abzubilden (BVerfG-Beschlüsse vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rn. 115, 149 ff. und vom 30.06.2022 2 BvR 737/20, juris, Rn. 105).

Bei der Prüfung, ob der Zinsvorteil durch den gesetzlichen Zinssatz von 6 % realitätsgerecht abgebildet wird, orientiert sich das Bundesverfassungsgericht an den Kreditzinsen für Unternehmen (Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften von über 1 Jahr bis 5 Jahre, Zinsniveau zwischen 3 % und 3,5 %), berücksichtigt aber auch Habenzinsen für Kapitalanlagen, Kreditzinsen für Privathaushalte und den Basiszinssatz (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rn. 204 ff.). Auf dieser Grundlage kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass spätestens ab dem Jahr 2014 ein strukturelles Niedrigzinsniveau eingetreten ist, welches evident von dem von dem in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO normierten Zinssatz abweicht (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rn. 205, 213).

Dabei betont das Bundesverfassungsgericht allerdings, dass die anderen Verzinsungstatbestände einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung bedürfen, da die Entstehung dieser Zinsen auf einen Antrag bzw. eine freiwillige Entscheidung des Steuerpflichtigen zurückzuführen ist (BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rn. 243).

Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG

b) Gemessen an diesen Anforderungen verstößt der Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 GG.

§ 6b Abs. 7 EStG weist einen über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrund (Ausgleich von Zinsvorteilen, Missbrauchsvermeidung) auf

aa) Der Gewinnzuschlag wurde durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 (BGBl. I 1981, 1523; BStBl. I 1981, 235) eingefügt und damit begründet, dass in den Fällen, in denen begünstigte Reinvestitionen nicht vorgenommen werden, aber durch Bildung einer Rücklage eine Stundungswirkung erzielt worden ist, keine wirtschaftspolitische Notwendigkeit besteht, dem Steuerpflichtigen den eingetretenen Zinsvorteil zu belassen. In diesen Fällen soll durch Erhöhung des Gewinns der gewährte Zinsvorteil wieder ausgeglichen werden (BT-Drucksache 9/842, Seite 66).

Vor diesem Hintergrund geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass mit dem Gewinnzuschlag die Steuerstundung abgegolten werden soll, die infolge der Rücklagenbildung für im Ergebnis nicht reinvestierte Veräußerungsgewinne entsteht (Ausgleich eines Zinsvorteils). Im wirtschaftlichen Ergebnis handelt es sich um die Verzinsung und damit den Gegenwert dafür, dass sich der betreffende Veräußerungsgewinn steuerlich nicht im Wirtschaftsjahr seines Entstehens, sondern erst in den Folgejahren auswirkt (BFH-Urteil vom 15.03.2000 I R 17/99, BStBl II 2001, 251, Rn. 19 [BB 2000, 2193 Ls]). Dabei wird aus steuertechnischen Gründen nicht individuell die Steuer ermittelt und verzinst, die ohne Rücklagenbildung im Veräußerungsjahr zusätzlich angefallen wäre. Vielmehr wird der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, um einen Betrag in Höhe von 6 % der Rücklage für jedes volle Wirtschaftsjahr erhöht, in dem die Rücklage bestanden hat (BFH-Urteil vom 26.10.1989 IV R 83/88, BStBl II 1990, 290, Rn. 10 [BB 1990, 525]).

Darüber hinaus soll der Gewinnzuschlag einer missbräuchlichen Inanspruchnahme entgegenwirken (BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl II 2020, 635, Rn. 34 [BB 2019, 2735 m. BB-Komm. Kubik, StB 2019, 361 Ls]; so auch Heger in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6b Rn. H 2; Loschelder in Schmidt, EStG, § 6b Rn. 88; Marchal in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 6b EStGRn. 149; a.A. Jesse, FR 2022, 1, 11).

Damit steht fest, dass § 6b Abs. 7 EStG einen über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrund (Ausgleich von Zinsvorteilen, Missbrauchsvermeidung) aufweist und damit sogar den strengen Anforderungen, welche das Bundesverfassungsgericht an steuerliche Nebenleistungen stellt, genügt.

Gewinnzuschlag in Höhe von 6 % weicht zwar erheblich von den Zinssätzen für Unternehmenskredite ab,…

bb) Der Gewinnzuschlag in Höhe von 6 % weicht zwar erheblich von den Zinssätzen für Unternehmenskredite (insbesondere Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften bis 1 Mio. EUR bei einer Laufzeit von über einem Jahr bis fünf Jahre/Neugeschäft) ab. In den hier betroffenen Jahren entwickelten sich diese Kreditzinsen wie folgt (vgl. Monatsberichte der Deutschen Bundesbank für März 2013, 47*, März 2014, 47*, März 2015, 47*, März 2016, 47*, März 2017, 47* und März 2018, 47*):

 

 

Geringster Zinssatz

Höchster Zinssatz

2012

3,56 %

4,49 %

2013

3,5 %

3,69 %

2014

2,97 %

3,64 %

2015

2,87 %

3,09 %

2016

2,57 %

2,87 %

2017

2,54 %

2,60 %

 

Auch sind diese Zinssätze vorrangig als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, da § 6b EStG nur bei Gewinneinkünften Anwendung findet und die Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG im Ergebnis zu einer Stundung der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Steuer führt (so im Ergebnis auch BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl II 2020, 635, Rn. 39 [BB 2019, 2735 m. BB-Komm. Kubik, StB 2019, 361 Ls]).

… erweist sich aber trotzdem als verfassungsgemäß

cc) Trotz dieser erheblichen Abweichung erweist sich der Gewinnzuschlag in Höhe von 6 % aus folgenden Gründen als verfassungsgemäß:

Zwecke sind Ausgleich des Zinsvorteils und Missbrauchsvermeidung

(1) Der Gewinnzuschlag soll nicht nur den unberechtigten Zinsvorteil ausgleichen, sondern auch die missbräuchliche Inanspruchnahme der Rücklage verhindern. Angesichts dieses Gesetzeszwecks steht dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Typisierungsbefugnis ein weitreichender Entscheidungsspielraum zu (vgl. BFH-Urteil vom 09.07.2019 X R 7/17, BStBl II 2020, 635, Rn. 34 [BB 2019, 2735 m. BB-Komm. Kubik, StB 2019, 361 Ls]). Anders als bei Nachzahlungszinsen ist er nicht gehalten, sich ausschließlich an dem zu erzielenden Zinsvorteil zu orientieren.

Soweit in der Literatur (Jesse, FR 2022, 1, 11) angezweifelt wird, dass der Gewinnzuschlag auch der Missbrauchsvermeidung dient, so können die angeführten Argumente nicht überzeugen. Es trifft zwar zu, dass die Rücklage keine Reinvestitionsabsicht voraussetzt (BFH-Urteil vom 12.12.2000 VIII R 10/99, BStBl II 2001, 282 [BB 2001, 774]). Der Zweck der Missbrauchsvermeidung ergibt sich aber daraus, dass der Gesetzgeber mit der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG keine voraussetzungslose Stundungsmöglichkeit schaffen, sondern vielmehr volkswirtschaftlich wünschenswerte Neuinvestitionen erleichtern wollte (vgl. BT-Drucksache 9/842, Seite 66).

Möglichkeit der Progressionssenkung

(2) Der Gewinnzuschlag in Höhe von 6 % führt nur dann zu einer Verzinsung der „gestundeten“ Steuer in Höhe von 6 %, wenn für den Steuerpflichtigen in dem Wirtschaftsjahr der Rücklagenbildung und in dem Wirtschaftsjahr der Rücklagenauflösung derselbe individuelle Steuersatz gilt. Gilt für das Bildungsjahr ein höherer Steuersatz, so führt der Gewinnzuschlag zu einer „Verzinsung“ von unter 6 %. Damit kann der Steuerpflichtige durch die Rücklagenbildung Progressionsvorteile erzielen (vgl. dazu auch von Rosenberg/Müller, DB 1990, 2433). Insbesondere kann er – wie der Streitfall exemplarisch zeigt – den Veräußerungsgewinn durch die sukzessive Auflösung der Rücklage auf mehrere Wirtschaftsjahre verteilen und so in besonderem Maße seine Progression senken.

Orientierung an der Renditeerwartung der betroffenen Unternehmen

(3) Der Gesetzgeber hat sich bei der Höhe des Gewinnzuschlags nicht nur an der Höhe der Kreditzinsen, sondern auch an der Höhe der Renditeerwartungen der betroffenen Unternehmen orientiert. Unter Berücksichtigung der Renditeerwartungen scheidet eine evidente Abweichung von dem durch die Rücklage gewährten Vorteil aus. Denn in den Jahren 2012 bis 2017 lag die Gesamtkapitalrendite zwischen 7,13 % und 7,50 % (so jedenfalls die Berechnung von Schätzlein, FR 2020, 947) und damit über dem Gewinnzuschlag von 6 %.

Die Renditeerwartung als Anknüpfungspunkt ergibt sich jedenfalls aus der Gesetzesbegründung zur Höhe des Rechnungszinsfußes von 6 % für Pensionsrückstellungen nach § 6a EStG (vgl. BT-Drucksache 9/842, Seite 66). Da mit demselben Gesetz (2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 (BGBl. I 1981, 1523; BStBl. I 1981, 235) auch der Gewinnzuschlag in Höhe von ebenfalls 6 % eingeführt worden ist, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch insoweit die Renditeerwartungen in den Blick genommen hat (a.A. Jesse, FR 2022, 1, 11).

Für einen weitreichenden Entscheidungsspielraum spricht schließlich die Verfügbarkeit des im Rahmen des § 6b Abs. 7 EStG geltenden Differenzierungskriteriums

(4) Für einen weitreichenden Entscheidungsspielraum spricht schließlich die Verfügbarkeit des im Rahmen des § 6b Abs. 7 EStG geltenden Differenzierungskriteriums.

Der Steuerpflichtige setzt sich durch die Bildung der Rücklage bewusst dem Risiko aus, in einem späteren Veranlagungszeitraum einen Gewinnzuschlag versteuern zu müssen, falls es nicht zu der Anschaffung oder Herstellung des Ersatzwirtschaftsgutes kommt. Der Gewinnzuschlag ist damit auf eine Willensentscheidung des Steuerpflichtigen zurückzuführen. Er kann die Zulage ohne weiteres dadurch vermeiden, dass er von der Bildung der Rücklage absieht. Zudem profitiert der Steuerpflichtige vorübergehend von der Bildung der Rücklage, da der Veräußerungsgewinn zunächst unversteuert bleibt.

Damit können die Wertungen, welche das Bundesverfassungsgericht für die verfassungsrechtliche Prüfung der – vom Steuerpflichtigen nicht zu beeinflussenden – Nachzahlungszinsen vorgenommen hat, nicht auf den Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG übertragen werden (vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282, Rn. 243).

Es kann dahinstehen, ob eine Verfassungswidrifgkeit auch deshalb ausscheidet, weil das BVerfG die Vollverzinsung für weiter anwendbar erklärt hat

(5) Angesichts der vorstehenden Ausführungen kann dahinstehen, ob eine Verfassungswidrigkeit des Gewinnzuschlags für den hier betroffenen Zeitraum (bis einschließlich Wirtschaftsjahr 2016/2017) auch deshalb ausscheidet, weil das Bundesverfassungsgericht die Vollverzinsung nach §§ 233a, 238 AO – ungeachtet ihrer Verfassungswidrigkeit ab dem Jahr 2014 – für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 für weiter anwendbar erklärt hat (vgl. zu diesem Gedanken BFH-Beschluss vom 23.05.2022 V B 4/22 (AdV), DStR 2022, 1548, Rn. 30 zu Säumniszuschlägen).

Auch im Hinblick auf die Neuregelung zur Höhe der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen in § 238 Abs. 1a EStG ergibt sich kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz

3. Ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 GG ergibt sich schließlich nicht daraus, dass der Gesetzgeber die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen (§ 233a AO) mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 12.07.2022 (BGBl. I 2022, 1142) – in Umsetzung des BVerfG-Beschluss vom 08.07.2021 1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282) – auf monatlich 0,15 % (1,8 % p.a.) abgesenkt hat (§ 238 Abs. 1a EStG n.F.). Es kann dahinstehen, ob in der unterschiedlichen Höhe der Zinsen nach § 233a AO und dem Gewinnzuschlag nach § 6b Abs. 7 EStG ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu sehen ist, da die Neuregelung in § 238 Abs. 1a EStG n.F. erst ab dem 01.01.2019 gilt, wohingegen vorliegend lediglich der Zeitraum bis zum 30.06.2017 streitbefangen ist.

Kostenentscheidung und Zulassung der Revision

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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